Ludwig Preller
Griechische Mythologie Theogonie, Götter
Ludwig Preller

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c. Mnemosyne und die Musen.

Mnemosyne d. i. Gedächtniß, Erinnerung, eine Göttin der titanischen Weltordnung, war als Mutter der Musen allgemein bekannt und gefeiert, s. Hesiod th. 54. 915, H. in Merc. 429. Nach Hesiod th. 52 gebar Mnemosyne sie dem Zeus in Pierien, neun Töchter, nachdem Zeus neun Nächte bei ihr geruht hatte, die immer fröhlichen und gesangreichen Musen, die alle Sorge vergessen machenwo λησμοσύνη κακῶν einen beabsichtigten Gegensatz zu dem Namen ihrer Mutter Μνημοσύνη bildet. Bei Eurip. Med. 834 heißt die Mutter der neun pierischen Musen Harmonia.. Pindar erzählte feierlich daß bei der Vermählung des Zeus mit der Themis die Götter um die Erzeugung der Musen gebeten hätten, s. oben S. 107. In der That wird der älteste Musengesang immer als der vom Zeus und von seinem 380 Kampfe mit den Titanen und von der darauf begründeten neuen Weltordnung geschildert, und Mnemosyne ist wesentlich die Erinnerung an diese großen Thatsachen und die natürliche Begeisterung welche von der Schönheit und Harmonie der Welt ausgeht. Später ist daraus eine Göttin der Erinnerung und des Gedankenausdrucks und der Namengebung überhaupt geworden (Diod. 5, 67). Mnemosyne pflegte mit den Musen zusammen verehrt und abgebildet zu werden (Schol. Soph. O. C. 100, Paus. 1, 2, 4). Eine mit ihrem Namen bezeichnete Statue zeigt sie bis über die Hände in ihr Gewand verhüllt, also als Sinnende und in sich Gekehrte.

Auch die Musen (Μῶσαι, Μοῖσαι, Μοῦσαι) sind eigentlich die sinnenden, ersinnenden, denn ihr Name ist desselben Stammes wie MnemosyneDer Name Μῶσα, aeol. Μοῖσα ist durch Contraction entstanden aus Μόνσα, welches auf den Stamm μεν μαν zurückführt, s. G. Curtius Etymol. 1, 276. Aus Μῶσα ist wieder der jüngere Lakonismus Μῶα entstanden s. Ahrens dial. Dor. p. 156., welche sich also zu der Gruppe der neun Musen verhält wie Pleione zu den Plejaden. Sie wurden seit alter Zeit vornehmlich in zwei Gegenden verehrt, in der Landschaft Pierien am Olymp (daher Πιερίδες und Ὀλυμπιάδες) und am boeotischen Helikon in der Gegend von Askra und Thespiae. Und zwar heißen die ältesten Sänger, welche Musensöhne oder Musenjünger genannt zu werden pflegen, gewöhnlich Thraker, angeblich nach einem Volksstamm welcher in jener Landschaft Pierien heimisch gewesen und sich von dort später in die Gegend des Flusses Hebros und des Gebirges Rhodope gezogen haben soll. Es scheint aber daß diese Thraker nicht sowohl ein Volk waren als vielmehr eine alte Zunft von Sängern deren religiöser Mittelpunkt jener Musendienst am Olymp war, bis sich allmälig einzelne Zweige der Zunft oder einzelne Sänger von dieser ältesten Schule ablösten und mit oder ohne den Cult der Musen anderswo ähnliche Institute gründeten. Eins der ältesten von diesen war der Musendienst am boeotischen Helikon, welcher sich von dem Olympischen ausdrücklich ableitete und von wo auch der Name der Thraker für jene ältesten Musenjünger ausgegangen sein mag, der ursprünglich vielleicht nur die nördliche Abstammung dieser Gesangesübung und Gesangesschule ausdrücken sollte.

