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Gulma faßte die Hand ihres Schützlings. »Schieße nicht – mein Auge ist schärfer als das deine! – Es sind Freunde – Abalungos!«
Der Leutnant setzte die Büchse ab. »Stop! Wer da?«
»Der Teufel verdamm Eure Augen, wenn das nicht Delafosse ist. Mann, wo kommt Ihr lebendig her aus den Händen dieser schwarzen Schurken?«
Rivers, denn dieser war es, eilte mit dem Fingoe auf den jungen Mann zu und wurde mit höchster Freude von ihm bewillkommnet. Als der Kapitän die junge Kafferin sah, lachte er auf. »Damned! nun begreife ich alles! Sie ist verliebt in Sie, Delafosse, und hat Sie unter den Assagaien und Kirries ihrer liebenswürdigen Landsleute hervorgeholt. Es ist gut, daß Sie sie mitgebracht, sie kann einen vortrefflichen Spion abgeben und uns die Pässe und Zugänge verraten.«
»Gulma,« sagte der Leutnant unwillig, »ist die Tochter Sandilis, des berühmten Häuptlings der Gaikas, und besteht darauf, heute abend in den Kral ihres Vaters zurückkehren!«
»Besteht sie, mein Junge? nun, desto besser! wer wird mit einer schwarzen Dirne viel Umstände machen, sie wird als Geißel zurückbehalten für die Ruhe ihres Vaters, des schwarzen Spitzbuben. Wohin beabsichtigten Sie Ihre Flucht zu richten?«
»Nach den Ufern des Somo – zu einer Missionsstation, die sich dort befinden soll. Aber wie entkamen Sie denn, Kapitän Rivers?«
»Als wir in Karriere an den Rand der Paviansschlucht gelangten, waren die schwarzen Halunken kaum fünfhundert Schritt hinter uns. Congo rief mir zu, daß die einzige Möglichkeit der Rettung sei, unsere Verfolger zu täuschen und in den Glauben zu versetzen, daß wir den wahnsinnigen Ritt in den Abgrund riskiert. Wir ließen uns am Abhang von den Pferden gleiten, trieben diese die Schlucht hinunter, wo sie Hundert gegen Eins das Genick gebrochen haben und krochen auf Händen und Füßen am Felsensturz hinab. Die Narren gingen richtig in die Falle, wir hörten sie toben und lärmen und, überzeugt von unserem Tode, dann zurückkehren zu ihrer saubern Gesellschaft.«
»Sie irren, Kapitän! Peter Pretorius ist auf Ihrer Spur und mit ihm fünf oder sechs der tapfersten Gaikakrieger. In diesem Augenblick ist auch Tzatzoe, unser erbittertster Feind, wahrscheinlich bereits aufgebrochen mit seiner Schar zu unserer Verfolgung!«
Eine kurze Beratung erfolgte, dann beschloß man, dem Plan des Mädchens treu zu bleiben und nach der Missionsstation am Somo aufzubrechen.
Gulma eröffnete die Reihe, dann folgten Edward, Rivers und zuletzt der Fingoe, der sorgfältig darauf hielt, mit seinen breiten Mokassins die Spuren zu verändern.
Sie waren auf der Höhe einer Felswand angelangt, als Gulma sich umwandte und mit einem Schrei des Schreckens nach der Richtung deutete, in der sie gekommen. Alle folgten ihrem Blick und sahen in der Entfernung von etwa drei Meilen in dem Tal eine kleine Reiterschar, die eilig herankam. Das scharfe Auge der Kafferin und des Fingoe unterschieden deutlich, daß es ihre Verfolger waren.
»Was ist zu tun?« fragte der Kapitän.
»Fort! fort!« drängte das Mädchen in gebrochenem Englisch – »so lieb euch euer Leben ist!«
Die Verfolger hatten jetzt gleichfalls die Flüchtigen erblickt, sie schwangen ihre Waffen und kamen im Galopp heran. Aber die Richtung des Tales machte es ihnen noch unmöglich, den Ort zu erkennen, wohin jene eilten.
Der Lauf der Flüchtigen war zu einem Rennen geworden, denn die Worte und Winke Congos hatten den Offizieren bewiesen, daß er gleichfalls nur in der Eile dieser Flucht eine Hoffnung sah.
