Platon
Plato's Staat
Platon

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Neuntes Buch.

1. Jener Mensch selbst demnach, sagte ich, welcher der Gewaltherrschaft entspricht, ist uns noch übrig, daß wir betreffs seiner erwägen, sowohl wie er aus dem demokratischen Menschen hervorgehe, als auch wie beschaffen er sei, wenn er entstanden ist, und in welcher Art und Weise er lebe, ob unglücklich oder glückselig. – Ja, allerdings, sagte er, dieser ist uns noch übrig. – Weißt du also, sprach ich, wornach ich noch ein Verlangen habe? – Wornach wohl? – Was die Begierden und deren Beschaffenheit und Zahl betrifft, scheint es mir, als hätten wir sie noch nicht erschöpfend eingetheilt; so lange aber dieß noch mangelhaft ist, wird die Untersuchung, welche wir vornehmen, etwas unklar sein. – Ist es also nicht noch an der Zeit, sagte er, dieß nachzuholen? – Ja, allerdings; und erwäge demnach, was ich betreffs derselben noch zu betrachten wünsche. Es ist dieß aber Folgendes: Von jenen nicht nothwendigen Vergnügungen und BegierdenS. B. VIII, Cap. 12. scheinen mir einige gesetzwidrig zu sein, von welchen einem Jeden die Gefahr droht, daß sie in ihm entstehen, welche jedoch durch die Gesetze und die besseren Begierden mit Beiziehung der Vernunft im Zaume gehalten werden können und dann aus einigen Menschen entweder ganz sich entfernen, oder nur in geringer Anzahl und schwach in ihnen zurückbleiben, bei anderen aber stärker und in größerer Anzahl. – Welche aber meinst du hiemit? sagte er. – Jene, erwiederte ich, welche zur Zeit des Schlafes erwachen, wann nemlichDiese ganze Stelle über die Thätigkeit der drei Seelenkräfte während des Schlafes gibt Cicero (de divin. I, 29) in ziemlich treuer Uebersetzung; vgl. obige Anm. 4. jener übrige Theil der Seele, welcher vernünftig und zahm ist und über den anderen herrscht, in Schlaf gesunken ist, der thierische und wilde Theil aber, von Speise oder Trank erfüllt, üppig sich bäumt und den Schlaf abschüttelnd fortzustürmen und seinen eigenen Sinn zu befriedigen sucht; weißt du wohl, daß in solchem Zustande er Alles zu thun wagt, wie wenn er von allem Schamgefühle und aller verständigen Einsicht entblößt und losgeschält wäre; daß er nemlich, wie es ihm dünkt, keinen Anstoß daran nimmt, seine eigene Mutter oder jedweden anderen Menschen oder einen Gott oder ein Thier zu seiner geschlechtlichen Lust zu mißbrauchen, daß er Jedweden mordet, daß er von keinem Gegenstande seiner Eßbegierde sich enthält, und mit Einem Worte es an Unverstand und Unverschämtheit in Nichts fehlen läßt. – Sehr wahr, sagte er, sprichst du da. – Wann hingegen, glaube ich, Jemand in sich selbst durchaus gesund und besonnen sich verhält und zum Schlafen sich begibt, nachdem er den vernünftigen Theil seiner selbst erweckt und mit trefflichen Reden und Erwägungen bewirthet hat, und so zu einer Einkehr des Nachdenkens in sich selbst gelangt ist, das Begehrliche aber weder Mangel leiden, noch sich überfüllen ließ, damit es sich zur Ruhe begebe und dem besten Theile keine Störung durch seine Freudigkeit oder seine Traurigkeit bereite, sondern ihm gestattet, daß es für sich allein in seiner Reinheit etwas betrachte und ein Verlangen nach Wahrnehmung eines noch nicht Gekannten habe, sei es eines Vergangenen oder eines Gegenwärtigen oder eines Zukünftigen, und wenn er ebenso auch das Muthige besänftigt hat und ohne durch Leidenschaftlichkeit gegen irgend Jemanden seinen Muth erregt zu haben, einschläft, wohl hingegen jene zwei Formen seiner Seele zur Ruhe gebracht, die dritte aber, in welcher die verständige Einsicht entsteht, in Bewegung gesetzt hat, – weißt du, daß er dann in solchem Zustande zumeist die Wahrheit erfassen wird und am wenigsten gesetzwidrige Traumgesichte erscheinen werden? – Ja, durchaus, sagte er, bin ich dieser Meinung. – Dieß denn nun etwas weiter auszuführen, ließen wir uns fortreißen; hingegen was wir hiebei erkennen wollen, ist das, daß eine arge und wilde und gesetzlose Art von Begierden einem Jeden einwohnt, und selbst Einigen von uns, welche gar mäßige Menschen zu sein scheinen, dieß aber ja eben im Schlafe deutlich werde. Erwäge also, ob dir, was ich sage, einen Werth zu haben scheine und ob du es zugebest. – Ich gebe es aber ja zu. –

