Sir John Retcliffe
Nena Sahib
Sir John Retcliffe

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2. Der Nabob

Zwei Tage waren vergangen seit dem schrecklichen Auftritt vor der Moschee im Dörfchen am Ufer des Gandlagama.

Auf den Wunsch der Lady, der ihr Gemahl nur selten widersprach, war die Anklage gegen Caulathy Mudaly, den Ryot, unterdrückt und er selbst am Morgen nach der Ankunft des Zemindar aus seinen entsetzlichen Fesseln entlassen worden. Dagegen hatte ihm der Verwalter angekündigt, daß zur Strafe das fragliche Feld am Ufer konfisziert worden sei.

Der Beraubte hielt sich finster zu Hause, er kümmerte sich nicht mehr um die kleine Wirtschaft, die er sonst mit großem Fleiß besorgt, und seine einzige Gesellschaft war der Derwisch, der bei ihm geblieben, und mit dem er stundenlang eifrige Gespräche führte.

Als der Fremde, der, wie man im Dorfe vernahm, ein Verwandter der Marquise, der Gesellschafterin der Lady, und der Agent einer großen Turiner Seidenmanufaktur, Namens Maldigri, war, früher Offizier in sardinischen Diensten, den Derwisch schon am anderen Tage aufgesucht, hatte dieser geschickt verstanden, dem Besuch auszuweichen und war, so oft der Major erschien, nicht zu finden.

Der erste Schimmer der dritten Morgenröte dämmerte über dem fernen Streif des Meeres am Horizont, als sich auf dem mit tausend Blumen übersäten Platz vor der Cottage des Nabob die Gesellschaft seiner Gäste zu einem Jagdzug ins Innere des Landes versammelte.

Der Nissam – der Fürst von Heiderabad, – hatte den Baronet zu einer Elefantenjagd in den Wäldern und Teichen an der Grenze seines Gebiets eingeladen. Das Jagdrendezvous war lange vorher bestimmt, und Sir Mallingham hatte die Einladung schon in Madras angenommen, war aber jetzt durch Unwohlsein verhindert, sogleich mit aufzubrechen und wollte erst in einigen Tagen die Cottage verlassen und nachkommen, während sich seine Gesellschaft einstweilen auf der Jagd an dem zahlreichen Wild der Dschungeln ergötzen sollte.

Jetzt stand er vor der Tür des Pavillons, den er bewohnte, von seinen Gästen Abschied nehmend und ihnen noch einige Aufträge an den Nissam erteilend.

»Es ist fatal,« sagte er, »daß der Mensch, welcher als der beste Jäger und geschickteste Spürer gilt, dieser Caulathy Mudaly, selbst durch eine Belohnung nicht zu bewegen war, Sie zu begleiten, und behauptet, durch das bißchen Züchtigung, die ihm verdientermaßen geworden, so krank zu sein, daß er die Glieder nicht rühren kann. Indes, ich werde den Burschen selbst mitbringen, wenn ich nächsten Donnerstag aufbreche, verlassen Sie sich darauf. Ich hoffe, Sie werden uns einiges Wild übrig lassen. – Leutnant Eglinton, es ist doch etwas gewagt, daß Sie solchen Strapazen Ihren prächtigen Renner aussetzen wollen. Man sagte mir, daß »Rookeby« Ihnen beim letzten Rennen in Madras tausend Pfund in Wetten und Preisen eingebracht habe.«

Der junge Dragoneroffizier, den er anredete und welcher derselbe war, der mit dem Major die unglückliche Witwe von ihrer Marter befreit hatte, errötete leicht. »Ich muß das Pferd an die Strapazen des Feldlagers gewöhnen, Sir,« sagte er höflich. »Ich glaube nicht, daß Rookeby länger imstande ist, mit Glück das Feld zu behaupten und habe ihn daher zum Kampagnepferd bestimmt.«

»Also – gute Reise und glückliche Jagd. Erinnern Sie sich bei dem Aufbruch aber gefälligst, daß Mylady noch in ihrem Morgenschlummer liegt und ich ihre Migräne den Tag über allein zu tragen haben werde, wenn sie gestört wird.«

Er verbeugte sich höflich und kehrte in seine Gemächer zurück, während die Jäger sich auf die Pferde schwangen oder die Elefanten bestiegen und der älteste Schobedar das Zeichen zum Abmarsch gab.

Der Schlaf der Lady schien aber dennoch gestört; denn als zufällig Major Maldigri hinübersah nach dem Pavillon, wo, wie er wußte, das Schlafgemach der Dame lag, sah er den Vorhang sich leicht bewegen und glaubte zwischen den Spalten der Jalousien einen Augenblick lang eine feine weiße Hand, gleichsam zum Abschied, sich bewegen sehen. Wie er schärfer hinblickte, war sie verschwunden, auf dem Antlitz des jungen Dragonerleutnants aber begegnete er einer flammenden Röte, und verlegen beugte dieser sich nieder auf die Mähne seines edlen Pferdes, als sein Auge dem ernsten Blick des Sardiniers begegnete.

