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Seitdem es eine Geschichte gibt, haben die
Menschen einander gequält und gemordet, und
allem nach werden sie es so treiben, solange es
eine Geschichte geben wird.
Goethe.
Werden, wachsen, blühen, welken, vergehen! Das ist das ewige Gesetz der Natur und der Geschichte. Wie für die Pflanze und wie für die einzelnen Menschen, so gilt es auch für die Völker. In seiner 1844 geschriebenen Strophe:
»Am Baum der Menschheit drängt sich Blüt' an Blüte,
Nach ew'gen Regeln wiegen sie sich drauf;
Wenn hier die eine matt und welk verglühte,
Springt dort die andre voll und prächtig auf.
Ein ewig Kommen und ein ewig Gehen,
Und nun und nimmer träger Stillestand,
Wir sehn sie auf-, wir sehn sie niederwehen
Und jede Blüte ist ein Volk, ein Land –«
hat Freiligrath dieses Naturgesetz, diese weltgeschichtliche Tatsache in schöne Worte gekleidet.
In unsern Tagen ist für den von Ewigkeit her und in Ewigkeit hin sich vollziehenden Wechsel von leben und sterben im Universum das Modewort »Kampf ums Dasein« aufgekommen. Es hat seine Vollberechtigung. Nicht nur »Mensch sein heißt ein Kämpfer sein«, sondern existieren wollen heißt kämpfen müssen. »Fressen oder gefressen werden!« Es gibt kein Drittes. Diese eiserne Notwendigkeit steigt von den niedrigsten Organismen bis zu den höchsten empor. Vom Grashalm bis zum Menschen, vom Menschen bis zu den Weltkörpern – alles kämpft um sein Dasein. Wir wissen jetzt, der Golden-Zeitalter-Friede, welcher im Beginn der menschlichen Gesellschaft geherrscht haben soll, ist nur eine Fabel für Kinder, der »ewige Friede«, welcher die soziale Entwicklung krönen soll, ein Märchen für ausgewachsene Schwachköpfe. Die Geschichte der Menschheit war, ist und bleibt ein ewiger Krieg. Wozu aber der ganze Greuel? Ja, wer das wüßte! Alle Religionen, alle Philosopheme haben die traurige Rätselfrage nach »des Menschenlebens Sinn und Frommen« zu beantworten versucht und haben alle zusammen als Antwort nur ein Chaos von Unsinn zuwege gebracht.
Die sogenannte Weltgeschichte zeigt uns, wie ein Volk nach dem andern auf die geschichtliche Bühne tritt, mit mehr oder weniger Geschick und Kunst seine Rolle spielt, mehr oder weniger Effekt macht und dann abgeht, einen mehr oder weniger nachhaltigen Eindruck hinterlassend. Wo sind denn die Nationen und Staaten, welche im Altertum die »Heldenrollen« innehatten? Wo ist das ägyptische, das assyrische, das persische, das mazedonisch-griechische, das römische »Weltreich«? Schon lange dahin, schon lange zu Moder geworden, um die Erde für das Wachstum von neuen Staatengebilden zu düngen. Für jedes Volk, für jeden Staat gilt das alte Seherwort:
»Einst wird kommen der Tag, wo die heilige Ilios hinsinkt« –,
wobei nur zu bemerken, daß beim Hinsinken der verschiedenen Iliosse von Heiligkeit durchaus nichts wahrgenommen zu werden pflegt. Das Welken von Pflanzen, Tieren, Menschen, Völkern und sicherlich auch von Gestirnen ist eben ein häßlicher Prozeß. Seine Häßlichkeit ist das genaue Gegenbild zur Hoffnungsfrische des Wachsens und zum Schönheitsglanz des Blühens.
Wollt ihr ein solches Völkerwelken mitansehen? Blickt nach Spanien!
Vor dreihundert Jahren – eine wahre Bagatelle von Zeit – war dieses Land die führende und gebietende »Weltmacht«. Heute ist es eine Ruine. Eine Ruine allerdings, die sich noch immer für einen Staatsbau ausgeben möchte; aber trotz alledem eine Ruine, in unaufhörlichen Revolutionen, Gegenrevolutionen, Palastskandalen und Bürgerkriegen Stein für Stein zerbröckelnd. Im 16. und noch im 17. Jahrhundert stand der dichterische und künstlerische Genius des Landes schöpfungsmächtig da: Zurbaran, Velasquez und Murillo malten; Cervantes dichtete den Don Quichotte, eins der tiefsinnigsten Werke, welche jemals einem Poetengehirn entsprungen sind; Lope entfaltete eine geradezu wunderbare Hervorbringungskunst; Calderon schuf den spanischen Faust (» El magico prodigioso«), Moreto die graziöseste Komödie der Weltliteratur (» El desden con el desden«). Heute trägt die spanische Literatur sklavisch die Schleppe der französischen, welche früher bei ihr die umfassendsten Anleihen aufgenommen hatte, und seit langem vermag Spanien an der wissenschaftlichen Arbeit Europas in ihren höheren und höchsten Graden nicht mehr teilzunehmen.
Spanien ist an der Religion zugrunde gegangen, also an etwas, dessen, die Herren von der Materie mögen sagen, was sie wollen, die menschliche Gesellschaft nie und nirgends entbehren konnte, kann und können wird. Denn, wie ich auch hier wiederholen muß, die Religion ist der Idealismus des Volkes. Sie ist und bleibt das einzige Mittel, wodurch sich das Volk – ich rede natürlich nicht von dem abstrakten Ding von »Volk«, welches die Kommunisten unserer Tage lächerlich-willkürlich zusammengeschneidert und aufgeschwindelt haben – mit der idealen Welt, die aller Kraftstoffelei zum Trotz ein sehr reales kulturgeschichtliches Motiv ist und bleibt, in Beziehung setzen kann, wenn auch noch so unzulänglich und in noch so grotesken Formen. In Spanien hatte sich, wie jedermann weiß, die Religion infolge der jahrhundertelangen Kämpfe der sogenannten Christen mit den Islamiten zum wildesten Fanatismus hinaufgesteigert. Alles wurde diesem geopfert. Der Spanier war immer Katholik, Spanier oft, Mensch nie, außer in seinen Lastern. Die Inquisitionsfeuerbrände, welche die spanischen Ketzer verzehrten, haben auch die ganze Zukunft der Nation versengt.
Aber gewiß ist auch: zu der Zeit, wo die Religion in Spanien zu so hochroter Feuerblüte ausgeschlagen war, da hat sie – immer in ihrem Sinne freilich – das gesamte Dasein der Nation auf allen Gebieten zu außerordentlicher Kraftentwicklung gebracht und unzählige neue Beweise für die alte Tatsache geliefert, daß die Religion, wie sie die furchtbarsten Leidenschaften im Menschen aufzustürmen vermag, so auch die edelsten menschlichen Triebe zur Vollbringung der staunenswertesten, ja geradezu unerhörter Taten anzueifern versteht.
Denn – und damit lenken wir auf den Boden hinüber, auf welchem unsere Historie spielt – es kann keinem Zweifel unterstellt werden, daß dem blendenden, von Romantik funkelnden Heldenzug, den die Spanier im 16. Jahrhundert durch die unermeßlichen Länderstrecken der Neuen Welt führten, das Kreuz vorangetragen wurde. Allerdings, der wilde Golddurst, der durch die ins Märchenhafte übertriebene Kunde von den edlen Metallschätzen Amerikas in den Spaniern geweckt worden, die zur fixen Idee gewordene Vorstellung vom » El dorado«, ebenso die durch die Moriskenkriege bis zur hellen Don Quichotterie hinaufgespannte spanische Abenteuersucht, endlich der den Untertanen des »Weltmonarchen« Karl V. unschwer angeflogene Größenwahn, alle diese Elemente haben zur Weckung, Schärfung und Schulung eines Unternehmungsgeistes, für den der Begriff des Unmöglichen gar nicht vorhanden war, sehr viel beigetragen. Aber die Seele der spanischen » Conquista«, das heißt der beispiellosen Eroberungen der Spanier in der Neuen Welt, war tatsächlich doch die Religion, derselbe glühendfanatische Glaube, der jeden Spanier innigst überzeugt sein ließ, daß er für die Sache Gottes und der heiligen Jungfrau stritte, daß er, je mehr »Seelen« der roten Heiden er zur Hölle beförderte, um so zuversichtlicher erwarten dürfte, daß seine eigene Seele in den Himmel eingehen werde. Ohne die völlige Hingabe der spanischen »Konquistadoren« an ihren religiösen Wahn wären ihre Vollbringungen geradezu unerklärlich, im Guten wie im Bösen. Es ist ein und derselbe spanische Katholizismus gewesen, welcher das Kreuz auf die Alhambra pflanzte, die greuelhaften »Glaubensakte« ( Autos de fé) feierte, die deutschen Protestanten bei Mühlberg schlug, das Henkerschwert Albas in den Niederlanden führte, den großen Teokalli in Tenochtitlan erstürmte und den goldenen Tempel der Sonne in Kuzko zu einer Soldatenbeute machte.
In Truxillo, einer Stadt der Landschaft Estremadura, wurde um das Jahr 1471 ein Bastard geboren, Francisco Pizarro, dessen früheste Kindheit so verwahrlost war, daß später die nicht gerade reinliche Sage ging, das von seiner Rabenmutter ausgesetzte Findelkind wäre nur durch die Barmherzigkeit einer säugenden Sau am Leben erhalten worden. Sicher ist, daß der wildaufgewachsene Junge keinerlei Unterricht empfing, nicht lesen, nicht schreiben lernte und, um sein Leben zu fristen, Schweinehirt werden mußte. Aber der arme Bursche hatte etwas, viel sogar von dem Metall in sich, aus welchem bedeutende Menschen geschmiedet werden, unter Umständen Helden oder Heilande, unter andern Umständen weltgeschichtliche Schurken oder Scheusale. Will man gerecht sein, so muß man sagen: Pizarro war zwei Drittel Held und ein Drittel Scheusal. Im übrigen ein rechtgläubiger Spanier jeder Zoll, ein ganzer Mann, scharfverständig, schlau, zäh, unbeugsam, skrupellos, das verwirklichte Ideal eines spanischen »Konquistador«, für welchen das Wort »Furcht« ein ganz inhaltsloser Schall gewesen ist.
Die Erzählungen von den Wundern der Neuen Welt, damals das Tagesgespräch in Spanien, setzten die echtspanische Phantasie des Schweinehirten in Brand. Er warf seinen Stab weg, bettelte sich nach Sevilla durch, wo die Banden des »El Dorado« suchenden »Heldengesindels« sich zu sammeln und einzuschiffen pflegten, und gelangte nach Westindien hinüber. Im Jahre 1510 befand er sich auf Hispaniola und versuchte sich, unterstützt von seinem entfernten Verwandten Hernando Cortez, dem nachmaligen Eroberer Mexikos, als Pflanzer. Später ein Gefährte des kühnen Balboa, welcher im Jahre 1513 den unerhört mühseligen Entdeckungszug über die Landenge von Darien unternommen hatte, war er einer der ersten Männer von weißer Rasse, deren Blicke auf den ungeheuren Spiegel des Stillen Ozeans gefallen sind. Nachmals, so um 1515 herum, ist er als Hauptmann in den Diensten des Don Pedrarias, Statthalters von Panama, und erfreut sich auch des Besitzes eines Landguts von sehr mäßigem Umfang in der Nähe dieser Stadt, von welcher aus die Entdeckungs- und Eroberungszüge der Spanier sich zunächst gegen Norden und Westen, später auch nach Süden richteten. Zur Zeit von 1524 war infolge der entdeckenden und der erobernden Tätigkeit der Spanier in Amerika bereits ein unermeßliches Gebiet der spanischen Krone unterworfen.
Nun gelangten die bestimmteren Botschaften von der wundersamen Eroberung Mexikos nach Panama und taten eine zündende Wirkung. Eine um so zündendere, als mit der Kunde von dem märchenhaft glanzvollen Ausgange des mexikanischen Abenteuers zugleich unbestimmte Gerüchte von einem fabelhaft reichen Kulturstaat im Süden unter den Kolonisten von Darien sich verbreiteten. Unser gewesener Schweinehirt und dermaliger Hauptmann vernahm mit äußerster Spannung die beiderlei Neuigkeiten. Er mochte finden, daß er, jetzt ein Fünfziger, es eigentlich noch nicht sehr weit gebracht habe in der Neuen Welt. Er mochte etwas in sich fühlen, das ihm sagte: »Was dein Vetter Cortez konnte, das kannst du auch und vielleicht sogar noch ein bißchen mehr. Wie wäre es, so ich an einem der Entdeckungs- und Eroberungsgeschäfte, welche jetzt, in südlicher Richtung unternommen – nach dorthin soll ja das wahre Dorado liegen – nachgerade bei uns in Panama sehr in die Mode gekommen sind, unverzüglich mich beteiligte?«
Von Entdeckungs- und Eroberungsgeschäften sprach ich, und zwar mit Bedacht. Zur Stunde wäre es noch zeitgemäßer, von Entdeckungs- und Eroberungsgründungen zu sprechen. Denn, in Wahrheit, die spanischen Konquistadoren waren richtige »Gründer« in ihrer Manier. Sie »machten« in Länderfindung und Länderraub, wie die modernen Börsenräuber – welche ich nicht mit ordinären Taschendieben zu verwechseln bitte – in »Türken« und »Rumänen« machen. Das fieberhafte Aufsuchen des Dorado war nachgerade zum wohlkalkulierten Aktiengeschäft, zur Gründerei in mehr oder weniger großem Stil geworden.