Leider sind wir von jenem ältesten Musendienste am Olymp nur ungenau unterrichtet. Am Abhange des Gebirgs gegen 381 Pierien lagen in der Gegend der makedonischen Stadt Dion zwei Ortschaften Libethra oder Libethron und Pimpleia, beide nach heiligen Quellen benannt, welche für die eigentliche Heimath des Orpheus und der Olympischen Musen galtenKallim. Del. 7, Apollon. 1, 25, Lykophr. 275 u. dazu Tzetzes, Strabo 7, 330; 10, 471, Hesych v. Λείβηϑρον und Πίμπλειαι, Horat. Od. 1, 26, 9, Stat. Silv. 1, 4, 26. Λείβηϑρον oder λίβηϑρον, im Plural λείβηϑρα ist i. q. λειμὼν von λείβω, vgl. κλεῖϑρον ῥεῖϑρον πτολιέϑρον u. s. w., ein quellenreicher Ort. Πίμπλεια von πίμπλημι sagt dasselbe.. Sie lagen an einem quellenreichen Abhange, welcher durch seine Weinberge und durch seinen Dionysosdienst eben so berühmt war wie durch seinen Musendienst, wie diese beiden Culte sich denn am Olymp und in den verwandten Culten und Sagen am Rhodopegebirge und am Flusse Hebros immer ganz durchdringen. Namentlich galt Orpheus in diesen Gegenden zugleich für den ältesten Musensohn und Musenjünger und für den ersten Dionysospriester, auch ist seine eigene Geschichte in vielen Stücken nur ein Abschnitt aus der Jahresgeschichte des Dionysos. Die Musen aber wurden sowohl am Olymp als anderswo wesentlich und ursprünglich als Nymphen begeisternder Quellen gedacht, wie solche Gottheiten der frisch aus der Erde hervorströmenden Quellen auch nach dem Glauben anderer Völker zugleich reinigend und begeisternd wirken. Daher die libethrischen Nymphen nicht blos am Olymp, sondern auch am Helikon und in der Gegend von Koronea neben den Musen verehrt wurdenStrabo 9, 410, Paus. 9, 34, 3.. Auch das Grab des Orpheus wurde nach ältester Tradition bei jenem Orte Libethra im Gebirge oberhalb Dion gezeigt. Doch wurde es später, als dieser Ort nicht mehr bestand, nach Dion übertragen, wo unter den makedonischen Königen, namentlich unter Alexander d. Gr., unter dem Namen der Olympien glänzende Feste des Zeus und der Musen, welche neun Tage lang dauerten, gefeiert wurdenDiod. 17, 16, Arrian 1, 11..

Genaueres wissen wir von dem Musendienste am Helikon, dessen berühmtester Prophet Hesiod war, wie Orpheus der des Olympischen. Er blühte bis in die späteren Zeiten des Griechenthums, ausgezeichnet durch ehrwürdige Monumente und Erinnerungen und zugleich sehr merkwürdig als das älteste Vorbild der vielen den Musen und unter ihrem Schutze der Pflege von Kunst und Wissenschaft gewidmeten Stiftungen (Μουσεῖα), 382 welche sich mit der Zeit durch alle Welt verbreitet habenPaus. 9, 29–31, W. Vischer Erinnerungen a. Griechenl. S. 555 ff. Verschiedne Schriftsteller hatten in besonderen Schriften darüber gehandelt, Amphion aus Thespiae περὶ τοῦ ἐν Ἑλικῶνι Μουσείου, Athen. 14, 26; Nikokrates περὶ τοῦ ἐν Ἑλικῶνι ἀγῶνος, Schol. Il. 13, 21.. Die Aloiden galten als die Gründer von Askra auch für die Begründer des dortigen Musendienstes, s. oben S. 81. Die Göttinnen wurden in einem Haine verehrt, in dessen Nähe sich die Musenquelle Aganippe befand, während die durch den Hufschlag des Pegasos entstandene Quelle Hippukrene d. h. die Rossesquelle nicht weit vom Gipfel des Berges gezeigt wurdeAganippe hieß eine Tochter des größeren Baches Termessos oder Pennessos, welcher wie der auch in der poetischen Tradition berühmte Olmeios vom Helikon herab in den kopaischen See floß, Strabo 9, 407, Paus. 9, 29, 3. Von der Hippukrene Antonin Lib. 9, Ovid M. 5, 264.. Außerdem sah man dort viele Bildwerke und Monumente, welche an den Ursprung des Dienstes aus Pierien am Olymp erinnerten und einen Ueberblick der mythischen Geschichte der Tonkunst und Poesie gewährten, wie sie sich durch die Götter (Apollo Hermes Dionysos) und durch die Heroen der Musenkunst (Orpheus Thamyris Hesiod u. A.) ausgebildet hatte. Später nachdem Askra verfallen war hatte Thespiae die Aufsicht über den örtlichen Gottesdienst und über die damit verbundenen pentaeterischen Wettkämpfe (Μούσεια), von welchen letzteren verschiedene Inschriften zeugen (C. I. n. 1585. 1586).