 

Es war um die Mittagszeit – die Hitze entsetzlich. Der Monsun, der heiße Seewind aus dem Süden, hatte während des ganzen Vormittags geweht, und die Natur selbst schien ermattet, lechzend nach einem kühlen Hauch.

Kein Europäer ließ sich blicken – jeder hätte gefürchtet, der drohenden Gefahr des Sonnenstichs zur Beute zu werden. Auch die Indier hatten jede Arbeit im Freien eingestellt und hielten sich innerhalb ihrer Hütten.

Zwei Wesen trotzten der furchtbaren Sonnenglut und der verzehnfachten Anstrengung, und merkwürdigerweise war das eine derselben ein Europäer – ein Engländer – das andere sein Pferd.

Im Galopp kam der kühne Reiter von den Bergen im Westen her, sorgfältig bemüht, zwischen sich und der Cottage den verdeckenden Hügel zu halten, oder wenigstens den Schutz der Bäume und Hecken zu haben.

Es war der junge Dragoneroffizier – Leutnant Eglinton – auf seinem Renner »Rookeby«, den er dem Nabob nicht für zweitausend Pfund verkaufen wollte, obschon das Pferd in der Tat sein einziges Besitztum von Wert war.

Aber wie sahen Roß und Reiter aus!

Weißer Schaum bedeckte die Flanken des Tieres, die heftig auf und nieder wogten, dazwischen zeigten sich breite Streifen von Blut, die Spuren der scharfen Sporen des unerbittlichen Reiters, der das Tier zu dem Laufe gezwungen.

Man sah, daß es bald am Ende seiner Kräfte war.

Roß und Reiter hatten an diesem Tage bereits sechsundfünfzig englische Meilen – achtundzwanzig davon im vollen Sonnenbrande eines indischen Sommertages gemacht.

Während er sich fortgestohlen von dem ersten Lagerplatz der Jagdgesellschaft, schliefen die meisten seiner Gefährten und kümmerten sich nicht einer um den anderen. Wer hätte ein solches wahnsinniges Unternehmen für möglich gehalten.

Nur der Sardinier hatte den jungen Mann beobachtet, seine Unruhe bemerkt, gesehen, wie genau er auf die Richtung des Weges achtete und sie häufig mit dem Miniatur-Kompaß verglich, der als Berlock an seiner Uhrkette hing.

Aber er hatte wirklich seinen Willen durchgesetzt, jetzt schien er am Ziel angekommen zu sein. Er war am Rande des Tamarindenhains, der den Palmenhügel umgab, von der entgegengesetzten Seite der Cottage. Hier hielt er sein Pferd im Schatten der weitgestreckten Äste an und stieg langsam und ermattet ab.

Das Pferd, sobald es von seiner Last befreit war, stürzte in die Knie und warf sich auf die Seite.

»Armer Rookeby, braves Tier,« sagte der junge Offizier, indem er den Sattelgurt lockerte und das Kopfzeug ihm abnahm, »o, wenn du das überstehst, bis du das beste Pferd in ganz Indien. Was ich tun kann, dich zu erfrischen, soll geschehen, und mußt du für deinen Herrn büßen, nun, so stirb mit dem Gedanken, daß du ihn zu seinem Glück getragen hast.«

Etwa fünfzig Schritt entfernt, im Schutz der Mangrovebüsche, sprudelte eine kleine Quelle aus der Hügelwand. Der junge Offizier nahm seinen Panamahut, um sich seiner als Gefäß zu bedienen, und schritt zur Quelle.

Plötzlich schrecke er zurück und fuhr mit der Hand nach seiner Brusttasche.

An der Quelle ruhte unter den Büschen ein Mann, halb erhoben, den Kopf in die Hand gestützt, und seine dunklen schwarzen Augen beobachteten das Tun des Faringi.

Der junge Offizier hatte sich jedoch bald wieder beruhigt – er sah, daß der Mann zu den Eingeborenen gehörte, und er begriff nach seinen Erfahrungen, daß ihm keine Gefahr von jenem drohe, ja daß es leicht sein werde, seine Hilfe und sein Schweigen zu erkaufen.

Überdies schien ihm das Gesicht des Mannes nicht ganz unbekannt. Dieser trug die ärmliche Kleidung eines wandernden Fakirs und die bezeichnende hohe wollene Mütze.

»Höre, Freund,« sagte der junge Dragoner zu dem Fremden, »du kannst mir einen Dienst leisten und sollst gut belohnt werden. Mein Pferd ist unter mir zusammengebrochen, erschöpft von der entsetzlichen Hitze. Hilf mir, einiges Wasser zu ihm tragen und es abreiben, sonst fürchte ich, verendet das Tier.«

Der Derwisch, denn es war der Gast Caulathy Mudalys, erhob sich schweigend, füllte seine Kürbisflasche an dem Brunnen mit frischem Wasser und schritt dem Offizier voran zu der Stelle, wo das Pferd lag.

»Nur ein Narr oder ein Verliebter kann so reiten,« sagte er. »Das Tier ist dem Tode verfallen, wenn keine Luft in seine Lungen kommt.«

Ohne sich um den erstaunten Besitzer zu kümmern, kniete er nieder, zog ein kleines Messer aus der Tasche, befühlte mit sachkundiger Hand den Hals des Pferdes und stieß dann die Spitze des Messers in die Stelle, die er zwischen seinen Fingern hielt.

