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Meretrix Augusta (Die Kaiserin-Dirne).
Juvenal. VI, 18.
Am 24. Januar des Jahres 41 der christlichen Zeitrechnung ging zu Rom im Palatium der Cäsaren eine jener Palastrevolutionen vor sich, wie sie zum Wesen des Despotismus stets gehört haben und stets gehören werden. Die Satelliten der Tyrannen werden die Henker derselben und bezeichnen in den Annalen der Knechtschaft mit roten Mordstrichen die Stellen, wo ein Scheusal zu Falle gekommen, um einem ähnlichen oder noch wüsteren Platz zu machen. Denn wo es mit der Verdorbenheit und Verworfenheit einer Nation einmal so weit gekommen ist, wie weit es nach den entsittlichenden Greueln der Bürgerkriege in der kaiserlichen Roma gekommen war, da muß Rächerin Nemesis darauf sich beschränken, von Zeit zu Zeit den Quälern einer niederträchtig gewordenen Menschheit fühlbar zu machen, daß –
»Endlich herangereift die rächende Stunde der Schuld sei« Poenarum grave sit solvendi tempus adactum. Lucretius V, 1223..
Oktavianus hatte sich glücklich zum Imperator, Autokrator und Augustus emporgeheuchelt und emporgemordet. Er müßte der Louis Philippe des Altertums heißen, wenn er nicht einen Zug an sich hätte, welcher dem Prinzen, der seinen bürgerlichen Regenschirm in ein königliches Szepter umzulügen verstand, ehrenvoller Weise abging: – den Zug frostig erbarmungsloser Grausamkeit. Augustus verkaiserlichte Rom, indem er den »Principe« des florentinischen Staatsschreibers fünfzehn Jahrhunderte vor Niederschreibung des Buches meisterlich in Szene setzte. In der Hauptsache ließ er seinen Nachfolgern wenig oder nichts zu tun übrig. Die Canailleisierung des römischen Volkes war vollendet, die Verwandlung des römischen Bürgertums in eine allgemeine Pöbelei war fertig.
Die Literatur des augustischen Zeitalters spiegelt die entsetzliche Raschheit des Verfalls deutlich wider. Vergil, Horaz und Ovid waren Zeitgenossen, und doch welch ein Absturz vom ersten bis zum dritten! Die Seele von Vergils Poesie ist noch die Idee der ewigen Roma gewesen. Der Gedanke der römischen Weltmacht bildet bei ihm den großartigen Hintergrund, und da, wo der Pulsschlag seiner Muse am begeistertsten sich hob, hat sie diesen Gedanken als des Dichters höchsten Wunsch in die tapferen Worte gekleidet:
»Du sei, Römer, bedacht, mit Macht zu gebieten den Völkern!« Tu regere imperio populos, Romane, memento! Vergil, Äneis VI, 852.
Auch bei dem liebenswürdigen Genüßling Horaz wird keineswegs immer das skeptische Evangelium: » Nil admirari!« gepredigt. Allerdings liebte er es, auf den Flügeln der Ironie über das glänzende Elend seiner Zeit sich hinwegzuheben: aber man sieht ihm doch deutlich genug an, daß er sich etwelchen Zwang antun mußte, wenn er in seiner hofrätlichen Stellung das Weihrauchsodenfaß vor der Nase des Augustus herumzuschwingen hatte. Denn noch lebten in ihm die Überlieferungen der Republik, und die römische Staatsidee, in seinen Augen noch groß und voll über dem Sumpfe des Cäsarismus schwebend, ließ ihn beten:
»Sonnengott, o könntest du Größ'res niemals
Schauen als Roma!«
Alme Sol, possis nihil urbe Roma
Visere majus!
Carm. Saecul.
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Dagegen stellt sich im und beim Ovid der Römer der anhebenden Kaiserzeit schon als der vollendete Bruder Liederlich dar, welcher nur noch seinen Privatneigungen und Privatlastern lebte. Da ist alles Große und Hohe vergessen und verschollen oder höchstens gelegentlich und flüchtig als dichterische Zierat verwendet. Der hochbegabte Poet plätschert mit unsäglichem Behagen – dem Rausche folgte freilich bekanntlich später der Katzenjammer in Tomi – in dem Pfuhl der politischen und sittlichen Fäulnis seiner Zeit umher. Kein Wunder also, daß selbst seine anmutigste Elegie nur die lüsterne Ausmalung einer frechen Situation ist
Aestus erat mediamque dies exegerat horam, det.
Amor. I, 5., und daß der zügellose Präzeptor der »Liebeskunst«, im schreiend-charakteristischen Gegensatz zum Vergil und selbst zum Horaz, keinen höheren Wunsch kannte als
den, mitten im wildesten Sinnentaumel vom Tode weggerafft zu werden
Felix, quem Veneris certamina mutua perdunt!
Di faciant, leti causa sit ista mei!
Induat adversis contraria pectora telis
Miles et aeternum sanguine nomen emat.
At mihi contingat Veneris languescere motu;
Cum moriar, medium solvar et inter opus!
Amor II, 10, 29 ff.
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Der Grundstock des Römertums war von Anfang an und blieb bis zuletzt die Roheit, und der vortretendste Charakterzug im römischen Wesen ist jener brutale Egoismus gewesen, wie er mit solcher bronzestirnigen Frechheit seither nur bei einem Volke wieder vorgekommen und vorkommt, beim englischen. Man verfolge nur die Entwicklung der auswärtigen Politik Roms und Englands, und man wird überall die gleiche grenzenlos selbstsüchtige Brutalität finden, verquickt hüben und drüben mit derselben infamen Heuchelei. Weil aber das Römertum in seinem innersten Kerne inhuman, roh und brutal war und blieb, konnte die ihm aufgepfropfte griechische Bildung stets nur eine äußerliche sein, und es trat ein, was überall eintritt, wo eine verfeinerte Kultur mit der Barbarei in Berührung kommt: – Fäulnis vor der Reife. In der Brutalität seines Machtgefühls hochmütig, wie nur die Unwissenheit es zu sein vermag, und unverschämt wie ein plötzlich zum Millionär gewordener Hausknecht, behandelte Romanus die arme, schöne, feingebildete, kunstfertige und graziöse Gräcia wie eine Sklavin oder höchstens wie eine Mätresse, deren Liebkosungen so ein großer Herr gelegentlich wohl auch mit einem Reitgertenhieb oder mit einem Fußtritt zu erwidern geruht. Die Sklavin rächte sich: sie entnervte ihren Tyrannen.
Es kann keiner Anzweiflung ausgesetzt sein, daß Rom genau in dem Verhältnis, in welchem es sich zivilisierte, zugleich auch sich demoralisierte. Die Kultur wurde für die Römer nicht ein läuterndes und kräftigendes Stahlbad, sondern nur ein Lotter- und Lasterbett. Daher die wundersame oder vielmehr widerliche Erscheinung, daß die Weltbeherrscherin Roma bei sich daheim nur eine Canaille war, auf welcher ihre cäsarischen Herren nach Lust und Laune herumstampften. Sie mußten verrückt werden, diese Cäsaren. Es war dies sozusagen eine logische Folge der Prämisse, daß das den Erdkreis beherrschende Volk aller formalen Standes- und Klassenunterschiede ungeachtet in eine charakter- und gewissenlose Breimasse zusammengerührt war und mit sklavischer Niederträchtigkeit Gebietern gehorchte, welche, vom Taumelkelche der Allmacht berauscht, den Zynismus der Menschenverachtung zu einer Art von Kunstwerk gestalteten, wie Tiberius, oder in förmliche Raserei ausbarsten, wie Kaligula und Nero, oder mit dem Lächeln des Blödsinns die ihnen erwiesene Vergötterung sich gefallen ließen, wie Klaudius.
