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43

An einem Strahlend schönen Nachmittag führte ein Auto Evelyn und Warwich durch die herrliche Landschaft von Peradenya auf Ceylon. Schon am frühen Morgen war ihr Dampfer in Colombo angekommen, und Amarin hatte den Wunsch geäußert, ihren Vater wiederzusehen. Sie waren deshalb mit ihr zusammen am Morgen zum Tempel der heiligen Zahnreliquie gefahren und wollten sie jetzt wieder in Kandy abholen.

Ronnie begleitete sie am Vormittag. Er wollte den kurzen Aufenthalt in Ceylon zu einem Ausflug nach den berühmten Tempelruinen von Anuradhapura benützen. Wie gewöhnlich hatte er sich dabei verspätet und war nicht rechtzeitig zu dem verabredeten Treffpunkt gekommen.

Evelyn spielte mit einer prachtvollen rotgelben Blüte, die eine fröhlich lachende Singalesin unterwegs in den Wagen geworfen hatte. Herden von weißen, dunkeläugigen Zeburindern mit eigenartig geformten Höckern begegneten ihnen. Überall jubelten die Kinder und warfen ihnen Blumen zu. Warwick und Evelyn, die Colombo und Ceylon kannten, hatten genügend kleine Münzen eingewechselt, um sich dafür erkenntlich zu zeigen.

Die Abfahrt der »Mauretania« aus dem Hafen war erst auf Mitternacht festgesetzt. Es blieb ihnen also genügend Zeit, alle Schönheiten dieser paradiesischen Gegend zu genießen. Von der Höhe aus hatten sie einen wunderbaren Ausblick auf den berühmten Tempel und den See, in dessen Mitte sich die ummauerte, rechteckige Insel mit ihren hochaufstrebenden Palmen und dem halbverfallenen Portal wie ein Märchen aus versunkenen Zeiten spiegelte.

Langsam und in großen Kurven senkte sich die Autostraße, von malerischen Baumgruppen beschattet, allmählich zum Tal. Dann kamen sie an langen Säulengängen vorbei, die zum Kloster gehörten, und schließlich hielt der Wagen vor dem in überreichen Schmuckformen erbauten Tor.

Man schien sie dort zu erwarten, denn sauber gekleidete Tempeldiener führten sie sofort in eine offene Pfeilerhalle und brachten ihnen duftenden, goldfarbenen Tee in reichbemalten Porzellanschalen.

Von hier aus sahen sie auf die lieblichen, gutgepflegten Klostergärten und durch ein großes Portal hindurch auf die ausgedehnte Wohnstadt der Mönche, deren Straßen ruhig und verlassen lagen.

Nach einiger Zeit hörten Sie leise Tritte nackter Sohlen auf dem Steinboden, und gleich darauf erschien Nen Vinai in seinem gelben Gewand. Er hielt den Blick bescheiden zu Boden gesenkt.

Warwick und Evelyn waren über diesen Empfang etwas erstaunt, denn sie hatten bestimmt angenommen, daß Amarin bereit sein würde, sofort die Rückfahrt mit ihnen anzutreten. Sie hatten geplant, den Abend in der kühlen Brise gemeinsam auf Mount Lavinia zuzubringen und die herrliche Aussicht auf das Meer und den Hafen mit den vielen Lichtern zu genießen.

»Kommt die Prinzessin bald?« fragte Warwick verwundert.

»Das kann ich Ihnen nicht sagen, aber ich habe den Auftrag, sie zu dem Oberpriester zu führen«, antwortete Nen Vinai in seiner ruhigen, freundlichen Art, ohne die Augen zu erheben.

Durch schattige Säulengange und über weite Höfe folgten sie dem Nen und stiegen den langen, gewundenen Weg zum Berge hinauf.

Oben an der Treppe machten sie unwillkürlich halt, denn es bot sich ihnen ein ungewöhnlicher Anblick, der sie sofort fesselte.

Auf einem kleinen, runden Platz vor ihnen saß Prinz Akani auf dem thronartig erhöhten Sitz unter dem siebenfachen weißen Ehrenschirm.

Geheimnisvoll flüsterte der Wind in der mächtigen Tamarinde über ihnen und bewegte leise den leichten Stoff des Schirmes und die feuerroten Blüten der Hibiskussträucher, die sich in scharfem Kontrast von dem dunklen Braungrün der dichten, großen Blätter trennten. Die Blütenwand leuchtete wie eine flammende Gloriole hinter dem Sitz des ehrwürdigen Mönches.

Feierlicher Friede und harmonische Ruhe herrschten hier, als ob die Meditationen des Oberpriesters einen Zauberkreis geschaffen hätten, aus dem alle Unrast und Mühsal gebannt waren. Evelyn hatte plötzlich das Gefühl, in die weihevolle Stille eines Domes einzutreten.

Akani legte bei ihrem Erscheinen den Palmblattfächer mit dem Elfenbeingriff beiseite. Das war eine außergewöhnliche Handlung, denn wenn Mönche mit Laien sprechen, sollen Sie nach der heiligen Vorschrift einen Palmblattfächer vor sich halten, damit sie durch den Anblick der Fremden nicht zu sehr in ihren Gedanken gestört werden. Evelyn und Warwick grüßten ihn scheu und ehrfürchtig.

Der Prinz neigte den Kopf und lud sie durch eine Handbewegung ein, auf zwei einfachen Feldstühlen Platz zu nehmen.

Unverwandt sah Evelyn auf den Oberpriester, zu dem sie sich wie mit magischer Gewalt hingezogen fühlte. Auch glaubte sie, ihn schon lange zu kennen. Erst später wurde sie sich darüber klar, daß die Ähnlichkeit mit Amarin sie so stark fesselte, und daß nur die Mönchstracht sie zuerst am Erkennen hinderte.

