Platon
Plato's Staat
Platon

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18. Wie so aber, o Thrasymachos, sagte ich; bemerkst du denn nicht, daß auch bei den übrigen Uebungen einer Herrschaft Keiner freiwillig sie übernehmen will, sondern Alle einen Lohn fordern, eben als ergebe sich nicht schon für sie selbst aus der Herrschaft ein Nutzen, sondern gerade für die Beherrschten? denn sage mir nur so viel: bezeichnen wir nicht eine jede der KünsteEs fällt nemlich Kunst und Uebung einer Herrschaft bei dieser ganzen Beweisführung insoferne zusammen, als eben eine jede Kunst den Umkreis ihrer Thätigkeit vermöge eines bestimmten Wissens beherrscht. jedesmal darum als eine andere, weil sie eine andere Fähigkeit besitzt? und antworte mir, o du Hochzupreisender, nicht wider alles Erwarten, damit wir doch auch dem Ziele näher kommen. – Nun ja, eben darum, sagte er, ist eine Kunst eine andere. – Nicht wahr also auch irgend einen eigenthümlichen Nutzen gewährt uns eine jede, und nicht einen bloß allen Künsten gemeinschaftlichen, nemlich z. B. die Arzneikunst gewährt uns Gesundheit, die Kunst des Steuermanns aber Rettung in der Seefahrt, und so auch die übrigen? – Ja wohl, allerdings. – Nicht wahr also auch die Lohnkunst ist esd. h. Plato trennt das Lohnverhältniß, welches allerdings bei dem Betriebe der Künste und bei der Ausübung der in der Kunst beruhenden Herrschaft mitspielt, als einen selbstständigen Gegenstand ab, um jener Auffassung zu entgehen, daß der Lohn-Verdienst der gemeinschaftliche einheitliche Zweck aller Künste sei. Ist hingegen der Lohn-Erwerb ebensosehr, wie z. B. auch die Gesundheit Gegenstand einer speciellen Kunst und eines gleichsam technisch berechneten Verfahrens, so liegt sein eigentlicher Umkreis in den Mieth- und Verdingungs-Geschäften jeder Art, und diese Form ist auch für das Uebrige der Maßstab, so daß z. B. der Hirt nicht, insoferne er Hirt ist, Lohn bekömmt, sondern insoferne er sich und seine Kenntnisse verdingt., welche Lohn verschafft, denn dieß ist ihre Fähigkeit? oder nennst du die Arzneikunst und die Kunst des Steuermanns Ein und die nemliche? oder, woferne du genau es feststellen willst, wie du ja voraussetztest, so wirst du doch wohl nicht in höherem Grade, falls Jemand als Steuermann gesund wird, weil ihm das Seefahren zuträglich ist, darum nun etwa seine Kunst als Arzneikunst bezeichnen? – Nein, sicher nicht, sagte er. – Und also auch nicht die Lohnkunst, sagte ich, falls etwa Jemand als Lohnarbeiter gesund wird? – Nein, sicher nicht. – Was aber nun? wirst du die Arzneikunst als Lohnerwerbs-Kunst bezeichnen, falls Jemand als Heilender Lohn erwirbt? – Nein, sagte er. – Nicht wahr also, daß ja der Nutzen einer jeden Kunst ein ihr eigenthümlicher sei, haben wir schon zugestanden? – Es sei so, sagte er. – Betreffs jenes Nutzens also, welchen gemeinsam sämmtliche Werkmeister genießen, ist klar, daß sie ihn nur dadurch genießen, daß sie auch noch irgend etwas allen Gemeinsames hiezu in Anwendung bringen? – Es scheint so, sagte er. – Wir sagen aber ja, daß der Genuß eines durch Lohnerwerb erreichten Nutzens für die Werkmeister sich dadurch ergebe, daß sie die Lohnkunst noch hiezu in Anwendung bringen? – Er bejahte es mit Noth. – Nicht also in Folge seiner eigenen Kunst hat ein Jeder diesen Nutzen, nemlich den Ertrag eines Lohnes, sondern, woferne man es genau erwägen soll, erzeugt die Arzneikunst Gesundheit, die Lohnerwerbs-Kunst aber Lohn, und die Baukunst ein Haus, die Lohnerwerbs-Kunst aber als eine sie begleitende den Lohn, und so bewirkt auch jede von allen übrigen ihr eigenes Werk und nützt jenem, wofür sie aufgestellt ist; wann aber nicht Lohn zu ihr noch hinzukommt, genießt dann der Werkmeister von seiner Kunst einen Nutzen? – Es zeigt sich, daß keinen, sagte er. – Stiftet er also etwa dann nicht einmal Nutzen, wann er unentgeltlich arbeitet? – Ich glaube doch wohl. – Nicht wahr also, o Thrasymachos, dieß ist uns bereits klar, daß keine Kunst oder Herrschaft ihren eigenen Nutzen bereitet, sondern, was wir schon längst gesagt haben, eben das dem Beherrschten Nützliche bereitet und gebietet, indem sie das jenem als dem Schwächeren Zuträgliche erwägt, nicht aber das