Wer von den goldstarrenden Zinnen des Kapitols auf die kaiserliche Roma hinab- und hinaussah, der mußte – falls er nämlich die Seheraugen eines Tacitus besaß – durch allen den kolossalen Reichtum, Prunk und Glanz hindurch in der Prachtstadt das erblicken, was sie war: die Weltkloake, in welche von allen Enden und Ecken des Erdkreises her alles »Greuelhafte und Schandbare« zusammenfloß Quo cuncta undique atrocia aut pudenda confluunt. Tacitus, Annal. XV, 44.. Hier, auf diesem Markt, wohin alle Länder die Produkte ihres Bodens und ihrer Industrie sandten, in diesem Bazar, wo alle Schätze des Erdballs zur Schau gestellt waren, in diesem Millionendurcheinander, welches aus den Gestalten, Farben, Trachten, Kulten und Lastern aller Völker zusammengesetzt war, in diesem Prachtwald von Tempeln und Palästen, Foren, Theatern und Thermen, Portiken, Triumphbogen und Statuen verbrachte das verpöbelte Römervolk, auf Kosten einer unterjochten und ausgesogenen Welt gemästet, sein Dasein wie ein unendlich tobendes Bacchanal, wie eine aus der Wollust in die Grausamkeit und aus dieser in jene hinüberspringende Riesenorgie, deren gigantische, mit ungeheuerlicher Verschwendung von Geld, sowie von Menschen- und Tierleben in Szene gesetzte Prunkakte die Spiele des tosenden Zirkus und der blutdampfenden Arena gewesen sind.
Nichts Göttliches oder Menschliches, was in diesem prächtigen Lupanar, wo die Bestie im Menschen zügel- und bügellos von Genuß zu Genuß jagte, nicht mißbraucht, geschändet, ins Scheußliche und Greuliche verkehrt worden wäre. Da sah man Kaiser, welche mit einem ihrer Sklaven öffentlich Hochzeit machten, und Kaiserinnen, welche kaum minder öffentlich ihre Söhne zur Blutschande aufreizten. Da prahlten Metzen einher, die freche Nacktheit mit Juwelenschmuck im Werte von Millionen behängt; dort gab ein histrionischer Schürzenstipendiat verbuhlter Prinzessinnen der vornehmen Lumpokratie ein Gastmahl, wobei die Zubereitung einer einzigen der aufgetragenen Schüsseln 6000 Louisdor gekostet hatte, weil sie ein Frikassee von lauter seltenen, kostspielig zum Singen und Sprechen abgerichteten Vögeln enthielt. Alles ins Monströse, Wahn- und Aberwitzige getrieben, eine rasende Verschwendung das Bizarrste, Barockste, Groteskeste aussinnend, die tollgewordene Lust- und Frevelgier ins Unerhörte, ins Unmögliche sich hinaufschwindelnd. Während hier im Amphitheater Tausende und wieder Tausende von Gladiatoren zur Ergötzung des patrizischen und plebejischen Pöbels kunstmäßig sich abschlachteten oder Tausende und wieder Tausende von mit ungeheuren Kosten aus den fernsten Wildnissen herbeigeholten Bestien naturwüchsig sich würgten, ringelten sich dort im Kaiserpalast, welcher in ein Bordell umgewandelt war, unter den Rosen der Lust die Vipern des Giftmordes. Die cäsarische Familie ein Knäuel von Scheuseligem, in welchem alle Arten widernatürlicher Unzucht mit Mutter-, Brüder-, Gatten- und Kindermorden grausenhaft sich verschlangen. Die Blasiertheit der Cäsaren verfiel auf das Absurdeste, wie auf das Gräßlichste. Jenen kitzelte es, in Essig aufgelöste Perlen zu verschlingen; diesen, Hirsche, Eber, Löwen und Tiger zum reiten und fahren, Elefanten, Rhinozerosse und Krokodile zum tanzen abrichten zu lassen; einen dritten, seinen Park abends mit lebenden Fackeln zu beleuchten, d. h. mit als Pechfackeln maskierten und als solche verbrauchten Menschen; einen vierten, Pasteten backen zu lassen, deren Füllsel aus dem Gehirn von etlichen hundert Straußen bestand. In den Theatern deklamierte, gestikulierte, sang und sprang – und zwar nicht allein vor den Augen und Ohren der Männer, sondern auch der Frauen – eine Schamlosigkeit, von welcher wir uns kaum mehr eine Vorstellung machen können. Durch namenlose Frevel zusammengeraffte Reichtümer wurden mittels der Verwirklichung toller Einfälle vergeudet. Dort ließ einer mitten im Meere einen Berg auftürmen, hier ein anderer auf dem Gipfel eines Berges einen See anlegen. Dieser begoß seine Obstbäume mit Wein, jener ließ seine Schafherden mit Purpurfarbe anstreichen. Den einen Feinschmecker lüstete es nach Muränen, welche mit Menschenfleisch großgefüttert waren; der andere wollte nur von Lerchen leben; der dritte nur von Nachtigallenzungen und Pfauenlebern.
In einer solchen Gesellschaft, deren ganzes Dichten und Trachten, Tun und Treiben an die wüsten Gebilde eines Opiumrausches gemahnt, in diesem kaiserlich-römischen Höllenbreughel konnten auch Stellung und Gebaren der Frauen kaum anders sein, als sie waren. Die Römerinnen hatten sich, wie jedermann weiß, überhaupt niemals in einem solchen Zustand unwürdiger Unmündigkeit befunden wie die Griechinnen, oder sie hatten sich wenigstens schon frühzeitig von demselben zu emanzipieren angefangen, und zwar mit Glück. Allerdings hatte das altrömische Familienrecht dem Paterfamilias, dem Haus- und Eheherrn, über alle seine Angehörigen die unumschränkteste Gewalt zugestanden, sogar über Leben und Tod. Allein wie die altrömische Familienhaftigkeit selber, so war auch dieses Recht im Verlaufe der Zeit allmählich obsolet geworden. Das kaiserliche Rom vollends war so recht das Paradies der emanzipierten Frauenzimmer, falls nämlich das Wort Paradies mit Zucht- oder Zügellosigkeit irgend etwas gemein hat. Ganz wesentlich hatte hierzu die Veränderung beigetragen, welche hinsichtlich der Fassung und Führung des ehelichen Verhältnisses vor sich gegangen. An die Stelle der strengeren Formen der römischen Ehe, kraft welcher die Frau aus der väterlichen Gewalt in die »Gewalt und Dienstschaft des Gatten« überging, war mehr und mehr eine freiere getreten, welche die höchst wichtige Bestimmung enthielt, daß den Frauen die freie Verfügung über ihr Vermögen zustehen sollte, und außerdem der Ehescheidung allen möglichen Vorschub leistete. Diese Form der Ehe, sehr häufig nur ein bequemer Deckmantel flüchtig-konkubinarischer Launen, war zur Kaiserzeit gang und gäbe. Sie emanzipierte die Frauen, d. h. die wohlhabenden, reichen oder durch Einfluß bedeutenden und mächtigen, rechtlich, während die also rechtlich emanzipierten gesellig sich zur denkbar möglichsten Skalahöhe der Emanzipation hinaufschamloseten.
Um den Gegensatz in der Sittengeschichte der römischen Frauenwelt früherer und späterer Zeit in seiner ganzen Schroffheit aufzuzeigen, braucht man den Namen Virginia, Volumnia, Kornelia und Portia nur die Namen Livia, Julia, Agrippina und Messalina gegenüberzustellen. Indessen reichen die Anfänge der Frauenverderbnis weit genug in die Zeiten der Republik zurück, und es ist kein Zweifel, daß der mit Roms Macht und Reichtum zunehmende Luxus seine entsittlichende Wirkung auf das weibliche Geschlecht nicht verfehlen konnte. Namentlich müssen eine laszive Malerei und Skulptur, sowie die geilen Schaustellungen in den Theatern verderblich auf die weibliche Sinnlichkeit gewirkt haben. Eine ganze Reihe von römischen Autoren weiß davon zu erzählen; am furchtbarsten Juvenal, dessen Satirik allerdings ein Hohlspiegel ist, aber im ganzen und großen doch sicherlich nur das getreue Abbild einer in ihrem ganzen Wesen hohlspiegelig verzerrten Welt.
