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19

Wieder waren Wochen vergangen. Eine heimliche, tiefe Freude erfüllte Warwicks Leben. Alle zwiespältigen Zweifel drängte er zurück und gab sich ganz dem Glück des Tages hin, ohne an die Zukunft zu denken.

Von dem Fenster seines luftigen Büros schaute er auf den Hafen hinunter, nachdem er die Morgenpost durchgearbeitet hatte.

Zahlreiche Reisboote glitten, von schwellenden Segeln getrieben, den Fluß hinab. An dem Pier, wo geschäftiges Treiben und rauhe Geräusche den Alltag füllten, lagen Reisdampfer. Polternd und dumpf rasselten die Ketten nie müder Schiffskrane, und ununterbrochen schrillten Sirenen von Motorbooten und übertönten die lauten Rufe der Arbeiter.

Nach einer Weile griff Warwick nach seinem breitrandigen Tropenhut und trat ins Freie hinaus. Er wollte einen Rundgang durch die verschiedenen Schuppen und Gebäude machen und überall nach dem Rechten sehen.

Er war seit langem, vor allem durch die harte Schule des Krieges, an Pflichtbewußtsein und an Strenge gegen sich selbst gewöhnt. Er hatte Freude am Kampf und liebte es, sich gegen Schwierigkeiten und Hindernisse kraftvoll durchzusetzen. Unermüdlich war er an dem Ausbau des Geschäftes tätig, und die Durchführung seiner umfassenden Reformpläne hatte die Firma bedeutend gefördert und entwickelt. Um den Export von Reis im großen aufnehmen zu können, hatte er mehrere Reismühlen angekauft, und als weiteren Schritt plante er die Anlage ausgedehnter Musterplantagen.

Zunächst wandte er sich zu den Silos, wo das Laden der Dampfer in vollem Gange war. Die Aufseher und Vorarbeiter grüßten ihn höflich. Untergebenen gegenüber blieb er stets der gleiche: er behandelte sie bestimmt und kurz, aber wohlwollend, und sie achteten und schätzten ihn wegen seines unparteiischen, gerechten Wesens.

Große Nordchinesen mit stumpfen Gesichtern schleppten in langer Reihe schwere Lasten herbei. Schweißtriefende Kulis stapelten vorn am Pier die Reissäcke auf und banden sie mit breiten Gurten zu Ballen zusammen, die dann von weitgreifenden Kranen in die tiefen Laderäume hinabgelassen wurden.

Einige Augenblicke blieb Warwick am Ufer stehen und sah befriedigt zu. Die Arbeit war gut organisiert und ging flott vonstatten.

Dann schritt er das Fallreep hinauf an Bord des Dampfers, stieg auf die Kommandobrücke und sprach mit dem Kapitän in dessen Kabine. Sein ruhiges, überlegenes Auftreten und die beherrschte Art, in der er seine Anordnungen gab, verrieten den geborenen Führer. Warwick Warbury gehörte zu den Starken, denen andere dienten.

Von vielen Bootkielen aufgewühlt plätscherte das Wasser des Stroms unruhig gegen die Schiffswände. Über dem Hafen brütete die heiße Mittagssonne der Tropen, und Wolkenburgen, deren Weiß sich scharf vom tiefen Blau des Himmels abhob, türmten sich am westlichen Horizont.

Einzelne Möwen kreisten über der breiten Wasserfläche und holten sich die Speiseabfälle, die von Bord der zahlreichen Schiffe in den Fluß geworfen wurden.

Mehrere Reihen von schwimmenden Häusern, die von Bambusflößen getragen wurden, waren am anderen Ufer verankert. Dort wurde Markt auf dem Wasser abgehalten. Gewandt steuerten die siamesischen Bootsleute ihre flinken Sampanboote durch den Strudel des Verkehrs.

Warwick trat mit dem Kapitän an die Reling.

»Hallo, hallo!« tönte es plötzlich vom Fluß herauf. »Wie geht es dir, alter Seeräuber? Kann ich zu dir an Bord kommen?«

Warwick beugte sich vor und sah Ronnie, der in einem gewöhnlichen Sampan saß und von einem Siamesen gerudert wurde. Er winkte ihm zu.

»Vom Wasser aus wirst du nicht heraufkommen können!«

»Doch! Gib nur Befehl, daß die Strickleiter heruntergelassen wird, dann komme ich an Bord wie der Lotse.«

»Ich schlage vor, daß wir beide zusammen zu Mittag essen. Ich hatte sowieso die Absicht, heute mittag im Oriental-Hotel zu speisen«, sagte Warwick später zu Ronnie, nachdem er ihn dem Kapitän vorgestellt hatte. »Herrlich! Ich nehme mit Freuden an! Ich habe dich in der letzten Zeit ja kaum zu sehen bekommen. Wo steckst du denn immer abends?«

Warwick überhörte die Frage.

