Sir John Retcliffe
Nena Sahib
Sir John Retcliffe

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Der Blutbrunnen zu Cawnpur (Fortsetzung).

Der Eid.

Es war am Morgen nach dem so glorreichen aber unglücklichen Ausfall der kleinen Besatzung des Forts, als der Peischwa wieder in seinem Zelt saß, allein mit der rachsüchtigen Ratgeberin seiner Pläne.

Der Peischwa war in düsteres Brüten über einem neuen Entschluß versunken, das selbst seine Vertraute nicht zu stören wagte.

Plötzlich wurde der Teppich des Eingangs in die Höhe gehoben und der deutsche Arzt, den der Fürst, seinen Befehlen gemäß, bereits auf dem Wege nach Ihansi wähnte, trat in das Zeltgemach.

Der Nena fuhr auf, sein Auge funkelte und seine Hand fuhr nach dem Griff seines Dolches. Mit einer gewaltsamen Anstrengung unterdrückte er seinen Zorn und sein Gesicht glättete sich zu der heuchlerischen Maske der Höflichkeit.

»Mein weiser Freund sei willkommen,« sagte der Fürst. »Ich habe lange seinen Anblick entbehrt und mein Herz hat sich nach dem eines wahren Freundes gesehnt.«

»Und dennoch, Hoheit, war es dein eigener Befehl, der mich verhinderte, hierherzukommen. Ich mußte die Wachsamkeit deiner Hüter täuschen, ja mit Gewalt mir den Weg erzwingen, um dich zu sprechen!« In dem ernsten, entschlossenen Tone des Deutschen klang die Entrüstung wider über die angetane Beleidigung.

»Mein Bruder hat wohlgetan zu kommen,« wiederholte der Hindu höflich, »und ich werde die strafen, welche ihm Gewalt entgegengesetzt. Aber er hat nicht wohlgetan, daran zu zweifeln, daß ich immer sein Freund war und alles zu seinem Besten geschieht. Der Wessir der Rani von Ihansi ist einer der Unseren und sein Leben für die Freiheit Hindostans ein Schatz. Du wirst die Hand eines Freundes drücken, um einen anderen auf seiner Reise zu geleiten.«

»Nicht eher, Hoheit, als bis du mir Rede gestanden, bis du meine Fragen beantwortet, meine Bitten erhört hast! Das Gerücht ist zu mir gedrungen, daß gestern ein heftiges Gefecht, ein verzweifelter Ausfall der Engländer stattgefunden hat!«

»Der Pfeil Kartikeias neigt sich noch immer auf die Seite der Faringi – wir warten vergeblich auf den Sieg!«

»Aber ihre Lage muß furchtbar sein – es ist unmöglich, daß sie sich noch Tage halten – sie müssen dem Hunger und Elend unterliegen, wenn du ihnen nicht Gnade gewährst.«

»Der weise Hakim,« sagte der Hindu lauernd, »scheint Freunde unter den Feinden seines Freunds zu haben. Es ist nicht gut, mit zwei Herzen zu lieben. Was schwarz ist, kann nicht weiß sein!«

»Ein ehrlicher, gerechter Kampf verlangt noch keine Grausamkeit. In jenen Mauern, die deine Krieger umringen, die deine Kanonen zu Schutthaufen zerschmettert haben, sind unschuldige Frauen und Kinder – kämpfe mit den Männern, deinen Feinden, aber erbarme dich der Schuldlosen!«

»Die Brüste der Tigerin saugen den jungen Tiger! Wer die Schlange vernichten will, muß ihre Brut töten!«

»Unbarmherziger! Du hast mein Leben gerettet aus der Hand der Meuchler – aber meine Kunst hat das deine erhalten, als du dem Wahnsinn nahe auf dem Krankenbette lagst! – Wir sind quitt! Aber dein Gläubiger, Fürst, bin ich für einen anderen Dienst! Gedenke, was du mir geschworen hundertmal an dem Lager jener Unglücklichen, die ein Teufel in Menschengestalt verdarb. Nicht die Pflicht des Arztes, – nein, die der Menschenliebe, der Freundschaft erfülle ich, und hundertmal gelobtest du mit teuren Eiden deinen Dank und die Gewährung jeder Bitte. Peischwa von Bithoor – ich erinnere dich an deine Schuld! Ich brachte dir unter Schmerzen und Entwürdigung das Erbe eines geliebten Dahingegangenen – die Freiheit deines Volkes – ich habe gelitten und geduldet für sie, als du noch in Glück und Ruhe schwelgtest. Jetzt flehe ich dich an – entwürdige das große Werk der Befreiung deines Landes, entwürdige deine erhabene Rache nicht durch ein Werk der niederen Grausamkeit – laß jene Unglücklichen, Schuldlosen ziehen – übe Großmut, wie sie dem Sieger, dem Fürsten geziemt!«

Der Nena hatte unter den Papieren auf dem niedrigen Tisch, der zur Seite des Diwans stand, eines genommen und reichte es dem Arzt.

»Kennst du diesen Brief?«

Walding fuhr zurück. »Barmherziger Gott – es ist der meine. Wie kommt das Schreiben in deine Hände, Peischwa?

»Das Auge des Hindu sieht scharf, wenn es gilt, den Verrat eines Freundes zu entdecken!«

Die Röte des Unwillens flammte über das Gesicht des Deutschen. »Ich bin kein Verräter, weder an dir, noch an der Sache, der ich mich in einer unglücklichen Stunde geweiht. Ich brauche dieses Briefes mich nicht zu schämen – er enthält einzig den Rat an jene Unglücklichen, den nutzlosen Kampf aufzugeben und sich an deine Großmut zu wenden. Er ist an eine Frau gerichtet, die nie dich beleidigt, die – –«

Der Nena machte eine rasche Bewegung: »Schweige – ich mag den Namen nicht hören! Mein weiser Bruder möge sich erinnern, daß dieser Brief seit neunzehn Tagen in meinen Händen ist, ohne daß ich ihm Mißtrauen gezeigt!«

Er schlug auf die silberne Glocke und ein Offizier trat ein. »Führt den gefangenen Engländer hierher!« befahl er.

Zum Erstaunen des Arztes wurde Leutnant Sanders hereingeführt.

»Wird der Freund der falschen Faringi zufrieden und meine Schuld an ihn gelöst sein, wenn alle Bewohner jenes Forts Cawnpur unverletzt verlassen dürfen?«

»Fürst – das wolltest du? Gesegnet sei der Engel, der dein Herz gerührt hat! Mein Leben soll deinem Dienst geweiht sein, denn du verdienst es, einem Volke sein edelstes Gut zu erkämpfen!«

In seiner Begeisterung sah er den lauernden Hohn nicht, der in dem Blicke dieser Augen zuckte.

»Die weißen Männer rühmen sich, die Sklaven ihres Wortes zu sein,« fuhr der Peischwa mit leichtem Hohn zu dem jungen Offizier fort. »Will der Faringi-Jemedar mir sein Wort verpfänden, hierher zurückzukehren, wenn ich ihn als Boten an seine Brüder sende?«

»Ich gebe mein Ehrenwort als Offizier darauf!«

»Du wirst gehört haben, daß die Weißen, deine Brüder, gestern einen Ausfall versucht und viele der Ihren verloren haben. Der nächste Sturm wird jene Wälle, auf die sie trotzen, in die Hand meiner Krieger bringen. Ich biete ihnen Gnade und schwöre bei dem Haupte Wischnus, sie sollen lebendig mit ihren Waffen und zwei Lak Rupien Cawnpur verlassen dürfen, wenn, ehe Surya in das Weltmeer versinkt, die weiße Fahne auf ihrer Feste weht!«

»Hoheit,« sagte freudig der junge Offizier – »ich habe keine Vollmacht, zu unterhandeln, aber ich zweifle keinen Augenblick, daß General Wheeler und die ganze Besatzung gern deinen großmütigen Vorschlag annehmen werden. Gib mir die Erlaubnis, ihn zu überbringen, und ehe zwei Stunden vergehen, will ich wieder auf dieser Stelle sein, und meinen Kopf oder den Vertrag dir bringen!«

Der Peischwa trat an den Tisch und schrieb flüchtig einige Zeilen auf ein Papier. Es war jenes höllische Anerbieten, das unter der Maske der Großmut den teuflischen Verrat barg und berüchtigt bleiben wird für alle Zeiten in der Geschichte menschlicher Greuel. Das Gedächtnis zweier Offiziere hat ziemlich wortgetreu das Dokument der Nachwelt aufbewahrt.

»Ich, Srinath Bahadur, der Sohn Bazie Rûs, Peischwa von Bithoor, schwöre bei Wischnu, dem Erhalter, und auf das heilige Buch der Christen, daß der Sahib General Wheeler mit allen Männern, Weibern und Kindern, ihrer Habe, den Waffen, die ihre Hand tragen kann und ein und einer halben Lak Rupien freien Abzug haben sollen von Cawnpur auf vierzig Booten den Fluß hinabzuführen, zwei Stunden ehe die Sonne schlafen geht, und keine Feindseligkeit sein wird zwischen den freien Hindostani und den weißen Männern Sahib Wheelers, solange sie unter diesem Vertrage in Cawnpur sind. Dagegen muß der General alles Geld, das über 1 ½ Lak und die Kanonen in dem Ort lassen, so er bisher innegehabt.

Diese Verpflichtung übernehme ich, Srinath Bahadur, Peischwa von Vithoor, am 19. Tage des Mondes Rebi-el-Aker des Jahres 1273, welcher ist der 27. Juni des Jahres 1857 nach der Zeit der Christen.«

Der Nena reichte das Papier an Walding.

»O Fürst – gebiete, was du willst, ich werde dir gehorchen. Der Segen unschuldiger Frauen und Kinder wird dein Lohn sein!«

Der Peischwa wandte sich zu dem Offizier. »Nimm dies Papier und diesen Brief, der den Deinen zeigen möge, daß dieser Mann stets der Freund seiner weißen Brüder war, und geh. Du aber, Hakim, kehre zu dem Wessir der Rani zurück und geleite ihn sicher nach Ihansi; denn der Peischwa hatte geschworen, daß niemand seinen Befehlen ungestraft ungehorsam sein soll und wenn er Blut von seinem Blute wäre!«

Der Arzt trat zu dem englischen Offizier, der sich bereit machte, das Zelt zu verlassen.

