Sir John Retcliffe
Nena Sahib
Sir John Retcliffe

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Der blutige Arm

Der Leser erinnert sich noch der Beschreibung, die Hartmann Jonas, der Wucherer, der schönen Baronin Savelli zur Auffindung des roten Joël und seines Schützlings, des schönen Jack, gegeben.

Der dumpfe Nebel, der den größten Teil der riesigen Stadt früh und abends erfüllte, verstärkte die bereits hereingebrochene Dämmerung des Sommerabends, als ein schlanker Bursche in Matrosenkleidung durch High-Street in White Chapel hastig dahinschritt, von dieser in Unions-Street einbog und den Weg durch Church-Lane nach dem engen Straßengewirr von Smithfield verfolgte. Der junge Mann bog eben in die Ellen-Street, als er zwei Männer an sich vorbeigehen sah, deren unerwartete Begegnung ihn zu erschrecken schien; denn er bog den Kopf nieder, daß der breite Hutrand sein Gesicht vollständig verbarg, obschon die Vorübergehenden auch nicht im geringsten seiner Person achteten.

»Ich denke,« sagte der Größere von den beiden, »Sie werden heute noch Gelegenheit haben, so viel von dem Treiben unserer Flüchtlings-Propaganda zu sehen, daß Sie ein genügendes Gefühl des Ekels bekommen, welches Sie vor jeder näheren Verbindung bewahren wird.«

»Sie urteilen hart,« sagte Walding, der deutsche Arzt, denn dieser und der Kapitän Ochterlony waren die beiden Wanderer. »Sie, der Sie selbst so mutig und unermüdlich für die Freiheit und die Rechte Ihres Vaterlandes streiten.«

»Für seine gesetzliche Freiheit, für seine vernünftigen Rechte – nicht für unsinnige Forderungen, die mit keiner Regierungsform Bestand haben können. Oder meinen Sie, daß es mit Ihrer republikanischen Freiheit und Proudhons Sozialismus in Frankreich lange dauern werde? – Es ist heute der Tag, an dem sich die Ausschüsse aller nationalen Komitees zu versammeln pflegen, um ihre gegenseitigen Pläne und Interessen auszutauschen. Achten Sie auf alles und bemerken Sie alles, aber mengen Sie sich möglichst in keine Debatte, dann können Sie ohne Gefahr der Versammlung beiwohnen, so lange es Sie interessiert, auch wenn ich, wie ich Ihnen bereits gesagt, infolge eines gegebenen Versprechens, Sie binnen einer Stunde verlassen muß.«

Der junge Matrose hatte nur einen Teil der Worte gehört, aber die letzten verstanden und machte eine Bewegung, die beinahe die Aufmerksamkeit der Sprechenden auf ihn gezogen hätte, da der Kapitän in diesem Augenblicke stehen blieb.

»Lassen Sie einen Augenblick mich orientieren,« sagte er, »dieses Häusergewirr in Smithfield könnte selbst einen Policeman irre führen. Richtig, da drüben sehe ich die Laternen von New-Road, und dort blinkt die rote Scheibe der Taverne vom »Hammer und Amboß« – wir müssen sogleich zur Stelle sein.« Er bog nach der James-Street ein, die auf New-Road hinausführt, und der Matrose sah die beiden in dem Eingang jener Taverne verschwinden.

Er ging zurück und fand nach längerem Suchen die Schenke zum »Blutigen Arm«, den Verbrechern wie den Policemen von London ein gar wohl bekannter Ort.

Er trat dicht an die Tür heran und klopfte dreimal in Zwischenräumen auf eine besondere Weise an.

Sofort wurde die Tür von einer unsichtbaren Hand aufgetan. Ein großer Neger in einem roten Matrosenhemd und einem schmutzigen ledernen Beinkleid, ein breites Schiffermesser in lederner Scheide im Gürtel, saß auf einem Schemel in der Nähe einer zweiten Tür.

Der Matrose warf ihm einen Schilling zu, und der Mohr öffnete die Tür.

Eine Wolke von Licht, Tabaksqualm und Branntweingeruch quoll ihnen entgegen, als er in den ziemlich weiten Raum des Parlour einer Schenke der untersten Sorte eintrat.

Der Lärm war so betäubend, der Qualm von allerlei Ausdünstungen so dicht und erstickend, daß der junge Mann sich anfangs, trotz der ziemlich hellen Beleuchtung durch Öllampen, nicht orientieren konnte.