2. Erinnere dich demnach, wie beschaffen wir behaupteten, daß der demokratische Mensch sei. Er war uns aber ja von seiner Geburt an unter Leitung eines sparsamen Vaters gestanden, welcher nur die auf Gelderwerb gerichteten Begierden ehrte, diejenigen hingegen mißachtete, welche nicht nothwendig sind, sondern um eines Spieles und um einer Verschönerung willen sich einstellen; oder wie anders? – Ja. – Kömmt er aber nun mit jenen feineren Männern zusammen, welche voll sind von den so eben durchgegangenen Begierden, so stürmt er in allem Uebermuthe eben zu jener Art von Begierden hin, da ihm des Vaters Sparsamkeit verleidet ist, und weil er doch noch eine bessere Begabung, als seine Verführer, hat, so treibt es ihn nach beiden Seiten und er bleibt in der Mitte beider Sinnesarten stehen, und ganz mäßig, wie er glaubt, ein Jedes genießend, führt er weder ein unfreies, noch ein gesetzwidriges Leben, nachdem er aus einem Oligarchischen ein Demokratischer geworden. – Ja, dieß war auch und ist noch, sagte er, unsere Meinung betreffs des Derartigen. – Stelle dir demnach vor, sagte ich, daß hinwiederum von Diesem, wenn er älter geworden, ein junger Sohn da ist und in den Sitten desselben auferzogen wurde. – Ja, ich stelle es mir vor. – So stelle dir demnach auch vor, daß jenes Nemliche mit ihm, wie mit seinem Vater vorgehe, daß er nemlich zu aller Widersetzlichkeit hingeleitet werde, welche ja von den ihn Verleitenden sämmtlich als Freiheit bezeichnet wird, und daß seinen in der Mitte sich befindenden Begierden der Vater und die übrigen Angehörigen zu Hülfe kommen, die Anderen aber hinwiederum Gegenhülfe leisten, daß aber jene argen Zauberer und Heranbildner von Gewaltherrschern, wenn sie in keiner anderen Weise den Jüngling zu fesseln hoffen, es veranstalten, daß sie irgend einen Liebesdrang als Vorsteher jener Begierden, welche unthätig sind und nur das Bereitliegende verarbeiten, nemlich eben eine beflügelte und große Drohne ihm einpflanzen; oder hältst du den Liebesdrang solcher Menschen für irgend etwas Anderes? – Nein, für nichts Anderes, sagte er, sondern eben für dieß. – Nicht wahr also, wann ihn auch die übrigen Begierden nun umsummen, strotzend von Räucherwerk und Salben und Kränzen und Wein und überhaupt jenen ausgelassenen Vergnügungen solcher Zusammenkünfte, und durch eine Steigerung und Pflege bis zum äußersten Grade den Stachel der Sehnsucht in jene Drohne einpflanzen, dann wohl umgibt sich dieser Vorsteher der Seele in Folge des Wahnsinnes mit einer Leibwache und schwärmt wie besessen dahin, und wenn er in sich selbst noch irgend einige Ansichten und Begierden trifft, welche als tüchtig gelten und noch ein Schamgefühl enthalten, so tödtet er sie und stößt sie außerhalb seiner hinaus, bis er sich von Besonnenheit gereinigt, hingegen mit einem von Außen herbeigezogenen Wahnsinne erfüllt hat. – Durchaus, sagte er, gibst du hiemit die Entstehung eines der Gewaltherrschaft entsprechenden Menschen an. – Heißt ja nicht wohl auch, sprach ich, eben deswegen schon von Alters her der Liebesdrang ein Gewaltherrscher? – Es kömmt darauf hinaus, sagte er. – Nicht wahr also, mein Freund, sprach ich, auch der Betrunkene hat gewissermaßen die Gesinnung eines Gewaltherrschers? – Ja, er hat sie wirklich. – Der Rasende aber und Halbverrückte vergreift sich nicht bloß an Menschen, sondern auch an Göttern und hofft, er werde fähig sein, über sie zu herrschen. – Ja wohl, gar sehr, sagte er. – Ein der Gewaltherrschaft entsprechender Mensch aber wird er, o du hochzupreisender Freund, genau dann, wenn er entweder durch seine Begabung oder durch seine Thätigkeiten, oder durch beides zu einem dem Trunke und dem Liebesdrange Ergebenen und zu einem Menschen wird, welcher in Folge der schwarzen Galle wahnsinnig istDie Schwarzgalligkeit (»Melancholie«) galt bei den Alten als eine eigenthümliche Beschaffenheit sowohl des Körpers als auch insbesondere des Seelenzustandes, und nicht bloß Wahnsinn und Tiefsinn oder Schwermuth, sondern auch jede Heftigkeit der Gemüthsaufwallung, ja selbst hervorragend geniale Geistesbegabung wurde als Folge jenes an sich krankhaften Verhaltens bezeichnet.. – Ja, durchaus so. –