Auch sonst finden wir die Musen meist an Quellen verehrt, z. B. an der Kassotis in DelphiPlut. de Pyth. or. 17, wo von dieser Quelle die Rede zu sein scheint, Μουσῶν ἦν ἱερὸν ἐνταῦϑα περὶ τὴν ἀναπνοὴν τοῦ νάματος, ὅϑεν ἐχρῶντο πρὸς τὰς λοιβὰς τῷ ὕδατι τούτῳ, ὥς φησι Σιμωνίδης· ἔνϑα χερνίβεσσιν εἰρύεται Μοισᾶν καλλικόμων ὑπένερϑεν ἁγνὸν ὕδωρ u. s. w. Die kastalische Quelle wird erst von römischen Dichtern als eine Quelle poetischer Begeisterung genannt. Das griechische Alterthum kennt sie nur als Weihwasser, s. Ulrichs Reisen und F. S. 48 ff. und zu Athen am Ilissos, obwohl den Musen hier auch die Höhe des noch jetzt nach ihnen genannten Musenberges geheiligt warPaus. 1, 19, 6. Auch in der Akademie stand ein Altar der Musen, ib. 30, 2. Das Fest der Musen betraf insbesondere die Lehrer und Schüler, Aeschin. in Timarch. 10, Theophr. char. 22.. Ganz als Quellnymphen erscheinen sie dagegen in Lydien wo die Nymphen des torrhebischen Sees, welche für die Erfinderinnen der lydischen Nationalmusik und alter Gesangsweisen galten, gleichfalls Musen genannt wurdenSteph. B. v. Τόρρηβος, Plut. d. mus. 15, Schol. Theokr. 7, 92, Suid. Phot. v. νύμφαι. Wahrscheinlich sind es die Nymphen des Sees mit den schwimmenden Rohrinseln (λίμνη καλαμίνη) und den heiligen Fischen, von welchen Varro r. r. 3, 17, Plin. 2, 209, Seneca Qu. Nat. 3,25, Sotion b. Westerm. paradoxogr. p. 190 u. A. berichten., wie denn in Kleinasien die Dionysische und Musische 383 Begeisterung der Silene gleichfalls mit dem Culte der Flußgötter zusammenfällt. Aber auch in Griechenland beruhte der enge Zusammenhang des Dionysos mit den Musen wesentlich darauf daß diese für das Volk begeisternde Quellnymphen waren und blieben, wie man z. B. in Orchomenos von dem verschwundenen Dionysos sagte er sei zu den Musen geflohen und bei ihnen verborgenPlut. Symp. 8 pr. Auch in Eleutherae nicht weit von der eleusinischen Grenze wurden die Musen in der Umgebung des Dionysos verehrt, Hesiod th. 54 Göttling., während man sich diese seine Rettung und seinen Versteck im Winter sonst im Meere oder bei den Mächten des feuchten Elementes zu denken pflegte. Auch ist die Begeisterung der Musen als Naturbegeisterung, wie sie die Berge und Wälder und die rauschenden Quellen ausströmen, der Dionysischen nahe verwandt, dahingegen der Apollinische Enthusiasmus dem der Musen ursprünglich nicht so nahe gestanden haben mag. Indessen scheint die Verschmelzung auch dieser Culte, wie des Apollinischen und Dionysischen, sowohl am Olymp als am Parnaß eine alte zu sein, und später war ja Apoll fast ganz allein der Herr und Führer der Musen, so daß er in Delphi und in vielen anderen Gegenden als Musaget und von dem Chore der Musen umgeben verehrt und mit ihnen singend und musicirend gedacht wurde, besonders bei allen Mahlzeiten und festlichen Gelegenheiten des Olympischen GötterlebensS. oben S. 215 und Himer or. 16, 7 Σιμωνίδῃ πείϑομαι ὅπερ ἐκεῖνος ἐν μέλεσι περὶ Μουσῶν ἀνύμησε. φησὶ γὰρ δήπου τοῦτο ἐκεῖνος· Ἀεὶ μὲν αἱ Μοῦσαι χορεύουσι καὶ φίλον ἐστὶ ταῖς ϑεαῖς ἐν ᾠδαῖς τε εἶναι καὶ κρούμασιν· ἐπειδὰν δὲ εἴδωσι τὸν Ἀπόλλωνα τῆς χορείας ἡγεῖσϑαι ἀρχόμενον, τότε πλέον ἢ πρότερον τὸ μέλος ἐκτείνασαι ἦχόν τινα παναρμόνιον καϑ' Ἑλικῶνος ἐκπέμπουσιν..