»Sir,« sagte der Doktor, »das Wort des Fürsten verbürgt Ihre Sicherheit, mögen Sie glücklich Allahabad erreichen und sagen Sie ihr, daß Hermann Walding willig sein Leben gegeben hätte für ihre Rettung.«

Er verließ schnell das Zelt.

Der Nena wandte sich zu dem Offizier. »Eile, Sahib, denn die Sonne steigt und auch die Geduld eines Hindu hat ihre Grenzen! – Baber Dutt, mein Bruder, wird dich sicher durch die Posten geleiten und den Befehl geben, die Feindseligkeiten einzustellen!«

Auf seinen Wink verließ der Offizier das Zelt, begleitet von Baber Dutt. Er blieb allein mit der Bajadere und Kassim, dem Mayadar des Arztes, den ein Zeichen auf der Schwelle gefesselt gehalten, als sein Gebieter das Zelt verließ.

»Du bist Kassim, der Lugha?« sagte der Fürst.

Der Thug sah bestürzt und fragend auf die Bajadere, die er als eine Eingeweihte in die Geheimnisse seines schändlichen Gewerbes kannte.

»Höre mich und begrabe meine Worte in deiner Seele. Der weiße Hakim darf Cawnpur nicht wiederbetreten. Du wirst ihn hindern daran mit deinem Leben!«

»Und wenn er das seine wagt?«

»So nimm es! – was er tut, geschieht auf seine Gefahr.«

»Möge der Fürst es bedenken – er ist mein Mayadar. Ein großer Guru der Thugs hat ihn dazu gemacht, und die Seele Kassims dürfte nicht eingehen zu den Wanderungen, wenn er das heilige Gebot verletzte.«

Der Nena trat zu ihm und öffnete das Gewand auf seiner Brust und zeigte einen schwarzen Stein von dreieckiger Form.

Kaum hatte der Mörder diesen erblickt, als er sich mit dem Angesicht auf den Boden warf.

»Meine Seele wird verdammt sein,« stöhnte er zitternd, »aber ich werde dem Oberhaupte aller Söhne der Dunkeläugigen, dem Guru der Gurus, gehorcht haben!«

»So gehe und tue nach meinem Befehl!«

Seine Hand schlug an die silberne Glocke. »Laß Nasyr-u- Daula, den neuen Führer der Reiter von Audh kommen, und nach ihm Haider, den Jemedar der Geschütze. Wenn der Rais der arabischen Praua sich naht, so laß ihn eintreten. Fort!«

Kaum zwei Minuten nachher ließ der Teppich die hohe, kräftige Gestalt des Beludschen erscheinen, dem der Peischwa die Führung des Reiterregiments übertragen, nachdem er den Obersten desselben im Zorn über die Niederlage des vorigen Tages hatte hinrichten lassen.

»Was gebietet der Peischwa?« fragte die tiefe Stimme des ehemaligen Wegelagerers.

»Laß deine Sowars ihre Rosse besteigen und ziehe über den Fluß auf der Straße nach Lucknow. Wenn du an das Grabmal Sadat-Aly-Khans gekommen, dann wende dich zur Rechten und kehre zurück zu dem Fluß, dessen Biegung dich den Augen der Faringi verbergen wird. Kein Christ darf lebend das Ufer von Audh betreten – bei deinem Kopfe! Geh und schweige!«

Der Beludsche legte die Hand an die Stirn zum Zeichen des Gehorsams und entfernte sich. Nach ihm trat der Leutnant der berittenen Artillerie des Peischwa ein.

»Haider, mein Freund,« sagte der Peischwa, »ich habe einen Auftrag für dich. Wenn der Suhbadar-Sahib die Batterie verlassen, so bespanne vier deiner leichten Kanonen mit den kräftigsten Tieren, die du hast. Fahre im Geheimen hinter den Hügeln des Ufers am Flusse entlang bis zu der Stelle, wo die Dawk nach Futtehpoor vom heiligen Strome sich zum Lauf des Hinde wendet. Dort stelle deine Kanonen und richte sie auf den Spiegel des Ganges. Du wirst meine weiteren Befehle erhalten. Geh und schweige, so lieb dir dein Leben!«

Die Augen der Bajadere leuchteten in dämonischer Freude, als sie diese Befehle vernahm. Der Nena erteilte darauf noch verschiedene andere an einzelne Offiziere und wußte die meisten Mitglieder seiner europäischen Gortschura durch verschiedene Aufträge zu entfernen. Eine Stunde später erschien der Uskoke, der Herr der Praua, zu dessen wilder Sinnesart und Tatkraft der Nena besonderes Vertrauen gefaßt. Mit ihm kehrte Eduard O'Sullivan, der Verstümmelte, zurück in das Zelt seines Schwagers.

Ein grausames, teuflisches Lächeln lag auf dem Gesicht des Peischwa, als er seine Hand auf die Schulter des unglücklichen Mannes legte und in sein zerstörtes Antlitz schaute.

»Die Stunde der Rache ist gekommen, und diesen Abend wird Srinath Bahadur das Grab seiner Gattin mit dem Blute ihrer Feinde begießen!« Dann winkte er der Bajadere, Wache zu halten, damit niemand sie belauschen möge und führte den Irländer und den Rais in das innerste Gemach des Zeltes.

Erst als Anarkalli ihm zu melden kam, daß Leutnant Sanders in Begleitung eines englischen Gentlemen aus dem Fort zurückgekommen und ihn zu sprechen verlange, endete die Unterredung.

Der Peischwa erschien sofort. Sanders war von einem Gentlemen, namens Stacy, einem höheren Zivilbeamten von Cawnpur begleitet. – – – – – – – – –

Die unerwartete Erscheinung des jungen Offiziers vor dem Eingang des Forts und die Botschaft, die er brachte, erregten unbeschreiblichen Jubel.

Der junge Offizier verlangte zum General geführt zu werden und hier erst vernahm er, daß dieser zum Tode verwundet war. Um sein Lager versammelt fand er seine Tochter und Nichte, Mr. Graham, den Kaplan, und Doktor Brice.

Der General richtete sich mit Gewalt in seinen Kissen empor und hörte, während sein Gesicht von der Hitze des Wundfiebers glühte, den Bericht des Offiziers.

»Entfernen Sie die beiden Mädchen, ehrwürdiger Herr,« sagte der alte Offizier zu dem Kaplan. – »Trösten Sie sie und rufen Sie sie zu dem Gefühl ihrer Pflichten, denen sie bisher so tapfer entsprachen!«

Miß Wheeler und Miß Highson wurden von dem Geistlichen aus dem Gemach geführt. Kaum waren sie entfernt, als der General die Hand nach dem Arzt ausstreckte.

»Doktor, ich bitte Sie nicht als Mensch, sondern befehle Ihnen als Soldat, mir zu sagen, wie lange ich noch zu leben habe?«

Doktor Brice zögerte einige Augenblicke, dann, auf einen strengeren Blick des Fragenden, sagte er entschlossen: »Zwei bis drei Tage, General – doch wenn Sie sich nicht ruhig verhalten, nur ebensoviel Stunden.«

»Können Sie diesen Trank genügend verstärken, um mir für zwei Stunden die Kräfte zu geben, meine Pflichten zu erfüllen?«

»Ja, Sir – aber die Folgen sind desto schrecklicher. – Bedenken Sie, General, – es sind genug Offiziere im Fort, die – –«

»Ich führe den Oberbefehl im Namen Ihrer Majestät der Königin, und so lange ich es imstande bin, werde ich niemand ihn abtreten. Versammeln Sie die Offiziere sofort hier, Sir – indes Sie, Doktor, Ihre verwünschte Medizin bereiten!«

Nach wenigen Minuten waren sämtliche Offiziere und die angesehensten Zivilisten um das Lager des Verwundeten versammelt.

»Gentlemen,« sagte der Verwundete, »wir haben als Männer noch eins zu besprechen. An der Pforte des Grabes, wo ich stehe, erscheint dem Auge selbst des Kriegers gar manches in anderem Licht, als er es bisher angeschaut. Wir können nicht leugnen, daß unser Stolz auf die weiße Farbe uns zu mancher Ungerechtigkeit, zu mancher Härte gegen dieses Volk verleitet haben mag! Major Rivers, Sie haben schweres Unrecht getan an der armen Frau, wenn alles wahr ist, dessen der Maharadscha Sie beschuldigte!«

Der Resident schaute finster zu Boden.

»Was auch geschehen ist, Sir – ich habe kein Recht, Ihnen Vorwürfe zu machen,« fuhr der Kranke fort – »denn Sie waren es, der diesen verstümmelten Körper mit eigener Gefahr aus dem Getümmel der Schlacht trug, und es einem Vater möglich machten, sein Kind noch einmal zu segnen. Als Soldat haben Sie gesühnt, was Sie als Mensch Übles getan. Aber ich fürchte, Rivers, Ihr Anblick könnte den Zorn des Mannes, den Sie so schwer gekränkt, aufs neue erregen – deshalb zeigen Sie sich ihm nicht bei der Einschiffung – gehen Sie dem Nena aus dem Wege! –«

»Ich fürchte ihn nicht,« sagte bitter der Resident – »doch wenn es General Wheeler und diese Herren verlangen, bin ich gern bereit, mein Geschick von dem ihren zu trennen.«

»Ich hoffe, Sir – Sie denken so niedrig nicht von britischen Offizieren,« bemerkte Oberst Williams streng. »Dennoch ist der Rat des Generals nach allem, was ich gehört, gut. Nur wie er auszuführen ist, weiß ich noch nicht.«

»Wir haben einige Kranke, die zuerst in die Boote geschafft werden müssen,« fuhr der General fort. »Major Rivers wird meine Uniform nehmen, – er wird nicht schwer halten, sich unkenntlich zu machen – er wird meine Stelle einnehmen.«

»Und Sie, General?«

»Das fragen Sie den dort,« er wies auf den Doktor. »Ich werde auf meinem Posten bleiben und noch im Tode die Genugtuung haben, Ihrer Majestät einen tapferen Offizier zu retten. – Meine Stunde ist gekommen, Kameraden – ein jeder an seine Geschäfte – die Augenblicke sind kostbar – und das meine ist es, zu sterben!«

Er streckte die Hände nach den Waffengefährten aus, die ihn schmerzlich bewegt, umringten, denn einige Worte des Arztes belehrten sie, daß jede Hoffnung vergeblich.