3. Er entsteht also, wie es scheint, auf diese Weise und als ein so beschaffener Mensch; wie aber nun führt er wohl sein Leben? – Da gebt es wie bei den Sprech-Spielen, und wohl du wirst es mir sagenD. h. wie es bei jenen gewöhnlichen Gesellschaftsspielen, welche zur Unterhaltung bei Trinkgelagen dienten, vorkömmt, daß Jemand einen Anderen um Etwas frägt, was außer dem Fragenden Niemand wissen kann (z. B. etwa die Frage »welche Zahl denke ich mir eben jetzt.« oder dgl.), was zuletzt doch immer damit enden muß, daß der Fragende selbst die Antwort sagt.. – So sage ich es denn, erwiederte ich. – Es werden nemlich hernach Festlichkeiten und nächtliches Herumschwärmen und Schmausereien und Verkehr mit Dirnen und all dergleichen bei jenen sich einstellen, in deren Innerem der Liebesdrang als Gewaltherrscher wohnt und Alles lenkt, was die Seele betrifft. – Ja, nothwendig, sagte er. – Sprossen nun nicht gar viele arge Begierden bei Tage und in jeder Nacht hervor, welche Vieles bedürfen? – Ja wohl, viele. – Schnell also werden die Einkünfte, welche etwa da sind, aufgezehrt? – Wie sollten sie auch nicht? – Und hierauf demnach wird geborgt und das Vermögen angegriffen. – Warum auch nicht? – Wann aber denn nun Alles nicht mehr reicht, müssen da nicht nothwendig die Begierden, welche in dichten Reihen und mit großer Heftigkeit sich eingenistet haben, zu schreien beginnen, er selbst aber wie von Stacheln getrieben durch die übrigen Begierden und insbesondere durch den Liebesdrang selbst, welcher allen anderen wie einer Leibwache vorausschreitet, als ein besessener dahinschwärmen und spähen, wer Etwas besitze, den er durch Trug oder Gewalt plündern könnte? – Ja wohl, in hohem Grade, sagte er. – Nothwendig demnach muß er entweder von allen Seiten her herbeischleppen oder von argen Wehen und Schmerzen ergriffen sein. – Ja, nothwendig. – Wird also wohl ebenso, wie die in ihm neu entstandenen Begierden mehr an sich rissen, als die alten gehabt hatten, und diesen das ihrige nahmen, nun auch er selbst, als der Jüngere, Mehr zu besitzen verlangen, als sein Vater und seine Mutter besitzen, und es ihnen nehmen, indem er nach Verbrauch seines Anteiles von der väterlichen Habe zehrt? – Aber wie sollte es auch anders sein? sagte er. – Wann jene aber ihm dieß nicht gestatten, wird er da nicht erstens es versuchen, Etwas zu stehlen und seine Eltern zu betrügen? – In jeder Weise. – Wann er aber dieß nicht kann, so wird er hernach wohl rauben und Gewalt brauchen. – Ich glaube wohl, sagte er. – Und wenn dann, du Wunderlicher, der Greis und die alte Frau sich widersetzen und gegen ihn kämpfen, würde er da wohl sich hüten und dessen sich enthalten, etwas Gewaltherrscherisches zu verüben? – Allerdings, sagte er, hege ich für die Eltern eines Derartigen eben keine große Hoffnung. – Aber, bei Gott, o Adeimantos, scheint es dir nicht, daß ein Solcher um einer erst kurz gewonnenen Freundin und um einer nicht unentbehrlichen Dirne willen seine längst vorhandene Freundin und unentbehrliche Mutter, oder um eines blühenden Jünglings willen, welcher erst kurz sein Geliebter geworden und nicht unentbehrlich ist, seinen verblühten und unentbehrlichen greisen Vater, welcher der älteste unter seinen Freunden ist, sogar den Schlägen preisgeben und unter die Herrschaft jener Anderen knechten würde, falls er jene unter Ein Dach mit diesen brächte? – Ja, gewiß, bei Gott, sagte er. – Etwas außerordentlich Glückseliges ja, sprach ich, scheint es zu sein, einen gewaltherrscherischen Sohn zu erzeugen. – Doch nicht gar zu sehr, sagte er. – Wie aber? wenn dann die Habe des Vaters und der Mutter einem Derartigen nicht mehr ausreicht, aber in ihm der Bienenschwarm der Vergnügungen bereits in großer Menge sich angesammelt hat, wird er dann nicht zuerst einmal an der Mauer eines Hauses sich vergreifen, oder spät des Nachts an dem Kleide eines Vorübergehenden, und hernach etwa auch einen Tempel rein fegen; und bei all diesem nun werden über die älteren Ansichten, die er von Kindheit an für das Schöne und das Schimpfliche als gerecht sich zeigende hatte, jene neuen erst kürzlich aus der Sklaverei freigelassenen Schildträger des Liebesdranges in Verbindung mit ihm selbst die Oberhand gewinnen, jene nemlich, welche vorher nur im Traume beim Schlafen freigelassen wurden, als er selbst noch unter Leitung der Gesetze und seines Vaters ein demokratischer Mensch gewesen war; jetzt aber steht er unter der Gewaltherrschaft des Liebesdranges und wird nun ein Derartiger, wie er vorher selten im Träumen gewesen war, im Wachen immerwährend sein; und keines argen Mordes und keines Gegenstandes seiner Eßbegierde und keiner That überhaupt wird er sich enthalten, sondern nach Art eines Gewaltherrschers lebt in ihm der Liebesdrang in aller Unordnung und Gesetzlosigkeit, da er ja der Alleinherrscher ist, und er wird den von ihm Besessenen ebenso wie einen Staat zu jedem Wagniß treiben, woher nur Nahrung zu bekommen ist