Inbetracht seiner eigenen unzulänglichen Mittel tat sich demnach Pizarro nach Mitgründern um und fand solche in dem zu einigem Vermögen gekommenen Kriegsmann Diego de Almagro und in dem Pfarrer Hernando de Luque. Die drei Dons legten demnach ihr Vermögen in einer Spekulation an, welche die Ausführung und, selbstverständlich, die Ausbeutung des angeblich im Süden von Darien gelegenen Goldlandes Peru zum Zwecke hatte. Almagro besorgte den Ankauf, die Ausrüstung und Bemannung von zwei kleinen Schiffen, und da Panama ein Ort war, wo immer eine hinlängliche Anzahl von Abenteurern, Strolchen und Desperados umherlungerte, konnte Pizarro, als Führer der »Expedition«, im November 1524 aus dem Hafen der Stadt absegeln. Er kam freilich nicht nach El Dorado und überhaupt nicht sehr weit. Ungeahnte Widerwärtigkeiten aller Art zu Wasser und zu Lande nötigten ihn zur Umkehr. Allein er brachte nach Panama doch dieses Ergebnis mit, daß, je weiter man südwärts steuerte, die Sage von einem in jener Richtung gelegenen großen und sozusagen von Gold starrenden Reiche immer bestimmtere Gestalt gewann.
Daraufhin gingen unsere Gründer nur noch energischer ins Zeug. Auf den Kredit Sr. Hochwürden Don Luque wurden 20 000 »harte Taler« ( pesos duros) aufgetrieben und damit die Kosten der Ausrüstung einer zweiten Expedition bestritten. Am 10. März 1526 vereinbarten und unterzeichneten die drei Spekulanten ein Dokument, das zu den absonderlichsten Kuriositäten der Geschichte gezählt werden mag: nämlich eine Vertragsurkunde, kraft welcher »im Namen Christi«, wie der Eingang lautete, die drei Associés festsetzten, daß die zu entdeckenden und zu erobernden Länder, soweit sie zum Reiche Peru gehörten, zu gleichen Teilen unter sie, die drei Geschäftsteilhaber, geteilt werden sollten, und zwar »mit allem Zubehör, was besagte Länder an Menschen, Tieren, Gold, Silber und Edelsteinen enthielten, mit selbstverständlichem Vorbehalt jedoch der Oberherrlichkeit der Krone Spanien und der aus dieser Oberherrlichkeit fließenden Rechte«. Zu einer solchen Naivität der Philosophie des Raubes hat sich das moderne Gründertum doch kaum hinaufzuschwindeln gewußt. Drei Lumpe teilen förmlich unter sich ein noch gar nicht aufgefundenes Reich »mit allem Zubehör« – der kolossalste Humbug, die tollste Donquichotterie; aber ganz ernsthaft gemeint und mit derselben echtspanischen Grandezza betrieben, womit der sinnreiche Caballero aus der Mancha in der Stallmagd von Toboso eine Prinzessin sah und begrüßte.
Auf zwei Schiffen, welche eine Bemannung von hundertzwanzig Mann hatten, fuhren Pizarro und Almagro diesmal von Panama südwärts und gelangten, an der Küste hinsteuernd, bis zur Mündung des Flusses, welcher nachmals der Rio San Juan hieß. Hier überfiel Pizarro ein am Ufer gelegenes Dorf der Eingeborenen und machte eine nicht unbeträchtliche Beute an Schmucksachen aus Gold – ein Vorglanz sozusagen vom Goldlande Peru. Also rüstig weiter nach Süden zu, immer weiter! Aber mit jedem Tage steigt auch die Mühsal der Fahrt. Ein Teil der Mannschaft meutert und fordert die Rückkehr nach Panama. Man geht ans Land und hält eine Art Kriegsrat. Einander schnurstracks widersprechende Ansichten werden mit mehr oder weniger heftigem Gebärdenspiel vorgebracht. Pizarro steht auf: »Genug des Geschwätzes!« Dann zieht er sein Schwert und zeichnet mit der Spitze desselben eine von Osten nach Westen gehende Linie in den Küstensand und sagt:
»Freunde und Gefährten, seht, auf dieser Seite liegen Mühsal, Hunger, Regen, Sturm, Verlassenheit und Tod, aber auch Peru mit seinen Schätzen; auf jener Seite Gefahrlosigkeit und Sicherheit, aber auch Panama mit seiner Armut. Jeder wähle, was er für gut hält! Was mich angeht, ich gehe südwärts.«
Das heldische Wort tat seinen Dienst, wenn auch nur bis zu dem Grade, daß eine Anzahl entschlossener Männer bei dem Führer auszuharren und die Unternehmung weiterzuführen beschlossen, während die andern auf einem der beiden Schiffe nach der Landenge von Darien zurückkehrten.
Noch nahezu acht an prüfungsvollen Zwischenfällen reiche Monate hatte der kühne Mann alle seine Klugheit und Standhaftigkeit aufzubieten, um nicht unverrichteter Dinge zurückkehren zu müssen. Endlich gelang es den El Doradofahrern, die nachmals Pasado genannte Landspitze zu umschiffen, und ihr Fahrzeug glitt nun auf einer bislang noch von keinem europäischen Schiffskiel geteilten Meeresfläche dahin, immer weiter nach Süden, bis es in die schöne Bucht von Guayaquil einfuhr.
Mit weitgeöffneten Augen blickten sie auf die zugleich großartige und anmutige Szene, welche sich vor ihnen entfaltete. Der schmale, aber üppig grüne Ufersaum, durch den sich zahlreiche Wasseradern dem Meere zuwanden, war mit einer Reihe von Städten und Dörfern besetzt. Hinter diesen Sitzen einer zahlreichen Bevölkerung hob sich der riesige Bergwall der Anden oder Kordilleren jählings empor, hier in zwei seiner schönsten Kolosse gipfelnd, in dem breitkuppligen Chimborasso und in der blendend weißen Pyramide des Kotopaxi.
Am nächsten Morgen kreuzten unsre Abenteurer die Bucht und gingen vor Anker angesichts der wohlgebauten Stadt Tumbez, deren ganzes Aussehen ihre Zugehörigkeit zu einem zivilisierten Staatswesen bezeugte. Das Zeugnis trog nicht. Tumbez war eine volkreiche Stadt des Inkareichs.
Das so lange, so mühselig gesuchte Dorado war gefunden; denn Pizarro landete an der Küste von Peru.
Wo lag Peru? Wie war es mit dem Inkareich?
Amerika – das darf jetzt für ausgemacht gelten – hat seine Urbevölkerung von Asien her erhalten. Wir können uns die Stunde vorstellen, wo ein Halbtier von Mensch nordasiatisch-mongolischer Rasse seine Blicke über die Beringstraße hinüberwarf und sich fragte: Kann ich da hinübergelangen? Diese Frage muß so oder so gelöst worden sein, denn die Rassegenossenschaft der asiatischen Mongolen und der amerikanischen Indianer scheint einer begründeten Anzweiflung kaum noch unterstellt werden zu können. Im übrigen ist die vorzeitliche Geschichte Amerikas bis zur Ankunft der Europäer in der Neuen Welt vorerst ein Chaos, für dessen Entwirrung und Aufhellung zwar schon vieles getan worden, aber noch weit mehr zu tun sein wird. Die zwei großen Pfadsucherinnen und Pfadfinderinnen, die vergleichende Sprach- und Religionsforschung, haben hier noch eine ungeheure Wildnis zu durchwandern.
Geschichtliche Tatsache ist vorderhand, daß die indianische Bevölkerung Amerikas vor der Ankunft der Europäer auf sehr verschiedenen Kulturstufen stand. Ebenso, daß die Spanier im 16. Jahrhundert in Zentralamerika schon auf die ruinenhaften Überbleibsel einer bereits zugrunde gegangenen Zivilisation stießen. Endlich, daß wir durch die Vermittlung der spanischen Konquistadoren von den Zuständen, von der Macht und von dem Verderben der zwei bedeutendsten Staats- und Gesellschaftswesen, welche die Kultur der amerikanischen Rothäute geschaffen hatte, vom Aztekenreich in Mexiko und vom Inkareich in Peru, umfassende Kunde besitzen. In welchem Lichte den erobernden Spaniern diese beiden Staatswesen erschienen, bezeugt schon der Umstand, daß sie dem Beherrscher von Mexiko wie dem von Peru den Titel ihres eigenen Monarchen, den Titel Karls V., den Titel »Kaiser« ( emperador) beilegten und damit die außerordentliche Machtstellung dieser indianischen Fürsten anerkannten. Freilich mag hierbei auch die Absicht der Eroberer, die Größe ihrer Wagnisse und ihrer Erfolge in ein möglichst glänzendes Licht zu stellen, mit im Spiel gewesen sein.
Als Pizarro und seine Miträuber – denn diese Bezeichnung gebührte im Grunde doch der ganzen Sippschaft – an der Küste von Peru erschienen, hatte dieser Staat das Hochmaß seiner Ausdehnung erreicht, während seine Gesundheit und Kraft schon im Sinken begriffen waren. Man kann die ungefähren Grenzmarken des Reiches bestimmen, wenn man sagt, daß die Inkakaiser das ganze Gebiet beherrschten, welches heutzutage die vier sogenannten Republiken Ekuador, Peru, Bolivia und Chile einnehmen. Der unterirdische Reichtum des Bodens war ein außerordentlicher, und namentlich durfte Peru mit Grund ein Goldland, das Goldland heißen. Die oberirdische Bodenbeschaffenheit dagegen konnte sich an Fruchtbarkeit mit den östlichen Küstenländern von Süd- und Mittelamerika bei weitem nicht messen. Im peruanischen Reiche mußte gearbeitet werden, und zwar tüchtig, um die nötigen Lebensmittel für die Bevölkerung zu beschaffen. Die große Meisterin Not mit ihrer erstgeborenen Tochter Arbeit, sie waren auch hier, wie überall, die Kulturbringerinnen.
Man hat die Anfänge der peruanischen Zivilisation früher am Titikakasee suchen zu müssen geglaubt, ist aber jetzt vergewissert, daß diese Zivilisation in und bei Kuzko ihren Ursprung genommen habe. Diese Stadt, deren Name »Nabel« bedeutet, war der geheiligte Mittelpunkt des Inkareichs, und es drängt sich uns als ein denkwürdiger Zusammenklang in den Anschauungen grundverschiedener und einander wildfremder Völker die Erinnerung auf, daß die Hellenen ihr Nationalheiligtum Delphi ebenfalls den »Nabel« (der Erde) genannt hatten. Von Kuzko aus war die peruanische Kultur in der Form der Eroberung südwärts bis an die Grenzen des Araukanerlandes, nordwärts bis über Quito hinaus vorgedrungen. Ostwärts erstreckten sich die Grenzen des Reiches bis hinauf zur Wasserscheide der Anden und da und dort auch über die Kämme derselben hinüber und in die Pampas des südamerikanischen Festlands hinein. Unlange vor der Ankunft der Spanier hatte das Reich der Inka den Gipfel seiner Machthöhe erreicht.
Auf den Anfängen der Völkergeschichten liegt der Nebel des Mythus, vom Strahle der religiösen Idee mehr oder weniger hell besonnt. Die Menschen wußten sich es nicht zu erklären, wie es gekommen, daß sie sich nach und nach entbestialisiert hatten, daß sie allmählich so klug, so anstellig, so zivilisiert geworden waren. Da mußte ihnen denn eine »höhere Macht« das Tierfell geschoren haben, sozusagen. Auch die Peruaner hatten demnach ihren Kulturmythus, das heißt, auch sie führten den Ursprung ihrer Vermenschlichung auf »überirdische Mächte« zurück, wie solche zu glauben, zu fürchten und zu verehren den naturwüchsigen Menschen das Gefühl seiner Ohnmacht und Hilfsbedürftigkeit allzeit und überall zwang und zwingt. Man muß übrigens gestehen, die heilige Sage der Peruaner und ihre organisch entwickelte Religion waren verhältnismäßig gar nicht so übel, ja gewissermaßen vernünftig. Knüpften sie sich doch an die große Lebensspenderin und Lebenserhalterin, die Sonne. Diese sicht- und fühlbare, unerschöpfliche Wohltäterin nannten die Peruaner die »Mutter der Menschheit«, und sie verehrten sie dankbar als ihre höchste Gottheit. Im Beginn der Zeiten hatte die große Mutter ihre zwei Kinder, den Manko Kapak und die Mama Oello, auf die Erde herabgesandt, um die Menschen zu entwildern, sie zu bilden und in ein geordnetes Staats- und Gesellschaftswesen hinüberzuführen, sie die Landwirtschaft, die Gewerbefertigkeiten, alle Künste des Friedens zu lehren. Manko und Mama waren Bruder und Schwester, zugleich aber auch Mann und Weib, und von ihnen stammte die Dynastie der Herrscher von Peru, das Geschlecht der »Inka«, welches Wort Herr, Fürst, König bedeutet.
Die berechtigte Frage, ob schon vor den Inka in Peru eine ältere Kultur vorhanden gewesen, mag hier billig unerörtert bleiben. Gewiß ist, daß mit dem Aufkommen der Inka der peruanische Staat zu existieren anhob. Ebenso, daß dieser Staat und mit ihm alles, was wir unter peruanischer Zivilisation zu verstehen pflegen, allem nach nicht sehr weit in unser Mittelalter zurückreicht, indem das Auftreten des zweifelsohne geschichtlichen und nachmals von seiten der dankbaren Peruaner vergötterten Kulturhelden Manko Kapak kaum höher als in den Anfang des 12. Jahrhunderts unserer Zeitrechnung hinaufzurücken ist. Die Nachfolger des Begründers der Inkadynastie handhabten Krieg und Eroberung, welche ja in der Geschichte viel häufiger, als die Unwissenheit meint, an der menschlichen Kultur sehr kräftig mitarbeiteten, ohne Frage als Zivilisatoren. Um die Mitte des 15. Jahrhunderts erweiterte der Inka Topa Yupanqui die Grenzen des Staates im Süden bis weit nach Chile hinein, während sein Sohn Huayna Kapak, der bedeutendste Mann seines ganzen Hauses, in nördlicher Richtung die Fahne Perus bis gegen Zentralamerika hinauftrug und Quito unterwarf.