Eine Stunde später war General Wheeler, wie es Doktor Brice vorhergesagt, unter den Sterbegebeten des Kaplans und den Tränen der Frauen seinem Sohne gefolgt.

 

Leutnant Sanders und sein Begleiter überbrachten den noch vom General unterzeichneten Vertrag über den Abzug. Der Nena schien bei der besten Laune und begann, als wäre jede Feindseligkeit zu Ende, mit den beiden Parlamentären eine Unterhaltung, ganz in der früheren ungezwungenen Weise.

Es wurde festgesetzt, daß die Einschiffung um 5 Uhr stattfinden und um diese Zeit vierzig Boote mit Segeln, Rudern und Lebensmitteln versehen am Ufer gegenüber dem Fort bereitliegen sollten. Die Abziehenden sollten selbst den Schiffsdienst versehen und kein Hindu sich ihnen nähern dürfen. Der Nena erteilte Befehl, dies Gebot bei Todesstrafe bekanntzumachen.

Plötzlich – inmitten des Gesprächs – wandte er sich an den Offizier und sagte mit dem Tone soldatischen Freimuts: »Sie wissen, Sir, daß zwischen mir und Major Rivers persönliche Feindschaft besteht. Sagen Sie ihm, ich hoffe in der nächsten Schlacht Gelegenheit zu finden, meinen Säbel mit dem seinen zu kreuzen!«

»Major Rivers, Hoheit,« erwiderte mit leichtem Erröten der Leutnant, »wird keinen Säbel mehr schwingen. Er ist bei dem letzten Angriff durch einen Schuß tödlich verwundet worden; als wir das Fort verließen, lag er im Sterben. Wir können nur seine Leiche zurücklassen.«

Das Antlitz des Nena war einen Augenblick totenbleich geworden. Das Auge fest auf das verlegen sich höher färbende Antlitz des jungen Offiziers gerichtet, sagte er: »Die Gentlemen mit der weißen Haut haben nur ein Wort, und es geht keine Lüge über ihre Lippen, wie über die der Juden und Priester. Ich glaube dem Jemedar des Generals!«

Um den peinigenden Gegenstand zu beenden, erhob sich der Offizier mit seinem Begleiter, und sie schickten sich an, sich zu entfernen.

»Wenn ich mich recht erinnere,« sagte der Peischwa – »so ist der tapfere Jemedar von meinen Kriegern viele Tage vor dem Abkommen gefangen worden, das ich mit dem General geschlossen. Es wird genügen, wenn dieser Sahib das Papier in das Fort bringt, und was besprochen ist, berichtet.«

Sanders trat bestürzt zurück. »Wie, Fürst – so muß ich Gefangener bleiben, während Ihre Großmut meinen Kameraden freien Abzug gestattet? Das ist hart!«

»Sahib Sanders hat Freunde unter uns – wenn alles geschehen ist, wie der Vertrag besagt – soll er seinen Kameraden folgen!«

Major Stacy entfernte sich mit der Botschaft und sofort wurden alle Anstalten getroffen, den Bestimmungen des Vertrages nachzukommen.

Unter der besonderen Leitung von Danilos, dem Uskoken, dessen Praua in der Mitte des Stromes lag, wurde eine Anzahl Fahrzeuge nach der bestimmten Stelle gebracht. Die Serangs und Dandihs verließen die Schiffe, sowie sie dieselben ans Ufer gebracht, und zogen sich in die bestimmte Entfernung zurück.

Die Sonne neigte sich zum Niedergang, als ein Kanonenschuß das Signal zur Einschiffung gab. Sofort marschierte eine kleine Abteilung englischer Soldaten unter dem Schlag einer Trommel aus dem Fort und nahm unter dem Befehl des Hauptmanns Ashe den Landungsplatz in Besitz, der etwa 1000 Schritt von dem Eingang entfernt war.

Dann brachte man die Kranken und Verwundeten, teils geführt, teils getragen, unter den letzteren auf einem Sessel General Wheeler. Er war von seinem Militärmantel bedeckt, doch seine Uniform, sein grauer Bart waren selbst für die Fernstehenden deutlich zu erkennen, das Gesicht war unter seinem Hut verborgen. Zwei Offiziere, der Kapitän Delafosse und Leutnant Halliday gingen an seiner Seite, Miß Wheeler und ihre Cousine führend. Die Gesellschaft bestieg mit Stacy und seiner Gattin, Leutnant Thompson und mehreren Soldaten das erste Dschumptih, das sogleich vom Ufer sich entfernte.

Die Einschiffung ging jetzt rasch vonstatten – in weniger als 30 Minuten waren alle Boote gefüllt. Major Conelly war der letzte, welcher das Ufer verließ – als er den Rand der Barke betrat hob er mit militärischer Courtoisie den Hut und schwenkte ihn wie zum Gruß und Dank hinüber nach der feindlichen Batterie, an deren Seite eine Anzahl Reiter hielt, unter denen der Fürst leicht zu erkennen war.

Der Fürst hielt ein Fernrohr am Auge, mit dem er die Einschiffung in jedes der Boote sorgfältig beobachtet hatte, um seinen Todfeind zu suchen.

Aber vergeblich war die genaueste Prüfung der Einschiffenden; die leicht zu erkennende Gestalt des Residenten war nirgends zu bemerken und der Peischwa wandte sich überrascht und heftig, als gerade das letzte Boot abstieß, zu dem Gefangenen.

»Wo ist der Sahib-Resident – mein Auge hat ihn nicht gefunden unter der Zahl jener Männer?« fragte er drohend.

Der junge Offizier warf einen prüfenden Blick über die breite Fläche des Stromes. Das vorderste Boot, in dem, wie er wußte, sich Rivers unter der Maske des verstorbenen Generals befand, war bereits über das Gebiet der Stadt hinaus und schwamm in der Strömung.

»Major Rivers,« antwortete der Leutnant, »ist außer der Macht seiner Feinde – ich kann es Ihnen jetzt mit Recht wiederholen!«

Der Nena stieß seinem Roß die scharfen Spitzen der Bügel in die Seiten und flog wie ein Sturmwind über die Ebene, die ihn von dem Eingang des Forts trennte.

»Legt euch in die Ruder, Burschen, und arbeitet, als tätet ihr's für euer Leben,« befahl Major Conelly. »Ich fürchte, der tolle Hindu entdeckt zu früh, daß wir die Leiche des Generals ihm gelassen!«

Der Nena warf sich vom Roß und eilte in das Lazarett, den Leichnam des Feindes zu suchen, dessen Tod er jetzt wirklich zu glauben begann.

Mit einem Sprung war der Hindufürst an dem Lager. »Verfluchter! so hat der Tod dich vor meiner Rache geschützt!« Seine Hand riß die Hülle herab – die festen, faltigen Züge des Generals starrten ihm entgegen.

»Höllischer Betrug! bei der Khali, der Hund denkt unter der Maske des grauen Schurken mir zu entwischen! Aber die Rache ist auf seiner Ferse!« Er riß mit roher Faust die ehrwürdige Leiche vom Lager und trat sie mit dem Fuß. Er stürmte fort; in wenigen Augenblicken war er auf der Stelle, an der Sanders mit seinen Wachen zurückgeblieben.

»Elender Kaffir!« schrie er ihn an, »du wagtest es, dem Peischwa deine Lügen ins Antlitz zu schleudern! Wo ist jener Hund, der sich den Residenten von Cawnpur nannte?«

»Ich sagte es Ihnen bereits, Hoheit, Major Rivers ist außer Ihrer Gewalt!«

»Außer meiner Gewalt? Hältst du den Peischwa von Bithoor für blind? Ihr schmutzigen Faringi habt mich getäuscht und wolltet mich um meine Rache betrügen! Gebt der Praua das Zeichen, die Verfolgung zu beginnen!«

»Nena – halt ein – ich beschwöre dich bei deiner Ehre! Rivers steht unterm Schutz des Vertrages – du nahmst keinen aus! Maharadschah von Bithoor – du hast geschworen – der Vertrag ist heilig –«

Der Nena lachte grell auf. »Redlicher als die verfluchten Faringi ihre Verträge gegen die armen Hindostani halte ich mein Wort! Jenes Gezücht unreiner Tiere hat unbehindert das Fort und Cawnpur verlassen! Jetzt ist unsere Zeit gekommen! Mahadeo! Mahadeo! Auf die Verfluchten!«

Er hob sich in den Bügeln hoch und schwang seinen Turban durch die Luft.

»Verräter – schändlicher Verräter!« schrie der junge Offizier und sprang zurück. »Du sollst dein Werk nicht vollführen!«

Er riß die Uniform auf und einen Revolver heraus, den ihm die Freunde im Fort bei seiner Anwesenheit aufgedrungen. Die erste Kugel zerstiebte den Reiherbusch auf des Peischwas Turban.

Mit Geschrei stürzten sich die Begleiter des Fürsten auf den Offizier. Viermal noch knackte der Hahn, drei der Männer sanken getroffen. Dann erst gelang es, den Tollkühnen mit Blut bedeckt zu Boden zu schlagen.

»Bindet den Kaffir an jenen Stein!« lautete der Befehl des Nena. »Einen Kahn – einen Kahn, um meinen Befehl zur Praua zu bringen! Ruft den Nachen an, der dort aus dem Schilf kommt!«

Einer der Sowars sprengte bis an den Leib seines Rosses in den Strom und schrie dem Laskaren den mit der Pistole in der Faust unterstützten Befehl zu, heranzukommen.