Zur Zeit der Bürgerkriege stand die Saat raffinierter Geschlechtssünden bereits in üppiger Blüte. Wie die Wüstlinge des Zeitalters der Petites Maisons und der Parc aux Cerfs, z. B. der Kardinal Bernis und sein Kompagnon Casanova, etwas darein setzten, Nonnen zu verführen, so gingen die der römischen Bürgerkriegszeit auf Entehrung von Vestalinnen aus. Solches erzählt z. B. Sallust von dem schon im ersten Jünglingsalter grundliederlichen Katilina. Die Geschichte der Verschwörung dieses aus dem Griechischen ins Römische übersetzten, d. h. vergemeinerten und verungeheuerlichten Alkibiades beurkundet bereits eine erschreckende Verlotterung des römischen Frauentums. Schon Sallust klagte laut, daß »die Weiber ihre Keuschheit feilböten«, und sein jüngerer Zeitgenosse Horaz, der doch wahrlich nichts weniger als ein moralischer Eiferer gewesen ist, hat in seiner schönen Ode »An die Römer« also sich ausgelassen:
»Noch unreif lernt die Jungfrau ionische
Schamlose Tänze; wird in der Buhlerkunst
Früh ausgebildet; sinnt, kaum mannbar,
Schon auf die sträflichsten Liebeshändel;
Sucht dann, indes der Gatte beim Becher wacht,
Die jungen Eheschänder und wählt nicht erst,
Mit wem sie sonder Licht und Zeugen
Rasch die verbotene Wollust treibe.
Wohl auch mit Wissen und Willen des Gemahls
Steht sie vom Lager auf, ob der Krämer, ob
Der spanische Pilot, ein bess'rer
Zahler der Schande, sie zu sich fordert«.
Wieder ein jüngerer Zeitgenosse, Properz, hat, obgleich ein feurigster Sänger der Liebe, in diesen strengen Tadel der Zuchtlosigkeit seiner zeitgenössischen Landsmänninnen eingestimmt. Hier in Rom, sagt er –
»Hier ist ganz treulos das Geschlecht der Gattinnen; keine
So wie Euadne treu, noch wie Penelope keusch«
Propert. III. 13, 23..
Ludite, formosae, casta est quam nemo rogavit:
Aut si rusticitas von vetat, ipsa rogat.
Amor. I, 8, 43.
Rusticus est nimium quem laedit adultera coniux
Et notos mores non satis urbis habet.
Amor. III, 4, 37.
So die Zeit, in welcher das nachstehende Stück römischer Kaisergeschichte spielte. Dies der Boden, aus welchem die » Meretrix Augusta« erwuchs.
Gajus Cäsar Kaligula hatte, auf dem Kaiserthron aus einem wüsten Jungen zu einem wahnwitzigen Tiger geworden, binnen drei Jahren alles Ruchlose getan, was eine vor Frevelfreude tollgewordene Phantasie zu ersinnen vermochte, und der Scheußlichkeit des Wüterichs hatte die Niederträchtigkeit seiner Untertanen so sehr entsprochen, daß der bekannte Tigerwitz des Kaisers: »O, hätte doch das römische Volk nur einen Hals!« nicht so ganz unverzeihlich erscheinen mag.
Jetzt, am 24. Januar des Jahres 41, saß er – ein hochgewachsener Mann, dünnschenklig und außerordentlich dickbauchig, glatzköpfig und starkbärtig, mit tiefeingesunkenen und unheimlich glühenden Augen unter der breiten und düstern Stirn – in der kaiserlichen Loge des Theaters, welches neben dem Palatium zur Gedächtnisfeier des Augustus und der Livia eigens erbaut worden war. Als die Vorstellung zu Ende, nach 12 Uhr mittags, erhob sich der Kaiser, um sich durch einen unterirdischen Korridor zum Frühstück nach dem Palast zu begeben. Sein Oheim Klaudius und sein Schwager Vinicius schritten ihm vorauf, während eine Anzahl von Stabsoffizieren und Hauptleuten der Prätorianer in dem engen Durchgange sich um den Kaiser drängte, scheinbar diensteifrig, um den Zudrang des Publikums abzuhalten. Kaligula blieb stehen, um eine Truppe von Knaben zu mustern, welche man im europäischen und kleinasiatischen Griechenland gepreßt und nach Rom geschleppt hatte, damit sie daselbst einen auf den Kaiser gedichteten Lobgesang absängen. Während er mit den Knaben sprach, warfen die ihm Zunächststehenden, der erste Kammerherr Kallistus und die Gardeobersten Kassius Chärea und Kornelius Sabinus, einander bedeutungsvolle Blicke zu, und als der Kaiser weiterging, lockerten die Zenturionen unvermerkt ihre Schwerter in den Scheiden. Sabinus trat in straff-dienstlicher Haltung an Kaligula heran und erbat sich die Parole des Tages. »Jupiter!« gab der Kaiser zur Antwort, worauf Chärea rasch: »Nimm das von ihm!«, dem verwundert nach ihm Umblickenden mit dem Schwerte die Kinnlade durchhauend. »Und das und das!« schrien die Gardeoffiziere, tumultuarisch auf den zu Boden Gestürzten sich werfend und ihm mit mehr als dreißig Wunden den Garaus machend. Zu spät eilten die Soldaten von der germanischen Garde Kaligulas zu seiner Rettung herbei, in ihrer blinden Wut niederhauend, wer ihnen gerade in den Weg kam. Es ist ja eine traurige Tatsache, daß Michel Nebelheimer vorzeiten überall mit dabei sein mußte, wo es ein Fechten für Despoten gab. Um aber die Ermordung Kaligulas möglichst im kaligulaischen Stile zu Ende zu bringen, schlachteten die Verschworenen dem Ermordeten auch Weib und Kind nach. Ein Hauptmann erstach die Kaiserin Cäsonia, ein anderer zerschmetterte der kleinen Prinzessin den Kopf an der Mauer.
Die Nachricht vom Tode des Scheusals gab das Signal zu einer kläglichen Posse. Zu einer Posse, welche deutlich macht, wie sehr das kolossale Fratzenbild der cäsarischen Roma zur Vollendung noch dieses Zuges bedurfte, daß des Augustus diabolisch-höhnische Schlauheit den äußerlichen Apparat der republikanischen Staatseinrichtungen hatte fortbestehen lassen und auf seine Nachfolger vererbte. Die »Konsuln« beriefen den »Senat« auf das Kapitolium, und diesem Haufen von Lakaien kam der wunderliche Einfall, die »Freiheit« und die »Republik« wieder herzustellen, in diesem Lasterpfuhl von Rom, wo nur noch zwischen Säbelbrutalität und Anarchiegreuel die Wahl sein konnte. Etliche Gardesoldaten machten der Komödie, die übrigens selbstverständlich weit mehr eine in Worten als in Handlungen war, ein Ende. In der Absicht, die allgemeine Verwirrung zum Plündern zu benutzen, kamen die Landsknechte in den Kaiserpalast und fanden hier den Prinzen Klaudius, den Oheim des ermordeten Kaisers. In einer nicht sehr imperatorischen Situation allerdings. Der arme, fünfzigjährige, geifernde, stammelnde Tropf hatte sich nämlich, als beim Weggehen aus dem Theater unmittelbar hinter ihm das Mordkomplott zum Explodieren gekommen, in das Solarium des Hermespavillons hinaufgeflüchtet und dort zwischen dem Doppelvorhang des Eingangs versteckt. Hier fand ihn zufällig ein gemeiner Soldat namens Gratus, zog den Zitternden aus seinem Versteck hervor und erkannte den kaiserlichen Prinzen.
