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Der wackere Irländer war glücklich über den Umkreis gelangt. Nachdem er sich in das nächste Mangogebüsch geschlichen, machte er aus seiner Uniform ein Bündel, versteckte dies unter den Zweigen und zog die Kleider des gefangenen Sepoyoffiziers an. Indem er sich Gesicht und Hände mit nassem Pulver einrieb, vermehrte er die Unkenntlichkeit des ersteren, das schon Pulverdampf und Schweiß entstellt, noch mehr, und machte sich dann guten Mutes nach der Stadt auf den Weg.
In der Stadt und deren Umgebung, die er passieren mußte, herrschte nach dem Kampf und der Niederlage noch eine lebhafte Bewegung.
Ein dichter Kreis umgab die Stelle, auf welcher der Nena sein Zelt hatte aufschlagen lassen, die frühere Villa des Residenten.
Der Irländer, indem er sich so viel als möglich im Dunkel hielt, kreuzte glücklich die Menge und gelangte auf den Weg, der nach der Hütte des Sepoy führte, den er aufzusuchen beschlossen hatte. Sie stand zwischen Bananenbäumen in einem Maisfeld, und nur, weil Mickey den Ort kannte, gelang es ihm, sie aufzufinden. Alles war dunkel in der Hütte und deren Umgebung und hatte den Anschein, als sei sie verlassen.
Meister Free wußte jedoch sehr wohl, was er von dieser Ruhe zu halten hatte. Er öffnete die aus Bambusstäben gefertigte, nach der Volkssitte unverschlossene Tür und drang ohne weiteres in das Innere. Hier tastete er auf dem Boden umher, bis ihm ein Fuß und ein Bein in die Hand kam, von dem er sich jedoch bald überzeugte, daß es dem Weibe seines würdigen Freundes angehörte. Daneben fand er endlich die richtige Spur, ergriff die Füße des Hausherrn und zerrte ihn ohne Zeremonie über die schreienden Kinder und die kreischende Frau zur Tür hinaus ins Freie.
»Akuschla, mein Liebling, du verdammter Schuft,« schrie er auf Englisch, indem er seine Worte mit einem gehörigen Tritt in die Seite des Indiers begleitete. »Steh auf, Bursche, und laß ein Wort mit dir reden!«
Der Indier war wie von einer Feder geschnellt in die Höhe gesprungen, als ein Blick auf Mickey, von dem er im Dunkel nur die Kleidung erkannte, ihn stutzig machte.
»Ich frage dich, Nudschur Dschewarri, der du mich um manche blanke Rupie beim Einkauf betrogen hast, ob du mich kennst?«
»Wie, Sahib Micko? Wo kommen mein Gebieter her in dieser Kleidung? Was ist geschehen?«
»Laß uns einen Augenblick beiseite gehen, guter Freund,« sagte vorsichtig der Irländer. »Ich glaube zwar nicht, daß die Schönheit dein Weib, oder deine Ferkel von Kindern sonderlich viel Englisch verstehen, aber besser ist besser.«
Er zog ihn eine Strecke fort, unter den Stamm einer riesigen Banane, wohin der Indier ihn mit keinem besonderen Vergnügen über das Wiedersehen zu folgen schien.
»Nudschur wundern sich, daß Sahib Micko sich hierher wagen,« meinte der Sepoy – »schlimme Zeit jetzt für Sahib Faringi.«
»Höre, Mann – du wirst dich erinnern, daß du es immer gut gehabt hast im Regiment und daß der Sahib Major dich sogar unverdienterweise zum Korporal gemacht hat. Ich hoffe, daß eine dankbare Seele in deiner schwarzen Haut steckt!«
»Nudschur Dschewarri sein ein großer Freund der Sahib Faringi, lassen sein Leben für sie und haben nicht gegen sie gekämpft.«
»Nun, das spricht für dich! du wirst dich des Hakim erinnern, von dem die Leute erzählten, daß er bei der Flucht des Sikh-Prinzen aus jenem Fort die Hand im Spiele gehabt hat.«
»Nudschur kennt den Hakim! Er hat ihn gestern gesehen, mit dem großen Peischwa der Hindostani.«
»Das erleichtert die Sache. Ich möchte mit ihm sprechen – du mußt mir eine Unterredung mit ihm verschaffen.«
»Nudschur Dschewarri,« meinte er – »sagen nicht, daß er es nicht tun wollen, aber Sahib Micko mögen bedenken, daß die Gefahr groß für armen Mann, der nichts haben, als sein Leben. Was bekommen Nudschur dafür, wenn er mit dem Hakim sprechen?«
»Ah, ist es so gemeint? Gott verdamme deine Seele, du schwarzer Schurke,« sagte Mickey ärgerlich.
»Höre, Kerl,« sagte der Irländer, der ebenso zäh im Herausrücken, als sein würdiger Freund habsüchtig war – »hier ist eine blanke Guinee. Aber nun mach', daß du fortkommst!«
Allein der Indier rückte und rührte sich nicht von der Stelle, und nicht eher, als bis der Irländer ihm fünf Guineen auf die Hand gezahlt und unter tausend bitteren Verwünschungen ebenso viel versprochen hatte, wenn er den Doktor bringen würde, wurden sie handelseinig.
»Aber nun sprich, du schwarzer Gauner,« grollte der Irländer, »wie willst du die Sache anfangen und wo soll ich unterdes bleiben?«
»Sehr leichte Sache, Sahib Micko,« meinte verschmitzt der Sepoy, der wußte, daß er seines Geldes sicher wäre – »der Hakim sein sehr guter Mann. Sahib in meiner Hütte liegen, krank und verwundet, Nudschur sagen zu Sahib Hakim: kranker Mann liegen in seiner Hütte, und sicher sein, gleich mitzubringen!«
»Was das Vieh für Verstand hat,« brummte der Irländer. »Aber höre, hier ist noch ein Auftrag. Du kennst das Haus des reichen Babu Tippo Singh und seiner Tochter Nurjesan?«
Der Indier bejahte.