»In das Boot, Mir-Aly, und wie der Sturm zur Praua! Der Rais soll alle Segel spannen – im ersten Boot der Faringi befindet sich der Hund von Residenten, den Baber Dutt mir lebendig bringen, oder nimmer wieder vor meinem Angesicht erscheinen soll!«

Der Reiter warf sich vom Pferd in den leichten, zum Schnellrudern erbauten Kahn, ohne viel des Fährmannes zu achten, dessen Gestalt bei dem Befehl des Nena erbebte. Der Sowar ergriff das im Kahn liegende zweite Ruderpaar und herrschte dem Dandih seinen Befehl zu; – wie ein Vogel flog der schmale Nachen über die Wasserfläche der Praua zu, von deren Bugspriet Schuß auf Schuß den Strom entlang donnerte.

Das vorderste Boot der Engländer schwamm jetzt etwa eine halbe Stunde jenseits der Stadt und bald so weit von der Biegung des Flusses entfernt, hinter welcher verräterisch die Kanonen und die Reiter des Nena harrten. Hinter diesem ersten Dschumptih kamen die anderen Fahrzeuge mit ihrer Bemannung in verschiedenen Zwischenräumen. Alle bedienten sich außer der kleinen Segel der Ruder; dennoch war trotz aller Anstrengungen ihr Fortschreiten gering, weil, wie sich später ergab, sämtliche Fahrzeuge durch an den Kielen befestigte Säcke mit Kanonenkugeln behindert wurden.

Das letzte Boot, in dem Major Conelly mit den meisten Offizieren sich befand und zuerst von dem langen Geschütz der Praua bedroht, hatte sich nach dem linken Ufer der Seite von Audh gewendet, um dort zu landen. Die Praua war auf starke Kanonenschußweite von ihm entfernt, als das Boot in der Nähe des Ufers auf eine Sandbank stieß und sich festrannte. Sogleich zeigten sich den Blicken der Unglücklichen wie aus der Erde emporgestiegen am Rande Reiterscharen, und das Feuer, das sie auf die unglücklichen Inhaber der Boote eröffneten, ließ keinen Zweifel über ihre Absichten.

»Der Teufel hole indische Treue!« schrie der Major – »Kameraden, hier gilt es, unser Leben wenigstens so teuer als möglich zu verkaufen!«

Als die Praua sich überzeugt hatte, daß das Boot der Engländer nicht von der Stelle konnte, setzte sie ihre Verfolgung der anderen Fahrzeuge fort. Auf dem Kajütendeck, hoch auf der Schanzverkleidung stand der Rais, seine Befehle erteilend, während die kräftige Hand von Jan Prätorius das Steuer drehte. Baber Dutt, die Bajadere, Eduard O'Sullivan und Narika, das Mädchen aus Kaschmir, standen in der Nähe des Steuers, und in aller Mienen und Gebärden prägte sich der rachedürstige Haß aus, mit dem sie sich an der Verfolgung beteiligten.

»Wo ruderst du hin, Sohn eines Esels,« schrie der Sowar. »Halte zum Schiff, oder ich schlage dir den Schädel ein!«

»Ja! ja! Sahib! Dein Wille geschieht,« antwortete die zitternde Stimme des jungen Fährmannes. Im nächsten Augenblick sah man das Ruder des jungen Fährmannes durch die Luft schlagen, den Sowar taumeln und mit einem Schrei aus dem Kahn stürzen, der jetzt, von kräftigen und gewandten Ruderstrichen geführt, gleich einem Pfeil an der Seite der Praua vorüberschoß.

Die heftige Bewegung des Schlages hatte den verhüllenden Turban von dem Kopf des Rudernden fallen lassen. Langes dunkles Frauenhaar flog jetzt fessellos um das unbedeckte Haupt und enthüllte ein liebliches Mädchenantlitz.

Jeder Ruderschlag schien die Kräfte des Hindumädchens zu verdoppeln, und ihr leichtes Kanoe stürmte vorwärts, dem voranziehenden Dschumptih nach, das jetzt fast die Biegung des Flusses erreicht hatte.

»Sahib Rivers! Sahib Rivers halt ein!« tönte der Ruf der jungen Hindu, und das Kanoe schoß an die Seite des Fahrzeugs.

»Nurjesan?«

Das Mädchen faßte den Bord des Fahrzeuges – ihr Auge hatte bereits den Räuber ihrer Ehre erkannt, da der Resident sich des entstellenden Bartes entledigt hatte. Sie faßte seinen Arm und zog ihn zu sich hinüber in den Kahn; atemlos, mit fliegender Hast berichtete sie ihm leise den Verrat des Nena, die Aufstellung der Kanonen und Sepoys am Ufer und den Befehl zu seiner Verfolgung.

Der Resident überlegte einen Augenblick, während die Boote mit allen Kräften weiterruderten. Ein Blick nach rückwärts zeigte ihm, daß die Praua die Reihe der Boote bereits erreicht hatte und mit Flintenschüssen begrüßt wurde.

»Der Faringi-Sahib hat Nurjesan gelobt, sie zu seiner Frau zu machen,« sagte leidenschaftlich das Mädchen. »Dieser Kahn ist schnell wie die Möwe, der Mann meines Herzens möge zwei starke Hände der Seinen nehmen, uns im Rudern zu helfen, und wir spotten jener Praua. Ehe der Morgen anbricht, wird er in Allahabad sein.«

Sein Auge maß das Kanoe des aufopfernden Mädchens und funkelte dann triumphierend hinüber nach den nahenden Verfolgern.

»Hier hinauf, Nurjesan – schnell!« befahl er und hob das Mädchen an dem Rande der Dschumptih empor.

»Wer versteht das Schlagruder zu führen?« fragte der Resident. Mehrere Arme streckten sich in die Höhe. »Hierher, ihr beiden, geschwind in den Kahn. Halliday, her zu mir, es gilt Ihr Leben!«

»Was soll das bedeuten – was wollen Sie tun, Rivers?«

»Fragen Sie nicht – es ist keine Zeit zu Auseinandersetzungen. Wollen Sie Ihr Leben retten, so folgen Sie mir!«

»Nicht ohne diese schutzlosen Frauen. Ein Mann von Ehre wird sie in der Gefahr nicht verlassen!«

»Hierher, Thompson, und steuern Sie, wenn der Undankbare es verschmäht!« Seine Hand stieß den Nachen, der durch die vier Personen ganz gefüllt war, von der Dschumptih ab.

Das Fahrzeug hatte jetzt die Biegung des Flusses umfahren und befand sich im Angesicht der Kanonen der Sepons.

»Jetzt ist es Zeit! – rudert für euer Leben, Leute – dicht am Ufer hin, Thompson, ehe sie den Zielpunkt für uns finden!«

»Halt ein, Sahib! halt ein – nimm Nurjesan, dein Weib, mit dir!« schrie das Hindumädchen. »Sahib Rivers, denk an dein Versprechen!«

»Der Kahn ist voll, schöne Nurjesan!« rief kaltblütig der Verräter.

Er warf sich selbst auf die Ruder, und das leichte Kanoe, von drei starken Männern getrieben, vom vierten gesteuert, schoß wie ein Vogel nach der Deckung des hohen Ufers.

Hinter ihm ein kreischender Schrei – ein Sturz ins Wasser – dann hob sich aus den gelben Wellen des Ganges der bleiche Kopf des Hindumädchens, und ihre schlanken Arme teilten rüstig die Flut.

Das Kanoe des Residenten schoß glücklich in den Schutz des Ufers und flog an diesem entlang, das dicht mit Rohr und Schilf bedeckt war – die kühne Schwimmerin folgte noch immer. Da rauschte es in dem Rohr und eine Wasserfurche teilte die trübe Fläche – ein greulicher Rachen mit dichten Reihen von weißen Zähnen schnappte empor, hoch auf gerade in die Höhe mit wild verzerrtem Gesicht sprang die Schwimmerin aus dem Wasser und schlug wild die Arme empor. »Zu Hilfe!« Dann verschwand im Nu der junge Leib unter den Wellen, und ein ringelnder Kreis von Blut war der einzige Rest so vieler Liebe, Jugend und Schönheit.

Schon flog die Praua unter dem Druck aller Segel heran und braßte quer vor der Linie der Boote, von denen zwei, die den Weg erzwingen wollten, unter dem Kugelhagel der Batterie sanken. Die Praua, deren Führer die Dschumptih des Residenten nicht aus den Augen gelassen, stieß auf diese.

Ein Haufen der Schiffsmannschaft der Praua, an ihrer Spitze der Uskoke und der junge Boer, drangen sofort in die Dschumptih.

»Gebt den Sahib-Residenten heraus, oder der Tod ist euer Schicksal! Wir wissen, er ist verkleidet unter euch.«

»Wenn dieser verräterische Anfall der Person des Residenten von Cawnpur gilt,« sagte der Kapitän entschlossen, – »so ist sein Zweck vereitelt; Major Rivers ist entflohen auf einem Kahn. Ich fordere Schutz und Freiheit für diese Frauen und uns auf Grund des Vertrages!«

»Kaffir, du lügst!« tobte der Bruder des Peischwa, denn der Pulverdampf, der sich über den Fluß wälzte, verhinderte ihn in diesem Augenblick, das Kanoe zu sehen. »Durchsucht jeden Winkel, Brüder – der Hund ist verborgen unter ihnen.«

Seine Hand riß mit rohem Griff den verhüllenden Schleier vom Hut der Miß Wheeler, die zitternd ihre mutigere Cousine umschlungen hielt – aber im Nu zuckte der Degen Leutnant Hallidays und eine tiefe Schulterwunde strafte diesen frechen Angriff.

