Sir John Retcliffe
Nena Sahib
Sir John Retcliffe

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Aus dem Jenseits!

Auf dem Wege von Gwalior nach Ihansi überschreitet man bei der Festung Calpi die Dschumna – vorher zwei ihrer Nebenflüsse.

Der Zug des Signor Maldigri oder Grimaldi hatte der steigenden Hitze wegen bald Halt machen müssen und erst nachdem diese sich linderte, den Weg fortsetzen können. Der Abend war bereits angebrochen, als man sich Calpi näherte, und etwa eine Stunde von der Stadt entfernt, im Schein großer Feuer die Spitzen und Wimpel vieler weißen Gezelte erblickte, Reiter ihnen entgegenstürmten und bei der Nachricht, wer die Reisenden seien, in gellenden Jubel ausbrachen. Ein Teil sprengte zurück zu den Zelten, wo die Nachricht, die sie brachten, große Bewegung hervorrief.

Ein Reitertrupp nahte von dort zum Empfang der kleinen Karawane, an seiner Spitze auf weißem Araberpferd eine hohe Frauengestalt in prächtigen kriegerischen Gewändern.

»Heil der edlen Rani von Ihansi! – Heil Maldigri-Khan, ihrem tapferen Wessir!« schrien die Reiter und Fackelträger.

Von der Handah seines Elefanten, die er bestiegen, sah der deutsche Arzt ein merkwürdiges Schauspiel.

Die Rani, denn diese befand sich an der Spitze der entgegenkommenden Reiter, war vom Pferde gesprungen und trat hastig auf den Palankin zur Rechten zu.

»Sei willkommen, Sahib Maldigri,« sagte sie. »Lakschmi sei gepriesen, die den Pfeil der Dunkeläugigen von dir abgewendet und dich mir wieder gegeben hat, einen zweiten Krischna.«

Sie hatte die Hand ausgestreckt – aber ehe diese sie noch berührt, öffneten sich die Gardinen des Palankins und heraus trat – nicht die Gestalt des Kranken, Genesenden, sondern eine hohe Frau in dunkle Gewänder gehüllt und der zurückgeschlagene Schleier zeigte das edle und schöne, aber von Leiden und Anstrengungen hagere und bleiche Antlitz einer Faringa.

Die trotzige, glühende, in ihrer vollen Kraft und Schönheit stolze Hindufürstin fuhr zurück wie von einer giftigen Schlange gestochen.

Der so ernste, ruhige, milde Blick der Engländerin und das fragende, drohende, kühne Auge der stolzen Hindufürstin kreuzten sich wie zwei Stahlklingen.

Diese seltsame Szene hatte nur die Dauer von Sekunden. Die Vorhänge des zweiten Palankins rauschten zurück, und die bleiche, abgemagerte Gestalt des tapferen Condottieri erschien auf den Kissen des Innern, bemüht, sich emporzurichten, um die Fürstin zu empfangen, deren Dienst er sich geweiht. Von beiden Seiten traten die Frauen auf ihn zu und erfaßten seine Hände, ihn zu unterstützen.

Wiederum kreuzten sich ihre Blicke, noch ehe der Mund ein Wort gewechselt.

Zugleich hatte der Arzt seine Haudah verlassen und war heran getreten.

»Gott und diesen Freunden sei es Dank,« sagte der Kranke »daß ich das Angesicht der edlen Fürstin von Ihansi wieder schaue im Lichte der Sonne.«

Die Rani beantwortete die Frage nicht. Ihr dunkles forschendes Auge verließ sein bleiches Gesicht, um nach der Gestalt der Rivalin zurückzukehren.

»Wer ist dieses Weib?«

»Ein Engel an Güte und Milde, der nicht umsonst diesen Namen trägt, – meine Freundin und Pflegerin, – Lady Hunter – der Engel von Delhi! – Dies, meine edle Freundin,« fuhr er zu Lady Hunter in englischer Sprache fort, »ist die berühmte Rani von Ihansi, die stolzeste aber auch die hochherzigste der Frauen, deren Wert nur von Adelaide Seymour übertroffen wird.«

Die Gattin des Dekans verneigte sich und bot mit einem edlen Anstand der Hindu die Hand. »Wenn uns auch der Glaube und das Vaterland trennt, Hoheit,« sagte sie in gebrochenem Hindostani – »die Sorge um den Freund wird eine gemeinsame sein, und ich habe genug von Ihnen gehört, um Ihren Namen hoch zu achten!«

Die Rani trat einen Schritt zurück, ihr Auge blieb durchbohrend und stolz. »Sei gegrüßt,« sagte sie kalt – »aber ich kann die Hand einer Faringa nicht in Freundschaft berühren. Niemand soll ein Haar deines Hauptes krümmen, obgleich es das Haupt eines verfluchten Geschlechts ist, so lange du unter dem Schutz Xarias, der Rani von Ihansi bist.«

Der Kranke befand sich in offenbarer Verlegenheit zwischen diesen Frauen und beeilte sich, die eingetretene Stille durch die Vorstellung des Doktors zu unterbrechen, den er dem Wohlwollen der Rani als den Freund und Arzt des Nena und seinen Retter vom Rande des Grabes empfahl.

»Ich kenne den Sahib Hakim,« sagte die Rani hastig, ihm die Hand reichend. »Er ist ein Franke, wie du, kein Faringi! Er sei willkommen. Ich werde dem Peischwa morgen selbst danken, daß er mir seinen Freund gesandt hat, um den meinen zu heilen!«

»Dem Peischwa?« fragte der Major erstaunt. »Deine Hoheit ist auf dem Wege nach Cawnpur?«

»Er bedarf der Tapferen, um die Faringi, die wie du weißt, noch immer ihm hinter ihren Wällen mit der Hilfe böser Geister trotzen, von Cawnpur zu vertreiben, da Calpi in den Händen der Unseren ist!«

»Auch Calpi? – Es befindet sich in diesem Augenblick kein Engländer mehr in Cawnpur!«

»Was sprichst du für Wind, Hakim? Der Nena hat sie erschlagen? Gelobt sei Brahma, der Sieg ist den Kindern der heiligen Ganga geblieben!«

Ihr tapferer, jetzt von der Wunde gelähmter Führer, schüttelte den Kopf. »Du irrst, Hoheit! Nicht das Schwert des Nena hat diese tapferen Männer überwunden. Seine Großmut war es. Er hat ihnen freien Abzug gewährt gegen Übergabe des Forts nach zweiundzwanzigtägiger heldenmütiger Verteidigung. Unser Freund, der Hakim hier, war Zeuge des geschlossenen Vertrages, ehe wir abreisten!«