»Nun, wenn du diesen Brief ihr zustecken kannst, will ich noch einen Mohur auf das Sündengeld drauflegen, das du mir abgegaunert.«
»Für was haben Nudschur Dschewarri ein Weib? Die Frau können bringen diesen Brief ohne Gefahr, wenn Tag erscheint und die Tochter des Babu mit ihren Weibern die heiligen Waschungen macht.«
Mit diesem Versprechen kehrte der würdige Korporal nach seiner Hütte zurück, holte seine Frau und Kinder heraus, bedeutete der ersteren, was sie zu tun hätte und jagte die anderen ohne weiteres in das Gehölz, um sich dort einen anderen Schlafplatz zu suchen mit dem Befehl, sich vor dem nächsten Abend nicht wieder blicken zu lassen. Dann zeigte er dem Irländer einen Fußpfad in die Maisfelder, wohin er sich zurückziehen könnte, wenn ja Gefahr nahen sollte, und wies ihm sein eigenes Lager von Rohrmatten an, indem er der Frau befahl, bei Tagesanbruch nach den Badeplätzen zu gehen, wenn er bis dahin noch nicht zurück sein sollte.
Bald nach dem Anbruch des Tages begann die Beschießung der englischen Verschanzung aufs neue. Der Irländer wurde von dem Donner der Kanonen aus dem tiefen Schlafe erweckt, in den er, trotz der Gefahr seiner Lage, gefallen war. Er befand sich allein in der Hütte, die Frau des Besitzers hatte sich bereits seit länger als einer halben Stunde entfernt, und obgleich die Zeit verrann und die Sonne immer höher stieg, kehrte weder der eine noch die andere zurück.
Endlich vernahm er herannahende Schritte und ein leises Pfeifen überzeugte ihn, daß es Nudschur Dschewarri sei, der zurückkehrte, und ein Blick durch die Spalten der Hüttenwand belehrte ihn, daß jener nicht allein, sondern daß wirklich der Arzt mit ihm war.
Doktor Walding ahnte überdies nicht, wer ihn erwartete, sondern nur seine Pflicht als Arzt hatten ihn bewogen, dem Sepoy zu seiner Wohnung zu folgen, als es diesem endlich gelungen war, ihn unbeschäftigt zu finden und seine Bitte vorzutragen, einem Schwerverwundeten Hilfe leisten zu wollen.
Um so größer war daher sein Erstaunen, als der Kranke sich plötzlich aufrichtete und ihn auf Englisch begrüßte. »Der Härre segne Ihr Gesicht, Doktor Clifford,« sagte er – »ich freu' mich, meiner Seele, Sie wieder zu sehn, obschon es nimmer hübsch ist, daß ein weißer Christenmensch mit den schwarzen Halunken zusammen hält! Schicken Sie den schwarzen Kerl hier aus der Hütte, dann will ich Ihnen was übergeben, das von so 'ner schönen Dame kommt, als nur je eine ihr Gesicht in diesem verwünschten Lande bloß gezeigt hat!
»Mickey Free, der Sergeantmajor – ich erinnere mich!« rief Doktor Walding erstaunt – »aber um Gottes willen, wo kommen Sie her, Mann – sendet Sie Doktor Brice?«
»Nicht daß ich wüßte, Doktor – es ist was Besseres als von so 'nem Salbenschmierer. Da – nehmen Sie den Brief und lesen ihn und die Lady läßt Ihnen sagen, daß sie nimmer Ihrer vergessen wird, auch wenn Sie ihr nicht helfen könnten!«
Walding ergriff hastig den Brief und öffnete ihn; – sein freundlich ernstes Gesicht zeigte eine tiefe Bewegung, als er die Worte und Bitten der jungen Dame las: »Die Unglücklichen!« murmelte er, »warum haben sie mein Anerbieten nicht angenommen, ehe es zu spät war. Sagen Sie mir, Freund, haben Sie Miß Highson noch nach dem Sturm dieser Nacht gesehen?«
Er setzte sich neben den Boten und ließ sich von diesem alles erzählen, was er über den Hergang des Gefechts und die Lage der kleinen Garnison wußte. Dann versank er in langes tiefes Nachdenken, das nur die Worte unterbrachen: »Ich fürchte – ihre einzige Hoffnung wird die Gnade des Nena sein – und diese ist gering, denn die Tigernatur in ihm ist entfesselt! Aber ihr Vertrauen soll sie nicht täuschen – er ist mir Dank schuldig – sein Leben – und keine Gefahr der Welt soll mich abhalten, jeden Versuch zu ihrer Rettung zu machen.«
Hierauf verabredete er das Nötige mit dem Boten. Sie kamen überein, daß Mick bis zum Eintritt der Dunkelheit in der Hütte bleiben und dann mit Hilfe des Nudschur sich wieder auf den Weg zu den Seinen machen sollte, was leicht ohne Gefahr geschehen konnte. Der Doktor wollte ihn am Nachmittag noch einmal besuchen und ihm dann einen Brief für die Lady bringen.
Hierauf nahm Walding von dem Irländer Abschied und kehrte nach der Stadt zurück, um durch seine Abwesenheit nicht die Aufmerksamkeit des Nena zu erregen.
Am Tore der Stadt, noch ehe der Nudschur ihn verlassen, begegneten sie der Bajadere. Walding selbst teilte ihr mit, daß er einen in den Hütten liegenden Schwerverwundeten besucht hätte, aber der Argwohn Anarkallis, deren Auge ohnehin seit jenem Abend des Festes zu Bithoor ihn streng bewachte, wurde durch seine Befangenheit rege, und er hatte sie kaum verlassen, als sie ihre Nachforschungen begann, indem sie dem Sepoy heimlich folgte.
Dem wackeren Irländer wurde in der Tat die Zeit gewaltig in seinem Versteck lang und mehr als einmal war er versucht, eine kleine Streiferei auf eigene Hand zu unternehmen, denn auch der Appetit fing sich gewaltig bei ihm an zu melden. Endlich, als die Sonne beinahe im Zenith stand, erschien der Indier, keuchend unter der Last von Lebensmitteln, mit denen er sich auf den Wink des vorsichtigen Mickey und auf dessen Kosten versehen hatte. Die beiden Freunde machten sich nun eilig daran, jeder seine eigene Mahlzeit zu bereiten, denn der strenggläubige Hindu hätte um keinen Preis gemeinschaftlich mit seinem Gast dies getan.