Die Schlucht oder der Gebirgspaß lag etwa noch tausend Schritte von ihnen entfernt. Ihr Zugang war bereits von Haufen von Springböcken, welche sie aus der Ferne gesehen, wenn auch nicht gefüllt, doch zahlreich besetzt. Es war eine Antilopenart, von der längeren Gliederung ihrer Hinterfüße und der Elastizität ihres springenden Laufs »Springböcke« genannt. Aber der Anblick talaufwärts war ein wirklich merkwürdiger, überraschender. Die ganze nicht geringe Breite des Tales schien, soweit das Auge trug, einem wogenden, wallenden Strom von lebendigen Geschöpfen zu gleichen, der mit einem tollen Getrampel herankam. Je weiter hinauf, desto mehr schien sich die Menge zu verdichten, so unförmlich und kompakt, daß keine Spur des Bodens mehr zu sehen war und ein Stein unter sie geworfen, nicht Raum gehabt hätte, zur Erde zu fallen.
Jetzt erst wurde es wenigstens dem älteren Offizier klar, was Gulma und der Fingoe mit ihrem Ruf und ihrer Eile gemeint hatten, und er rannte, von den anderen gefolgt, so schnell der Schlucht zu, als er vermochte.
Als sie keuchend an deren Rande ankamen, schoß der Wilde seine Flinte in die Schar der Tiere, die bereits immer mehr sich im Paß drängten. Dies veranlaßte eine momentane Stockung und ein scheues Zurseiteweichen, wodurch eine kleine Lücke in dem Gedränge entstand. Hier hinein warfen sich auf den Ruf Congos sogleich die Flüchtlinge, und um sie her schloß sich alsbald wieder der Raum mit den Leibern der Tiere, die dicht zusammengepreßt vorwärts drängten. Zehn Minuten darauf verkündete ihnen eine Gewehrsalve, daß ihre Verfolger gleichfalls an der Schlucht angelangt waren und dasselbe Mittel wie sie versucht hatten, sich Raum zu verschaffen. Aber der Fingoe beruhigte lachend ihre Besorgnis – die zehn Minuten hatten eine für die nächsten zwei oder drei Stunden unübersteigliche lebende Mauer zwischen ihnen und den Gaikas aufgebaut; die große Masse der Tiere war an dem Paß angelangt und stürzte sich unaufhaltsam in diesen, so daß selbst eine Metzelei unter ihnen nicht mehr vermocht hätte, Raum für einen Menschen, viel weniger für den Weg von Pferden zu gewähren.
Die Sonne brannte jetzt so heiß, daß sie nur langsam ihren Marsch fortsetzen konnten, und es war gegen Mittag, als sie das Ufer des Somo erreichten und sich dem Missionshause gegenübersahen.
Zu ihrer Freude sahen sie schon fern einen englischen Posten, und als sie die Station betraten, fanden sie einen Pikett Dragoner und eine Abteilung von fünfzig Jägern daselbst lagern und die Nachricht, daß Sir George Cathcart, der Befehlshaber der Expeditionstruppen, auf einer Rekognoszierung sich in der Mission befand.
Leutnant Delafosse erfuhr jetzt erst, was der Kapitän längst gewußt, daß sie sich auf der Station des deutschen Missionars befanden, welchen sie vor einiger Zeit in der Kapstadt hatten kennen lernen und dessen Tochter Luise die unfreiwillige Ursache zu der grausamen Verfolgung des armen Peter Pretorius geworden war. Vater Müller, der Missionar, der bisher in Frieden und gutem Einverständnis mit seinen wilden Nachbarn gelebt hatte, und dessen Familie die Tochter des Häuptlings nicht unbekannt war, da sie auf ihren Streifereien mehrmals in sein Haus gekommen, schien in großer Besorgnis über den Umstand, daß die Soldaten hier Posto gefaßt, weil er einen Ausbruch des Kampfes und die Rache der Kaffern fürchtete.
Seine Besorgnis stieg noch höher, als die drei kühnen Kundschafter jetzt von den Soldaten mit Jubel herbeigeführt wurden und der General sich sogleich von ihnen Bericht erstatten ließ. Edward, der bisher von den Nachrichten, die ihm der verräterische Tschanuse über die Beschlüsse der Kaffern gegeben, in der Gegenwart des Fingoe und der Häuptlingstochter geschwiegen, berichtete sie jetzt, und der General hielt sogleich mit den ihn begleitenden Offizieren einen Kriegsrat, um einen raschen Entschluß zu fassen.
Das Resultat war der Beschluß, daß Kapitän Rivers mit seinem Begleiter, ohnehin von den Anstrengungen der Flucht aufs höchste ermüdet, das Kommando des Jägerpiketts, von einigen Reitern unterstützt, übernehmen und mit diesen auf der Station zurückbleiben sollte, um den Punkt, den der General zu einem Übergang über den Fluß bestimmt, besetzt zu halten. Das Expeditionskorps sollte sofort vom Kambusi aufbrechen, den Kai überschreiten und am anderen Mittag in der Nähe der Station eintreffen, um den Kaffern zuvorzukommen und einen Einfall in ihr Gebiet zu machen, noch ehe sie Zeit gehabt, ihre Macht zu sammeln.