Die Beherrscher von Peru waren Theokraten, das heißt, sie waren als angebliche »Sonnensöhne«, als Abkömmlinge der höchsten Gottheit, zugleich politische und religiöse Despoten und genossen durchweg göttliche Verehrung. Ihr geistlich-weltliches Zepter vererbten sie nach dem Rechte der Erstgeburt, das heißt, der erstgeborene Sohn der »Koya« – so hieß die rechtmäßige Gemahlin des Inkas, welche zugleich seine Schwester sein mußte, im Unterschiede zu dem ungezählten Schwarme der Insassinnen des kaiserlichen Harems – wurde der Nachfolger seines Vaters. Der kaiserliche Hofhalt war pracht- und prunkvoll, so recht goldschimmernd. Der Inkapalast in Kuzko bildete mit seinen Nebengebäuden eine Stadt für sich. Er machte mit dem »Korikancha« (wörtlich Goldhaus), das heißt, dem Reichstempel der Sonne – in Ansehung der Kostbarkeit des Materials seiner Ausschmückung wohl das reichste Gebäude, welches jemals die Erde getragen hat – und mit dem hauptstädtischen Kastell die Dreizahl der großartigsten Bauwerke Perus aus. Die kolossalen Trümmer der Festung erregen noch jetzt das Staunen der Betrachter. Es waren zu dieser Burg Bausteine verwendet von 38 Fuß Länge, 18 Fuß Breite und 6 Fuß Dicke, und diese Steinblöcke sind – ohne daß die Peruaner den Gebrauch des Eisens kannten, wohlverstanden! – so genau zugehauen und ineinander gefügt gewesen, daß man keine Messerklinge in die Fugen zu stecken vermochte. Die Abgötterei, welche mit den Inka im Leben getrieben wurde, folgte ihnen auch in den Tod. Ihre Lieblingsdiener und Gunstsklavinnen wurden ihnen als Totenopfer dargebracht. Mit ihren aus dem Körper genommenen Eingeweiden begrub man die kostbarsten Juwelen und Gerätschaften der Toten. Die Leichname wurden kunstvoll balsamiert und mumifiziert und die Mumien im Korikancha auf goldene Stühle gesetzt.
Die Familie der Inka hatte sich im Laufe der Zeit außerordentlich vermehrt, und die zahllosen Nebensprößlinge bildeten den Inkaadel, eine Kaste, welcher alle höheren Staats-, Kriegs-, Gerichts- und Kirchenämter von »Rechts wegen« zukamen. Von Eroberungsrechtswegen, denn es ist klar, daß die Inka und der Inkaadel die Abkömmlinge des Volksstammes gewesen sind, welcher erobernd in Peru eingedrungen war und, weit höher gebildet als die Urbewohner des Landes, diese unterworfen hatte. Die Nachkommenschaft der unterworfenen Urbewohner aber machte das aus, was wir »Volk« zu nennen gewohnt sind, im alten Peru die dienende, frondende Masse.
Das Reich war in vier Provinzen eingeteilt und darum von seinen Bewohnern nicht Peru, sondern die vier Himmelsgegenden (»Tavantinsuyu«) genannt. Das Volk seinerseits zerfiel in Gruppen von 10, von 50, von 100, von 1000, und jeder dieser Gruppen stand ein Edelmann als Beamter vor, so daß sich vom Zehnmännerhauptmann bis zum Provinzstatthalter eine wohlgefugte Bureaukratie hinaufgipfelte. Jeder dieser Würdenträger war in seiner Sphäre zugleich Verwaltungs- und Justizbeamter. Die Gesetzgebung zeichnete sich durch Strenge und Bündigkeit aus. Auf Mord, Ehebruch, Diebstahl und Blasphemie, das heißt auf Lästerung der Sonne oder des Inkas, stand der Tod. Aufruhr gegen den Inka galt für ein so ungeheuerliches Verbrechen, daß es nur durch gänzliche Vertilgung der Bewohnerschaft einer aufrührerischen Landschaft gesühnt werden konnte. Das Inkareich war, wenigstens in den Augen der Peruaner selbst, ein sehr streitbares. Die Armee, mit Bogen, Wurfspeeren, Schleudern, Morgensternen und Streitäxten bewaffnet und regelrecht in von Inkaoffizieren verschiedener Grade befehligte Rotten, Bataillone und Regimenter eingeteilt, zählte zuletzt nicht weniger als 200 000 Mann. Die Zivilverwaltung arbeitete mit größter Regelmäßigkeit. Für den Verkehr war gesorgt. Es gab Poststationen, Postbeamte und Postläufer, obzwar nur für den Gebrauch des Inka und der Regierung, und von Kuzko bis Quito hinauf lief jene Reichsstraße, welche Alexander von Humboldt, der sie in ihren Trümmern gesehen, »eins der riesenhaftesten Werke, welche je von Menschen ausgeführt wurden«, genannt hat.
Das eigentümlichste Charaktermerkmal der altperuanischen Kultur waren jedoch die Eigentumsverhältnisse. Denn im Inkastaate war ja das kommunistische Ideal verwirklicht, da es, streng genommen, ein Privateigentum gar nicht gab. Die ganze urbare Bodenfläche des Landes war in drei Teile zerlegt. Der Ertrag des ersten gehörte der Sonne, das heißt der Klerisei und dem Kult; der Ertrag des zweiten der Inkafamilie und dem Inkaadel; der dritte war unter das »Volk« Kopf für Kopf gleichmäßig verteilt. Alljährlich wurde die Teilung dieses Bodendrittels erneuert und jedem Familienhaupt sein Jahresbesitz nach der Mitgliederzahl seiner Familie zugemessen, welche Einrichtung auf einer genauen Registerführung über Geburten und Todesfälle beruhte. Diese mittels der sogenannten Quippusschrift geübte Statistik ermöglichte auch die Durchführung eines streng geordneten Steuerwesens, dessen Last, da Klerus, Adel und Beamtenschaft steuerfrei waren, ausschließlich auf dem Volke lag. Die Entrichtung der Steuern geschah durch Arbeit jeglicher Art. Die » Misera contribuens plebs« Perus frondete als Bauer, als Bergmann, als Handwerker, als Soldat, als Arbeiter an den Staatsgebäuden und Staatsstraßen. Das ganze Dasein des peruanischen Volkes war in das Netz bureaukratisch-kommunistischer Bevormundung eingeschnürt und kann für Augen, welche sehen wollen, den unwiderleglichen Beweis liefern, daß der Kommunismus unfehlbar dem Menschen jede Selbstbestimmungsfähigkeit entzieht und demnach naturnotwendig in die schlimmste Sklaverei ausläuft.
Wie in der Regel jedes Volk die Regierung hat, die es verdient, so hat auch jedes Volk einen Gott, dessen Wesen die Bildungsstufe und Anschauungsweise der Gesamtheit seiner Verehrer widerspiegelt. Ist dieser Satz wahr, so gestattet er einen nicht ungünstigen Schluß auf die Kultur und den Nationalcharakter der Peruaner. Das religiöse Fühlen und Glauben derselben hob sich über die Stufe der bloßen »Naturreligion« empor. Denn nicht nur als eine göttliche Naturmacht, sondern auch als ein beseeltes, durchgeistigtes Wesen, als eine mit Bewußtsein wollende Gottheit wurde die Sonne gedacht, und dieser Gottesbegriff streifte um so näher an den Monotheismus, als das mythologische Beiwerk desselben von ganz untergeordneter Bedeutung war. Nur die Gottsonne hatte Kirchen, Klerus und Kult. Ganz fest war in dieser Sonnenreligion der Glaubenssatz von der Unsterblichkeit der Menschenseele hingestellt, und mit dieser Vorstellung verknüpfte sich die weitere von einem sogenannten Himmel und einer sogenannten Hölle im sogenannten Jenseits. Der Gottesdienst war im ganzen so, wie er einer als sittliche, milde und wohltätige Macht gedachten Gottheit gebührte. Eine Hauptkulthandlung war das kniend und mit der Sonne entgegengebreiteten Armen verrichtete Gebet. Immerhin kamen auch Menschenopfer vor, vielleicht ein von dem Inkavolk übernommener Brauch der barbarischen Urbevölkerung des Landes. Sonst wurden als Opfer Edelsteine, Gold, Silber, Blumen, Früchte, Weihrauch, Schafe und Lamas dargebracht. Auch in der Form der Askese wurde die allen Religionen gemeinsame Opferidee verwirklicht: denkwürdig insbesondere durch das Institut der Sonnenjungfrauschaft. Die Sonnenjungfrauen, das heißt die peruanischen Vestalinnen oder Nonnen – nur Töchter des Inkaadels konnten solche werden – lebten unter der Leitung einer Äbtissin oder Priorin nach bestimmten Regeln in Klöstern zusammen. Welche von ihnen sich gegen das strenge Keuschheitsgelübde, das sie als »Bräute des Sonnengotts« ablegen mußten, verfehlte, wurde lebendig begraben. Nur zugunsten des Sonnensohns, das heißt des regierenden Inka, gab es eine Ausnahme.
Die Sommersonnenwende brachte das religiöse Nationalfest, das zu Kuzko mit höchster Prachtentfaltung gefeierte »Intip Raymi«, das Sonnenfest, wobei der Inka, der Papst der Sonnenreligion, dem strahlenden Gott aus mit »Chika« (gegorenem Maissaft) gefülltem Goldpokal ein feierliches Trankopfer spendete, in dem Augenblick, wo das Tagesgestirn am östlichen Horizont hinter den majestätischen Andesfirnen emporstieg.
Alles in allem genommen, stand das Heidentum der Peruaner an Reinheit, Sittlichkeit und, falls der Ausdruck überhaupt statthaft ist, an Vernünftigkeit dem Christentum der spanischen Inquisitoren daheim und der spanischen Konquistadoren draußen keineswegs nach. Im Gegenteil, sehr im Gegenteil, zumal noch zu sagen ist, daß im alten Peru das Verhältnis der beiden Geschlechter ein sehr sittsames, das Familienleben innig, die Kinderzucht sorgsam und die Umgangsformen fein waren. Auch Kunst und Poesie waren verhältnismäßig entwickelt. Neben der Architektur blühte namentlich die Schmelz-, Schmiede- und Ziselierkunst. Der Geist der Volkspoesie war tätig, und noch heute singt die indianische Bevölkerung Lieder, welche schon zur Inkazeit gesungen wurden. Auch höhere Gattungen der Dichtkunst scheinen sich eifriger Pflege erfreut zu haben. Wenigstens ist uns ein altperuanisches, in der Kechuassprache gedichtetes Drama, betitelt »Ollanta«, überliefert, das zur Zeit der letzten Inka und auch noch nach der spanischen Konquista über die Bühne ging.
Allein trotz alledem trug die peruanische Gesellschaft den Keim frühzeitigen und unaufhaltsamen Welkens in sich: sie mußte an ihrem Kommunismus sterben, die Eigentumslosigkeit brachte sie um. Nur die Einrichtung des Privateigentums begründet das große Gesetz des sozialen Vorschritts, das heißt, den tatkräftigen Trieb im Menschen, sein Los zu verbessern. Diesen Trieb kannte der Peruaner nicht: er konnte ja nichts werden, als wozu seine Geburt ihn gemacht hatte. Die naturnotwendige Folge war, daß sich ein grauer Schleier von Gleichgültigkeit über die Intelligenz des Volkes breitete, und daß es sich widerstandslos einem schläfrigen Dahinvegetieren ergab. Wie hätte es also dem Glaubens- und Goldfanatismus, der unbezähmbaren Energie der spanischen Konquistadoren widerstehen sollen? Diesem »Heldengesindel«, das bei seinen fast unglaublichen Wagnissen noch dazu durch alle Vorzüge einer höheren Rasse und durch alle Vorteile einer vorgeschritteneren Kultur unterstützt wurde.
Um die geschichtliche Tatsache des Sturzes von Staaten und des Untergangs von Nationen her schlingt die Legende allerlei bunte Sagenfäden. So will auch die Sage der Peruaner, daß schon auf den höchsten Glanz von Peru der dunkle Schatten einer fernher drohenden Wolke gefallen sei und das herannahende Verderben in der Form dunkler Ahnungen sich angekündigt habe. Im Volke schlich von alters her die Sage um, Fremdlinge, wie man sie nie gesehen, würden dereinst ins Land kommen und es erobern: Kometen erschienen am Himmel und die Erde bebte. Das zum großen Sonnenfest in Kuzko versammelte Volk sah in der Luft eine Schar von Falken einen Adler angreifen, welcher tödlich verwundet zu Boden fiel. Die Priester murmelten düstere Weissagungen. Selbst den großen Inka Huayna Kapak erfaßte ein trübes Vorgefühl. Nicht ohne Grund. Hatte er doch von dem Erscheinen weißer bärtiger Männer am Gestade der Südsee sichere Kunde erhalten. Das war Balboa mit seinen Gefährten gewesen. Der Inka konnte nicht ahnen, daß unter diesen Wagehälsen auch der Mann, Pizarro, sich befand, der so bald das Reich Tavantinsuyu vernichten sollte; aber sterbend deutete Huayna Kapak die Erscheinung der bärtigen Blaßgesichter auf die »Fremdlinge« der alten Sage.