»Der Teufel soll mich holen, Freund Nudschur,« sagte er, »wenn meine Koteletten nicht ein ganz ander Ding sind als dein magrer Reispudding. Sei gescheut und lang bei mir zu.«
Damit streckte er ihm den hölzernen Spieß entgegen, aber der Indier wandte sich mit Abscheu davon und sagte: »Sahib Micko ein schlimmer Mann, wollen seinen besten Freund beleidigen!«
»Na – sei kein Tölpel – ich wollte nur dein eignes Bestes! Aber es kann kein Mensch verlangen, daß ein Schwein ein seidnes Halstuch trägt. Jäsus meine Seele, ich wollt meine ganze Aussicht auf die nächste Monatslöhnung geben, wenn wir eine Flasche ehrlichen Whiskey im Bereich der Hand hätten, um diese Fettigkeit sauber 'nunter zu spülen!«
Der Sepoy sah ihn schlau von der Seite an. »Was möchten Sahib Micko für einen guten Krug JagoryJagory oder Totty ist ein berauschendes Getränk, das aus Palmensaft gemacht wird. dem armen Nudschur geben?«
»Bei der Seele meines Vaters, ich wette, dieser schwarze Schuft hat eine ganze Vorratskammer davon! Heraus damit, Freund Nudschur, eh ich dir den Hals umdrehe, und du sollst eine richtige silberne Krone für deinen Krug haben.«
Der Indier nötigte seinen Freund, in die Hütte zurückzukehren, und brachte aus einer wohl im Gebüsch versteckten Grube einen mächtigen Krug des gegornen Palmensaftes zum Vorschein.
Beide begannen nun ein Gelage, bei dem zwar der Indier sich einer größeren Mäßigkeit befleißigte, welches aber auch auf ihn wenigstens den Einfluß äußerte, daß er die bisherige ängstliche Besorgnis verlor und der munteren Laune seines Gefährten nach und nach freien Zügel schießen ließ.
Zwei dunkle glühende Augen lauschten durch die Spalten der Bambuswand, ohne daß ein Geräusch die Nähe des Horchers verriet.
Der Indier hatte sich erhoben – obschon auch auf ihn das berauschende Getränk nicht ohne Wirkung geblieben war, befand er sich doch noch im Besitz seiner Überlegung und glaubte es an der Zeit, daß er sich wieder zum Doktor begeben müsse.
»Sahib Micko haben Zeit zu schlafen,« sagte er – »gehen erst fort, wenn schwarze Nacht da sein, Nudschur aber müssen zu Sahib Hakim gehen, wie er befohlen, und sich beim Jemedar melden.«
»Nun, so geh', Bruderherz, und hol meinetwegen den Pflasterkasten – der Teufel hole alle Eure Jemedare, Suhbedare und wie die Kerle alle heißen. Dein Weib läuft fort, du gehst fort – den Henker wißt Ihr, was sich schickt gegen einen irischen Gentleman!«
Der Sepoy nabm sein Gewehr von der Wand, und nachdem er seinem Gefährten empfohlen hatte, in seiner Abwesenheit sich ruhig zu verhalten, verließ er die Hütte. Als er auf den freien Platz unter den Bäumen trat, glaubte er ein Rauschen zwischen den Maisstauden zu hören und die Federn der Ähren sich bewegen zu sehen, wie von einem Körper, der sich hindurchdrängte. Aber durch den Genuß des Getränkes weniger achtsam auf die Gefahr, glaubte er, daß irgend ein naschhafter Affe das Feld besucht habe. Dann, nachdem er dreimal nach der Seite ausgespien, wo er eben mit einem Christen getafelt, machte er sich eilig auf den Weg zur Stadt.
Gibson, der Haushofmeister des Peischwa, trat in das Gemach, in welchem der deutsche Arzt in Erwartung des Sepoy, der ihn zu seiner Hütte holen sollte, eben seine Siesta hielt, und beschied ihn eilig zu seinem Gebieter. Walding fand den Peischwa auf seinen Kissen sitzend, an seiner Seite Anarkalli, die Bajadere, deren wogender Busen und heißes Antlitz einen raschen Lauf oder eine heftige Bewegung verriet. Vor ihm stand Danilos, der Uskoke, der Herr der arabischen Praua, der ihm Briefe überbracht zu haben schien, denn der Nena hielt einen solchen noch in seiner Hand.
»Was befiehlst du, Hoheit?« fragte dieser, die kaltblütige Herrschaft des Arztes seinem Patienten gegenüber annehmend, obschon ihm im Innern unbehaglich unter dem scharfen Blick des Nena zumute war und der Brief, den er bereits geschrieben und bereit hielt, auf seinem Herzen brannte. »Ich habe mir erlaubt, dir ausdrücklich für den heutigen Tag ungestörte Ruhe zu verordnen, damit das Wundfieber nicht heftig werden möge und deine Heilung verzögere. Aber ich bemerke leider, daß meine Anordnungen keine Folge gefunden haben.«
»Es ist jetzt nicht die Zeit, müßig zu ruhen, Sahib Doktor,« entgegnete mit einem leichten Hohn der Maharadschah. »Gönnst du doch selbst dir keine Rast und Ruhe für unsere heilige Sache, und scheust nicht die Mühe, obschon du diese Nacht an meinem Lager zugebracht, und meinen Kriegern Beistand geleistet hast, das Lager der Verwundeten bis in die fernsten Teile der Stadt zu besuchen und überall deine Hilfe zu spenden.«
»Das ist meine Pflicht als Arzt und Mensch, Hoheit,« sagte der Doktor nicht ohne eine leichte Verwirrung, indem er begriff, daß die Worte des Nena sich auf seinen Gang am Morgen bezogen, bei dem er der Tänzerin unglücklicherweise begegnet war.
»Owh! Dann wirst du sie um so weniger einem Freunde verweigern. Ochterlony sendet uns einen Kranken, es ist der Wessir der Leibwachen der Rani von Jhansi, unserer Verbündeten, ein Christ wie du mit dem Herzen des Hindu, der schwer in Delhi verwundet wurde. Er befindet sich in Bithoor und ich bitte dich, mit dem Rais und Gibson sogleich dahin aufzubrechen – die Pferde stehen bereit.«
»Ich weiß nicht, Hoheit,« sagte er zögernd, »ob meine nähere Pflicht gegen dich mich nicht nötigen sollte, bei dir zu bleiben, besonders, da du so ungeduldig dem Rat des Arztes dich fügst und nur den Bitten des Freundes Gehör gibst.«
»Wenn du dich als den treuen Freund Srinath Bahadurs erweisen willst,« entgegnete dieser mit Bedeutung, »so tue, was ich verlangt habe und mache dich eilig auf den Weg nach Bithoor.«
Es blieb dem Doktor nichts übrig, als zu gehorchen, wenn er nicht das nur zu leicht erregte Mißtrauen des Fürsten wachrufen wollte, und er verließ mit Danilos das Zelt, vor dessen Eingang sie Gibson bereits mit drei gesattelten Pferden erwartete.