Der Hieb war das Signal zu einem kurzen aber blutigen Gefecht. Halliday verteidigte sich wie ein Rasender in dem kleinen Raum, jeder Hieb seiner treuen Klinge machte das Blut aus tiefen Wunden spritzen, während er selbst bereits aus zwei oder drei blutete und von der Zahl seiner Gegner bis zum Rande der Dschumptih zurückgedrängt war. In diesem Augenblick fiel sein Auge auf ein bleiches verstümmeltes Gesicht, das kaum noch dem menschlichen glich – zwei verstümmelte Arme streckten sich dräuend gegen ihn aus ....

»Eduard O'Sullivan – Gott erbarme sich meiner!« Die Hand die den Stahl so kräftig geschwungen, sank gelähmt von der bösen Erinnerung nieder – ein Hieb des Tomahawk von der Faust des holländischen Boers spaltete seine Stirn und die Leiche des Offiziers verschwand in der trüben Flut des heiligen Stromes.

Am niedern Mast der Dschumptih verteidigte Kapitän Delafosse sich mit Heldenmut, als plötzlich der Irländer sich vor ihn warf, schrille, unverständliche Laute ausstoßend und mit dem eigenen Körper den Mann schützend, der ihm allein an jenem Tage des Unheils Freundlichkeit und Wohlwollen bewiesen.

Der Rais erkannte den Offizier, mit dem er damals gemeinschaftlich die Spuren der Entführung der Gattin des Nena verfolgt, und machte sich zu seinem Beschützer.

Seiner Waffen beraubt, wurde der Kapitän nach der Praua gebracht und unter Deck in eine kleine Kajüte geschlossen, in der er zu seinem Erstaunen einen Europäer fand, dessen wirrer Blick ihn bald überzeugte, daß er es mit einem Geistesgestörten zu tun habe.

Über der Verfolgung der Boote, die sich jetzt sämtlich in der Gewalt der Praua befanden, war der Abend herangekommen; die Dunkelheit bedeckte den Fluß und die Ufer, als die Praua, die Boote vor sich her, nach dem Ufer von Cawnpur zurückkehrte.

Der Uskoke, von Eduard O'Sullivan begleitet, trat in den Raum, in welchem sich Kapitän Delafosse als Gefangener mit dem Irren befand.

»Signor,« redete er den Offizier an, »wenn ich auch ein Feind der Faringi bin – ich weiß die Braven und Tapferen jedes Volkes zu schätzen, und der Kapitän Grimaldi würde es nimmer dem Milchbruder vergeben, überlieferte er einen seiner Freunde dem Henkerschwert dieser braunen Teufel. Hier ist die Verkleidung eines Bannia, – unter jener Luke finden Sie einen Kahn, mit dem Sie das Ufer erreichen können, ich selbst werde das Steuer der Praua führen und so Ihre Flucht sichern. Am Ufer von Audh schwärmen die Sowars des Peischwa – der Weg ist zu gefährlich für Sie. Am besten ist's, Sie schlagen die Dawk von Gwalior ein und erreichen den Zug des Majors. Sagen Sie Marcos Grimaldi, was Danilos für Sie getan – unter seinem Schutz werden Sie sicher sein!«

»Ich danke Ihnen von Herzen,« sagte der Engländer, die Hand des Uskoken schüttelnd – »aber darf ich meine Kameraden, die armen Frauen in dieser unglücklichen Lage verlassen?«

»Beim Acheron – ich sehe nicht, was Sie ihnen helfen könnten! Sorgen Sie für Ihren eigenen Kopf, Signor, der wenig genug in dieser Zeit wert ist! Dem Löwen sich in den Rachen stürzen, wäre Wahnsinn.«

Er warf ihm die Kleider hin. »Tun Sie, was Sie wollen, Signor, aber in einer halben Stunde wird es zu spät sein. Ohnehin ist die höchste Vorsicht nötig, denn wir haben einen Dämon von Weib an Bord, dessen Auge nichts entgeht!«

Der Irländer trat auf Delafosse zu, – seine Bewegungen, sein flehender Blick zeigten deutlich seinen Wunsch und ersetzten die Sprache.

»Hier sind ein Taschen-Kompaß, Pistolen und ein Dschambea,« fuhr der Uskoke fort. »Leben Sie wohl, Signor, und San Theodoro sei mit Ihnen!«

Er zog den Irländer mit sich fort und verschloß die Tür.

Einige Minuten stand der Irländer im Zweifel, dann warf er die vom Kampf zerfetzte Uniform von sich und beeilte sich, die indische Kleidung anzulegen.

Zu seinem Erstaunen bemerkte er, daß der Irre zögernd näher und näher kam, bald die abgeworfenen Kleider, bald ihn selbst betrachtend.

»Fürchtest du auch, daß sie dich fangen, Kamerad?« flüsterte der Wahnsinnige, »es ist recht, daß du den roten Rock von dir tust. Es ist eine schlimme Farbe und zieht die Augen der Schlangen an!«

»Wer bist du – Unglücklicher? Du bist ein Engländer!«

»Die fünften Dragoner sind ein schönes Regiment!« fuhr der Irre fort, – »und Rookeby, mein Pferd, war ein treues Tier. Aber seit die Schlange den armen Eduard und Helene, meine schöne Helene, gefressen – ist es vorbei mit uns. Sieh – sie haben mir diese Kleider gegeben, damit der böse Mann mich nicht finden soll!«

»Wer Sie auch sein mögen, unglücklicher Mann,« sagte der Kapitän – »leben Sie wohl und Gott gebe Ihnen das Licht der Vernunft – ich kann nichts weiter für Sie tun!« Er faßte das Tau, welches das Boot hielt, und glitt an ihm hinab.

Kapitän Delafosse hatte jedoch noch nicht die Ruder ergriffen, als er sah, wie ein dunkler Schatten an dem Tau ihm folgte, und im nächsten Augenblick saß der Irre vor ihm auf der Ruderbank des Bootes.

»Richard wird mit dir gehen,« sagte der Wahnsinnige – »Richard will den roten Rock der Faringi sehen, sie werden ihn schützen vor der Boa, besser als diese Hindu!«

Es war keine Zeit zu Gegenvorstellungen; der Kapitän stieß von der Praua ab und im nächsten Augenblick schwamm das Boot unbemerkt auf der Fläche des Stromes.

Von hier aus konnte er die Szenen am Ufer beobachten, und das Blut stieg ihm zu Kopfe, als er sah, wie seine braven Kameraden von den Sepoys unter Mißhandlungen gebunden aus den Booten geschleppt, wie die Frauen und Kinder grausam verhöhnt und beleidigt wurden. Er strengte alle Kräfte an und ruderte stromauf, bis er oberhalb der Stadt der Stelle gegenüber war, an der sie sich vor wenigen Stunden freudiger Hoffnung hingegeben, eingeschifft hatten. –

Die Ankunft der Boote mit den Gefangenen in der Stadt hatte die ganze Bevölkerung dort versammelt und den Platz, an dem er landete, völlig einsam gelassen. Der Offizier verließ den Kahn, und sein irrer Begleiter folgte ihm wie sein Schatten.

Delafosse suchte sich zunächst zu orientieren, was ihm nicht schwer wurde, da der Mond mit seinem hellen Schein über den Horizont emporzusteigen begann. In der Nacht und unter dem Schutz seiner Verkleidung fürchtete er die Gefahr des Erkennens nicht.

»Kamerad,« sagte der Kapitän – »ich will Sie nicht verlassen, aber unter der Bedingung, daß Sie das strengste Schweigen beobachten, was auch geschehen möge.«

»Still,« flüsterte der Irre – »siehst du die Schlange dort im Mondschein gleiten – hörst du das Weinen des armen Knaben, wie er nach Wasser ruft?«

»Es sind die Schakals, die über die Ebene schweifen, Kamerad, ihr Geschrei tönt wie das eines Kindes.«

»Tor – die Anakonda ist's – der Knabe, mein Knabe, mein süßer Eduard wimmert nach Wasser. Ich bin sein Vater – laß mich hin zu ihm!«

Der Kapitän horchte aufmerksam in die Nacht.

Er schauderte in der Tiefe seiner Seele, klarer und deutlicher hörte er den Laut: water! – water!

Entschlossen schritt er in der Richtung vor, aus der jene Töne des Jammers erklangen.

Der Mond trat klar und hell über den Saum einer Wolke, sein weißes Licht zeigte einen niedrigen breiten Stein – darüber ausgebreitet – die Füße und Hände an dies steinerne Kreuz geschnürt, einen Märtyrerleib.

»Wasser – bei der Barmherzigkeit Gottes – wer Ihr auch seid – einen Tropfen Wasser!«

»Allmächtiger – diese Stimme – Unglücklicher – wer bist du?«

Während die Praua den Booten nachjagte, hatte die entfesselte Rachgier des Nena seiner Umgebung ein greuliches Spiel bereitet. Nachdem der unglückliche Offizier zu Boden geworfen und an jenen Stein gebunden worden, versuchte jeder der wilden Reiter im Galopp vorübersprengend, an dem Körper des Unglücklichen seine Geschicklichkeit, indem er ihm mit Säbel und Lanze eine Wunde beibringen mußte, die ihn nur zerfleischte, ohne ihn zu töten.

Die Augen waren dem Unglücklichen ausgestochen, sein ganzes Antlitz von Säbelhieben zerfetzt und mit geronnenem Blut bedeckt – von Zeit zu Zeit lief das Zucken der mit diesem langsamen, entsetzlichen Sterben ringenden Jugendkraft durch die zerfleischten Glieder.

»Bist du ein Engländer, so reiche Sanders, dem vom Teufel Gemarterten, einen Tropfen Wasser und töte ihn!«

»Leutnant Sanders – unglücklicher Kamerad! ich bin Delafosse, Kapitän Delafosse, und werde Sie nicht verlassen. Fort Mann – raffe deine Vernunft zusammen und eile nach dem Fluß – schöpfe in diesem Turban Wasser und bringe es schnell!«

Ein Blitz von Verständnis leuchtete in dem Auge des Wahnsinnigen. »Lionel holt Wasser,« sagte er – »Lionel weiß, wie es tut, nach Wasser zu schmachten. Hätte Lionel Wasser gehabt, dann wäre der süße Eduard nicht gestorben!« Damit lief er hastig nach dem Fluß und kehrte in wenigen Augenblicken wieder, den Turban mit Gangeswasser gefüllt.