Bald darauf stiegen die beiden Freunde das Fallreep zum Pier hinunter.

Warwick gab Ronnie den Schlüssel zum Bootshaus und ging ins Büro zurück, wo er noch einiges zu erledigen hatte. Als er wenige Minuten später zum Ufer kam, lag das seetüchtige, schnittige Motorboot fahrtbereit an der Landungsbrücke, und Ronnie, der an allen technischen Dingen eine fast kindliche Freude hatte, saß schon am Steuer.

Mit großer Schnelligkeit fuhren sie stromauf. Nach einer Viertelstunde hatten sie das Hotel erreicht, stiegen aus und gingen auf die breite Uferterrasse, wo im Freien unter großen Sonnenschirmen gedeckt war.

Während des Essens machte Ronnie plötzlich eine Pause.

»Ich habe heute eine sonderbare Statue gesehen – einen Dickbauchbuddha«, begann er zu erzählen. »Er steht im Tempel Wat Tong, drüben am anderen Ufer des Kanals Bangkok Noi. Ich wette mit dir, daß du noch nie eine so ulkige Figur gesehen hast.«

»Den Typ kenne ich sehr gut, die Wette hätte ich also gewonnen. Die Chinesen verehren eine ähnliche Gestalt, den Gott des Reichtums, Ho Tai. Der siamesische Dickbauchbuddha ist meiner Meinung nach nur eine mißverstandene Übertragung dieser chinesischen Gottheit.«

»Du magst recht haben, weiser Marabu. Ich habe heute im Tempel eine fotografische Aufnahme davon gemacht. Es waren nämlich heute viele Frauen dort, die Blumenkränze an dem Altar des Dickbauchbuddhas aufhingen, einen sogar an seiner großen Zehe. Auch brachten sie andere Opfer an Kerzen und Weihrauch und knieten vor der abscheulichen Figur nieder.«

»Auch das kann ich dir erklären. Die Siamesen glauben, daß er etwas mit Kindersegen zu tun hat, und die Frauen, die sich Kinder wünschen, gehen dorthin und opfern und tun Gelübde. Du kannst in mehreren Tempeln solche Statuen treffen, aber die Verehrung von dicken Menschen ist in Ostasien ganz allgemein. Die Siamesen und besonders auch die Chinesen halten sie für außerordentlich gutmütig und glückbringend. Vielleicht haben sie nicht ganz unrecht, wenn sie sagen, daß böse Menschen sich in ihrem Zorn so ereifern und aufregen, daß sie mager bleiben.«

»Irrsinnig interessant! Aber ich kann dir etwas Ähnliches erzählen. Weißt du, daß man dasselbe von Leuten mit großen Ohren oder besser mit langen, großen Ohrläppchen sagt? Das ist doch eins der vielen Schönheitszeichen Buddhas. Du kannst das an jeder Buddhafigur beobachten.«

»Du machst ja riesige Fortschritte«, sagte Warwick erstaunt. »Für die Beliebtheit korpulenter Leute kann ich dir auch ein Beispiel geben. Früher lebte hier in Bangkok ein europäischer Arzt, der außergewöhnlich dick war. Dadurch war er bei den Siamesen allgemein beliebt und hatte großen Zulauf. Schließlich wurde er sogar der Leibarzt des Königs. Die Leute nannten ihn gewöhnlich nur den Mo Chang, den Elefantendoktor.«

»Du hast ja heute Opale in deinen Manschetten – wo sind denn die grünen Jadeknöpfe?« fragte Ronnie plötzlich sprunghaft. »Die haben mir immer so gut an dir gefallen.«

»Vor ein paar Tagen habe ich den einen verloren, und seitdem trage ich die Opale.«

Ronnie aß weiter, aber nach kurzer Zeit legte er wieder Gabel und Messer beiseite und runzelte die Stirne. Dann schob er auch die Serviette zur Seite. Er schien etwas Besonderes auf dem Herzen zu haben.

»Warwick, ich muß dir etwas sagen, was dir vielleicht unangenehm ist. Aber ein Arzt muß die Sonde anlegen, selbst wenn sie schmerzt und weh tut«, begann er schließlich. »Du kümmerst dich zuviel um Prinzessin Amarin – die Leute sprechen schon darüber.« »Klatsch interessiert mich nicht«, erwiderte Warwick gleichgültig.