»Sagst du die Wahrheit?«

»Bei meiner Ehre!«

Die Rani schüttelte zornig die Zipfel ihres Gewandes. »Dann mögen die Hunde die Gräber seiner Väter beschimpfen! Ich sage mich los von ihm und möge die Welt sehen, was ein Weib im Kampf für sein Vaterland vermag. Laßt die Claschys die Zelte wieder befestigen und die Seyces die Rosse abzäunen, wir kehren zurück nach Ihansi. Du aber, Sahib, sei willkommen unter dem Zelte Xarias trotz der Botschaft, die du ihr gebracht!«

Sie gab das Zeichen zum Aufbruch und schweigend legte der Zug die kurze Strecke bis zu dem Lager zurück, das die Reiter der Rani unter den Bäumen des Waldes aufgeschlagen hatten.

Während die Offiziere der Gortschura dem Wessir ihren Besuch machten und ihre Berichte abstatteten, ließ die Rani den Franken- Arzt zu sich entbieten.

»Ich ließ dich zu mir rufen, weiser Hakim,« sagte die schöne Fürstin, »um aus deinem Munde die nähere Geschichte des Verrats zuhören. Ich bitte dich, rede!«

Walding erzählte, ohne seine eigene Beteiligung zu erwähnen, den Entschluß des Nena, die Absendung des Parlamentärs und die Bedingungen, so weit sie ihm bekannt, welche der Peischwa den unglücklichen Belagerten hatte bieten lassen.

»Dein Auge sieht scharf und dein Mund redet klar, o Hakim,« sagte die Fürstin, »obschon ich fühle, daß du nicht alles sagst, was du weißt. – Laß uns von unserm Freund, dem Wessir sprechen.«

»Von Major Maldigri?«

»Du sagst es. Wird die Farbe der Gesundheit und der Kraft auf seine Wangen zurückkehren und sein Arm wieder den Säbel schwingen können gegen die Feinde dieses Landes?«

»Ehe ein Mond vergangen, Hoheit, wird Signor Maldigri die frühere Kraft und Gesundheit besitzen. Ich selbst werde ihn mit deiner Erlaubnis nach Ihansi begleiten, so will es der ausdrückliche Befehl des Peischwa.«

»Ich danke ihm dafür, dich aber, weiser Hakim, bitte ich, diesen Rubin an deiner Hand zu tragen, zum Zeichen des Dankes Xarias,daß du ihr den Mann gerettet, den sie am höchsten achtet unter den von Brahma Erschaffenen.«

»Meine Kunst, Hoheit, hat nur wenig getan, sie hat nur das Fieber gebändigt – der Lady verdankt er sein Leben, die seit dem Augenblick, als er die Wunde empfing, ihn nicht verlassen und an seinem Lager Tag und Nacht zugebracht hat.«

Der Blick der Rani verfinsterte sich. »Wer ist diese Frau? Welches Recht, welche Pflicht hat sie, ihr Leben an das dieses Mannes zu setzen und ihn hierher zu begleiten.«

»Lady Hunter,« berichtete Walding, »ist die Gattin eines würdigen Geistlichen, desselben, den der Wessir an jenem Schreckensabend zu Bithoor beschützte. So viel ich selbst weiß, kennt er sie aus früheren Jahren und rettete sie in einem fernen Frankenlande aus schweren Gefahren, was sie jetzt ihm lohnt.«

»Es mag sein; aber was will das bleiche Weib hier, wo der Wessir in den Händen derer ist, die ihn lieben?« wiederholte die Rani ihre Frage.

»Sie begleitete den Kranken nach Bithoor auf der Praua seines Freundes und Dieners. Sie wünscht jetzt, nachdem sie seine Genesung gesichert sieht, zu ihrem Gatten zurückzukehren, aber ihre Hoffnung, ihn unter den Engländern in Cawnpur zu finden, hat sich nicht bestätigt. Der Wessir glaubte Calpi noch in den Händen der Engländer und hielt es für sicherer, sie dieser Festung anzuvertrauen – als – hörten Sie nichts, Hoheit – das war ein Schrei um Hilfe – der Donner von Schüssen – – –« Sein ernstes männliches Gesicht wurde von einer Schreckensblässe überzogen und bot alle Zeichen einer plötzlichen nervösen Aufregung.

»Du täuschst dich, weiser Hakim,« entgegnete die Rani. »Ich bitte dich, fahre fort – warum zog die Faringa nicht mit ihren Brüdern davon auf dem Strom nach der Erlaubnis des Nena?«

Der Arzt trocknete die großen Perlen eines kalten Schweißes, der seit einigen Augenblicken seine Stirn befeuchtete. »Es war zu spät, als wir die Großmut des Peischwa erfuhren,« sagte er verwirrt. »Ich wünschte, ich – –« Er sprang empor und preßte die Hände gegen das Herz – sein Gesicht zeigte eine Leichenfarbe – sein großes Auge flog krampfhaft umher.

»Allmächtiger Gott – das ist keine Täuschung – man ruft mich – das ist ihre Stimme!«

In den Zweigen des riesigen Mango, unter dessen Schutz das Zelt der Fürstin aufgeschlagen war, rauschte der Abendwind. – – –

»Hermann, mein Freund! mein Geliebter! rette Editha!« –

Der Arzt taumelte auf den Ausgang des Zeltes zu, während die Fürstin mit Erstaunen seinem ihr unbegreiflichen Gebahren zusah. »Verzeihung, Hoheit – ich muß fort – fort! ich halte es nicht länger aus hier.« – –

»Du bist krank, Hakim! Das Fieber ist in deinen Adern. Geh in dein Zelt und mache dein Blut fließen. Ich werde dem Wessir selbst meinen Beschluß verkünden!«

Er riß den Vorhang zur Seite und sprang hinaus. Jenseits des Kreises der Wachen, der den geheiligten Umkreis des Zeltes der Fürstin umgab, stieß er auf Kassim den Mayadar, der hier seiner zu harren schien.

»Schaffe Rosse herbei – rasch – die schnellsten! Ich muß zurück nach Cawnpur, in diesem Augenblick!« Der Thug sah ihn gleich einem Trunkenen nach dem Zelte des Wessirs taumeln.