für ihn selbst und für das Getümmel um ihn herum, von welchem der Eine Theil von Außen durch schlechten Umgang eingedrungen ist, der andere aber eben durch die nemlichen Sitten und durch ihn selbst losgelassen und befreit worden war. Oder ist dieses nicht das Leben eines so Beschaffenen? – Ja, dieses ist es, sagte er. – Und wenn nun, sprach ich, einige Wenige dergleichen in einem Staate sind und die übrige Masse besonnen ist, so wandern sie aus und werden zur Leibwache irgend eines anderen Gewaltherrschers, oder leisten um Sold Hülfe, wenn es Krieg gibt; finden sie sich aber im Zustande des Friedens und der Ruhe ein, so verüben sie dortselbst in dem Staate viel kleines Unheil. – Was meinst du hiemit? – Z. B. sie stehlen, brechen ein, sind Beutelschneider, Kleiderdiebe, plündern Tempel, treiben Menschenverkauf, zuweilen aber, wenn sie gewandte Redner sind, treten sie als Angeber auf, legen falsche Zeugnisse ab und leben von Bestechung. – Ein kleines Unheil, sagte er, ist dieß allerdings, woferne die Zahl der Derartigen gering ist. – Das Kleine aber, sprach ich, ist nur im Vergleiche mit Großem klein, und all dieses trifft im Vergleiche mit einem Gewaltherrscher bezüglich der Schlechtigkeit und des Unglückes eines Staates, wie es im Sprüchworte heißt, nicht einmal in die Nähe des Zieles, geschweige denn das Ziel selbst. Wann nemlich viele Derartige in einem Staate sich einfinden und andere ihnen sich anschließen und sie ihre Anzahl fühlen, dann sind diese es, welche in Verbindung mit dem Unverstande des Volkes den Gewaltherrscher erzeugen, jenen nemlich, welcher unter ihnen selbst im höchsten Grade in seiner Seele den größten und umfassendsten Gewaltherrscher enthält. – Ja, so scheint es, sagte er; denn dieser wäre wohl zum Gewaltherrscher der geeignetste. – Nicht wahr also, wenn sie freiwillig ihm nachgeben; wenn es hingegen der Staat nicht zuläßt, dann wird er, sowie er damals Mutter und Vater züchtigte. nun wohl ebenso hinwiederum, wenn er es im Stande ist, sein Vaterland züchtigen, indem er junge Genossen herbeiruft und unter der Herrschaft dieser sein ehemals befreundetes Vaterland oder, wie die Kreter sagen, Mutterland in Sklaverei hält und so es hegt und pflegt; und dieß demnach möchte wohl das Endziel der Begierde des derartigen Menschen sein. – Ja, durchaus dieses, sagte er. – Nicht wahr also, sagte ich, diese werden von solcher Beschaffenheit auch schon als Einzelne sein, noch ehe sie herrschen? Sie wenden vor Allem in ihrer Umgebung, sei es, daß sie mit Schmeichlern und in jeder Beziehung Dienstfertigen umgehen, oder daß sie, falls sie Jemanden brauchen, sich selbst ihm so unterwerfen, jedenfalls die Stirne haben, in allen möglichen Galten sich als Freunde zu zeigen, wenn sie aber ihren Zweck durchgesetzt haben, als Fremde. – Ja wohl, gar sehr. – Also ihre ganze Lebenszeit hindurch leben sie niemals mit Jemandem in Freundschaft, sondern stets entweder als Herren oder als Knechte eines Anderen; Freiheit und wahrste Freundschaft aber hat die Begabung eines Gewaltherrschers noch nie gekostet. – Ja, allerdings noch nie. – Werden wir also nicht auch mit Recht die Derartigen als unzuverlässig bezeichnen? – Wie sollten wir auch nicht? – Und nun doch wohl als Ungerechte im höchsten Grade, woferne wir im Früheren uns in richtiger Weise über die Gerechtigkeit und deren Beschaffenheit verständigt haben. – Aber wir haben dieß ja, sagte er, in richtiger Weise. – Wollen wir demnach, sprach ich, diesen Schlechtesten nun zusammenfassen; er ist aber hiemit wohl jener, der im Wachen so beschaffen ist, wie wir als träumend ihn dargestellt hatten Cap. 1.. – Ja, allerdings. – Nicht wahr also, zu einem Solchen wird derjenige, welcher mit der größten Begabung eines Gewaltherrschers wirklich als Alleinherrscher auftritt, und je längere Zeit er in der Gewaltherrschaft lebt, in desto höherem Grade wird er ein so Beschaffener? – Ja, nothwendig ist es so, sagte Glaukon, welcher nun das Wort nahm. –

