Sir John Retcliffe
Nena Sahib
Sir John Retcliffe

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Sankt Helena.

Auf dem Hochplateau der Insel, eine Stunde von Jamestown, in der sterilsten und unfruchtbarsten Gegend, schutzlos den sengenden Strahlen der Sonne und den wilden Orkanen des Meeres ausgesetzt, liegt ein einstöckiges Haus, mit der Front gegen das Meer, auf der Rückseite von einigen Nebengebäuden umgeben.

Es ist Longwood – der Kerker des Kaisers bis zu jenem 5. Mai 1821, der den gefesselten Löwen für immer dem niederen Hohn des triumphierenden Englands entriß und seinem Hudson Lowe die Freiheit wiedergab.

Östlich von Longwood liegt ein stilles dunkles Tal; zwei Weiden stehen auf einem kleinen Erdhang nahe dem Ufer des Baches. Ihre Zweige hängen traurig zur Erde – unter dieser Erde beschatten sie ein offenes Grab, von einem niederen Eisengitter umgeben.

Neunzehn Jahre war das Grab geschlossen, und der Felsblock, der es bedeckte, deckte das, was sterblich war an Napoleon Bonaparte.

Nach neunzehn Jahren wurde dies Grab und die Weltgeschichte bestohlen. Konnte man durch den Katafalk im Invalidendom etwa die Erinnerung an Sankt Helena verwischen?

Alles war einsam und still!

Unter der Weide am Grabe kniete ein Mann in Schifferkleidung, Hut und Mantel lagen am Boden, der Seewind lüftete das ergrauende Haar, und wehte um die Marmorstirne, die an das Gitter von Eisen gepreßt war.

Der Mann am Grabe blickte empor.

Von Longwood her kam ein einzelner Reiter, von Osten herauf an den Felsenklippen empor stiegen zwei Männer, und von der Ruperts-Bai im Süden sah man drei Personen auf Maultieren den Felsenpfad daherreiten.

Wer waren die Fremden?

Der einsame Reiter war der erste, der sich nahte; er hatte das kleine Gebirgspferd, das ihn getragen, in einiger Entfernung an den Stamm einer Palme gebunden und trat zu dem nächtlichen Wächter der Gräber.

»Ist dies jene letzte Ruhestätte, die Ihre Landsleute dem großen Gefangenen von St. Helena gewährt haben?«

»Die Engländer haben dies getan, Friedlich Walding,« entgegnete der Fremde, der den Mantel wieder umgenommen, den Hut in die Stirn gedrückt hatte, »nicht meine Landsleute, obschon sie in so mancher Schlacht in den britischen Reihen gegen den Toten fochten. Irland bekämpft seine Feinde, aber es mordet nicht die Besiegten!«

Der deutsche Arzt sprang auf den Unbekannten zu und riß den Mantel von dem Gesicht. »Um der ewigen Barmherzigkeit willen – trügen mich meine Augen? Kapitän Ochterlony, Sie hier, an diesem Ort?«

»Was wundern Sie sich darüber? Als ich Sie verließ, als ich Ihnen raten ließ durch Duncombe, den weißen Raben, den ehrlichen Notar, sobald als möglich England zu verlassen und nach dem Festland zu fliehen, war ich ein Gefangener im Kerker: jetzt bin ich ein Verurteilter am Bord eines Verbrecherschiffes, auf dem Weg nach Botany-Bay und durch Hilfe zweier vom Bunde auf einige Stunden meinem Kerker entronnen. Der Unterschied ist gering und mein Los Ihnen gewiß längst bekannt!«

»Entsetzlich! jenes Schiff in der Bay von Jamestown –«

»Ist der neue Parlamentssitz für Ralph Ochterlony, den Irländer!«

»Ich bin ein Gefangener Englands wie Sie, Ochterlony, ein entehrter, gemißhandelter Mann, und an dieses Grab gekommen, um bei dem Namen des großen Toten Vergessen zu suchen für das eigene Unglück!«

Der Kapitän hielt ihn auf Armeslänge von sich und starrte ihn an. »Sie wären ein Gefangener wie ich – was wollen Sie damit sagen? Ich glaubte Sie auf dem Weg nach Indien, Ihr und mein Gelübde zu lösen!«

»Auf dem Weg dahin bin ich – aber nicht freiwillig. Ich bin ein Gefangener an Bord der ›Artemise‹ – der Fregatte, welche vor drei Tagen von der afrikanischen Küste im Hafen von Jamestown eingetroffen und in der Nähe des Transportschiffes ankert. Vor sieben Monaten, als ich nach Ihrem Willen vor unseren Feinden geflohen war und in Plymouth mich einschiffen wollte, wurde ich des Abends von unbekannten Männern am Strand überfallen und zu Boden geschlagen. Als ich wieder zum Bewußtsein gelangte, befand ich mich an Bord eines Transportschiffes, meiner Papiere beraubt, und vierzehn Tage später wurde ich auf die nach der afrikanischen Küste und Indien bestimmte Fregatte gebracht, ohne daß auf meine Bitten und meinen Widerstand geachtet wurde.«