Erst nach und nach vermochten seine Augen die Gestalten zu erkennen oder den Raum zu überschauen.

Das Parlour war um eine Stufe gegen den etwa zweimal so großen Raum des thap oder der eigentlichen Schenke erhöht, deren sämtliche Tische und Bänke von trinkenden und spielenden Gruppen, worunter auch Frauenspersonen nicht fehlten, eingenommen waren, während im Parlour etwa vier oder fünf Personen an zwei Tischen saßen. Das Kontor – the bar – des Schenkladen, durch ein ziemlich hohes und festes Gitter aus Eisenstäben, in dem sich nur eine breite, fensterartige Öffnung zur Bedienung durch Schenkmädchen befand, von den beiden Räumen abgesondert, war auf einer Seite an der Stelle, wo das Parlour und die thap zusammenstießen, so daß der Besitzer beide Räume zugleich übersehen konnte. Zwei im höchsten Grade frech aussehende Dirnen und ein schmutziger buckliger Bursche besorgten die Bedienung der Gäste.

Der Eintritt des jungen Matrosen hatte wenig Aufmerksamkeit erregt, und er war an das Kontor getreten, hinter dessen Öffnung der Wirt mit Einschenken der verschiedenen Spirituosen eifrig beschäftigt war.

Joël Löwenthal, der rote Joël genannt, war bei den Londoner Polizeiberichten wohl bekannt.

»Ich will den Dalles haben,« sagte der Jude, »wenn ich kenne das schmucke Gesicht. Wo kommt der Herr her, womit kann ihm dienen der Schwächer? Woll'n Sie trinken 'n Glas Blauen oder,« fuhr er flüsternd fort, »haben Sie ä Geschäftche mit dem alten Joël, so können Se schmusen im Vertrauen.«

»Ich komme, um Sie nach Jack Slingsby zu fragen.«

Die süßliche Miene des Juden veränderte sich wie mit einem Zauberschlag. »Main – wie kommt mer der Herr vor? Will er mich auftun? Was weiß ich von dem Spitzbuben, dem Jack Slingsby, soll mer Gott strafen, wenn ich den Namen gehört in meinem Leben!«

Als der Jude den Gitterverschlag wieder verschlossen, der durch eine besondere Lampe erhellt war und selbst das Schankfenster durch einen Schieber abgesperrt, wandte er sich zu seinem Besuch, indem er ihn halb mit neugieriger, halb drohender Miene musterte. »Ich will hoffen, daß der junge Gojim nicht hat gefoppt den Joël Löwenthal mit einer Lüge,« zischte er heftig – »es würde sein dem Barjeh besser, er hätte angefaßt glühendes Eisen. Heraus mit dem Zeichen.«

Der Matrose holte aus seiner Tasche das ihm von Hartmann Jonas übergebene gezeichnete Geldstück und reichte es dem Wirt, der es genau besichtigte. »Als es doch hat seine volle Richtigkeit mit dem Zeichen,« sagte er, – »Hartmann Jonas, mein Freund, der is ein vornehmer Mann, während ich geblieben bin en armer Bal-spiese, wird mir nicht senden mit dem Stück jemand, dem er nicht schenkt volles Vertrauen. Der Herr sieht nicht aus wie ein Matros,« fuhr er mit einem listigen Blick auf das Gesicht des jungen Mannes fort, »die Patschken sind zu weiß und weich, er kann auch nicht sein von der Chewrusse – dazu sieht er aus zu jung und vornehm. Der Herr hat also ein Geschäft, 'nen kleinen Auftrag für uns. Darf ich fragen, mit was kann ich dienen?«

Der Seemann nahm aus der Tasche zehn Guineen und legte sie vor den Wirt auf den Tisch. »Nimm das als Handgeld,« sagte er jetzt, jeder Besorgnis bar, mit fester Stimme – »eben soviel erhältst du, wenn du tust, was ich verlange und mir in aller Weise behilflich bist. Ich habe mit Jack Slingsby zu sprechen, also schaff mir ihn zur Stelle und bring uns an einen Ort, wo wir uns, ohne Gefahr belauscht zu werden, unterreden können.«

