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Der Posten vor der Polizeistation am Sam Jäk, dem Dreiwegeplatz, machte große Augen, als abends kurz vor neun Uhr ein elegantes, dunkelblaues Auto vor dem Hause hielt, das von dem Polizisten Nai Grap gesteuert wurde.
Nai Grap hatte den Wagen angehalten und hierhergebracht. Stolz über seine Beute und seinen Erfolg stieg er vom Führersitz, zog Amarin und Me Kam auf die Straße und forderte sie energisch auf ihm zu folgen. Dann führte er sie zum Polizeibüro hinauf.
Die Prinzessin ging apathisch und willenlos hinter ihm her, während die Amme den Polizisten mit einem Hagel von Schimpfworten überhäufte.
Sofort sammelte sich auf der Straße eine große Schar Neugieriger an. Selbst die auf den Straßen aufgegriffenen und verhafteten Trunkenbolde und Vagabunden schauten verwundert auf. Sie saßen oder standen auf der offenen Veranda in einer Zelle, die ringsum von Eisengittern umgeben war. Von der Straße aus konnte man die Leute, die hier an den Pranger gestellt waren, deutlich sehen.
Wenige Sekunden später traten Amarin und Me Kam in den grellen Lichtkegel der blendend hellen Deckenbeleuchtung des inneren Büros. Nai Grap führte sie vor das Pult des Wachtmeisters.
»Ich habe diese beiden verdächtigen Frauenspersonen in der Sapatumstraße abgefaßt«, meldete er seinem Vorgesetzten in dienstlichem Ton, »als sie mit abgeblendeten Lichtern aus dem Gartentor der unbewohnten Villa des Prinzen Akani herausfuhren ...«
»Das ist alles ganz anders gewesen«, unterbrach ihn Me Kam entrüstet. »Dieser räudige Hund von einem betrunkenen Polizisten ...«
»Keine Beamtenbeleidigung, sonst geht es dir schlecht!« unterbrach sie der Wachtmeister böse.
Aber die Amme ließ sich nicht einschüchtern und schimpfte unentwegt weiter. Erst als der Beamte drohte, sie draußen in den Bambuskäfig zu stecken, konnte er sie für einige Zeit zum Schweigen bringen.
»Ich hatte schon seit einiger Zeit verdächtigen Lichtschein in der Villa gesehen«, fuhr der Polizist in seiner Meldung fort. »Kurz vorher kam ein anderer größerer Wagen ebenfalls ohne Licht aus dem Parktor. Ich gab das Warnungssignal, daß er anhalten solle, aber der dachte gar nicht daran, abzustoppen. Die Nummer konnte ich im Dunkeln nicht feststellen, weil auch das hintere Licht nicht brannte. Die Sache kam mir gleich merkwürdig vor. Und als ein zweites Auto, auch mit abgedrehten Scheinwerfern, aus dem Tor kam, lief ich darauf zu, sprang aufs Trittbrett und beschlagnahmte den Wagen, den ich sofort durchsuchte. Ich nehme an, daß es sich um einen Einbruch handelt. Da ich im zweiten Auto keine Diebesbeute fand, vermute ich, daß sie im ersten fortgeschafft wurde.«
Der Wachtmeister schrieb alles eifrig auf.
»Und was das Verdächtigste ist – die beiden wollen ihre Namen nicht nennen.«
»Wie heißt ihr?« fragte der Wachtmeister kurz und barsch.
Die beiden Frauen schwiegen zunächst.
»Ich werde euch verstockte Weiber schon zum Reden bringen! Mit so lichtscheuem Gesindel werden wir hier bei der Polizei schnell fertig!«
»Halte nur dein böses Maul!« begehrte Me Kam zornig auf. »Weißt du mißratener Sohn einer lahmen, verhungerten Katze auch, daß dies Prinzessin Amarin, die Tochter des Prinzen Akani, ist?«
Der Wachtmeister wußte nicht, was er davon halten sollte. Die Geschichte kam ihm etwas sonderbar vor, aber die letzten Worte hatten doch einen gewissen Eindruck auf ihn gemacht.