Das Blut sprang in einem roten Bogen. Das edle Tier schnaubte, fühlte sich aber offenbar bald erleichtert, hörte auf zu zucken und blieb ganz ruhig liegen.

»Nimm ihm den Sattel vollends ab, oder du wirst es nie wieder besteigen,« sagte der Derwisch in einem rauhen, fast befehlenden Ton. Dann faßte er mit beiden Händen das Gebiß des Pferdes, drückte es fest zusammen, legte den Mund an seine Nüstern und blies lange und wiederholt hinein.

Die Brust des wackeren Tieres schien aufzuschwellen, ein Gurgeln ließ sich in seiner Kehle hören, und ein langes kräftiges Schnauben verkündete, daß die Zirkulation des Atems durch die Bluterleichterung wieder vollkommen hergestellt war.

»Jetzt,« sagte der Derwisch, »geh deinen Geschäften nach. Ich werde dafür sorgen, und wenn du zurückkehrst, wirst du es frisch und kräftig an den Stamm jener Tamarinde gebunden finden.

»Du hast mir einen großen Dienst erwiesen, Mann, und wirst mir einen noch größeren erweisen, wenn du keinem Menschen sagen willst, daß du mich hier gesehen. Ich erinnere mich deiner aus der Nacht unserer Ankunft, du bist einer der Bewohner des Dorfes. Nimm diese Guinee, und du sollst eine zweite erhalten, wenn du mein Pferd mir hier sicher verwahren willst, bis ich zurückkehre, und es nötigenfalls vor fremden Augen verbirgst. Ich habe etwas in der Cottage vergessen und möchte niemand durch meine Rückkehr stören.«

»Behalte dein Geld,« entgegnete rauh der andere, indem er die geschlagene Ader des Tieres kunstgerecht schloß, »Sofi verachtet das Geld der Faringi. – Nimm dich vor den Augen deiner Brüder in acht – mich kümmert nicht, was du in dem Hause des geizigen Zemindar zu tun hast.«

Leutnant Eglinton sah ein, daß er dem seltsamen Helfer ohne weiteres Versprechen vertrauen müsse, und verschwand in den Gebüschen, quer durch Gehölz und Buschwerk emporsteigend nach der Spitze des Hügels.

Der Derwisch sah ihm spöttisch nach – dann setzte er eine kleine Schilfpfeife an die Lippen.

Einige Augenblicke darauf wurden die Zweige der Mangroven auf der entgegengesetzten Seite zurückgebogen, und das braune Gesicht Caulathy Mudalys erschien zwischen ihnen.

»Hast du den Faringi gesehen?«

»Hat Caulathy die Augen eines Jägers oder ist er ein Maulwurf?« war die Gegenfrage.

»Wohl! So folge ihm und berichte mir, wohin er geht!«

Der Ryot machte das Zeichen der Bejahung und verschwand wie der Engländer in den Büschen, während der Derwisch fortfuhr, sich mit dem Pferde zu beschäftigen und dasselbe jetzt vorsichtig zu tränken. –

Eine halbe Stunde mochte verflossen sein, als die Zweige aufs neue heftig auseinandergerissen wurden und die Gestalt des Indiers auf den freien Platz sprang.

Seine gelbe Bronzefarbe hatte sich in ein schmutziges Grau verwandelt, die Augäpfel standen weit hervor, – der Mund war geöffnet – ein tödlicher, entsetzlicher Schrecken drückte sich in allen Mienen und Gebärden aus.

Noch vermochte er nicht zu sprechen, als der Derwisch ihm am Arm schüttelte.

»Inshallah! Mensch – rede – sprich – was ist geschehen?«

Der Hindu deutete entsetzt nach oben – seine Lippen bewegten sich endlich mit Mühe und stammelten ein einziges Wort. Es hieß – – – (vermutlich sollte hier statt der Striche ein Schimpfwort stehen)


In dem Gemach, in dem der Nabob seine Siesta hielt und die heißesten Stunden des Tages verbrachte, herrschte ein mildes Halblicht, durch die geschlossenen Jalousien und niedergelassenen Gardinen hervorgebracht.

Der reiche Mann hatte seine gewöhnliche Kleidung mit einer weiten, leichten Tracht von weißem Zeug vertauscht, in der er auf den Roßhaarkissen des Diwans ruhte.

»Goddam!« stöhnte der – »es ist eine Hitze heute zum Ersticken und will gar nicht enden. Wie viel Grad, sieh nach, Kuleini? Wer ist im Vorzimmer?«

»Aly Karam, der Deputy-Kollektor, Sahib. Er will den Staub zu deinen Füßen küssen, ehe er weiterreist.«

»Laß ihn hereinkommen.«

Der Steuereinnehmer war, indem er die Pantoffel vor der Schwelle ließ, eingetreten und nahte mit tiefen Verbeugungen.

