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26

Prinzessin Chanda seufzte erleichtert auf. Sie hatte nicht geglaubt, daß es soviel Mühe machen und einen so schweren Kampf mit Amarin geben würde. Aber da sie nun ihr Ziel erreicht und ihren Willen durchgesetzt hatte, wurde ihre Stimmung versöhnlicher.

Das königliche Hausgesetz erschien ihr wie ein unabwendbares Schicksal, und nie war ihr der Gedanke gekommen, sich dagegen aufzulehnen.

In ihrer Jugend hatte sie vergeblich gewartet und gehofft, daß ein Prinz um sie werben würde. Sie verstand den Freiheitsdrang der jungen Generation nicht, aber sie fühlte jetzt doch ein gewisses Mitleid mit Amarin.

Die Uhr Schlug zehn. Langsam verklangen die einzelnen Schläge in dem hohen Raum.

Chanda erhob sich und rief den Hausmeister Kun Anchit. Sie ließ sich durch ihn mit dem Hofmarschallamt im Dusitpalast verbinden.

Es dauerte einige Minuten, bis sich Murapong meldete.

»Eben ist Amarin zurückgekommen. Ich habe eingehend mit ihr über den Antrag gesprochen, und ich bin froh, daß sie Surja heiraten will«, erklärte Chanda befriedigt.

»Das ist auch das einzig Richtige«, entgegnete der Prinz kurz. Er war an diesem Abend im Palast stark beschäftigt, und der Anruf kam ihm deshalb im Augenblick sehr ungelegen. Sie war enttäuscht. Wieviel Mühe und Überredungskunst hatte es sie gekostet, Amarin endlich zur Vernunft zu bringen, so daß sie Surjas Antrag annahm! Murapong, der alte Brummbär, hätte wirklich liebenswürdiger sein können.

Sie wollte sich kurz von ihm verabschieden und anhängen, aber plötzlich kam ihr ein Gedanke. Der Besuch des Königs war ihrer Meinung nach unglücklich verlaufen, aber vielleicht konnte sie durch einen klugen Schachzug noch alles zum besten wenden.

»Ich bitte für mich und Amarin noch heute abend um eine kurze Audienz bei Seiner Majestät. Amarin möchte sich persönlich entschuldigen, daß sie bei dem Besuch des Königs nicht zugegen war.«

»Das wird sich kaum machen lassen. Eine Entschuldigung ist übrigens durchaus nicht nötig.«

»Ich bitte aber darum.«

»Ich will sehen, ob ich dem König deinen Wunsch vortragen kann«, entgegnete Murapong resigniert. Er war ungehalten über Prinzessin Chanda, die immer besondere Wünsche hatte, und legte den Hörer unsanft auf die Tischplatte.

Chanda winkte Kun Anchit ans Telefon und gab ihm den Auftrag, auf Bescheid zu warten.

Keiner sprach, während die Minuten vergingen.

Aus dem weiten Park tönte das schrille Zirpen der Grillen durch das beklemmende Schweigen.

»Ihre Königliche Hoheit Prinzessin Chanda kommt«, meldete der Hausmeister nach einiger Zeit und reichte den Hörer zurück.

Ein Kammerherr sprach vom Palast aus.

»Seine Majestät haben gnädigst geruht, Ihren Königlichen Hoheiten den Prinzessinnen Chanda und Amarin eine Audienz zu gewähren, obwohl die Zeit heute abend sehr knapp bemessen ist. Es wäre erwünscht, daß die hohen Damen so bald wie möglich erscheinen.«

Die kühle Nachtluft stärkte und belebte Amarin, als sie im offenen Wagen mit ihrer Tante zum Dusitpalast fuhr. Eine leichte Brise trug süße Blumendüfte von den königlichen Gärten herüber. Der Weg war nur kurz, und ehe Amarin zur Besinnung kam, hielt der Wagen auf der großen, breiten Rampe vor dem Hauptportal des Schlosses.

Zwei Kammerherren erwarteten sie und führten sie sofort zum Arbeitszimmer des Königs.

Nach altsiamesischem Zeremoniell hätte erst eine lange Begrüßung stattfinden müssen, aber der König empfing sie sofort in europäischer Weise und reichte beiden die Hand. Er war so herzlich und natürlich, daß sich Amarin unwillkürlich zu ihm hingezogen fühlte.