»Wenn du uns nicht sofort freilaßt«, fuhr Me Kam fort, »wird Prinzessin Chanda schon dafür sorgen, daß du fünfzig Peitschenhiebe bekommst.« Sie war wieder mutiger geworden. »Und wenn der Palastminister Murapong erst erfährt, was für ein hoffnungsloser Idiot du bist, und daß du eine hohle Kokosnuß statt eines Kopfes auf den Schultern trägst, wird er dir die Uniform vom Leibe reißen und dich ins Zuchthaus werfen!«
Der Wachtmeister wollte zuerst wütend antworten, hielt aber an sich und überlegte. Die jüngere der beiden Frauen trug zwar einfache Siamesenkleidung, aber ihre vornehmen Züge verrieten höhere Abstammung. Auf der anderen Seite nahmen aber in der letzten Zeit die Einbrüche in der Millionenstadt erschreckend zu, so daß er den Fall erst genau untersuchen mußte, bevor er die beiden wieder freilassen durfte. Er war sich aber im klaren darüber, daß ihm und allen Polizeibeamten, die mit der Sache zu tun hatten, schlimme Strafen drohten, wenn die Angaben der Frau stimmten.
Um den Fall zu klären, stellte er noch einige Fragen an Amarin. Aber sie war so fassungslos, daß sie kaum antworten konnte.
Me Kam dagegen verteidigte ihre Herrin und sich aufs äußerste. Sie redete so heftig und aufgeregt, daß sich draußen vor der Polizeistation eine immer größere Menschenmenge ansammelte. Aber sie verstrickte sich in Widersprüche.
Nachdem das Verhör nahezu eine Viertelstunde gedauert hatte und das Protokoll schon mehrere Seiten füllte, erschien der Polizeioffizier, der die Nachtrunde bei den einzelnen Stationen machte. Während der Wachtmeister kurz den Tatbestand meldete, unterbrach ihn der Hauptmann plötzlich und brachte ihn durch eine kurze Handbewegung zum Schweigen. Er wurde fahl im Gesicht. Wie war es nur möglich, daß diese Unglücksraben eine Prinzessin verhaften konnten!
Höflich wandte er sich an Amarin, die er dem Aussehen nach kannte, denn er war der Bruder des Hausmeisters Kun Anchit.
Sofort ließ er Sessel für die beiden Frauen bringen und Tee servieren. Dann entschuldigte er sich bei Amarin in der untertänigsten Weise.
Me Kam warf dem Wachtmeister und dem Polizisten triumphierende Blicke zu.
»Ihr Söhne von Mücken und ausgetrockneten Blattwanzen«, fuhr der Polizeioffizier seine Untergebenen an, die zerknirscht im Hintergrund standen und zitterten. »Warum habt ihr nicht die Nummer des Wagens angesehen? Dann hättet ihr Esel doch sofort gewußt, daß das Auto zum Palais Akani gehört!«
Eine weitere Zurechtweisung versparte er sich für später.
Nachdem sich Amarin etwas von ihrem Schrecken und ihrer Aufregung erholt hatte, führte der Polizeioffizier sie und ihre Dienerin auf den geräumigen hinteren Hof der Station, wohin der Wagen der Prinzessin gebracht worden war.
Inzwischen hatte er den Platz vor dem Hause rücksichtslos räumen lassen, da Amarin nicht durch die Neugierde der Menge belästigt werden sollte, wenn Sie zum Tor hinausfuhr.
*
Erschöpft sank Prinzessin Chanda in einen Sessel, nachdem der König fortgefahren war.
Kaum zwei Minuten später bog Amarins Wagen in das noch festlich erleuchtete Parktor ein.
Sie trat auf den Balkon hinaus und beobachtete, wie das Auto hielt. Me Kam mußte ihrer Herrin, die sehr müde und abgespannt aussah, beim Aussteigen helfen.
Aber Chanda war zu aufgeregt, um darauf Rücksicht zu nehmen.
»Warum hast du dein Versprechen nicht gehalten?« fragte sie scharf und gereizt, während sie ihrer Nickte einige Schritte entgegenging.
»Prinzessin Amarin hat im Tempel einen Fieberanfall bekommen, und ich mußte ihr erst eine Arznei holen«, verteidigte Me Kam das junge Mädchen.
Aber Chanda warf ihr einen so vernichtenden Blick zu, daß die Amme betroffen schwieg.
Die anderen Dienerinnen hatten ihr schon durch Zeichen zu verstehen gegeben, daß etwas Wichtiges geschehen war.
»Der König war hier, um dich persönlich zu sprechen. Es ist unerhört, daß du nicht zur rechten Zeit gekommen bist. Wie kannst du nur so etwas wagen?«
Amarin setzte sich, antwortete aber nichts.
»Er war sehr böse, daß du ihn nicht empfangen hast. Früher wäre ein solches Vergehen mit Palastgefängnis bestraft worden. Aber ihr jungen Leute glaubt ja, daß ihr euch alles herausnehmen könnt!«
Chanda sah Amarin streng und vorwurfsvoll an. Im Grunde war sie eine kalte, gefühllose Natur: eingeengt durch strenge Vorschriften hatte sie ihre Zeit nutzlos hingebracht. Ihr Leben hatte keinen Inhalt gehabt, und mit einem gewissen Neid sah sie auf ihre Nichte, die ihre Jugend in größerer Freiheit verbringen durfte.