Die nötigen Befehle wurden sofort erteilt, die Pferde vorgeführt, und General Cathcart verließ das Haus, um aufzusitzen und zu seinen Truppen zurückzukehren.
Sobald der Kapitän sich im Besitz des Kommandos sah, traf er sofort seine Anstalten. Alle Wahrzeichen, daß die Station von britischem Militär besetzt sei, wurden sorgfältig verborgen, die Soldaten in die Hintergebäude kommandiert oder mußten wenigstens Waffen und Uniformen ablegen. Der Kapitän zeigte sich möglichst häufig und offen am Ufer.
Die Familie saß unter der Veranda, die das aus Bambus und Holz aufgeführte niedere Missionshaus umgab. Sich zu dem würdigen Geistlichen setzend, wußte Rivers bald das Gespräch auf ihre Bekanntschaft in der Kapstadt und von da auf den Jüngling zu lenken, den er so schändlich um sein Lebensglück gebracht. Mit großem Wohlbehagen erzählte er, wie der junge Mann desertiert und zu den aufrührerischen Booten sich geflüchtet habe, und daß er es sei, welcher seine Landsleute, die Engländer, in der Versammlung der Kaffern verraten.
Wie giftige Schlangenbisse traf jedes seiner Worte das zarte Mädchen. Luise war eine jener hellen, sanften Gestalten, die, Gott vertrauend und, bei aller Zartheit der äußeren schönen Hülle, doch von festem, aufopferndem und für das Edle empfänglichem Geist und Herzen.
Bei dieser Gesinnung des Mädchens mußte sie eine ehrlose Tat des Geliebten, und als solche stellte sie der Kapitän dar, tief im Innersten verwunden, und einer Ohnmacht nahe erhob sie sich und wankte davon, indes Vater und Mutter den Jüngling verdammten und die gute Meinung beklagten, die sie früher von ihm gehegt. Der Kapitän gewann Schritt auf Schritt das Terrain, das er zum Schauplatz seiner Intrigue erkoren.
Die Hitze des Tages war vorüber, als der Fingoe mit der Nachricht erschien, daß am jenseitigen Ufer sich mehrere Kaffernreiter gezeigt hätten, darunter der junge Holländer, und bis an den Rand des Flußbettes gekommen wären, die wieder aufgefundenen Spuren verfolgend. Es war in einem Zimmer des Hauses, wo der treulose und listige Wilde dem Offizier die Botschaft brachte, und es erfolgte alsbald eine längere Unterredung, in der ein Plan entworfen wurde, die jedenfalls nur kleine Schar der Wilden zum Angriff zu verlocken und sie womöglich gefangen zu nehmen. Ein teuflischer Triumph lag in den Worten des Kapitäns, als er die Hoffnung aussprach, den Gehaßten wieder in seine Hände zu bekommen und ihn jetzt den schmählichen Tod des Verräters erleiden zu lassen. Nachdem der Plan festgestellt war, verließ der Kapitän das Haus und nahm den Fingoe nach dem nahen Ufer des Somo mit, wo er, unbekümmert der feindlichen Späher, plaudernd umherging, ihnen auf diese Weise von seiner Anwesenheit selbst Kunde gebend.
Die junge Deutsche war wider Willen die geheime Zeugin der Unterredung des Offiziers mit dem Spion gewesen, indem sie neben der nur durch Bambus gebildeten Wand des Gemachs auf ihrem Ruhebett gelegen und so den ganzen Anschlag gehört hatte. Die Gefahr des noch immer Geliebten folterte ihr Herz im Kampf mit der Verachtung, welche die falsche Erzählung des Kapitäns über den Verrat und Einbruch des jungen Mannes ihr eingeflößt.
In diesem Seelenzustand traf sie auf den Leutnant und Gulma.
»Miß,« sagte der junge Mann, »ich suchte schon lange vergeblich die Gelegenheit, Sie einige Augenblicke allein zu sprechen, weil ich den schmerzlichen Eindruck bemerkt habe, den die Erzählung des Kapitäns Rivers auf Sie gemacht hat und weil ich es für Pflicht halte, auch dem Feinde Gerechtigkeit widerfahren zu lasten.« So schonend als möglich teilte er der jungen Dame mit, was vorhergegangen, und die furchtbare und grausame Strafe, der man den Unglücklichen unterworfen hatte.
Das Mädchen hörte bebend den Worten zu, dann aber schien ihr zaghaftes Gemüt zu erstarken, ihr mildes, blaues Auge von Stolz und Entrüstung zu leuchten. »Jetzt will ich es laut bekennen, daß ich den Unglücklichen lieben und seinen Quäler verachten werde, so lange das Herz in meiner Brust schlägt. Gott ist mit den Unschuldigen, und er wird mir Kraft geben, die Schlingen seiner Feinde zunichte zu machen!«
Das deutsche Mädchen hatte die Hand der Schwarzen ergriffen und zog sie mit sich fort.