»Amarin hat mir alles anvertraut«, begann Akani mit wohlklingender Stimme, »und ich danke Ihnen, daß Sie ihr in allen Gefahren und Widerwärtigkeiten der letzten Zeit so treu zur Seite geblieben sind.«

Er betrachtete Warwicks Züge, als ob er dessen Charakter werten und prüfen wollte. Das Bild, das er sich nach den Erzählungen seiner Tochter von diesem Mann gemacht hatte, stimmte mit der Wirklichkeit überein, und er verstand sie und ihr Tun.

Ihre Blicke begegneten sich. Warwick empfand eine ihm sonst fremde Scheu vor der Gewalt dieser Augen. Nach kurzer Zeit senkte er bedrückt den Kopf und schaute auf den Kranz weißer Maliblüten, den Nen Vinai als Zeichen seiner Verehrung zu Füßen des Throns niedergelegt hatte.

»Wo ist Amarin?« unterbrach Evelyn das kurze Schweigen.

»Da es ihr zu schwer gefallen wäre, hat sie mich gebeten, mit Ihnen zu sprechen. Ich tue es nicht als Mönch und Oberpriester, sondern als Mensch zu Menschen. Ich weiß, wie sehr sie durch Liebe und Freundschaft mit Ihnen beiden verbunden ist, und ich weiß, daß Sie meine Tochter nach England mitnehmen wollen. Amarin ist von diesem größten Beweis Ihrer Zuneigung tief ergriffen und erschüttert. Sie wollte aber trotz ihrer Dankbarkeit und Freude über Ihre Güte nicht einwilligen, bevor sie mit mir gesprochen hatte.«

Im Tal riefen die Tempelglocken die Mönche zur Abendandacht. Klar und eindringlich klangen die Töne bis zur Spitze des Berges herauf.

Wohlwollend betrachtete Akani die beiden, aber es kamen ihm auch Zweifel, ob Amarin in der Nähe dieser Herrenmenschen, die das tätige Leben unbedingt meisterten, glücklich und friedlich leben könnte. Er kannte den romantischen Charakter seiner Tochter; gerade weil sie in der Welt der Widersprüche leben mußte, hatte sie sich eine eigene Welt märchenhafter Schönheit aufgebaut, die sie als unsichtbares Königreich in sich trug. Hier berührten sich schärfste Gegensätze; aber vielleicht hatte eine Naturgewalt sie zueinander gezwungen.

»Da Sie zur Nonne bestimmt war«, fuhr Akani nach einer kleinen Pause fort, »glaubte sie, es wäre Flucht aus Buddhas Gesetz, wenn sie mit ihnen ginge. Von dieser quälenden Vorstellung habe ich sie befreien können, denn erzwungener Eintritt in den Orden wird nicht zu dem ersehnten Ziel, dem Eingehen ins Nirwana, führen.

Wer mit seinen Wünschen an diese Welt gebunden ist, soll nicht die Ordensgelübde ablegen und den unmöglichen Kampf aufnehmen. Erst wenn er Wunsch und Begierde nach irdischem Glück hinter sich lassen kann, soll er diesen Schritt tun.«

»Will Amarin denn ins Kloster gehend« fragte Evelyn betroffen.

»Als ich ihr heute die Grundwahrheiten des Buddhismus, die Lehre vom Leiden und dem Gesetz von Ursache und Wirkung umfassend erklärte, wollte sie vollkommen auf die Welt verzichten. Sie kam zu diesem Entschluß, weil sie jugendlich vorschnell handelt und ihre Gedanken sich noch in Gegensätzen bewegen.

Sie bat mich, ihr einen Rat zu geben, und ich mußte ihr sagen, daß sie nach den letzten schweren Erlebnissen im Augenblick nicht fähig sei, eine endgültige Entscheidung über ihre Zukunft zu treffen. Da sie nun aber einmal den Wunsch hatte, Nonne zu werden, so halte ich es für gut, daß Sie zunächst ihren Vorsatz ausführt. In der Ruhe und dem Frieden des Klosters wird Sie zu klarer Erkenntnis kommen.«

Vom auffrischenden Winde getragen klang das Läuten der Glocken stärker aus dem Tale herauf.

»Wird Amarin für immer Nonne bleiben?« fragte Warwick leise und traurig.

»Die buddhistische Ordensregel zwingt die Menschen nicht, ein unwiderrufliches Gelübde abzulegen. Sobald sie fühlen, daß sie noch mit den Wünschen dieser Welt verkettet sind, können sie das Kloster verlassen und ohne Vorwurf und Tadel ins Leben zurückkehren.«

Die schrägfallenden Sonnenstrahlen trafen jetzt den Oberpriester von der Seite, und sein Gewand leuchtete golden auf. Sein milder, gütiger Blick ruhte auf Warwick und Evelyn.

Bezwungen von der Größe und Macht seiner Persönlichkeit lauschten sie seinen Worten wie einer Offenbarung, und er erschien ihnen in diesem Augenblick wie der erhabene Buddha selbst.

»Wie alles Irdische nach Blüte und Vollendung drängt, um dann im ewigen Wandel der Erscheinungen zu vergehen, so ist auch die Liebe zwischen Menschen wie eine Blume von paradiesischer Schönheit. Aber auch Sie welkt dahin, um so schneller vielleicht, je herrlicher und vollkommener sie sich zu Anfang erschloß.

Wie die Herzen der Menschen sich dauernd wandeln, und wie es nichts Beständiges in dieser Welt gibt, so gibt es auch keine ewigen Wahrheiten – nur ewige Gesetze, nach denen sich die Kreise unseres Lebens schließen.«

Ende


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