Delafosse erkannte bald, daß hier jede Hilfe vergeblich sei und nur die kräftige Natur des jungen Offiziers seine unbeschreiblichen Leiden verlängert hatte. Kaum verständlich, in abgebrochenen Worten teilte dieser ihm die Szene mit, deren Opfer er geworden, und Delafosse fühlte sein Herz erbeben bei dem Gedanken, daß seine unglücklichen Kameraden und die armen Frauen der Tigerlaune eines solchen Feindes in diesem Augenblick preisgegeben. –

Sein Haar sträubte sich, denn von der Stadt her rollte der Donner einer Flintensalve – einmal – zweimal – zum dritten Mal, und selbst in diese Entfernung drang das Echo des höllischen Triumphgeschreis der Menge herüber.

»Flieht – flieht!« stöhnte der Sterbende – »rettet euch, da es noch Zeit ist! Aber bei der Barmherzigkeit Gottes, zuvor macht meinen Leiden ein Ende – tötet mich!«

»Kamerad,« sagte der Kapitän – »Gott der Allmächtige hat ein furchtbares Schicksal über Sie verhängt, bald wird seine Barmherzigkeit Ihre Leiden geendet haben und Ihre unsterbliche Seele in seinen Schoß aufnehmen! Bis dahin weiche ich nicht von Ihrer Seite, man müßte mich denn von hier reißen.«

Er setzte sich zu dem sterbenden Kameraden, netzte von Zeit zu Zeit seine Lippen und betete mit ihm die Gebete der Jugend, die beide vielleicht so lange vergessen hatten!

Eine Stunde war vergangen – der ferne Lärm der Stadt begann zu verstummen – die Feuer erloschen. – –

»Das ist Rookeby, mein Pferd!« rief plötzlich der Irre – »ich kenne seinen Hufschlag – aber dort – seht ihr die Augen der Anakonda, wie sie funkeln und glühen und größer und größer werden! Barmherzigkeit – schützt mich vor der Schlange!«

Er stürzte zu dem Kapitän und kauerte sich zitternd in seinem Schatten.

Über die Ebene von der Stadt her kam näher und näher ein wütender Galopp.

Beleuchtet von dem gespenstigen Doppelschein der Fackel und des Mondstrahls keuchte im rasenden Galopp ein Roß herbei – eine Gestalt warf sich vom Sattel.

»Sahib, wo bist du? – Ewiggeliebter, wo bist du?«

Delafosse hatte die Hand am Kolben des Pistols, aber die Gestalt, welche die Schatten der Gruppe am Stein erblickend, jetzt herbeiflog, trug die Gewänder einer Frau.

»Das ist die böse Fee, die uns verraten – den armen Eduard und meine süße Helene,« flüsterte der Irre – »die Schlange steht in ihrem Solde!«

»Sahib Sanders! – Sahib Sanders – wo bist du?«

Die verstümmelte Gestalt des unglücklichen Offiziers krampfte in die Höhe bei dem Ton dieser Stimme, die blutigen Höhlen seiner Augen wandten sich gegen sie, welche bei dem Anblick in gräßlichem Aufschrei die ihren bedeckte.

»Mann meiner Liebe,« rief das Weib mit schneidenden Tönen – »meine Tränen sollen deine Wunden betauen, meine Küsse sie schließen und dich dem Leben erhalten! Die Falsche, die uns trennte – sie kann es nicht mehr!«

»Verflucht seist du selbst, Anarkalli, blutige Mörderin und Genossin der Mörder!« stöhnte der zuckende Mund des Sterbenden – »Fluch – Fluch dir – und – Fluch – –«

Er brach zusammen – ein Schauer rieselte über die blutige Gestalt – dann streckte sie sich regungslos auf dem steinernen Schmerzensbett.

»Tot? tot?« gellte der Schrei der Tänzerin. »Zu Yama gegangen, ohne der, die ihn liebte, vergeben zu haben? Ich Unglückselige, daß ich ihn lassen konnte in den Klauen des Tigers!«

»Hast du gehört, wie er dir fluchte? So fluchte Helene auch dem bösen Verführer, der sie in den giftigen Brodem der Schlange gelockt!« flüsterte der Irre. »Aber weine nicht – ein Frauenherz hat unendliche Liebe und aller Haß schmilzt wie der Schnee in ihm, der Geliebte braucht der Dürstenden nur das Blut aus seinen Adern zu trinken zu geben!«

Ihre Augen starrten ihn an – halb bewußtlos – dann sank sie am Stein nieder. Eine kurze Weile darauf hörte der Kapitän leise, seltsame Töne – es war ein monotoner ergreifender Gesang, der aus ihrem Munde kam – schon einmal hatte er die feierlichen Töne vernommen – dort in Ihansi am Scheiterhaufen des Rao – die Totenklage der Hindufrau um den gestorbenen Gatten! – –

 

Wir führen den Leser auf kurze Zeit in die Stadt zurück. Die schrecklichen, entsetzlichen Szenen sind nur von einem Augenzeugen, dem Hävildahr Nudschur Dschewarri, dem es gelang, zu den Engländern zu entfliehen und der seine Aussagen vor den Behörden zu Protokoll gab, berichtet worden.

Die unglücklichen Gefangenen, Männer, Frauen und Kinder, waren unter Mißhandlungen aus den zurückgeführten Kähnen gerissen und nach dem Platz geschleppt worden, an dem der Nena stand.

Er musterte sie mit gierigem Auge, aber Haufe auf Haufe erschien, den er suchte, war nicht darunter. Die Adern an den Schläfen des Peischwa schwollen und der fest zusammengekniffene Mund verkündete das drohende Unheil.

»Wo ist der Rais der Praua? Wo ist Baber Dutt, mein Bruder? warum kommen sie nicht?«

Endlich erscholl ein Ruf des Triumphes – die Praua hatte die letzten Gefangenen ans Ufer gesetzt, der Uskoke, die Tänzerin und Eduard O'Sullivan nahten sich ihnen.

Auf dem braunen Gesicht des Seeräubers aus dem Ionischen Meer spiegelte sich finstere Entschlossenheit, so trat er vor den Nena.

»Wo ist Baber Dutt, mein Bruder?«

»Er ist verwundet durch einen Inglese und liegt am Boden der Praua.«

»Und der Bote, den ich euch sandte, ist sein Auftrag vollführt?«

»Wenn du den Suhbadar Mir-Aly meinst, Hoheit, der liegt noch halb ersäuft auf dem Deck. Ein tolles Weibsbild schleuderte ihn ins Wasser.«

Der Nena stampfte wild mit dem Fuß. »Wo ist der Mann, der sich den Residenten nannte?«

»Rivers? Der Teufel hole ihn – er ist auf einem Kahn entkommen, wenn ihn die Kartätschen nicht zerrissen oder mein Steuermann eingeholt hat, der mit dem Babu auf seiner Spur ist.«

Ein heiserer Schrei der Wut, der getäuschten Erwartung drang aus der Kehle des Nena. Sein Gesicht wurde fahl, die Augen blitzten wie wahnsinnig umher – gleich als suchten sie ein Opfer der in ihm kochenden Wut.

»Treibt die Gefangenen dort zusammen! – Trennt die Weiber und Kinder von ihnen!«

Es waren entsetzliche, furchtbare Szenen, als die Sepoys die Frauen von der Brust ihrer Männer, die Schwester vom Bruder, das weinende Kind vom Herzen des Vaters, die Tochter aus der Nähe ihres Erzeugers rissen.

Der Nena winkte Anarkalli, die Bajadere, die mit dem Lächeln teuflischer Befriedigung neben ihm stand.

»Suche die weißen Mem-Sahibs aus, die für das Harem des Peischwa taugen,« befahl der Nena – »diese Nacht soll eine Nacht der Lust und des Triumphes sein!«

Drei der Frauen bezeichnete der wählerische Finger der Bajadere als passend für ihren Herrn.

Es waren Miß Soldie, die Tochter eines Offiziers und die junge Frau eines Beamten – alle drei gefeierte Schönheiten.

Plötzlich wies der Nena auf Editha Highson, die selbst in dieser schrecklichen Lage den eigentümlichen Reiz nicht verleugnete, der über ihre ganze Erscheinung ausgegossen war.

»Diese Faringa ist schön. Sie soll das Lager diese Nacht teilen, das ihre Brüder einsam gemacht!«

Die Augen der Bajadere funkelten boshaft. »Der Peischwa möge eine bessere für die Freuden seines Lagers wählen – dies Weib verdient die Ehre nicht!«

»Du bist eiferfüchtig. Ich habe es gesagt! es möge geschehen!«

»Der Peischwa hat ein Versprechen zu erfüllen!«

»Welches? rede!«

»Der Stern der Hindostani hat der Granatblüte zwei der Gefangenen geschenkt.«

»Das ist wahr – wähle sie!«

»Dies Faringi-Weib ist die Person, die ich begehre.«

»Gut – sie ist die Deine! Was willst du mit ihr beginnen?«

»Du sollst es sehen!« Sie trat zu dem dichten Kreis der Sepoys, der die Gruppe umgab – ihr dunkles Auge flog suchend umher. Sie hatte gefunden, was sie wollte und winkte einem Nähghuh (Korporal) der Sowars, näherzutreten.

Es war ein Mohr von riesiger Gestalt und Körperkraft, aber scheußlichem, wildem Aussehen.

»Du hast ein Haus in Cawnpur?« frug die Bajadere.

»Du sagst es, schöne Tochter des Tempels,« grinste der Mohr.

