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34

Evelyn schaute dem Wagen ihres Onkels nach, als er in schnellem Tempo davonfuhr.

Es beunruhigte sie stark, daß Ronnie noch nicht gekommen war, und auch der Einbruch erschien ihr sehr merkwürdig.

Schließlich rief sie den Boy, um mit ihm zur Garage zu gehen. Bevor sie sich auf den Weg machte, steckte sie zur Sicherheit eine Browningpistole ein.

Als sie hinkam, fand sie den Chauffeur und mehrere Angestellte der Firma, wie sie den Wellblechschuppen und dessen Umgebung nach neuen Spuren und Anhaltspunkten durchsuchten.

Beim Schein des elektrischen Lichtes sah sie die schmale, dünne Blutspur. Da sie aber nichts Besonderes feststellen konnte, kehrte sie wieder zum Hause zurück. Die Einsamkeit bedrückte sie schwer, und traurige Gedanken kamen über sie.

Die große, altmodische Standuhr im Speisezimmer schlug mit langsamen, eigentümlich summenden Schlägen die zehnte Stunde.

Als Evelyn wieder auf die Veranda hinaustrat, schrak sie zusammen. Der Hauch eines unhörbaren Flügelschlags berührte gespenstisch ihr Gesicht, und sie sah deutlich einen Fliegenden Hund, der auf der Veranda hin und her flog und sich gegen den hellen, mondklaren Himmel abhob.

Gleich darauf fuhr ein Auto durch ein Tor in der Umfassungsmauer und bog zur Auffahrt ihres Hauses ab. Unheimlich wie zwei große, glühende Augen leuchteten die Scheinwerfer, die mit blendenden Lichtkegeln die Veranda abtasteten. Sollte etwa Onkel Gregory schon zurückkommen? Sie hatte sich doch gerade gefreut, daß er abgefahren war, weil sie dann Ronnie ungestört sprechen konnte.

Draußen sprang jemand auf den mit Steinplatten belegten Weg und schlug die Wagentür laut und dröhnend zu. Nein, Onkel Gregory konnte das nicht sein, er war nicht so heftig.

»Wer ist da?« fragte sie rasch und drehte das Licht auf der Treppe und der Veranda an.

»Hier Ronnie! Gefechtsbericht direkt von der Front!«

»Komm sofort herauf und schreie nicht so laut da unten«, erwiderte sie mit gedämpfter Stimme. »Drehe aber vorher die Scheinwerfer ab!«

Mit wenigen Sätzen stürmte er die Treppe hinauf. Seine melancholische Stimmung war wieder verflogen, als er Evelyn sah. Auf ihren Wink nahm ihm der Boy den Tropenhut ab, den er trotz der späten Stunde noch trug.

»Hast du gute Nachrichten?« fragte sie schnell, als der Boy nach unten gegangen war.

»Melde gehorsamst: Plan vorzüglich geklappt, Feind auf der ganzen Linie geschlagen«, entgegnete er, schlug die Hacken zusammen und hob militärisch grüßend die Hand.

»Ronnie, bitte, laß den Unsinn! Ich will wissen, was geschehen ist.«

»Bitte tausendmal um Entschuldigung.« Er grüßte wieder militärisch.

»So erzähle doch endlich!«

»Warwick mit Prinzessin kurz nach acht in Motorboot Richtung Insel Ko-si-chang abgefahren. Ich selbst habe Kommando über Autofuhrpark übernommen und mich befehlsgemäß auf Operationsbasis zurückgezogen.«

»Jetzt übernehme ich das Kommando und verbiete dir diesen Unfug! Kannst du denn niemals vernünftig sein, Ronnie? Sprich doch ordentlich und in zusammenhängenden Sätzen!« rief sie verzweifelt.

Der Boy brachte Whiskysoda.

Ronnie setzte sich in einen Korbsessel, schlug die Beine übereinander und lehnte sich behaglich zurück.

»Also höre. Nach unserem Plan sollte ich doch am Kanal in der Nähe des Palais Akani Punkt halb sieben einige Leuchtkugeln abbrennen, um die Aufmerksamkeit der Wachtposten abzulenken. Ich hatte mir auch Raketen besorgt, um einen größeren Effekt zu erzielen und auf die Leute noch mehr Eindruck zu machen.

Mit meinem Boy war ich rechtzeitig zur Stelle – als die Sache aber anfangen sollte, hielt dieser Strolch gleich die erste Rakete schief, weil er Angst hatte, daß sie ihn beißen könnte. Ich hatte die Zündschnur schon angesteckt. Das Ding ging los und fuhr in das Attapstrohdach eines Brennholzschuppens, der in der Nähe stand und auch noch zum Palais Akani gehört. Und ehe wir uns versahen, loderte der Kasten in hellen Flammen.