dem Stärkeren Zuträgliche. Deswegen denn nun habe ich wenigstens, o lieber Thrasymachos, auch so eben gesagt, daß Keiner freiwillig eine Herrschaft ausüben und das fremde Uebel zur Aufbesserung in die Hand nehmen will, sondern einen Lohn fordert, weil derjenige, welcher richtig gemäß seiner Kunst verfahren will, niemals für sich selbst das Beste verübt oder gebietet, insoferne er der Kunst gemäß gebietet, sondern nur für den Beherrschten. Um Dessen willen demnach, wie es scheint, muß für diejenigen, welche eine Herrschaft ausüben wollen, ein Lohn bestehen, sei es Geld oder Ehre oder eine Einbuße für den Fall, daß sie dieselbe nicht ausüben. –

19. Wie meinst du dieß, o Sokrates? sagte Glaukon; nemlich die zwei Arten des Lohnes kenne ich; welche Einbuße aber du meinest und wie du sie in Geltung eines Lohnes anführtest, habe ich noch nicht verstanden. – Den Lohn der Besten also, sagte ich, verstehst du nicht, wegen dessen die Tüchtigsten herrschen, wenn sie herrschen wollen; oder weißt du nicht, daß Ehrliebend und Geldliebend zu sein, als Schande bezeichnet wird und auch eine Schande ist? – Ja gewiß, sagte er. – Darum demnach, sagte ich, wollen die Guten weder um des Geldes willen noch um der Ehre willen eine Herrschaft ausüben, denn weder wollen sie Miethlinge heißen, insoferne sie offenkundig um der Herrschaft willen Lohn einnehmen, noch Diebe, insoferne sie heimlich in Folge der Führung der Herrschaft einen Lohn sich selbst nehmen; noch aber auch um der Ehre willen, denn sie sind nicht ehrliebend. Es muß demnach für sie ein Zwang und die Gefahr einer Einbuße hinzukommen, woferne sie den Willen haben sollen, eine Herrschaft auszuüben; daher es auch darauf hinauskömmt, daß es als schimpflich gilt, sich freiwillig zur Führung einer Herrschaft zu begeben und nicht einen Zwang abzuwarten. Die größte Einbuße aber besteht darin, daß ein Solcher von einem Schlechteren beherrscht wird, sobald er nicht selbst die Herrschaft ausüben will, und aus Furcht hievor scheinen mir die Tüchtigen, wann sie eine Herrschaft ausüben, dieß zu thun; und sie begeben sich dann zur Führung derselben, nicht als ob sie zu etwas Gutem kämen und dabei es ihnen wohlergehen werde, sondern wie zu einem Zwange der Nothwendigkeit und nur weil sie keine Besseren als sie selbst sind, und keine gleich Guten finden, welchen sie die Herrschaft überlassen könnten. Denn es kömmt darauf hinaus, daß, wenn es einen Staat von nur guten Männern gäbe, das Nichtausüben einer Herrschaft ebenso der Gegenstand eines Wettstreites wäre, wie es jetzt das Ausüben ist, und es würde da wohl augenfällig werden, daß wirklich der wahre Herrscher seiner Natur nach nicht das für ihn selbst Zuträgliche erwägt, sondern das für den beherrschten, so daß jeder Einsichtige es vorziehen würde, von einem Anderen Nutzen zu genießen, als einem Anderen zu nützen und hiedurch mit Geschäften überhäuft zu sein. Dieß also räume ich dem Thrasymachos in keinerlei Weise ein, daß das Gerechte das dem Stärkeren Zuträgliche sei; doch diesen Punkt werden wir später Cap. 22 f. noch einmal erwägen. Viel bedeutender aber scheint mir dasjenige zu sein, was jetzt eben Thrasymachos sagte, indem er behauptet, das Leben des Ungerechten sei selbst stärker als das des Gerechten, Nach welcher von beiden Seiten also, o Glaukon, sagte ich, steht deine Wahl, und welches von beiden scheint dir mehr mit Wahrheit gesagt zu sein? – Ich wenigstens glaube, sagte er, daß das Leben des Gerechten gewinnbringender sei. – Hast du gehört, erwiederte ich, wie viele Güter so eben Thrasymachos für jenes des Ungerechten aufgezählt hat? – Gehört habe ich es wohl, sagte er, aber er überzeugt mich hiedurch nicht. – Willst du also, daß wir, wenn wir hiezu irgend Mittel finden, ihn davon überzeugen, daß er nicht das Wahre sagt? – Wie sollte ich ja nicht wollen? sagte er. – Wenn wir demnach, sprach ich, uns ihm entgegenstemmen und Rede gegen Rede vorbringen, wie viele Güter hinwiederum das Gerechtsein in sich enthalte, und dann wieder dieser eine Rede vorbringt, und noch eine andere wieder wir, so werden wir die Güter zählen und abmessen müssen, wie viele nemlich wir beiderseits an beidem anführen, und wir werden hiezu bereits irgend Richter bedürfen, welche das Urtheil fällen sollen; wann wir hingegen, wie so eben, in gegenseitig hervorgerufenen Zugeständnissen die Erwägung anstellen, werden wir selbst zugleich sowohl Richter als auch Redner sein. – Ja wohl, allerdings, sagte er. – In welcher von beiden Weisen also, sagte ich, gefällt es dir? – Eben in dieser, sagte er. –