Der prinzliche Fex – denn dieses Wort zieht am richtigsten die Summe seiner Persönlichkeit – fiel dem Gardisten, der vielleicht an den Ufern des Rheins oder der Donau die Schweine gehütet hatte, zu Füßen, kläglich um Gnade jammernd. Der »Barbar« aber hob den Flehenden ehrfurchtsvoll auf und begrüßte ihn als »Imperator«. Dann rief er seine Kameraden herbei, welche den also von einem gemeinen Soldaten (» gregarius miles«) fabrizierten Kaiser auf eine Sänfte hoben und durch die Stadt in das Standlager der Garden trugen. Derweil machte der Senat, was derartige konstitutionelle Versammlungen, wann der »liberale« Geist über sie kommt, zu machen pflegen: – Phrasen. Als daher am folgenden Tage die Gardesoldaten, nachdem ihnen der stammelnde Klaudius ein Trinkgeld von 750 Talern auf den Mann versprochen hatte, den Prinzen förmlich zum » Imperator urbis et orbis« ausriefen, war von Widerstand überall nicht die Rede und begrüßte die sklavische Menge, zu welcher die »römischen Bürger« zusammengequirlt waren, den neuen Herrscher mit jubelndem Zuruf.
Er war nicht gerade einer der schlimmsten Cäsaren, wohl aber einer der dümmsten, obgleich oder auch weil er, sozusagen, ein Gelehrter gewesen ist. Seinen Vater Drusus Germanikus hatte die Livia drei Monate nach ihrer Hochzeit mit Oktavianus Augustus geboren, man weiß nicht recht, ob diesem oder aber ihrem ersten Manne Tiberius Klaudius Nero, welchem der Cäsar sie entrissen hatte. Deshalb pfiffen römische Spottdrosseln um dieses Kindbett der Livia her den griechischen Vers:
»Wer Glück hat, kriegt wohl auch ein Dreimonatkind!«
Drusus, dessen vorzeitiger Tod ein großes Unglück für Rom und ein großes Glück für Deutschland war, heiratete Antonia, des Markus Antonius und der Oktavia Tochter, also eine Nichte des Augustus, und diese seine Frau gebar ihm als drittes Kind im Jahre 10 v. Chr. zu Lyon den schwächlichen, kränklichen Klaudius, der von früh auf in seiner Familie für einen Simpel galt und als solcher behandelt wurde. Seine Mutter pflegte von ihm zu sagen, er sei eine »Mißgeburt, von der Natur nur zu Faden geschlagen, nicht fertig genäht«, und wenn sie einen der Gimpelhaftigkeit bezichtigen wollte, bediente sie sich des Ausdrucks, er sei noch dümmer als ihr Sohn Klaudius. Mit womöglich noch größerer Verachtung wurde der skrofulöse Junge von seiner Großmutter, der Kaiserin Livia, behandelt, und was seinen Großoheim, angeblichen Stiefgroßvater und vermutlichen wirklichen Großvater, den Augustus, betraf, so machte er den armen Klaudius con amore zur Zielscheibe seiner Spottsucht. Es existieren Briefe von ihm an die Livia, worin er den Prinzen geradezu als einen an Leib und Seele »Defekten«, als einen »Tropf« und »Kretin« bezeichnet.
Hieraus erhellt, daß die kaiserliche Würde in der Person des Klaudius, welcher, weil sein älterer Bruder, Germanikus der Jüngere, im Jahre 19 n. Chr. gestorben, nach Ermordung seines Neffen Kaligula der »legitime« Thronfolger war, nicht eben würdig und glänzend repräsentiert gewesen ist. Schon die körperliche Erscheinung des im Jünglings- und Mannesalter von beständiger Kränklichkeit hart mitgenommenen »Defekten« war keineswegs imperatorisch. Sein langer und gedunsener Oberkörper saß schlottrig auf dünnen Schenkeln und Beinen, so daß sein Gehen nur ein garstiges Wackeln (» foeda vacillatio«) war. Beim Sprechen stammelte und stotterte er. Das gichtische Zittern seines Kopfes, seine Triefnase und sein Geifermund machten ihn geradezu abstoßend. Im Zorne oder sonst aufgeregt sei er, wie leicht begreiflich, eine wahre Fratze gewesen.
An Geist ein Idiot, war er an Bildung ein Pedant. Er schriftstellerte fleißig, in lateinischer und mehr noch in griechischer Sprache, schrieb »tyrrhenische« und »karthagische Untersuchungen«, ferner ein Buch über die Brettspielkunst, war stark in Zitaten, vermehrte das römische Alphabet um drei von ihm erfundene Buchstabenzeichen und ließ seine »Geschichtswerke« öffentlich durch Liktoren vorlesen, was für die lieben Untertanen gewiß keine geringere Loyalitätsprobe gewesen ist, als für die eines deutschen Monarchen neuerer Zeit die untertänigsttreue Lesung der königlichen »Gedichte«. Auch im Regieren war er stark: – es kam vor, daß er an einem Tage zwanzig Kabinettsorders ausgehen ließ; darunter eine, worin den getreuen Untertanen befohlen wurde, »auf die bevorstehende Weinlese hin die Fässer gut zu verpichen«, und eine zweite des Inhalts: »Männiglich kund und zu wissen, daß gegen Vipernbiß nichts so gut wie Taxusbaumsaft.« Ebenso pflichteifrig erwies er sich in Erfüllung richterlicher Pflichten, und wie er als Prinz der Hänselpeter seiner Familie gewesen, so trieben jetzt mit dem auf dem richterlichen Tribunal sitzenden Kaiser die Advokaten ihren Ulk. Ein prozessierender Grieche warf sogar in der Hitze seines Plaidoyers eines Tages dem Richter-Kaiser das Wort: »Du bist ein alter Esel!« in den Bart und eines andern Tages ein fälschlich angeklagter römischer Ritter Schreibtafel und Griffel an den Kopf.
Als vortretende Züge in dem Charakter des Klaudius bezeichnet Sueton Feigheit und Argwohn, womit der weitere der Grausamkeit, von demselben Zeugen betont, ganz gut sich vertrug. Er liebte es, Hinrichtungen in seiner Gegenwart vollziehen zu lassen, und es war ihm eine angenehme Unterhaltung, in der Arena das Mienenspiel der sterbenden Gladiatoren zu studieren. Außerdem war er unmäßig im Essen und Trinken und maßlos im Wollustgenuß Sueton, Claudius 33. » Libidinis in feminas profusissimae« (Von einer ganz unmäßigen Begierde nach Frauen). Es ist sehr charakteristisch für die damaligen Sitten, d. h. Unsitten, daß Sueton trocken hinzufügt: » Marium omnino expers« (Von Männern wollte er überhaupt nichts wissen).. Aus seiner Feigheit, seiner Trunksucht und seiner Geilheit war das Gängelband gewoben, an welchem seine Umgebung den Kaiser-Simpel führte, ihn, der nach Dions Ausdruck der »Gebieter Roms und des Römerreichs gewesen ist und doch nur ein Sklave«. Es paradiert in der modernen Geschichte eine königliche Majestät, mit welcher diese römisch-kaiserliche eine ganz auffallende Ähnlichkeit hat: Jakob I., der stammelnde, geifernde, geile, feige, blödsinnig-gelehrte Tropf von Stuart.