»Möge dein Schatten niemals geringer werden, o Sahib- Sahib,« sagte er demütig. »Ich komme, um mich bei dir zu beurlauben, ehe ich mit den Sepoys weiterziehe zu den Dörfern am Ufer des Gandlagama. Ich bitte dich, mir deine Huld zu erhalten und an deinen Knecht zu denken.«

»Hast du die rückständigen Steuern sämtlich einbekommen?«

»Ich habe mit deinem Verwalter Abrechnung gehalten,« berichtete der Kollektor, – »es fehlen noch fünfzehn Rupien an der Landpacht und den Salzgeldern, aber deine Zehnten sind bis auf wenige Anahs in Ordnung. Wir haben vier der Hartnäckigsten die Zugochsen verkaufen müssen, obschon sie sagten, sie könnten ohne deren Hilfe die Ernte nicht einbringen.«

»Die Kerle werden sich schon irgendwo andere stehlen. Es muß auf Ordnung gehalten, werden. Ich fürchte, Aly Karam, du bist zu nachsichtig in deinem Geschäft – man darf mit dieser trügerischen Brut kein Mitleid haben.«

»O Sahib-Sahib,« rief der Steuerempfänger – »lasse die schlimme Wolke deines Mißtrauens nicht über dem Haupte deines Dieners. Maschallah! was kann ich tun? Ich habe seit acht Tagen vierundvierzig Männer und Weiber ins Annundal sperren und wohl dreißig die Kittie geben lassen müssen, so verstockt sind diese Burschen. Ich brauche deine Gunst, wie die Pflanze den Tau! Warum sollte ich lässig sein? – Ich habe gehört, daß die Stelle des Kollektors im Bezirk nächstens erledigt werden soll. Wenn der Strahl deines Wohlwollens auf mich fiele – Wallah! – ich wäre ein glücklicher Mensch und würde gern tausend Rupien zu deinen Füßen legen!«

»Ich fürchte, es wird nicht gehen – die Kollektorstellen werden gewöhnlich nur mit Europäern besetzt!«

»Ich weiß, was ich bin, nichts – ein Hauch – ein Ding ohne Wert, aber ich bin ein ergebener Mann und kenne den Dienst! Ich glaube, daß ich dreitausend Rupien beschaffen kann und bitte dich, einstweilen diesen Ring anzunehmen für das Fehlende an den Steuern des Dorfes.«

Er legte den kostbaren Smaragd, den er dem armen Munsiff genommen, auf einen Tisch von Rosenholz, der zu den Füßen des Ruhebettes stand.

Der Ring war nicht 500 Rupien, wie der darin unerfahrene Verwalter ihn geschätzt, sondern mindestens, das Fünffache wert.

In diesem Augenblick klopfte es leise an eine Seitentür zu Füßen des Diwans. Sie wurde halb geöffnet, und die zierliche, feine Gestalt der Marquise von Deprevaille erschien auf der Schwelle.

»Verzeihung, Sir – ich fürchtete nicht, zu stören, und ziehe mich zurück.«

Der Nabob machte eine Bewegung, als wolle er sich erheben, »Madame, ich bitte, bleiben Sie – Sie wissen, daß Sie mir stets willkommen sind. Wir werden über die Angelegenheit weiter sprechen, Aly Karam, wenn ich.nach Madras zurückgekehrt bin.«

Der Steuereinnehmer entfernte sich rückwärts schreitend unter demütigen Verbeugungen.

Die Marquise war nähergetreten, und als der Baronet die Bewegung wiederholte, sich höflich zu erheben, eilte sie an seine Seite, und ihre reizende kleine Hand drückte ihn selbst auf das Lager zurück.

»Ich bitte, Sir – wenn meine Gesellschaft nicht zudringlich erscheinen soll, – keine Störung in Ihrer Ruhe und Bequemlichkeit! Da ich unseren lieben Eduard nicht bei mir haben konnte und mich heute weniger angegriffen von der Hitze fühle, kam ich auf den Gedanken, Ihnen meinen Besuch zu machen und Sie zu fragen, ob ich Ihnen die Zeitungen vorlesen soll.«

Der Rat lächelte halb freundlich, halb schmerzlich. Die Aufmerksamkeit tat ihm wohl, und zugleich erinnerte er sich, daß seine Frau nie daran gedacht hatte, ihm eine ähnliche Freundlichkeit zu erweisen.

»Bitte, nehmen Sie Platz, Madame,« sagte er höflich. »Lassen Sie uns plaudern, Madame – ich vergesse meine Leiden und meine Sorgen stets in Ihrer Gesellschaft. – Einen Sessel für die Frau Marquise, Schurke!«

»Sie sagten, Madame,« wandte der Nabob sich zu ihr, – »daß Eduard nicht bei Ihnen sei. Darf ich fragen, warum nicht und wo er sich befindet? Sie wissen, wie ruhig ich bin, wenn ich ihn unter Ihrer Obhut weiß.«

»O, ohne Besorgnis, Sir! Mylady hat den Knaben zu sich in den Kiosk auf dem Palmenhügel holen lassen, wo sie ihre Siesta zu halten pflegt. Mylady will gewiß des Knaben Gegenwart mit mütterlicher Zärtlichkeit genießen, darum hat sie ihre Dienerinnen entfernt.«

Der Baronet sah aus seiner Lethargie auf. Es lag etwas in dem süßen, entschuldigenden Ton der Marquise, das ihm durchaus nicht gefiel.

