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… πολύμητις Οδυσεύς.
Homer.
Caeruleus Proteus –
Verum, ubi conreptum manibus vinclisque tenebis,
Tum variae eludent species atque ora ferarum.
Fiet enim subito sus horridus atraque tigris
Squamosusque draco et fulva cervice leaena,
Aut acrem flammae sonitum dabit atque ita vinclis
Excidet aut in aquas tenuis dilapsus abibit.
(Der dunkelfarbige Proteus – Wahrhaftig, wenn du ihn ergreifst und mit Händen und Fesseln festhältst, dann werden verschiedene Gesichter und Antlitze von wilden Tieren hervorkommen. Er wird plötzlich ein zottiger Eber, ein schwarzer Tiger, ein schuppiger Drache oder eine Löwin mit rotgelbem Nacken werden. Oder er wird mit lautem Knistern zu einer Flamme ausbrechen und so den Fesseln entrinnen, oder er wird zerfließen und in durchsichtiges Wasser entweichen.)
Vergilius, Georg. IV, 405.
Eines Abends speiste der Duc d'Orleans, Regent von Frankreich, in Gesellschaft seiner Lieblingsmätresse, Madame de Parabère, seines Premierministers Dubois, Erzbischof von Cambray, und des schottischen Finanzschwindlers Law
Kurz zuvor hatte man in Paris diese »Grabschrift« für Law in Umlauf gesetzt: –
Ci-git cet Ecossais célèbre,
Ce calculateur sans égal
Qui, par les règles de l'algèbre,
A mis la France à l'hôpital.
(Hier ruht der berühmte Schotte, dieser Rechner ohnegleichen, der Frankreich durch die Regeln der Algebra ins Krankenhaus gebracht hat.). Seine Königliche Hoheit, der originellen und braven Pfälzerin Elisabeth Charlotte genialischer und liederlicher Sohn, betrank sich wie gewöhnlich, und als ihm beim Nachtisch ein Staatsaktenstück zur Unterzeichnung gebracht wurde, versagte dem Betrunkenen die Hand den Dienst. Er reichte das Papier Madame de Parabère hin mit der Aufforderung: »
Signe, putain!« (Unterzeichne, Hure!) Worauf die also zwar nicht sehr höflich, aber doch sehr richtig Angeredete: »Das ist nicht meine Sache!« Der Regent gab das Papier dem Erzbischöfe von Cambray und sagte: »
Signe, maquereau!« (Unterzeichne, Kuppler!) Seine Eminenz
in spe wies das Ansinnen ebenfalls zurück, und nun wollte der Duc das Papier dem Tausendkünstler Law aufdringen mit den Worten: »
Signe donc, voleur!« (Also unterzeichne du, Spitzbube!) Als aber auch der Schotte sich weigerte, unterschrieb der Herzog, so gut es eben gehen wollte, und stellte während dieser Arbeit die allerliebste Betrachtung an (»
fit cette belle réflexion«): »Das Königreich Frankreich ist vortrefflich regiert, das muß man sagen; regiert von einer Hure, einem Kuppler, einem Dieb und einem Trunkenbold.«
Da haben wir ein Kabinettstück, das die Orgie der Regentschaft malt, eine Orgie, die dem heuchlerischen Miserere der letzten Jahre Ludwigs XIV. folgte. Der gealterte Sünder war folgerichtig ein Betbruder geworden, und kaum hatte er die Augen geschlossen, als in der französischen Gesellschaft der erzwungenen Fastenzeit, deren Taktstab Gleisnerin Maintenon geführt, jener tobende Fasching folgte, dessen zuchtlosem Reigen Philipp von Orleans vorantaumelte. Es war die mit lachendem Leichtsinn vollzogene Mission dieses Prinzen, einen der Grundsteine und Eckpfeiler des von dem »großen Monarchen« aufgebauten französischen Sultanats nach dem andern zu zerstören, zu Müll zu zerreiben und das reinpersönliche Regiment, den vollendeten Absolutismus zur Karikatur, zum Hohn- und Spottbild auf dessen Wesen zu machen. Schon dadurch, daß er den verworfensten Menschen seiner Zeit, den Erzbischof und Kardinal Dubois, mit dem Zepter des Königtums hantieren ließ.