»Soll mer Gott,« erwiderte der Jude mit einem bezeichnenden Faunenblick in das bartlose errötende Gesicht und auf die gerundeten Brustformen des verkleideten Seemannes – »der schöne Jack hat verteufeltes Glück beim schönen Geschlecht! Aber verzeihn Sie, ich kann nicht schaffen den Jack zur Stelle, ehe er nicht kommt von selbst, denn er muß sich nehmen sehr in acht vor den Policemen. Aber ich tu erwarten ihn ganz bestimmt in kurzer Zeit und will Sie führen bis dahin an einen Ort, wo Sie sein ganz sicher vor allem Baldowern, so gut wie in Abrahams Schoß.«

Der Jude zündete eine Lampe an, öffnete eine Tür, hinter der eine schmutzige Treppe in die Höhe führte. Er winkte dem jungen Mann, zu folgen, und der junge Matrose sah sich am Ende der Treppe in einem kleinen niedern Zimmer, das außer der Tür nach der Treppe weiter keinen Ausgang hatte. Es war einfach aber ziemlich reinlich möbliert, enthielt eine große eiserne Kiste, ein Himmelbett und an der Wand einen Vorrat von allerlei Männer- und Weiberkleidung, sonst aber durchaus nichts Auffälliges.

Der Wirt setzte die Lampe auf den Tisch, betrachtete noch einmal mit schlauem Blick seinen Besuch und bat um Entschuldigung, daß er ihn hier einstweilen sich selbst überlassen müsse, da er unten in der Schenke unentbehrlich sei.

Es gehörte offenbar ein nicht geringer Mut dazu, so allein und abgesperrt von jeder Hilfe in diesem abgelegenen Gemach der berüchtigten Diebesschenke zuzubringen, doch schien der Person dieser Mut trotz ihres unmännlichen Aussehens nicht zu fehlen. Sobald sie sich allein sah, warf sie den großen, ihr Gesicht halb verbergenden Wachshut auf den Tisch und die etwas bleichen aber entschlossenen Züge Georgas, der schönen Baronin Savelli, kamen zum Vorschein.

Die verkleidete Dame zog zuvörderst aus der Brusttasche ihrer weiten Matrosenjacke einen sehr zierlich gearbeiteten fünfläufigen Revolver, prüfte mit sachverständiger Miene die Pistons und sah sich dann im Zimmer nochmals um.

Die Sammlung von Kleidern an der Wand bot eine seltsame Mischung, wie sie nur eine Trödlerbude oder eine Maskengarderobe zeigt. Der Talar des Advokaten hing neben einer alten Soldatenuniform, ein polnischer Schnürrock bei Schifferkleidern und Kutschermänteln, ein schmieriger Pelz neben dem roten Frack eines Sportsmannes, der Mantille und dem ziemlich eleganten seidenen Damenkleid. Bei dem Umherschieben der Kleider war es ihr, als ob an der dunklen Wand hin und wieder ein schwacher Lichtstrahl leuchtete, und als sie mehrere Röcke bei Seite zog, zeigte sich der schmale Spalt einer geöffneten geheimen Tür in der Wand.

Sie mußte offenbar nur durch Zufall oder Vergessenheit offen geblieben sein. Die schöne Indierin machte sich durchaus keine Skrupel, den geheimen Ausgang aus der Höhle des Juden näher zu untersuchen. Er war lang, schmal und dunkel, mit Ausnahme verschiedener Stellen an beiden Wänden in Gesichtshöhe, aus denen Lichtschein auf die gegenüberliegende Fläche von unten herauf fiel.

Offenbar bildete das Versteck die geheime Hauptniederlage der Bande, deren Hehler und Helfer der Jude war.

Die Neugierde der Baronin richtete sich jetzt auf die Öffnungen, die sie, nachdem sie vorsichtig die Lampe niedergestellt, näher untersuchte. Wie die Besichtigung ergab, waren es auf beiden Seiten Licht- und Schallöcher, die aus untern Gemächern in die Höhe führten, und deren Öffnungen in jenen an den Borden der Plafonds als Ventilationsvorrichtungen angebracht oder durch andere Verzierungen verdeckt waren. Sie gewährten von oben her einen vollständigen Einblick in die betreffenden Räume und waren zugleich so sinnreich angelegt, daß sie auch als Hörrohre dienten, welche den Schall der Gespräche aus den unter ihnen gelegenen Abteilungen in die Höhe und deutlich an das Ohr des unbemerkten Lauschers führten.