Rama hatte einen wohlwollenden Gesichtsausdruck, obgleich seine Augen zuweilen sonderbar, fast unheimlich aufleuchteten. Von seiner Klugheit und von seinem seinen Takt hatte sie schon viel gehört.

Auch er bewunderte Amarin. Er hatte erfahren, daß sie schön sein sollte, aber eine so eigenartig reizvolle Erscheinung hatte er nicht erwartet. Befriedigt ruhte sein Blick auf ihrer geschmeidigen, schlanken Gestalt, und ihre abgerundeten harmonischen Bewegungen erfreuten sein Auge.

Zuvorkommend und liebenswürdig unterhielt er sich mit ihr. In ihrem Wesen offenbarte sich hohe, verfeinerte Kultur, die ihre Abstammung aus einem alten Geschlecht verriet. Die große Ähnlichkeit mit ihrem Vater, dem Prinzen Akani, fiel ihm sofort auf. Als Weltmann und Diplomaten hatte er ihn stets geschätzt.

Er fand so viel Gefallen an ihr, daß er eine tiefere Zuneigung zu ihr faßte. Unwillkürlich kam ihm der Gedanke, daß sie seine erste Königin hätte werden können, und er bedauerte, daß er ihr nicht früher im Leben begegnet war. Vieles wäre dann anders geworden. Aber jetzt hatte er für Surja um ihre Hand angehalten, und das schloß alle anderen Wünsche aus.

Prinzessin Chanda wunderte sich, daß der König soviel Zeit zu haben schien und mit Amarin von tausend nebensächlichen Dingen sprach. Über die eigentliche Veranlassung der Audienz war noch kein Wort gefallen. Fast schien es, als ob sich ihre Gedanken auf ihn übertrügen.

»Amarin, du weißt, warum ich heute zum Palais Akani kam«, begann er unvermittelt. Seine Stimme hatte jetzt einen mehr konventionellen Ton, denn es fiel ihm im Augenblick schwer, über die Verlobung zu sprechen. Aber er mußte seine Pflicht erfüllen und durfte nicht seinen Neigungen folgen.

»Deine Tante hat mir gesagt, daß du den Antrag des Prinzen Surja annehmen willst«, fuhr der König fort. »Aber ich möchte gern von dir selbst hören, wie du dich dazu stellst«, fügte er freundlich hinzu.

Amarin zögerte mit der Antwort. Seine verständnisvolle Art wirkte so beruhigend auf sie, daß sie plötzlich daran dachte, ihm alles zu sagen, was sie bedrückte.

Chanda war der Unterhaltung gespannt gefolgt, und ihre Energie konzentrierte sich auf diesen einen Augenblick, auf die Antwort auf diese eine entscheidende Frage. Unverwandt und mit zwingendem Blick sah sie ihre Nichte an.

In Amarin erwachte wieder die Erinnerung an ihren Vater.

Es war, als ob sich ein letzter Kampf zwischen den beiden Frauen abspielte.

Amarin richtete sich auf. Ein letzter, schwacher Widerstand lebte in ihr auf.

Sekundenlang zögerte sie, dann senkten sich ihre Schultern leicht, und sie neigte fast unmerklich den Kopf.

»Ich werde Surja heiraten«, sagte sie endlich willenlos.

König Rama fiel der eigentümlich freudlose Ton ihrer Stimme auf, und er sah sie forschend an. Er hatte das ungewisse Gefühl, daß sie etwas verschwieg. Seinem Scharfblick war nicht entgangen, wie begierig Prinzessin Chanda auf die Antwort ihrer Nichte gewartet hatte.

Amarin schlug die Augen nieder.

Unwillkürlich streifte sein Blick die kleine Uhr auf dem Schreibtisch. Für diesen Abend war noch eine ganze Reihe von Audienzen angesetzt, und die Zeit drängte. Er durfte sich nicht noch länger und eingehender mit Amarin beschäftigen, wie er es gern getan hätte.

Es blieb noch der Termin für die Vermählung festzusetzen, und es erschien dem König richtig, die Hochzeit nicht zu lange hinauszuschieben. Murapong hatte ihm gesagt, wie sehr sich Surja nach einer Vereinigung mit Amarin sehnte, und Rama war davon überzeugt, daß sie einen bleibenden guten Einfluß auf den Prinzen haben würde. Wenn die Wartezeit zu lange dauerte, würde Surja durch sein hitziges Temperament vielleicht wieder in neue, unvorhergesehene Schwierigkeiten kommen.