20. So komm also, o Thrasymachos, sprach ich, und antworte uns wieder von Anfang an. Du behauptest, die vollendete Ungerechtigkeit sei gewinnbringender als die vollendete Gerechtigkeit? – Ja, allerdings, sagte er, behaupte ich es sowohl, als auch habe ich angegeben, warum. – Wohlan denn nun, wie meinst du es betreffs derselben in Folgendem: das eine derselben nennst du doch wohl eine Vortrefflichkeit und das andere eine Schlechtigkeit? – Wie sollte ich nicht? – Nicht wahr also, die Gerechtigkeit nennst du eine Vortrefflichkeit, die Ungerechtigkeit aber eine Schlechtigkeit? – Es sieht auch darnach aus, mein Süßester, sagte er, nachdem ich gesagt habe, daß die Ungerechtigkeit gewinnbringend sei, die Gerechtigkeit aber nicht! – Aber nun was denn sonst? – Gerade das Gegentheil, sagte er. – Also nennst du etwa die Gerechtigkeit eine Schlechtigkeit? – Nein, sondern eine gar edle Gutwilligkeit. – Die Ungerechtigkeit also nennst du eine Böswilligkeit? – Nein, sagte er, sondern eine Wohlberathenheit. – Scheinen dir etwa, o Thrasymachos, auch verständig und gut die Ungerechten zu sein? – Ja, sagte er, wenigstens diejenigen, welche im Stande sind, in vollendeter Weise Unrecht zu thun, indem sie die Fähigkeit haben, sowohl Staaten als auch Volksstämme der Menschen unter sich zu bringen. Du aber meinst vielleicht, ich spreche hiebei von den Beutelschneidern; nun, gewinnbringend, sagte er, ist auch derartiges, wann es unbemerkt geschieht, aber solches ist nicht des Redens werth, hingegen eben jenes, wovon ich so eben sprach. – Dieß nun allerdings, sagte ich, sehe ich wohl ein, was du hiemit meinest; hingegen darüber wundere ich mich, wenn du wirklich die Ungerechtigkeit in der Geltung einer Vortrefflichkeit und Weisheit aufführst, die Gerechtigkeit aber unter dem Entgegengesetzten. – Aber allerdings ja führe ich sie so auf. – Dieß nun, sagte ich, ist bereits etwas Greifbareres, mein Freund, und es ist nun nicht mehr leicht Etwas zu finden, was man weiter noch sagen soll; denn wenn du die Behauptung aufgestellt hättest, daß die Ungerechtigkeit wohl gewinnbringend sei, du aber dabei wie gewisse andere Leute zugegeben hättest, daß sie eine Schlechtigkeit und etwas Schimpfliches sei, so fänden wir wohl noch Etwas zu sprechen, insoferne wir gemäß der allgemein gültigen Ansichten sprechen würden; nun aber ist klar, daß du behauptest, es sei jenes etwas Schönes und Kraftvolles, und daß du ihm auch alles Uebrige beifügst, was wir dem Gerechten beifügten, nachdem du ja einmal es gewagt hast, es zur Vortrefflichkeit und Weisheit zu rechnen. – Völlig richtig, sagte er, erräthst du es. – Nicht jedoch, erwiederte ich, darf ich ja davor zurückschrecken, es vermöge meiner Begründung erwägend durchzugehen, so lange ich nur annehmen darf, daß du sagst, was du dir denkst; denn du scheinst mir, o Thrasymachos, doch so ziemlich uns jetzt nicht zum Besten haben zu wollen, sondern zu sagen, was dir betreffs der Wahrheit dünkt. – Warum aber, sagte er, soll es dir denn einen Unterschied machen, ob es mir wirklich so dünke oder nicht, und warum hingegen überführst du nicht meine Begründung? – Keinen Unterschied allerdings macht es mir, sagte ich; aber Folgendes noch zu dem Bisherigen versuche mir zu beantworten: Scheint dir der Gerechte in irgend Etwas dem Gerechten es zuvorthun zu wollen? – In keiner Beziehung, sagte er; denn dann wäre er ja nicht jener köstliche Mensch, der er jetzt ist, und wäre ja nicht gutwillig. – Was weiter? will er es dem gerechten Handeln zuvorthun? – Nein, auch nicht dem gerechten Handeln, sagte er. – Aber würde er wünschen, dem Ungerechten es zuvorzuthun, und würde er solches für gerecht halten oder nicht? – Für gerecht halten, sagte er, und auch wünschen würde er es wohl, aber die Fähigkeit dazu würde er nicht haben. – Aber nicht darum, erwiederte ich, frage ich dich, sondern ob der Gerechte im Vergleiche mit dem Gerechten nicht den Wunsch und den Willen habe, es ihm zuvorzuthun, wohl hingegen im Vergleiche mit dem Ungerechten? – Ja, so verhält sich's wirklich, sagte er. – Wie aber nun steht es mit dem Ungerechten? wünscht er wirklich dem Gerechten und dem gerechten Handeln es zuvorzuthun? – Wie sollte er nicht, sagte er, der ja Allem es zuvorzuthun wünscht? – Nicht wahr, also auch dem ungerechten Menschen und dem ungerechten Handeln wird es der Ungerechte zuvorthun, und er wird in die Wette kämpfen, um von Allem das Meiste selbst zu bekommen? – Ja, so ist es. –