Der Vorhang des Einganges war kaum hinter ihm gefallen, als der Maharadschah von seinem Lager emporsprang. »Du hast recht,« sagte er – »auf seiner Stirn lag die Angst des bösen Gewissens! Wehe ihm, wenn auch in seiner Seele der Verrat wohnt – der Dank für mein Leben würde ihn nicht schützen!«
»Er ist ein weißer Mann und unter weißer Haut lebt immer die Falschheit. – Ich eile zu tun, wie du mir befohlen hast.« Die Bajadere verließ das Zelt.
Walding hatte unterdes die Gelegenheit benutzt, unter dem Vorwand, daß er einige Arzneien und sein Besteck mit sich nehmen wolle, noch einmal nach seiner Wohnung zurückzukehren, an der der Arzt zu seiner Freude Nudschur Dschewarri, den Sepoy-Korporal, seiner harren fand.
Eilig trat er in sein Gemach, wickelte die Antwort an Lady Editha in ein Paket mit einer Arznei, und verließ dann wieder das Haus. An der Tür tat er, als ob er den Sepoy eben erst bemerkte und rief ihn, schon im Sattel sitzend, zu sich.
»Es tut mir leid, Freund,« sagte er laut, »daß ich deinen Kranken nicht mehr besuchen kann, aber der Peischwa sendet mich eilig nach Bithoor. Gib ihm die Medizin, die dieses Päckchen enthält, es ist wichtg, daß er sie bald bekommt und trage Sorge für ihn. Sobald ich zurückgekehrt bin von Bithoor, werde ich deine Hütte wieder besuchen.«
Ein bezeichnender Blick verständigte den Sepoy, in dessen Hand der Arzt zugleich ein Goldstück gleiten ließ; dann gab er seinem Pferde den Zügel und sprengte mit seinen Begleitern auf der Straße nach Bithoor davon, ohne zu bemerken, daß die Bajadere in der Nähe des Hauses jede seiner Bewegungen belauscht.
Der Sepoy machte sich alsbald auf den Weg, aber er hatte noch nicht die Stadt verlassen, als ein Jemedar mit einer Wache ihn einholte und ihm zu folgen befahl. Der Hindu sah sogleich, daß ein Zufall ihn verraten haben müsse und mit jenem Stoizismus, der die Orientalen gleichgiltig gegen das Leben macht, fügte er sich seinem Schicksal. Der Jemedar führte ihn nach dem Zelt des Nena, gefolgt von einer Menge Volkes, welche die Verhaftung versammelt hatte.
In demselben Augenblick, als der Sepoy, fortgestoßen von seinen Kameraden, das Innere des Zeltes betreten wollte, fiel sein Auge auf ein angsterfülltes Antlitz in der Menge, aber es genügte, mit einer bedeutsamen Wendung des Kopfes einen raschen Blick zu tauschen, und noch ehe der Teppich sich hinter ihm schloß, konnte er sehen, daß die Person, welcher der Wink gegolten, sich rasch aus dem Gedränge verlor.
Der würdige Bote Editha Highsons hatte nach dem Fortgehen seines Gastfreundes noch keineswegs sein fröhliches Gelag aufgegeben, und es dauerte nicht lange, so sank er auf die Bastmatte und ein lautes Schnarchen verkündete, daß er in einen tiefen Schlaf gefallen war.
Es mochte eine Stunde vergangen sein, als eine junge indische Frau in fliegender Hast den Fußpfad daher geeilt kam, sich häufig umschauend, als fürchte sie Verfolgung, und in die Hütte stürzte.
Sie faßte den Arm des Schlafenden und schüttelte ihn heftig, indem sie die wenigen englischen Worte, die sie kannte, in ihre Rede mischte. »Sahib Faringi müssen fort, geschwind – große Gefahr drohen dem Sahib und arme Tetukanah und arme Nudschur! Nudschur gefangen beim Peischwa – Peischwa kommen, um Sahib Faringi zu fangen!«
Der Irländer, den es ihr endlich gelungen war aufzurichten, rieb sich schlaftrunken die Augen. »Was zum Teufel schwatzt die Närrin von Peischwa und gefangen? Laß mich schlafen – oder noch besser, komm her und küß mich, du kleine hübsche schwarze Katze!«
»Nudschur Dschewarri ist von den Kriegern des Nena gefangen genommen, diese Augen sahen ihn in das Zelt des Peischwa schleppen und er winkte mir. Auf Fremdling – und folge mir!«
Der Irländer hatte doch die Mitteilung der jungen Frau jetzt begriffen und die Kenntnis der Gefahr ernüchterte ihn vollkommen.
»Sahib müssen in den Hain der stummen Leute – der Ort ist heilig und niemand wird ihn zu betreten wagen, wenn Sahib sich dort verborgen halten bis zur Nacht.«
Die Frau floh fort, und Mickey, dem die Gefahr die größte Behendigkeit verlieh, folgte ihr eben so eilig, denn es dünkte ihm, in der Ferne Rufen und Geschrei zu vernehmen.
In der Tat war dies auch der Fall, denn die Hindufrau wandte sich zu ihm und sagte: »Die Krieger des Nena haben die Hütte erreicht – aber Lakschmi sei Dank, wir sind am Ziele!« Sie hielt jetzt vor einer hohen und dichten Hecke an, die von den dicken Blättern und Zweigen der stacheligen Feigen-Kaktus gebildet war, jedoch keine Öffnung zeigte.
»Kriech durch die Hecke und verstecke dich im Gebüsch, bis die Nacht gekommen. Wenn du dreimal das Geheul des Schakals an dieser Stelle hörst, werde ich zurückgekehrt sein, um dich zu holen.«
Mickey schaute verdutzt die von langen Dornen starrende Wand an, ohne zu wissen, wie er hinüber oder hindurch kommen sollte. Tetukanah zog ihn mit Gewalt nieder, riß ihm das weiße Obergewand vom Körper und hüllte Kopf und Hände ihm ein. »Bist du ein Mann, Faringi, daß du den kurzen Schmerz fürchtest, wo es gilt, dein Leben zu retten? Eile dich – denn die Feinde nahen!«
In der Tat erklang ein gellender Ruf lauter und näher als die früheren und man hörte ihn deutlich von verschiedenen Seiten erwidern. Der Irländer steckte mit einem Coup der Verzweiflung seinen Kopf in das Dickicht voran und schob mit einem heldenmütigen Entschluß durch die elastischen nachgebenden Zweige seinen Körper nach. Zwar waren das Gesicht und die Hände durch die Vorsicht der Indierin so ziemlich geschützt, aber an hundert anderen Stellen drangen die spitzen Dornen in sein Fleisch, bis es ihm durch einen gewaltsamen, von einem tüchtigen Fluch begleiteten Ruck gelang, sie zu durchbrechen, worauf er kopfüber in einen flachen Graben fiel, der die Hecke auf der innern Seite begrenzte. Er hörte noch, wie Tetukanah ihm zurief, sich von der Hecke zu entfernen, und die flüchtigen hastigen Schritte, mit denen sie selbst entfloh.