Man muß gestehen, daß Klaudius so, wie er war, nicht das Zeug hatte, ein Liebling der Frauen zu werden; wohl aber das, ihr Spielball und Narr zu sein. Seine Verlobungs- und Heiratsversuche fielen mitleidswürdig-kläglich aus. Seine erste Braut Ämilia Lepida mußte er auf einen Wink des Augustus hin verstoßen; seine zweite, Livia Medullina, starb an dem zur Hochzeit festgesetzten Tage. Dann mit Plautia Urgulanilla verheiratet, ließ er sich »um unbedeutender Händel willen« von ihr scheiden, nachdem sie ihm einen Sohn (Drusus) und eine Tochter (Klaudia) – deren eigentlicher Vater aber der Freigelassene Boter war – geboren hatte. Sein zweiter, mit Älia Petina eingegangener Ehebund war von noch kürzerer Dauer. Denn nachdem ihm Petina eine Tochter (Antonia) geboren hatte, mußte er sich ihrer »schmachvollen Ausschweifungen« wegen von ihr scheiden. Jetzt verschritt er dazu, in dritter Ehe seines Vetters Barbatus Messala Tochter zu heiraten, die Valeria Messalina, welche ihm eine Tochter (Oktavia) und einen Sohn (Britannikus) gab und den schon vorher sattsam gehörnten Kaiser der Römer glücklich zum Kaiser der Hahnreie machte. Im Bunde mit dem Oberkammerherrn Kallistus, dem Oberbibliothekar Polybius, dem ersten Geheimschreiber Narcissus und dem Hofschatzmeister Pallas beherrschte Messalina den gelehrten Simpel von Gemahl unbedingt. Die Imperatrix war der Imperator.
Sie muß schön gewesen sein, dieses Weib, schön wie die Sünde, lockend wie eine wollustschwere Sommernacht, bestrickend wie ein Zaubertrank, funkelnd von Reiz und Geist. Eine verzehrende Sinnlichkeit ist ihres Lebens Lust und Qual gewesen. Eine durch und durch dämonische Natur, hat sie sich über alle Schranken der Weiblichkeit und Menschlichkeit lachend hinweggeschwungen und hat sich in ihre beispiellose Schamlosigkeit gehüllt als in eine herausfordernde Draperie. Was die üppige asiatische Mythologie von der Semiramis gefabelt, machte Messalina zur geschichtlichen Wirklichkeit. Hier hatte die Natur in einer ihrer bizarren Launen eine Verkörperung der Unzucht geschaffen, und eine gleich bizarre Laune des Schicksals hatte dieses Geschöpf auf einen Weltthron gesetzt. Und wie der Zug kalter Grausamkeit, so durfte auch der Zug dämonischen Humors diesem reizenden Greuel von Weib nicht fehlen, um dessen Ähnlichkeit mit der Theodora von Byzanz und mit der zweiten Katharina von Rußland zu vollenden. In den Abscheu vor diesen drei Kaiserinnen mischt sich aber doch unwillkürlich ein leises Mitleid, welches uns zuflüstert, das nicht zu dämpfende Feuer ihres Temperaments müsse doch wohl einer krankhaften Anlage ihrer Organisation entlodert sein.
Physiologisch also läßt sich das Rätsel der Erscheinung Messalinas zur Not erklären. Zu einer psychologischen Lösung fehlt uns leider ein Schlüssel, wie uns für ihre Person Katharina II. in ihren eigenhändigen Memoiren einen solchen hinterlassen hat. Ohne Zweifel würde Meister Tacitus im 9. oder 10. Buch seiner Annalen das Werden und Wachsen Messalinas unserer Vorstellung anschaulich nahegebracht haben; allein bekanntlich sind diese Bücher samt den zwei vorhergehenden verloren gegangen. Für diesen Verlust bietet weder der fleißige, aber geistlose Antiquar Sueton noch der charakterlose Flachmaler Dion Ersatz, und was den Juvenal anlangt, so zeichnet er uns, wie jedermann weiß, nicht die werdende Messalina, sondern nur das fertige satyriasistische Laster.
Daß und wie sie das werden konnte, ist freilich bei alledem nicht unbegreiflich. In dem Rom des Klaudius mußte sich in der Frau des Klaudius die Anlage des Dämonisch-Bösen rasch und gewaltig entwickeln. Ein junges schönes Weib mit glühenden Sinnen, von, wie man annehmen muß, sehr vernachlässigter Erziehung, ohne eine Spur von sittlichem Fonds, hoch- und übermütig, lechzend nach Genuß und Macht, dem »Herrn der Welt« verbunden, welcher in ihren reizenden Händen war wie Wachs, – was wunder, daß sie den Taumelkelch, nachdem sie ihn einmal an die Lippen gebracht hatte, bis auf den Grund zu leeren dürstete? Sie sah eine Welt voll Glanz und Luxus, voll Sünde und Frevel ihren Launen, ihren Begierden zur Beute hingeworfen und sie zögerte nicht, sich wie eine Tigerkatze auf dieselbe zu stürzen, um die tollsten Eingebungen einer sicherlich schon frühzeitig und vollständig vergifteten Phantasie zu verwirklichen. Wie eine Tigerkatze! Denn Wollust und Grausamkeit erscheinen in Messalina so recht zu siamesischen Zwillingsschwestern zusammengewachsen und in dem ganzen Tun und Treiben der » Meretrix Augusta«, wie Juvenal sie so unübertrefflich bündigwahr genannt hat, glaubt man überall das graziös und unheimlich Katzenhafte wahrzunehmen, welches zugleich abstoßend und bannend wirkt und die Opfer den ganzen Umfang der Gefahr erst dann erkennen läßt, wann ihnen Blut und Mark ausgesogen ist.
Es darf mit Sicherheit geglaubt werden, daß insbesondere Messalina es war, welche in der schwachen Hand des Klaudius den kaiserlichen Mordstahl lenkte. Die Ausrottung der alten Aristokratie Roms, schon durch Augustus grundsätzlich begonnen, durch Tiberius systematisch fortgesetzt, durch Kaligula wahnwitzig-blutdürstig weitergeführt, hatte auch unter Messalina ihren Fortgang. Dreißig Senatoren, dreihundertundfünfzehn Ritter und eine »ungezählte Menge« anderer Bürger sind unter dieser Regierung hingeschlachtet worden. Das Motiv der vorragendsten Morde war stets die Gier der Kaiserin nach rastlosem Wechsel im Sinnengenuß. Die Liebe – falls es erlaubt ist, dieses Wort zur Bezeichnung von so Verworfenem zu mißbrauchen – die Liebe dieses Weibes wurde tödlich, so oder so. Wehe dem, der ihrer Lockung folgte, und wehe dem, der ihr widerstand! Ihr Haß tötete, ihre Gunst befleckte und vernichtete.
