Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

39

Die Enttäuschung der vergangenen Nacht steigerte Prinz Surjas Erregung, denn er hatte mit größter Bestimmtheit die Festnahme der Flüchtlinge erwartet. Nervös ging er im Kommandeurzimmer der Fliegerstation an der Menammündung auf und ab. Geschlafen hatte er nicht. Überreizt und übermüdet setzte er sich an den großen Schreibtisch, um zu überlegen, aber nach und nach sank sein Kopf tiefer und tiefer, und er nickte ein.

Die ihm unterstellten Marineluftstreitkräfte und der ganze Nachrichtendienst standen in erhöhter Alarmbereitschaft. Plötzlich schrillte das Telefon auf seinem Schreibtisch. Er fuhr auf und nahm sofort den Hörer ab.

»Meldung von der Gendarmerieküstenstation südlich Ratburi, Königliche Hoheit«, sagte der Adjutant. »Ich verbinde direkt.«

»Hier Kommandeur der Gendarmerieküstenstation –«

»Schon gut – was gibt's?« fragte Surja schnell.

»Vor sechs Minuten ging unbekanntes Flugzeug in der Nähe der Station auf dem Meklong nieder. Ein am Ufer verstecktes Motorboot steuerte es an und landete mehrere Passagiere. Da das Flugzeug auf Signal nicht stoppte, wurde es von großem Patrouillenboot unter Feuer genommen, konnte aber trotzdem starten. Nach Aufstieg flog es in westlicher Richtung davon. Ich habe Verdacht, daß es sich um den flüchtigen Mr. Warbury handelt.«

»Das glaube ich auch. Es scheinen ja schöne Schlafmützen in Ratburi zu sitzen! Wie konnten Sie das Flugzeug entwischen lassen!« Dann besann sich Surja eines Besseren. Unnötige Zeit durfte er nicht verlieren, den Offizier konnte er noch später abkanzeln. »Ist sonst noch etwas zu melden?« fragte er, nachdem er vorher den Hörer schon halb gesenkt hatte.

»Das aufgefischte Boot hat den Namen ›Delphin‹ und ist in Bangkok stationiert.«

»Unwichtig!« erwiderte Surja scharf und donnerte den Hörer nieder, so daß der Apparat fast in Trümmer ging. Schnell entschlossen sprang er auf und eilte in das Zimmer des Adjutanten.

»Flugstaffel I steigt sofort auf! Ich selbst übernehme das Kommando an Bord der Führermaschine. Sechs Gurte Leuchtmunition an Bord nehmen und Maschinengewehr laden.

Weitere Befehle! – Erstens an Grenzstaffeln V und VII, Bezirk Ratburi: sofort aufsteigen, birmanische Grenze sperren. Staffeln sollen Ausführung des Befehls funken.

Zweitens an alle Beobachtungs- und Nachrichtenstationen Ratburi und angrenzende Bezirke: das von der Meklongmündung zwölf Uhr zwei mit westlichem Kurs aufgestiegene Flugzeug ist zu beobachten. Kurs dauernd an Zentrale melden.

Da dringende Eile geboten, sind bis auf Widerruf alle Befehle und Meldungen in offener Sprache durchzugeben.«

Auf dem Aufstiegplatz herrschte fieberhaftes Treiben, und einige Minuten später startete die Staffel der großen, dreisitzigen Doppeldecker in westlicher Richtung. Schon seit dem frühen Morgen standen die fünf modernen französischen Maschinen zum Abflug bereit. Sie konnten bis zu dreihundertundzehn Kilometer Stundengeschwindigkeit entwickeln und sowohl als Beobachtungs- wie auch als Bombenflugzeuge verwendet werden.

Während des Aufstiegs rechnete der Prinz aus, daß Miß Breyfords Flugzeug – nur um dieses konnte es sich handeln – einen Vorsprung von nicht ganz neunzig Kilometer haben mußte. Aber wenn die birmanische Grenze gesperrt war, konnte es ihm nicht entgehen.

*

Mit knapper Not war der Start des »Meteor« gelungen.

Warwick saß am Steuer, Evelyn neben ihm, und Amarin hatte auf dem hinteren Sitz Platz genommen. Bei dem regen Verkehr auf dem Fluß überrannte das Flugzeug beim Aufstieg verschiedene Boote, die nicht mehr ausweichen konnten, aber es blieb keine Zeit, sich darum zu kümmern. Die Siamesen, die hier am Fluß wohnten, konnten schwimmen wie die Fische, und ein kleines Bad konnte ihnen nicht schaden.

Bis zur birmanischen Grenze waren es ungefähr einhundertundzwanzig Kilometer, die er in etwa einer halben Stunde zurücklegen konnte. Unnötig wollte er die Motoren nicht überlasten und ließ es deshalb vorläufig bei der gewöhnlichen Reisegeschwindigkeit von zweihundertundfünfzig Stundenkilometer. Der »Meteor« stieg dauernd, um die birmanischen Grenzgebirge in genügender Höhe überfliegen zu können und nicht in die Wirbelwinde am Abhang der Berge zu geraten.

In der geschlossenen Kabine konnten sie sich verständigen, wenn es auch schwierig war. Bis jetzt hatte alles geklappt. Aber plötzlich summte es in den Kopfhörern, und Warwick verstand den Befehl, daß die Grenze gesperrt werden solle. Evelyns siamesische Sprachkenntnisse reichten dazu nicht aus.

In scharfer Kurve bog er sofort nach Norden ab.

Gleich darauf fing er den Befehl an die Beobachtungsstationen auf, beugte sich zu Evelyn vor und teilte ihr mit, was er gehört hatte.

Sie nickte nur.

»Gürtel fester schnallen«, sagte Warwick kurz.