Was die Gesänge und die Tonkunst der Musen betrifft so werden diese in älterer Zeit überwiegend als Cultusgesang geschildert, namentlich wenn von den Musen des Olymp und des Helikon die Rede ist. Man muß dabei die alte Verehrung der himmlischen Götter auf hohen Bergen vor Augen haben, wo ihre Gegenwart durch einfache Haine und Altäre ausgedrückt wurde. Dahinauf ziehen die Musen und tanzen und singen um den Altar des Zeus. Sie singen von dem Ursprunge der Welt und von den Göttern und Menschen, vor allen anderen Göttern vom Zeus, von 384 seiner Allmacht und von seinen großen Thaten, und sie singen so schön und lieblich daß das ganze Gebirge in diesen feierlichen Klängen schwelgt. So schildert namentlich Hesiod den Musengesang in verschiedenen Hymnen welche zur Einleitung der Werke und Tage und der Theogonie dienen und wohl nicht ursprünglich zu diesen Gedichten gehörten, aber jedenfalls im Geiste des Askraeischen Musendienstes gedichtet sind. Auch wissen die Musen nicht blos das Vergangene, sondern auch das Zukünftige, ja sie wissen als Göttinnen alle Dinge, während der Sänger blos ein Gerücht von den Dingen vernimmt (Il. 2, 485, Hesiod th. 38).

Eben so häufig wird aber auch der Musengesang bei heiteren und weltlichen Veranlassungen erwähnt, bei Göttermahlen und heroischen Hochzeiten. Immer pflegen dann Apoll und die Musen zu musiciren, die Horen, die Chariten, Aphrodite und andere Göttinnen der Lust und Freude dazu zu tanzen (Il. 1, 604, H. in Ap. P. 9 ff.). Und so wohnen die Musen nach Hesiod th. 64 gleich neben den Chariten und Himeros und sind immer fröhlich und guter Dinge (th. 917), ein Beweis daß die Poesie der Liebe und der Freude, die später Erato Terpsichore Euterpe und Thalia vertraten, nicht weniger alt ist als die ernstere der Urania, der Polyhymnia, der Melpomene. So galt es für den höchsten Triumph des menschlichen Glücks, als Kadmos sein Beilager mit der Harmonia, Peleus das mit der Thetis feierte und dazu die Götter kamen und in ihrem Gefolge die Musen, welche das Brautlied sangen, Pindar P. 3, 88 ff. Doch verschmähten sie geliebten Götterkindern zu Ehren auch nicht traurig zu sein mit den Traurigen, wie sie z. B. beim Tode des Achill so rührend klagten daß kein Auge trocken blieb, weder der Götter noch der Menschen (Odyss. 24, 60), und Pindar in einem seiner Klagelieder die Musen ihre eigenen Söhne und Lieblinge in schwermüthigen Weisen beklagen ließ, den Linos Hymenaeos Ialemos und Orpheus (fr. 116).

Kurz man dachte sich die Musen als Göttinnen des Gesanges bei allen Veranlassungen thätig wo sonst Musik und Gesang geübt zu werden pflegte, geistlichen und weltlichen, traurigen und fröhlichen; daher auch die verschiedenen Gattungen der Poesie, lyrische dramatische epische, durch ihre Namen und Characteristik angedeutet werden, obwohl diese letztere natürlich erst später dahin abgeschlossen wurde wie sie uns jetzt geläufig ist. Eine gewisse Anleitung dazu muß indessen schon in der älteren Tradition gegeben gewesen sein, wie theils die Namen andeuten, die zuerst Hesiod vollständig aufzählt, theils die Vertheilung der 385 verschiedenen Gattungen und Functionen des Gesanges über die verschiedenen Glieder der Gruppe. Ganz im Sinne der epischen Zeit ist es auch daß Kalliope, die Muse des heroischen Gesanges, die geehrteste von allen genannt wird, denn sie geselle sich den Königen (Hesiod th. 79): was auf eine enge Verbindung des heroischen Aödengesanges mit den Höfen der Anakten deutet, von der wir auch sonst wissen. Eben deshalb war es ein alter Satz daß von Apoll und den Musen alle Lautner und Sänger, vom Zeus alle Könige sind (Hesiod th. 94, Hom. H. 25), wo dieser Parallelismus der Sänger und der Könige wieder auf dasselbe Verhältniß zurück deutet. Wie aber die Sänger unter den Königen und Edlen von den Göttern und von den Sagen der Vorzeit (κλεῖα προτέρων ἀνϑρώπων) sangen, so Apoll und die Musen auf dem Olymp, denn die Götter lieben diese Sagen natürlich eben so wie die Helden und erzählen sie sich unter einander wie diese (Il. 1, 396). Daher der epische Gesang von einer eignen mythologischen Göttersprache wußte, deren Homer und Hesiod bei verschiedenen Veranlassungen gedenken (S. 88, [Anmerkung 181]).