Sie war erst wenige Augenblicke in dem Dickicht der Mangrovebüsche verschwunden, welche den Hohlweg säumten, als denselben im vollen Galopp mehrere Reiter herauf gesprengt kamen, an ihrer Spitze der Peischwa selbst.
»Möge die Bhawani alle Verräter verderben – der Ungläubige ist auch hier nicht zu sehen!«
»Stelle Wachen aus, entlang der ganzen Strecke, Mustapha, und sorge, daß der Hund nicht entwischt! – Alamos und die Tänzerin sind auf seiner Fährte – der Mexikaner hat die Witterung eines Hundes und wird sie nicht verlieren.«
In der Tat hatte der Nena auch kaum ausgesprochen, als an derselben Stelle, an welcher Mickey mit seiner Führerin das große Maisfeld verlassen hatten, Joaquin Alamos, der Pfadfinder, erschien, gefolgt von dem Kanadier Adlerblick und der Bajadere nebst mehreren Sepoys.
»Wo ist der Spion? Habt ihr den Faringi gefangen?« schrie der Peischwa sie an.
Der Mexikaner schüttelte verneinend den Kopf. »Noch nicht, Hoheit,« entgegnete er, »aber wir sind auf ihrer Spur.«
Der Nena ritt näher an sie heran. »So sind ihrer mehrere?«
»Nein, Sennor Prinzipe – es ist ein Europäer und ein indisches Weib. Sie muß ihn gewarnt haben vor der Gefahr und ihm den Weg zur Flucht zeigen.«
»Woraus schließest du das?«
Der Mexikaner lächelte. »Es muß ein Faringi-Soldat sein, denn er ist ein unmäßiger Trinker und wir fanden, wie du weißt, einen geleerten Krug an seinem Lager. Der Boden in den Maisfeldern ist weich – die Spuren eines Weiberfußes sind wohl zu erkennen, und sie sind die eines nackten und kleinen Fußes mit Ringen an den Zehen. Die Frau, die den Engländer führte, muß also jung, eine Hindu und von niederem Stande sein.«
Der Nena nickte zustimmend. »Und wohin führen die Spuren?«
»Hierher, Hoheit – sie treten hier aus dem Felde.«
»So suche weiter – der elende Sohn einer Hündin kann nicht weit entfernt sein. Bringt den Gefangenen hierher!«
»Dreifacher Sohn eines Hundes, der du deinen Glauben und dein Land verrätst,« schnob der Peischwa ihn an – »gestehe, wen du abgesandt hast, den Faringi zu warnen und ihn zu verbergen?«
»Möge der Schatten deiner Gnade auf deinen Sklaven fallen,« winselte der Nudschur, zu den Füßen des Pferdes sich windend – »ich kann nur sagen, daß ein Mann diesen Morgen in meine Hütte gekommen, der sich für einen Kaschmurer ausgab und unsere Sprache spricht, wie das Wasser des Quells sprudelt. Er sagt mir, er sei krank und befahl mir, den Hakim des Peischwa zu ihm zu holen. Bei dem Haupte Krischnas, ich war bei ihrer Unterredung nicht zugegen und habe nur getan, was sie mir befahlen.«
Der Ruf des Mexikaners unterbrach den Zornausbruch des Hindufürsten. »Ich habe die Spur, Hoheit – hier haben sie sich getrennt – das Weib ist nach jener Richtung entflohen!«
»Möge die Dunkeläugige auf ihren Fersen sein! Was ist aus dem Manne geworden?«
Der Mexikaner zeigte ihm einen Fetzen weißen Stoffes, der an den Dornen des Kaktus hängen geblieben.
»Er ist hier hinein!«
»Das ist unmöglich – die Wand ist dicht wie eine Mauer und hoch.«
»Es ist, wie ich sage, Sennor Peischwa,« erklärte der Mexikaner. »Die Angst hat ihm die Kraft gegeben, diese Wand zu durchbrechen!«
»Stell' Wachen aus, Mustapha, und fort zu dem Tempel der stummen Leute.«
Er sprengte im rasenden Galopp weiter, gefolgt von der Schar zu Pferd und zu Fuß, den Weg verfolgend, der, aus der Schlucht hervortretend, an dem Wäldchen entlang bis zu einer großen Pagode führte, welche Eingang zu dem parkähnlichen Gehege bildete, das den Wohnort der »stummen Leute« oder der heiligen Affen bildete.
Der Nena sprang vor dem Eingange von dem Pferde und trat, ohne sich um die Vorschrift zu bekümmern, durch die Pforte des Tempels in das Gehege, indem er seinen Begleitern befahl, den Ausgang zu besetzen und ihm zu folgen.
Als der Nena den inneren Raum betrat, fand er mehrere Brahminen, Fakire, Bettler und Gläubige um den Rand des gemauerten Bassins versammelt, in das die Marmorstufen der Freitreppe der Pagode führen, und wohin die Affen, deren es viele Hunderte von allen Gattungen in diesem Bezirk gibt, kommen, um zu trinken und sich zu baden.
Das plötzliche Erscheinen des Nena brachte unter den Menschen und Tieren eine große Bewegung hervor. Die Priester wollten mit Geschrei gegen den Eintritt Bewaffneter protestieren, aber einer der Brahminen erkannte den Peischwa und beugte sein Knie vor ihm, worauf sich alle zu Boden warfen. Da aber die Tiere weniger Respekt vor einem Hinduprinzen haben, so näherte sich ihm in diesem Augenblick ein großer Affe und langte mit Grimassen nach dem von Gold und Steinen funkelnden Säbel des Peischwa – ein tüchtiger Kolbenstoß des Kanadiers jedoch stürzte das Tier wimmernd in das Bassin und die ganze Rotte zog sich schnatternd und zähnefletschend eilig zurück.
Einige kurze Fragen reichten hin, den Peischwa zu überzeugen, daß der Verfolgte den Ausgang noch nicht versucht hatte.
