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9. Welch andere Begründung also gibt es noch, nach welcher wir der Gerechtigkeit den Vorzug vor der höchsten Ungerechtigkeit geben sollten? Denn wenn wir letztere in Verbindung mit einer verfälschten Güte der äußeren Form erwerben, wird es uns sowohl bei den Göttern, als auch bei den Menschen im Leben und nach dem Tode unserer Absicht gemäß ergehen, wie nemlich die Begründung lautet, welche sowohl von der Menge, als auch von den Hervorragenden ausgesprochen wird. Welchen möglichen Ausweg also, o Sokrates, gibt es in Folge von all diesem Gesagten, daß irgend Jemand noch den Willen habe, die Gerechtigkeit zu ehren, wer nemlich eine bedeutende Macht seiner Seele, oder seines Vermögens, oder seines Körpers, oder seiner Familie besitzt, und daß ein Solcher nicht lache, wenn er die Gerechtigkeit loben hört. Denn falls ja auch Jemand das von uns Gesagte als falsch nachweisen kann und genügend einsieht, daß das Beste Gerechtigkeit sei, so hat er jedenfalls doch große Nachsicht gegen die Ungerechten und zürnt ihnen sicher nicht, sondern ist sich dessen bewußt, daß mit der einzigen Ausnahme, wenn Jemand vermöge einer göttlichen Begabung das Unrechtthun verschmäht, oder in Folge eines erfaßten Wissens sich von demselben enthält, von allen Uebrigen ja kein Einziger freiwillig gerecht ist, sondern nur in Folge einer Feigheit, oder seines hohen Alters, oder irgend einer anderen Schwäche das Unrechtthun tadelt, weil er selbst unfähig ist, es zu verüben; daß dem aber so sei, ist klar, denn der erste Beste unter den derartigen ist, sobald er die Fähigkeit erlangt hat, gleich der Erste, welcher Unrecht thut, so viel er nur im Stande ist.
Und von all diesem ist nichts Anderes die Ursache, als eben jenes, wovon diese gesammte Begründung sowohl für Diesen da, als auch für mich selbst ausging, nemlich daß wir zu dir, o Sokrates, sagen müssen: Von euch Allen, du Wunderlicher, die ihr behauptet Lobredner der Gerechtigkeit zu sein, angefangen von jenen ersten ursprünglichen Helden an, deren Worte noch bis zu den jetzigen Menschen übrig geblieben sind, hat noch kein Einziger jemals die Ungerechtigkeit in anderer Weise getadelt oder die Gerechtigkeit in anderer Weise gelobt, als daß er eben die aus jenen erwachsende öffentliche Meinung und Ehren und Geschenke lobte. Was hingegen jedes von jenen beiden an sich betrifft, wie es vermöge der ihm eigenen Geltung in der Seele dessen, der es hat, sich findet und vor Göttern und Menschen unbemerkt ist, so hat noch Keiner jemals weder in dichterischer, noch in gewöhnlicher Rede auf eine für die Begründung genügende Weise es durchgegangen, daß das Eine das größte Uebel von allen sei, welche die Seele in sich hat, die Gerechtigkeit aber das größte Gut sei. Denn wenn es in dieser Weise von Anfang an von euch Allen gesagt worden wäre und ihr so von Jugend auf uns überzeugt hättet, so würden wir uns nicht gegenseitig voreinander wegen des Unrechtthuns hüten, sondern jeder Einzelne wäre für sich selbst der beste Wächter, weil er fürchten würde, durch Unrechtthun mit dem größten Uebel verflochten zu sein. Dieß, o Sokrates, und vielleicht auch noch mehr als dieß, möchte sowohl Thrasymachos, als auch wohl mancher Andere betreffs der Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit sprechen, indem sie hiebei, wie mir wenigstens scheint, ziemlich plump die Geltung jener beiden Begriffe verdrehen würden. Aber ich nun habe, – denn ich wünsche dir Nichts zu verhehlen –, nur aus Begierde, von dir das Gegentheil zu hören, nach allen Kräften meiner Rede den Lauf gelassen. Weise uns also in deiner Begründung nach, nicht bloß daß die Gerechtigkeit besser sei, als die Ungerechtigkeit, sondern was jede von beiden selbst an und für sich in demjenigen, der sie hat, bewirke, und hiedurch die eine ein Uebel und die andere ein Gut sei. Die öffentliche Meinung aber laß hiebei weg, wie schon Glaukon verlangt hat; denn wenn du nicht von beiden Seiten die wahre weglässest und die falsche hinzufügstd. h. der Gerechte darf