Seine traurige Ahnung hatte den Inka nicht betrogen, aber freilich hatte er selber die Erfüllung beträchtlich gefördert, so daß Perus Verderben von innen heraus schon angehoben hatte, als die Gefahr der spanischen Konquista von außen herankam. Huayna Kapak war auf den Irrweg geraten, die festgefugte Staatsordnung mit eigener Hand zu zerbrechen, indem er sich durch seine Vorliebe für einen seiner jüngeren Söhne, welcher Atahuallpa hieß, verleiten ließ, zu ungunsten seines ältesten Sohnes Huaskar, des legitimen Kronprinzen, die Thronfolgeordnung abzuändern, und zwar in der Form einer Teilung des Reiches. Die südliche Hälfte mit der Hauptstadt Kuzko erhielt Huaskar, die nördliche mit der Hauptstadt Quito erbte Atahuallpa. Nach dem wahrscheinlich im Jahre 1525 erfolgten Tode des großen Inka kam es, wie es bei der rastlosen, kriegerischen, ehr- und herrschsüchtigen Sinnesweise Atahuallpas kommen mußte. Nachdem der Herrscher von Quito etliche Jahre lang Frieden gehalten, hob der Bruderkrieg um den Alleinbesitz des Inkareiches an. Am Fuße des Chimborasso trafen die Heere der feindlichen Brüder zur blutigen Entscheidung aufeinander. Sie fiel zum Nachteile des älteren Bruders aus. Eine zweite, auf der Ebene von Quipayan geschlagene Schlacht noch mehr: Huaskar wurde der Gefangene seines Bruders, welcher sich jetzt des ganzen Reiches seines Vaters bemächtigte und mittels Taten wilder Grausamkeit den Peruanern seinen vollständigen Triumph und die ganze Schwere seiner Despotie verkündigte.
Dies geschah im Jahre 1532, und schon etliche Monate darauf brach das spanische Verhängnis über Peru herein.
Was war aber inzwischen aus dem Hauptträger dieses Verhängnisses geworden? Wo befand sich Pizarro? In Spanien.
Der weiland Hüter der Schweine hatte aus alledem, was er in Tumbez gesehen und gehört, unschwer die Überzeugung geschöpft, daß denn doch seine Absicht, das Inkareich zu erobern, und die Eroberungsmittel, über welche er dermalen, das heißt, nach endlicher Findung vom Dorado, zu verfügen hätte, in einem geradezu lächerlichen Mißverhältnisse ständen. Wir müssen das Geschäft gründlicher nehmen und auf eine solidere Basis stellen, sagte er sich, und da dies in dem lumpigen Panama, wohin wir alsbald zurückkehren müssen, keine Möglichkeit ist, so will ich nach Spanien hinüber und die Krone selbst für das Unternehmen zu interessieren suchen.
So tat er; denn der Mann war einer von jenen entschlossen anpackenden, bei denen dem Gedanken so gewiß und so rasch die Tat folgt wie dem Blitz der Donner.
So finden wir zu Anfang des Sommers von 1528 Pizarro in Spanien am Hofe Kaiser Karls V., in dessen Reichen bekanntlich die Sonne nie unterging, der aber niemals Geld hatte und wie der größte Monarch so auch der größte Pumper seiner Zeit gewesen ist. Da war es nun merkwürdig zu sehen, mit welcher Sicherheit der frühere Schweinehirt von Truxillo auf dem glatten Hofboden sich zu bewegen wußte. So etwas haben die formsicheren Menschen romanischer Rasse doch vor uns viereckigen Germanen voraus, denen es zwar nicht zur Schande gereicht, daß sie nicht zu schauspielern vermögen, aber auch nicht zum Ruhme, daß sie des Formsinns mehr als billig ermangeln.
Der durchwetterte Abenteurer gewann dem Kaiser so viel Teilnahme ab, als dieser kalt rechnenden Natur überhaupt abzugewinnen war. Pizarro besaß ja jene kunstlose, aber energische Beredsamkeit, wie sie zum Befehlen bestimmten Menschen angeboren zu sein pflegt. Seine Schilderungen dessen, was er seit zwanzig Jahren in der Neuen Welt geschaut, gehört, gelitten und gestritten, mögen dem Kaiser, welcher sich bislang um die amerikanischen Dinge wenig gekümmert hatte, zuerst eine bestimmtere und deutlichere Vorstellung von der Beschaffenheit und dem Werte der unermeßlichen Besitzungen beigebracht haben, welche da drüben der spanischen Herrschaft unterworfen waren. Pizarro, der seinen Mann und dessen ewig leere Taschen kannte, unterließ auch nicht, den Goldreichtum des neu entdeckten Landes Peru vor den gierigen Augen Karls schimmern zu lassen, und legte um dieses sein Wortgemälde her den Rahmen peruanischer Goldproben, welche er fürsorglich mitgebracht hatte. Der Kaiser empfahl darauf Pizarro und dessen Angelegenheit dem »Rate von Indien«, also der obersten Kolonialbehörde Spaniens, und diese hat dann im Juli 1529 einen förmlichen Vertrag mit unserm Macher in Länderfindung und Gründer von Eroberungsgeschäften abgeschlossen. Kraft dieses Vertrags sollte dem Pizarro, welcher zur Erhöhung seines Ansehens zum Hidalgo (Edelmann) und zu einem Ritter von San Jago gemacht wurde, das Recht der Entdeckung und Eroberung des Landes Peru zustehen und sollte er nach vollbrachter Besitzergreifung Titel, Rang, Machtvollkommenheit und Einkommen eines Statthalters haben. Seine beiden ursprünglichen Mitgründer wurden ebenfalls bedacht, indem Almagro die Bestallung als Gobernador und Pater Luque die als Bischof der Stadt und Provinz Tumbez erhielt. Pizarro seinerseits übernahm die Verpflichtung, binnen sechs Monaten eine feldtüchtige Truppe von zweihundertfünfzig Mann aufzubringen, wobei ihm die Regierung zur Beschaffung von Geschützen und Munition behilflich sein sollte.
Der also mit Brief und Siegel förmlich zum Konquistador ernannte San-Jago-Ritter vermochte die seinerseits übernommene Vertragspflicht nur mühselig zu erfüllen. Im Januar 1530 segelte er mit der aufgebrachten Streitmacht aus Spanien ab, und als er, in Panama angelangt, seine Mannschaft musterte, hatte er hundertdreiundsechzig Soldaten zu Fuß und siebenundzwanzig zu Pferd in erträglich guter Ausrüstung. Mit dieser Handvoll verwegener Gesellen fuhr Pizarro im Januar 1531 zur Eroberung Perus aus, nachdem er seinem Geschäftsteilhaber Almagro aufgegeben hatte, in Panama noch weitere Mannschaft anzuwerben und sie ihm unter der Führung tüchtiger Offiziere nachzusenden. Dies geschah denn auch, und der eifrige Almagro war imstande, binnen kurzem drei kleine Schiffe mit Verstärkungen seinem Gesellschafter nachzusenden, und zwar unter der Führung von Don Belalkazar und Don Hernando de Soto, zwei Rittern, welche in der Vorderreihe der Eroberer von Peru glänzten und von denen der letztgenannte außerdem als Entdecker des Stromgebiets des Mississippi in der Geschichte Amerikas einen unvergänglichen Namen sich gesichert hat. In der Bucht von Guayaquil vereinigten sich diese Verstärkungen mit der Mannschaft des Konquistadors.
In Tumbez gelandet, trat Pizarro in lebhaften Verkehr mit den Bewohnern der Stadt. Das Mittel sprachlicher Verständigung boten etliche Eingeborene, welche der Eroberer bei seinem ersten Besuch aus Tumbez mitgenommen und die als seine Begleiter auf der Fahrt nach Spanien inzwischen Spanisch sprechen gelernt hatten. Einer dieser Dolmetscher, den die Spanier Felipillo getauft hatten, spielte in der Geschichte der Eroberung seines Vaterlands eine nicht unwichtige Rolle, ganz dieselbe Rolle, welche in der Geschichte der Eroberung von Mexiko eine indianische Dolmetschin und Geliebte des Cortez, die schöne und kluge Donna Marina, innehatte. Pizarro scheint sich überhaupt das Verfahren seines Vetters in Anahuak vielfach zum Muster und Vorbild genommen zu haben, wie das ja auch in den Verhältnissen lag. Er verwandte zuvörderst große Achtsamkeit darauf, zu Tumbez über die Zustände der fremdartigen Welt, welche er betreten hatte, genau sich zu unterrichten und Einsicht in die Sachlage im Inkareich zu gewinnen. Was er erfuhr, zeigte ihm erst recht die Größe und Schwierigkeit seines Unternehmens, aber auch, was dieses Unternehmen erleichtern könnte. Hierbei war von äußerster Wichtigkeit die Kunde von dem soeben ausgefochtenen Bruderkrieg zwischen Huaskar und Atahuallpa. Pizarro mußte sich ja erinnern, wie sehr die Zwistigkeiten der verschiedenen Volksstämme von Anahuak dem Cortez zugute gekommen waren. Allerdings war der Sieger Atahuallpa im unbestrittenen Besitze der Gewalt, aber immerhin ließen sich, kalkulierte der Spanier, aus der Art und Weise, wie der Inka zur Herrschaft über das ganze Reich gelangt war, allerhand wichtige Vorteile ziehen. Unter anderen dieser, daß die fremden Eindringlinge sich einem gewiß nicht kleinen Teile der Peruaner als Befreier von dem Joche eines tyrannischen Usurpators darstellen konnten. Die Menschen wollten und wollen ja zu allen Zeiten belogen und betrogen sein.
Weiterhin galt es dann zunächst, in dem fremden Lande an einer wohlgelegenen Stelle der Küste festen Fuß zu fassen, wie das Cortez in Mexiko durch die Anlage von Veracruz bezweckt und erreicht hatte. Demzufolge wurde südlich von Tumbez im schönen Tale von Tangarola eine Pflanzstätte gegründet, welche den Namen San Miguel erhielt. Sie sollte als Aus- und Einschiffungsort, als Stütz- und Zufluchtspunkt dienen.
Während an der Gründung dieser ersten spanischen Kolonie auf dem Boden des Sonnenreichs gearbeitet wurde, brachte Pizarro in Erfahrung, daß der Emperador von Peru nicht in der Hauptstadt residierte, sondern in einer Entfernung von etwa zwölf Tagemärschen zu Kaxamalka, welche Stadt in einem von einer Quellader des Amazonenstroms gebildeten Tale der Anden gelegen war, sein Hoflager aufgeschlagen hätte. Sofort erhob sich im spanischen Lager die Frage, was nun zu tun wäre. Ob es rötlicher, stracks den weiten Südmarsch nach der Hauptstadt Kuzko anzutreten, von woher eine ungeheure Goldbeute winkte, oder aber die dermalige Residenz des Inkas aufzusuchen? Pizarro war Politiker genug und hatte sich über das Wesen des Inkatums auch schon ein so sicheres Urteil gebildet, daß er den Marsch nach Kaxamalka beschloß. Es mußte ihm ja aus allem, was er bislang in diesem Lande gesehen und gehört, klar geworden sein, daß, wer den Inka hätte, auch Peru hätte. Das Schicksal des Herrschers müßte das des Reiches entscheiden. Wie sich der Konquistador diese Entscheidung dachte, ist nicht zu sagen. Denn die Quellen der Eroberungsgeschichte von Peru lassen es unbestimmt, ob er zuvörderst friedliche Mittel versuchen wollte oder aber von vornherein auf einen Gewaltschlag sann. Das Wahrscheinlichste ist, daß er sich sagte: Kommt Zeit, kommt Rat. Vorerst nach Kaxamalka! Sind wir einmal dort, werden uns die Umstände lehren, was zu tun.
Der Aufenthalt in Tumbez und die Gründung von San Miguel hatten einen Zeitraum von fünf Monaten in Anspruch genommen. Längeres Zögern schien dem Konquistador um so untunlicher, als unter seiner Mannschaft das Gemurre, wo denn eigentlich das verheißene Dorado wäre, immer lauter zu werden begann. Er mußte sich daher zum Aufbruch nach Kaxamalka entschließen, ohne weitere Verstärkungen von Panama her abwarten zu können. In San Miguel eine kleine Besatzung zurücklassend, trat er am 21. September 1532 mit hundertzehn Fußsoldaten und siebenundsechzig Reitern seinen Marsch an, eins der kühnsten Spiele wagend, die jemals gewagt worden sind. Aber gerade die Abenteuerlichkeit, die Tollkühnheit des Wagnisses entsprach so recht dem Charakter der Spanier von damals und vollends der Sinnesweise des »Heldengesindels« der Konquistadoren. Man läßt dem Francisco Pizarro und seinen Gefährten nur Gerechtigkeit widerfahren, wenn man anerkennt, daß wohl niemals ein kühnerer Entschluß gefaßt und mit stahlhärterer Tatkraft ausgeführt worden sei als der von ihnen gefaßte und ausgeführte. Mit hundertsiebzig Mann zuerst in die tropische Urwaldwildnis sich hineinwagen, dann den himmelan getürmten Riesenwall der Kordilleren übersteigen, in das Herz eines großen und wohlgeordneten Reiches eindringen, den unumschränkten, abgöttisch verehrten, sakrosankten Beherrscher desselben in der Mitte seines siegreichen Heeres in seinem eigenen Prätorium aufsuchen mit der Absicht, der Herrlichkeit dieses Halbgottes von Sonnensohn so oder so ein Ende zu bereiten – gewiß konnte nur ein heldischer Mann diesen Gedanken aussinnen und zur Tat machen. Dabei ist auch noch in Anschlag zu bringen, daß die Ausrüstung von Pizarros Mannschaft mit Feuerwaffen nur sehr spärlich war. Nicht mehr als drei Büchsenschützen befanden sich unter der Schar, und was das »Geschütz« anging, so bestand es aus zwei »Feldschlangen« kleinsten Kalibers.