»Nach Cawnpur?« murmelte der Lugha. »Bei dem Stahle der heiligen Axt – nimmer sollst du dahin gelangen!« Er wandte sich nach dem Zelt der Rani, das diese eben verließ, umgeben von einigen der vornehmsten Offiziere der Gortschura.

Der Thug blieb an ihrem Wege stehen, warf sich zur Erde und sagte: »Dein Diener hat deinem Ohr ein Geheimnis zu flüstern.«

»Wer bist du? was willst du?« Die Fürstin blieb auf ihrem Wege nach dem Zelt des Kranken stehen.

»Dein Sklave,« sprach kniend der Thug, »hörte dich zürnen über die Großmut des Peischwa, die den Faringi-Hunden in Bithoor das Leben geschenkt.«

»Möge Krischna, der Held, ihn dafür strafen!«

»Die Faringi sind blind geboren wie die Hunde, aber sie sind schlechter als diese, denn sie werden niemals sehend!« flüsterte der Thug.

»Was meinst du? – sprich!«

»Der Peischwa ist der Peischwa! Die Faringi werden Cawnpur frei verlassen, aber kein weißes Gesicht wird lebendig Allahabad erreichen!«

Das Auge der Hindufürstin funkelte in grausamer Freude. »Mögen sie alle verschwinden wie der Tau der Nacht vor dem Strahle der Sonne! ich bitte dem Peischwa das Unrecht ab, das ich ihm getan, du aber nimm zum Lohn für die Nachricht dies Gold!«

»Möge dein Angesicht ewig leuchten! Der Peischwa hat seinem Sklaven einen Auftrag gegeben. Jener Franken-Hakim darf nicht zurück nach Cawnpur, nicht eher, als der erhabene Gebieter ihn ruft.«

»Was kümmert das mich? Der Hakim ist nicht in meinem Dienst. Sein Ungehorsam komme auf sein oder dein Haupt. Laß mich vorüber!«

Sie schritt weiter. Der Mörder steckte mit habgieriger Freude das wertvolle Geschenk ein und blickte dann finster der Fürstin nach, wie sie in das Zelt des Kranken trat.

»So möge denn die blutige Bhawani ihr Opfer empfangen und die Seele Kassims dem ewigen Tode preisgegeben sein,« sagte er grimmig.

Er machte sich langsam auf den Weg in die Nähe des Zeltes des Wessirs, ohne den Befehl weiter zu achten, den ihm der Arzt gegeben. – – –

Wir müssen einige Augenblicke zurückkehren in das Innere dieses Zeltes, als Doktor Walding dasselbe verlassen hatte, um dem Ruf zur Rani Folge zu leisten.

An dem Kissenlager, auf dem der Condottierie ruhte, saß die Lady, ihre Hand in der seinen.

»Es ist Zeit, mein Freund,« sagte die edle Frau, »daß ich einen Entschluß fasse. Mein Werk ist getan, ich weiß Sie in der Sorge und unter dem Schutz von Personen, die Ihren Wert kennen und Sie lieben, und bald wird die Kraft Ihnen wiedergekehrt, bald werden Sie jener stolze, mit dem Leben kämpfende Soldat wieder sein, zu dem Adelaide Seymour in den Tagen der Jugend mit Bewunderung ihre Augen erhob. Wollte Gott, dieser Geist und dieser Mut kämpften für eine würdigere Sache, als für die Sache der Grausamkeit und des Fanatismus!«

»Es ist auch die Sache der Freiheit und der Unabhängigkeit, Adelaide, für welche diese Männer – ja schwache Frauen – ihr Schwert erheben. Hochherzige und edle Gefühle und Gestalten leben auch unter diesen anscheinend so Wilden und Unbarmherzigen. Das zeigte Ihnen die Achtung, die Ehrfurcht, mit denen selbst der roheste Pöbel im Sturm der wilden Empörung Ihnen begegnete, das bewies Ihnen Irma, das Hindumädchen, die – ein Kind noch – so mutig ausharrte zur Rettung ihrer Freunde und die durch die Geheimnisse des Mausoleums der großen Begum im Augenblick der höchsten Gefahr Geretteten mit Gefahr des eigenen Lebens verbarg und durch hundert Gefahren zu den Truppen General Barnards geleitete.«

»Angelique! – Richard Willougby!« flüsterte die Lady. »Gott sei mit ihnen, den edlen lieben Gestalten, und geleite sie glücklich aus diesem unseligen Lande!«

»Und glauben Sie mir, Adelaide, wie diese werden Hunderte, Tausende durch gute und freundliche Menschen gerettet worden sein. Aber der Druck und die Tyrannei eines Jahrhunderts, Leiden, wie ich sie Ihnen von dem Maharadschah von Bithoor erzählt – sie mußten das Lamm zum Tiger machen.«

»Gott der Barmherzige möge die Beleidigung wie die Rache vergeben,« weinte die Lady – »o wohl, es ist wahr, auf die böse Saat muß der Sünden Ernte folgen und die Guten und Gerechten gehen unter in den Kämpfen der Bösen und Schlechten. Dort oben allein, wenn diese Körper der Erde zurückgegeben worden, ist Ruhe und Glück und dort, mein Freund, werden auch wir uns wiederfinden – denn die Zeit ist gekommen, wo wir nochmals, zum letzten Mal, scheiden müssen auf dieser Erde!«

Der Kranke richtete sich besorgt empor. »Wie meinen Sie das? Sie denken doch nicht an das wahnsinnige Unternehmen, jetzt, wo ich Ihnen Schutz gewähren kann, mich zu verlassen.«

Mit einem traurigen Blick legte die Lady die Hand auf seinen Arm. »In Ihansi, mein Freund, würde ich schwerlich willkommen sein. – Ihnen winkt dort Ehre und – Glück, mich würde man für eine Feindin halten, die man um Ihretwillen ertrüge.«

Der Major schwieg, finster vor sich hinblickend; er fühlte, daß in dem plötzlichen Entschluß der Lady noch etwas anderes verborgen lag, und das kalte stolze Benehmen der Rani selbst gab ihm die Überzeugung, daß es nicht gut getan sein werde, seine britische Freundin mit nach Ihansi zu führen.

Dennoch war er entschlossen, ihre Sicherheit unter keinen Umständen dem Zufall oder ihrer eigenen Sorge zu überlassen. Der Entscheidung jedoch enthob ihn der ungestüme, hastige Eintritt des Arztes.