Der Regent hinterließ dem fünfzehnten Ludwig das »Ancien Régime«, die Monarchie des Urgroßvaters, als einen ungeheuren Kehrichthaufen, der sich, vom Skeptizismusscheidewasser des Jahrhunderts durch und durch getränkt, in jenes grund- und bodenlose Kotmeer der politischen Anarchie und der moralischen Pestilenz verwandelte, das man die Regierung der Pompadour und Dubarry nennt, weil von einer Selbstregierung Ludwigs XV. keine Rede sein kann
Zur Zeit, wo ich dieses schreibe, sind die »Rettungen« so sehr in der Mode, daß man nicht ansteht, selbst die anrüchigsten und abscheulichsten, auf Grund der bestimmtesten Zeugenaussagen ihrer Zeitgenossen vom Schuldigspruch der Geschichte betroffenen historischen Charaktere reinwaschen, ja sogar glorifizieren und heiligsprechen zu wollen. Rechnet man dazu, daß von in philologischen und historischen Seminaren zurechtgemachten jungen Leuten, welche klein und steril von Geist, aber groß im vorweggenommenen Professorendünkel sind, heute der Sallust, morgen der Tacitus »vernichtet« wird, so mußte man den ganzen Schwindel sehr lächerliche finden, falls er nicht eine sehr ernste Seite hätte. Die Rettungen und Vernichtungen neuester Mode sind nämlich ohne Zweifel ein Ausfluß der schönfärbenden, leisetreterischen, sammetbehandschuhten und bepatschuliten Historik, welche, um den Despoten und Dunklern der Gegenwart zu schmeicheln, die Despoten und Dunkler der Vergangenheit in möglichst milder oder gar in verklärender Beleuchtung zu zeigen sich bemüht. Es wäre daher ganz in der Ordnung, wenn auch der Pompadour und der Dubarry so ein »Retter« erstünde. In Erwartung desselben will ich meinerseits einer Forderung der Gerechtigkeit genügen, indem ich die bis ins Ungeheuerliche übertriebenen Meinungen über die Kosten, welche die beiden genannten königlichen Bettschwestern direkt für
ihre Personen Frankreich verursachten, hier gelegentlich auf das richtige Maß zurückführe, und zwar auf Grund der authentischen Dokumente, welche Le Roi in französischen Archiven aufgefunden und in seinen »
Curiosités historiques« (Paris 1864) veröffentlicht hat.
Jeanne Antoinette Poisson, von Kindheit auf und auch später als Ehefrau des Steuerpächters d'Etiolles durch ihre Mutter mit allem Fleiß vorbereitet für »
le rôle honorable auquel elle venait de parvenir«, war vom September 1745 an bis zu ihrem im April 1764 erfolgten Tode die Haupt- und Staatsmätresse Ludwigs XV. In diesen neunzehn Jahren hat sie einem größtenteils von ihrer eigenen Hand geschriebenen Ausgabebuch zufolge, für ihre Person verbraucht und demnach dem französischen Volk aus der Tasche gelangt: 36 924 140 Livres. Ihre Nachfolgerin, die uneheliche Tochter einer gewissen Anne Becu, hieß ursprünglich Jeanne, erhielt aber von dem Grafen Jean Dubarry, welcher sie aus dem Schmutze der Pariser Gassenprostitution aufhob, ihrer blendenden Schönheit halber den Beinamen L'Ange. Der edle Herr Graf beeilte sich, den durch den Tod der Pompadour erledigten Platz auszufüllen, und schloß mit Lebel, dem vertrauten Kammerdiener des Königs, das Kupplergeschäft ab. Um Mademoiselle L'Ange »courfähig« zu machen, mußte sie eine Scheinehe mit dem Bruder des Grafen, mit dem Grafen Guillaume Dubarry eingehen, welcher Edelmann für Geld zu diesem »Sakrament« sich hergab. Bei dieser Gelegenheit erfand man der Braut auch einen legitimen Vater, welchen man Jean Jacques Gomard de Vaubernier taufte. Die sechsundzwanzigjährige Scheingräfin wurde im Jahre 1769 als »
Maitresse en titre« inthronisiert und blieb es, bis der König starb (1774). In diesen fünf Jahren hat sie für
ihre Person verbraucht und demnach Frankreich gekostet 12 459 529 Livres. Die Kosten des »
Parc aux Cerfs« Hirschpark), den Ludwig XV. von 1755-1771 unterhielt, sind nicht aktenmäßig festzustellen. Dieser Harem war übrigens keineswegs ein »Park«, sondern ein an der Stelle, wo Ludwig XIII. vormals einen Hirschgarten gehabt hatte, erbautes kleines Haus in der Straße Saint-Médéric zu Versailles..