Vorwärts also trotz alledem! Die ersten Tagemärsche führten durch ein mählich gen Südosten ansteigendes Land, das von der Üppigkeit tropischer Urwaldsvegetation überwuchert war. Dann, als man sich den Kolossen der Andeskette mehr genähert hatte, ging der Zug durch Talgelände, welche, wasserreich und äußerst sorgfältig angebaut, die Anmut ihrer landschaftlichen Szenerie selbst diesen Wanderern, welche sich sonst um dergleichen blutwenig kümmerten, fühlbar machten. Hier war die Bevölkerung eine zahlreiche, aber von Widerstand nirgends eine Spur. Die Fremdlinge, welche kamen, den armen Peruanern statt des hölzernen Joches, das sie bislang getragen, ein eisernes aufzulegen, wurden allenthalben freundlich ausgenommen und gastlich beherbergt und bewirtet. Mittels seiner Dolmetscher konnte der Konquistador auch die Wahrnehmung machen, daß unter den Untertanen Atahuallpas eine dumpfe Unzufriedenheit gärte. Die Herrschaft des Inkas mußte sich demnach schon als eine sehr drückende erwiesen haben.
Während die Spanier an einem Orte, welcher Zaran hieß und innerhalb der Vorberge der Kordilleren gelegen war, Rast hielten, ward ihnen ein Beweis, daß ihr Marsch auf Kaxamalka dem Inka zu Ohren gekommen sein mußte. Leider wissen wir nicht, was sich Atahuallpa, der, von seinem Heere umgeben, in Kaxamalka, das schon damals seiner warmen Quellen wegen berühmt war, eine Badekur gebrauchte, bei der Kunde von dem Erscheinen der weißgesichtigen, bärtigen Fremden dachte, welche – so hatten ihm seine Späher zweifelsohne bereits gemeldet – Blitz und Donner mit sich führten und auf wunderbaren Geschöpfen, die man im Reiche der vier Himmelsgegenden nie gesehen, auf einer Art von vierfüßigen Schlangen einherritten. Wie zu vermuten, hatte die Erscheinung der Fremdlinge zunächst nur die Neugier des Sonnensohns erregt; ein Gedanke an Gefahr scheint ihm gar nicht aufgestiegen zu sein. So erklärt es sich, daß er einen seiner Edelleute als Gesandten an den Häuptling der Fremden abordnete, um diese an sein Hoflager einladen zu lassen. Der Gesandte, der selbstverständlich zugleich ein Spion war, stellte sich mit seinem Gefolge in Zaran dem Konquistador vor, überreichte etliche Geschenke und entledigte sich mit bester Manier seines Auftrags. Pizarro spielte nicht weniger fein den Diplomaten, überschüttete den peruanischen Höfling mit höfischen Redensarten und sandte ihn zu seinem Gebieter zurück mit der Meldung, er, Pizarro, werde, die Einladung Sr. Majestät des Emperadors von Peru dankend annehmen, mit seinen Leuten bald in Kaxamalka eintreffen. Zugleich trug er dem Gesandten noch auf, den Sonnensohn zu benachrichtigen, daß sie, die Spanier, von jenseits des Meeres kämen, und zwar als Botschafter eines mächtigen Monarchen. Dieser hätte von der Macht und dem Ruhme des Inkas so viel vernommen, daß er ihnen den Befehl gegeben, dem Herrscher von Peru ihre Ehrerbietung darzubringen und ihm ihren Beistand gegen alle seine Feinde anzubieten.
Nach also bewerkstelligter Abfertigung des Gesandten verweilte der Eroberer noch mehrere Tage da und dort am Fuße der Sierra, weil er hoffte, daß noch diesseits des Gebirges Verstärkungen von Panama her und über San Miguel zu ihm stoßen würden. Aber er mußte diese Hoffnung endlich aufgeben, und so, wie er war, und mit dem, was er hatte, die Ersteigung und Überklimmung der Kordilleren unternehmen. Ein furchtbares Mühsal! Aber es ward überwunden. Wohl war manchem von Pizarros Gefährten beim Anblick dieses riesigen Gebirges, dessen Firnschneegipfel in die Wolken sich verloren und das sie überklettern sollten, um drüben in ein Chaos von Gefahr, in das Unbekannte, Nichtzuahnende sich zu stürzen, der Mut gesunken. Aber der Führer verstand es auch jetzt, wie immer, den gesunkenen wieder zu heben. Oviedo, der klassische Geschichtschreiber der Konquista, hat uns die Rede überliefert, welche Pizarro vor dem Aufbruch ins Hochgebirge an seine Mannschaft hielt. Die » santa fé catolica« spielte natürlich darin eine große Rolle. Ebenso die Berufung auf das Spaniertum. »Schreitet vorwärts, wie es guten Spaniern geziemt, ganz unbekümmert, daß ihr Christen so klein seid an Zahl. Gott ist unser Beistand; er wird den Stolz der Heiden demütigen und sie zu unserm heiligen katholischen Glauben herüberführen.«
Es war am 15. November 1532, als die Spanier, die Gipfel der Anden hinter sich, die letzten Abdachungen der Ostseite des Gebirges hinabstiegen und die Stadt Kaxamalka, hinter welcher talhinein die warmen Quellen ihre Dampfsäulen in die Luft trieben, zu ihren Füßen liegen sahen.
Nun höre ich da und dort einen klugen Leser und vielleicht auch eine noch klügere Leserin meiner Historie murmeln: »Dieser Sonnensohn von Inka muß doch ein recht dummer Teufel gewesen sein. Wie hätte er sich sonst die Spanier so auf den Hals kommen lassen können?«
Die Frage ist berechtigt und auch schon vor dreihundert Jahren von klugen Leuten aufgeworfen worden. Schade, daß wir nur Vermutungen zur Antwort geben können.
Wie bereits oben bemerkt worden, scheint Atahuallpa zuvörderst einer, wie leicht begreiflich, sehr lebhaften Regung von Neugier nachgegeben zu haben, als er die Fremdlinge, deren ganze Erscheinung ja von dem Nimbus und Reiz des Geheimnisses umgeben war, an sein Hoflager lud. Die Erinnerung an die mit den Anfängen des peruanischen Staates verknüpfte Sage, daß weißhäutige Männer in der Urzeit am Titikakasee gelebt hätten, mag auch in dem Inka wachgeworden sein und ihm ein freundliches Verhalten gegen die Eindringlinge vorgezeichnet haben. Man hat nachmals, um das Verfahren Pizarros zu entschuldigen oder gar zu rechtfertigen, von spanischer Seite die Behauptung aufgestellt, das zuvorkommende Gebaren des Sonnensohns sei von Anfang an nur Verstellung gewesen. Er habe mittels geheuchelter Freundlichkeit die Spanier in sein Lager locken wollen, um sich ihrer wundersamen Waffen und Reittiere zu bemächtigen, sie selber aber umzubringen. Dazu ist zu sagen, daß die notorische Verschlagenheit und Grausamkeit Atahuallpas dieser Unterstellung allerdings eine scheinbar gute Stütze gibt. Allein diese Stütze hält nicht vor angesichts der Tatsache, daß der Inka die Spanier ohne alle Belästigung bis nach Kaxamalka gelangen ließ und sie nach ihrer Ankunft daselbst so gastlich behandelte, daß sie selber schlechterdings kein Symptom feindseliger Absichten von seiner Seite anzugeben vermochten. Das Entscheidende ist jedoch, daß Atahuallpa, falls er einen Überfall der Spanier geplant hätte, klug und kriegserfahren genug gewesen wäre, damit nicht bis zur Ankunft der Fremden an seinem Hoflager zu warten, sondern sie vielmehr während ihres beschwerlichen und gefährlichen Zuges über die Anden zu überrumpeln. Wenn das mit auch nur einiger Geschicklichkeit geschehen wäre, mußten sie unfehlbar verloren sein. Es war aber nicht geschehen, und demnach vollzogen sich die Geschicke des Sonnenlandes mit außerordentlicher Raschheit.
Wir wissen aus dem Munde der Konquistadoren selbst, daß sie beim Anblick der wohlbebauten Stadt zu ihren Füßen, mehr aber noch beim Anblick des weit über die Bergabhänge rings um die Stadt hingedehnten weißen Zeltlagers von Atahuallpas Heer denn doch ein sehr starkes, obzwar vorübergehendes Bangen empfanden. Indessen, zurück konnte man nicht – also vorwärts!
Pizarro suchte seine Erscheinung zu einer möglichst imponierenden zu machen. Er ordnete seine Mannschaft in drei Treffen, wenn man so sagen darf, als ob es zur Schlacht ginge, ließ die Fahnen entfalten, die Trompeten schmettern und marschierte so, die Reiterei voran, die Feldschlangen in der Mitte, in echt spanisch-stolzer Haltung auf die Stadt zu. Er erreichte auch seinen Zweck: er imponierte. Tausende und wieder Tausende von schwarzen Peruaneraugen hingen an dem herankommenden Zuge, an dem alles so fremdartig war, daß er den Untertanen des Inkas wie unmittelbar vom Himmel gefallen erscheinen konnte. Später dürften sie sehr geneigt gewesen zu sein, zu glauben, die Hölle habe diese Blaßgesichter ausgespien.
In Kaxamalka eingerückt, erfuhr der Konquistador, daß der Inka in einer Villa residierte, welche etwa eine Legua weit hinter der Stadt und vor der Front des peruanischen Lagers gelegen war. Dorthin entsandte, den »Emperador« zu begrüßen, Pizarro seinen Bruder Hernando und den Ritter Soto an der Spitze einer Reiterschar, welche alsbald auf der von der Stadt zur kaiserlichen Residenz hinausführenden wohlangelegten Kunststraße hingaloppierte. Bei ihrem Herankommen traten die peruanischen Krieger überall neugierig aus ihren Zelten hervor, verhielten sich aber durchaus friedlich. Die zeitweilige Behausung des Inkas war leicht, aber hübsch gebaut; die Außenwände waren mit einer bunten Mörtelglasur versehen, und um den offenen Hof lief ein Säulengang, in welchem das »Inkabad« sichtbar war, das heißt eine große steinerne Wanne, in welche mittels Röhren warmes und kaltes Wasser geleitet werden konnte. Eine Menge prächtig gekleideter Hofleute und Offiziere füllten den Hofraum. Auch reichgeschmückte Frauen des kaiserlichen Harems waren sichtbar. Unschwer vermochten die Spanier die Person des Inkas zu erkunden, nämlich in einem auf einem niedrigen Sessel sitzenden Manne, den das außerordentlich ehrfurchtsvolle Bezeigen der ihn umstehenden höchsten Würdenträger als den »Emperador« bezeichnete. Außerdem war Atahuallpa kenntlich durch das Symbol seiner Sonnensohnherrschaft, das heißt durch die rotseidene Stirnbinde, die »Borla«, deren Fransen ihm bis auf die Augenbrauen herabfielen. Nur der Inka durfte diesen Kopfschmuck tragen, und Atahuallpa hatte sich mit diesem heiligen Zeichen unumschränkten Herrschertums erst geschmückt, nachdem er mittels Besiegung und Gefangennahme seines Bruders in den alleinigen Besitz der Macht in Peru gelangt war.
Der Inka empfing die beiden Boten des Konquistadors mit der ganzen Gemessenheit und stoischen Würde, welche den Häuptlingen der rothäutigen Rasse bei Haupt- und Staatsaktionen überall eigen war und ist. Hernando Pizarro und der Ritter Soto ritten bis dicht vor den Sitz Atahuallpas und richteten durch den Mund des Dolmetschers Felipillo ihren Auftrag aus, indem sie das wiederholten, was der Eroberer schon in Zaran dem Abgesandten des Inkas gesagt hatte. Der Herrscher von Tavantinsuyu hörte schweigend und ohne eine Miene zu verziehen die Botschaft. Nur einer der ihm zur Seite stehenden Würdenträger sagte, als die Spanier ihre Anrede vorgebracht hatten, lakonisch: »Es ist gut.« Damit war aber den Boten keineswegs gedient, der Bruder Pizarros nahm daher abermals das Wort und bat den Inka, selber mit ihnen zu sprechen und ihnen seinen Entschluß und Beschluß mitzuteilen. Nun ging – so hat uns Soto berichtet – ein flüchtiges Lächeln über die ernsten Züge Atahuallpas, und er ließ sich herab, zu sagen: »Meldet eurem Häuptling, daß ich dermalen Fasten halte, welche morgen zu Ende gehen. Dann werde ich ihn mit meinen Häuptlingen besuchen. Inzwischen aber möge er in dem Staatsgebäude an dem öffentlichen Platz in der Stadt Quartier nehmen. Was weiter geschehen soll, werde ich befehlen.«
Soto, der einen Andalusier ritt, dessen Feuer die Strapazen des Andesübergangs nicht zu schwächen vermocht hatten, bemerkte, daß der Inka das schöne Tier, das ihm wie ein Wunder vorkommen mußte, aufmerksam, aber ruhig betrachtete. Da ließ der Ritter dem Renner die Zügel schießen, beschrieb in vollem Laufe ein paar Kreise auf dem Wiesenplan vor dem Hofraum, kam dann pfeilschnell zurück und hielt sein Roß so plötzlich und so dicht vor Atahuallpa an, daß es sich auf die Hinterfüße setzte und den Schaum seines Gebisses umherspritzte. Der Inka behauptete auch hierbei seine würdevolle Fassung, aber etliche seiner Offiziere wichen entsetzt zurück. Ihr Gebieter soll sie, wie die Spanier aussagten, um solcher Feigheit willen noch am Abend desselben Tages haben hinrichten lassen …
»Was weiter geschehen soll, werde ich befehlen« – hatte der Inka gesagt. Lag in dieser Äußerung souveränen Machtbewußtseins eine Drohung? Sollte es etwa heißen: »Trotz alledem besitze ich die Mittel, euch Blaßgesichter mitsamt eurem Blitz und Donner, mitsamt euren vierfüßigen Schlangen zu erdrücken, sobald es mir beliebt!?« Nahm es Pizarro so?