21. Wir wollen es demnach, sagte ich, folgendermaßen ausdrücken: der Gerechte thut es dem ihm Gleichen nicht zuvor, wohl aber dem ihm Ungleichen, hingegen der Ungerechte thut es sowohl dem ihm Gleichen, als auch dem ihm Ungleichen zuvor. – Vortrefflich, sagte er, hast du es angegeben. – Es ist aber ja, sagte ich, verständig und gut der Ungerechte, der Gerechte hingegen keines von Beiden? – Auch dieß, sagte er, ist richtig. – Nicht wahr also, sprach ich, es gleicht auch dem Verständigen und dem Guten der Ungerechte, der Gerechte hingegen gleicht ihm nicht? – Warum sollte auch, sagte er, jener, welcher ein Derartiger ist, nicht eben den Derartigen gleichen, derjenige hingegen, welcher es nicht ist, ihnen ungleich sein? – Gut; also ein Derartiger ist jeder von beiden, wie diejenigen sind, welchen er gleicht. – Was steht denn im Wege? sagte er. – Weiter, o Thrasymachos; du nennst doch wohl Manchen einen musikalisch Gebildeten, einen Anderen aber einen musikalisch Ungebildeten? – Ja gewiß. – Welchen von beiden nennst du einen Verständigen und welchen einen Unverständigen? – Doch wohl den musikalisch Gebildeten einen Verständigen, den musikalisch Ungebildeten aber einen Unverständigen. – Nicht wahr, also in jenen Dingen, in welchen er verständig ist, nennst du ihn einen Guten, worin er aber unverständig ist, einen Schlechten? – Ja. – Wie aber ist es bei dem Arzneikundigen? nicht ebenso? – Ja, ebenso. – Scheint dir also, mein Bester, der musikalisch gebildete Mann beim Stimmen der Lyra es in dem Anspannen und Nachlassen der Saiten einem gleichfalls musikalisch gebildeten Manne zuvorzuthun oder den Wunsch hiezu zu haben? – Nein, mir scheint er es nicht. – Wie aber? thut er es einem musikalisch Ungebildeten zuvor? – Ja, nothwendig, sagte er. – Wie aber ist es bei dem Arzneikundigen? scheint er in Bezug auf Speise und Trank es einem arzneikundigen Manne oder einem arzneikundigen Verfahren zuvorthun zu wollen? – Nein, sicher nicht. – Aber einem nicht arzneikundigen? – Ja. – Hiemit aber betreffs eines jeden Wissens und Nichtwissens sieh zu, ob es dir scheine, daß jedweder Wissende mehr als ein anderer Wissender zu thun oder zu sagen wünsche, und nicht eben das Nemliche wie jeder ihm Gleiche in Bezug auf das nemliche Verfahren. – Aber vielleicht ja, sagte er, muß dieß allerdings sich nothwendig so verhalten. – Wie aber? würde der Unwissende nicht in gleicher Weise sowohl dem Wissenden als auch dem Unwissenden es zuvorthun wollen? – Ja, vielleicht. – Der Wissende aber ist weise? – So behaupte ich. – Der Weise aber ist gut? – So behaupte ich. – Also der Gute und Weise wird es dem ihm Gleichen nicht zuvorthun wollen, wohl aber dem ihm Ungleichen und Entgegengesetzten? – So scheint es, sagte er. – Der Schlechte und Unkundige aber sowohl dem ihm Gleichen, als auch dem ihm Entgegengesetzten? – So zeigt sich's. – Nicht wahr also, o Thrasymachos, sagte ich, der Ungerechte ist es uns, welcher es sowohl dem ihm Ungleichen, als auch dem ihm Gleichen zuvorthut, oder sagtest du nicht so? – Ja gewiß, sagte er. – Der Gerechte aber ja wird es dem ihm Gleichen nicht zuvorthun, wohl hingegen dem ihm Ungleichen? – Ja. – Es gleicht also, sagte ich, der Gerechte dem Weisen und Guten, der Ungerechte aber dem Schlechten und Unkundigen? – Es kömmt darauf hinaus. – Nun aber haben wir ja zugegeben, daß jeder von beiden auch ein Derartiger ist wie jener, welchem er gleicht. – Ja, allerdings haben wir es zugegeben. – Also hat sich uns der Gerechte als ein Guter und Weiser, der Ungerechte aber als ein Unkundiger und Schlechter gezeigt.