4. Wird also nun, sagte ich, derjenige, welcher als der Schlechteste sich zeigte, auch als der Unglücklichste sich zeigen? und wird jener, welcher die längste Zeit und im höchsten Grade Gewaltherrscher ist, auch im höchsten Grade und die längste Zeit in Wahrheit in solchem Zustande sein? die Menge hingegen hat freilich eine Menge verschiedener Ansichten. – Aber nothwendig wenigstens, sagte er, muß jenes sich so verhalten. – Wird es also anders sein, sprach ich, als daß der Gewaltherrscher bezüglich einer Aehnlichkeit dem durch Gewaltherrschaft regierten Staate entspricht und der demokratische Mensch dem demokratisch regierten, und ebenso auch bei den übrigen? – Wie sollte es auch anders sein? – Nicht wahr also, was ein Staat im Vergleiche mit einem anderen Staate bezüglich der Vortrefflichkeit und des Glücksstandes ist, das ist auch ein Mensch im Vergleiche mit einem anderen Menschen? – Warum auch nicht? – Wie also verhält sich der durch Gewaltherrschaft regierte Staat zu dem königlich regierten, wie wir ihn oben zu Anfang B. IV, Cap. 6 bis z. Schlusse des VII. Buches. durchgingen? – Gerade entgegengesetzt, sagte er; denn der eine ist der beste und der andere der schlechteste. – Ich werde dich hiebei nicht fragen, welchen von beiden du je meinest, denn dieß ist an sich klar, aber urtheilst du auch betreffs des Glückes oder Unglückes in der nemlichen oder in anderer Weise? Und lassen wir uns hiebei nicht erschrecken, indem wir auf den Gewaltherrscher als auf Einen hinblicken, auch dann nicht, wenn einige Wenige ihn umgeben, sondern, sowie es nothwendig ist, in den ganzen Staat einzutreten und ihn zu betrachten, indem wir uns in den gesammten vertiefen und ihn anschauen, so wollen wir auf diese Weise auch unsere Meinung abgeben. – Aber mit Recht ja, sagte er, ermunterst du uns; und es ist somit klar, daß es keinen unglücklicheren Staat als jenen durch Gewaltherrschaft regierten gibt und keinen glücklicheren, als jenen königlich regierten. – Wenn ich dich also, sagte ich, auch bezüglich der Menschen zu dem nemlichen Urtheile ermuntere, werde ich dann richtig handeln, indem ich verlange, daß über dieselben jener urtheilen solle, der durch sein Nachdenken sich in den Charakter eines Menschen vertiefen und ihn durchschauen kann, nicht aber wie ein Kind beim äußerlichen Anblicke in Folge jenes Glanzes erschrickt, welchen der Gewaltherrscher den Außenstehenden gegenüber als Form an sich trägt, sondern eben in genügender Weise hindurchblickt; und wenn ich also der Meinung wäre, wir Alle sollten denjenigen anhören, welcher die Fähigkeit zu einem Urtheile hat, aber auch an dem nemlichen Orte wohnte und zugegen war sowohl bei den häuslichen Handlungen desselben, wie er dort gegen jeden seiner Angehörigen sich benehme, wo er am meisten von jenem Bühnen-Gewande entblößt gesehen werden kann, als auch hinwiederum in den Gefahren des Staates, und wenn ich dann diesen, der all dieß gesehen, auffordern würde, es auszusprechen, wie sich der Gewaltherrscher zu den Uebrigen bezüglich des Glückes und Unglückes verhalte. – Durchaus richtig, sagte er, würdest du uns auch hiezu ermuntern. – Willst du also, sprach ich, daß wir uns selbst so benehmen, als gehörten wir zu denjenigen, welche die Fähigkeit zu einem Urtheile haben und auch mit derartigen Menschen schon zusammengetroffen sindJedermann denkt hiebei von selbst an Plato's Aufenthalt bei Dionysios von Syrakus; s. m. Uebers. d. gr. Phil. S. 68., um nemlich Einen zu haben, der auf unsere Frage antworten könnte? – Ja, allerdings will ich es. –

5. Wohlan denn nun, sagte ich, erwäge es folgendermaßen. Indem du an die Aehnlichkeit zwischen Staat und Mensch dich erinnerst, sollst du auf diese Weise bei Jedem seinerseits es betrachten und so die Zustände eines jeden von beiden angeben. – Welche meinst du hiemit? sagte er. – Erstens, erwiederte ich, um vom Staate zu sprechen, wirst du den durch Gewaltherrschaft regierten als einen freien, oder als einen sklavischen bezeichnen? – Im höchsten Grade, sagte er, als einen sklavischen. – Nun aber siehst du ja in ihm doch Herren und Freie. – Ich sehe allerdings, sagte er, wenigstens irgend eine kleine Anzahl von diesen; aber das Ganze in ihm, so zu sagen, und der tüchtigste Theil ist in ehrloser und unglücklicher Weise ein Sklave, – Wenn also, sprach ich, der Mensch dem Staate ähnlich ist, so muß wohl nothwendig auch im Menschen die gleiche Stellung sich finden, und seine Seele von arger Sklaverei und Unfreiheit strotzen, und noch dazu jene Theile derselben, welche die tüchtigsten sind, in Sklaverei sich befinden, ein geringer Theil aber, welcher der schlechteste und wahnsinnigste ist, Herr sein. – Ja, nothwendig, sagte er. – Wie nun? wirst du von einer so beschaffenen Seele behaupten, daß sie sklavisch oder daß sie frei sei? – Ich wenigstens gewiß, daß sie sklavisch sei. – Nicht wahr also, ein Staat ja, welcher sklavisch ist und unter einer Gewaltherrschaft steht, wird