Solcher Öffnungen befanden sich auf jeder Seite vier. Die zur Linken führten, wie sich die Lady alsbald überzeugte, in den thap, der Schänke zum Blutigen Arm.

Die Öffnungen auf der Seite rechts führten in einen ähnlichen, nur anständiger und besser dekorierten Raum in dem Nebenhause. Es war eine Schenke der höhern Art, mit parlour, bar und thap, aber auf Leute anderen Schlags berechnet, als das Spitzbubengesindel im Blutigen Arm, und die Lady schloß daher nicht mit Unrecht, daß beide Häuser nach verschiedenen Straßen mündeten und nur mit den Hinterwänden aneinander stießen, zwischen denen das zum Lauscherposten nach beiden Seiten eingerichtete Versteck lag. Diese Annahme fand ihre Bestätigung, als die Baronin die Figur des Juden erkannte, der in einem anständigen schwarzen Rock die sehr zahlreich versammelten Gäste durch zwei oder drei Kellner bedienen ließ.

Die Versammlung in der Gentlemen-Schänke bot übrigens gleichfalls einen ziemlich gemischten Charakter, was Tracht und Aussehen betraf. Dicke, verwilderte Backen- und Schnurrbärte, gegen die englische Sitte, verkündeten bei den meisten, daß sie Ausländer seien. Jedes Alter, jede Nation, jeder Stand schien hier vertreten. Eine wahrhaft babylonische Sprachenverwirrung schlug aus den verschiedenen Gruppen zu dem Ohr der zufälligen Lauscherin.

Ein englisches Wort – eine bekannte Stimme, die an ihr Ohr traf, wendete ihre Aufmerksamkeit auf die Kabine, die sich gerade unter ihr befand; sie lenkte ihre Augen dahin und erkannte mit Überraschung in dem dort ruhig und beobachtend bei einem Porterkrug Sitzenden den Kapitän Ochterlony, das Mitglied des Unterhauses, und seinen neuen Freund, den deutschen Arzt Walding, die beiden von ihrem verstorbenen Bruder ernannten Testamentsvollstrecker.

Die Worte, die sie auf dem Wege durch die Straßen von dem Kapitän gehört, gaben ihr sofort Aufklärung über die Versammlung. Sie befand sich – beide belauschend – zwischen dem gefährlichsten Verbrecherschlupfwinkel Londons und der Versammlung des europäischen Zentralkomitees der republikanischen Propaganda.

Die Neugier der Lady war von der Szene auf beiden Seiten so erregt, daß sie kaum an eine Überraschung durch den roten Joël und daß dieser ihr eine böse Stellung bereiten könne, dachte, und abwechselnd lauschte sie mit Auge und Ohr an den verschiedenen Öffnungen.

»As de sollst gehn kapores, verfluchte Goie!« keuchte eine Stimme dicht am Ohr der Baronin, die sich mit starker Faust gepackt und von dem Spähloch hinweggerissen fühlte. In dem matten Licht, das durch die Öffnungen in den Gang fiel, blitzte ein scharfes Messer über ihr.

Mit einer Geistesgegenwart und Gewandtheit, die man kaum einer Dame hätte zutrauen können, entschlüpfte die Indierin der Faust ihres Gegners, in dem sie mit einem Blick den roten Joël erkannte, und stürzte aus dem Korridor durch die halb geöffnete Tür in das Wohnzimmer des Juden.

Aber hier fand sie vor dem Ausgang nach der Schenke den »schönen Jack« stehen, der erstaunt bald auf die durch den Griff des Juden in Unordnung gebrachte und vorn gerissene Kleidung des jungen Matrosen sah, die ihm jetzt die vollen Formen eines Frauenbusens verriet, bald auf den roten Joël, der mit erhitztem Gesicht und häßlich funkelnden Augen, Fluchworte ausstoßend, auf den schönen Flüchtling zustürzte, das blitzende Messer erhoben.

Die Baronin, den Weg zur weiteren Flucht versperrt sehend, war hinter den Tisch gesprungen und streckte jetzt, im augenblicklichen Schutz dieser Verschanzung, den gespannten Revolver ihrem Verfolger entgegen.