»Die Dienerinnen fortgeschickt? Was ist das für eine neue Laune von Mylady? – Es könnte ihr und dem Kinde irgend etwas passieren.«

»O bewahre, Sir – der Pavillon ist ja so nahe, Sie können von hier aus die Kuppel über den Bäumen her sehen. Überdies ist ja unser lieber Eduard nicht mehr so jung. Er ist – lassen Sie sehen – im nächsten Monat drei Jahre. – Richtig – ich erinnere mich – er ist gerade ein Jahr später geboren, als das achte leichte Dragonerregiment, bei dem Leutnant Eglinton steht, aus England nach Madras kam.«

Wiederum waren die Worte so naiv unbefangen, so zufällig und anscheinend absichtslos, – und dennoch zuckte der Rat unwillkürlich zusammen.

Die Marquise las einige Hofnachrichten mit gleichgültigem Tone vor, hin und wieder dazwischen plaudernd und den Baronet beschäftigend.

»Ah, Lord Vere ist bei Hofe empfangen worden. Sein Sohn, der Kolonel, hat den Bathorden erhalten für die Bravour beim Sturm auf den Redam. Schade, daß eine russische Kugel ihn nicht getroffen. Eglinton hätte dann eine Aussicht mehr auf die Prärie!«

»Wieso – auf welche?«

Die Französin überhörte die Frage. »A propos! was hatte doch unser hübscher Leutnant wohl vergessen, daß er sich von dem Zuge trennte und bei der brennenden Sonnenhitze noch einmal zurückkehrte?«

»Wie – Leutnant Eglinton wäre zurückgekehrt?«

»Ei – wissen Sie das nicht? – Gewiß hat er Sie nicht stören wollen. Vor kaum einer Stunde sah ich ihn ganz deutlich mit dem Glase auf seinem »Rookeby« die Hügel heruntergaloppieren. Er ritt an der Seite des Tales entlang. Wenn er nur nicht den Sonnenstich bekommt!«

Der Baronet trocknete mit dem Foulard von chinesischer Seide den Schweiß von seiner Stirn. »Der Geck,« murmelte er – »um das bißchen Hirn, was der Bursche hat, wäre es nicht schade.«

»Fi donc, Sir – wer wird so boshaft sein. Sie haben unrecht. Leutnant Eglinton-Waterford ist nicht bloß ein hübscher, sondern auch ein ganz gescheiter Mann. Wir Frauen verstehen das zu beurteilen. Aber – mon Dieu, was ist Ihnen, Sir?«

Der Baronet war bei der Nennung des Namens wie eine Stahlfeder in die Höhe geschnellt – sein Gesicht war totenbleich.

»Was – wen nannten Sie soeben, Madame? – den Namen!«

»Ei, wen anders als Leutnant Eglinton-Waterford – unsern Eglinton, Ihren Gast, Sir.«

Der Baronet stand aufrecht vor ihr. Seine Lippen, seine Hände zitterten sichtbar, doch suchte er sich gewaltsam zu fassen.

»Wie kommen Sie dazu, Frau Marquise, dem Leutnant Eglinton den Namen Waterford zu geben?«

»Er ist ja der seine. Wissen Sie das nicht? Die Familie heißt Eglinton-Waterford, wenigstens führte er den letzteren Namen bis zum Tode seines zweiten Bruders, als er noch beim Stabe des Vizekönigs in Dublin stand. Als Waterford ist er gerade mit den de Veres verwandt. Mein Gott, wie schlecht Sie Ihren Adelskalender im Kopf haben, Sir!«

Die Totenblässe des Baronet war in eine dunkle Röte übergegangen, seine Augen flammten.

»Die Beweise, Madame, die Beweise!«

»Mon Dieu! ich wiederhole Ihnen, es ist ja eine ganz bekannte Sache, überdies – ich glaube sogar – ich habe zufällig das Stück eines Briefkuverts an ihn in der Tasche, das heute morgen der Wind unter meine Veranda jagte. Die Herren Jäger gehen fahrlässig mit ihren Patronenpfropfen um. Es war so zierliches, duftiges Papier, darum hob ich es auf und steckte es zu mir, um Lionel bei der Heimkehr zu necken.«

Sie warf den Vornamen so leicht hin, suchte einige Augenblicke in der Tasche ihrer Robe und brachte dann das zerknitterte Papier zum Vorschein.

»Richtig – dieses ist es!«

»Geben Siel«

Es war die Hälfte eines mitten durchgerissenen zierlichen Kuvertes, auf dem die Schrift, trotz der Schwärzung durch Pulver und trotz der Risse noch deutlich erkennbar.

Die Schrift war eine Damenhand.

Der Baronet lachte höhnisch auf, – der Ton war fast schauerlich.