am wenigsten thun, was er will? – Ja, bei Weitem. – Also auch die unter einer Gewaltherrschaft stehende Seele wird am wenigsten thun, was sie will, insoferne man hiebei von der gesammten Seele spricht, sondern von einem Stachel stets mit Gewalt fortgetrieben, wird sie voll Unruhe und Reue sein. – Wie sollte sie auch nicht? – Muß aber ein durch Gewaltherrschaft regierter Staat nothwendig reich oder arm sein? – Arm. – Also auch die gewaltherrscherische Seele muß nothwendig stets armselig und ungesättigt sein? – Ja, so ist es, sagte er. – Wie aber? muß nicht nothwendig ein derartiger Staat und ein derartiger Mann von Furcht erfüllt sein? – Gewiß in hohem Grade, – Glaubst du wohl Wehklagen und Stöhnen und Thränen und Schmerzen in einem anderen Staate in größerer Menge zu finden? – Keinenfalls. – Meinst du aber, daß in einem anderen Menschen Derartiges in größerer Menge vorhanden sei, als eben in diesem von Begierden und Liebesdrang wahnsinnigen Gewaltherrscherischen? – Wie sollte es auch möglich sein? sagte er. – Auf dieß Alles demnach, glaube ich, und auf anderes Derartiges blicktest du hin und urtheiltest, daß unter den Staaten dieser Staat der unglücklichste sei. – Und that ich nicht Recht daran? sagte er. – Jawohl, gar sehr, erwiederte ich; aber hinwiederum bezüglich des Menschen, welcher der Gewaltherrschaft entspricht, was wirst du da sagen, wenn du auf dieses Nemliche hinblickst? – Daß er bei Weitem, sagte er, der Unglücklichste von allen Uebrigen ist. – Hierin aber, sprach ich, hast du nicht mehr Recht. – Wie so? sagte er, – Noch nicht, erwiederte ich, ist, wie ich glaube, im höchsten Grade dieser der Derartige. – Aber wer denn dann? – Der Folgende wird vielleicht auch dir noch unglücklicher, als dieser, zu sein scheinen. – Welcher? – Derjenige, sagte ich, welcher befähigt zur Gewaltherrschaft ist und nicht das Leben eines Einzel-Menschen führt, sondern das Unglück hat, daß ihm durch irgend ein Geschick zu Theil wird, wirklich Gewaltherrscher zu werden. – Ich entnehme aus dem früher Gesagten, sprach er, daß du Recht habest. – Ja, erwiederte ich; aber nicht bloß meinen soll man dergleichen, sondern sehr genau es durch eine Begründung folgender Art erwägen; denn die Begründung betrifft ja das Größte, nemlich das gute und das schlechte Leben. – Völlig richtig, sagte er. – Erwäge demnach, ob wohl einen Werth habe, was ich sage; nemlich es scheint mir, als müsse man es erkennen, wenn man von Folgendem aus hierüber die Erwägung anstellt. – Von welchem aus? – Von einem jeden Einzelnen unter den Leuten aus, welche in den Staaten reich sind und viele Sklaven besitzen; denn diese haben die Aehnlichkeit mit einem Gewaltherrscher, daß sie über Viele herrschen; einen Unterschied aber macht nur die Anzahl derselben. – Ja, diese macht allerdings einen Unterschied. – Weißt du also, daß jene Leute ohne Angst sind und sich vor ihrem Gesinde nicht fürchten? – Warum sollten sie sich auch fürchten? – Allerdings nicht, sagte ich; aber bemerkst du auch die Ursache davon? – Ja, weil nemlich der ganze Staat einem jeden der Einzelnen zu Hülfe kömmt. – Du gibst dieß richtig an, sagte ich; wie aber? wenn irgend Einer der Götter einen einzelnen Mann, welcher fünfzig oder mehr Sklaven hat, aus dem Staate entrücken und ihn selbst und sein Weib und seine Kinder in eine Wüste versetzen würde nebst seiner übrigen Habe und auch dem Gesinde, woselbst Keiner unter den Freien ihm je zu Hülfe kommen könnte, in welch großer Furcht glaubst du da wohl, daß er sich betreffs seiner selbst und seiner Kinder und seines Weibes befinden werde, sie möchten durch das Gesinde ihren Untergang finden? – Gewiß in aller möglichen Furcht, sagte er. – Nicht wahr also, er wäre wohl bereits genöthigt, Einige seiner Sklaven zu hätscheln und ihnen Vieles zu versprechen und ohne Noth sie freizulassen, und er selbst würde als ein Schmeichler seiner Diener sich zeigen? – Ja, durchaus nothwendig, sagte er, muß er entweder dieß, oder er muß zu Grunde gehen. – Wie aber? sprach ich; wenn der Gott auch andere rings um ihn als Nachbarn in großer Menge ansiedeln würde, welche es nicht duldeten, wenn Jemand über einen Anderen Herr zu sein sich erlaubt, sondern jeden Derartigen, dessen sie habhaft würden, mit den äußersten Strafen belegten? – Dann, sagte er, würde er noch in höherem Grade, glaube ich, vollständig im Unglücke sein, da er rings von sämtlichen Feinden bewacht würde. – Ist also nun nicht in derartigen Banden der Gewaltherrscher gefesselt, seiner Begabung nach ein Solcher, wie wir ihn durchgegangen haben, und dabei von vieler und mannigfacher Furcht und Liebesneigung erfüllt; während er aber lüstern ist, darf er allein unter allen im Staate Wohnenden weder irgendwohin eine Reise machen oder einer Fest-Gesandtschaft sich anschließen, wornach doch alle Uebrigen eine Begierde haben, sondern versteckt in seiner Wohnung lebt er meistenteils wie ein Weib, auch die übrigen Bürger darum beneidend, wenn Einer nach Außen eine Reise macht und irgend Gutes sieht. – Ja, durchaus ist es so, sagte er. –