»Bei der Modenschau, die deine Firma neulich in ihrem Stadtgeschäft abhielt, waren der Hof und ganz Bangkok erschienen, und es fiel allgemein auf, daß du dich fast ausschließlich der Prinzessin Amarin gewidmet hast. Die Blicke, die ihr euch zugeworfen habt – ein Wunder, daß die Bude nicht in Flammen aufgegangen ist!«

»Nun höre aber mit dem Unsinn auf! Ich hätte nie gedacht, Ronnie, daß du dich mit solchem Altweibertratsch abgeben würdest.«

»Nimm die Sache nicht zu leicht, Warwick! Im Klub spricht man auch darüber, und schließlich hat man doch selbst Augen im Kopf. Als du sie und ihre Tante nachher an den Wagen brachtest, hast du ihre Hand viel zu lange in der deinen gehalten. Das kannst du auf keinen Fall abstreiten!«

»Sag mal, hast du wirklich nichts anderes zu tun als Händedrücke zu registrieren? Laß doch die Leute reden, was sie wollen.«

Beide schwiegen eine Weile. Warwick war verstimmt, und Ronnies Mundwinkel zogen sich melancholisch nach unten.

»Du scherzest und machst dich über mich lustig«, sagte er vorwurfsvoll. »Wahrscheinlich hast du noch nie darüber nachgedacht, was das alles für mich bedeutet. Aber ich habe auch ein fühlendes Herz in der Brust, das darfst du nicht vergessen. Und schöne Frauen haben mich schon immer begeistert.

In England habe ich mich in Evelyn Breyford verliebt und ihr erklärt, daß ich sie heiraten wolle. Aber sie sagte mir, daß sie ›einen anderen‹ liebe. Das war bitter, und ich wurde beinahe schwermütig.«

Ronnie legte eine große Scheibe Putenbraten auf seinen Teller, denn trotz seines Schmerzes vergaß er nicht, für die irdische Hülle seiner gequälten Seele zu sorgen. »Um meinen Kummer zu betäuben, habe ich diese Weltreise gemacht. Und hier mußte ich dann erfahren, daß du dieser ›andere‹ bist!«

Er nahm noch einen Löffel von der schmackhaften Sahnensoße.

»Ich habe nur den einen Trost, daß mein persönliches Unglück der Wissenschaft zum Vorteil gereicht, denn ich werde ein bedeutendes Werk über Siam schreiben.«

Warwick klopfte ihm begütigend auf die Hand.

»Du mußt die Sache nicht so tragisch nehmen, alter Junge.«

»Ich hatte mir auch einen heiligen Eid geschworen, dir nie ein Sterbenswörtchen davon zu sagen, aber als ich dich jetzt mit Prinzessin Amarin flirten sah ...«

»Du hast dich doch nicht etwa auch in sie verliebt?« unterbrach ihn Warwick.

»Ja«, entgegnete Ronnie leise, und seine Stimme klang bewegt. »Bei der Modenschau habe ich euch genau beobachtet – nein, lache nicht, Warwick – Liebe und Eifersucht schärfen den Blick. Aber ich spreche trotzdem nicht meinetwegen, obwohl mein Herz blutet. Du mußt dich in acht nehmen um der Prinzessin willen. Ich meine es nur gut mit euch beiden.«

»Ich danke dir für deinen Rat, Ronnie. Ich werde mich danach richten«, erwiderte Warwick ruhig, um das unangenehme Thema endlich zum Abschluß zu bringen.

Beide aßen einige Zeit, ohne etwas zu sagen.

»Neulich abends war ich doch beim Sterndeuter«, begann Ronnie dann aufs neue und schob den Teller zurück. »Du wirst dich gewundert haben, daß ich so lange nicht zurückkam. Aber ich ließ mir das Horoskop stellen.«

»Das weiß ich noch sehr gut. Dabei habe ich ja den Dolmetscher spielen müssen.«

»Nein, ich meine später – in seiner Wohnung. Da hat er mir dann noch viel mehr erzählt. Eigentlich wollte ich auch Prinzessin Amarins Zukunft wissen und von ihm ihr Horoskop stellen lassen. Aber das ging nicht, weil weder ich noch der Sterndeuter ihren Geburtstag wußten. Aber du ahnst nicht, was in meinem Horoskop steht.«

»Nein, das weiß ich nicht.«

»Ich werde die Prinzessin aus großer Gefahr erretten.«

»Dann hast du ja eine schöne Aufgabe.«

Warwick mußte sich zusammennehmen, um nicht laut aufzulachen.