»Dort – dort ist er – zwischen den Blättern,« rief die Bajadere, deren scharfer Blick den armen Kerl bald entdeckt hatte. Die Menge umgab die Stelle und aller Augen richten sich nach der Krone des Baumes.
»Komm herunter, Kaffir – oder dein Tod soll ein schrecklicher sein!« befahl die sonore Stimme des Nena.
Mickey, statt dem Befehl Folge zu leisten, begnügte sich damit, noch höher in den Wipfel des Baumes zu steigen und einen besseren Versteck zu suchen.
In der Tat bot das dicke Gewebe von Ästen und Zweigen auf der Höhe der in ihrem unteren Teil glatten und geraden Stämme einen ziemlich guten Schutz, aus dem ein Mann nur durch einen persönlichen Angriff oder einen glücklichen Schuß zu vertreiben war.
»Schießt den ungläubigen Hund herunter!« befahl der ungeduldig werdende Fürst – aber keiner der Sepoys wagte es, das Gewehr zu erheben, alle blickten mit scheuer Furcht bald auf den Nena, bald auf die Priester, da ein strenges Gesetz verbietet, im Bezirk der unter'm Schutz des Tempels stehenden Tiere eine Feuerwaffe abzubrennen.
Der Nena wandte sich erzürnt zu dem Kanadier in seiner Begleitung. »Diese Feiglinge sind schlimmer als die Tiere, um derenwillen sie sich zu Toren machen. Bei der Dunkeläugigen, ich muß diesen Mann haben. Schieß ihn herab!«
Adlerblick hob zögernd die nimmer fehlende Waffe. »Mordioux!« sagte er rücksichtslos – »das ist keine Arbeit für mich, Monseigneur! Der Bursche kann sich nicht verteidigen gegen mich, und es wäre so gut, wie ein Mord aus dem Hinterhalt.«
»Wagst du es, über meine Befehle zu mäkeln, Schurke?« schnaubte der Nena ihn an. »Schieß, sag' ich, oder fürchte meinen Zorn!«
Der ehemalige Trapper, der sich auch nicht das geringste Gewissen darüber gemacht haben würde, den Irländer aus jedem Versteck niederzuschießen, wenn dieser nur selbst ein Gewehr in der Hand gehabt hätte, zögerte noch immer, als ihm ein glücklicher Gedanke zu kommen schien. In diesem Augenblick wurde die volle Gestalt des Verfolgten sichtbar, wie ein Blitz fuhr die schwere Flinte an die Wange des Schützen, der Schuß krachte, und die Dschambea flog aus der Hand des Irländers, daß von der Gewalt des Stoßes ihm fast das Gelenk auseinandergerissen wurde.
Mit der Behendigkeit eines Eichhörnchens eilte dieser auf dem Ast entlang und stürzte sich plötzlich mit einem Sprung hinunter mitten unter seine Feinde und zwar gerade auf den Schützen, der ihn soeben entwaffnet.
Dar Stoß war so unerwartet und so schwer, daß der Kanadier trotz seiner Größe und Stärke wie von einem Felssturz getroffen laut- und regungslos zusammenbrach, Mickey aber, dessen Fall eben dieser Umstand gebrochen, war im Nu mit der Elastizität einer Stahlfeder wieder auf den Füßen, und den Mexikaner und einen der Sepoys über den Haufen werfend, brach er in gewaltigem Anlauf durch den gefährlichen Kreis und floh in weiten Sprüngen durch den Waldgrund der Pagode und dem Eingang des Geheges zu.
Ein gellendes Geschrei von Verwünschungen und Drohungen erscholl hinter ihm und alsbald war die ganze Meute auf seinen Fersen. Aber die Todesangst verlieh dem Verfolgten eine wahrhaft wunderbare Muskelkraft und als er das Bassin und die Freitreppe der Pagode erreichte, waren seine Feinde noch weit hinter ihm.
Der Irländer war mit einem Sprung auf der Höhe der Stufen, warf einen alten Brahminen, der ihm entgegentrat, zu Boden und stürzte durch das offene Tor des Tempels ins Freie.
Aber das Schicksal wollte die heldenmütigen Anstrengungen des braven Burschen nicht unterstützen. Zwischen dem Gehege der »stummen Leute« und der Verschanzung der Engländer war eine weite Strecke aufsteigenden freien Landes, aber hin und wieder mit Wassergräben zur Befruchtung der Felder durchzogen, die seinen Lauf hinderten, und als er wild um sich schaute, gewahrte er, daß zwei Haufen Sepoys von verschiedenen Seiten herankamen und ihm den Weg nach dem Fort abzuschneiden suchten.
Der Nena hatte unterdes gleichfalls mit seinen Begleitern den Ausgang der Pagode erreicht, sein Antlitz schien förmlich schwarz geworden vor Zorn und mit dem einzigen Wort: »Lebendig!« an Alamos, der ihm zur Seite war, wies er auf sein eigenes Pferd.
Erbittert über die ungenierte Art, mit welcher ihn der Irländer bei seiner Flucht zu Boden geworfen, sprang der Mexikaner mit einem Satz auf das treffliche Vollblutroß seines Gebieters, und indem er ihm die Fersen in die Flanke preßte und es zum vollen Galopp antrieb, begann er mit geschickter Hand den Lasso loszumachen, den er um seinen Gürtel gewickelt trug.
Noch eine verzweifelte Anstrengung machte der Irländer, den Sieg zu gewinnen. Er befand sich etwa noch zehn Minuten vor den schützenden Wällen entfernt, und konnte bereits die dichten Haufen der tapferen Verteidiger erkennen, welche das eigentümliche Schauspiel auf die Schanzen und die Dächer gelockt. Daß er erkannt wurde, bewies ihm das Wehen eines Frauenkleides von der Höhe des Lazarettgebäudes und das Schwenken eines weißen Tuches, und gleich darauf donnerte ein Kanonenschuß nach der Richtung, in welcher einer der Sepoyhaufen herbeirannte, um ihm den Weg abzuschneiden.
Wenige Minuten noch und er wäre gerettet gewesen, als er sich plötzlich an dem Rand eines breiten Grabens sah, den er selbst im Vollbesitz seiner Kräfte nicht zu überspringen vermocht hätte.
Da blieb er stehen, kehrte sich um und die Fäuste geballt und vorgestreckt, erwartete er seine Verfolger.