6. Nicht wahr also, bezüglich derartiger Uebel bekömmt jener Mann, welcher ohndieß schon in sich selbst in schlechter Verfassung ist, und welchen du so eben als den Gewaltherrscherischen für den Unglücklichsten erklärt hast, noch mehr daran zu genießen, daß er nicht als Einzelner sein Leben führt, sondern durch ein Geschick genöthigt wird, wirklich Gewaltherrscher zu werden und, während er nicht seiner selbst mächtig ist, über Andere zu herrschen versucht; gerade wie wenn Jemand mit einem kranken und seiner selbst nicht mächtigen Körper nicht einzeln für sich lebte, sondern genöthigt würde, in Wettkämpfen und im Streite gegen andere Körper sein Leben zu verbringen. – Durchaus, o Sokrates, sagte er, ist treffend ähnlich und höchst wahr, was du da angibst. – Nicht wahr also, o lieber Glaukon, sprach ich, schlechthin unglücklich ist dieser Zustand, und der wirkliche Gewaltherrscher hat ein noch mißlicheres Leben als jener, dessen Leben du als das mißlichste bezeichnetest? – Ja wohl, in hohem Grade, sagte er. – Es ist also in Wahrheit, auch falls es Jemandem nicht so scheinen sollte, der wirkliche Gewaltherrscher ein wirklicher Sklave vermöge der ärgsten Kriecherei und Dienstbarkeit, und ein Schmeichler der Schlechtesten, und ein Mensch, welcher in keiner Weise seine Begierden sättigen kann, sondern den höchsten Mangel leidet und in Wahrheit als arm sich zeigt, woferne es Jemand versteht, die ganze Seele zu betrachten, und ein Mensch, welcher Zeit seines Lebens von Furcht beseelt und voll von Zuckungen und Schmerzen ist, falls er nemlich dem Zustande des Staates gleicht, über welchen er herrscht; er gleicht demselben aber wirklich; oder etwa nicht? – Ja wohl, gar sehr, sagte er. – Nicht wahr also, nebst all diesem wollen wir dem so beschaffenen Menschen auch noch zutheilen, was wir schon früher angaben, daß er nemlich nothwendig bereits sein und auch noch in höherem Maße als vorher in Folge seiner Herrschaft werden müsse: ein Neidischer, ein Unzuverlässiger, ein Ungerechter, ein Frevler, ein Aufbewahrer und Pfleger jeder Schlechtigkeit, und daß in Folge von all diesem im höchsten Grade zunächst er selbst unglücklich sei, sodann aber seine Nebenmenschen zu eben solchen mache. – Kein Verständiger, sagte er, wird hiegegen widersprechen. – Wohlan also, sprach ich, nun sollst auch du, sowie der Alles umfassende Richter sein Urtheil abgibt, ebenso jetzt urtheilen, welcher nach deiner Meinung bezüglich des Glückes der erste, und welcher der zweite sei, und so der Reihe nach bei jenen Fünf, nemlich dem Königlichen, dem Timokratischen, dem Oligarchien, dem Demokratischen, dem Gewaltherrscherischen. – Aber leicht ja, sagte er, ist das Urtheil; denn sowie sie eben jetzt hereintraten, ebenso ordne ich sie wie Chöre nach meinem Urtheile bezüglich der Vortrefflichkeit und der Schlechtigkeit und des Glückes und seines Gegentheiles. – Wollen wir nun also einen Herold dingen, sprach ich, oder soll ich selbst es ausrufen, daß der Sohn des Ariston in seinem Urtheile den Besten und Gerechtesten als den Glücklichsten bezeichnete, dieser aber der Königlichste sei und als ein König über sich selbst herrsche, daß hingegen der Schlechteste und Ungerechteste der Unglücklichste sei, dieser aber hinwiederum der Gewaltherrscherischeste sei und im höchsten Grade als Gewaltherrscher über sich selbst und über den Staat herrsche. – Ja, verkündet, sagte er, soll dieß hiemit von dir sein. – Soll ich also auch noch hiezu es aussprechen, sagte ich, daß dieß so sei, sowohl wenn alle die Derartigen in ihrem Sein allen Menschen und Göttern unbemerkt bleiben, als auch wenn nicht? – Ja, sagte er, sprich auch dieß noch hiezu ausVgl. B. IV, Cap. 18.. –