Es war Nacht – zwei Frauengestalten schlichen stromaufwärts am Ufer des Somo entlang. »Dort, wo aus dem Dickicht der Farrenkräuter der hohle Korkbaum sich über das Ufer hebt,« flüsterte die eine, »liegt das Boot. Wenn du die Richtung gemerkt, wo sie lagern, werden wir dort sein, ehe eine Viertelstunde vergeht, und unsere Nachricht rettet ihn und die Deinen.«
»Sie wird mir die Rückkehr zu meinem Volke erkaufen,« sagte Gulma. »Der große Häuptling wird vernehmen, daß sein Kind das Herz einer Kafferin hat, auch wenn sie den weißen Mann liebt. Utika sieht auf die Herzen, nicht auf die Farbe der Haut.«
Die weiße Tochter des Missionars drückte die Hand des schwarzen Mädchens, »Das deine ist gut und edel, Gulma, und verdient, den heiligen Lehren des Christentums geöffnet zu sein. Du sollst bei uns bleiben, wenn du willst, und ich werde deine Schwester sein.«
Das Kaffernmädchen glitt gewandt an der Uferböschung hinab und half der neuen Freundin. Nach wenigen Schritten fanden sie den Kahn, den die Wilde mit sicheren Schlägen über den Strom des Wassers trieb. Einige Augenblicke darauf waren sie am anderen Ufer, befestigten den Nachen und klommen die Uferbank hinauf. Vorsichtig strichen sie jetzt an derselben stromabwärts entlang, das Kaffernmädchen von Zeit zu Zeit den eigentümlichen Ton des Spottvogels nachahmend.
Plötzlich erhob sich aus den riesigen Büschen der Farrenkräuter eine dunkle Gestalt und schwang den Assagai, aber der rasche Blick des Mädchens hatte die drohende Bewegung erkannt, und ihr Zuruf hemmte den todbringenden Wurf und machte den Kaffernkrieger aus seinem Versteck hervortreten.
Die große kräftige Gestalt kam bis dicht an die Mädchen, lehnte sich auf den langen Wurfspieß und betrachtete sie einige Augenblicke. »Die Granatblüte,« sagte er endlich, »tut nicht wohl daran, heimzukehren, ehe der Zorn des großen Häuptlings sich gelegt hat. Ihr Flüstern ist nicht stark genug, um seinen Groll zu besänftigen, und sein Grimm wird sie töten, ehe sie Zeit hat, ein Wort zu sagen.«
»Ich bin nicht auf dem Wege zur Heimat, Umtakoe,« erwiderte das Mädchen, »obschon ich den Zorn Sandilis nicht fürchte; denn es wär' ein schlechtes Weib, das den Mann ihres Runlho nicht rettete vor der Wut seiner Feinde. Ich bringe dem Häuptling das Leben von sechs seiner tapferen Krieger. Jenseits jenes Flusses sind eure Feinde.«
»Wir wissen es! Die beiden falschen Smause und der Hund von Fingoe!«
»Ich komme, euch vor Verrat zu warnen; auf jenem Ufer liegen mehr Krieger verborgen, als ihr ahnet!«
»Was tut es – seit einer Stunde ist Tzatzoe mit seiner Schar bei uns.«
»Um so dringender ist meine Botschaft und kann Rettung auf beiden Seiten bringen. Tzatzoe darf ich nicht sprechen, er ist ein wilder Krieger, der auf die Bitte nicht hört. Du aber bist der Sohn der Frau, deren Milch ich getrunken, als meine Mutter gestorben war. Eile zurück und führe heimlich den jungen Dutschmen hierher, der der Spur seines Feindes gefolgt ist. Meine weiße Schwester muß ihn sprechen.«
Der junge Krieger versprach zu gehorchen und glitt mit der Gewandtheit einer Schlange fort.
Eine Viertelstunde war vergangen, als zwei Männer eilig daher kamen. Es war Peter Pretorius und der Wilde. Obschon der junge Holländer von dem Krieger gehört, daß eine weiße Frau sich bei Gulma befand, hatte er doch keine Ahnung davon, daß es die Geliebte sei, und ein Tränenstrom schmerzlicher Erinnerung und tiefer Erregung stürzte aus seinen Augen, als er jetzt sie erkannte und sie zum erstenmal an seine Brust sank.
Gulma winkte dem Krieger, mit ihr zur Seite zu treten, und ließ sich von ihm die Vorgänge nach ihrer Flucht erzählen.