»Und diesen Leutnant Eglinton-Waterford haben Sie vor einer Stunde nach der Cottage zurückkehren sehen?«

»Ganz gewiß. Aber sagen Sie mir, was ist an alledem so Ungewöhnliches? Was soll das bedeuten? – Ich habe doch nicht unrecht getan, Ihnen das zufällig zu erzählen?«

»O nein, Madame, nein! im Gegenteil, ich bin Ihnen zum höchsten Dank verpflichtet, ich und Lady Mallingham, meine – Gemahlin!«

Er stand bereits an einem zierlichen Bureau von Acajouholz und nahm zwei schöngearbeitete kurze Pistolen von Lepage heraus, überzeugte sich, daß sie geladen, und ließ das Schloß spielen. »Was soll das alles bedeuten?«

»Um Gottes willen, Sir Mallingham! Was wollen Sie tun?«

»Nichts – in der Welt nichts, Madame!«

Er öffnete das Fenster und stieß die Jalousien auf.

Die Marquise versuchte ihn festzuhalten, wenigstens machte sie eine solche Bewegung.

»Wohin wollen Sie, Sir?«

»Wohin? – ich will Mylady fragen, ob sie weiß, daß Leutnant Eglinton auch Waterford heißt!«

Er sprang, die Pistolen in der Hand, aus dem Fenster.

Die Marquise atmete tief auf, während sie die kleine zierliche Hand auf die Brust preßte.

»Endlich! – Wohl bekomm' die Überraschung, Mylady! – ich hoffe, diesmal sind meine Aktien im Steigen!«

Sie folgte ihm rasch durch die Tür. Als die Französin die offene Veranda erreichte, sah sie den Baronet dem Palmenhügel zueilen.

Plötzlich stockte sein Fuß – er blieb stehen und schien zu horchen. –

Es war ein näher und näher kommendes Angstgeschrei – aus den Geranium- und Oleanderbüschen stürzte eine Gestalt hervor und schien mehr zu fliegen als zu laufen. Ihre Hände fuhren wild durch die Luft, von Zeit zu Zeit schaute sie, wie eine Verfolgung fürchtend, zurück.

Es war Zelima, die Tochter des Ryot, das junge schöne Mädchen, das die Lady nach seiner Rettung aus den Händen des Verwalters zu ihrer Leibdienerin gemacht.

Das Mädchen hatte jetzt den Baronet erreicht, an dessen Seite bereits die Marquise stand. Die Augen der Indierin starrten Schreck und Entsetzen – aus der keuchenden Brust rang sich nur ein Wort – ein Name – – ihre Hand wies zitternd nach den Palmen am Kiosk!

Das Innere des Pavillons auf der Spitze des Palmenhügels war mit allem Komfort eines englischen Boudoirs und dem Luxus eines indischen Frauengemachs ausgestattet.

Auf dem Ruhebett lag, den Kopf in die Hand gestützt, die Lady. Ein weites, luftiges Gewand von weißem, indischen Musselin umschloß, von einer grünen Schnur zusammengehalten, die schönen Formen des Körpers. Eine jener prachtvollen, großen Lotosblumen von rosenroter Farbe war ihrer Hand entfallen und ruhte auf der feingeflochtenen Rohrdecke des Bodens, wo der dort liegende Knabe halb schlafend, halb wachend mit ihr spielte.

Die Jalousien waren geschlossen, ließen aber mit dem vergoldeten Eisengitter der Decke genügendes Licht ein.

»Ob er kommen wird – ob es ihm möglich gewesen, sich von der Gesellschaft zu trennen? – Aber die Hitze ist entsetzlich, er kann nicht so wahnsinnig gewesen sein, den Ritt zu unternehmen.«

Und dennoch, obschon sie das sagte, sprang sie von neuem auf und eilte an die Jalousien.

»Er ist wirklich da! – Lionel – hier – hier!«

Sie riß die Jalousie auf.

Der Offizier, denn dieser war es, der quer durch das Wäldchen und die verschlungenen Lianengebüsche sich Bahn gebrochen, legte die Hand auf die Brüstung des Fensters und sprang in das Zimmer.

Seine erste Bewegung war, sich zu ihren Füßen niederzuwerfen und ihre Hände mit heißen, glühenden Küssen zu bedecken.

»Helene!«

»Lionel!«

Die Hand der jungen Frau wies nach dem schlaftrunkenen Kinde. »Hast du denn Eduard vergessen?«

»O, wie sollte ich, Helene,« sagte der junge Mann, indem er das Kind in seine Arme nahm und an seine Brust drückte. »Erinnert mich nicht jeder seiner Züge an seine Mutter, und jeder der ihren an sein teures Antlitz? Geliebte – ewig Geliebte – eure beiden Bilder sind zu einem verschmolzen in meinem Herzen!«

Sie hing in seinen Armen, an seinen Lippen, während er sie sanft wieder auf das Ruhebett niederließ.