nicht als ein Mann geschildert werden, welcher für gerecht gehalten wird (denn dann könnte ja auch diese öffentliche Geltung das Motiv seiner Trefflichkeit sein), sondern gerade als ein Mann, welcher verkannt wird (denn nur dann ist seine Gerechtigkeit rein und uneigennützig); und ebenso darf der Ungerechte nicht als ein Mann geschildert werden, welcher für ungerecht gehalten wird (denn dann fehlt es ihm noch immer an der nöthigen Schlauheit), sondern gerade als ein Mann, welcher gepriesen wird (denn dieß zu bewirken, ist die vollendete Schlechtigkeit)., so werden wir noch immer nicht sagen, daß du das Gerechte lobest, sondern eben nur den Schein desselben, und auch nicht sagen, daß du das Ungerechte tadelst, sondern eben nur den Schein desselben, und wir werden sagen, daß du hiemit den Rath ertheilest, beim Unrechtthun unentdeckt zu bleiben, und daß du mit Thrasymachos darin übereinstimmest, daß das Gerechte ein fremdes Gut, nemlich nur das dem Stärkeren Zuträgliche, sei, das Ungerechte aber eben für jenen selbst das Zuträgliche und Gewinnbringende, hingegen für den Schwächeren ein nicht Zuträgliches sei. Nachdem du also zugegeben hast Cap. 1. – An die hierauf folgenden Worte knüpft Plato, nachdem er seine Ansicht über die Entstehung und Entwicklung des Staates dargelegt hat, unten B. IV, Cap. 6, wieder an, um sodann wirklich den Begriff der Gerechtigkeit zu suchen., daß die Gerechtigkeit zu jenen größten Gütern gehöre, welche sowohl um ihrer weiteren Folgen willen besitzenswerth sind, als auch noch in viel höherem Grade um ihrer selbst willen, wie z. B. das Sehen, das Hören, das Nachdenken, das Gesundsein und welcherlei andere Güter sonst noch vermöge ihrer eigenen Natur, nicht aber bloß dem Scheine nach, zeugungsfähig sind, so lobe also nun eben dieses an der Gerechtigkeit, worin sie selbst an und für sich demjenigen, der sie hat, nützt und andrerseits die Ungerechtigkeit schadet. Lohn aber und öffentliche Meinung zu loben, überlaß Anderen, denn von den Uebrigen möchte ich es wohl ertragen, wenn sie auf diese Weise die Gerechtigkeit loben und die Ungerechtigkeit tadeln, indem sie nemlich die öffentliche Meinung über dieselben und den Lohn lobpreisen oder schmähen, von dir aber möchte ich solches nicht wohl ertragen, woferne es nicht du selbst mir gebietest, weil du ja dein ganzes Leben mit keiner anderen Erwägung, als eben mit dieser durchwandert hast. Nicht also weise uns in deiner Begründung bloß nach, daß die Gerechtigkeit besser, als die Ungerechtigkeit sei, sondern was eine jede der beiden selbst an und für sich in demjenigen, der sie hat, bewirke, und hiedurch, mag es vor Göttern und Menschen unbemerkt bleiben oder nicht, die eine ein Gut und die andere ein Uebel sei. –
10. Und als ich dieß angehört hatte, so war ich, der ich ja schon stets die Begabung des Glaukon und des Adeimantos bewundert hatte, nun damals erst höchlich erfreut und sprach: Nicht mit Unrecht wahrlich hat aus euch, ihr Söhne jenes trefflichen Vaters, der Liebhaber des Glaukon wegen eures Ruhmes in der megarensischen Schlacht den ersten Vers seiner Elegie gedichtetUnter dem Liebhaber des Glaukon ist sicher Kritias zu verstehen. Jener Verwandte Plato's (ein Neffe der Mutter desselben welcher in seinen früheren Jahren in einem sehr nahen Umgange mit Sokrates und dessen Freunden stand und in mancherlei, sowohl dichterischen als auch prosaischen, Leistungen sein wirklich hervorragendes Talent bethätigte, später aber in politischer Beziehung nach der Schlacht bei Aegospotami sich ganz an Lysander und die spartanischen Interessen anschloß und als einer der dreißig Gewaltherrscher Athens wohl der gewandteste, aber auch der verhaßteste unter denselben war. – Unter der hier erwähnten megarensischen Schlacht dürfte wahrscheinlich jener heftige und grausam geführte Kampf zu verstehen sein, in welchem sich i. J. 448 v. Chr. die Athener an den Megarensern für deren Anschluß an Lacedämon durch Verwüstung ihres Landes rächten., welcher lautet:
»Söhne Ariston's, göttlich Geschlecht ruhmwürdiger Herkunft«.