»Du siehst, das Schicksal hat bereits gesprochen.«

»Ja, ich sehe.«

»Und weißt du, was mich am meisten an der Prinzessin fesselt? – Es sind ihre tiefen, dunklen Augen. Ein Schimmer von Märchenträumen ruht darin«, sagte Ronnie schwärmerisch. »Aber du bist ja kein Schriftsteller und Dichter wie ich, und es ist dir nicht gegeben, diese leisen, zarten Regungen und Schwingungen zu empfinden. Ich habe in meinem Buch dem samtseidenen Glanz siamesischer Frauenaugen ein ganzes Kapitel gewidmet. Und als ich es schrieb, schwebte mir immer Prinzessin Amarin vor.

In der vergangenen Nacht habe ich lange wachgelegen und über dich und die Prinzessin nachgedacht. Wie mir jetzt scheint, flirtest du mit ihr nur aus geschäftlichen Gründen, aber auch darin muß man Maß und Ziel halten! – Du weißt ja gar nicht, ob sie die Sache nicht ernst nimmt, und ob du ihr Herz nicht grausam mit Füßen trittst!«

Warwick hatte Ronnie verwundert zugehört. Die letzten Worte seines Freundes gingen ihm nahe, und er schaute an Ronnie vorbei in die Ferne.

Aber Ronnie bemerkte es nicht, denn der Nachtisch wurde gerade aufgetragen. Seine Augen glänzten, als er eine Schale mit geeisten Mangos sah, die er besonders schätzte.

»Wo kann ich dich nachher mit dem Motorboot absetzen?« fragte Warwick, während Ronnie kunstgerecht eine Frucht zerlegte. »Weißt du vielleicht noch einen Tempel, in dem man etwas Besonderes sehen kann, und der nicht allzu weit von hier entfernt liegt?«

»Ich werde dich zum Wat Sampao bringen, wo ein Gebäude in Form einer chinesischen Dschunke errichtet ist. Ein reicher chinesischer Kaufmann, der hier in Bangkok ansässig war, fuhr einmal auf einem chinesischen Segelschiff von Hongkong hierher. Unterwegs geriet er in einen Taifun, und das Schiff drohte unterzugehen. In seiner Todesangst tat er das Gelübde, daß er einen Tempel mit einem großen, steinernen Schiff bauen wollte, wenn er aus diesem Sturm gerettet würde. Da legten sich die Wellen, er kam glücklich in den Hafen von Bangkok zurück und erfüllte sein Gelübde. Tatsächlich befindet sich seitdem im Wat Sampao westlich vom Haupttempel eine große steinerne chinesische Dschunke. Das Innere ist zugänglich und beherbergt mehrere bewohnbare Räume. Als Masten aber sind drei hohe, spitze Prachedi errichtet.«

»Phantastisch! Das gibt sicher wieder eine märchenhaft interessante Abbildung für mein Buch.«

Ronnie wurde ungeduldig und trieb zum Aufbruch.

»Ein wundervoller Blick«, sagte Warwick, als er wieder neben seinem Freund im Boot saß und den Strom hinunterfuhr. »Sieh nur, wie sich im Hintergrund die große Brücke über das breite Wasser spannt – und drüben rechts der Tempel der Morgenröte mit dem feingegliederten, einzigartigen Praprangturm!«

Ronnie nickte.

»Ja, du hast recht. Ist es nicht sonderbar, daß dieser große Bau von nahezu achtzig Meter Höhe keinen Zugang hat? Auf dem Boden ist er fast ebenso breit, wie er hoch ist.«

»Die Könige Siams müssen eine ähnliche Machtvollkommenheit besessen haben wie die Pharaonen«, meinte Warwick nachdenklich. Er verfolgte seine eigenen Gedanken weiter und achtete nicht auf Ronnies Bemerkung. »Sie haben einfach die Bevölkerung eines großen Landstrichs aufgeboten und zu Fronarbeit gezwungen. So sind all die großen Tempel hier in Bangkok und auch die Stadtmauer entstanden. Am Bau des Tempels des Schlafenden Buddha arbeiteten im Durchschnitt dreißig- bis vierzigtausend Mann.

Um nur die wichtigsten Tempel einigermaßen instand zu halten, würde man den dritten Teil der Staatseinnahmen brauchen. Und da man das nicht aufwenden kann, gehen sie langsam dem Zerfall entgegen. Das alte Siam mit seinem absoluten Königtum und seinen riesigen Wunderbauten wird wahrscheinlich bald der Vergangenheit angehören, und nach einiger Zeit werden nur noch kümmerliche Reste von früherer Größe zeugen.«


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