Im nächsten Augenblick parierte in der Entfernung von etwa zehn Schritt von ihm Alamos der Mexikaner und ließ die gefährlichen Kugeln im engen Kreise um seinen Kopf sausen – eine Bewegung der Hand – und sie flogen durch die Luft und umschlangen die Füße des Irländers.
Außerhalb der Kanonenschußweite der Befestigung hielt der Nena, und hierher schleifte der Mexikaner seinen Gefangenen, dessen Aussehn kaum noch menschlich zu nennen war.
Auf einen Wink des Peischwa wurde die Schlinge von seinen Füßen gelöst und er aufgehoben. Mickey war in den ersten Minuten so schwach, daß er nicht allein zu stehen vermochte.
Das Auge des Nena ruhte durchbohrend auf ihn. »Du bist ein Spion« – sagte er – »du kommst aus jener Verschanzung der weißen Hunde – du mußt sterben!«
»Ich fürchte selbst, Euer Gnaden,« entgegnete Mickey, der sogar in diesem schrecklichen Augenblick seine gewöhnliche Redeweise beibehielt, »Euer Gnaden müßten denn bei besonders guter Laune sein, was aber nicht zu erwarten steht. – Was aber den Ausdruck Spion betrifft, so – – – – – – – – –
»Was tatest du hier? Wer schickt dich ab? Jener Sohn eines Hundes, den die Kaffirs General Wheeler nennen?«
»Wer mich geschickt – Euer Gnaden – o ich kam auf eigene Faust!«
Der Nena stampfte ungeduldig mit dem Fuße. »Bringt den Verräter her!«
Einige Sepoys schleppten ihren Kameraden Nudschur Dschewarri herbei.
»Kennst du diesen Hund?«
»Hm – es ist ein Korporal vom 31. Nativ-Regiment – der Schurke hat mich oft genug betrogen bei den Einkäufen – ich kenne viele Gesichter hier umher, so schwarz sie die Verräterei auch gemacht haben mag.«
»Du brachtest ihm Nachricht aus dem Fort – du hast ihn erkauft und durch seine Hilfe mit dem Franken-Hakim verkehrt!«
»Muschla – was Euer Gnaden nicht alles sagt! ich weiß kein Wort von der ganzen Geschichte und habe den Nudschur seit einer Woche nicht mehr zu Gesicht bekommen.«
»Lügner! Hier ist der Brief des Franken-Hakim an diejenigen, die dich gesandt haben!«
»Euer Gnaden mögen ihn bestellen lassen – Sie werden vielleicht den Leuten einen Dienst damit erweisen.«
»Sohn eines Hundes – wahre deine Zunge oder ich lasse sie dir aus dem Halse reißen!
Der schlaue Irländer merkte sofort, daß der Peischwa von den einzelnen Umständen seiner Mission durch den Nudschur noch keine Kenntnis erhalten.
»Ich beteuer Euer Gnaden bei allem, was Sie wollen – ich weiß von keiner Botschaft und bin bloß zu meinem Vergnügen nach der Stadt gekommen!«
»Sind die Faringi, deine Brüder, in jenen steinernen Häusern mit Brot versehen? Wieviel Männer zählen sie?«
»Heiliger Patrik, ich sollte meinen, Euer Gnaden hätten in dieser gesegneten Nacht Gelegenheit genug gehabt, sie zu zählen! Ich habe gehört, Euer Gnaden hätten einen Unfall gehabt, was mir sehr leid tun sollte.«
Die Farbe des Nena änderte sich fast in das Grüne bei dieser Erinnerung. Er wandte sich ohne Antwort zu den Männern, die ihn umgaben, und winkte den Mexikaner herbei.
Seine Hand wies nach zwei jungen schlanken Palmen, die in kleiner Entfernung, etwa zehn Schritt weit voneinander, ihre Kronen in der Abendluft wiegten.
»Siehst du die beiden jungen Bäume dort?«
»Ja, Sennor Peischwa!«
»Vermagst du mit deinen Schlingen ihre Wipfel zur Erde zu beugen?«
»Wenn mir einige dieser Tagediebe helfen wollen – gewiß Sennor!«
»So tue es!«
Der Mexikaner winkte drei oder vier der Sepoys und ging mit ihnen der kleinen Baumgruppe zu.
Der Irländer zweifelte keinen Augenblick, daß es sich darum handle, ihn aufzuknüpfen, und er fuhr unwillkürlich mit der Hand an den Hals.
Der Peischwa wandte sich zu ihm und deutete nach dem Hügel, auf welchem sich weit umher sichtbar die befestigten Gebäude erhoben, welche gegenwärtig den Schutz der Engländer bildeten.
Auf der Terrasse des Daches des Lazaretts wurde eben ein Balken mit einem Querholz errichtet, und seine dunkle Linie war deutlich erkennbar. Eine Menschengruppe umdrängte seinen Fuß.
»Die Kaffirs, deine Brüder,« sagte der Nena spöttisch, »errichten einen Galgen für einen der Gläubigen. Wer auch in ihren Händen sein mag, er wird zu sterben wissen für die Freiheit.«
Der letzte Strahl der Sonne war verschwunden und die Dunkelheit trat mit jenem raschen Übergang ein, den man nur in den Tropenländern kennt.
Auf den Befehl des Nena wurden jetzt einige Äste harzigen Holzes angezündet, um als Fakeln bei der Exekution zu dienen.
»Bindet seine Arme!« befahl der Nena.
Zwei Sepoys warfen sich auf den Unglücklichen und schnürten ihm die Hände auf den Rücken.
Der Peischwa schaute ungeduldig nach dem Werk der Männer an den Palmen, das ihm zu lange währte. Er deutete auf den Baum, unter dem er hielt.
»Hängt unterdes diesen Verräter seines Glaubens und seines Landes an jenen Ast! Der ungläubige Hund mag an seinem Gefährten lernen, was seiner wartet!«
Die Bajadere trat zu dem Peischwa, deutete auf den Verurteilten und dann nach der Gegend der Verschanzung, und sprach eifrig zu ihm. Der Nena hörte sie finster an, aber das was sie sagte, schien Eindruck auf ihn zu machen; als schon der Korporal von seinen Henkern in die Höhe gehoben und die Schlinge um seinen Hals gelegt war, erhob er die Hand und rief:
»Halt! – Bringt ihn hierher!«
Während gehorsam die Henker den Strick lösten und den Sepoy herbeiführten, erstrahlte plötzlich in der Richtung der Verschanzung ein helles Blaulicht. Man erblickte in seinem Schein deutlich die Parapets der Wälle und die Dächer der Gebäude – an dem Galgen, der auf der Terrasse des Hospitals errichtet war, hing eine menschliche Gestalt in den letzten Todeszuckungen.