Dieß, o Freunde, scheint mir sich richtig zu verhalten; denn wirklich etwas ganz Göttliches ist euch widerfahren, da ihr euch nicht davon habt überzeugen können, daß die Ungerechtigkeit besser, als die Gerechtigkeit sei, während ihr doch in seiner Weise zu Gunsten der ersteren zu sprechen die Fähigkeit habt. Ihr scheint mir denn nun in Wahrheit nicht davon überzeugt zu sein; ich entnehme dieß aber aus eurem übrigen Charakter, denn nach eueren Reden selbst wenigstens müßte ich euch mißtrauen. Je mehr ich aber wirklich auf euch vertraue, desto mehr bin ich rathlos, was ich mit der Sache anfangen solle; nemlich weder finde ich einen Ausweg, um Hülfe zu leisten, denn ich scheine mir hiezu unfähig zu sein; ein Zeichen hievon aber ist, daß ihr jenes, worin ich gegen Thrasymachos darzulegen glaubte, daß die Gerechtigkeit besser als die Ungerechtigkeit ist, mir nicht gelten lassen wollt; noch aber auch hinwiederum finde ich einen Ausweg, um nicht Hülfe zu leisten, denn ich fürchte, es möchte unerlaubt sein, bei Schmähungen gegen die Gerechtigkeit zugegen zu sein und dann Alles abzulehnen und nicht Hülfe zu leisten, so lange man noch athmet und einen Laut von sich geben kann. Das Beste also wohl ist, daß ich ihr in jener Weise, in welcher ich eben kann, rettend beistehe. – Glaukon also und alle Uebrigen baten mich, in jeder Weise zu Hülfe zu kommen und von der begründenden Rede nicht abzulassen, sondern aufzuspüren, sowohl was jedes von jenen beiden sei, als auch nach welcher Seite hin betreffs ihres Nutzens die Wahrheit liege. – Ich sagte also, was meine Ansicht war: die Untersuchung, an welche wir uns gemacht, ist, wie sich mir zeigt, nicht Sache eines schlecht Sehenden, sondern eines scharf Sehenden. Da also wir nicht gewandt sind, sagte ich, so dünkt es mir gut, ein derartiges Verfahren bei dem Untersuchen einzuschlagen, wie etwa, falls Jemand uns, die wir nicht sehr scharf sehen, beföhle, kleine Buchstaben von Weitem zu lesen, und hierauf Einer auf den Gedanken käme, daß diese nemlichen Buchstaben auch schon irgendwo anders größer und an einem Größeren vorhanden seien, es dann wahrhaftig ein glücklicher Fund wäre, jene letzteren zuerst zu lesen und so dann betreffs der kleineren zu erwägen, ob sie wirklich die nemlichen seien. – Ja wohl, allerdings, sagte Adeimantos; aber welches Derartige denn, o Sokrates, erblickst du in der Untersuchung betreffs des Gerechten? – Ich will es dir sagen, erwiederte ich: die Gerechtigkeit ist, behaupten wir, theils Sache eines einzelnen Mannes, theils aber doch wohl auch Sache eines ganzen Staates? – Ja wohl, sagte er. – Nicht wahr also, ein Staat ist etwas Größeres, als ein einzelner Mann? – Ja, etwas Größeres, sagte er. – Vielleicht demnach dürfte in dem Größeren mehr Gerechtigkeit sich finden und dort leichter zu erkennen sein. Wenn ihr also wollt, so laßt uns zuerst untersuchen, welcherlei sie in den Staaten sei, und so dann es auch bei jedem Einzelnen erwägen, indem wir die Ähnlichkeit des Größeren in der Form des Kleineren erwägen. – Du scheinst mir aber, sagte er, hiemit Recht zu haben. – Wir würden also wohl, sagte ich, wenn wir in unserer Begründung schauten, wie der Staat entsteht, auch die Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit desselben entstehen sehenHierin, d. h. in dem Verhältnisse eines Mikrokosmus zu einem Makrokosmus, zwischen dem Einzelnen und dem Staate, beruht der Grundirrthum, welcher sich nun fortan durch die ganze Entwicklung der platonischen Staats-Lehre durchzieht; (s. bes. unten Anm. 162) von »Recht« in unserem Sinne des Wortes kann bei den Griechen überhaupt nicht gesprochen werden).? – Vielleicht wohl, sagte er. – Nicht wahr also, wenn jenes, was wir suchen, entstanden ist, werden wir hoffen dürfen, es leichter einzusehen? – Ja, bei Weitem. – Scheint es also so sein zu müssen, daß wir versuchen, an's Ende zu kommen? ich glaube nemlich, daß es keine kleine Arbeit sein werde. Erwägt dieß also. – Wir haben es schon erwogen, sagte Adeimantos; thue es nicht anders. –