»Es ist unmöglich,« flüsterte sie, »ich kann es nicht länger ertragen! Täglich wird mir diese Lage verhaßter, unnatürlicher. Dazu die Furcht, die Angst, daß ein Zufall uns entdecken und verraten mag. Zwar hat Mallingham nie mit einer Silbe nur gezeigt, daß er weiß, wir hätten uns früher gekannt, geliebt, aber dennoch könnte eine zufällige Begegnung es zur Sprache bringen. Darum auch darfst du nur selten unser Haus besuchen, darum sind die Augenblicke so vereinzelt, so kurz, die ich dir weihen kann.« »Aber wird es nicht gefährlich sein, daß du mich hierher beschiedest?«

»Nicht mehr als jede andere Zusammenkunft. Der Baronet bringt die Zeit bis zur Abendkühle stets in seinem Zimmer zu und weiß, daß ich es nicht liebe, belästigt zu werden. Nein, nein, mein Geliebter, zwei volle, schöne Stunden sind noch unser unbeschränktes Eigentum, und Zelima, das Hindumädchen, dessen Vater ich von der Untersuchung befreite, hält auf dem Wege zur Cottage Wache und wird von jeder Störung beizeiten mich benachrichtigen. Aber du, Lionel, wie hast du es angestellt, dich von deinen Begleitern loszumachen und in der Nähe des Dorfes zurückzubleiben?«

Der Offizier lächelte. »Ich bin in dem Dorfe nicht zurückgeblieben, es war unmöglich. Ich verdanke es Rookeby, meinem braven Pferde, daß ich dich in meinen Armen halte. Ich habe erst vor zwei Stunden die Jagdgesellschaft, achtundzwanzig Meilen von hier, in ihrem Mittagslager verlassen.«

»Wie? Unmöglich – du hast den weiten Weg durch die Berge allein, in dieser entsetzlichen Hitze, zurückgelegt?«

»Im Galopp, Helene – und wäre es durch ein Meer von Feuer gegangen, ich hätte den Ritt gewagt. Freilich ist Rookeby arg mitgenommen, und nur der Hilfe eines Fakirs verdanke ich seine Erhaltung. Aber was tut das, du rufst – und hier ist dein Ritter und hält dich und den Knaben in seinem Arm.«

Sie trocknete und küßte seine heiße Stirn, holte ihm von den süßesten, erfrischendsten Früchten herbei und zwang ihn, sie zu genießen.

»Mein Lionel – o wie ich dich liebe für diese Opfer, die du mir bringst! Wie mein ganzes Leben allein noch in der Liebe zu dir vegetiert, in dem Hoffen und Sehnen, dich wieder in meiner Nähe zu wissen, von Zeit zu Zeit in dein treues Auge blicken, aus deinem Munde die Beteuerung deiner Liebe vernehmen zu können. Aber ich rief dich nicht, um dir zu sagen, was du längst weißt, ich rief dich, um dir zu sagen: es soll nicht länger so bleiben, die Zeit ist da, wo wir alles wagen müssen, um alles zu gewinnen.«

»Was meinst du – was soll ich vernehmen?«

Das Kind war wieder eingeschlafen und ruhte unter seinen Spielsachen auf der Matte. Sie zog den Geliebten zu sich auf das Ruhebett und warf mit einer Bewegung der Hand die verhüllende Gardine darum her.

»Höre mich an, mein Geliebter,« sagte sie schmeichelnd. »Wie oft in den kurzen, süßen Stunden, die uns geworden, haben wir hundert Pläne entworfen, uns aus dieser traurigen Lage zu reißen, um ganz und ungeteilt einander angehören zu können. An tausend Hindernissen scheiterte die Erfüllung unserer Wünsche.

»Diese Hindernisse – das Glück und der Zufall haben sie hinweggeräumt. Zunächst – ich bin reich – ich bin keine Bettlerin mehr, die von dem Willen und der Gnade eines verhaßten Mannes abhängt, der mit seinem Gelde einst mich von meiner Familie gekauft hat. Du hast von dem Grafen Francis Murray, einem Verwandten unserer Familie, sprechen hören?«

»Dem reichen Sonderling, der auf seinen Gütern im schottischen Hochlande, abgeschieden von aller Welt, lebte?«

»Demselben. Das letzte Dampfboot von Suez brachte die Nachricht von seinem Tode und daß er mir hunderttausend Pfund in seinem Testament ausgesetzt hat, weil – es ist kindisch, zu sagen, aber der Alte war von jeher ein Narr – ich als Kind ihm das Gesicht zerkratzte, als er mich bei dem einzigen Besuch, den er meinen Eltern machte, küssen wollte, während meine Schwestern fein artig stille hielten.«

Beide lachten heiter und fröhlich zusammen unter den süßesten Liebkosungen, gleich als hinge das Damoklesschwert des Verderbens nicht an einem Haar über ihrem Haupte.

»Die hunderttausend Pfund sind in Anweisungen auf die Bank von Kalkutta und in Schatzscheinen in meinen Händen. Hier sind sie.«

Sie übergab dem Geliebten das kleine, gestickte Portefeuille, das bisher in ihrem Busen geruht.