Das Erlebnis auf der Polizeistation hatte Amarin vollständig aus der Fassung gebracht. Sie wußte, daß ihre Lage äußerst gefährlich war.
Vielleicht konnten durch diesen unglücklichen Vorfall die heimlichen Besuche Warwicks in der Villa entdeckt werden! Im Laufe des Verhörs war doch viel mehr herausgekommen, als gesagt werden durfte. Wenn der Polizeioffizier das Protokoll nicht vernichtet hatte, würde die Sache dem Prinzen Murapong gemeldet werden, dem als Palastminister auch die Polizei im Dusitpark und dem angrenzenden Sapatumbezirk unterstand.
Das mußte unter allen Umständen vermieden werden. Aber Amarin wußte im Augenblick nicht, wie sie das hätte erreichen können.
Prinzessin Chanda erwartete, daß ihre Nichte sich erkundigen würde, aus welchem Grunde sie der König persönlich sprechen wollte, aber Amarin schwieg noch immer und starrte nur abwesend ins Leere.
»Da du bedauerlicherweise nicht zugegen warst, hat der König mich gefragt, ob du Prinz Surja heiraten willst«, fuhr die Tante etwas ruhiger fort und machte wieder eine Pause, um ihrer Mitteilung mehr Nachdruck zu geben und die Bedeutung der Tatsache hervorzuheben.
Auch wollte sie, daß Amarin sich dazu äußern sollte.
Aber die junge Prinzessin schwieg beharrlich.
»Als du gar nicht kamst, habe ich an deiner Stelle vorläufig den Antrag angenommen.«
»Mit Unliebem vereint sein bringt Leiden«, sagte Amarin tonlos.
»Du willst mit diesem Worte Buddhas doch nicht etwa andeuten, daß du Surjas Antrag ablehnst?! Der König hat mir den Auftrag gegeben, dich zu fragen, ob du den Prinzen heiraten willst – liebst du ihn denn nicht?«
»Nein«, erwiderte Amarin leise, aber bestimmt, und richtete sich ein wenig auf.
»Ich kann doch aber König Rama nicht sagen, daß du nicht Surjas Frau werden willst!« ereiferte sich Chanda aufs neue. »Er hat mir auch erzählt, daß Surja dir schon vor einigen Wochen persönlich einen Antrag gemacht hat. Warum hast du es denn erst dazu kommen lassen, daß er durch Seine Majestät um deine Hand anhält?« fragte sie erregt.
»Surja ist mir unsympathisch – ich mag ihn nicht«, entgegnete Amarin nach einer kleinen Pause niedergeschlagen.
»Hättest du mich damals ins Vertrauen gezogen und mir alles erzählt, so hätte ich dir wahrscheinlich helfen können. Aber nachdem jetzt der König den offiziellen Antrag gestellt hat, ist eine Absage vollkommen ausgeschlossen. In dieser Zeit müssen wir alles vermeiden, was eine Verstimmung zwischen dem Hof und deinem Vater hervorrufen könnte. Du weißt doch ebensogut wie ich, daß er nach Bangkok zurückkehren und Ministerpräsident werden soll!«
»Ich wünschte nur, er wäre schon hier«, erwiderte Amarin traurig und verzweifelt. »Dann hätte Surja nicht gewagt, sich an den König zu wenden!«
»All die Jahre habe ich mich nun abgemüht und darauf hingearbeitet, daß dein Vater zurückkommen kann«, entgegnete Chanda hitzig. »Den größten Widerstand setzte die Altsiamesische Partei unter Murapong diesem Plan entgegen. Endlich habe ich ihn beruhigt und so weit gebracht, daß er beim König nicht mehr gegen deinen Vater agitiert. Wenn du nun Surja ablehnst, beleidigst du nicht nur ihn, sondern auch den Palastminister und seinen ganzen Anhang. Du weißt doch, wie eng die Leute zusammenhalten und wie gefährlich sie sind. Du mußt also den Antrag annehmen.«
»Surja mag ich nicht leiden, ich kann sein falsches Lächeln nicht ertragen. Aber selbst wenn mir sein äußeres gefiele, würde ich ihn nie zum Manne nehmen. Glaubst du etwa, ich wüßte nicht, wie Surja es treibt? Daß er sich dauernd neue Frauen nimmt?« begehrte Amarin plötzlich leidenschaftlich auf, denn sie war am Ende ihrer Kraft. »Surja ist ein abscheulicher Wüstling, und wenn ich heiraten soll, will ich nicht in einem Harem untergehen!«
Sie hatte sich unwillkürlich erhoben, während sie diese Worte erregt hervorstieß.