Er drückte auf die Klingel.

»Ich wünsche den Prinzen Murapong zu sprechen«, sagte er zu dem eintretenden Kammerdiener.

Dann wandte er sich liebenswürdig an Amarin.

»Wenn du Surja heiraten willst, soll keine lange Zeit mehr bis zu eurer Hochzeit vergehen.«

Grauen und Angst packte Sie. Schon der Gedanke, Surja zu heiraten, erfüllte sie mit Entsetzen, und am liebsten hätte Sie das drohende Unglück So lange wie möglich hinausgeschoben.

Als sie ihren Widerstand aufgab, hatte sie im Unterbewußtsein gehofft, durch ihre Einwilligung mehr Zeit zu gewinnen, damit ihr Vater inzwischen von Ceylon kommen und ihr raten und helfen könnte. Und diese letzte Aussicht auf Rettung sollte ihr nun auch noch genommen werden!

Sie wollte etwas erwidern, aber als sie den Kopf hob, sah sie, daß der König einen Kalender vom Schreibtisch genommen hatte und darin blätterte. Sie fand nicht mehr den Mut, ihn anzusprechen; gebrochen lehnte sie sich in den Sessel zurück.

Gleich darauf erschien der Palastminister.

»Du hast doch die Aussichten der geplanten Heirat zwischen Amarin und Surja von den Sterndeutern begutachten lassen – was sagen denn die hohen weisen Herren^« fragte der König mit leichter Ironie.

Wenn er auch durchaus national gesinnt war, so glaubte er doch nicht an die Voraussagen der staatlich angestellten Astrologen, die ihm nur unbequeme Reisezeiten und Termine für seine Handlungen ausrechneten und vorschrieben. Aber um des Volkes willen mußte er noch an diesen Zeremonien festhalten.

Es wurde von Staats wegen sogar ein astrologischer Kalender herausgegeben, in dem die günstigen und ungünstigen Tage vermerkt waren. Am Wan Krut, dem siamesischen Neujahr, das in den April fiel, erhielt jeder höhere Beamte ein Exemplar dieses Buches.

Im Gegensatz zum König war Murapong ein eifriger Anhänger dieser alten Traditionen. Behutsam nahm er ein merkwürdiges Faltbuch aus seiner Mappe und breitete es auf dem Schreibtisch aus.

»Die beiden passen ihren Horoskopen nach ausgezeichnet zusammen, wenn auch gewisse Widerstände im Charakter der Prinzessin liegen, da sie im Zeichen des Widders geboren wurde«, erklärte er und deutete auf verschiedene Figuren, die mit weißer Farbe auf das schwarze Papier des Buches gezeichnet waren. »Aber augenblicklich befinden wir uns in einer ungewöhnlich günstigen Konstellation für die Eheschließung der beiden«, fuhr der Palastminister befriedigt fort. »Die Sterndeuter haben zwei glückbringende Termine für die nächsten Tage festgestellt, und zwar entweder übermorgen, um sechs Uhr nachmittags, oder am nächsten Montag, also in vier Tagen, um fünf Uhr, zur Zeit der Abendkühle.«

»Übermorgen wäre doch etwas zu plötzlich«, meinte der König lächelnd. »Wir wollen lieber den Montag wählen«, entschied er nach einer kurzen Überlegung. »Es sollen alle nötigen Vorbereitungen zur Trauung hier im Dusitpalast getroffen werden.«

Wieder schwieg er einen Augenblick.

»Ich hoffe, es sprechen keine anderen zwingenden Gründe dagegen?« fuhr er dann fort und sah mit einem fragenden Blick zu Chanda hinüber.

Als diese dem Termin zustimmte, wurde der Beschluß endgültig gefaßt.

»Ich werde die Trauung selbst vollziehen«, bestimmte der König.

Murapong hatte inzwischen einen Bogen aus der Mappe genommen und sah Rama an.

»Man müßte die Einweihung der Brücke Tapan Mahun absagen, die für Montagnachmittag um fünf Uhr angesetzt ist. Der Minister der öffentlichen Arbeiten könnte die Sache erledigen.«

Rama hob den Kopf zum Zeichen des Einverständnisses, dann verabschiedete er sich mit einigen freundlichen Worten von den beiden Prinzessinnen.

Chanda dankte bewegt und überschwenglich für seine Gnade.

Amarin brachte keine Silbe über die Lippen, sie verneigte sich nur stumm.


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