22. Thrasymachos denn nun gab wohl all dieses zu, aber nicht in so leichter Weise, wie ich es jetzt erzähle, sondern mit Widerstreben und nur zur Noth mit erstaunlich vielem Schweiße, zumal da damals es eben Sommerszeit war, und ich sah da, wie früher noch nie, den Thrasymachos roth werden. Nachdem wir aber gegenseitig zugegeben hatten, daß die Gerechtigkeit eine Vortrefflichkeit und eine Weisheit sei, die Ungerechtigkeit aber eine Schlechtigkeit und Unkenntniß, sagte ich: Weiter nun; dieß also möge uns in dieser Weise feststehen, wir behaupteten ja aber auch, daß die Ungerechtigkeit etwas Kraftvolles seiAm Schlusse des 16. Cap., oder erinnerst du, o Thrasymachos, dich nicht mehr? – Ich erinnere mich dessen, sagte er; aber mir wenigstens gefällt auch dieß nicht, was du jetzt sagst, und ich hätte hierüber Etwas zu sprechen; würde ich nun wirklich sprechen, so weiß ich sehr wohl, daß du sagen würdest, meine Rede passe eben für eine Volksversammlung; entweder also laß mich sprechen, was ich will, oder, falls es dir zu fragen beliebt, so frage du nur, ich aber werde dir, wie man es bei alten Weibern thut, welche Geschichtchen erzählen, nur immer »Weiter« sagen und mit dem Kopfe nicken oder ihn schütteln. – Nur ja nicht, sagte ich, gegen deine eigene Ansicht. – O ja, sagte er, nur um dir zu gefallen, nachdem du mich ja nicht sprechen läßst; und was willst du denn sonst noch? – Nichts, bei Gott, erwiederte ich, sondern wenn du es so machen willst, so mache es so; ich aber werde dich fragen. – So frage denn. – Eben darum demnach frage ich, um was ich gerade jetzt fragte, damit wir auch im weiteren Verlaufe die Begründung erwägen, welcherlei denn die Gerechtigkeit im Vergleiche mit der Ungerechtigkeit sei. Es wurde nemlich dort gesagt, daß die Ungerechtigkeit etwas Mächtigeres und Kraftvolleres sei, als die Gerechtigkeit; nun aber wird sich ja, sagte ich, woferne die Gerechtigkeit eine Weisheit und Vortrefflichkeit ist, leicht, wie ich glaube, zeigen, daß sie auch kraftvoller, als die Ungerechtigkeit ist, nachdem ja eine Unkenntniß die Ungerechtigkeit ist. Niemand wohl dürfte hierüber im Unklaren sein. Aber nicht so schlechthin, o Thrasymachos, verlange ich dieß, sondern ich möchte es ungefähr folgendermaßen erwägen: Würdest du wohl von einem Staate sagen, daß er ungerecht sei und daß er es in ungerechter Weise versuche, andere Staaten zu knechten und geknechtet zu haben, und daß er auch schon viele in Knechtschaft sich unterjocht habe? – Wie sollte ich nicht? sagte er; und dieß ja wird eben der tüchtigste Staat thun und jener, welcher in der vollendetsten Weise ungerecht ist. – Ich verstehe sehr wohl, sagte ich, daß dieß damals deine Begründung war; aber ich erwäge in diesem Betreffe Folgendes: wird jener Staat, welcher im Vergleiche mit einem anderen der stärkere war, diese Macht ohne Gerechtigkeit behaupten, oder muß er es nothwendig mit Gerechtigkeit? – Falls, sagte er, wie du so eben angabst, die Gerechtigkeit eine Weisheit ist, dann allerdings mit Gerechtigkeit, falls hingegen es sich verhält, wie ich angab, dann mit Ungerechtigkeit. – Es freut mich ja sehr, o Thrasymachos, erwiederte ich, daß du nicht bloß mit dem Kopfe nickest oder ihn schüttelst, sondern auch ganz schön antwortest. – Ich will ja, sagte er, dir zu Gefallen sein. – Da thust du sehr gut daran; aber nun sei mir auch im Folgenden noch zu Gefallen und sage mir: Glaubst du, daß ein Staat oder ein Heerlager oder Räuber oder Diebe oder irgend eine andere Menschenmasse, welche gemeinschaftlich in ungerechter Weise an irgend Etwas sich macht, Etwas zu vollführen fähig sei, wenn sie sich gegenseitig Unrecht thun? – Nein, sicher nicht, sagte er. – Wie aber, woferne sie nicht Unrecht thun, werden sie da nicht in höherem Grade es fähig sein? – Ja, allerdings. – Nemlich Aufruhr doch wohl, o Thrasymachos, bringt ja die Ungerechtigkeit mit sich und Haß und wechselseitige Kämpfe, hingegen die Gerechtigkeit Eintracht und Liebe; oder wie sonst? – Es sei so, sagte er; damit ich mich mit dir nicht entzweie. –