Chanda sah sie bestürzt und fassungslos an, denn dieser jähe Widerspruch kam ihr vollkommen unerwartet. Wenn sich Amarin so feindselig gegen eine Heirat mit Surja stellte, waren alle Energie und alle Anstrengungen zur Erreichung des großen Ziels umsonst gewesen.
Sie mußte sich erst fassen und antwortete zunächst nichts.
Amarin ging währenddessen einige Male auf und ab. Ihre Erregung legte sich langsam, da sie glaubte, daß sie ihre Tante von der Unmöglichkeit einer Heirat mit Surja überzeugt habe. Sie ließ sich auf einer Couch nieder und blickte durch den großen offenen Bogen zum Sternhimmel empor. Dort oben sah sie die himmlische Ganga (Milchstraße), die ihren Weg zum Paradies des Westens nahm. Dorthin wandte sich ihre Sehnsucht, fort von dieser Welt des Leidens. Dort würde sie in einer neuen, schöneren und reineren Existenz den Geliebten wiederfinden.
Ach, wenn doch die Fesseln ihres jetzigen Lebens schon von ihr genommen wären!
Sie wollte ihm vorauseilen in die Gefilde seligen Friedens und ungetrübten Glücks. Wenn er dann auch im Paradies des Westens im Kelch einer himmlischen Lotosblüte erwachte, würde sie Hand in Hand mit ihm zum Korallenbaum schweben.
Durch den magisch starken Duft seiner Blüten würde auch in ihm die klare Erinnerung an alle früheren Daseinsformen erwachen, in denen er glücklich mit ihr vereint gewesen war.
Chanda hatte sich inzwischen gesammelt. Sie konnte es nicht dulden, daß der Eigensinn und Trotz dieses unerfahrenen, störrischen Kindes ihre wohldurchdachten Pläne zum Scheitern brachte. All ihre Hoffnungen drohten zusammenzubrechen. Das konnte sie nicht ertragen, und in heftigem Zorn sagte sie alles, was sie bewegte.
Amarin erschrak aufs tiefste, als sie durch diesen leidenschaftlichen Ausbruch ihrer Tante aus ihren Träumen gerissen wurde.
Sie fühlte sich zu schwach, um weiterzukämpfen. Müde erhob sie sich, um fortzugehen und das ihr unerträgliche Gespräch abzubrechen.
Chanda faßte das Verhalten ihrer Nichte als Beleidigung und Herausforderung auf.
»Du bleibst hier«, befahl sie energisch. »Die Sache mit dem Heiratsantrag muß sofort entschieden werden. Diesmal darfst du nicht ausweichen. Der König verlangt noch heute abend telefonischen Bescheid.«
Amarin sank willenlos auf ihren Sitz zurück.
»Das ist nun der Erfolg der modernen Erziehung«, fuhr Chanda empört fort. »In undankbarer, herzloser Weise denkst du nur an dich und daran, daß es dir gut geht. Leichtfertig zerstörst du dadurch die Lebensarbeit deines Vaters und vereitelst seine Rechtfertigung. Denkst du auch daran, wie viele Jahre er unschuldig unter den gemeinen Lügen gelitten hat?«
Dieser Vorwurf brannte wie Feuer in Amarins Seele.
Chanda hatte nur zu recht, wenn sie die Intrigen der Partei Murapongs fürchtete. Plötzlich fiel Amarin auch der Vorfall auf der Polizeistation wieder ein. Auf allen Seiten sah sie drohendes Unheil, und sie sehnte sich doch nur nach Ruhe.
Durch die Begegnung mit Warwick war die Liebe zu ihrem Vater in den Hintergrund gedrängt worden, aber jetzt war er wieder der einzige, der sie verstand und der sie hätte trösten können. Die Worte ihrer Tante erweckten in ihr die Vorstellung, daß sie nur den Antrag Surjas anzunehmen brauche, um Akani nach Bangkok zurückzurufen. Wenn ihr Vater hier wäre, würde sie ihm all ihre Sorgen anvertrauen, und er würde ihr helfen. Die Sturmflut unglücklicher Ereignisse hatte ihre Widerstandskraft zermürbt.
»Du hast recht«, sagte sie resigniert und apathisch. »Es bleibt mir nichts anderes übrig – ich nehme Surjas Antrag an.«