»Einen Schritt weiter, Mann,« sagte sie entschlossen, obwohl mit keuchender Stimme, »und eine Kugel zerschmettert dir den Kopf. Was willst du von mir, warum versuchst du mich zu morden?«

Der schöne Jack hatte den wütenden Juden am Arm gefaßt. »Wenn das die Person ist, die mich sprechen will, was fällt dir ein, sie abzuschlachten wie ein Huhn, alter Gurgelabschneider?«

»Laß mer sein,« tobte dieser, »sie muß werden kappore gezawwert, wenn wir nicht selber woll'n haben den Strick um den Hals. Sie hat gesehen zu viel, sie ist ein Schauter oder wird dibbern den Gausern

»Unsinn, Joël,« sagte der Gentlemen aus Botani-Bay, ihn fester haltend, »was hat die Lady weiter gesehen, als einen Versteck für unsere Kleinigkeiten, und wenn sie hierher gekommen ist, um mit einem von uns Geschäfte zu machen, so wußte sie im voraus, daß das, was sie hier findet, nicht auf dem Markte gekauft ist!«

Der Jude schielte ihn von der Seite an; nur wenigen der Besucher der Diebeshöhle war das wohlangebrachte Versteck bekannt und unter diesen ahnte keiner die Horcheröffnungen.

»Die Pest über sie! wie hat sie gefunden das Versteck? Die Bar minons allein können nicht dibbern

»Ich schwöre bei allem, was mir heilig,« sagte die Dame, »daß ich die Tür zu jenem Raum offen gefunden und daß mich nur die gewöhnliche weibliche Neugier dahin geführt hat. Ich will mich mit jedem Eide verpflichten, nie mit einer Silbe von dem Dasein jenes Gemaches zu sprechen.«

»Das genügt und muß auch dir genügen, roter Joël,« entschied Jack. »Steck dein Messer ein, alter Fuchs, und schneide keine so grimmigen Gesichter mehr, die Lady steht von diesem Augenblick an unter meinem Schutz. Wenn sie uns braucht, ist ihr Schweigen sicher genug. Seien Sie ohne Furcht, Mylady. Wenn Sie ein Geschäft mit mir haben, so stehe ich zu Diensten.«

»Ich vertraue Ihrer Ehre und Ihrem Wort, mein Herr,« sagte die Lady, indem sie das Pistol in Ruhe setzte und wieder in die Brusttasche schob.

»Das können Sie, Mylady,« schwor der Spitzbube geschmeichelt. »Soll ich diesen alten Schuft die Treppe hinunter werfen, um mit Ihren reizenden Augen allein zu sein?«

»Mißverstehen wir uns nicht, Herr,« sagte die Lady kalt.

»Bitte – bleiben Sie in der Entfernung, wo Sie sind, und wenn Sie jenen Mann entfernen können, so tun Sie es. Es ist nicht nötig, daß überflüssige Zeugen bei unserer Unterredung zugegen sind. Übrigens kann Ihnen dieser Mann da sagen, daß ich von einer zuverlässigen Person legitimiert bin, die mir gerade Sie bezeichnet hat. Hier ist der Rest des Goldes, daß ich dir versprochen!« Sie warf dem Juden zehn Sovereigns hin, die dieser begierig aufraffte, worauf er sich, nachdem er die Tür der verborgenen Galerie auf eine nur ihm bekannte Weise verschlossen hatte, entfernte.

»Ich habe Ihnen bereits angedeutet,« eröffnete die Dame sogleich das Gespräch, »daß Sie mir von einer vertrauten Person als ein eben so gewandter wie kühner Einbrecher bezeichnet sind, der vor keiner Schwierigkeit und keiner Gefahr zurückweicht.«

»Mylady schmeicheln mir,« sagte Jack mit zartem Erröten, »ich tue, was ich kann – indes für die Krone des schönen Geschlechts würde ich das Möglichste aufbieten.«

»Es handelt sich darum, aus einem verschlossenen Zimmer, ohne daß eine Spur äußeren Einbruchs zurückbleiben darf, ein Paket Schriften zu entwenden. Ist dies möglich?«

»Haben Sie zunächst die Güte, Mylady, mir die Lage des Zimmers und die Art des Verschlusses mitzuteilen. Aber bitte, Mylady – nehmen Sie Platz. Sie sind unterm Schutz meiner Ehre und vollkommen sicher.«