Evelyn folgte sofort der Aufforderung. Nachdem Sie Warwick geholfen hatte, der seinen linken Arm nicht mehr richtig gebrauchen konnte, neigte sie sich nach rückwärts über die Lehne ihres Sitzes, legte Amarin die Ledergurte um und zog die Schnallen an. Dann befestigte sie selbst die Gurte um ihren Oberkörper.

Entsetzt starrte Amarin sie an, denn sie wußte nicht, was das bedeuten sollte.

Aber Evelyn nickte ihr begütigend zu, und die Prinzessin beruhigte sich wieder.

Jetzt galt es! Die Maschine mußte das Letzte hergeben. Warwick öffnete die Drosselklappe und gab Vollgas. Laut knatterten die Motoren, und der Geschwindigkeitsmesser stieg auf zweihundertundsechzig – siebzig – achtzig – fünfundneunzig – dreihundert –

Bestürzt zeigte Evelyn auf die Skala.

Aber Warwick achtete nicht darauf. Als die Nadel schließlich um dreihundertundzehn pendelte, winkte er Evelyn.

»Karte hinhalten!« rief er ihr zu.

Der gerade Weg nach Westen war abgeschnitten – es blieb also nur übrig, nach Norden auszubiegen. Über den großen Waldungen hatte er Aussicht, der Beobachtung der Nachrichtenstationen zu entgehen, und so steuerte er die ihm bekannte Gegend an, wo die Teakholzkonzessionen der Firma lagen.

Der Salvenfluß war sein Ziel, der in einer Länge von etwa hundert Kilometer die gemeinsame Grenze zwischen Siam und Britisch-Indien bildete. Um diese Linie zu erreichen, mußte er Raheng, die nördlichste Fliegerstation, seitlich liegenlassen und im Osten vorbeisteuern. Die dortigen Grenzstaffeln besaßen nur alte Flugzeuge mit höchstens zweihundert Kilometer Geschwindigkeit – mit denen würde er schon fertig werden.

Bis zum Salvenfluß waren es nicht mehr ganz fünfhundert Kilometer, also noch über anderthalb Stunden Flugzeit.

Fünfzehn Minuten vergingen, ohne daß sich etwas ereignete. Warwich suchte vor allem große Höhe zu entwickeln. Die Motoren zogen vortrefflich.

Wieder fing er eine Nachricht auf. Die Bodenstationen meldeten tatsächlich genau den Fortschritt ihres Fluges. Er mußte also noch höher steigen, um sich ihrer Beobachtung zu entziehen.

Aufs neue summte es in den Kopfhörern. Die Staffeln V und VII erhielten Befehl, die Sperre dauernd weiter nach Norden zu verlegen. Das hemmte Warwicks Bewegungsfreiheit.

»Evelyn, sieh nach rechts und nach rückwärts, ob Flieger kommen«, rief er kurz.

»Bis jetzt ist nichts zu entdecken«, entgegnete sie nach einiger Zeit.

»Wieviel Fallschirme sind an Bord?« fragte er.

»Zwei.«

»Wann sind sie zuletzt neu eingepudert und zusammengelegt worden?«

»Vor zwei Tagen.«

»Gut. Schnalle dir und Amarin je einen um.«

»Das ist schwierig. Meiner liegt vorne halb rechts von mir, den kann ich sofort als Tornister anschnallen. Aber der andere liegt hinten im Gepäckraum.«

»Fallschirme anschnallen«, wiederholte Warwick kurz.

»Aber du mußt doch auch einen haben«, widersprach Evelyn.

Warwick sah zu ihr hinüber, und ihre Blicke begegneten sich. Sekundenlang kämpften sie einen wortlosen Kampf, aber Warwicks Auge blieb unerbittlich, und schließlich schaute Evelyn zu Boden.

Ein Gefühl von Bitterkeit stieg in ihr auf.

»An Bord kann nur einer befehlen.« Warwick klemmte für eine Sekunde den Knüppel zwischen die Knie und legte ihr begütigend die Hand auf den Arm.

Sie sah ihn an, nickte und lächelte wieder. Dann löste sie vorsichtig ihre Gurte und kletterte an Amarin vorbei. Nach einigen Anstrengungen konnte sie den Fallschirm klarmachen, aber es dauerte lange, bis sie ihn der Prinzessin kunstgerecht angelegt hatte.

Weiter ging der Flug. Der Höhenmesser zeigte jetzt zweitausenddreihundert Meter, aber Warwick hörte immer noch Meldungen über die Position des »Meteor«, sogar einschließlich der Höhe, die richtig angegeben wurde.

Die Flugzeuge der Grenzstaffeln konnten kaum so große Geschwindigkeit haben wie er selbst – bei zähem Durchhalten würde er sie zurücklassen. Aber vorläufig mußte er noch mit ihnen rechnen.

Weder Evelyn noch er hatten bisher irgendein Flugzeug gesichtet, und sie fingen jetzt auch keine weiteren Befehle oder Nachrichten von der Erde mehr auf.

Der »Meteor« leistete Ungewöhnliches. Die Motoren arbeiteten einwandfrei, obwohl die tolle Jagd nun schon eine Stunde und zwanzig Minuten dauerte.

Plötzlich vernahm Warwick wieder Geräusche im Kopfhörer, die er zunächst nicht verstehen konnte.

Was hatte das zu bedeuten? Er gab sich die größte Mühe, die Worte aufzufangen, und schließlich gelang es.

Prinz Surja sprach von Bord eines Flugzeugs mit dem Führer der vorderen Grenzstaffel VII. Sie wurden also auch von einer anderen Seite aus verfolgt! Und wenn er den Spruch auffangen konnte, war Surja mit seinen Maschinen nicht mehr allzu weit von ihnen entfernt!


 << zurück weiter >>