Ein Blick auf den sonst so ruhigen, besonnenen Mann zeigte beiden, daß ihm etwas Ungewöhnliches, Aufregendes begegnet sein müsse.

»Major,« sagte der Deutsche, »wenn Sie glauben – nicht meiner Hilfe als Arzt – sondern meiner Teilnahme und Hilfe als Mensch einen Dank zu schulden, so geben Sie mir das Mittel, auf der Stelle so rasch als möglich nach Cawnpur zurückzukehren. Ein Pferd – das schnellste Ihrer Pferde – ich beschwöre Sie bei allem, was Ihnen wert und teuer ist!«

»Sie sollen abreisen, wenn Sie darauf bestehen, Doktor! Ich werde sogleich Befehl geben, daß einige Reiter sich fertig machen, Sie zu begleiten. In einer Stunde soll alles zum Aufbruch bereit sein! Aber sprechen Sie – was ist geschehen?«

Er hatte sich erhoben, um einige Befehle zu geben. In diesem Augenblick wurde der Besuch der Rani gemeldet und die Hindufürstin mit ihrer Begleitung trat in das Zelt, dessen Teppichwände von den Dienern zurückgeschlagen wurden.

Der Major, auf den Arm des Arztes gelehnt, ging ihr entgegen. »Möge deine Hoheit verzeihen,« sagte er, »wenn dein Diener dich nicht begrüßt, wie es seine Pflicht ist.«

»Ich danke Wischnu, dem Erhalter, und diesem weisen Hakim, daß sie dich für Xaria gerettet. Damit der Khan sieht, wie sehr seine Freunde die Freunde Xarias sind, sollen fünfzig Reiter der Gortschura morgen bei unserm Aufbruch diese Faringa sicher nach jedem Ort geleiten, den die Kaffirs, ihre Brüder, noch besitzen, und den sie wählen wird!«

Der Wessir verbeugte sich, er begriff, daß diese Gunst ein Befehl war: »Es geschehe, wie du sagst, Hoheit. Ich werde die nötigen Anordnungen treffen. Der Hakim, mein Freund, will uns gleichfalls verlassen und plötzlich nach Cawnpur zurückkehren. Seiner Sorge werde ich diese Dame anvertrauen.«

»Nein – nein – um des Himmels willen nein,« stöhnte der Arzt, indem er sich von dem Kranken losriß. »Ich muß fort – jede Minute Verzögerung ist Tod und Verderben.«

»Das ist seltsam, – was soll ich davon denken? – Doch wie es auch sei, mit deiner Erlaubnis, Hoheit, soll dieser Mann nicht sagen können, daß Marcos Grimaldi ihm undankbar seine Bitte verweigert habe. Laßt das beste Pferd satteln, das in der Nähe ist!«

Alle waren vor den Eingang des Zeltes getreten, einige der Seyces waren beschäftigt, einen starken arabischen Renner herbeizuführen.

Das Aussehen des Arztes glich dem eines Toten.

Er faßte krampfhaft den Arm des Majors. »Zweifeln Sie nicht an meinem Verstand, Sir,« sagte er keuchend – »aber – glauben Sie an Ahnungen – an den Magnetismus der Seele?«

»Es gibt viele Dinge, die über unsre Erklärung hinausgehen – wir Südländer sind geneigter, an die Welt der Geister zu glauben, als die Männer, die aus dem kalten Norden stammen.«

»Geben Sie mir eine Waffe, Signor – es geht in diesem Augenblick etwas Furchtbares, Entsetzliches vor – ich fühle es – hier in meinem Innern – mir ist, als triebe eine unwiderstehliche Gewalt mich zurück – ich höre deutlich eine geliebte Stimme, die mich um Hilfe ruft – jetzt – jetzt – allmächtiger Gott, es ist zu spät!«

Der Aufschrei, mit dem er in die Knie brach, war so grell, so entsetzlich, daß er selbst die wilden Seelen umher erschütterte.

Dann – mit einer gewaltsamen Anstrengung – erfaßte er den Zügel. Im nächsten donnerten die Hufschläge des galoppierenden Rosses über den harten Boden, und Reiter und Pferd – durch die Menge brechend – verschwanden im Schatten der Nacht und der riesigen Mangos. – – –

Die Rani streckte den Arm aus und wies nach der Straße. Auf flüchtigem Pferde galoppierte ein weißer Schatten vorüber, der Spur des Arztes folgend.

»Wer ist das?«

»Es ist der Diener, der mit ihm gekommen – sein Begleiter und ein Freund des Peischwa,« sagte die spöttische Stimme der Rani. »Sie eilen voran nach Cawnpur, die Rückkehr derer zu melden, für die kein Platz ist in Jhansi!« – – – – – – –

 

Auf der Ebene – aus der weißen kalkigen Fläche lag gespenstig der noch weißere Mondschein.

Husch – auf den bleichen Mondstrahlen reiten die bleicheren Geister. Drüben im Osten, vom heiligen Flusse her, zog eine dunkle Wolkenwand empor, zuweilen zerrissen vom elektrischen Strom. –

Eines der Gewitter zog am Ganges herauf, die in der beginnenden Regenzeit kurz, aber mit gigantischer Kraft toben.

Durch diese majestätische Öde ein wild daher galoppierendes Pferd – nein ihrer zwei – denn aus weiter Ferne antwortete das Echo des Hufschlags und ein dunkler Punkt erscheint mit gleicher Eile auf dem weißen Bande der Straße.

Aber was kümmert den ersten Reiter das verfolgende Echo – ist es ein Freund oder Feind, er hört nicht einmal, daß er nicht allein diese Öde durchfliegt.

Den Oberkörper fast auf die Mähne des Pferdes gelegt – jagt Walding, der Arzt, dahin – das Auge noch immer starr in die Ferne gerichtet.

Plötzlich stutzt das Pferd und prallt zurück – der Reiter klammert sich mit den Knien fest, um nicht zu fallen – aber seine Hände fahren krampfhaft nach dem Herzen – sein krauses Haar sträubt sich empor. – –

Auf dem Mondstrahl reiten die Boten der Gräber! – – –

Der Reflex des Lichtes auf der Atmosphäre scheint sich zu schattenhaften Formen zu ballen – wie ein Nebel zieht es von Osten daher, schneller als der Gedanke – schneller als der Funke, der um den Gürtel der Erde fliegt!