Der Nena lachte bitter auf, als er nach jener Seite hindeutete. »Deine Brüder – die Hunde! geben uns das Beispiel, und bei dem Schlangenhaar der Kali – es soll nicht verloren sein! – Geh,« – fuhr er zu dem Sepoy gewendet fort – »ich schenke dir das Leben, aber bedenke, daß das Auge des Peischwa auf dir ruht und seine Gerechtigkeit über dir schwebt!«
Der Nudschur warf sich vor den Hufen des Pferdes in den Staub und beteuerte seine Treue und Ergebenheit. Dann zog er sich hastig in den Haufen seiner Gefährten zurück.
»Was gibt es – was flüstert ihr?« fragte der Nena, dessen Falkenblick bemerkte, daß die beiden ehemaligen Trapper der Felsgebirge eifrig miteinander sprachen, der Adlerblick war jetzt gleichfalls herbeigekommen.
»Hoheit,« sagte Ralph – »dieser Kanadier meint, er habe in dem Licht, das die Engländer soeben über die Ebene warfen, zwei dunkle verdächtige Schatten sich bewegen sehen.«
Der Nena dachte einen Augenblick nach – es schien ihm nicht unlieb zu sein, einen Vorwand zu finden, um die beiden weißen Krieger zu entfernen. »Nehmt ein Dutzend dieser Männer mit euch und durchstreift die Ebene. Doch höre – wie lange sagtest du, daß du einen Gefangenen hättest leben sehen, den die braunen Krieger der Einöden deines Landes zwischen den Wipfeln der jungen Bäume ausgespannt?«
Der rauhe Trapper schauderte, denn er erkannte jetzt die grausame Absicht des Hindufürsten.
»Drei Tage und drei Nächte, Hoheit,« sagte er kopfschüttelnd, indem er einen Blick der Teilnahme auf den Irländer warf – »aber es ist eine Tat.«
»Geht und vollführt meine Befehle!« unterbrach ihn der Nena gebieterisch. Dann wendete er sein Pferd zu den Palmenbäumen hin, indem er winkte, den Irländer ihm nach zu führen.
»Man wird von der Behausung jener Hunde auf diese Stelle sehen können?«
»Carambo, Sennor Peischwa – ich bürge dafür.«
»Schnürt diesen Kaffir mit Händen und Füßen fest an die Spitzen der Palmen, und laßt sie ihn empor in die Luft schnellen. Wenn Surya seine ersten Strahlen über die Erdscheibe gießt, werden seine Brüder diese Frucht unserer Bäume sehen.«
Mit einem Jubelgeschrei warfen die Henkersknechte des Peischwa den unglücklichen Irländer zu Boden, und er ward mit festen unzerreißbaren Baststricken an den Gelenken der Füße und Hände an die ihrer Blätter beraubten Baumspitzen geschnürt.
Die Todesangst und Verzweiflung malte sich jetzt in furchtbaren Zügen auf dem Gesicht des braven Burschen; das Unbekannte – Furchtbare dieser Marter, mit der man ihn bedrohte, schien all seine Standhaftigkeit vernichten zu wollen.
Der Nena gab ein Zeichen und der Mexikaner zerhieb die Bande, welche die Wipfel der Bäume zusammenhielten.
Ein entsetzlicher gellender Schrei, der nichts Menschliches hatte, – fast im nämlichen Augenblick der Knall eines Schusses – eine konvulsivische Bewegung jenes dunklen Körpers am Nachthimmel –
»Was ist geschehen? wer tat den Schuß? Bei Yama dem Unterirdischen – wehe dem unvorsichtigen Schützen!«
Die Bajadere hatte einem der Fackelträger diese aus der Hand gerissen und streckte sie hoch hinauf zu dem Unglücklichen, dessen Glieder auf das grausamste von der Spannkraft der beiden Palmen auseinander gerissen wurden.
Aber kein Laut – kein Schrei des unsäglichen Schmerzes kam mehr von seinen Lippen, ein Strom von Blut rann aus der zerschmetterten Stirn – der Irlander war tot, getötet in dem Augenblick der grausamen Marter von der Kugel aus Freundes Rohr.
Der Nena stieß einen grimmen Schrei der Wut aus, als er sein Opfer auf diese Weise so plötzlich aller Marter entrückt sah.
Rascher, als noch ein Wort des Zornes sich seinen Lippen entwand, fiel in einiger Entfernung ein zweiter Schuß – der gellende Ram-Ruf wurde hörbar, ein wirres Gewehrfeuer, und man vernahm ein Geschrei wie das Lärmen eines Kampfes und einer weiteren Verfolgung.
»Das sind die Sepoys der Amerikaner!« rief der Nena – »zu den Waffen, Männer – die Feinde haben einen Ausfall gemacht!«
Aber ein näher kommender Jubelruf der Hindukrieger benachrichtigte ihn alsbald, daß keine Gefahr zu fürchten sei, und die dunkle Gruppe, die sich nahte, aus Freunden bestände.
Adlerblick und der ehemalige Bärenjäger, die Gewehre in der Hand, traten in den Lichtkreis der Fackeln. Hinter ihnen her drängte sich das kleine Kommando Sepoys, – in seiner Mitte, von zehn Händen gehalten, eine fremde Gestalt.
Der Nena sprengte gegen die Gruppe.
»Was ist geschehen? gebt Antwort? Wo sind die Faringi?« herrschte er ihnen zu.
»Wir sahen ihrer nur zwei, Monseigneur,« sagte der Kanadier – »die sich in die Nähe gewagt. Der Blitz des Schusses, den der eine nach jenem Körper dort tat, verriet sie und wir bringen einen Gefangenen, der andere ist entkommen!«
Der Bärenjäger stieß den Kolben seiner Büchse auf den Boden. »Ich wünschte, der andere wäre es auch,« murmelte er, »und verdammt sei das Gesindel, das ihn auffing. Es war ein wackeres Stück, hierher zu kommen und jenem armen Kerl die tagelange Höllenmarter zu ersparen.«
»Wo ist der Gefangene?«
Die Sepoys stießen ihn in den Lichtkreis – die Tänzerin schlug mit einem Schrei wilden Frohlockens die Hände zusammen und sprang auf ihn zu.
Der Gefangene war Leutnant Sanders, der Verlobte Editha Highsons, ihrer Nebenbuhlerin!