Als sodann der wohlmeinende und gutmütige, aber beschränkte und schwache sechzehnte Ludwig dem schandbaren Großvater auf dem Throne folgte, war es ein mitleidswertes Schauspiel, zu sehen, wie alle die gutgemeinten Versuche, eine bis an den Hals in das besagte Kotmeer versunkene Monarchie wieder auf haltbaren Boden zu stellen, kläglich mißlangen. Wie hätten sie gelingen können, da die Revolution, mit jedem Lungenzug eingeatmet, schon in allen Geistern und Gemütern war? Nicht oft genug kann man die große Tatsache wiederholen und einschärfen – man hätte sie nachmals freilich aus naheliegenden Gründen gern vertuscht, verleugnet und vergessen – die große Tatsache, daß die privilegierten Klassen aristokratisch-leichtfertig den revolutionären Cancan anhoben, der später zur terroristischen Carmagnole ausgeschlagen ist. Um 1780 war in Frankreich der soziale Zersetzungsprozeß schon so weit gediehen, daß – ein Hofmann von damals, der Graf de Ségur, bezeugt es – im Schloßtheater zu Versailles und in Gegenwart der königlichen Familie alle die Herren und Damen der vornehmen Welt die Aufführung der Tragödie »Brutus« von Voltaire mit stürmischem Beifall (» avec enthousiasme«) begrüßten und in lautes Entzücken ausbrachen über die berühmten Verse:
»
Je suis fils de Brutus et je porte en mon cœur
La liberté gravée et les rois en horreur.«
Ich bin ein Sohn des Brutus und trage in meinem Herzen die Freiheit eingegraben und den Abscheu vor den Königen.
Das arme, todesbänglich sich abzappelnde Königtum sank immer tiefer in den grundlosen Schlamm hinab, bis er ihm über dem Kopfe zusammenschlug. Dann kam ein vulkanisches Kochen und Brodeln und Wallen in die wüste Masse, und die Sintflut begann. Sie mußte folgerichtig zu einer europäischen werden, wie ja auch die Ursachen der Revolution keineswegs nur französische, sondern vielmehr europäische oder, wenn man will, menschheitliche gewesen sind. Aber Frankreich, das heißt Paris war das Zifferblatt der Weltgeschichtsuhr, und der auf 1789 vorgerückte Zeiger verkündete, daß wiederum ein Weltalter abgelaufen sei. Da, wo Jungfrau Klio die seit 1815 gemachten Anstrengungen, den Uhrzeiger hinter 1789 zurückzurücken, im großen »Schuldbuch« verzeichnet, schreibt sie achselzuckend die Randglosse bei: » Sunt pueri pueri, pueri puerilia tractant …« (Kinder sind Kinder, und Kinder treiben Kindisches).
Es ist die Epoche des versinkenden Ancien Régime und die der aufkochenden Revolution, in die das Leben des Mannes fiel, dessen Laufbahn auf den folgenden Blättern nachgegangen werden soll, und zwar unter Vortritt eines scharfausblickenden Pfadfinders und verläßlichen Führers Louis de Loménie: Beaumarchais et son temps. Études sur la société en France au XVIIIe siècle, d'après des documents inédits. Deuxième édition. 2 vols. Paris 1858. Ich gestehe gern, daß, wie ich durch dieses Buch zu der vorliegenden Studie angeregt worden, es mir auch zur Hauptquelle für das Tatsächliche gedient hat. Selbstverständlich habe ich aber auch noch viele andere Quellen benutzt. Loméniens Arbeit – zwei starke Bände, 1115 Seiten – gehört ohne Frage zu den besten biographischen, welche im 19. Jahrhundert erschienen sind. Ja, wenn ich recht erwäge, ist das Buch die gediegenste Biographie, die die französische Literatur überhaupt besitzt. In wahrhaft historischem Geiste angelegt, vereinigt sie mit emsiger Forschung und gefundenem Urteil stilistische Klarheit und künstlerische Architektur.. Schwerlich dürfte ein zweites Menschendasein aufzufinden sein, das in dem Grade geeignet wäre, ein sittengeschichtliches Spiegelbild jener Zeit abzugeben, wie das ruhelose, buntwechselnde, mit den mannigfaltigsten Verhältnissen und Beziehungen verflochtene Dasein von Beaumarchais es ist, – von diesem französischen Proteus, der in seiner Person die wunderlichsten Gegensätze und widerhaarigsten Widersprüche vereinigte. Denn was kann es Gegensätzlicheres und Widerspruchsvolleres geben, als Handwerker und großer Herr, Abenteurer und Geschäftsmann, Schriftsteller und Millionär, Operndichter und Schiffsreeder, Diplomat und Revolutionär, Agent Ludwigs XVI. und Lieferant des Wohlfahrtsausschusses, ein boshafter Spötter und ein herzensguter Mensch, mitunter ein Wüstling, immer aber ein ehrerbietiger Sohn, ein treuer Bruder, ein zärtlicher Gatte und Vater gewesen zu sein?