11. Entsteht demnach, sagte ich, ein Staat, wie ich glaube, darum, weil jeder Einzelne von uns nicht für sich allein sich schon genügt, sondern Vieler bedarf; oder von welch anderem Anfange glaubst du, daß er die Bevölkerung eines Staates zusammenführe? – Von keinem anderen, sagte er. – Indem also so der Eine von uns den Anderen bald zu diesem, bald zu jenem Bedürfnisse zu Hülfe nimmt, und wir, weil wir Vieles bedürfen, viele Teilnehmer und Helfer zu Einer Bewohnerschaft versammeln, so geben wir diesem Zusammenwohnen den Namen »Staat«; oder was sonst? – Ja wohl, völlig. – Es theilt demnach der Eine dem Anderen mit, woferne er eben mittheilt, oder er empfängt seinen Antheil, weil er glaubt, es werde so für ihn besser sein. – Ja, allerdings. – Wohlan denn nun, sagte ich, so wollen wir nun in unserer begründenden Rede den Staat von Anfang an entstehen lassen; es läßt ihn aber, wie es scheint, unser Bedürfniß entstehen. – Wie aber sollte es nicht so sein? – Nun aber ist ja das erste und größte unserer Bedürfnisse die Herstellung der Nahrung um des Daseins und Lebens willen. – Ja, durchaus. – Ein zweites aber das einer Wohnung, ein drittes aber das einer Kleidung und der derartigen Dinge. – Ja, so ist es. – Wohlan denn nun, sagte ich, wie wird ein Staat zur Herstellung so vieler Dinge sich selbst genügen? als ein Verschiedener nemlich ist der Eine ein Landbebauer, der Andere ein Häuserbauer, wieder ein Anderer ein Weber, oder sollen wir den Lederverarbeiter eben dort noch hinzufügen, oder irgend eine andere Kunst unter jenen, welche die Pflege des Leibes betreffen? – Ja, allerdings ist es so. – Es möchte also wohl der notdürftigste Staat wenigstens aus vier oder fünf Männern bestehen? – Ja, so zeigt sich's. – Was weiter also? muß ein jeder Einzelne von diesen seine Werkthätigkeit als eine für Alle gemeinschaftliche darbieten, wie z. B. der Landbebauer als ein Einzelner die Nahrung für Vier herstellen und die vierfache Zeit und Mühe auf Herstellung der Nahrung verwenden und sie dann den Anderen mittheilen, oder soll er um die letzteren sich nicht bekümmern und bloß für sich allein den vierten Theil jener Nahrung im vierten Theile der Zeit erzeugen, von den übrigen drei Viertheilen aber das eine mit Herstellung des Hauses zubringen, das zweite mit Herstellung der Kleidung, das dritte mit Herstellung der Schuhe, und hiemit nicht durch Mittheilung an Andere mit Geschäften überhäuft sein, sondern nur durch sich selbst allein seine eigenen Geschäfte betreiben? – Und Adeimantos sagte: Vielleicht ja aber, o Sokrates, ist es in jener ersteren Weise leichter, als in dieser letzteren. – Dieß ist bei Gott, sagte ich, auch nicht ungereimt; denn ich bemerke auch selbst, während du sprichst, daß erstens jeder Einzelne von uns von Natur aus nicht völlig gleich einem jedem anderen Einzelnen ist, sondern eben verschieden seiner Natur nach ein Jeder zur Vollführung einer anderen Werkthätigkeit tauglich ist; oder scheint es dir nicht so? – Ja, sicher. – Was weiter? würde Jemand es schöner vollführen, wenn er als ein Einzelner mit vielen Künsten sich beschäftigt, oder wenn ein Einzelner nur mit Einer? – Wenn ein Einzelner nur mit Einer, sagte er. – Nun aber ist ja, glaube ich, auch dieß klar, daß, wenn Jemand den richtigen Zeitpunkt einer Werkthätigkeit vorbeigehen läßt, dieselbe verdorben ist. – Ja, klar ist dieß. – Nicht nemlich, glaube ich, will das Vollführtwerdende darauf warten, wann es dem Vollführenden gelegen sei, sondern nothwendig muß der Vollführende an das Vollführtwerdende sich anschließen, und zwar nicht nach Geltung einer Nebensache. – Ja, nothwendig. – In Folge hievon demnach entsteht