»Barmherziger Gott, beschütze ihn und vergib meine Schuld, wie ich vergebe allen Schuldigen! Nimm auf mein unsterblich reines Teil in deine Gnade!« – Ein Stöhnen – ein Fall, das Echo plätschernden Wassers – –

Der deutsche Arzt liegt am Boden – das Bewußtsein geschwunden – in tiefer Ohnmacht des Geistes und Körpers – wenige Schritte von ihm schnaubt das keuchende, erschöpfte Roß.

 

Auf der Straße kommt mit der Schnelle des Sturmwindes Kassim, der Mayadar, herangejagt. Schon von ferne sieht er die Gruppe und pariert näherkommend verwundert sein Pferd. Dann sich aus dem Sattel werfend, eilt er zu dem Körper seines Herrn, den er tot wähnt von dem Sturz oder einem glücklichen Zufall.

»Bei allen Dämonen – verflucht sei der Kassir, er ist nicht tot, nur betäubt. Was soll ich tun mit dem ungläubigen Hunde? – Ich darf ihn nicht töten, wenn er mich nicht dazu zwingt. Mein Eid gebietet mir, ihm in Gefahr beizustehen. Aber wie hindere ich ihn, nach Cawnpur zu gehen?«

Da zeigte ihm ein funkelnder Blitz in der Ferne zur Linken über das Dickicht der Dschungel dunkle Formen am Horizont.

»Das ist der Tempel von Dscheddapur! Jetzt weiß ich, wo ich bin und was mir zu tun bleibt.«

Er legte den Körper des Ohnmächtigen über den Sattel seines eigenen Pferdes, nahm es an dem Zügel und führte es am Rande der Dschungel entlang.

Das Gewitter zog sich jetzt mit furchtbarer Schnelle herauf und in dem Schein der Blitze gelangte der Lugha bald mit seiner Last an die mächtigen Ruinen des Tempels, band sein Pferd an einen Stein und trug dann den noch immer ohnmächtigen Körper in das Innere der Pagode und legte ihn hinter den mächtigen schwarzen Steinwürfel, der einst das Bild der scheußlichen Göttin getragen.

»Möge er hier liegen bis Wischnu ihm den Geist zurückführt. In dieser Nacht und aus dieser Wildnis wird er sich nimmer mehr entfernen können, um das Verbotene zu tun. Wenn das Gewitter vorüber, werde ich nach Cawnpur reiten, um dem Peischwa Nachricht zu bringen.«

Er verließ das Innere des Tempels, um sein Pferd zu suchen.

Im nächsten Moment aber richtete er horchend den Kopf in die Höhe, in dem Rauschen dieses Regens hatte sein scharfes Ohr einen anderen Laut vernommen.

Es klang wie ein heiseres Brüllen und Schnauben, das mit der Schnelle des Sturmwindes heran zu kommen schien.

Der Lugha warf blitzschnell das Auge umher. Nur gewohnt, seine Brüder, die Menschen zu jagen und zu töten, ließ das Nahen der Bestien seine Nerven erbeben, und er sah sich nach einem Schlupfwinkel um, als ihm plötzlich der Gedanke an den Mann kam, den er hilflos im Innern des Tempels niedergelegt.

Noch vor wenig Minuten war er entschlossen gewesen, diesen Mann zu ermorden, wenn er auf seinem Willen bestehen sollte.

Und jetzt – er brauchte keine Hand zu rühren, nur das eigene Leben zu retten, jetzt konnte ein günstiger Zufall ihn von jenem befreien!

Aber es war sein Mayadar, dem er Schutz geschworen!

Nicht einen Moment lang bedachte sich der Lugha; er zog die Hand von dem rettenden Stein zurück, warf sich auf ein Knie mitten im Eingang, und legte die blanke Klinge des Krys an seine Seite.

Ein züngelnder Blitz, dem ein zweiter erschütternder Donnerschlag folgte, zeigte ihm deutlich den heranspringenden Feind.

Es war ein langgestreckter, großer Panther mit hohen Weichen und fast schwarzem Fell, der in mächtigen Sprüngen flüchtend aus der Dschungel brach und gerade auf ihn zurannte; – ihm folgte fast unmittelbar ein zweites Tier – die Pantherin!

Die Bestie, in wilder Flucht daher springend, fühlte die Witterung des Feindes nicht eher, als bis ihr glühender Atem ihn berührte. Der Rachen öffnete, die Pranke hob sich, aber zu spät: – denn die Kugel, in dieser unmittelbaren Nähe abgeschossen, zerschmetterte den Schädel des Tieres.

Der Panther stieß ein Geheul aus, schlug mit den scharfen Krallen nach seinem Feind und stürzte zusammen, aber dieser, verwundet an der linken Schulter, hatte kaum Zeit das Pistol fallen zu lassen und den Krys zu ergreifen, als die Pantherin in gewaltigem Ansprung über ihn herfiel und ihn zu Boden warf.

Nun erfolgte in dem erneuten Schein der Blitze und unter dem Krachen der Donnerschläge ein rasender Kampf, den das Geheul des von den Stichen des Krys getroffenen Raubtiers und das Geschrei des von ihren Krallen und Zähnen zerfleischten Menschen verkündete.

Dann wurde das Geheul der Pantherin schwächer und schwächer und in dem langen anhaltenden Schein der Blitze konnte man die Gestalt des Lugha sich keuchend aus dieser Lache von Blut und Fleisch auf die Knie emporrichten sehen, auf die zerbrochene Klinge des Krys sich stützend.

Das letzte Röcheln des Tieres verkündete seinen Tod.

Plötzlich fühlte der Lugha eine Hand auf seiner blutenden zerrissenen Schulter.

»Kassim, mein Freund – ich danke dir für das, was du getan! Wenn du stark genug bist, so erhebe dich – und laß uns die Pferde wieder besteigen!«

»Was willst du tun, Sahib – wo willst du hin?«

»Nach Cawnpur!«

»Es ist unmöglich, Sahib! Die Götter selbst verbieten es mit ihren Donnern.«

»Laß mich vorüber – was kümmern mich die Blitze des Himmels?«

»Du darfst mich nicht verlassen, Sahib – ich kann nicht von der Stelle, mein Blut rinnt, meine Arme, meine Brust sind zerrissen von den Krallen der Panther, mit denen ich gekämpft um deinetwillen!«

»Armer Kassim! armer Freund! aber ich kann nicht bleiben bei dir – ich muß fort – fort – laß mich vorüber!«

»Undankbarer Christ – du sollst nicht nach Cawnpur, solange Kassim lebt!«

»Wer wollte mich hindern?«

»Ich – mit meinem Leben!«

Der Lugha sah die bleiche Gestalt des Arztes im Schein der Blitze zurückbeben – dann hörte er wie mit hohler Grabesstimme die Worte:

»Ich weiß, du bist ein Thug, aber ich werde dich zuerst töten! – Geh aus dem Weg – ich muß nach Cawnpur!«

»Niemals! Sei verflucht in Ewigkeit, wie Kassim es sein wird!« Der blutende Lugha stürzte, grimmiger als der Panther, den er soeben erlegt, auf den Mann, dessen Leben er mit seinem Blute verteidigt.

