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10. Entdeckte Betrügereien

Als Herta nach Hause kam, fand sie ein dringendes Schreiben vor, der Polizeikommissär ließ bitten, nochmals die sämtlichen Akten usw. durchsehen zu dürfen. Die Kanzlei des Rechtsanwalts war ja geschlossen, einige der Klienten hatten sich an die Gerichtsbehörde oder an die Polizei gewandt und um die Herausgabe der Akten gebeten.

Es war dies seitens des Gerichts vorgesehen, sobald man Gewißheit über den Tod des Dr. Leonhardt habe; vorher war es nicht zulässig, die ihm anvertrauten Sachen wegzunehmen.

Herta gab sofort Antwort, sie erwarte die Herren heute nachmittag, aber der Bureauvorsteher müsse dabei sein, denn nur dieser könne Auskunft geben über die verschiedenen Angelegenheiten; sie selbst könne bei der amtlichen Tätigkeit unmöglich zugegen sein.

Schon kurz vor zwei Uhr erschien Kommissar Schwarzenberg in Begleitung des Bureauvorstehers, der ja nun gute Tage hatte. Frau Dr. Leonhardt hatte bei Gericht den Wunsch geäußert, daß die Schreibgehilfen so lange als im Dienst ihres Mannes stehend gelten, bis Klarheit in der rätselhaften Sachlage sich zeigt. Der Gehalt sollte also wie seither bezahlt werden, dafür war ein bestimmter Betrag bei der Gerichtskasse hinterlegt.

Der Kommissär bat den Bureauvorsteher Nenntwig, ihm zunächst die Akten der Klienten herauszusuchen, die deren Rückgabe wünschen. Nenntwig fand sich sofort zurecht, bei der peinlichen Ordnung und Genauigkeit war alles bis zum 20. November nachgetragen, so daß jeweils genau die Gebühren festgestellt werden konnten, gegen deren Vergütung die Herausgabe der Akten erfolgen sollte.

»Es wäre am besten, wenn ich auch gleich eine genaue Aufstellung von allen vorhandenen Sachen machen würde; dies wird allerdings nicht so rasch erledigt sein. Aber vielleicht könnte ein Beamter zugegen sein und Schreiber Held mir die nötigen Handreichungen tun. Dann hätte die Behörde einen klaren Ueberblick, wüßte sofort Bescheid, wenn noch weitere Wünsche und Anfragen erfolgen. Ich glaube nicht, daß mein Chef jemals seine Tätigkeit wieder aufnimmt.«

Diesen Vorschlag des Bureauvorstehers hörte der Kommissär ruhig an. Daran hatte er auch schon gedacht, aber die selbständige Ueberlegung des jungen Mannes gefiel ihm sehr.

»Ich werde Ihre mir sehr zusagende Anregung mit dem Herrn Untersuchungsrichter besprechen und Ihnen dann Bescheid geben. Nun möchte ich noch einen kurzen Einblick nehmen in die Registratur und nochmals die Briefschaften im Schreibtisch des Rechtsanwalts durchsehen, wir vermuten, daß noch irgendwelche Aufzeichnungen vorhanden sind. Das Geheimfach haben wir noch nicht durchsucht. Sie sind wohl so freundlich und lassen sich von Frau Dr. Leonhardt die Schlüssel geben, es sind sicher Dubletten oben.«

Nenntwig brachte den zweiten Schlüsselbund, der Beamte wünschte, daß er bleiben möge, bis alle Papiere geprüft seien.

Es fand sich alles noch unberührt, genau wie der Kommissär die Sachen geordnet und gelegt hatte, was die verschiedenen von ihm damals gemachten Zeichen bewiesen.

Im Geheimfach waren zwei Schubladen, die eine enthielt verschiedene Photographien von Studenten, jüngeren Herren, vermutlich Freunden und Bekannten des Vermißten, Postkarten, Visitkarten, also Dinge ohne Belang.