»Acht Tage nach unserer Rückkehr nach Madras wird Sir Mallingham zur Versammlung des großen Rates sich nach Kalkutta begeben und in einer Mission später nach Lucknow gehen. Wir werden ihn begleiten. Kennst du den Maharadschah von Bithoor, Nena Sahib?«

»Nein.«

»Er ist ein angesehener, eingeborener Fürst in jener Gegend, ein Anhänger der Engländer, obschon er sich schwer über die Kompagnie zu beklagen haben soll. Er war im vorigen Jahre in Kalkutta, und ich lernte seine erste Gemahlin oder Geliebte – ich weiß wirklich nicht, was von beiden sie ist – kennen und fand unerwartet in ihr eine Spielgefährtin meiner Kindheit wieder, die Tochter eines kleinen Grundbesitzers in der Nähe des Schlosses meines Vaters in Irland, die nebst ihrem Bruder durch seltsame Schicksale nach Indien verschlagen wurde. Sir Mallingham führte damals einige Unterhandlungen mit dem Radschah und mußte es daher dulden, daß ich die alte Freundschaft mit Margarete O'Sullivan erneute, die wie zu einem Halbgott zu ihrem Indier emporblickt, der, wenn ich mich recht erinnere, ihrem Bruder einst durch eine kühne Handlung das Leben rettete. Sie weiß unser Geheimnis, sie hat, mir ihren und des Nenas Beistand versprochen, wenn die Stunde gekommen. Sie – aber still – was ist das für ein Rauschen in den Gipfeln der Palmen – hörtest du nichts Lionel?«

»Die Sonne beginnt sich zu neigen, es ist der Wind, der von der Küste her durch das Land streicht. Bald werde ich wieder aufbrechen müssen.«

»O nicht so, mein Geliebter – noch ist das Ende der Siesta fern. Laß uns weiter reden von dem Entschluß, den ich gefaßt habe. Sobald wir Madras verlassen haben, suche dir Urlaub zu verschaffen. Da alles im Frieden ist, wird es dir leicht werden, diesen zu erhalten. Du folgst uns sogleich nach Kalkutta und Lucknow, ohne dich jedoch Sir Mallingham bemerklich zu machen. In Bithoor, der Residenz des Nena, findest du Nachricht von mir. Ich werde es möglich machen, in Lucknow oder Cawnpur zurückzubleiben, wenn der Baronet nach Delhi weitergeht. Dann bin ich frei und dein, wir entfliehen mit Margaretens Hilfe...«

»Aber wohin...«

»O, ist Gottes schöne Erde nicht weit und sollte sie nicht Raum haben für drei Wesen, die nichts anderes wollen, als nur einander gehören? Laß uns nach einem der glücklichen Täler Kaschmirs, nach Isle de France, wo Paul und Virginie lebten, nach Amerika, wohin Englands Macht nicht reicht – mit Gold öffnen sich alle Wege, und mit Gold werden wir selbst in Europa ein freies und sicheres Asyl finden. Das Wie und Wohin ist deine Sache, die Sache des Mannes!«

»Helene – Hast du auch alle Opfer wohl überlegt, die du mir bringen willst?«

»Böser Mann, du liebst mich nicht. Was weiß eine Frau von Opfern, wenn es ihrer Liebe und dem Glück ihres Herzens gilt. Soll Eduard noch länger den Namen des Verhaßten tragen? Meinst du, du allein könntest allen Gefahren, der glühenden Sonne dieses Himmels, dem Wahnsinn und Tode Trotz bieten, um in meinen Armen zu sein?«

Er schloß sie in die seinen und bedeckte sie mit seinen Küssen. »Es sei – alles für alles, Weib meiner Seele.« – – – – – –

Plötzlich störte das Weinen des erwachten Kindes ihren nicht endenden Abschied.

»Maman! Maman! das häßliche Tier – o Maman – ich fürchte mich!«

Die junge, verirrte Frau riß die Vorhänge des Ruhebetts voneinander – die Strafe ihres Verbrechens stand in der furchtbarsten Gestalt, gleich einem der Hölle entstiegenen Dämon, vor ihren Blicken.

Der kleine Knabe, in seinem leichten Röckchen, hatte sich bis in die Mitte des Gemachs gewälzt und kniete dort jetzt auf der Matte, die Arme furchtsam und abwehrend gegen das gegenüberliegende Fenster gerichtet, dessen Markise die Lady vorhin geöffnet hatte, um nach dem Geliebten auszuschauen.

In dem Rahmen bewegte sich eine widerliche Ungestalt, zwei rollende, stechende Augen schossen grünliche Blitze auf das arme Kind, ein weit geöffneter Rachen mit zwei Reihen kleiner, spitzer Zähne – zwischen dem giftigen Brodem, der aus dem blutig roten Schlunde drang, eine züngelnde, gespaltene Spitze – an dieses entsetzliche Haupt ein langer, hochgebäumter, in bunten Farben, Gold, Grün und Purpur schimmernder Körper bis hin zum Stamm der nächsten Palme gedehnt und mit dem spitzen Ende um diesen geschlungen – – –

Ein gräßlicher Aufschrei – die Mutter warf sich von dem Lager herab in einer einzigen rasenden Bewegung bis in die Mitte des Gemachs, bis hin zu ihrem Kinde. Indem sie es umfaßte, fiel sie ohnmächtig mit ihm zu Boden.

»Goddam – die Anakonda!«

Derselbe Ruf, den der Ryot schreckensbleich dem Derwisch gestammelt – –

Derselbe Ruf, den Zelima entsetzt zu den Füßen des eifersüchtigen, rachedürstenden Gatten ausgestoßen – –

Dann ein Pulverblitz – ein schwacher Knall – ein häßliches, widriges Zischen, und darauf – – – Hier bricht das Manuskript anscheinend ab


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