Als er sich entfernt, blieb das Naturkind lange allein in schwermütigem Nachdenken stehen, ehe sie zu der neuen Freundin und ihrem Geliebten zurückkehrte. Sie fand diese Hand in Hand unter dem Baum sitzend, ihre jungen Herzen hatten sich geöffnet, ihre Lippen die Gelübde treuer Liebe getauscht.
»Hat meine weiße Schwester dem Abalungo die Kunde der Gefahren ins Ohr geflüstert?« fragte die Kafferin. »Es ist Zeit, daß wir aufbrechen, damit niemand ihre Abwesenheit bemerkt.
»Peter ist von den Plänen des Kapitäns unterrichtet und daß die Hauptmacht der Engländer morgen eintreffen wird, um über den Fluß zu gehen und in das Gebiet der Kaffern einzufallen. Er glaubt seine Begleitung zwar stark genug, um einen Kampf mit dem Posten des Kapitän Rivers zu wagen, aber er wird um meinetwillen den Häuptling überreden, davon abzustehen. Das weitere Schicksal der uns Teuren liegt in der Hand des Allmächtigen!«
»So laß uns eilen! Atalma, der die Liebenden beschützt, möge das Zeichen eures Wiedersehens sein!« Sie eilte von einer ihr selbst unerklärlichen Besorgnis getrieben, zu dem Ufer des Flusses.
Das donnernde, brausende Geräusch aus der Ferne kam näher und näher und wurde immer läuter.
Langsam folgten ihr die Liebenden, nicht achtend auf die warnenden Stimmen in der Natur. Wenn sie ja darauf hörten, glaubten sie, daß das Gewitter heranzöge. Gulma war bereits im Flußbett, sie hatte den Nachen losgemacht und stand bis an die Hüften im Wasser, so rasch war dasselbe gewachsen.
»Geschwind in den Kahn!« rief das Kaffernmädchen; »das Wasser wächst.«
Luise riß sich los aus den Armen des Geliebten, der ihr selbst in den Nachen half, den Gulma mit starker Hand ans Ufer gedrängt.
Die beiden Mädchen hatten noch nicht die Mitte des so plötzlich angewachsenen Flusses erreicht, als Gulma, die mit starkem Arm den gebrechlichen Kahn vorwärts trieb, plötzlich empfand, daß derselbe ihr nicht mehr gehorchte und, von einer unbekannten Gewalt erfaßt, sich zweimal um sich selbst drehte und dann mit Blitzesschnelle vorwärts schoß.
»Die Wasser des Gebirges! Halte dich fest, weiße Schwester, halte dich fest!« Es war alles, was sie der entsetzten Luise zuzurufen vermochte.
Mit übermenschlicher Kraft hielt das Kaffernmädchen den Kahn in gerader Richtung, als das Wasser über sie herstürzte, das Ruder aus ihrer Hand riß und die Frauen und das Fahrzeug begrub.
Mit einer atemberaubenden Schnelligkeit schoß das Kanoe vorwärts und war fast dem Missionsgebäude gegenüber, als es auf einen der hier in der Mitte des Flußbettes verstreuten Felsblöcke stieß und in Stücken schmetterte.
Als die beiden Mädchen wieder zu sich kamen, brüllten noch immer die Wasser um sie her, peitschte der schäumende Gischt mit der Schnelligkeit eines Pfeils an ihnen vorüber, aber sie fühlten Boden unter ihren Füßen und sahen sich vier bis fünf Fuß hoch über der Fläche des brausenden Stroms – die bekannten Blumen und Lianen, die sich über sie neigten, das einfache hölzerne Kreuz, das sich hoch gegen den Nachthimmel abzeichnete, zeigten ihnen sogleich, wo sie sich befanden.
Gerade gegenüber der Missionsstation erhob sich, aus der Mitte des Flusses emporragend, eine kleine Felseninsel, deren Oberfläche, etwa zehn bis zwölf Fuß im Geviert, mit einem üppigen Pflanzenwuchs duftender Blumen und Lianen bedeckt war. Da das Strombett den größten Teil des Jahres über so seicht und trocken war, daß man, von einem Stein zum andern schreitend, ohne den Fuß zu benetzen, die Felseninsel erreichen konnte, in die man einfache Stufen eingehauen, so brachte die schöne Deutsche einen großen Teil ihrer Zeit hier zu, wo sie ungestört, nur von der gewaltigen Natur umgeben, ihren Gedanken und Empfindungen nachhängen konnte.
Nur dunkel und undeutlich zeichneten sich die fernen Stromufer über der ferntobenden weißen Schaummasse aus, die vor und rückwärts wogte, so weit das Auge reichte.