»Hast du ein Weib?«

»Einen Dämon – alt und häßlich! Ich wünschte, sie wäre jung und schön, wie du.«

Die Bajadere löste eine der breiten goldenen Spangen von ihrem Arm und reichte sie dem Sowar. »Gib diesen Schmuck deinem Weibe, damit sie nicht eifersüchtig sei, wenn du diese Faringa heute dein Lager teilen lassest!«

»Mashallah! Diese Houri soll die meine sein?«

»Der Peischwa hat sie mir gegeben und ich schenke sie dir als Sklavin. Aber du schwörst bei deinem Propheten, daß sie noch in dieser Nacht die Stelle deines Weibes vertreten wird!«

»Wallah! Wallah!« sagte der Sowar erfreut. »Wo sind meine Augen, daß sie das Glück sehen? Du bist selbst eine Houri und Abdallah ist kein verstümmelter Mann!«

Vergebens klammerte sich das unglückliche Mädchen an ihre Muhme, vergebens streckte sie hilfeflehend die Arme nach ihren Unglücksgefährten aus und warf sich dem Nena zu Füßen, um einen schnellen Tod flehend. Der Peischwa schritt achtlos weiter an der Reihe der zitternden und weinenden Frauen entlang.

Nur ihre Feindin – das Weib, das ihr Verderben geschworen – blieb zurück, mit dämonischem Blick sich an der Angst ihrer Nebenbuhlerin zu weiden.

Der Nena hatte seinen Gang geendet und war an seinen früheren Platz zurückgekehrt.

»Es ist Zeit, mit den Kaffirs ein Ende zu machen,« sagte er. »Nirgut Singh, führe deine Kompagnien hierher!«

Der alte Suhbadar, derselbe, der bei jenem Nachtessen im Bungalow Oberstleutnant Stuart auf die durch Halliday hervorgerufene Unzufriedenheit der Leute aufmerksam gemacht hatte, legte unwillig die Hand an die Stirn zum Zeichen des Gehorsams.

»Die erste und zweite Kompagnie der Nadire PultunEs war das 31. Nativ-Regiment, das den schrecklichen Befehl ausführte. mögen antreten!« Ein kurzes Hornsignal – die Sepoys sammelten sich wie auf dem Paradeplatz und traten in ihre Reihen.

Der Subahdar gab mit lauter Stimme das – wie ein gräßlicher Hohn klingende – englische Kommando:

»Achtung!« –

Die Reihen der Sepoys richteten sich. In den Gruppen der unglücklichen Frauen, die durch das Kommando aufmerksam gemacht wurden, zeigte sich eine Bewegung!

»Geladen! – fertig zum Feuern!«

Mit dem Geschrei: »Wir wollen mit unseren Männern sterben!« warfen sich die Frauen zwischen die Kompagnien der Sepoys und die Gefangenen.

Es war eine furchtbare, herzzerreißende Szene. Die Frauen umklammerten ihre gebundenen Männer, ihre Väter und Brüder und erklärten unter Jammergeschrei, man möge sie mit ihnen töten, sie wollten sie im Tode nicht verlassen!

»Reißt die Weiber von ihnen – schleppt sie zur Seite!« donnerte der Befehl des Nena.

Die Gillis-Pulkun stürzten sich auf die hilflosen, jammernden Frauen und zerrten sie mit Gewalt hinweg.

»Laßt die Kaffir sich niedersetzen,« befahl der Nena – »ihre Zeit ist gekommen.«

»Kameraden,« rief der tapfere Kapitän Ashe, »laßt uns diesen Mördern zeigen, daß britische Soldaten als Männer zu sterben wissen. Ein Hurra für die Königin! ein Hurra für Alt-England!«

Und aus dem Munde der hundert Schlachtopfer der Rache und des Hasses donnerte ein dreimaliges, begeistertes Hurra zum Nachthimmel empor.

Der letzte Ton war noch nicht verklungen, als man die Stimme des Subahdar hörte.

»Fertig zum Feuern! – Schlagt an!«

»Halt! Haltet ein! – Wollt ihr Menschen – Christen morden, ohne ihnen die Zeit gegönnt zu haben, zu ihrem Erlöser zu beten? – Allah – Brahma oder Gott – wir glauben alle an einen – so gönne denn, wenn du für deine eigene Seele hoffst, Maharadschah von Bithoor, denen, die du ermorden willst, ein Gebet zu ihrem Gott!«

»Dein Verlangen ist gerecht, Padre,« sagte er – »zehn Minuten sind dir und den Deinen bewilligt.«

Kaplan Graham hob die Augen zum Himmel. »Erweise mir die Gnade, Fürst,« bat er – »meine Hände von den Banden befreien zu lassen, damit ich das heilige Buch der Christen aus meiner Tasche nehmen kann.«

Der Nena winkte – die Stricke, welche die Hände des Kaplans gefesselt, wurden zerschnitten.

Finster – den Tod erwartend – standen die Männer um ihn her – der Nena hielt die Uhr in seiner Hand, das Auge des Subahdars war auf seinen finsteren Gebieter gerichtet – stiller und stiller wurde es in dem Kreise, wie in ehrfurchtsvoller Scheu wich die Menge zurück.

Die Stimme des Kaplans erhob sich – es war der hundertundzweite und dritte Psalm, den seine zitternde Hand aufgeschlagen.

Aus den Gruppen der Frauen, die von ihren Hütern festgehalten wurden, tönte lautes Schluchzen herüber.

Und immer lauter und kräftiger tönte die Stimme des Geistlichen.

Der Nena winkte – man hörte zwischen den vollen Tönen des Geistlichen den kurzen Befehl:

»Fertig zum Feuern! – Schlagt an!«

Die Stimme des Geistlichen erlosch, er sank in die Knie und breitete seine Hände zum Himmel empor.

»Herr, in deine Hände befehle ich meine und dieser Brüder Seele! Herr, vergib unsere Sünden und nimm – –«

»Feuer!«

Ein donnernder Knall – Rauchwolken umher – einzelne Schreie des Schmerzes – dazwischen wilde Verwünschungen und Todesgestöhn –

Als der Rauch emporwirbelte, sah man die tapferen Verteidiger von Cawnpur nach allen Seiten mit ihren blutenden Leibern den Boden decken, – ein Anblick des Schreckens und Entsetzens.

Auf einen Wink des Peischwa warfen sich die Sepoys auf dieses Feld des Mordes – ihre Säbel und Yatagans begannen ein grausiges Geschäft, das Leben und Leiden zu töten, wo es noch zuckte und atmete.

Zehn Minuten nachher war alles beendet, man hörte nur noch das Wimmern und Geschrei der Frauen, die jetzt von ihren Wächtern fortgeschleppt wurden.

Der Nena ritt bis dicht an die Gruppen der Toten. Er löste die Turbanbinde vom Haupt, beugte sich nieder vom Sattel und tauchte sie in die breiten Blutlachen, die den Boden deckten. Dann wandte er sein Roß und ritt langsam davon. – Keiner wagte ihm zu folgen! – – – – – – – – – –

Anarkalli, die Bajadere, begleitete die Schar, welche die unglücklichen Frauen und Kinder nach dem sogenannten gelben Hause, dem ehemaligen Lazarett, schleppte. Dort befand sich ja auch das Gefängnis des Mannes, dessen Körper und Seele jetzt ihr Eigentum war, da der Nena ihr sein Leben gegeben, und ihr Haß das Weib, das er ihr vorgezogen, in den tiefsten Staub erniedrigte.

Die Schändung und Entehrung dieser Frau wollte sie ihm ins Angesicht schleudern, das sollte ihre Rache sein für seinen Undank.

Die Schildwacht vor der Tür fehlte zu ihrem Erstaunen – sie zog die Riegel zurück und öffnete die Tür – das Gemach war leer.

Ein wilder Schreck durchzuckte ihr leidenschaftliches Herz.

Sie flog mehr als sie ging nach dem Ort zurück, wo das Zelt des Nena aufgeschlagen war.

An dem Eingang harrten Sepoys mit den drei unglücklichen Opfern, die sie selbst für das Lager des Peischwa von Bithoor gewählt.

Ihre erste Frage war nach dem Nena – er war noch nicht zurück. Hunderte hatten ihn die Stadt verlassen und den Weg nach Bithoor einschlagen sehen, aber keiner hatte gewagt, ihm zu folgen.

Die Bajadere stürzte auf die Offiziere des Nena los.

»Wo ist der Faringi-Jemedar, den der Peischwa gefangen hielt und heute mit der Botschaft zu seinen Brüdern sandte?«

»Der Kaffir hat den Lohn seines Verrats auf der Stelle empfangen, wo er den Peischwa belogen, im Angesicht der Hunde, seiner Brüder. Der Peischwa hat seinen lebendigen Leichnam zum Futter der Hyänen und der Schakals zurückgelassen!«

»Schurke – du lügst!«

»Wenn du mir nicht glauben willst, so gehe hin und überzeuge dich selbst!«

»Wo? wo? wenn du ein Mann bist, so antworte mir!« Ihr Auge glühte, die Bronzefarbe ihres Gesichts begann sich in die matte Farbe der Asche zu verwandeln.

Der Subahdar beschrieb ihr die Stelle – – ehe er noch geendet, hatte die Bajadere einem der Seyces die Zügel des Rosses entrissen, das er in der Nähe hielt, und sich in den Sattel geschwungen.

Im Flug riß ihre Hand von dem Holzstoß, den die Sepoys an der Mordstätte angezündet, die brennende Fackel und schwang sie durch die Luft, daß weit hinter der gespenstigen Reiterin die Funken stoben! – – – – – – – – – –


»Geh voran, Weib, und bereite das hochzeitliche Lager! Der Prophet hat mein Haus gesegnet mit dem Befehl der Houri.«

Die habsüchtige Megäre, deren Eifersucht das geschenkte und versprochene Gold gänzlich beseitigte, eilte davon. Der Mohr faßte mit dem Grinsen vorempfundener, bestialischer Lust den Arm Editha Highsons und befahl ihr zu folgen.

Träne um Träne rann über dies bleiche, von dem Elend der Belagerung hagere aber unendlich schöne Gesicht.

Erst als sie die Tür des Hauses erreichte, schien ihr das Bewußtsein ihrer Lage zurückzukehren. Sie warf einen Blick der Verzweiflung, der Angst, des Wahnsinns um sich, streckte die Arme flehend in die Höhe, indem sie in die Knie sank und rief:

»Hermann, mein Freund! mein Geliebter! rette Editha!«

Aber nur wildes Hohngelächter antwortete dem flehenden Ruf der Verzweiflung, der rote Schein der Fackeln warf sein Licht nur auf eine Versammlung von Dämonen.