Da blieb weiter nichts übrig, als einfach Reißaus zu nehmen und Fersengeld zu zahlen. Ich habe sogar den schönen Kram im Stich lassen müssen, und dabei wollte ich doch ein ebenso herrliches Feuerwerk machen, wie ich es hier bei Leichenverbrennungen gesehen habe. Was sonst noch passiert ist, kann ich nicht sagen, weil ich ja dann mit dem Motorboot den Kanal zum Menam hinunterfahren mußte. Der Parole gemäß kam ich um dreiviertel acht in Paknam an. Bei der Zollstation wollten sie mich nicht durchlassen, und es gab einen ärgerlichen Aufenthalt. Fast zehn Minuten kam ich zu spät, aber es klappte schließlich doch noch alles.«

Evelyn war froh, daß sie wenigstens soviel von Ronnie erfahren hatte.

»Wie ging es denn Warwick? War in zuversichtlicher Stimmung?«

»Das könnte ich nicht behaupten – er war kratzig wie die verrosteten Zähne einer alten Baumsäge.«

»Was soll denn das heißen? Ich muß gestehen, daß ich deiner poetischen Ausdrucksweise nicht ganz folgen kann.«

»Ich hatte doch den großartigen Plan, die Prinzessin selbst auf den Dampfer und in Sicherheit zu bringen. Der Sterndeuter hat auch gesagt, daß ich sie retten würde. Aber Warwick hat mich einfach am Ufer stehen lassen und ist mit ihr davongefahren.«

»Es war aber doch von Anfang an nicht anders verabredet, Ronnie!«

»Zu Befehl, dann muß ich eben alles zurücknehmen.«

Evelyn schüttelte den Kopf.

»Wann sind sie denn von Paknam weggekommen?«

»Um acht Uhr zwölf.«

»Und was hast du inzwischen angestellt? Es ist doch jetzt gleich halb elf!«

»Ich habe militärischen Beobachtungsposten bezogen, um weiteren Verlauf unserer Expedition zu beobachten.«

Evelyn seufzte. Mit Ronnie war nichts anzufangen.

»Wie hast du denn das gemacht?« fragte sie resigniert.

»Ich bin mit dem Auto an eine freie Stelle der Küste gefahren, wo ich genug Übersicht über das Ufer und Ausblick übers Meer nach Ko-si-chang hatte. Dort kletterte ich auf die Rücklehne der Sitze und verfolgte das Motorboot mit dem Feldstecher.

Zuerst ging es auch ganz gut, aber dann verschwand es hinter einer Insel, und ich konnte es nicht mehr sehen. Dafür fuhr aber die ›Manchuria‹ ziemlich langsam an Paknam vorbei. Sie kam glatt über die Barre. Gegen neun Uhr stiegen dann draußen im Golf zweimal rote Leuchtkugeln auf, worauf der Dampfer ein rotes bengalisches Licht auf der Kommandobrücke setzte und die Fahrt verlangsamte.«

»Er hat also den dänischen Dampfer anhalten können«, sagte Evelyn erlöst.

»Das will ich meinen«, bestätigte Ronnie.

»Warum hast du mich denn aber so lange warten lassen? Du solltest mir doch sofort Nachricht geben.«

»Mit strategischer Vorsicht trat ich den Rückmarsch an, um den Überbringer dieser wichtigen Nachricht nicht zu gefährden. Ich kenne nämlich die Wege nicht so gut und bin zweimal auf falsche Straßen geraten. Draußen gibt es keine Wegweiser – deshalb muß ich dich untertänigst bitten, die Verspätung zu entschuldigen.«

»Wenn ich nur noch mehr erfahren könnte«, sagte Evelyn unruhig.

Sie hatte kaum auf Ronnies Erklärung gehört und ging nervös auf und ab.

»Da mich das Schicksal nun einmal zu deinem Adjutanten abkommandiert hat, werde ich befehlsgemäß sofort weitere Nachrichten einholen.«

Ronnie eilte zum Telefon.

Evelyn folgte ihm etwas verwundert und besorgt, da sie nicht wußte, was er vorhatte. Bei Ronnies Unternehmungen mußte man immer auf Überraschungen gefaßt sein. Hastig nannte er eine Nummer, fragte dann nach Pra Upatet und erkundigte sich, ob etwas Neues vorgefallen sei. Evelyn konnte aber aus der Unterhaltung nichts entnehmen.

»Die alte Walnuß hat doch glücklich wieder alles ausgeplappert!« rief Ronnie aufgeregt, nachdem er den Hörer aufgelegt hatte. »Ich habe im Palastministerium selbst angerufen. Gegen Warwick und die Prinzessin ist eben Haftbefehl erlassen worden! Jetzt verstehe ich, warum der gute Junge mich nicht mit ihr fahren ließ! Er wollte mich nicht in Gefahr bringen!«

Ronnie überlegte einen Augenblick.

»Ich muß sofort zu Pra Upatet und ihn darüber aufklären, daß Warwick vollkommen unschuldig ist. Wie die Leute auf einen so irrsinnigen Verdacht kommen können, ist mir schleierhaft. Die müssen mindestens ein Dutzend Moskitonetze vor den Augen haben!«


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