Jedes sowohl in größerer Menge, als auch schöner und leichter, wenn ein Einzelner naturgemäß nur Eines und im richtigen Zeitpunkte, ungestört von Anderen, vollführt. – Ja, völlig wohl. – Folglich sind, o Adeimantos, mehr Bürger als vier zur Herstellung des von uns Erwähnten nöthig; denn der Landbebauer wird, wie es scheint, nicht selbst sich den Pflug machen, wofern er gut sein soll, und auch nicht die Hacke und auch nicht die übrigen Werkzeuge zum Landbaue; und auch hinwiederum nicht der Häuserbauer; gar Vieles aber bedarf auch dieser; ebenso aber auch ist es beim Weber und beim Lederverarbeiter; oder etwa nicht? – Ja, dieß ist wahr. – Wenn aber Zimmerleute und Schmiede und viele derartige Werkmeister uns Theilnehmer des Städtchens werden, so machen sie es zu einem volkreichen. – Ja, allerdings wohl. – Jedoch dürfte es wohl noch nicht sehr groß sein, wenn wir zu jenen auch noch die Hirten und Schäfer und die Uebrigen hinzufügen, welche sich mit Viehweide beschäftigen, damit sowohl die Landbebauer Ochsen zum Ackern bekommen, als auch die Häuserbauer zu ihren Transporten neben den Landbebauern sich gleichfalls der Zugthiere, die Weber aber und die Lederverarbeiter sich der Felle und der Wolle bedienen können. – Aber ja auch kein kleiner Staat mehr, sagte er, wäre es, wenn er all dieses enthält. – Nun aber ist es ja, sagte ich, so ziemlich unmöglich, den Staat selbst in einem derartigen Orte zu gründen, wo er keine Einfuhr bedürfen wird. – Ja, unmöglich ist es. – Also werden auch noch anderweitige Leute nöthig sein, welche für ihn herbeischaffen, was er bedarf. – Ja, sie werden nöthig sein. – Und wenn nun der diesen Dienst Leistende leer fortgeht und Nichts mitbringt, was Jene bedürfen, von welchen sie ihren Bedarf herbeischaffen wollen, so wird er auch von dort wieder leer zurückgehen; oder wie sonst? – So scheint es mir. – Demnach müssen sie die einheimischen Dinge nicht bloß so anfertigen, daß sie ihnen selbst genügen, sondern auch in solcher Beschaffenheit und Menge, daß sie dieselben zu Jenen bringen können, welche ihnen mitteilen werden, was sie bedürfen. – Ja. sie müssen wohl. – Folglich noch mehrere Landbebauer und übrige Werkmeister sind uns nun für den Staat nöthig. – Ja wohl, noch mehrere. – Und also wohl auch ebenso von den übrigen einen Dienst Leistenden, nemlich von denjenigen, welche das Einzelne sowohl einführen, als auch ausführen; dieß aber sind die Kaufleute; oder wie sonst? – Ja. – Also auch Kaufleute werden wir nöthig haben? –Ja, allerdings. – Und wenn der Handel zur See stattfindet, werden auch noch zahlreiche Andere nöthig sein, welche sich auf die Thätigkeiten bezüglich des Seewesens verstehen. – Ja gewiß zahlreiche. –
12. Was aber weiter? in welcher Weise werden sie innerhalb des Staates selbst einander mittheilen, was die Einzelnen verarbeitet haben, um dessen willen wir ja eine Gemeinschaft veranstalteten und einen Staat einrichteten? – Es ist ja klar, daß sie dieß durch Kaufen und Verkaufen thun. – Ein Markt demnach und eine als Zeichen geltende Münze wird sich uns um des Verkehres willen in Folge hievon ergeben. – Ja, allerdings wohl. – Wann also der Landbebauer oder irgend ein anderer Werkmeister Etwas von demjenigen, was er macht, auf den Markt bringt und dabei nicht zur nemlichen Zeit kömmt, wie diejenigen, welche seine Sachen eintauschen wollen, wird er dann, ohne in seiner eigenen Werkthätigkeit Etwas zu thun, müßig auf dem Markte dasitzen? – Keineswegs, sagte er, sondern es gibt Leute, welche, wenn sie dieß sehen, sich selbst zu dieser Dienstleistung hinstellen; und zwar sind dieß in den richtig eingerichteten Staaten so ziemlich diejenigen, welche bezüglich ihrer Körper die schwächsten und überhaupt zur Verrichtung irgend einer anderen Werkthätigkeit unbrauchbar sind, denn sie müssen dort auf dem Markte selbst verbleiben