Ludwig Preller
Griechische Mythologie Theogonie, Götter
Ludwig Preller

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C. Erde, Erdeleben und Unterwelt.

Die Erde ist in allen Naturreligionen vorzugsweise das Gebiet der Veränderungen und der unversöhnlichen Gegensätze. Wie ihre Producte kommen und gehen, wachsen blühn und dann wieder dahingenommen werden durch Sonnengluth Erndte und Winter, so ist sie selbst ein lebendiges Bild sowohl alles Ursprungs als alles Untergangs der Dinge, der mütterliche Schooß und das immer offene Grab. Und diese Betrachtung lag dem Menschen um so näher, da er sich ja auch als einen Sohn der Erde und ein Gewächs der Erde wußte, das wie die andern geboren wird um zu sterben und zur Erde zurückzukehren, vielleicht um mit seiner Seele unter jenen dämonischen Kräften der Erde fortzudauern, welche unablässig neues Leben aus der Tiefe schaffen. Daher in diesem Kreise ganz besonders diejenige Art von religiöser Anschauung zu Hause ist, welche mit der Zeit zu den sogenannten Mysterien führte, wie diese denn auch meistens die Culte der Gottheiten der Erde und des Erdelebens zu ihrem Mittelpunkte habenS. meinen Artikel Mysteria in der Stuttg. R. Encyclopädie.. Das Characteristische an ihnen ist das Sentimentale Ekstatische Mystische, eine Stimmung welche mit heftiger Gemüthserregung und jähem Wechsel von Lust und Schmerz, mit wildem Orgiasmus, nächtlicher Feier und vielen asketischen Gebräuchen verbunden, aber dafür auch der andeutenden Naturoffenbarung in hohem Grade zugänglich war. Das Göttliche wurde überwiegend als Geheimniß und Wunder aufgefaßt, das man schweigend hinnehmen müsse und nur in leisen symbolischen Andeutungen vergegenwärtigen könne. Doch waren diese Symbole für den Gläubigen sehr inhaltsreich, grossentheils Allegorieen aus diesem Naturgebiete, indem die schaffenden und zerstörenden Kräfte und Thätigkeiten des Erdelebens mit denen des menschlichen Lebens und Sterbens, seines Geschlechtslebens, seines sittlichen Lebens und seines Seelenlebens zusammenfielen oder in bedeutungsvollen Analogieen auf sie hinwiesen. Und diese Culte wurden um so wichtiger, da sie bei zunehmendem Verfall des populären Polytheismus und seiner durch das Epos und die bildende Kunst entwickelten mythologischen Formen mit der Zeit immer mehr in den Vordergrund traten und den gänzlichen Verfall des Heidenthums wirklich einige Zeit aufhielten.

Die Götter, mit denen wir es in diesem Abschnitte zu thun 498 haben, treten uns in zwei größeren Gruppen entgegen. Die eine betrifft das Naturleben in Bergen und Wäldern, das quellende reifende Leben der Bäume und Früchte, den ganzen Jubel des irdischen Frühlings und die ganze Verzweiflung des irdischen Winters: wie sich dieses im Culte der Rhea Kybele und vorzüglich in dem des Dionysos und der ihn umgebenden Götter und Dämonen in einer reichen Fülle von Bildern und bildlichen Gebräuchen ausdrückte. Die andere ist die der chthonischen Götter im engeren Sinne des Wortes d. h. der Demeter und Persephone und des Pluton, deren Naturgebiet vorzugsweise das der Wiesen und der fruchtbaren Ackergründe ist, wo die Blumen blühen und die Saaten keimen und reifen und dann wieder verschwinden. Es sind die fruchtbaren Götter der tiefen Erde (χϑών), welche in ihren verborgenen Kammern zugleich das Leben schaffen, aber auch die Todten bergen, wodurch sie zugleich unaufhörlich auf die entgegengesetzte Seite von allem creatürlichen und irdischen Leben, auf die Unterwelt und das Reich der Todten zurückweisen. Die ganze Mythologie der Unterwelt ist nichts weiter als eine bildliche und dichterische Ausführung des einfachen Grundgedankens, daß die Todten beim Pluton und der Persephone d. h. bei den herrschenden Mächten der tiefen Erde sind.

Was den Ursprung, das Alter und die Ausbreitung dieser Culte betrifft so befindet man sich bei diesen Fragen in einer eigenthümlichen Stellung zum Epos, welches nur selten und beiläufig von ihnen redet. Sollen wir diese Götter deshalb für jünger als die des Himmels oder des feuchten Elementes halten? Doch wohl nicht, da die Erde eben so wesentlich zur Welt und zur Natur der Dinge gehört als Himmel und Meer, und da es zweitens im Character des Epos liegt mehr von den Göttern des Krieges, des Muthes und der Weltregierung zu reden als von denen des Ackerbaues und der Weinberge, welche den Frieden und das gemeine Volk mit seinen elementaren Naturempfindungen und seinen einfachen Gewohnheiten angehen. Dennoch ist auch hier das Aeltere und das Jüngere, das Ausländische und das Hellenische wohl zu unterscheiden. Die Religion der Rhea Kybele gehört eben so entschieden nach Kleinasien, namentlich Lydien und Phrygien, als die der Aphrodite nach Cypern und Phoenicien. Die des Dionysos ist wenigstens großentheils gleichfalls ausländischen Ursprungs und ist da, wo sie die eigentlichen griechischen Culturstaaten, die wahren Pflanzstätten der griechischen Geistesbildung berührt, offenbar immer einfacher, edler, mit feiner Kunst und Sitte verträglicher geblieben als es in den roheren 499 Gebirgsgegenden von Griechenland der Fall war, deren Cultusformen denen des thrakischen und kleinasiatischen Dionysos am nächsten verwandt waren. Endlich die Religion jener chthonischen Götter war ohne Zweifel die älteste unter den verschiedenen Formen dieses Kreises und seit unvordenklicher Zeit in Griechenland einheimisch, was man gewöhnlich pelasgisch nennt. Doch war auch sie früher einfacher als später, wo die in älterer Zeit strenger geschiedenen Vorstellungen von Tod und Unterwelt und von segenspendender Erdtiefe mehr und mehr mit einander ausgeglichen wurden und eben dadurch das von Natur in diesen Culten angelegte Element des Mystischen und Allegorischen immer mehr zur Hauptsache wurde und zwar auf Unkosten der mythologischen Deutlichkeit und Einfachheit.

Im Allgemeinen ist die Abstufung von Homer zu Hesiod und von Hesiod zu den Orphischen Gedichten in diesem Kreise von Mythen besonders wichtig und lehrreich. Bei Homer werden diese Götter wohl genannt, aber sie werden verschmäht und dem Volke überlassen, weil weder diese Culte noch diese religiösen Empfindungen zur hoch- und volltönenden Laute des epischen Aoeden stimmen wollten. Hesiod ist hier wie in allen Dingen volksthümlicher und ein Spiegel des hellenischen Lebens in seinen realen Verhältnissen; so sind auch alle Elemente dieser Culte und Sagen bei ihm angedeutet. Die Orphischen Gedichte endlich zeugen am vollständigsten sowohl von der schnellen und außerordentlichen Verbreitung, welche diese Religionen und die Mysterien überhaupt in Griechenland gewannen, als von der sich an sie heftenden Religionsmengerei und mythologischen Willkür, welche mit der Zeit immer weiter um sich gegriffen und zuletzt den wahren Grund aller poetischen Schönheit der griechischen Mythen, ihre einfache Wahrheit und Natürlichkeit gänzlich zerstört hat.


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