Da war die Prinzessin Julia, eine Enkelin Tibers, vormals dem Sejan verlobt, jetzt die Frau des Markus Vinicius, welche der Kaiserin doppelte Veranlassung zum Hasse gab. Denn die Prinzessin näherte sich in auffallender Weise ihrem Oheim Klaudius, und Messalina war nicht gewillt, den Kaiser-Simpel unter den Einfluß einer schönen und als sehr gefällig bekannten Nichte geraten zu lassen; sodann begehrte sie selbst des Vinicius. Demnach wurde die Julia beim Klaudius als Ehebrecherin verklagt – insbesondere des Ehebruchs mit dem philosophierenden Zweiächseler Seneka – und der Kaiser gezwungen, daraufhin erst den Befehl zur Verbannung, dann den weiteren zur Tötung seiner Nichte zu geben. Als nun aber der arme Vinicius der sich ihm anbietenden Messalina sich versagte, ließ sie ihn vergiften. Da war ferner Appius Silanus, ein hochangesehener Mann, welchen Klaudius von der Statthalterschaft in Spanien ab und nach Rom berufen hatte, um ihn in seine vertraute Umgebung zu ziehen und ihm die Lepida, die Mutter der Messalina, zur Frau zu geben. Die Kaiserin, plötzlich nach der Umarmung des Stiefvaters lüstern, trug sich ihm an. Die Linkischkeit (» rusticitas«), welche wir den Ovid an den wenigen keuschen Damen seiner Zeit verhöhnen hörten, war also kein Fehler der Kaiserin. Silanus jedoch, ehrenhaft, wie er war, wollte weder Wink noch Wort verstehen. Sofort verschwor sich die rachgierige Mänade mit dem Geheimschreiber Narcissus zum Verderben Silans, welchen Klaudius auf eine ganz alberne Vorspiegelung hin umbringen ließ. Da war ferner der schöne und beim Publikum außerordentlich beliebte Ballettänzer Mnester, vormals Lustknabe Kaligulas, jetzt zum Liebhaber Messalinas gepreßt. Recht eigentlich gepreßt, denn der vielerfahrene Pantomime hatte, die Gefahr des Verhältnisses deutlich erkennend, den schamlosen Anträgen der Kaiserin nur wider Willen Gehör gegeben. Sie aber war für eine Weile so in ihn verschossen, daß sie ihn gar nicht mehr von ihrer Seite ließ und förmlich im Palast eingesperrt hielt. Darüber gab es lautes Murren unter den zahlreichen Freunden und Freundinnen des Balletts, und der kaiserliche Hahnrei Klaudius verwunderte sich selber höchlich über das Nichtauftreten Mnesters, er, welchem man den stadtkundigen Skandal des Lebenswandels seiner Gemahlin nicht mitzuteilen wagte, aus Furcht vor dem wilden Wüten (» ob saevitiam«) Messalinas. Es muß fürwahr eine tollkomische Szene gewesen sein, als eines Tages das Publikum im Theater an den Kaiser die Frage richtete, warum denn Mnester nicht mehr auftrete, und Klaudius zur Antwort gab, er wi … wi … wisse es nicht, er kö … kö … könne nichts dafür, und mit einem Schwur bekräftigte, er habe den Tä … Tä … Tänzer nicht bei sich. Was das für ein Zischeln und Flüstern und Kichern und wohl auch herausplatzendes Lachen verursacht haben muß! Übrigens hatte Mnester das Unglück, der Zwangsliebhaber Messalinas gewesen zu sein, später bei ihrem Verderben mit seinem Leben zu bezahlen. Und doch hatte der Mime, wie er in seiner Todesstunde den Kaiser erinnerte, sich nur auf dessen ausdrücklichen Befehl der Messalina »zur Verfügung« gestellt ( se dedisset), welchen Befehl das freche Weib dem Stumpfsinnigen abzulisten gewußt, lügend, Mnester weigere sich, vor ihr zu tanzen.
Müde des Anblicks einer Gesellschaft, deren Dasein dem Mitlebenden Seneka zufolge nur »ein Zusammenhausen wilder Bestien« war, erquickt sich das Auge gern an der berühmten Episode von Pätus und Arria, welche aus diesem grundlosen Pfuhl gleich einer grünen Insel emporsteigt … In despotisch mißregierten Staaten erheben sich Verschwörungen und Attentate zum Range nicht allein erlaubter, sondern auch berechtigter und gebotener Mittel, weil sie die einzigen Korrektive der Tyrannei sind. Wir müssen daher in dem Komplott, welches zwei vorragende Mitglieder der römischen Aristokratie, Annius Vinicianus und Furius Kamillus, zum Umsturz der Herrschaft des Klaudius, d. h. der Messalina stifteten, ein patriotisches Unternehmen erkennen, das freilich, wie die Sachen lagen, ein wenigstens in seinen besten Tendenzen hoffnungsloses war. Es mißlang, zunächst deshalb, weil dem Kamillus, Statthalter in Dalmatien, die von ihm gewonnenen Soldaten seines Armeekorps alsbald den Gehorsam versagten, als er ihnen von Wiederaufrichtung der republikanischen Verfassung sprach. Damit, murrten sie, würden für sie die Tage des Müßiggangs und Wohllebens vorüber sein. Kamillus, verraten und verlassen, gab sich selber den Tod. Vinicianus tat ebenso. Gegen die übrigen Verschworenen erhob sich eine unerbittliche Verfolgung, und Messalina und ihr erster Handlanger, der Kammerherr und Geheimschreiber Narcissus, sie benutzten eifrigst die willkommene Gelegenheit, über eine Menge ihnen aus irgend einem Grunde verhaßter oder unbequemer Personen, obzwar diese dem Komplott ganz fremd, Tod oder Verbannung verhängen zu lassen. Klaudius, welcher sich während der kurzen Dauer eines Scheins von Gefahr ganz als der feige Lump benommen hatte, der er war, stotterte natürlich zu allen den blutigen Maßregeln der Tigerkatze sein kaiserlich » Fi … Fi … Fiat«. Den Konsular Pätus Cäcina, einen wirklichen oder angeblichen Mitverschworenen, traf das Urteil, sich selbst zu entleiben. Ein Schauder vor dem Tode kommt über ihn. Da faßt seine Gattin Arria, die uns als eine Römerin edelsten Stils geschildert wird, das Schwert ihres Mannes, durchstößt sich damit die Brust, zieht es wieder heraus und reicht die Waffe dem Gatten mit den Worten: »Sieh', lieber Pätus, es tut nicht weh!« Ermutigt durch ein so glorreiches Beispiel, durchbohrt er sich und stirbt. Der heldischen Frau aber stillt man das strömende Blut, verbindet ihre Wunden und will sie zwingen, zu leben. Sie aber sagt: »Ich folge dem Gatten!« und als ihr Tochtermann Pätus Thrasea sie fragt: »Also wolltest du, daß deine Tochter auch also mit mir stürbe, falls ein gleiches Los mich träfe?« gibt sie zur Antwort: »Allerdings, falls sie mit dir in so langer und inniger Verbindung gelebt hätte wie ich mit Pätus«. Man bewachte sie, aber eines Tages sprang sie unversehens vom Lager auf und zerschellte sich den Kopf an der Wand. Ihre letzten Worte waren: »Hab' ich es euch nicht gesagt, daß ich sicherlich den Weg zum Tode finden würde?« Es wäre zu wünschen, daß ein besserer Mann als der gemeine Schweifwedler und Speichellecker Martial die Grabschrift der Arria verfaßt hätte:
»Als dem Pätus das Schwert darreichte die treue Gemahlin,
Das sie der eigenen Brust lächelnd soeben entzog:
›Sei du,‹ spricht sie, ›getrost: die Wunde, die meinige, schmerzt nicht;
Schmerzen nur wird mich
die, welche du, Pätus,
dir schlägst‹«.
Derweil schritt die Kaiserin auf der Bahn der Ausschweifung bis zur äußersten Grenze des Erreichbaren, ja des Erdenkbaren vor. Stets darauf aus, der eigenen Unersättlichkeit genugzutun, unterließ sie auch nicht, zugleich mit dem Kaiser-Simpel von Gemahl übermütigen Scherz zu treiben, indem sie, die Nächte mit ihren Buhlern durchschwelgend, ihre Stelle im ehelichen Thalamus durch zwei öffentliche Dirnen, Kleopatra und Kalpurnia, vertreten ließ. Sodann war es wohl kaum die Berechnung, durch Infamierung anderer Frauen die eigene Infamie zu bemänteln, sondern vielmehr ein teuflischer Trieb zur Unheilstifterei, wenn Messalina, das kaiserliche Palatium zu einem Lupanar machend, Damen der höchsten Gesellschaftskreise zwang, in Gegenwart ihrer Männer zu Ehebrecherinnen zu werden und in greulichen Orgien mit Freudenmädchen um die »Palme der Unzucht« zu ringen, welche freilich ihr selbst sogar eine verrufenste Vettel – wie der ältere Plinius bezeugt hat – nicht streitig zu machen vermochte.