Wie er es nahm, weiß man nicht; daß er aber handelte, als hätte er es so genommen, weiß man. Kamen doch seine beiden Boten trotz des berauschenden Chikatrankes, der ihnen auf Befehl Atahuallpas durch schöne Odalisken in großen Goldpokalen kredenzt worden war, mit sehr gemischten Eindrücken aus dem Lager des Inkas nach Kaxamalka zurück. Was sie da gesehen hatten und was sie ihren Gefährten berichteten, imponierte den Spaniern nicht wenig, und als die Nacht gekommen war und die zahllosen Lagerfeuer der peruanischen Krieger von den Berghalden herableuchteten – »so dicht wie die Sterne am Himmel«, meldet uns einer der Augenzeugen –, da sank diesem in tausend Gefahren hartgegerbten »Heldengesindel« der Mut.
Einer jedoch war darunter, dem blieb der Mut oben, Pizarro selbst, der inzwischen seine Leute in dem großen kasernenartigen Gebäude untergebracht hatte, das den Marktplatz der Stadt von drei Seiten einfaßte. Dieses Bauwerk bestand eigentlich nur aus weiten Säulenhallen, die sich gegen den Platz hin auftaten und diesen zu einem geschlossenen Hofraum machten, indem die vierte Seite durch eine hohe, in der Mitte mit einem großen wohlbefestigten Tore versehene Mauer abgeschlossen wurde. Die Beschaffenheit seines Quartiers half zweifelsohne Pizarros Plan mitbestimmen.
Denn der Mann hatte einen Plan, einen verzweifelten, auf Sieg oder Untergang gestellten Plan, einen Plan, welcher mit ebenso fester Hand ausgeführt wurde, wie er mit festem Geiste entworfen worden war. Nachdem er am Abend des 15. November mittels einer seiner bündigen, von Energie schwellenden Anreden seiner ganzen Schar zu Gemüte geführt hatte, daß es jetzt gelte, für den heiligen katholischen Glauben gegen die Heiden einen großen Schlag zu tun, der schlechterdings getan werden müßte, so sie nicht alle schmählich zugrunde gehen wollten, versammelte er seine Offiziere zu einem Kriegsrat, setzte ihnen klar und bestimmt auseinander, was er vorhätte, was morgen getan und wie es getan werden sollte, und wies jedem seine Stelle und seine Rolle an. Dann entließ er sie, machte die Runde in dem ganzen Quartier, prüfte die getroffenen Verteidigungsanstalten, besichtigte die Wachtposten und legte sich endlich schlafen mit der Gefaßtheit eines Mannes, welcher wußte, daß er morgen zu dieser Stunde der Herr von Peru oder aber tot sein würde.
Aus wolkenlosem Himmelsblau blickte am Morgen des 16. Novembers 1532 die Gottheit Perus in strahlender Majestät auf ihr Land herab. Sie sollte es an diesem Tage zum letzten Male in der Hand und Gewalt ihrer Kinder sehen.
Draußen im Lager des Inkas war frühzeitig große Regung und Bewegung. Aber frühzeitiger noch riefen Trompetenstöße die Spanier in ihrem Quartier aus dem Schlafe und unter die Waffen. Der Konquistador erschien gepanzert und in voller Waffentracht. Ebenso seine Offiziere und seine sämtlichen Gefährten bis zum letzten Soldaten herab. Ein reichliches Frühmahl wurde eingenommen. Dann zelebrierte Pizarros Feldpater an einem im Hofraum improvisierten Altar eine Messe und stimmte zum Schlusse das » Exsurge, Domine!« an, in welches die ganze fromme Räuberbande höchst andächtig einstimmte. Hierauf ordnete der Führer, was noch zu ordnen war. Den Don Pedro de Kandia ließ er mit etlicher Mannschaft die zinnenbekrönte Mauer, in welcher die große Pforte eingelassen war, besetzen, und hier wurde auch das »Geschütz«, das heißt die beiden kleinen Feldschlangen, aufgepflanzt. Innerhalb der um den Platz herlaufenden Säulenhalle stellte er auf dem rechten und dem linken Flügel in zwei von seinem Bruder und De Soto befehligten Trupps seine Reiter auf, im Mittelflügel sein Fußvolk, mit Ausnahme von zwanzig auserlesenen Leuten, die er unter seiner unmittelbaren Führung behielt. Sämtliche Mannschaften hatten den Befehl, gefechtsbereit zu sein, und ihre Offiziere erhielten die letzten Losungen von dem General.
Der höchste Einsatz war gemacht, und die Schicksalswürfel rollten in der Urne, das heißt, der Konquistador stand auf dem Sprunge, alles zu wagen, um alles zu gewinnen. Von seinem Rechte dazu war der Mann vollständig überzeugt. Diese Spanier des 16. Jahrhunderts nahmen den berühmten Satz, welchen nachmals der größte Denker des 17. Jahrhunderts theoretisch aufstellte, den Satz: »Jeder hat gerade soviel Recht, als er Macht hat« – überall praktisch vorweg.
Die Eroberer von Peru haben später, um ihr schnödes Spiel zu rechtfertigen, die Behauptung ausgehen lassen, sie hätten nur das Prävenire gespielt, indem sie dem Inka antaten, was er ihnen anzutun beabsichtigt hatte. Diesen Vorwand zu widerlegen lohnt sich nicht der Mühe. Es ist ja nicht ein Schatten von Beweis dafür beigebracht worden. Tatsache dagegen ist, daß Atahuallpa arglos und vertrauensvoll in die ihm gestellte Falle ging. Er hatte offenbar gar keine Ahnung von dem wirklichen Charakter der blaßgesichtigen Fremdlinge. Er war gänzlich unvermögend, den Verrat sich vorzustellen, den seine Gäste gegen ihn im Schilde führten. Dies beweist zweierlei: die Superiorität der Spanier an Intelligenz und Tatkraft und die Superiorität der Peruaner an Moral. Seumes Hurone hätte hier mit vollem Rechte sagen können: »Seht, wir Wilden sind doch beßre Menschen!« Aber das hatte hier wie überall, wenig oder nichts zu bedeuten. Die arme Moral, in der physischen Welt eine unbekannte Größe, ist auch in der sogenannten »moralischen« nur das immer gesuchte, aber nie gefundene X. Die wahre und wirkliche Moral der Weltgeschichte ist bekanntlich der Erfolg, vor welchem ja die Menschen in ihrer unergründlichen Niedertracht allzeit die Knie gebeugt haben. Aber – im Sinne Spinozas zu sprechen – der Erfolg ist das Recht gerade so lange, bis ein anderer Erfolg noch rechtmäßiger, das heißt erfolgreicher über ihn kommt, ihn wegwischt und sich auf seinen Platz stellt. Das ist allerdings sehr »unmoralisch«, aber es ist eine historische Wahrheit, ebenso unwiderleglich wie irgend eine mathematische Wahrheit …
Der Inka hatte morgens die Botschaft gesandt, daß er den gestern angekündigten Besuch im Quartier der Spanier in Wehr und Waffen an der Spitze seiner Krieger abstatten werde. Quer das! Aber es ließ sich nichts dagegen machen oder auch nur sagen. Wirklich meldeten die spanischen Vedetten bald, daß sich das peruanische Heer gesammelt und gegen die Stadt in Bewegung gesetzt habe. Aber – zu Pizarros nicht kleiner Erleichterung – machte der Inka mit seiner Armee auf der großen Prärie vor der Stadt Halt und sandte die Meldung herein, er werde nur mit einem nicht gar großen und unbewaffneten Gefolge kommen.
Und so kam er nachmittags. Als die Prozession – denn eine solche war es, nicht ein kriegerischer Zug – die Stadt betreten hatte und zu dem Quartier der Spanier sich heranbewegte, erstaunten die Schildwachen über die bunte Pracht des etliche Tausende zählenden kaiserlichen Hofstaats, dessen einzelne Abteilungen in ganz weißen oder in weiß und rot gewürfelten Festkleidern einhergingen. Die Schar der Leibtrabanten war himmelblau gekleidet, sie trug reichen Goldschmuck und führte silberne Keulen. Sonst sah man keine Waffen. Die Mitglieder des Inkaadels waren an ihren prächtigen, bis auf die Schultern herabreichenden Ohrgehängen erkennbar. Inmitten des Gefolges schwebte über den Köpfen desselben die von Edelleuten getragene Sänfte des Inkas. Das Gestell war mit Goldplatten belegt und mit den glänzenden Federn tropischer Vögel verziert. Darauf ruhte der Thronsitz Atahuallpas aus gediegenem Golde. Der Anzug des Herrschers blitzte von Gold und Edelsteinen. Er hatte eine Halskette von herrlichen Smaragden angetan, in seinen Haaren waren kostbare Steine befestigt, und die Fransen der roten Borla fielen über seine Stirn herab. Seine Haltung war würdevoll, sein Blick ruhig. Die schon dicht über ihm hängende Verhängniswolke warf nicht den leisesten Schatten auf seine Züge.
Wie die Augen der in den Säulenhallen lauernden spanischen Christen vor Begier gefunkelt haben mögen, als sie beim Hereinschwenken des Zuges auf den großen Hofraum alle diese heidnische Pracht erblickten!
Spanischer Aussage zufolge ordnete sich die Menge des kaiserlichen Geleits mit bewundernswerter Raschheit und Genauigkeit auf dem freien Platze, auf welchem zunächst nicht ein Spanier zu sehen war. In der Mitte des Hofes angelangt, machte Atahuallpa Halt, blickte suchend umher und fragte: »Wo sind die Fremden?«
Als hätte er ein Stichwort gesagt, begann jetzt sofort das Verratspiel, in welchem charakteristischerweise ein Priester mit der »Exposition« betraut war. Als Dank und Lohn hat er nachmals den Bischofsstab von Kuzko erhalten.
Der Padre Vicente de Valverde, ein Dominikaner und Pizarros Feldprediger, trat in seiner weißen Kutte vor, das Kruzifix in der Rechten, das Brevier in der Linken, näherte sich dem Thronsessel des Inkas und erklärte ihm unter Vermittlung Felipillos, die Spanier seien nach Peru gekommen, um dieses Land zum wahren Glauben zu bekehren. Und rüstig ging der eifrige Mönch sofort daran, das Bekehrungswerk an dem Inka selber vorzunehmen, und er hub an die schwierige Lehre von der christlichen Dreieinigkeit, weiterhin die ebenfalls nicht so ganz leicht begreiflichen Dogmen vom Sündenfall des Menschen und von der Erlösung durch Jesus Christus auseinanderzusetzen. Hierauf sprach er von des Heilands Kreuzigung, Tod, Auferstehung und Himmelfahrt und wie der Apostel Petrus zum Statthalter Christi auf Erden bestellt worden und wie die Nachfolger Petri, die Päpste, die Obergewalt über den ganzen Erdkreis besäßen. Dies alles war die solide Basis für des Mönches Schlußapostrophe, nämlich: »Der Papst hat dem Kaiser Karl V. den Auftrag erteilt, die Bewohner der Neuen Welt zu unterwerfen und zu bekehren. Zu diesem Zwecke sind wir da. Demnach kann der Inka von Peru nichts Besseres tun, als sich schleunigst zu dem ihm soeben vorgetragenen Christentum zu bekehren und sich nebenbei als treugehorsamer Vasall seinem Oberherrn, besagtem Kaiser Karl, zu unterwerfen.«
Bei diesem Vortrag des guten Padre mag dem armen Atahuallpa geworden sein, wie dem wohlbekannten Schüler in Goethes Faust bei dem immerhin beträchtlich verständlicheren Vortrag Mephistos wurde: dumm, sehr dumm. Indessen scheint der Inka, wenn auch nicht sämtliche Prämissen des Dominikaners, doch aber die praktischen Schlußfolgerungen ganz gut begriffen zu haben. Man merkte, daß während der Predigt des Mönches die Züge des Herrschers von Peru mehr und mehr sich verfinsterten. Jetzt, nachdem der Padre ausgesalbt hatte, brach er los:
»Wie, ich, der ich größer als irgend ein anderer Monarch, sollte einem Menschen mich unterwerfen? Nimmer! Und der, den ihr den Papst nennt, muß ein Wahnsinniger sein; denn wie könnte er sonst über Länder verfügen wollen, die ihm gar nicht gehören? Meine Religion aber, warum sollte ich sie mit einer anderen vertauschen? Ihr sagt, euer Gott sei von denselbigen Menschen, die er geschaffen habe, umgebracht worden. Nun wohl, mein Gott« – und dabei wies der Sprechende auf den abendlich-prächtig am Firmament hinabsinkenden Sonnenball – »mein Gott lebt da droben und wirft segnende Blicke auf seine Kinder herab. Im übrigen, Fremdling, wer oder was gibt dir Berechtigung und Vollmacht, so, wie du getan, zu mir, dem Herrscher dieses Landes, zu sprechen?«
Padre Vicente sah etwas verblüfft aus und wußte zur Antwort nur auf sein Brevier zu weisen. Der Inka nahm ihm, von seinem Thronstuhl sich herabbeugend, das Buch aus der Hand und schlug die Blätter um, als wolle er darin eine Erklärung aller dieser wunderlichen Dinge suchen. Als aber das Brevier stumm blieb, warf er es, plötzlich in Jähzorn ausbrechend, verächtlich zu Boden und rief dem Mönche zu: »Sag' deinen Landsleuten, daß ich sie für alles, was sie in diesem Lande getan, zur Rechenschaft ziehen werde.«
Ob Atahuallpa wirklich so drohend gesprochen hat? Wir besitzen hierfür eben nur das sehr zweifelhafte Zeugnis der Spanier. Freilich, die dem Inka widerfahrene Zumutung war unverschämt genug, auch einen weit weniger stolzen Mann mit Groll und Zorn zu erfüllen.