23. Aber da thust du ja sehr gut daran, mein Bester. Folgendes aber sage mir noch: Wird also, wenn dieß die Wirkung der Ungerechtigkeit ist, daß sie Haß erzeugt, wo immer sie sich findet, sie dann nicht bei ihrem Entstehen sowohl unter Freien, als auch unter Sklaven bewirken, daß sie gegenseitig einander hassen und in Aufruhr und unfähig sind, Etwas gemeinschaftlich mit einander zu vollführen? – Ja, allerdings wohl. – Wie aber nun? wann sie bloß zwischen Zweien entsteht, werden diese sich nicht entzweien und einander hassen und Feind sein sowohl unter sich, als auch gegen das Gerechte? – Ja, sie werden es sein, sagte er. – Wann aber denn nun, du Wunderlicher, in Einem Ungerechtigkeit entsteht, wird sie da etwa ihre eigene Geltung verlieren, oder sie dennoch ebenso behalten? – Nun, sie möge sie dennoch ebenso behalten, sagte er. – Nicht wahr also, es zeigt sich, daß sie hiemit eine derartige Geltung hat, daß, wo sie entsteht, sei es in einem Staate oder in einem Stamme oder in einem Heerlager, oder sonst in irgend Etwas, sie dasselbe erstens in Folge des Aufruhrs und der Entzweiung unfähig macht, Etwas in Verbindung mit sich selbst zu vollführen, und sodann auch zu einem Feinde es macht gegen sich selbst und gegen jedes Entgegengesetzte und gegen das Gerechte? – Ja, allerdings. – Und auch in einem Einheitlichen denn nun, glaube ich, wird sie, wenn sie in ihm sich findet, Alles thun, was sie ihrer Natur nach zu bewirken bestimmt ist; erstens nemlich wird sie es unfähig machen, Etwas zu vollführen, weil jenes dann in Aufruhr und nicht in Eintracht mit sich selbst ist, und sodann wird sie es zu einem Feinde gegen sich selbst und gegen das Gerechte machen; oder wie sonst? – Ja. – Gerecht aber, mein Freund, sind ja auch die Götter? – Sie mögen es sein, sagte er. – Also, o Thrasymachos, auch gegen die Götter wird der Ungerechte Feind sein, der Gerechte hingegen ihnen Freund. – Schwelge du nur ungestört im Genusse deiner Begründung, sagte er; denn ich wenigstens werde dir nicht entgegentreten, um mich bei diesen da nicht verhaßt zu machen. – So komm denn nun, sagte ich, und mache auch noch im Uebrigen meinen Schmaus vollständig, indem du mir antwortest, wie bisher jetzt. Einerseits nemlich zeigt sich allerdings, daß die Gerechten weiser und besser und fähiger sind, Etwas zu vollführen, die Ungerechten hingegen nicht im Stande sind, irgend Etwas gemeinschaftlich mit einander zu vollführen, und es ist hiemit aber auch nicht vollständig richtig gesagt, was wir betreffs derjenigen behaupten, welche irgend jemals als Ungerechte Etwas in kräftiger Weise gemeinschaftlich vollführen; denn diese würden dann, wenn sie gar sehr ungerecht wären, auch wechselseitig einander sich nicht verschonen, sondern klärlich wohnte ihnen irgend eine Gerechtigkeit ein, welche bewirkt, daß sie nicht zugleich sowohl gegen sich untereinander, als auch gegen die von ihnen Angegriffenen Unrecht thun, und durch solche Gerechtigkeit konnten sie es wirklich vollführen, sie selbst aber machten sich an das Ungerechte, indem sie bezüglich der Ungerechtigkeit nur Halbschlechte waren, denn die Ganzschlechten und in vollendetem Maße Ungerechten sind auch in vollendetem Maße unfähig, Etwas zu vollführen, – daß also nun einerseits dieß sich so verhält, verstehe