Dann erfolgte ein zweiter Kampf – ein Ringen, nicht mit der Bestie der Wildnis – sondern Mensch gegen Mensch unter dem zuckenden Licht der Blitze und dem Donner des Himmels.


»Hier ist der Ort, Kamerad – halte das Pferd fest, das wir gefunden, und laß den Zügel nicht aus der Hand, bis du ihn festgebunden. Diese Mauern werden uns wenigstens schützen vor dem scheußlichen Wetter. Ich habe das Mittel, Feuer zu machen, wenn es uns gelingt, trocken Geröhr zu finden!«

Von der Hand geschützt, flammte der Docht der kleinen Kerze eines Taschenfeuerzeugs in die Höhe und verbreitete seinen dünnen Schein, während der verkleidete Offizier mit der Rechten am Griff der Dschambea vortrat.

Von der Gruppe auf den blutigen Marmorquadern des Bodens erhob sich langsam eine Gestalt, ein bleiches, weißes Antlitz. Die halb orientalische, halb europäische Kleidung des Mannes war blutbefleckt – in seiner Rechten hielt er einen persischen Dolch, dessen Griff von kostbaren Steinen funkelte.

»Wer redet englisch – sind Europäer hier?« fragte die gespensterhafte Gestalt.

»By Jove – ich sollt es meinen! Wer seid Ihr, Freund? ich sehe – Ihr habt einen tüchtigen Kampf hier bestanden!« Er wies nach den toten Panthern.

Das Auge des andern aber folgte seinem Finger nicht, es ruhte auf dem blutigen Körper zu seinen Füßen.

»Er wollte mich hindern, nach Cawnpur zu gehen. Er mußte sterben!« murmelte er dumpf.

»Wer – der Panther? bei Gott, dann war die Bestie Euer Freund, Mann!«

»Nicht der Panther, Sir – denn Sie sind ein Engländer, obschon Sie das Gewand eines Hindu tragen. Dieser da zu meinen Füßen tat es!«

»Und Sie haben ihn ermordet dafür? Ich glaube, ich muß mit lauter Verrückten zu tun haben. Aber mir ist, als kennte ich Ihr Gesicht – als müßte ich es schon gesehen haben.«-

»Möglich, Sir! aber wenn Sie ein Christ sind, so sagen Sie mir, wo ich mich befinde und zeigen Sie mir den Weg nach Cawnpur.«

»Nimmermehr – wer Sie auch sein mögen, Sie sind ein Landsmann und ich darf Sie den Weg nach Cawnpur nicht verfolgen lassen!«

»Dann muß ich Sie töten wie diesen da,« sagte der Arzt einfach.

»Aber wenn Sie einen Fuß nach Cawnpur setzen, werden Sie selbst getötet. Dieser schurkische Nena ermordet alle Engländer, die in seine Hände fallen.«

»Die Engländer haben gestern mittag Cawnpur verlassen!«

»Aber der wortbrüchige Bandit hat sie verfolgen lassen – sie sind zurückgebracht nach Cawnpur und dort ermordet. Ich selbst bin durch ein Wunder entkommen.«

Der Arzt stürzte auf ihn los und faßte krampfhaft seinen Arm. »Ermordet? – Barmherziger Gott!– aber ich wußte es – hier – hier –« er preßte die Hand auf Stirn und Herz – »Editha Highson – Sir – was wissen Sie von Editha Highson? –«

Der Kapitän sah ihn traurig an. »Die Lady befand sich mit uns und ihrer Kusine in demselben Boot – die Frauen wurden gleichfalls gefangen nach Cawnpur zurückgeführt – aber ich kann nicht mit Bestimmtheit sagen, was ihr Schicksal gewesen ist, ob der Wüterich sich selbst an dem Leben der Hilflosen vergriffen hat. Ich bin Kapitän Delafosse, Sir, und ein Wunder – die Hilfe eines Freundes rettete mich aus der Gefangenschaft und riet mir, den Schutz Major Maldigris, des Wessirs der Rani von Ihansi, zu erreichen, den ich kenne. Aber wer sind Sie, Sir? –«

»Walding, der Arzt – Doktor Clifford, wenn Sie es lieber wollen.«

»Ich kenne Ihren Namen – ich erinnere mich, Sie flüchtig bei einer Anwesenheit in Cawnpur und an jenem Ballabend in Bithoor gesehen zu haben. Man nannte Sie einen Verräter an Ihren Glaubensgenossen, aber ich hörte Besseres von Ihnen im Fort. Als Mensch, als Christ müssen Sie die Grausamkeit des Nena verwünschen, wie ich.«

Der Arzt sah ihm mit finsterer Entschlossenheit ins Gesicht. »Ich gehe, ihm meinen Fluch ins Gesicht zu schleudern! Mein Vertrauen mißbrauchte er, die tapfere Schar aus den schützenden Wällen zu locken – seinen heiligsten Eid schwur er mir, und nicht eher, bis ich Sie alle gerettet glaubte, verließ ich Cawnpur.«

»Aber was führt Sie zurück und hierher? Das Gewitter trieb uns in diese Ruine, die ich von Jagdstreifereien her kenne. Wir fanden an der Dschungel ein herrenloses Pferd und glaubten in der Pause des Donners einen Schuß zu hören.«

»Fragen Sie nicht, Sir! Das Gewitter hat ausgetobt – Sie werden den Wessir zwei Stunden von hier diesseits Calpi lagern finden. Geben Sie mir Ihre Dschambea und nehmen Sie diesen Dolch dafür – er wird Grimaldi zeigen, daß wir uns begegnet sind. Sagen Sie ihm, bei dem unglücklichen Eid, den wir einst zusammen auf jenem Felsengrab geleistet und der sich so bitter gerächt an uns – ich ließe ihn beschwören, Sie zu retten. Und jetzt, Sir – halten Sie mich nicht auf und lassen Sie uns diesen Ort des Fluches verlassen. Ihr Weg geht nach Westen – der meine nach Osten. Ich weiß, daß alles vorüber – daß sie ein Engel im Himmel sein muß! Aber noch bleibt mir eine Pflicht auf der Erde!«

Und mit gesenktem Haupt, ohne weiter eine Antwort den Fragen des Engländers zu geben, schritt er hinaus – fand instinktartig das Pferd des Lugha und mit ihm den Weg aus der Dschungel.