Der Bildungsapparat hat im Verlaufe der letzten hundert Jahre unter den bürgerlichen Klassen an Vielgestaltigkeit unstreitig bedeutend zugenommen. Aber es dürfte, was zum Beispiel Frankreich angeht, doch sehr fraglich sein, ob in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts der Mittelstand den ideellen Interessen auch nur halbwegs die Beachtung und Teilnahme zuwendet, die er in der zweiten des achtzehnten dafür hatte und hegte. Wer da weiß, was für große Erfolge die seit 1815 eifrigst geübten pfäffischen Verdummungskünste, insbesondere im französischen Kleinbürgertum erreicht haben, wird geneigt sein, zu bezweifeln, daß im Paris des zweiten Bonaparteschen Empire oder auch der improvisierten Republik von 1870 eine Handwerkerfamilie existierte, deren Mitglieder – namentlich auch die weiblichen – einen Grad von Kultur erreichten, eine geistige Regsamkeit und Bewegung entfalteten, wie dies die Mitglieder der Familie des Uhrmachers André Charles Caron taten, dem in seinem bescheidenen Hause in der Straße Saint-Denis am 24. Januar 1732 sein Sohn Pierre Augustin Caron geboren wurde.
Der junge Caron hat fünfundzwanzig Jahre später aus der Verpuppung seines bürgerlich-väterlichen Namens den adligen Schmetterling »de Beaumarchais« hervorschlüpfen und auf den Luftströmungen des Ruhms, nicht selten auch im pfeifenden Windzuge des Skandals lustig durch die Welt flattern lassen. Allein niemals vergaß er seines Ursprungs aus der » boutique d'horloger« (Uhrmacher-Werkstatt) in der Straße Saint-Denis, und sein Vater war und blieb für ihn ein Gegenstand aufrichtiger Ehrfurcht und zärtlicher Fürsorge. Sehr begreiflich daher, daß der alte Uhrmacher auf seinen Sprößling stolz war und dem reich, vornehm und berühmt Gewordenen einmal schrieb: » Tu me recommandes modestement de t'aimer un peu; cela n'est pas possible, mon cher ami: un fils comme toi n'est pas fait pour n'être gu'un peu aimé d'un père qui sent et pense comme moi« … (Du empfiehlst mir in Deiner Bescheidenheit, Dich ein wenig zu lieben. Das geht nicht, mein lieber Freund: ein Sohn wie Du ist nicht gemacht, nur ein wenig geliebt zu sein von einem Vater, der fühlt und denkt wie ich –) Es ist nicht überflüssig, derartige Bezeugungen menschlichedlen Verkehrs gelegentlich den Verleumdern des 18. Jahrhunderts entgegenzuhalten, die, sei es aus Unwissenheit oder aus Tücke, fortwährend von der »Gemütlosigkeit« und »Herzenshärte« der Menschen jener wunderbar großen Zeit zischeln und winseln …
Unter den fünf Schwestern von Beaumarchais sind namhaft zu machen die zweite, Marie Louise, die Heldin jenes zu Madrid mit Don Clavijo bestandenen Abenteuers, das die Ehre hatte, von Goethe dramatisiert zu werden; und die vierte, Marie Julie, in der der französische Esprit moussierte wie Champagner und die ihr Leben lang dem Bruder eine gleichgesinnte, verständnisvolle und treuergebene Freundin gewesen ist.