Und damit noch nicht genug. Es stachelte sie, in dem gemeinsten Unflat der Liederlichkeit sich zu wälzen. Gelangweilt – mit Tacitus zu reden – gelangweilt durch die Bequemlichkeit ihrer verbrecherischen Genüsse, sank sie in unerhörtes Laster hinab. Nächtlicherweile verließ sie heimlich den Palast, um in einem der zahllosen Lupanarien Roms unter dem Namen Lycisca als Priesterin der Venus Vulgivaga für Geld zu dienen. Juvenal hat dieses »unerhörte Laster« an der schrecklichsten Stelle seiner schrecklichsten sechsten Satire beschrieben, er, welcher, unter der Regierung des Klaudius geboren, als ein Zeitgenosse der » Meretrix Augusta« betrachtet werden darf. Es ist das Gräßlichste, was jemals über ein Weib ausgesagt worden, und es muß Wahrheit sein, weil es, den Beweis der Wahrhaftigkeit in sich selbst tragend, nicht erfunden sein kann.
Mitten in diese beispiellosen Schändlichkeiten hinein fiel eine »neue, an Raserei grenzende Leidenschaft« Messalinas. Diese Leidenschaft, deren Gegenstand Gajus Silius war, der »schönste junge Mann Roms«, entwickelte sich, die Kaiserin ins tausendfach verdiente Verderben reißend, zu einem der romanhaftesten Kapitel der Weltgeschichte, welches mit anderen Worten als denen des Tacitus erzählen zu wollen vermessen und lächerlich sein würde … Um des neuerkorenen Buhlers sich zu bemächtigen, zwang ihn Messalina, seine Gemahlin Junia Silana zu verstoßen. Er muß jedoch ein ziemlich gewöhnlicher Mensch gewesen sein, der schöne Silius; denn er sah die Niedertracht und Gefährlichkeit des Handels wohl ein, allein »seines Verderbens gewiß, so er widerstände, und bei dem großen Vorteil, welcher dabei war, suchte er Trost darin, die Zukunft abzuwarten und der Gegenwart zu genießen«. Messalina ihrerseits gefiel sich darin, den ganzen Pomp ihrer Schamlosigkeit in dieses Verhältnis hineinzutragen. Sie besuchte ihren Liebhaber, den sie mit Schätzen und Ehrenstellen überschüttete, nicht heimlich, sondern mit großem Gefolge in seinem Hause, so daß daselbst der kaiserliche Haushalt und Hofstaat zu sehen war, als wäre es des Buhlers Erbschaft und Eigentum.
Und wiederum auch damit noch nicht genug. Das Raffinement raffinierend, wollte das ungeheuerliche Weib etwas, was noch gar nie dagewesen war: – bei Lebzeiten ihres Fex von Gemahl einen förmlichen und feierlichen Ehebund mit ihrem Liebhaber. Danach gelüstete sie alles Ernstes und zwar »um der Größe der Ruchlosigkeit willen, welche ja der letzte Kitzel der Liederlichkeit ist«. Nebenbei mag freilich zu diesem Exzeß nicht unbedeutend die Befürchtung mitgewirkt haben, daß sich ein messalinischer Lebenswandel in die Länge nicht mehr straflos fortführen ließe. Sie besaß übrigens, das muß man ihr nachsagen, vollauf den Mut der Frevelhaftigkeit, und sie muß ihn auch dem Silius einzuflößen gewußt haben, da dieser seine Buhlerin vorwärts trieb mit den Worten: »Wenn man sich einmal in offenkundige Missetaten eingelassen hat, so ist es das Klügste, zur Tollkühnheit seine Zuflucht zu nehmen.«
Tacitus hat in Fortführung seiner Erzählung gesagt, er wisse wohl, es klinge fabelhaft, daß mitten in Rom ein Mann von vorragender Stellung an einem bestimmten Tage, unter Zuziehung von Zeugen zur Besiegelung des Ehekontrakts, mit des Kaisers Gemahlin zur Heirat zusammengetreten, daß das Paar die Trauungsformel angehört und den Göttern das übliche Opfer dargebracht habe, und daß endlich nach angerichtetem und im Beisein von Gästen eingenommenem Hochzeitsmahl die Vermählung förmlich vollzogen worden sei. Aber der strenge Geschichtschreiber fügt ausdrücklich die Versicherung hinzu, daß er aus guten Quellen geschöpft und nur Tatsächliches berichtet habe. Ganz märchenhaft freilich und doch, Messalinas Charakter angesehen, nicht ganz unglaubhaft erscheint, was Sueton meldet: – daß sie nämlich in humoristischer Tolldreistigkeit gewollt und durchgesetzt habe, Klaudius sollte ihren Ehekontrakt (» tabellas dotis«) mit Silius als Zeuge mit unterzeichnen, was der Simpel wirklich getan, nachdem man ihm weisgemacht, diese Heirat sei nur eine Scheinzeremonie, vorgenommen, um ein Unheil, womit allerhand Vorzeichen ihn bedrohten, von ihm abzuwenden.
Jetzt aber schlug die Krisis plötzlich in eine Katastrophe um; denn der Frevlerin versagten ihre Handlanger. Die drei Kammerherren oder Minister – man weiß nämlich nicht recht, wie man die amphibische Stellung dieser Höflinge bezeichnen soll – Kallistus, Pallas und Narcissus sahen den Vorschritt der tollen Silius-Komödie nur mit wachsendem Bedenken und Argwohn, und als die Peripetie des Stückes in Szene gegangen, überkam die Drei und ihren Anhang die nicht grundlose Befürchtung, sie könnten, so Messalina ihren Buhler auf den Thron erheben wollte oder wirklich erhoben hätte, als abgenützte Werkzeuge beiseite gestellt oder wohl gar hingeschafft werden, »wo kein Tag mehr scheint«. So etwas ließ sich allerdings der Kaiserin zutrauen; allein die drei Herren, und unter ihnen insbesondere Narcissus, waren zu erfahrene, gewandte und entschlossene Schurken, als daß sie das Bedrohliche sich allzunahe hätten auf den Leib rücken lassen. Kallistus und Pallas wollten zwar, daß man zuvörderst einen Versuch machte, Messalina von ihrer Silius-Marotte abzubringen; allein Narcissus, erkennend, daß bei der reißend schnellen Entwicklung der Sachen zum Diplomatisieren keine Zeit mehr wäre, arbeitete sofort auf das Verderben der bisherigen Herrin hin, in welcher er eine künftige Feindin sah.
Eine jener religiösen Zeremonien, deren das römische Staatspfaffentum soviele erfunden oder von überallher entlehnt hatte, rief den Klaudius nach Ostia. Diese Abwesenheit des armen Simpels wollte Messalina benützen, um als echte Bacchantin in höchstem Jubel mit Silius und ihrer ganzen Orgiensippschaft im Palatium zu Rom das Weinlesefest zu begehen. Aber auch Narcissus nahm die Gelegenheit wahr. Auf dem Wege nach Ostia gewann er die beiden Mätressen des Kaisers, Kalpurnia und Kleopatra, für seinen Plan und unterwies sie in der bei Ausführung desselben ihnen übertragenen Rolle. Diese bestand darin, ohne Verzug die kaiserliche Majestät in das öffentliche Geheimnis Allerhöchst Ihrer ungeheuerlichen Hahnreischaft einzuweihen. Nachdem also Klaudius in Ostia sein Staatsopfergeschäft abgemacht hatte, warf sich ihm die Kalpurnia plötzlich zu Füßen mit dem Aufschrei: »Unerhörtes ist geschehen! Deine Gemahlin Messalina hat mit dem Gajus Silius Hochzeit gemacht!« Kleopatra bestätigt diese Neuigkeit, und der angedonnerte Cäsar würgt nur langsam das Wort heraus: »Ho … ho … holt mir den Na … Na … Narcissus.« Der Kämmerer kommt und entrollt das Sündenregister der Kaiserin dem maulaufsperrenden Stotterer, also seine Enthüllungen beschließend: »Verzeih', o Herr, daß ich, um deiner Ruhe willen, das ausschweifende Leben Messalinas dir so lange verhehlt habe. Ich sah darin keine Gefahr, solange deine Gemahlin mit Buhlern wie Vettius, Plautius usw. sich begnügte. Allein mit Silius ist es ein ganz ander Ding. Du mußt wissen, o Herr, daß du ein geschiedener Ehemann bist. Volk, Senat und Armee haben der Hochzeit Messalinas mit Silius zugeschaut, und so du dich nicht sputest, ist der neue Gemahl deiner Frau Meister der Hauptstadt und des Reiches …« Selbstverständlich benahm sich der Jammermensch von Imperator unter so getanen Umständen jammerhaft. »Bi … bi … bin ich noch Kaiser? Oder ist Si … Si … Silius bereits als solcher ausgerufen?« stammelte, geiferte, wimmerte er, bis ihm Narcissus und der von diesem rasch herbeigerufene Gardegeneral Lusius Geta sagten, was er zu tun hätte, d. h. andere tun lassen sollte.