und einerseits gegen Geld Etwas von jenen eintauschen, welche Etwas zu verkaufen wünschen, und andrerseits hinwiederum gegen Geld Etwas an jene austauschen, welche Etwas zu kaufen wünschen. – Dieß Bedürfniß also, sagte ich, bewirkt uns für den Staat das Entstehen der Krämer; oder werden wir nicht Krämer diejenigen nennen, welche zum Kaufe und Verkaufe dienstleistend festgebannt auf dem Markte stehen, jene hingegen, welche in den Städten umherwandeln, Kaufleute? – Ja, allerdings wohl. – Es gibt aber auch noch irgend andere Dienstleistende, welche zwar bezüglich ihrer Denkkraft nicht sehr würdige Theilnehmer der Gemeinschaft sind, aber eine für die Mühen hinreichende Körperkraft besitzen; diese denn nun verkaufen den Gebrauch ihrer Körperkraft und sind, indem sie diese ihre Würde einen Lohn nennen, hiernach, wie ich glaube, Lohnknechte genannt worden; oder wie sonst? – Ja, allerdings wohl. – Um demnach den Staat vollzählig zu machen, gehören, wie es scheint, auch noch Lohnknechte dazu. – Ja, so scheint es mir. – Ist uns also, o Adeimantos, jetzt der Staat so gewachsen, daß er ein vollendeter ist? –Ja, vielleicht. – Wo also wohl möchte in ihm die Gerechtigkeit und die Ungerechtigkeit sein, und mit welchem unter jenem, was wir jetzt erwogen haben, ist sie gleichzeitig in ihm entstanden? – Ich wenigstens, o Sokrates, sagte er, kann es mir nicht denken, wenn sie nicht etwa in irgend einem wechselseitigen Bedürfnisse eben dieser Leute beruht. – Aber vielleicht auch, sagte ich, hast du hierin Recht, und wir müssen dieß ja erwägen und dürfen hiebei nicht ermüden. Erstens also wollen wir erwägen, in welcher Art und Weise jene so Eingerichteten ihr Leben führen werden. Werden sie es irgend anders machen, als daß sie eben Nahrung und Wein und Kleider und Schuhe herstellen und Häuser aufführen, und dann im Sommer größtenteils nackt und unbeschuht arbeiten, im Winter aber genügend eingehüllt und beschuht? nähren aber werden sie sich wohl, indem sie aus Gerste Graupe und aus Weizen Mehl bereiten, erstere kochen und letztere backen, tüchtige Kuchen und Brode auf Binsen oder reine Blätter legen, sich selbst auf hingestreute Taxus- und Myrthen-Zweige hinstrecken und dann mit ihren Kindern in solchem Genusse schwelgen und Wein dazu trinken, mit Kränzen auf dem Haupte und Loblieder auf die Götter singend, indem sie vergnügt mit einander beisammen sind, ohne eine ihr Vermögen übersteigende Zahl von Kindern zu erzeugen, vor Armuth oder Krieg sich wohl hütend? –
13. Und Glaukon nahm nun das Wort und sagte: Ohne Zukost ja läßst du, wie es scheint, deine Männer schmausen. – Du sprichst wahr, sagte ich; ich vergaß, daß sie auch Zukost haben werden, Salz nemlich, versteht sich, und Oliven und Käse; auch Wurzel- und Kraut-Gemüse, was es so auf dem Felde für die Küche gibt, werden sie kochen; und auch einen Nachtisch wollen wir ihnen aufsetzen, bestehend aus Feigen und Felderbsen und Bohnen; auch Myrthenfrüchte und Eicheln werden sie sich am Feuer rösten, und dazu mit Maß einen Schluck Wein trinken; und auf diese Weise werden sie ihr Leben in Frieden zubringen, in voller Gesundheit, wie es scheint, sehr alt werden, und bei ihrem Tode wieder ein anderes solches Leben ihren Nachkommen hinterlassen. – Und Jener sagte: Falls du etwa, o Sokrates, einen Staat von Schweinen einzurichten hättest, mit welch anderer Kost, als mit eben dieser, würdest du sie wohl füttern? – Aber wie soll ich es denn anders machen, o Glaukon? sagte ich. – Doch ja in einer Weise, wie sie allgemeingültig ist, sagte er; daß sie sich, meine ich, sowohl auf Stühlen niederlassen, wenn sie nicht ein klägliches Leben führen sollen, als auch an Tischen speisen, und auch eine Zukost und einen Nachtisch haben, wie eben die jetzigen Menschen. – Weiter! sagte ich; ich verstehe wohl; nicht von einem Staate bloß, wie es