Die Lady machte eine verächtliche Miene mit der Hand. »Das Zimmer,« sagte sie, »ist ein Eckzimmer nach vorn, in der ersten Etage, mit zwei Eingängen. Das hintere Nebenzimmer sieht auf einen kleinen Garten, der an einen ziemlich einsamen Square grenzt. Die Tür nach dem Hinterzimmer, das von außen leicht zugänglich, ist von innen mit einem Nachtriegel geschlossen, die zweite Tür nach der Zimmerreihe ist von außen doppelt verschlossen, und der Verschluß mit zwei Siegeln versichert. Diese dürfen unter keinen Umständen verletzt werden.«

»So bleibt uns also nur die von innen verriegelte Tür!«

»Aber wie diese öffnen?«

»Das ist meine Sache. Sind sonst keine Hindernisse vorhanden?«

»Es – liegt eine Leiche im Zimmer. Sie werden ihr Lager genau untersuchen müssen, ob darin Papiere verborgen sind. Sie scheuen sich doch nicht davor?«

Der schöne Jack zuckte die Achseln. »Ich habe mir einmal das Vergnügen gemacht, eine ganze Gruft zu plündern.«

»Es wird nötig sein, daß Sie für alle Fälle einen entschlossenen Begleiter haben. Ich hoffe, daß der Flügel des Hauses leer ist – aber es wäre möglich, daß einer der Diener, ein Indier, Ihr Unternehmen hinderte. In diesem Fall – ich muß die Papiere unbedingt haben!«

Auf der Stirn des schönen Jack zeigte sich zwischen den Augenbrauen und um den hübsch geformten Mund ein unheimliches Lächeln. »Seien Sie unbesorgt, Mylady – Sie werden erhalten, was Sie wünschen, nur müssen Sie mir dann überlassen, die geeigneten Mittel zur Abwendung eines Verdachtes zu ergreifen. Aber die Zeit und der Ort?«

»Es muß noch diese Nacht geschehen, in höchstens zwei Stunden – Zu dieser Zeit wird der Herr des Hauses, sein gefährlichster Hüter abwesend sein. Sobald Sie mir die Papiere an den Ort bringen, den ich Ihnen bezeichnen werde, erhalten Sie fünfzig Guineen. Jetzt bin ich bereit, Sie selbst an Ort und Stelle zu führen und Ihnen über die Lokalität die nötigen Anweisungen zu geben. Lassen Sie uns sobald wie möglich aufbrechen.«

Der galante Dieb führte die Baronin durch die bar, die leer war, da der rote Joël wahrscheinlich seine Gentlemen-Gäste in dem Nebenhause bediente, und durch die Schenkstube, wo nur wenige Personen noch versammelt waren, weil die meisten sich an die Ausgänge der Theater begeben hatten. Jack Slingsby warf unter diesen einen musternden Blick umher und blieb dann vor dem Leichendieb stehen, der bei der Ginflasche zurückgeblieben war und sein geschwollenes Auge badete.

»Fang die Kur morgen wieder an, Dick Hampton,« flüsterte der Spitzbube, »es gibt Arbeit für dich heute Nacht und zehn Pfund zu verdienen.«

Der Burker schielte ihn mit dem gesunden Auge grimmig an und machte eine bezeichnende Bewegung mit der Faust. »Dergleichen?« brummte er. »Ich bin gerade heute in der Laune!«

»Unsinn, Mann, du weißt, daß ich mich mit dergleichen nicht einlasse, außer – im äußersten Notfall. Es ist eine leichte Arbeit und ich brauche nur einen entschlossenen Mann, um mich vor jeder Störung zu sichern. Entschließ dich rasch oder ich muß mich nach Ralph, dem Boxer, umschauen.«

»Gott verdamm deine Augen.« brüllte der Burker. »Was der Kerl kann, kann ich auch. Vorwärts also – ich bin bereit!«

Der Dieb nahm ihn unter den Arm und führte ihn nach dem Ausgang, durch den er selbst eingetreten, indem er dem verkappten Matrosen einen Wink gab, ihnen zu folgen.

Sie hatten kaum die Tür geschlossen, als der Jude den Kopf aus dem Gitter seines Verschlages steckte und einem Frauenzimmer winkte, das bisher, mit dem Kopf auf dem Arme, wie schlafend an einem Tisch gekauert hatte.

Sie erhob sich sogleich, wechselte einen Blick des Einverständnisses mit dem Juden und war im nächsten Augenblick durch dieselbe Tür verschwunden, durch welche die drei die Schenke verlassen hatten.

Der rote Joël spuckte giftig hinterdrein und rieb sich mit einem grimmigen Kichern die kräftigen Hände.


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