Derweil tobt zu Rom das messalinische Bacchanal. Sich überbietend in Ausgelassenheit, feiert die Kaiserin ihr Winzerfest. Die Kelternbäume knarren, die Kufen überströmen von Most. Frauen, nur mit Pantherfellen umgürtet, jubeln und tanzen umher. Messalina selber, die langen schwarzen Haare fliegend, schwingt, die schönste und keckste der Mänaden, den Thyrsusstab. Ihr zur Seite Silius, den Efeukranz auf dem Haupt, auf Kothurnen einherwankend gleich einem Berauschten unter dem jauchzenden Getöne der bacchischen Chöre. Zuletzt, einer tollen Laune nachgebend, klettert einer der Festgäste, Vettius, auf einen hohen Baum, und auf die Frage: »Was siehst du da oben?« ruft er herunter: »Ein dräuend Gewitter, das von Ostia herzieht.«
War das eine Ahnung oder nur ein zufällig entwischtes Scherzwort, welches durch die Ereignisse nachmals zu einer Weissagung gestempelt wurde? Wahrscheinlicher doch wohl die erste, auf geheimer Benachrichtigung beruhende Ankündigung des Sturmes, welcher sich unterdessen wirklich in Ostia zusammengezogen hatte. Ein bloßes Scherzwort hätte nicht wirken können wie ein Donnerschlag. So aber wirkte es, die liederliche Festsippschaft nach allen Seiten hin zerstäubend. Von allen den Messalinariern, den Silius inbegriffen, welche so dreist eine Thronrevolution geplant hatten, versuchte kein einziger, das hereinbrechende Geschick abzuwenden. Nicht einer dachte an Wehr und Waffen: so schmachvoll war dieses Römertum verlumpt. Von Gardehauptleuten eingefangen, erlitten die messalinischen Orgienbrüder und Komplottkumpane, Silius voran, am folgenden Tage den Tod. Nur Plautius wurde verschont, aus Rücksicht auf seinen Oheim, und der schandbare Cäsonius, » quod in illo foedissimo coetu passus muliebra«.
Die Kaiserin hatte sich vom gestörten Winzerfest hinweg nach ihrer Villa im lukullischen Parke begeben, und von da machte sie sich, nachdem sie die Fürbitte der ältesten Vestalin beim Kaiser nachgesucht und zugesagt erhalten, dem Unglück die Stirne bietend, gen Ostia auf, um den Idioten von Gemahl zu beschmeicheln. Aber schon ging von der vor wenigen Stunden noch Allmächtigen der scheuchende Pestgeruch fallender oder gefallener Größen aus. Nur von drei Begleitern, wahrscheinlich Sklaven, gefolgt, schleppte sie sich zu Fuße durch die ganze Länge der Stadt und mußte dann, vor dem Tore angelangt, froh sein, einen elenden Karren, zum Wegschaffen des Unrats aus den Gärten bestimmt, besteigen zu können, um dem von Ostia heimkehrenden Kaiser entgegenzufahren. »Niemand bezeigte ihr Teilnahme und Mitleid, weil das Scheußliche ihres Lebenswandels alle früheren Rücksichten überwog.« Zu deutsch: Der glücklichen und mächtigen Frevlerin hatte man alles Schandbarste gerne nachgesehen und verziehen; der plötzlich unglücklich und machtlos gewordenen verzieh man nichts. Es ist wunderbar, wie in solchen Fällen die Menschen im Handumdrehen vom Katechismus der Erfolgreligion zum Katechismus der Moral bekehrt werden.
Hätte das gefallene Weib es dazu gebracht, den Kaiser-Simpel auf dem Wege zwischen Rom und Ostia zu sprechen, so würde sie ihn ohne Zweifel zu sich herüber und ihre sämtlichen Ankläger ins Verderben gebracht haben. Narcissus wußte das wohl und hielt daher den Klaudius festgepackt, indem er die Rückreise nach der Hauptstadt auf demselben Tragsessel mit ihm machte. Als nun Messalina herankam und schon von ferne dem Cäsar zurief, er solle, müsse und werde die Mutter des Britannikus und der Oktavia hören, da überschrie sie der Kammerherr, nannte sie das Weib des Silius und entfaltete vor den Augen des Kaisers eine schriftliche Litanei ihrer Vergehungen. Der Pedant Klaudius, der keiner Pergamentrolle widerstehen konnte, vertiefte sich eifrigst in diese Lesung. Narcissus beeilte den Weiterzug, und so ging diese Begegnung erfolglos für Messalina vorüber. Auch ein Versuch, den Kaiser nach seiner Ankunft im Palatium zu Rom durch den Anblick seiner zwei Kinder zugunsten der Mutter zu rühren, sowie die von der Vestalin Vibidia angebrachte Fürbitte – eine für eine Messalina fürbittende »Vestalin« gehört auch noch dazu, um das Gemälde zu vollenden – wurden durch den argusäugigen Narcissus erfolglos gemacht.
Dennoch hoffte sie noch und durfte, in den Park Lukulls zurückgekehrt, in der Tat hoffen, über die Schwäche des Kaisers zu triumphieren. Sie fand Mittel und Wege, Bittgesuche an ihn gelangen zu lassen, in welchen sie alle Töne anschlug, welche, wie sie wußte, bei dem Fex verfangen konnten. Und sie verfingen wirklich. Denn eines Tages sagte der Kaiser, nachdem er reichlich gespeist und noch reichlicher getrunken hatte, man solle hingehen und der Unglücklichen (» miserae«) ankündigen, er würde am folgenden Tage ihre Verteidigung anhören. Man ging hin, d. h. Narcissus stürzte hinaus, den Offizieren der Palastwache ankündigend, es wäre des Kaisers Wille, daß Messalinas Hinrichtung sofort vollzogen und durch den Freigelassenen Evodus vollstreckt werde. Dieser eilte in Begleitung eines Tribuns spornstreichs nach dem Parke, wo er die Kaiserin »ausgestreckt am Boden liegend fand und neben ihr sitzend ihre Mutter Lepida, welche, mit ihrer Tochter zerworfen, solange diese glücklich gewesen, jetzt in ihrer Not voll Mitleid zu ihr sich neigte und ihr den Rat gab, einen anständigen (d. h. freiwilligen) Tod zu suchen, da ihr Leben doch einmal verwirkt sei«. Aber es wohnte in der Frevlerin kein edler Wille, und sie mühte sich in fruchtlosen Klagen ab, bis der Tribun schweigend und der Freigelassene mit gemeinen Schimpfworten vor ihr stand. Da endlich erkennend, daß keine Hoffnung mehr, nahm sie den Dolch, und während sie die Spitze zaghaft an Hals und Brust versuchte, wurde sie vom Tribun durchbohrt. Dem Kaiser meldete man über der Tafel, Messalina wäre ums Leben gekommen. Er fragte nicht nach dem Wie?, sondern rief nach Wein und aß mit gewohntem Appetit.