scheint, erwägen wir es also, wie er entstehe, sondern auch von einem üppigen Staate. Vielleicht nun ist dieß auch nicht ungehörig; denn bei der Erwägung desselben könnten wir ja etwa sowohl die Gerechtigkeit, als auch die Ungerechtigkeit erblicken, in welcher Beziehung nemlich sie sich wohl den Staaten einpflanzen. Der wahrhafte Staat nun scheint mir jener zu sein, welchen wir so eben durchgegangen haben, gleichsam nemlich ein gesunder Staat; wenn ihr aber hinwiederum wollt, daß wir auch einen entzündlich angeschwollenen Staat betrachten, so steht dem Nichts im WegeEs versteht sich von selbst, daß, wer die reiche Entfaltung der äußeren Verhältnisse des menschlichen Daseins als eine gefährliche Krankheit betrachtet, nicht im Stande sein kann, eine genügende begriffsmäßige Darstellung des Lebens und seiner Bedingungen, sowie seiner Gestaltung zu geben; denn selbst abgesehen von der Frage, wo denn begriffsmäßig eigentlich das Krankhafte beginne, und ob nicht auch schon bei dem Genusse von Eicheln sich Unmäßigkeit, Habgier und Alles dergleichen zeigen können oder müssen, bleibt ja bei Allem, was von solchem Standpunkte aus über staatliche u. dgl. Dinge gesagt wird, als Kern nur eine ideologische Gereiztheit übrig, und diese führt, wenn sie auf das Detail des äußeren Daseins angewendet wird, zu Ansichten, welche nur gerade dann einen Grund und einen Erfolg hätten, wenn die Wirklichkeit nicht die Wirklichkeit wäre.. Nemlich jenes wird also, wie es scheint, Einigen nicht genügen, und auch jene Lebensweise nicht, sondern es werden Stühle und Tische und die übrigen Geräthschaften hinzukommen, und Zukost und Salben und Räucherwerk und Lustdirnen und Süßigkeiten und Jegliches all dieser Art. Und wir dürfen hiemit nicht mehr jenes, wovon wir zuerst sprachen Cap. 11 z. Anf., nemlich bloß das Nothdürftige, Häuser und Kleider und Schuhe, aufstellen, sondern müssen auch sowohl die Malerei und bunte Ausschmückung in Bewegung setzen, als auch Gold und Elfenbein und all derartiges uns erwerben; oder wie sonst? – Ja, sagte er. –
14. Nicht wahr also, größer hinwiederum müssen wir unsere Staat machen? nemlich jener gesunde ist nicht mehr genügend, sondern bereits mit einer Masse und einer Menge von Dingen müssen wir ihn anfüllen, welche nicht mehr um des Nothdürftigen willen in den Staaten sich finden, wie z. B. sämtliche JägerDie Jagd wird überhaupt dem Landbaue und der Viehzucht gegenübergestellt, und so sieht auch Plato in der Thätigkeit des Jägers eine Entfremdung von der ursprünglichen schlichten Einfalt der Zustände. Man mag sich vielleicht hiebei an den sittlichen Gehalt des deutschen Sprüchwortes erinnern: »Fischefangen, Vogelstellen, verdirbt gar manchen Junggesellen«. und Alle, welche mit den nachahmenden Künsten sich beschäftigen, nemlich viele, welche dieß in Bezug auf die Formen und auf die Farben, und viele auch, welche es bezüglich der musischen KunstJenen eigentlich antiken Dualismus der gymnischen und musischen Bildung werden wir alsbald unten (Cap. 17) treffen; zur letzteren gehört Musik, Poesie, Sprache und Grammatik (vgl. m. Anm. 9 z. Phädon), am innigsten vereinigt aber waren die musischen Künste bei den Alten im Drama. thun, die Dichter und deren Diener, die Volkssänger, die Schauspieler, die Tänzer, die Theater-Unternehmer, und auch die Verfertiger mannigfacher Geräthe, sowohl anderer, als auch besonders betreffs des Schmuckes der Weiber; und wir werden denn nun auch mehrere Dienstleistende bedürfen, oder scheinen dir nicht Knabenaufseher, Ammen, Wärterinnen, Kammerzofen, Bartscheerer, und hinwiederum auch Feinbäcker und Köche nöthig? Ferner aber werden wir auch die Schweinhirten bedürfen; nemlich diese fanden sich in unserem früheren Staate nicht, denn sie waren dort nicht nöthig; in diesem jetzigen aber werden auch diese ebenso nöthig sein, wie gar viele