In den Gebäuden der Mission sah man Lichter sich hin und herbewegen – die unglücklichen Eltern hatten, durch das furchtbare ihnen noch ungewohnte Naturereignis geweckt, die Abwesenheit des einzigen Kindes entdeckt; ihre Angst war grenzenlos; die Offiziere boten ihre Soldaten auf; der das Brausen des Wassers zuweilen durchbrechende Ruf verkündete, daß man die Verlorenen am Stromufer entlang suchte.
Aber auch auf dem fernen linken Ufer schien die gleiche Erregung zu herrschen; ein mächtiges Feuer begann dicht am Rande der Wässer emporzuflammen und wurde, trotz des Sturmes, fortwährend genährt, daß es hoch in der Nacht flackerte. Dunkle Schatten bewegten sich m dem Lichtkreis hin und her.
Verzweifelnder Ruf am Ufer auf und ab: »Luisge! Luisge!«
»Die weiße Taube ist gerettet,« sagte das Kaffernmädchen, »ihre Freunde suchen sie, aber unsere Stimmen sind zu schwach, um jenen Kunde zu bringen, ehe das Licht des Tages sie gibt. Was sollen wir tun?«
»Laß uns beten!
»Beten? – was ist das?«
»Ich will es dich lehren, meine Schwester!«
Die Wasser brausten und tobten fort – Schrecken lag über der Natur, Schrecken über den Menschenherzen. Das nahende Gewitter mit seinen Donnern und Blitzen zog über den Häuptern der Betenden dahin.
In der Mission hatte nach der furchtbaren Entdeckung kein Auge mehr sich geschlossen, die Mutter weinte in trostlosem Jammer, der Vater wanderte traurig durch das Toben des Wetters und streckte die gefaltenen Hände in bitterem Schmerz empor zum Allmächtigen.
Kein Trost – keine Ruhe, als der Morgen dämmerte.
Kapitän Rivers hatte am Ufer entlang noch während der Nacht seine Posten ausgestellt, das Feuer der Kaffern bewies ihm, daß er den Gedanken, sie zu einem unvorsichtigen Überfall zu verlocken, aufgeben mußte.
Leutnant Delafosse hatte die ganze Nacht am Ufer zugebracht, das Herz war ihm gepreßt und schwer, wenn er an das schwarze Mädchen und ihr Verschwinden unter den furchtbaren Umständen dachte.
Der Kapitän revidierte selbst die Posten, sein Gesicht drückte eine rachgierige Entschlossenheit aus. »Ich hoffe, ehe der Tag um zwei Stunden älter ist,« sagte er mit einem Ausdruck unbesieglichen Hasses in den mattblauen Augen, »diesen schwarzen Bestien eine Lektion zu geben, von der sie jahrelang in ihren Krals erzählen sollen und den Manen Luisens ein blutiges Denkmal zu setzen, denn diese bellenden Hunde haben auf die eine oder die andere Weise ihre Hand dabei im Spiel.«
Plötzlich berührte der Fingoe, der ihn begleitete, seinen Arm. »Massa Kapitän,« flüsterte er, »noch ist die weiße Missus nicht tot! Schaut!« Seine Hand wies nach dem Eiland – ein Freudengeschrei entfloh den Lippen der beiden Offiziere.
Der erste Sonnenstrahl, der die letzten Nebel der Nacht vertrieb und sein mildes, helles Licht auf Strom und Ufer warf, zeigte Luise die furchtbare Gefahr, in der sie geschwebt und zugleich an beiden Ufern die Gruppen der Briten und Kaffern, deren Blicke alle mit höchstem Interesse auf die Felseninsel gerichtet waren. Sie konnte deutlich an den etwa siebzig bis achtzig Schritt auf beiden Seiten entfernten Ufern, auf dem einen die winkenden Gestalten von Vater und Mutter, auf dem anderen die des Geliebten unter der Schar der Kaffernkrieger fehen, die mit wildem Jubel bei dem Anblick der Feinde ihre Waffen schwangen und einen Kriegstanz begannen.
»Gott der Allmächtige hat uns gerettet!« sagte mit freudiger Erhebung die Tochter des Missionars, »und du, Gulma, warst das Werkzeug in seiner Hand, das mich einem schrecklichen Tode entriß. Unsere Freunde sehen uns, sie werden ihre Kräfte vereinen, uns aus dieser schlimmen Lage zu befreien.«
Das schwarze Mädchen schüttelte traurig das das Haupt. »Utika oder Gott, wie meine Schwester das große Wesen nennt, wollte nicht, daß wir sterben, ohne die wiedergesehen zu haben, die wir lieben. Er hat uns den Trost gegeben, ehe unsere Geister zu ihm gehen.«
»Wie, Mädchen – warum zweifelst du an unserer Rettung? Ist die Gefahr nicht beseitigt?«
Die Kafferin legte ihre Hand auf den Arm Luisens. »Ich weiß, daß es meiner weißen Schwester schwer wird, vom Leben zu scheiden, denn der Mann, den sie liebt, liebt sie wieder mit aller Kraft seines Herzens!«
»Gulma – ich beschwöre dich –«
»Glaubt das weiße Mädchen wirklich, der Haß der schwarzen und weißen Männer werde sich beugen, um zwei arme Frauen zu retten? Und wenn die Menschen es wollten – Atalma fordert seine Opfer. Wir werden eingehen zu den seligen Geistern aller Guten!«
»Gulma, ich verstehe dich nicht! rede, sprich!«
Das Kaffernmädchen wies auf das brausende Gewässer.