Gewöhnlich sind der Musen neun, sowohl bei Homer (Od. 24, 60) als bei Hesiod, und gewiß wurden sie in dieser Anzahl und mit den bekannten Namen auch auf dem Olymp und Helikon seit alter Zeit verehrt. Also einer von den zahlreichen mythologischen Gruppenbegriffen, deren Eigentümlichkeit darin besteht daß die Glieder der Gruppe nicht einzeln, sondern zusammen gedacht werden müssen, wie die Neunzahl der Musen denn sicher mit ihrem gewöhnlichen Auftreten als Chor (3×3) zusammenhängt. Daher auch die Namen in diesem Sinne aufzufassen sind und eine Characteristik der Einzelnen durch bestimmte Attribute und Eigenschaften erst mit der Zeit aufkam und nie zu einem abgeschlossenen System gediehen ist. Auf den älteren Vasenbildern haben alle dieselbe Bekleidung und dieselben Attribute, musikalische Instrumente, nehmlich Kitharn Harfen und Flöten, und Schriftrollen oder kleine Kästchen zur Aufbewahrung derselben, oder endlich BlumengewindeEl. céramogr. 2, 86. 86 A, wo die Namen hinzugefügt sind, vgl. die Vase des Ergotimos und Klitias b. Gerhard Denkm. u. F. 1850 t. 23. 24 und die abweichenden Namen Στησιχόρη Χορονίκη Μέλουσα auf andern Vasen. Eine Ansammlung von geschriebenen Texten und Gedichten zum Behufe des Cultus oder der epischen Tradition, also kleine Bibliotheken, waren bei den Musendiensten gewiß sehr alt. Auf dem Helikon wurden z. B. alte Exemplare der Gedichte des Hesiod und Homer aufbewahrt.. Sitzend 386 oder stehend bilden sie auf solchen Darstellungen anmuthige Gruppen, zu denen oft Apoll oder mythisch berühmte Musensöhne und Musenjünger z. B. Linos und Musaeos hinzugefügt werden, ohne daß die Zahl immer die volle neun ist. Denn es ist die gewöhnliche Art der griechischen Kunst bei größeren Zahlvorstellungen nur durch einzelne Mitglieder an das Ganze zu erinnern.