Der Mönch, seinerseits über diesen Ausgang seines Bekehrungsversuchs nicht wenig entrüstet, raffte sein Brevier auf, lief eilends in die Säulenhalle, wo Pizarro seinen Stand genommen hatte, und rief dem Konquistador zu: »Seht Ihr denn nicht, daß sich rings die Felder mit roten Heiden füllen, während wir an diesen hochmütigen Hund Lunge und Zunge verschwenden? Greift an! Greift an! Ich absolvier' Euch.«
Also aus Priestermund der Verdienstlichkeit seines Werkes versichert, trat Pizarro aus der Halle auf den Platz und schwenkte ein weißes Tuch in die Luft.
Das war das Mordsignal. Alsbald wurden die beiden Feldschlangen, und so viel der Arkebusen die Spanier hatten, abgefeuert; die Trompeten ertönten; die ganze Bande, Reiterei und Fußvolk, brach mit einmal aus den Hallen auf den Platz hervor und warf sich von drei Seiten her mit dem nationalen Schlachtruf »San Jago!« wütend auf die arg- und waffenlosen Peruaner.
Der Überfall gelang vollständig. Schrecken und Entsetzen fielen auf die überfallene Menschenmenge, wie der Lämmergeier auf ein Mutterlamm fällt. Nichts von Widerstand, nicht ein einziger Anlauf dazu. Alles, was die armen Menschen wagten, war dies, daß sie in dem schrecklichen Gemetzel, welches bald den Platz mit Leichenhaufen bedeckte, die geheiligte Person ihres Inkas mit rührender Hingebung und edler Selbstopferung zu schützen suchten. Die peruanischen Edelleute drängten sich scharenweise den anstürmenden spanischen Reitern entgegen und boten, einen Wall um den Tragsessel Atahuallpas bildend, die Brust den Mordschwertern dar. Wiederholt erneuerte sich dieser Wall. Umsonst! Reihe nach Reihe wurde von den mordwütigen Spaniern niedergehauen – endlich auch die Sänfteträger; der Thronsessel stürzte zu Boden, der Inka mit ihm, und er wäre wohl erschlagen worden, wenn nicht Pizarro das Gewühl durchbrochen und sich nicht mit erhobenen Armen schützend vor Atahuallpa gestellt hätte. Ein gefangener Inka galt zur Zeit dem Konquistador viel mehr als ein getöteter.
Nach also zuwege gebrachter Gefangennahme des Sonnensohns hörte das Blutbad noch nicht auf. Es verbreitete sich in die Stadt und auf die Felder ringsum. Die Kunde, daß der Inka ein Gefangener der fremden Blaßgesichter sei, vermehrte noch die Panik. Das ganze peruanische Heer zerstob in alle Winde. Tavantinsuyu war nur noch ein Mann, dem man das Haupt abgeschlagen hatte, ein langsam verblutender, willen- und regloser Rumpf.
Die Zählung der Erschlagenen schwankt zwischen zweitausend und zehntausend. Daß gar kein aktiver Widerstand geleistet worden, erhellt aus dieser Tatsache: kein Spanier hatte auch nur eine Ritze, geschweige eine Wunde davongetragen, mit Ausnahme des Generals, der, zum Schutze des zu Boden gestürzten Inkas herbeieilend, im Gedränge durch das Schwert eines seiner Miträuber leicht an der Hand verwundet worden war.
Atahuallpa setzte seinem furchtbaren Geschick den Stoizismus seiner Rasse entgegen. Er fand sich, haben seine Verderber ausgesagt, sofort in seine neue Lage. In seinem Gebaren gegen seine Untertanen stets die feierliche Würde eines stolzen und strengen Gebieters herauskehrend, sei er gegen die Spanier leutselig gewesen und habe sich sogar mitunter zu scherzhaften Äußerungen herabgelassen. Am Abend des Bluttages mit Pizarro zu Tische sitzend, habe er seine Bewunderung der Geschicklichkeit und Energie, womit die Spanier sich seiner Person bemächtigt hätten, nicht verhehlt und habe geschlossen mit dem Resignationsworte: »So geht es im Kriege zu, siegen oder besiegt werden ( que era usa de guerra, vencer i ser vencido).«
Selbstverständlich unterließ der Konquistador nicht, dem dreieinigen Gotte und der Himmelskönigin Maria – den Schutzheiligen Spaniens, San Jago, auch nicht zu vergessen – feierliche Dankgebete darzubringen. Hierauf richtete er sich in Kaxamalka ganz als Sieger und Gebieter ein und ließ die Stadt, sowie die Villa des gefangenen Inkas plündern. Die dort gemachte Beute an Edelsteinen – insbesondere schöne Smaragde – Gold und Silber in Form prächtigen Tafelgeräts reizte natürlich den Golddurst der frommen Eroberer nur noch mehr. Inbetreff seines kaiserlichen Gefangenen waren die Absichten des Generals noch unbestimmt. Da er aber wahrnahm, was für ein kostbares, die unbedingte Unterwürfigkeit der Peruaner verbürgendes Pfand in der Person Atahuallpas sich in seiner Gewalt befand, so gab er sich Mühe, den Gefangenen vorerst bei guter Laune zu erhalten. Soweit die Vorschriften einer strengen Bewachung es gestatteten, durfte der Inka seinen Hofstaat und seinen Harem bei sich haben, und in den Augen seiner Untertanen wurde seine unumschränkte Autorität durch seine Gefangenschaft nicht im geringsten beeinträchtigt. Für die Peruaner war und blieb auch der gefangene Atahuallpa der abgöttisch zu verehrende und verehrte Sonnensohn. Hätte dieser ihnen befohlen, den Spaniern bis zum äußersten den Krieg zu machen, sie würden zweifelsohne nicht gezaudert haben, Gut und Blut in diesem Kampfe aufzuwenden. Allein ein solcher Befehl erging nicht an sie, da der Inka sehr wohl wußte, daß er sich durch einen solchen Befehl das Todesurteil sprechen würde.
Während Pizarro auf Verstärkungen von der Seeküste her wartete, gefiel er sich darin, er, dessen Herz von der Härte eines Mühlsteins war, gegenüber seinem Gefangenen den süßchristlichen Bekehrer zu spielen. Dabei wiederholte er fortwährend, er und seine Leute seien nur in dieses Land gekommen, um die heilige Religion Jesu Christi zu verkündigen, und es sei daher nur recht und billig, daß sie unter dem sichtbaren Schutz und Beistand Gottes, der allerseligsten Jungfrau und sämtlicher Heiligen den Sieg davongetragen hätten. Der gefangene Inka schwieg zu dieser süßlichen Frömmigkeit. Er merkte ja unschwer, was dahinter steckte. War es ihm doch binnen kurzem klar geworden, daß seine Besieger alle die Götter und Göttinnen der christ-katholischen Mythologie im Himmel mit großer Devotion verehrten, auf Erden aber nur einen Gott anbeteten, den Goldteufel. Bei dieser ihrer tatsächlichen Religion beschloß er sie zu fassen, indem er sich der Illusion hingab, mittels Stillung des spanischen Golddurstes seine Freiheit wiederzuerlangen. Dieser arme blinde Heide war so töricht-ehrlich, Wort- und Vertragstreue auch bei den frommen Christen vorauszusetzen. Als ob Söhne der alleinseligmachenden Mutter in die schnöde Ketzerei verfallen dürften, Ketzern und Heiden Wort zu halten!
Eines Tages, als Pizarro mit mehreren seiner Offiziere bei dem Inka war, nahm dieser das Wort und erbot sich, als Preis seiner Freilassung so viel Gold zu geben, daß der ganze Boden des Gemaches damit bedeckt werden könnte. Die Spanier nahmen das für Großsprecherei und sagten nichts dazu, lächelten aber ungläubig. Gereizt durch dieses Lächeln, stellte Atahuallpa sich auf die Zehen, erhob den Arm, bezeichnet mit der Hand eine Stelle an der Zimmerwand und sagte nachdrücklich: »So hoch, bis hierher will ich das Gemach mit Gold füllen, so ihr mich freigebt.«
Da hat der Goldteufel hellauf in den Spaniern gelacht.
Man kann doch immerhin die Probe machen, ob das Märchenhafte wahr und wirklich sein könnte, dachte der Konquistador und erklärte, das Anerbieten des Inkas annehmen zu wollen. Sofort ließ er auch den von Atahuallpa vorgeschlagenen Vertrag urkundlich aufsetzen.
Das Zimmer war nach der niedrigsten Angabe 22 Fuß lang und 17 Fuß breit – nach der höchsten 35 Fuß lang und 18 Fuß breit. Die mittels eines roten Striches rings an den Wänden markierte Linie befand sich 9 Fuß über dem Fußboden. Dieser ganze Raum sollte mit Gold ausgefüllt werden, doch müßte es nicht zu Barren geschmolzen sein, sondern dürfte die Formen behalten, zu welchen es verarbeitet war. Der Inka ging auch noch die Verpflichtung ein, ein anstoßendes, etwas kleineres Gelaß auf gleiche Weise mit Silber zu füllen, und zwar zweimal. Binnen zwei Monaten sollte dieser ungeheure Gold- und Silberschatz beigebracht sein.
Und er ward auf- und beigebracht, nachdem der Inka seine Befehle hatte ins Land ausgehen lassen. Von allen Seiten wurden schwere Lasten von Gold- und Silbergeräten herbeigeschleppt. Oft gingen an einem Tage solche im Werte von vierzig- bis sechzigtausend Pesos de Oro (Goldtaler) ein. Von Kuzko allein kamen zweihundert Kargas (Lasten) Goldes. Mußte doch der Korikancha in der Hauptstadt eines Teiles seiner kolossalen Reichtümer sich entäußern, um das Lösegeld für den Sonnensohn zu vervollständigen; siebenhundert Goldplatten wurden von dem Dache und den Wänden des Nationaltempels abgelöst.
Zwischenhinein spielte eine tragische Episode. Der von seinem Bruder in einer Festung eingetürmte Prinz Huaskar hatte die Kunde von dem, was in Kaxamalka geschehen, vernommen. Es schien ihm dienlich, seine Freiheit, vielleicht gar die Inka-Borla wieder zu erlangen. Er wußte Mittel und Wege zu finden, an Pizarro eine Botschaft gelangen zu lassen, des Inhalts, er, Huaskar, sei erbötig, für seine Befreiung den Spaniern ein noch größeres Lösegeld zu bezahlen, als das ihnen von Atahuallpa gebotene; denn dieser, welcher niemals in Kuzko gelebt hätte, wüßte ja gar nicht, was für Schätze die Hauptstadt berge.
Der Konquistador erkannte sofort, daß sich aus dem Streithandel zwischen den beiden feindlichen Brüdern allerhand Vorteile ziehen ließen, und teilte seinem Gefangenen mit, er beabsichtige, den Prinzen Huaskar nach Kaxamalka bringen zu lassen, um hier den Thronstreit zu untersuchen und zu entscheiden. Allein diesmal kam Atahuallpa ihm zuvor. In Vollstreckung insgeheim von dem Inka abgesandter Befehle wurde der arme Huaskar, der rechtmäßige Erbe von Peru, im Flusse Andamarka ertränkt. Pizarro empfand diesen Todesfall als den Verlust einer schweren Trumpfkarte im Spiele seiner Politik, allein sein Verdruß ward ihm versüßt durch den großen Glücksfall, daß sein Mitbegründer Almagro zu Ende Dezember von 1532 mit drei Schiffen an der Küste nahe bei San Miguel landete und sodann Mitte Februar 1533 mit einer tüchtigen und wohlgerüsteten Verstärkungsmannschaft von hundertfünfzig Fußgängern und fünfzig Reitern in Kaxamalka einrückte.
Der gefangene Inka freilich konnte in den neuen Ankömmlingen nur zweihundert Land-, Leute- und Goldräuber mehr erblicken. Seine Stimmung verdüsterte sich überhaupt mehr und mehr. Ein Komet erschien am Himmel, und einer der Wächter zeigte dem Gefangenen das Meteor. Er sah es lange an und sagte dann kummervoll: »Ein solcher Stern ist auch kurz vor dem Tode meines Vaters Huayna Kapak am Himmel aufgegangen.«
Die Erfüllung der düsteren Ahnungen des brudermörderischen Gefangenen ließ nicht lange auf sich warten. Schon war die Nemesis hinter ihm her, aber wie so oft, gefiel es ihr auch diesmal, ein Verbrechen mittels eines andern zu bestrafen.