ich, und daß es nicht so sich verhält, wie du zuerst es aufstelltest; aber andrerseits, ob nun auch ein besseres Leben die Gerechten führen und glücklicher seien, als die Ungerechten, diese Frage, welche wir hernach dann zur Erwägung aufstelltenIn der Mitte des 19. Cap., ist nun eben erst zu erwägen. Es zeigt sich also, wie mir wenigstens scheint, auch in Folge des Gesagten, daß sie wirklich glücklicher sind; dennoch aber müssen wir es noch Besser erwägen, denn nicht um das nächste Beste handelt es sich bei dieser Begründung, sondern darum, in welcher Weise man das Leben führen müsse. – So erwäge es denn nun, sagte er. – Ja, ich erwäge es, erwiederte ich, und du sage mir: Scheint es dir eine Werkthätigkeit eines Pferdes zu geben? – Ja, gewiß. – Würdest du also nun dasjenige als die Werkthätigkeit sowohl eines Pferdes, als auch jedweden anderen Dinges bezeichnen, was man entweder nur durch jenes Ding allein, oder wenigstens im höchsten Grade durch dasselbe erreichen könnte? – Dieß verstehe ich nicht, sagte er. – Aber wohl folgendermaßen: Gibt es etwas Anderes, vermittelst dessen du sehen könntest, als die Augen? – Nein, sicher nicht. – Was weiter? könntest du vermittelst eines Anderen als der Ohren hören? – Keineswegs. – Nicht wahr also, mit Recht würden wir sagen, daß solches die Werkthätigkeit solcher Dinge sei? – Ja, allerdings. – Was weiter? eine Rebe eines Weinstockes könntest du wohl vermittelst eines Schwertes und eines Messers und vieler anderer Dinge abschneiden? – Warum auch nicht? – Aber vermittelst keines anderen Dinges, glaube ich, so gut, wie vermittelst einer Hippe, welche eigens hiezu gemacht ist. – Dieß ist wahr. – Wollen wir also nicht solches als die Werkthätigkeit eines Solchen bezeichnen?– Nun ja, wir wollen es. –

24. Jetzt denn nun, glaube ich, dürftest du wohl besser verstehen, um was ich so eben fragte, als ich wissen wollte, ob nicht dasjenige die Werkthätigkeit eines jeden Dinges sei, was entweder durch dasselbe allein, oder wenigstens von ihm am schönsten bewerkstelligt wird. – Aber ich verstehe es nun ja auch, sagte er, und zugleich scheint mir solches wirklich die Werkthätigkeit eines jeden Dinges zu sein. – Weiter, sagte ich; nicht wahr, also auch eine Vortrefflichkeit scheint es dir bei jedem Dinge zu geben, welchem irgend eine Werkthätigkeit obliegt? Wir wollen aber dabei auf die nemlichen Dinge zurückgehen. Gibt es, sagen wir nemlich, eine Werkthätigkeit der Augen? – Ja, es gibt eine solche. – Gibt es also wohl auch eine Vortrefflichkeit der Augen? – Ja, auch eine Vortrefflichkeit. – Was weiter? gab es uns eine Werkthätigkeit der Ohren? – Ja. – Nicht wahr, also auch eine Vortrefflichkeit derselben? – Ja, auch eine Vortrefflichkeit. – Wie aber? verhält es sich nicht betreffs aller übrigen Dinge ebenso? – Ja, ebenso. – So halte dieß denn nun fest. Würden also wohl jemals die Augen ihre eigene Werkthätigkeit gut verrichten können, wenn sie nicht die ihnen eigenthümliche Vortrefflichkeit hätten, sondern Schlechtigkeit, statt der Vortrefflichkeit? – Und wie sollten sie dieß dann? sagte er; hiemit nemlich bezeichnest du wohl vielleicht das Blindsein an der Stelle des Sehens. – Welcherlei immer ihre Vortrefflichkeit sein mag, sagte ich; denn um dieß gerade habe ich noch nicht gefragt, sondern nur ob das Verrichtende vermöge der ihm eigenthümlichen Vortrefflichkeit seine ihm eigene Werkthätigkeit gut verrichte, und schlecht vermöge der Schlechtigkeit. – Dieß wenigstens, sagte er, ist gewiß wahr. – Nicht wahr also, auch die Ohren wenden, wenn sie ihrer eigenen Vortrefflichkeit entbehren, die ihnen eigene Werktätigkeit schlecht verrichten? – Ja, allerdings. – Werden wir