»Als wir uns retteten, bedeckten die Wellen noch nicht jenen Stein. Wenn die Gewitter am Vollmond brüllen und die Springfluten von den Gebirgen niederstürzen, schwellen die Wasser zwölf Stunden lang. Erst wenn die Sonne über jener Sykomore steht, wird der Strom zu fallen beginnen, und dann hat er längst diesen Fels überflutet und alles, was lebt, hinweggeführt.«
Die Europäerin starrte entsetzt das Kind der Wildnis an, das traurige, ergebene Gesicht der Häuptlingstochter bewies ihr, daß sie Wahrheit gesprochen.
Ihr starres, verzweifelndes Auge wendete sich dann wie hilfesuchend nach der Seite der Engländer. Eine weiße Wolke kräuselte von dort aus dem grünen Busch empor – der Knall einer Büchse schlug an ihr Ohr, und sie hörte das Zischen des Bleies über ihr Haupt hinweg – der Kampf hatte von dieser Seite begonnen.
Vergeblich eilten flehend der alte Missionar und die Matrone zwischen den Schützen umher – die Salven der Endfield-Büchsen folgten jetzt ununterbrochen.
Aber auf dem Ufer der Kaffern schienen die Krieger nicht bloß mit der Begegnung des Feuers und dem wilden Kampf beschäftigt. Das unglückliche Mädchen sah, wie eine Anzahl der Männer, in deren Mitte ihr Geliebter stand, wiederholt mit Gebärden der Angst nach ihr hindeutend, sich eifrig zu beraten schien – das Schicksal, das den Frauen auf dem Felsen drohte, konnte den erfahrenen Söhnen des Landes nicht unbekannt sein.
Auch der Fingoe sprach mehrmals eifrig zu dem britischen Kapitän, aber dieser wies ihn heftig zurück, seine Jäger zum ununterbrochenen Feuern anspornend.
Jetzt sah man eine kleine Abteilung der Kaffern stromaufwärts davon eilen und bald darauf, in den Pausen des Gefechts, konnte man regelmäßige Beilschläge vernehmen, wie zum Fällen der Bäume.
Peter Pretorius war zurückgeblieben, er verließ das Ufer gegenüber der Felseninsel keinen Augenblick, und trotzte furchtlos dem Feuer der Engländer.
Auf beiden Seiten waren bereits mehrere der Krieger gefallen und jede neue Wunde vermehrte die Erbitterung der Kämpfenden.
In der Erbitterung des Gefechts hatten die meisten nur wenig auf die beiden unglücklichen Mädchen geachtet.
Höher und höher schwoll die Flut, schlugen die Wogen.
Starren Blickes schaute der junge Boor auf seine Geliebte. – Tzatzoe, der Häuptling, stand jetzt neben ihm. Der Häuptling schien dem Verzweifelten Mut und Hoffnung zuzusprechen, denn er deutete wiederholt stromaufwärts.
Plötzlich verkündete das Geschrei der britischen Posten, daß etwas Neues, Unerhörtes sich zeigte; zugleich stellten die Kaffern ihr Feuer ein und stürzten, jede Gefahr verachtend, nach dem Ufer. Ihr Geschrei, ihr Winken deutete den Frauen an, ihre Aufmerksamkeit stromaufwärts zu richten.
Gulma sprang empor, ihr Arm richtete das Christenmädchen auf. »Rettung, Schwester, Rettung! Die Krieger meines Volkes kommen!«
Auf der brausenden Flut daher aus dem Dunkel des Busches, der weiter hinauf die Ufer bedeckte, schoß ein schlankes Floß, aus dünnen Baumstämmen und Ästen leicht zusammengezimmert und durch zähe Lianenranken verbunden.
Das Floß kam mit rasender Schnelligkeit heran.
»Bursche, nehmt die drei Schurken aufs Korn, zehn Guineen den Schützen, die sie herunterholen!« schrie die heisere Stimme des Kapitäns.