Pizarros Bande vermochte die Gier, die ungeheure Beute, die sich tagtäglich vor ihren Augen mehr und mehr aufhäufte, unter sich zu teilen, nicht mehr länger zu bezähmen. Sie schrie laut nach Teilung, und der Konquistador mußte sich herbeilassen, der »öffentlichen Meinung«, der »Volkstimme-Gottesstimme« zu entsprechen. Eine Schar von peruanischen Gold- und Silberschmieden wurde demnach befehligt, die Werke ihrer Kunst zu zerstören und alles das eingelieferte Gerät von Edelmetall zu Barren zu schmelzen. Ausgenommen von dieser Einschmelzung wurden nur Gegenstände von hunderttausend Dukaten im Werte, welche für die Krone Spaniens bestimmt waren und welche Pizarros Bruder dem Kaiser Karl überbringen sollte. Es waren darunter wirkliche Kunstwerke, besonders schön geformte und zierlich ziselierte Vasen von reinstem Golde, sowie ein Springbrunnen, der aus silbernem Becken einen funkelnden Goldstrahl in die Höhe trieb und an dessen Rand aus Gold und Silber kunstvoll geformte Vögel spielten. Nach monatelanger, Tag und Nacht währender Schmelzarbeit lag der Schatz, in Barren verwandelt, zur Teilung bereit, an Wert auf 1 326 539 Goldtaler geschätzt, was in Berücksichtigung des weit höheren Goldwertes von damals nach heutigem Geldwerte mindestens 4 Millionen Pfund Sterling oder 100 Millionen Franken betragen würde. Da hierzu das Silber noch nicht gerechnet war, so darf wohl behauptet werden, daß eine solche Beute an Barschaft zum zweitenmal nie und nirgends vorgekommen sei. Der Hauptmann der Bande vergaß selbstverständlich bei der Teilung sich selber keineswegs; er empfing als seinen Anteil 57 222 Pesos de Oro, 2350 Mark Silber und den auf 25 000 Goldtaler geschätzten Goldthron des Inkas. Die Offiziere erhielten je nach Graden und Dienstleistungen jeder bis zu 30 000 Goldtaler, von den Reitern durchschnittlich jeder 8000 Goldtaler, von den Fußgängern jeder 4000 Goldtaler.
Aber sie schrien nach mehr und verlangten nach Kuzko zu marschieren, weil sie von dem Goldreichtum der Hauptstadt ganz fabelhafte Vorstellungen sich gebildet hatten. Pizarro war um so geneigter, den Marsch auf Kuzko anzutreten, als ihm längst klar geworden war, daß nur der Besitz der heiligen Stadt ihm die unbedingte Herrschaft über ganz Peru geben und sichern würde. Aber sollte man den gefangenen Inka mit dorthin schleppen? Was sollte man überhaupt mit dem Entthronten anfangen, der nachgerade ein recht unbequemer Gegenstand geworden war? Zumal Atahuallpa jetzt, nach Leistung seines Lösegelds, auf die Erfüllung des Vertrages, das heißt auf seine Freilassung drang. Der arme Illusionär! Pizarro hätte nicht sein müssen, der er war, so ihm auch nur im Traum eingefallen wäre, in die Forderung seines Gefangenen zu willigen. Den Inka freilassen? Das hieß ja das ganze Perugeschäft wieder in Frage stellen. Nimmermehr! Aber dieser rothäutige Heide ist doch eine sehr lästige Bürde, die wir nicht länger mit uns herumschleppen können. Zudem, solange der Inka am Leben, sind tausend Zufälle denkbar, daß er uns entwischte und wir sodann die ganze Eroberungsarbeit wieder von vorn anheben müßten. Summa: Die Toten beißen nicht und kommen nicht wieder.
Nun will aber bekanntlich alles seine Form, seine Farbe und seinen Firnis haben. Das Schlechteste, Böseste, Ruchloseste zumal ist häufig darauf versessen, sich recht anständig herauszuputzen. Kleider machen zwar keine Menschen, aber doch Leute. Laßt uns also, kalkulierten Pizarro und Komp., auf einen anständigen Vorwand sinnen, den Inka in aller Form abzutun.
»Alles schon dagewesen.« Wenn die Bonaparte, der vorgebliche Onkel wie der angebliche Neffe, komplottierten, so haben sie, wie jedermann weiß, immer ein erfabeltes, angeblich gegen die Sicherheit des Staates gerichtetes Komplott als eine spanische Wand vor ihr eigenes und wirkliches hingestellt. Diese Kunst übte auch der Eroberer von Peru aus. Plötzlich rumorte es demzufolge unter den Spaniern: Wir sind von dem nahen Ausbruch einer großen, von dem gefangenen Inka heimlich angestifteten Verschwörung der Eingeborenen bedroht. Machen wir es kurz mit dem verräterischen Heiden: zum Tode mit ihm!
Nicht verschwiegen darf werden, daß zur Erregung solchen Argwohns und Hasses gegen Atahuallpa ein Peruaner sehr viel beigetragen hat, das Philippchen, der Dolmetsch, ein boshaftes Kerlchen, das von seiner Wichtigkeit ungeheuer aufgeblasen war und sich erfrecht hatte, mit einer der Haremsdamen des Inkas eine Liebschaft anzuspinnen. Als er mit seiner Schönen betroffen und die Sache dem gefangenen Sonnensohn zu Ohren gebracht wurde, empfand es Atahuallpa als einen ungeheuren ihm angetanen Schimpf. Er beschwerte sich bitter bei dem Konquistador und äußerte: »Nach peruanischem Gesetze kann ein solcher Frevel nur durch den Tod des Verbrechers und seiner ganzen Familie gesühnt werden.« Allein die Spanier sahen dieses Vorkommnis spanisch und nicht peruanisch an. Der Felipillo war ihnen unentbehrlich und außerdem, hm, warum etwas so tragisch nehmen oder gar mit dem Tode bestrafen wollen, was viele unter uns, die wir doch gute Christen sind, ebenfalls getan haben? … Der ganze Erfolg von Atahuallpas Beschwerde war also dieser, daß das unentbehrliche Philippchen aus Rachsucht den Lügenbalg von Verschwörung zu einem Ungeheuer aufblies, das die Spanier samt und sonders zu verschlingen drohte.
Wie prächtig sich das machte! Nun konnte man spanischerseits die gekränkte Unschuld, konnte man den Verratenen, Gefährdeten, Bedrohten spielen, konnte man »von Rechts wegen« gegen den Inka vorgehen, konnte man das schamloseste Possenspiel von Gerichtsprozedur in den anständigsten Formen in Szene gehen lassen.
Und so tat man. Die Räuberbande, die dem Herrn von Peru Thron und Reich gestohlen hatte, sie stahl ihm nun auch das Leben. Ein förmlicher Kriminalprozeß wurde gegen den unglücklichen Mann angestrengt. Die Anklageakte, ein Meisterstück von Stupidität und Frechheit, brachte zwölf Beschuldigungen vor, unter anderen diese: Der weiland Inka hat einen Harem gehabt, folglich ist er des Ehebruchs schuldig; er ist ein notorischer Heide und Götzendiener; er hat auch noch nach der Ankunft der Spanier die Einkünfte des Landes verschwendet. Als Hauptbezichtigungstrumpf wurde schließlich das Verschwörungsphantom ausgespielt. Pizarro und Almagro saßen der Spottgeburt von Tribunal vor, das den Angeklagten natürlich schuldig fand. Das Urteil lautete: »Atahuallpa soll auf dem Marktplatz von Kaxamalka lebendig verbrannt werden.« Ein Priester der »Religion der Liebe« sagte, damit das i sein Tüpfelchen erhielte, zu diesem grotesken Urteil Ja und Amen: Padre Valverde erklärte ausdrücklich, daß seines Erachtens der Inka »jedenfalls« den Tod verdient habe. Tröstlich ist es aber, zu hören, daß sich unter allen diesen frommen Schuften doch etliche Menschen befunden haben; denn einige, freilich nur einige wenige Mitglieder des »Gerichtshofs« protestierten gegen das Urteil und verwarfen das ganze Verfahren als unrechtmäßig und unzulässig. Natürlich hatte dieser Protest das Schicksal aller Minderheitsproteste. Der einzige wirkliche Gentleman in der Erobererbande, Hernando de Soto, war auf einem Streifzuge abwesend. Er hat nachmals den höchsten Unwillen über die Hinmordung Atahuallpas geäußert.
Man quälte den verlorenen Mann dann auch noch mit Bekehrungszumutungen und brachte ihn dazu, sich taufen zu lassen, als er schon auf den Scheiterhaufen geschleppt und an den Todespfahl gebunden war. Man brachte ihn dazu mittels des Versprechens, daß er, so er sich noch im Handumdrehen »bekehrte«, nicht lebendig verbrannt, sondern nur mittels der »Garrotte« erdrosselt und nachmals eingeäschert werden sollte.
Das geschah denn am 29. August 1533 auf dem Platze von Kaxamalka, und so starb auf Anordnung eines weiland spanischen Schweinehirten der letzte Inka von Peru, der letzte Sonnensohn.
Er ist bei seinem Tode etwa dreißig Jahre alt gewesen, ein Mann von schöner Gestalt, ausdrucksvollen Zügen und gebieterischer Haltung. Die Spanier haben ihn aus begreiflichen Gründen als eine Art Teufel verschrien. Doch gab es später mehrere, die anerkannten, daß Atahuallpa gescheit, kühn, tapfer, edelherzig und freigebig gewesen sei. Gewiß ist, daß er geliebt worden: nach seiner Ermordung gaben sich mehrere seiner Frauen den Tod, um, wie sie hofften, ihre Seele mit der ihres geliebten Herrn in der Sonne zu vereinigen.
Am 15. November 1533 zog der Konquistador in Kuzko ein, und jetzt schien die Eroberung von ganz Peru eine vollendete Tatsache zu sein. In der Hauptstadt machten die Spanier abermals eine ungeheure Beute, so daß bei der Teilung jedem Reiter 6000, jedem Fußgänger 3000 Goldtaler zufielen. Dem Reitersmann Mancio Serra wurde als sein Anteil das große, schön gearbeitete, massiv goldene Bild der Sonne zugeteilt, das im Korikancha über dem Opferaltar gehangen hatte. Er verspielte es in einer Nacht, woher das spanische Sprichwort: » Juega el sol antes que amanezca« (Die Sonne verspielen, bevor sie aufgegangen).
Symbolisiert diese Spielgeschichte nicht sozusagen die gesamte Geschichte der spanischen Konquista in der Neuen Welt? War diese Konquista nicht von A bis Z ein verwegenes, leidenschaftliches Hasardspiel? Und dennoch, wie sehr man vom Standpunkt der Moral aus die ganze transatlantische Kolonisationsweise der Spanier in Amerika verurteilen mag und muß, gebührt ihr die Anerkennung, daß sie ein kulturgeschichtliches Motiv von unberechenbarer Triebkraft und Wirksamkeit gewesen ist. Die Weltgeschichte arbeitet ja nicht mit Moral, sondern mit Notwendigkeiten und Interessen. Diese werden durch die menschlichen Leidenschaften, und zwar durch die bösen wie durch die guten, flüssig und für die große, das Dasein der Menschheit beseelende Entwicklungsidee nutzbar gemacht. Es ist so eine geschichtsgesetzliche Notwendigkeit gewesen, daß Amerika gefunden, erobert, besiedelt und die eingeborene Bewohnerschaft unterjocht und geradezu ausgerottet werden mußte, damit der Europäismus seine Kulturherrschaft über den Erdball antreten und feststellen konnte. Da half und hilft kein sentimentales Mitleid mit dem »Letzten der Mohikaner«. Schon jetzt läßt sich mit sozusagen mathematischer Bestimmtheit voraussehen, wann die rothäutige Rasse ein von der Weltgeschichte gänzlich verarbeiteter und beseitigter Völkerstoff sein wird.
Die Frevel und Greuel der spanischen Eroberung von Mittel- und Südamerika häufen sich zu einem Berge, welcher den Orizaba, den Popokatepetl, den Chimborasso überragt. Ganz recht. Aber es war doch diese spanische Kolonisationsweise, dieser grausame »Raubbau«, welche und welcher es ermöglichten, jenen gewaltigen Strom von Edelmetallen nach Europa hinüberzuleiten, der zweifelsohne eine der bedeutsamsten volkswirtschaftlichen Revolutionen zuwege brachte. Denn dieses rasche und massenhafte Zuströmen von Gold und Silber vermehrte höchst beträchtlich das europäische Kapital, das fortan der Landwirtschaft, der gewerblichen Hervorbringung und der Handelstätigkeit eine bislang nicht einmal geahnte Regsamkeit, Vielseitigkeit und Ausbreitung zu verleihen vermochte. Wie aber das dem Ansehen, der Geltung und Macht des Bürgertums, also dem eigentlichen Kulturträger der Neuzeit, zugute kommen mußte, ist klar. Es fällt auch auf und sieht sehr einem welthistorisch-mephistophelischen Sarkasmus gleich, daß die »ritterlichen«, von den Anschauungen und Stimmungen der mittelalterlich-feudalen Welt ganz erfüllten Spanier mittels ihrer Konquista in der angedeuteten Weise den Ruin des Feudalismus mitherbeiführen mußten.
Doch auch die Herren Moralisten sollen am Ende dieser Historie nicht ganz leer ausgehen. Bleibt ihnen doch der süße Trost, ihr als Nutzanwendung den Wahrspruch des unglücklichen russischen Dichters Relejew: »Gott heißt Vergeltung in der Weltgeschichte!« anhängen zu können. In Wahrheit, die von den Spaniern in der Neuen Welt begangenen Sünden sind schwer auf Spanien zurückgefallen. Denn für dieses Land sind die blendenden, die märchenhaften Erfolge seiner Söhne in Amerika mit der Zeit zweifelsohne zu großem Unheil ausgeschlagen. Das kam daher, daß Spanien, im Besitze unermeßlicher Länderstrecken jenseits des Ozeans, im Besitze der Goldlager Perus und der Silbergruben Mexikos, das moderne Evangelium der Arbeit nicht vernehmen wollte und nicht zu bedürfen glaubte.
Auch auf die Konquistadoren selbst ist die Vergeltung schwer gefallen. Am schwersten auf die von Peru. Sie haben sich in mörderischen Händeln gegenseitig aufgerieben. Fast alle vorragenden Teilhaber an dem Unternehmen gegen das Inkareich sind eines gewaltsamen Todes gestorben. So auch der zum Marques erhobene Statthalter Francisco Pizarro selbst. Am 26. Juni 1541 ist er von einer Rotte zu seinem Verderben verschworener Spanier in seinem Palast in der von ihm 1535 gegründeten Stadt Lima überfallen und niedergemacht worden.