also auch alles Uebrige der gleichen Begründung einreihen? – So scheint es mir wenigstens. – So komm denn nun und erwäge hiernach Folgendes: Gibt es irgend eine Werkthätigkeit der Seele, welche du vermittelst keines einzigen anderen von allen übrigen Dingen vollführen könntest? wie z. B. das derartige: Fürsorge zu treffen und eine Herrschaft auszuüben und Berathung zu pflegen und alles dergleichen, könnten wir solches mit Recht irgend einem anderen Dinge, als eben nur der Seele zuweisen und es als das ihm Eigenthümliche bezeichnen? – Nein, keinem anderen. – Wie aber hinwiederum ist es mit dem Leben? werden wir sagen, daß es eine Werkthätigkeit der Seele sei? – Ja, im höchsten Grade, sagte er. – Nicht wahr also, wir werden auch sagen, daß es irgend eine Vortrefflichkeit der Seele gebe? – Ja, wir sagen es. – Wird also wohl jemals, o Thrasymachos, die Seele, wenn sie der ihr eigenthümlichen Vortrefflichkeit entbehrt, ihre Werkthätigkeiten gut verrichten, oder ist dieß unmöglich? – Es ist unmöglich. – Nothwendig also ist es für eine schlechte Seele, daß sie in schlechter Weise eine Herrschaft ausübe und eine Fürsorge treffe, hingegen für die gute, daß sie all dieses gut vollführe. – Ja, nothwendig. – Nicht wahr also, wir haben ja zugestanden, daß eine Vortrefflichkeit der Seele die Gerechtigkeit sei, eine Schlechtigkeit aber die Ungerechtigkeit? – Ja, zugestanden haben wir es allerdings. – Also die gerechte Seele und der gerechte Mann werden gut ihr Leben führen, schlecht aber der ungerechte. – Ja, so zeigt sich's, sagte er, gemäß deiner Begründung. – Nun aber ist ja derjenige, welcher gut lebt, glückselig und glücklich, das Gegentheil hievon aber derjenige, welcher es nicht thut. – Wie sollte es auch nicht so sein? – Also der Gerechte ist glücklich, der Ungerechte aber unglücklich. – Sie mögen es sein, sagte er. – Nun aber unglücklich zu sein, ist ja nicht gewinnbringend, wohl hingegen, glücklich zu sein. – Wie sollte es auch nicht so sein? – Niemals also, o du hochzupreisender Thrasymachos, ist Ungerechtigkeit gewinnbringender als Gerechtigkeit. – Dieß demnach, o Sokrates, sagte er, sei dir an den Bendideens. oben Anm. 2[1]. Uebrigens ist der Gebrauch der Worte »Festschmaus«, »schmausen« nur die Fortsetzung der gleichnißweisen Ausdrücke, welche wir oben zu Anfang der zweiten Hälfte des vorigen Cap. trafen. als dein Festschmaus aufgetischt. – Ja, und zwar von dir, o Thrasymachos, sagte ich, nachdem du mir wieder sanft geworden warst und uns zu bedrohen aufgehört hattest. Ich habe jedoch nicht gut geschmaust, und zwar durch meine eigene Schuld, nicht durch die deinige; sondern ähnlich wie die Leckermäuler, nur immer von demjenigen, was gerade herbeigetragen wird, schnell Etwas hinwegnehmen und es verkosten, noch ehe sie die vorige Speise gehörig genossen haben, so scheint mir, habe auch ich, noch ehe wir das zuerst Erwogene fanden, nemlich, was denn wohl das Gerechte sei, eben jenes bei Seite gelassen und mich zur Erwägung dessen gewendet, ob die Gerechtigkeit eine Schlechtigkeit und Unkenntniß oder eine Weisheit und Vortrefflichkeit sei, und da hinwiederum hernach jene Begründung dessen uns in den Wurf kam, daß die Ungerechtigkeit gewinnbringender sei, als die Gerechtigkeit, so könnte ich mich auch da wieder nicht enthalten, von jenem weg auf dieß überzugehen, so daß mir jetzt in Folge der Unterredung gerade das erwachsen ist, daß ich Nichts weiß; denn wann ich von dem Gerechten nicht weiß, was es ist, werde ich schwerlich wissen, ob es eine Vortrefflichkeit sei oder nicht, und ob der es Besitzende nicht glücklich oder glücklich sei.


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