Der Arzt schwang sich stumm in den Sattel – stumm winkte er mit der Hand zurück den Flüchtigen – ließ den Zügel auf dem Hals des Pferdes ruhen und ritt langsam in der Richtung nach Cawnpur davon.

 

Um das Haus des Nähghuh Abdallah drängte sich eine bunte Menge, schreiend und wehklagend.

Man hatte die Tür des Nähghuh offen gefunden – und eintretend an den Wänden des Gemaches die Frau, die Schwiegermutter und den Sohn des Mohren in ihrem Blut, mit abgeschnittenem Halse – tot und kalt.

Als man den Vorhang hob, fand man auf dem Lager des Sowars diesen selbst – nur der Halsknochen verband noch den widrigen Kopf mit dem riesigen Rumpf.

Die Faringa war verschwunden – blutige Fußspuren führten zur offenen Tür, aber draußen hatte der Regen sie verwaschen.

Dann erinnerte sich einer der Nachbarn, ein Ruiwallah, oder Baumwollenklopfer, daß er, in der Nacht aufstehend, kurz vor dem Ausbruch des Gewitters einen Schatten hatte über den Hofraum gehen und zu dem Brunnen oder der Zisterne sich wenden sehen.

Der Brunnen war fast bis zum Rande gefüllt durch die heftigen Regengüsse der Nacht.

Das war alles, was der bleiche Reiter, der wohlbekannte fränkische Hakim des Nena, der sich langsam dieser gestikulierenden hin und her redenden Menge genähert, hatte erfahren können. Er kam vom Zelt des Nena und wußte bereits, daß dieser noch nicht zurückgekehrt war.

Der Arzt hörte alles bewegungslos, ruhig an – keine Muskel seines bleichen Gesichts veränderte sich. Auf seinen kurzen Befehl holte man Stangen und Haken und senkte sie in die Tiefe des Brunnens – ein-, zweimal versuchend.

Schweigend, neugierig drängte sich die Menge um den Rand. Beim dritten Mal hob sich eine Welle blonden Haares über die trübe Flut – dann ein weißer Arm; – ein Aufschrei der Menge – dann kam ein blasses, entstelltes Antlitz zum Vorschein mit gespenstisch geöffneten Augen – eine schlaffe Frauengestalt – die Männer hoben die Leiche Editha Highsons aus dem Wasser und legten sie vor dem Pferde des Arztes nieder.

Lautlos war die Menge.

Stumm wie sie stieg der Hakim vom Pferde. Er hob den Körper der Lady auf und legte ihn quer über den Sattelknopf. Dann stieg er wieder zu Roß, nahm die Leiche in seine Arme und ritt langsam davon.

Niemand wagte ihn zu hindern. Die Nachschauenden sahen, daß er den Weg nach Bithoor einschlug, denselben, welchen am Abend vorher der Peischwa genommen.

 

An der Stelle, an welcher Margarete O'Sullivan von den feilen Dienern der Lüfte des britischen Residenten entführt worden war – an der Stelle, auf dem Wege zwischen Cawnpur und Bithoor, wo Tantiah Topi und der Derwisch Sofi dem Maharadschah die erste Nachricht von dem Raube gebracht und das Samenkorn der Rache in die Brust geworfen, aus dem so furchtbare Saat emporwuchern sollte – zieht sich ein Wäldchen von Kokospalmen und Tamarinden an der Schlucht entlang, die, von hoher Brücke überwölbt, die Straße durchbricht und weit hinein läuft zwischen die Felsen.

Wo die Schlucht zu Ende, über dem Quell, erhebt sich ein schöner runder Rasenplatz, das Wasser im Grunde erfrischt die Gräser, der Schatten der riesigen Tamarinden hält die brennenden Strahlen der Sonne ab, und geschützt gegen Hitze, Sturm und Dürre, scheint ein ewiger Frühling auf diesem blumenbedeckten Teppich zu wohnen, um den die duftige Rose von Schiraz und das dunkle Laub der Myrte einen Halbkreis bildet, die Marmorbank überwölbend, die ein Lieblingsplatz der armen Tochter des fernen Irlands war.

Am Fuß dieser Bank erhob sich jetzt ein einfacher Grabhügel – Blumen und Gräser sein Schmuck, kein stolzer Marmorbau, wie er die letzte Ruhestätte der Großen und Mächtigen dieses Landes zu verkünden pflegt. Unter diesen Blumen und Gräsern schlief ein Herz, so gut und voll Liebe, wie wenig geschlagen – so gebrochen und unglücklich, wie wenige gewesen – Margarete O'Sullivans, der Gattin des Maharadschah von Bithoor, die der deutsche Arzt hier begraben, als der Nena im wilden Fieber raste.

Ein Mann saß auf diesem Grabe. Die Wetter der Nacht waren über ihn hingegangen, der Sturm hatte die Wipfel der Tamarinden gebeugt, die Donner des Himmels hatten die Felsen erschüttert, die Wolken ihre Schleusen geöffnet – was kümmerte es ihn! Auf das Grab vor sich hatte er ein Tuch gebreitet, ein blutgetränktes Tuch, und der Regen hatte die Flecken gewaschen, und das Blut hinein in das Erdreich, das die Tote deckte, der er so viele Leben zum Sühneopfer gebracht und mehr noch zu bringen geschworen!

Es war Morgen geworden – die Sonne stand seit einer Stunde über dem Horizont– noch immer saß der Nena auf dem vom Blut der ermordeten Faringi getränkten Grabe.

Da nahten langsam feste Schritte auf dem Felsboden der Schlucht und stiegen hinauf zur geheiligten Stelle.

Ein Mann, gebeugt unter der schweren Last, die er in seinen Armen trug, das Auge gesenkt, achtlos gegen alles umher – stieg herauf.

Der Nena wich von dem Grabe zurück – seine Augen ruhten mit dem Ausdruck des Entsetzens auf dem Mann und seiner Last, die dieser neben dem Grabhügel der Irländerin niederlegte.