Die andere, mit einem Ebenholzdeckel versehene Schublade war ganz gefüllt mit Briefen, alle sorgfältig gesichtet, numeriert, einzelne Päckchen mit Seidenfaden umschnürt. Ein kurzer Blick überzeugte den Kommissär, daß er hier einen sehr wertvollen Fund gemacht hatte. Denn die handschriftlichen Vermerke auf verschiedenen der Papiere zeigten hauptsächlich Ziffern, Notizen in griechischer Schrift, in Stenographie, es mußten also jedenfalls wichtige Geheimnisse darin enthalten sein.

Mit lebhaftem Interesse sah Nenntwig zu, er glaubte schon, jetzt in die Geheimnisse mit eingeweiht zu werden, aber der Beamte schob den ganzen Inhalt der Schublade, auch die Photographien usw., in seine große Ledermappe. Sonst war nichts mehr zu entdecken, auch nicht in dem in die Wand eingelassenen Schränkchen, an das man bei der früheren Untersuchung nicht gedacht hatte.

»Nun wären wir ja soweit. Wenn Ihre amtliche Vernehmung nötig werden sollte, erhalten Sie Vorladung. Im übrigen wissen Sie ja, daß über alles, was Sie nun gesehen und gehört haben, Ihrerseits strengstes Stillschweigen beobachtet werden muß. Jedenfalls erhalten Sie noch heute abend Bescheid wegen der weiteren Aufnahme der Akten und was damit zusammenhängt. Ich will jetzt wieder absperren und die Schlüssel mitnehmen.« –

Mit seinem äußerst wichtigen Fund begab sich der Polizeikommissär Schwarzenberg sogleich zum Untersuchungsrichter. Beide Männer vertieften sich in das Studium der Papiere, und der Kommissär fand, daß die Nummern auf verschiedenen Briefen u. a. mit den Nummern der Akten übereinstimmten, die heute hervorgesucht und morgen durch einen Gerichtsdiener den Auftraggebern gegen Vergütung der fälligen Gebühren überbracht werden sollten. Diese Beobachtung gab Veranlassung, von den Akten eingehende Kenntnis zu nehmen.

Der Landgerichtsrat trug seine ihm selbst kaum glaublich erscheinenden und doch so klaren Befunde dem Präsidenten vor und bat, zwei der diensttuenden Referendare mit der weiteren Behandlung beauftragen zu dürfen. Dies wurde sofort bewilligt.

Was die beiden Herren bis zum Abend feststellen konnten, war ganz überraschend. Es war allen unbegreiflich, wie der hochangesehene, von Haus aus schon sehr reiche, als einer der tüchtigsten Anwälte anerkannte Dr. Leonhardt solche unehrlichen, mit großem Raffinement durchgeführten Machenschaften sich mochte zuschulden kommen lassen.

Den betreffenden Klienten wurde vom Gericht mitgeteilt, daß die Akten einstweilen in amtlicher Verwahrung bleiben müßten, bis die eingeleiteten Prüfungen durchgeführt seien.

Nachdem die Staatsanwaltschaft noch von dem Befunde verständigt war, konnte die behördliche Untersuchung der gesamten Akten, Geschäftsbücher, Briefschaften angeordnet werden.

Der Bureauvorsteher erwies sich wieder als sehr brauchbar, in zwei Tagen war das umfangreiche Material gesichtet. Unverfängliche Sachen blieben im Bureau, alles zu irgendwelchen Zweifeln Veranlassung Gebende wurde zu eingehender Prüfung vom Gericht in Verwahrung genommen.

An Hand der Briefschaften aus dem Geheimfach konnten die Vermögensvorteile, die Leonhardt unrechtmäßigerweise sich verschafft hatte, ziemlich genau festgestellt werden.

Die Entscheidung über die Rückvergütung an die Geschädigten konnte erst getroffen werden, nachdem man Gewißheit hatte, ob Leonhardt nicht mehr am Leben sei oder noch zur Verantwortung und Aufklärung herangezogen werden könne.

Ueber die gemachten Entdeckungen durfte vorerst keinerlei Bericht an die Öffentlichkeit gelangen.

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