Neben den gewöhnlichen neun Musen werden nicht selten drei sogenannte ältere Musen erwähnt, die man häufig für wirklich ältere gehalten hat, welche aber dafür in der That in keinem andern Sinne gelten dürfen als die theogonischen Götter im Vergleiche mit den wirklichen Cultusgöttern. Gewiß ist die Dichtung von diesen älteren Musen erst aus dem Bestreben hervorgegangen, die Musen für eben so alt als die Welt erscheinen zu lassen und dabei zugleich gewisse Thätigkeiten und Erfindungen der Musenkunst, deren bei den gewöhnlichen Namen der neun Musen nicht gedacht war, auf mythologischem Wege abzuleiten. Mimnermos, Alkman, der apokryphische Musaeos hatten zuerst ältere und jüngere Musen unterschieden und jene Töchter des Uranos und der Ge, also Schwestern des Kronos und der Titanen, diese Töchter des Zeus und der Mnemosyne genannt oder noch anders mit den Genealogieen gekünsteltPaus. 9, 29, 2, Diod. 4, 7, Schol. Apollon. 3, 1, Schol. Pind. N. 3, 16.. Daher man nun auch auf dem Helikon drei ältere Musen, Melete Mneme und Aoede, von dem gewöhnlichen Dienste der neun pierischen unterschied, und in Sikyon und Delphi gab es gleichfalls solche theogonische Musen, immer neben den neun olympischen, die z. B. im Giebelfelde des großen Tempels zu Delphi als die gewöhnliche Umgebung des Apoll zu sehen warenIn Sikyon hieß eine Muse Polymathia, in Delphi hießen die drei älteren Nete Mese Hypate, Plut. Symp. 9, 14, 4. 7. Vgl. noch Varro bei Serv. V. Ecl. 7, 21 und Cic. N. D. 3, 21, 54.. Auch mag in einigen localen Culten die Zahl neun nicht die ursprüngliche gewesen sein, wie man z. B. auf Lesbos nur sieben Musen gekannt zu haben scheint. Aus solchen Variationen der Zahl und der Namen also, zusammengenommen mit der gewöhnlichen Verehrung der Musen an Quellen und Gewässern, entstanden endlich bei einigen Dichtern noch freiere Mythenbildungen, wie jeder dazu durch den besonderen Anlaß und Character, auch durch Eintheilung seines Gedichtes veranlaßt wurde. So wußte Eumelos neben den 387 gewöhnlichen Musen von drei Töchtern des Apoll, die er Kephiso Apollonis und Borysthenis nannte. Und Epicharm ließ in einer Travestie des Beilagers des Herakles und der Hebe sieben Musen mit lauter nach Flußnamen erdichteten Namen auftreten, die im Sinne seiner Komödie das Brautlied zur Hochzeit des gefräßigen Helden sangen und allerlei Leckerbissen als Geschenke darbrachten, wie die wahren Musen zur Hochzeit des Kadmos und des Peleus gesungen hattenG. Hermann de Musis fluvial. Epicharmi et Eumeli, Opusc. 2, 288 ff., vgl. Buttmann Mythol. 1, 273 ff.. Und so ist auch weiterhin mit der Zahl und den Namen der Musen und mit ihrer Bedeutung viel gekünstelt worden. Endlich gab es auch eine aus der Concurrenz der pierischen Musen des Olymp mit den Helikonischen hervorgegangene Verwandlungsgeschichte, in welcher jene nur für sterbliche Töchter des Königs Pieros galten, welche mit den Musen des Helikon zu wetteifern gewagt und darüber in Krähen verwandelt werdenNikander b. Antonin. Lib. 9, Ovid M. 5, 300 ff. Von dem Wettkampf des Thamyris und der Sirenen s. bei diesen. In einigen Sagen erschienen die Musen beflügelt wie die Sirenen, Nike, Eros u. s. w., Porphyr d. abstin. 3, 16, Ovid l. c. vs. 288..

Die Dichter heben mit ihren schildernden Beiwörtern an den Musen bald ihren süßen Gesang bald ihren Schmuck mit goldnen Stirnbändern in den dunklen Locken hervor (χρυσάμπυκες, ἰοβόστρυχοι, μελίφϑογγοι). Bilder von ihnen sind häufig, als Statuen, in Relief und auf Münzen und Gemmen. Bald sieht man sie bei mythologischen Acten zur Geschichte der Musenkunst, bald in selbständigen Gruppen neben Apoll oder anderen musischen Gottheiten und Heroen, wie solche Werke in den zahlreichen Museen Odeen Theatern Bibliotheken, auch in den Tempeln des Apoll eine gewöhnliche Zierde waren. Von älteren Bildern griechischer Abkunft ist leider wenig erhalten, die vorhandenen sind meist Nachbildungen von solchen die sich in Rom befandenDesto wichtiger sind die neuerdings publicirten, s. E. Guedeonoff Annal. dell' Inst. 1852 p. 42–85 tav. d'Agg. A–D. Mehr bei Gerhard Archäol. Ztg. 1843 n. 7. 8 und Müller-Wieseler D. A. K. 2, 730–750.. Die herkömmliche Characteristik ist folgende. Kalliope führt als die Muse des heroischen Gesanges Schreibtäfelchen und Griffel, Klio, welche mit der Zeit zur Muse der Geschichte geworden ist, eine Schriftrolle, Euterpe die Doppelflöte (Horat. Od. 1, 1, 32), Terpsichore und Erato, die Musen des Tanzes und der erotischen Poesie, sind durch aufgelöstere 388 Kleidung und größere oder kleinere Saiteninstrumente ausgezeichnet. Melpomene, die Muse der klagenden Gesänge (Horat. Od. 1, 24, 2) und der Tragödie ist von hoher und ernster Gestalt und an der tragischen Maske und einem tragischen Costüm mit einzelnen Attributen bekannter Helden, besonders des Herakles kenntlich, Thalia als Muse der Komödie an ihrem bacchischen Costüm, der freieren Haltung und ländlichen Attributen. Endlich Polyhymnia oder Polymnia, die Göttin der ernsten und gottesdienstlichen Gesänge und der Mythen, später auch wohl der Mimik, ist gewöhnlich verschleiert und eingehüllt und durch bedeutungsvollen Blick und Gest, Urania durch den Himmelsglobus characterisirt.


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