7. Weiter also, sagte ich; dieß wäre uns wohl der Eine Nachweis, ein zweiter aber muß, wenn es uns so richtig dünkt, folgender sein. – Welcher? – Nachdem, sagte ich, ebenso, wie der Staat in drei Formen getheilt ist, auch die Seele eines jeden Einzelnen dreifach getheilt ist, so wird die Sache, wie mir scheint, auch noch eines anderweitigen Nachweises fähig sein. – Welchen meinst du hiemit? – Folgenden: Da es drei sind, so zeigen sich mir auch drei Vergnügungen, für jedes je Ein ihm eigenthümliches, und dann auch eben so viele Begierden und Arten des Herrschens. – Wie meinst du dieß? sagte er. – Das Eine war gemäß unserer Behauptung dasjenige, vermittelst dessen der Mensch lernt, das andere jenes, vermittelst dessen er muthig erregt ist, das Dritte aber können wir wegen seiner Vielartigkeit nicht mit Einem ihm eigenthümlichen Namen bezeichnen, sondern wir benannten es nach demjenigen, was in ihm das Größte und Mäßigste ist; ein Begehrliches nemlich nannten wir es wegen der Heftigkeit der Begierden, welche sich auf Speise und Trank und Liebesgenuß und alles sonst hieran sich Knüpfende beziehen, und dann auch ein Geldliebendes, weil vermittelst der Gelder zumeist die derartigen Begierden befriedigt werden. – Ja, und mit Recht nannten wir es so B. IV, Cap. 12–15., sagte er. – Wir würden also wohl auch, wenn wir von dem Vergnügen und der Liebe des Letzteren sagen würden, daß sie auf Gewinn gerichtet seien, uns hiemit in unserer Begründung zumeist auf Einen Hauptpunkt stützen, so daß uns hiedurch es klar würde, so oft wir von diesem Theile der Seele sprechen; und wir ihn mit Recht als das Geldliebende und Gewinnliebende bezeichnen würden. – Ja, mir wenigstens, sagte er, scheint es so. – Wie aber bei dem Muthigen? sagen wir nicht, daß es sämmtlich immer auf Bewältigung und auf Sieg und auf das Ruhmvolle hinstrebe? – Ja wohl, gar sehr. – Wenn wir es also als ein Streitliebendes und Ehrliebendes bezeichnen würden, wäre dieß dann passend? – Ja, höchst passend. – Nun aber von demjenigen, vermittelst dessen wir lernen, ist es ja Jedem klar, daß es stets in gespannter Thätigkeit auf das Wissen der Wahrheit, wie sich nemlich diese bei Allem verhalte, gerichtet ist, und daß diesem unter den Teilen der Seele am wenigsten an Geld und Ruhm liegt. – Ja, bei Weitem. – Wenn wir es demnach ein Lernbegieriges und Weisheitsliebendes nennen, so wäre dieß wohl sachgemäß? – Wie sollte es auch nicht so sein? – Nicht wahr also, sagte ich, es übt nun auch in den Seelen der Einen dieser Theil die Herrschaft aus, in jenen Anderen aber ein anderer, je nachdem sich's eben trifft? – Ja, so ist es, sagte er. – Darum also wollen wir auch bezüglich der Menschen sagen, daß es drei ursprüngliche Gattungen derselben gebe, eine weisheitsliebende, eine streitliebende, eine gewinnliebende. – Ja, gewiß. – Und daß es also auch drei Arten von Vergnügungen gebe, deren je Eine einer jeden von jenen zu Grunde liege. – Ja, allerdings. – Weißt du also, sagte ich, daß, wenn du drei derartige Menschen, der Reihe nach jeden Einzelnen, fragen würdest, welche von diesen Lebensweisen die vergnüglichste sei, gewiß ein Jeder die seinige am meisten preisen wird? Der Gelderwerber wird sagen, daß im Vergleiche mit der Erreichung eines Gewinnes das Vergnügen der Ehre oder des Lernens Nichts werth sei, woferne nemlich man sich hieraus nicht Geld macht. – Dieß ist wahr, sagte er. – Wie aber ist es bei dem Ehrliebenden? sagte ich; wird er nicht der Ansicht sein, daß das aus Geld fließende Vergnügen ein niedriges, hinwiederum aber das aus dem Lernen fließende, insoweit der Lerngegenstand nicht Ehre bringt, nur Dunst und Geschwätz sei? – Ja, so verhält es sich, sagte er. – Was aber den Weisheitsliebenden betrifft, sprach ich, welche Meinung sollen wir glauben, daß er von den übrigen Vergnügungen habe im Vergleiche mit jenem, wenn man das wirkliche Verhalten des Wahren weiß und in Derartigem stets als ein Lernender sich bewegt? sollen wir nicht glauben, daß er dieselben, da sie von seinem wahren Vergnügen weit entfernt sind, in der That nur als nothwendige bezeichnen wird, weil er eben jene übrigen nicht bedarf, außer nur so weit es nothwendig istDie Stelle ist im griechischen Texte verdorben (der mit philologischer Kritik vertraute Leser wird aus meiner Uebersetzung ersehen, daß ich einerseits einer Vermuthung Graser's τί οιώμεθα statt ποιώμεθα zu lesen, gefolgt bin, und andrerseits durch Aenderung der Interpunktion μανθάνοντα; της ηδονης ου πάνυ πόρρω καλειν zu helfen suchte).? – Allerdings, sagte er, sollte man dieß sehr wohl wissen. –


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