»Um Gottes willen, Sir! die Männer hegen keine feindliche Absicht, sie wollen die Unglücklichen retten!« Delafosse riß dem Schützen neben ihm das Gewehr aus der Hand, mit dem er im Anschlag lag.
Die Mutter Luisens fiel vor dem Offizier in die Knie. »Erbarmen. Sir, rauben Sie einer Mutter ihr Kind nicht!«
»Es sind Macomos Söhne,« flüsterte der Fingoe ... »sie haben einen Streich vor – hüte dich, Massa! ...«
Durch das Rauschen der Wogen, durch das Streiten der Männer scholl ernst und feierlich ein erhabener Gesang – das waren die ergeifentsen Worte des sechsten Psalms, die der alte Missionar, dicht am Rande des brausenden Wassers kniend, die Hände segnend nach dem bedrohten Kinde ausgestreckt – aus tiefer Brust zu seinem Schöpfer emporrief.
Peter Pretorius schwang das Tuch über seinem Haupte. »Rettung! Rettung!« Der ferne Blick des britischen Offiziers fiel auf die Gestalt des Jubelnden.
»Feuer, Bursche! – Herunter mit den Schwarzen!«
Vier – fünf Büchsen der englischen Jäger knallten zu gleicher Zeit. – Der Wilde am Steuer tat einen hohen Sprung und stürzte rückwärts in den Strom – Kona verschwand in den Wellen, während sein Bruder das Ruder fallen ließ und auf dem Floß zusammenbrach.
Ein Schrei der Wut, der Entrüstung gellte aus hundert Kehlen vom Ufer der Kaffern, wild schwangen die Krieger die Waffen – der Jammerruf der unglücklichen Mutter mischte sich diesseits gleich einem Todesgestöhn in das Wutgeschrei der Wilden.
»Das ist niedriger Meuchelmord – schämen Sie sich, Sir!«
Der Kapitän griff wutflammenden Auges nach dem Degen, aber Leutnant Delafosse, der ihm die Verwünschung ins Gesicht geschleudert, achtete seines Zornes nicht und stürzte nach dem Rand des Stromes.
Furchtbares war auf der brausenden Flut geschehen.
Das Floß, jeder Steuerung beraubt, schoß mit entsetzlicher Kraft heran, stieß an den bereits fußhoch von der Flut bedeckten Fels, drehte sich um sich selbst und schlug mit seinem Ende gegen das Kreuz, an das, einander umschlingend, das weiße und das schwarze Mädchen sich geklammert hatten.
Ein entsetzlicher, gellender Todesschrei: – der Anprall hatte die schwachen Bänder des Flosses gelöst, und seine Balken flogen auseinander: hin und her schwankte das Kreuz, dann, dem Druck der Wässer nachgebend, neigte sich das Markzeichen der britischen Zivilisation und stürzte in die brausende Flut, die die verschlungenen blutenden Körper der Mädchen davon trug.
»Luisge!« – »Gulma!«
Von dem Ufer der Kaffern warf sich mit gewaltigem Sprung den Armen des Häuptlings sich entreißend, der junge Boor in die Flut – in die im selben Augenblick vom andern Ufer Edward Delafosse verschwand.
Mit gewaltigen Armen griffen die Schwimmer aus.
Wie auf einen Antrieb eilten die wilden Krieger und die britischen Schützen bis an die Brust ins Wasser oder am Ufer entlang, den Kühnen zu Hilfe, Schüsse wechselnd, die Todesdrohung im Aug und Mund, aber von der undurchdringlichen Wasserflut geschieden.
Kapitän Rivers hatte dem Fingoe die Büchse entrissen, und sein Schuß krachte auf den eben emportauchenden Todfeind.
Der junge Boor hob sich aus den Wellen – er streckte die von dem Blei zerschmetterte Linke in ohnmächtigem Fluch dem Herzlosen entgegen und überließ sich den Wellen.
Die starke Hand Tzatzoes erfaßte ihn und zog ihn zum Ufer. –
Eine Meile unterhalb der Mission, auf einer hohen vorspringenden Felsbank, fanden zwei Stunden später, als die Wasser so rasch, wie sie gekommen, zu fallen begannen, die britischen Soldaten die zerschmetterten Leichen der beiden Mädchen – unfern von ihnen das Kreuz.
Die Weiße und die Schwarze – sie hielten sich noch im Tode umschlungen. Ein Grab deckt sie am Saume des fernen Kaffernlandes. Aber unter den Männern der weißen und schwarzen Farbe wütete der blutige Haß und Krieg fort.
Am Nachmittag desselben Tages schon führte General Cathcart die britischen Truppen durch das fast wasserlose Strombett zum Einfall in das Land, und der Rauch der brennenden Krals bezeichnete seinen Weg.