Es war auch eine Tote – eine Frauenleiche mit langem, triefendem Haar!

Der Zuletztgekommene kniete zwischen dem Grabe und der Leiche nieder. »Hier sollst du ruhen,« sprach er aus tiefer Brust, – »schlummert sanft, ihr Frauen, eine neben der anderen, bis der Tag der Auferstehung auf die Nacht des Lebens folgt, – ihr – die Opfer zweier Nationen, der Zivilisation und des Barbarismus, der Sünde und Rache! Schlummert sanft, und Gott der Herr richte eure Verderber!«

Dann, die Hände und die Augen zum Himmel erhebend, trafen diese Augen auf den Nena.

Das Antlitz des bleichen Mannes rötete sich, in seinen Augen begann jener Zorn zu flammen, der aus den Augen der Schwertengel des Herrn glühte, als sie die Geister der Finsternis zurückschleuderten in ihre Tiefen.

»Wo kommst du her gegen meinen Befehl? Wer ist diese da, mit deren Nähe du das Grab einer Heiligen besudelst?« fragte die grollende Stimme des Nena.

»Ein Opfer deines Treubruchs, Peischwa von Bithoor! Eine unschuldig Gemordete, deren Gedächtnis auf deiner schwarzen Seele brennen möge, gleich ewigem Feuer!«

»Hund von einem Kaffir! wagst du mir Schimpf ins Angesicht zu schleudern am Grabe der, die ich liebte?« Seine Hand riß den Säbel von der Seite und schwang ihn drohend über dem Haupte des Deutschen.

»Schlage, Peischwa von Bithoor,« sagte der Arzt ruhig. – »Du erschlägst einen deiner Feinde. Was tut ein Mord und ein Opfer des Verrats mehr auf die Seele eines Meuchlers!«

Der Nena ließ die Hand mit dem Säbel sinken. »Was willst du von mir? Ich rächte mein Weib und habe geschworen, ihr Grab mit dem Blute der Faringi zu tränken. Geh! Ein Weißer fühlt nicht wie ein Hindu. Bringe dieses Weib hinweg – ich kenne sie nicht!«

»Peischwa von Bithoor – Diese war es, die den letzten Hauch der Frau empfing, die du liebtest. Während deine blinde Rache ihr Opfer suchte, starb an ihrer Brust Margarete O'Sullivan!«

»Du hast recht – ich erinnere mich, ich hätte sie schützen sollen! aber ich habe sie nicht getötet!«

»Blinder Barbar! – Glaubst du, deine Hand allein mordet, und nicht dein Wort? Srinath Bahadur, du hast das Weib, das ich liebte, der Schande, dem Tode gegeben. – Du fluchtest den Faringi an diesem Grabe, – an der Seite dieser Toten fluche ich dir! Nicht ein Befreier deines Vaterlandes bist du mehr, sondern sein Verräter und Mörder. Der Kampf für die Freiheit ist ein heiliger in allen Ländern der Erde, – du aber hast die Freiheit entweiht und den Kampf geschändet. Srinath Bahadur – du stehst am Wendepunkt deines Glücks! Wate in Strömen von Blut, berausche dein teuflisches Herz an Greuel und Entsetzen. – Das Schwert des Rächers ist deiner Hand entnommen, und der Sieg flieht den niedrigen Mörder! Ohne Dach soll dein Haupt, flüchtig dein Fuß, ohne Treu und Glauben Freund und Feind dir sein, wie du selbst ohne Treue dem Freund und Feind warst. Wie der Tiger deiner Dschungeln, Tiger du selbst, sei ein gehetztes Wild auf der Erde, die du groß und frei machen konntest! Schänder des Andenkens eines edlen Weibes – Mörder des andern – Vernichter des Schönen und Edlen auf Erden – sei verflucht! – sei verflucht! – sei verflucht!«

Und dreimal in das Grab seines eigenen Weibes greifend, schleuderte er davon dreimal die Erde dem Schritt um Schritt zurückweichenden Hindufürsten ins Antlitz.

Dann – ohne sich um ihn zu kümmern – wandte er sich zu der Toten und küßte ihre blasse Stirn.

Der Nena war entflohen! – – –.

Stunden verrannen. Im Schweiße seines Angesichts grub und grub der Arzt mit der breiten Klinge der Dschambea,– er grub ein Grab an der Seite des Grabes.

Fremde Schatten verdunkelten die Strahlen der Sonne, die gedämpft und gemildert durch den Blätterdom drangen.

»Geben Sie uns unsern Teil am Werke der Barmherzigkeit, Doktor Clifford,« sagte eine Stimme hinter ihm, – »am Grabe zu helfen eines der armen Opfer wird uns Segen bringen in den Gefahren des eigenen Weges!«

Der Arzt schaute gleichgültig empor aus der Grube – am Rande derselben stand Kapitän Delafosse mit dem wahnsinnigen Engländer. – Lady Hunter kniete neben der Leiche Edithas an der Marmorbank. Wenige Schritte entfernt standen fünf oder sechs der kühnen Reiter der Gortschura der Rani. Dreißig andere, mit Dienern, Rossen und Elefanten, lagerten am Eingang der Schlucht zur Siesta in der brennenden Mittagshitze.

»Wir sind auf dem Wege nach der Hauptstadt des Audh,« fuhr der Kapitän fort. »Der Wessir, unser Freund, hat uns gestattet, dem Geleit dieser Lady uns anzuschließen. Ich habe ihm geschworen, sie sicher nach Lucknow mit seinen Reitern zu führen. Kommen Sie mit uns, wenn Sie die heilige Pflicht erfüllt, zu der der Geist Gottes Sie nach Cawnpur getrieben!«

Walding schaute starr ihn an und dann auf die Tote. »Wissen Sie, was diese mir war?«

»Editha Highson – die unglückliche Braut des unglücklichen Sanders – –«

»Ich habe sie geliebt!«

Er verhüllte sein Angesicht in die Hände, heiße Tränen machten sich Bahn durch die zitternden Finger – zum erstenmal seit der furchtbaren Botschaft aus dem Jenseits!

Das krause braune Haar des Arztes war weiß geworden während der Arbeit, bei der sie ihn gefunden!


Die Leser, die nach den anderen Gestalten des Buches fragen, werden sie wiederfinden in neuen Schilderungen aus der in mächtigen Wogen rollenden Geschichte unsrer Zeit.

Der Verfasser


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