Der Kapitän faßte seinen Arm. »Und der Brief Dyce Sombres an Nena Sahib? Er ist also auch gestohlen, wie das Testament?«

»Er ist das einzige, was ich gerettet! Ich hatte ihn mit einigen Banknoten, von schlimmer Ahnung getrieben, in dem Leder meines Stiefels verborgen. Alle Papiere waren mir entwendet, doch das rechte war den Mördern entgangen!«

»Es ist sicher, daß es auf dieses abgesehen war. So sind Sie demnach entflohen von der Fregatte?«

»Man hat mir auf vierundzwanzig Stunden die Freiheit gegeben, nachdem ich deren Behauptung mit einer ebenso schimpflichen wie tyrannischen Mißhandlung habe bezahlen müssen – man strafte mich als Deserteur!«

»Wie, auch Sie? und Sie leben noch ohne den Gedanken unendlicher Rache? – Doch still – Fremde nahen diesem Ort! fort bis wir wissen, wer sie sind!«

Der Irländer verschwand mit dem Arzt hinter einem Felsblock, während von verschiedenen Seiten die Fremden sich nahten, die sie in der Ferne erblickt.

Die beiden Männer, die von Osten herkamen und an den Felsenklippen der Küste emporgestiegen waren, betraten mit dem festen Schritt und dem kühnen Auge von Leuten, die gewohnt sind, der Gefahr ins Auge zu sehen, den Platz. Ihre Kleidung war die einfacher Reisender, der Gürtel jedoch, der ihre Hüften umgab, zeigte ihre Bewaffnung für jede Eventualität.

Das Licht der Fackel, die der eine trug, fiel auf die zweite Gruppe der Ankommenden und beleuchtete die weiten reichen Gewänder zweier Indier und die einfache Jacke eines holländischen Boors.

»Steht! wer da?«

»Antwortet selbst.«

»Fremde – Franzosen – die das Grab des großen Kaisers besuchen!«

Der junge Mann, der die Kleidung des holländischen Boors trug, schritt auf sie zu.

»Meine Herren,« sagte er in französischer Sprache, »wenn Sie Passagiere des französischen Schiffes sind, das mit uns zu gleicher Zeit auf der Reede von Jamestown eintraf, so seien Sie uns willkommen. Ein gleicher Zweck führt uns hierher, dem Grabe eines Mannes unsere Ehrfurcht zu zollen, der einst ganz Europa unter seiner ehernen Faust hielt und der Feind unserer Feinde war. Ich bin ein einfacher Boor vom Kap, meine Name ist Peter Pretorius, und ich gehe in Aufträgen mit einem batavischen Handelsschiff nach Paris. Meine Begleiter sind Indier, der Bruder und General des Königs von Audh, Sciander Hasmat Bahadur, und der Bruder des künftigen Maharadschah von Bithoor Nena Sahib, Baber Dutt, die, um Klage zu führen gegen die Tyrannei und Gewalttätigkeit des indischen Gouvernements, nach London reisen.«

Die Franzosen verbeugten sich.

»Mein Name ist Dugonier, der dieses Herren Grimaldi aus Korfu; wir gehen nach Indien, um in die Dienste der unabhängigen Fürstin gegen England zu treten.«

Ein Blitz zuckte über den schwarzen nächtlichen Himmel und der Donner rollte majestätisch über Felsen und Meer.

Hinter dem Felsblock hervor traten zwei Männer in den kleinen Kreis am Grabe.

»Lassen Sie uns die Dritten sein bei Ihrem Finden an dieser Stätte,« sagte die sonore Stimme des Ältern. »Indien, Holland, Frankreich, Griechenland und selbst der Deutsche, an dessen Strommündung England seine Zwingburg gebaut, nicht der Zufall sondern die Fügung Gottes hat uns an diesem Grabe zusammengeführt, an dem seines erhabensten Feindes, die, welche am meisten von ihm gelitten haben. Die Fingerzeige Gottes sind die künftigen Geschicke der Menschen. Wohlan, so laßt uns ein jeder seine Anklage gegen die Tyrannen der Erde niederlegen an diesem Grabe und uns verbinden zum heiligen Racheschwur gegen England!«

Er legte die Hand auf das Gitter der Gruft und begann mit eintöniger Stimme seine Erzählung.

Über ihm zuckte der Blitz, brüllte der Donner, rauschte der Sturm!

Einer nach dem anderen von den Versammelten folgte ihm in der Rede.

Als der letzte geendet, knieten Sie alle um den Stein, der einst die Leiche des großen Kaisers bedeckt hatte, und sie legten ihre Hand auf den kalten schwarzen Basalt und sie schworen zusammen:

»Kampf gegen England!«


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