Und das ernste, milde Antlitz des Freundes zeigte sich nicht unter ihnen.

Abdallah der Mohr zog sie gewaltsam empor und hob die Sträubende auf seinen kräftigen Arm und trug unter dem Jubel seiner Kameraden das weiße Mädchen, dessen Blut geschändet werden sollte durch den Verachtetsten der dunklen Rasse, in sein Haus, dessen Tür die Frauen schlossen.

Das Haus bestand aus einem kleinen Vorraum und einem einzigen größeren Gemach, in dem die ganze Familie zusammen hauste, das Lager des Sowars und seines Weibes im Winkel nur durch eine Matte von dem anderen Raum geschieden. Die alte Hexe hatte einen großen Krug gegorenen Palmensaftes herbeigeschafft, an dem sich die beiden Weiber und der Knabe bereits zu berauschen begonnen.

Dieser, als er seine Gefangene in der Mitte des Gemachs niedergelassen, ergriff zunächst den Tottykrug und löschte mit langen Zügen seinen Durst. Dann reichte er ihn dem Mädchen und lachte spöttisch auf, als sie mit einer schaudernden Bewegung das Getränk zurückwies.

»Bakalum!« sagte er, über die Gestalt der Jungfrau mit geilem Auge streifend – »tu wie es dir gefällt! bei meiner Seele, ich hoffe, du wirst Stärkung brauchen!«

»Haif! Haif!« schrien die Weiber, indem sie über die Ärmste herfielen. »Seht, was diese Faringa für Seide und Putz trägt. Was braucht Abdallah, der Sowar, ihren Staat? es ist genug, wenn er ihren Leib hat!«

Damit rissen sie dem bebenden Mädchen die Ohrringe aus, die Kette vom Hals, die Ringe von den Fingern, die Kleider vom Leib – selbst die Schuhe von den Füßen.

Die durch die schönen, reinen Formen des fast ganz entblößten Oberkörpers gereizte Gier des Mohren ließ seine gelben, mit Blutadern durchzogenen Augäpfel in wildem Feuer glänzen.

»Ai dschänum!« sagte er – »es ist Zeit, daß wir unser Lager aufsuchen. Löscht die Lampe, ihr Satanskinder, und begebt euch in euren Winkel. Und du, weiße Taube der Eisgebirge, komm auf das Bett unserer Freude!«

Der rohe Griff des lüsternen Mohren an den entblößten Busen machte der Unglücklichen das Schicksal völlig klar und schien all ihre erstarrte Lebenstätigkeit auf einmal zu erwecken. Mit verzweifeltem Geschrei warf sie sich auf die Knie und flehte in herzzerreißenden Beschwörungen, sie zu schonen oder lieber zu töten.

Aber nur das Toben des Mannes, das Hohngelächter der Weiber antworteten ihr. »Mach ein Ende mit ihr, Abdallah, wenn wir nicht glauben sollen, daß deine Mannheit bosch, nichts ist!«

Und der Mohr, die Augen von Zorn und wollüstiger Gier blutunterlaufen, schleppte sie hinter die Matte, und riß die letzten Hüllen vom Leibe, daß der jungfräuliche reizende Körper schändlich den gierigen Blicken, den frechen Betastungen preisgegeben lag.

»Hermann – wo bist du? – Hermann Walding – rette Editha – zum letztenmal!«

Der matte Ruf verklang wie im Todesgestöhn, heiserer und heiserer wurde das Geschrei des kämpfenden Mädchens, matter und matter ihr Ringen, die gigantischen, dunklen Arme des Mohren umschlangen unwiderstehlich den weißen, zarten Leib und erstickten jede Kraft – – an Stelle des süßen, wonnigen Seufzers beseligender Liebe ein letzter entsetzlicher Schrei – dann streckten sich willenlos diese zarten Glieder, und eine wohltätige Ohnmacht umfing ihre Sinne und bewahrte wenigstens die Reinheit der verzweifelnden Seele.

Mit seinem bleichen, ruhigen, kalten Strahl für all das Elend der Erde stieg der Mond empor – derselbe Mond, der das steinerne Schmerzensbett ihres Verlobten erhellte. – – – – –

Er sandte seinen letzten Schein in den entweihten Raum – an den Wänden der Hütte schnarchten in unruhigen Träumen der Trunkenheit die Weiber und der Knabe – auf seinem Lager in apathischem Schlaf ruhte der Schänder; – es mochte eine Stunde nach Mitternacht sein.

Der Zipfel der Matte hob sich, ein totenbleiches Gesicht, – dann glitt ein weißer Schatten durch den Mondstrahl hin, wo die Gewänder der Weiber lagen und hüllte sich in den Feredichi der Frau des Sowars.

Was glänzte im silbernen Mondstrahl in der Hand dieses bleichen, nächtlichen Gespenstes? War es der Stahl der Dschambea, deren Stelle jetzt leer war an der Wand der Hütte?

Ein gurgelnder Laut – eine wilde, schlagende Bewegung – dann Todesstille; – wiederum tauchte der Schatten empor, aber das Mondlicht traf nicht mehr auf blanken Stahl – von der Schneide tropfte es in dunklen Perlen –

Nieder beugte sich der Schatten an der Wand über den Matten der Schlafenden – dreimal! – dreimal tönte der gurgelnde röchelnde Laut, dunkle Glieder bäumten sich, schlugen um sich im Kampfe.

An der Tür rasselte es – der leichte Holzriegel, der den Eingang schloß, wurde gehoben, und der weiße Schatten glitt aus dem Haus und eilte über den Platz.

Dreißig Schritt vom Hause entfernt öffnete sich die niedere Rundmauer eines tiefen Brunnens, breit und groß, gleich einer Zisterne.

Der weiße gespenstige Schatten, dessen Gewand mit dunklen, feuchten Flecken besät schien, warf sich am Rande des Brunnens nieder auf die Knie und rang die Hände zum Nachthimmel empor. »Barmherziger Gott, beschütze ihn und vergib meine Schuld, wie ich vergebe allen Schuldigen! Nimm auf mein unsterblich reines Teil in deine Gnade! –«

Ein Stöhnen – ein Fall – aus dem Brunnen herauf klang das Echo plätschernden Wassers – am Nachthimmel vom Norden der Stadt her flammte der Schein einer Feuersbrunst!


Die Totenklage der Bajadere erstarb im leisen Echo, das über die Ebene zog; ihre zarte dunkle Gestalt erhob sich von der Leiche des Geliebten.

»Du bist einer der Faringi-Sahibs, die in jenen Wällen kämpften und mit den Booten flohen?«

»Du sprichst die Wahrheit. Ich bin Kapitän Delafosse,« antwortete der Offizier entschlossen.

»Warum bliebst du bei diesem Manne, während so nahe bei dir der Nena alle deine Brüder töten ließ?«

»Wie – die Engländer, die man trotz des Vertrages gefangen genommen, wären ermordet?« –

»Hörtest du nicht die Flinten der Sepoys, glaubst du, der Tiger würde die Beute seinen Krallen entgegen lassen? Ich war es, die es ihm riet, damit dieser mein bleibe.«

»Rufe deine Henkersknechte, damit sie noch ein Opfer finden.«

»Du sollst leben, Faringi – du und der Mann dort, dessen Geist die Götter zu sich genommen. Ich selbst will euch die Mittel zur Flucht geben. Dort steht mein Roß – es ist kräftig genug, euch beide auf seinem Rücken davon zu tragen, bis ihr ein zweites gefunden. Du sollst es haben, wenn du mir einen Dienst erweisest.«

»Welchen?«

»Hilf mir den Körper dieses Toten in jene Mauern tragen, die ihr so tapfer verteidigt.«

Unwillkürlich gehorchend dem Einfluß dieser Frau, rief Delafosse seinen Gefährten herbei, den Körper des jungen Offiziers ihm tragen zu helfen.

Die Bajadere wickelte den kostbaren Schal von ihren Hüften, in das feste Gewebe hüllte der Kapitän den zerfetzten Leichnam, dann faßte er das Kopfende, der Irre, leise vor sich hin singend und murmelnd, die Füße, und so trugen sie die Last nach dem zerstörten Fort zu.

Am Eingang desselben band die Tänzerin das Pferd an, dann betraten sie den Hof.

Das Auge der Bajadere forschte umher – dann schritt sie auf die Mitte des Hofes zu, wo ein hoher Haufen von Balken und Faschinen lag, mit denen man während der Belagerung die Breschen des Walles ausgefüllt hatte.

Auf ihren Wink legten die beiden Männer den Leichnam des Offiziers auf das Holzwerk.

»Jetzt geht und möge Lakschmi, die Geberin des Glücks, mit euch sein!«

Der Kapitän faßte die Hand seines armen Schutzbefohlenen und entfernte sich schweigend mit ihm.

Draußen band er das Pferd los und bestieg es; dann half er seinem Gefährten hinter dem Sattel Platz nehmen.

Einen Augenblick noch verweilte er am Eingang – denn aus dem Innern des Forts erhoben sich, zuerst leise, dann lauter und lauter die nämlichen Töne, wie er sie vorhin an dem Platze der blutigen Tat gehört. Auf der Höhe der Faschinen zeichnete sich gegen den Nachthimmel die Gestalt der Bajadere, den formlosen Körper im Arm – ein fliegender Nebel – ein wallender Rauch schien die kniende Gestalt zu umziehen. Ein Gefühl der Angst, des Entsetzens ergriff den Offizier und er gab dem Pferde den Zügel und sprengte davon.

Als er eine Strecke von dem Fort entfernt das Pferd anhielt und zurückschaute, sah er aus der dunklen Umgebung der Erdwälle eine hohe Feuersäule empor lodern.

Er erkannte die Deutung des Gesanges Anarkallis, der Bajadere! – – – – – – – – – –


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