andere Thiergattungen, woferne man sie verspeist; oder wie sonst? – Warum aber auch nicht? – Nicht wahr also, auch Aerzte zu bedürfen, werden wir bei dieser Lebensweise weit mehr in dem Fall sein, als früher? – Ja, bei weitem. – Und auch das Land doch wohl, welches damals noch genügte, die damaligen zu ernähren, wird nun aus einem genügenden schon ein zu kleines geworden sein? oder wie anders sollen wir sagen? – Ja, eben so, sagte er. – Nicht wahr also, wir müssen uns Etwas von dem Lande der Nachbarn abschneiden, woferne wir ein genügendes für Weide und Acker haben sollen? und jene hinwiederum Etwas von dem unsrigen, wann auch jene sich freien Lauf zu unbegränztem Erwerbe von Dingen lassen und die Gränze des Nothdürftigen überschritten haben? – Ja, dringend nothwendig ist dieß, o Sokrates, sagte er. – Krieg führen also werden wir hierauf, o Glaukon, oder wie anders soll es sein? – Eben so, sagte er. – Und wir wollen hiebei noch Nichts davon sprechen, erwiederte ich, ob der Krieg ein Uebel oder ein Gut bewirke, sondern eben nur so viel, daß wir hiemit auch wieder die Entstehung des Krieges gefunden haben, woraus zumeist den Staaten sowohl für den Einzelnen, als auch für die öffentlichen Verhältnisse Uebel erwachsen, wenn eben welche daraus erwachsen. – Ja, allerdings wohl. – Ein noch größerer Staat also, o Freund, wird nun nöthig sein, und zwar nicht um ein Kleines, sondern um ein ganzes Heer, welches zum Schutze des gesammten Vermögens auszieht und zum Schutze von all jenem, was wir so eben angeführt haben, mit den Gegnern kämpfen wird. – Wie so aber? sagte jener; sind denn nicht jene selbst hiezu genügend? – Nein, erwiederte ich, woferne du und wir Alle in richtiger Weise Etwas zugestanden haben, als wir unseren Staat gestalteten; wir gestanden aber ja doch zu Cap. 11., wenn du dich dessen erinnerst, daß unmöglich Einer in vielen Künsten sich gut bethätigen könne. – Ja, du hast Recht, sagte er. – Wie nun also? sagte ich; scheint dir der Kampf im Kriege nicht Sache einer Kunst zu sein? – Ja wohl, sehr, sagte er. – Soll man also etwa um die Kunst der Lederbereitung mehr besorgt sein als um die Kriegskunst? – Keineswegs. – Aber den Lederarbeiter haben wir ja daran gehindert, daß er versuche, zugleich auch ein Landbebauer oder ein Weber oder ein Häuserbauer zu sein, damit nemlich eben die Werkthätigkeit der Lederbereitungskunst uns gut von Statten gehe, und auch jedem einzelnen der Uebrigen haben wir in gleicher Weise nur Eins zugetheilt, zu welchem nemlich Jeder von Natur aus geeignet ist, und welches er, ungestört von Anderem, sich angelegen sein lassen soll, und hiedurch, indem er sein Leben lang es treibt, keinen günstigen Zeitpunkt vorbeilassend, es gut bewerkstelligt. Gelten aber denn nun die Kriegsverhältnisse nicht am höchsten, wenn sie gut bewerkstelligt werdend oder ist dieß so leicht, daß auch irgend Einer ein Krieger sein wird, während er zugleich das Land bebaut und Leder verarbeitet und irgend eine andere Kunst betreibt; ein tüchtiger Brett- oder Würfel-Spieler aber könnte etwa doch kein Einziger werden, der sich nicht von Kindheit an hiemit beschäftigte, sondern als Nebensache es betrachtete? und bei dem Schilde oder irgend einer anderen kriegerischen Waffe oder einem solchen Werkzeuge würde derjenige, welcher es nur in die Hand nimmt, zur selben Stunde schon ein genügender Kämpfer für eine Schlacht der Schwerbewaffneten oder sonst irgend eine andere Kriegführung, von den übrigen Werkzeugen hingegen würde keines dadurch, daß es bloß in die Hand genommen wird, irgend Jemanden schon zu einem Werkmeister oder Kämpfer machen, ja dieselben nicht einmal brauchbar für denjenigen sein, welcher weder das Wissen eines Jeglichen erfaßt, noch genügende Uebung darauf verwendet hat? – Viel werth, sagte er, wären ja außerdem freilich schon die Werkzeuge. –