Der Sohn des Hauses, » gai et drôle« (lustig und drollig), zum Handwerk des Vaters angeleitet und im übrigen buntdurcheinandergewürfelte Bildungselemente sozusagen im Fluge haschend, hatte bis zum zwanzigsten Lebensjahr alle Aussicht, aus einem Pariser Gassenjungen ein Pariser Nichtsnutz zu werden, ein potenzierter sogar, und Père Caron sah sich einmal veranlaßt, als drastisches Besserungsmittel eine zeitweilige Verbannung aus dem väterlichen Hause in Anwendung zu bringen. Den Jugendmost heiß und hoch aufgären, aufsieden, aufschäumen zu lassen ist nun einmal, wie die Gefahr, so auch das Vorrecht genialer Begabung, und wenn die dabei reichlich entwickelte Kohlensäure die Nerven der an- und umwohnenden Völker Philistäas heftig affiziert, so hat das nicht viel zu bedeuten. Wahrhaft geisthaltiger Most klärt sich doch zu edlem Weine, der »der Menschen Herz erfreuet«. Das Genie kann auch nichts dafür, wenn die liebe Mittelmäßigkeit wähnt, das Sieden und Schäumen und Sausen wäre Hauptsache und Selbstzweck, deshalb mittels reichlicher Anwendung der Pottasche der Liederlichkeit eine schlechte Nachahmung des genialisch-naturgemäßen Gärungsprozesses zuwegezubringen sich bemüßigt findet und sodann folgerichtig nicht zu edlem Wein sich klärt, sondern zu fauligem Essig »umsteht«.
Der junge Caron stand nicht um, sondern ward als Sauser und Brauser zunächst ein tüchtiger Uhrmacher. Er besaß jene glücklich gebauten Hände, die alles geschickt anzufassen und aus jedem Ding etwas zu machen wissen. Zwanzigjährig, ist er in seiner Kunst soweit gewesen, daß er eine neue Art von Uhrenregulator (» échappement«) erfand, und diese Erfindung gab ihm Veranlassung, zum erstenmal in der Rolle aufzutreten, die er nachmals zu einer weltgeschichtlichen erhoben hat, in der Rolle eines Prozeßlers (» plaideur«). In Wahrheit, er hat nicht nur sein Leben lang Prozesse aller Art geführt und die meisten schließlich gewonnen, sondern man ist auch berechtigt, sein ganzes Leben einen unablässigen Prozeß, eine echte und gerechte »Plädoirie« zu nennen. Ein rechter Kampfhahn um und um, durch und durch, ein allzeit gestiefelter und gespornter Geist, stets fertig und bereit, auf die Mensur zu treten, falkenäugig, spottlächelnd, biegsam, zäh und schneidig wie die beste Stahlklinge … Er hatte seine Erfindung eines neuen »Echappement« dem Monsieur Lepaute, einem berühmten Uhrmacher, anvertraut, der sich unredlicherweise die Ehre dieser Erfindung aneignete, indem er sie im » Mercure« als seine eigene ausposaunte, ohne Zweifel auf die Schüchternheit und Unerfahrenheit des jungen Erfinders rechnend. Eine arge Verrechnung; denn der junge Unbekannte war durchaus nicht schüchtern, sondern ging dem Unredlichen im »Merkur« scharf zu Leibe, wußte die Sache vor die Akademie der Wissenschaft zu bringen, von ihr einen vollständig zu seinen Gunsten lautenden Entscheid herauszuschlagen und außerdem die ganze an sich unbedeutende Angelegenheit so gewandt ins Publikum sowie an den Hof zu tragen, daß ihm dieses sein erstes Plädoyer zwar noch nicht einen Ruf, aber doch schon eine gewisse » Notoriété« verschaffte. Ah, er war ein »praktischer« Bursche, ein sehr praktischer! Wo ihn die Schale der Auster des Glücks eine Ritze, und wenn auch die kleinste, ersperbern ließ, da ist er, scharfspitzkeilig und aalglatt zugleich, im Handumdrehen hineingeschlüpft.
Im Juni 1755 treffen wir den Sausewind von Uhrmacher bereits als eine betitelte Person. » Caron fils, horloger du roi« (Caron Sohn, Uhrmacher des Königs) schreibt er sich und darf es; denn eine von ihm gefertigte, in einen Fingerring gefaßte Uhr hat Gnade gefunden vor den Augen Ihrer babylonischen Majestät Jeanne Antoinette Poisson, Madame d'Etiolles, Marquise de Pompadour. Auch der »allerchristlichste« Sultan selber hat aus der Dunstwolke seiner gähnenden Langeweile heraus einen Blick gnädiger Neugier auf den angehenden Künstler geworfen, und begehrlich-lüsterne Blicke warfen verschiedene große und kleine Damen des Hofes dem hoch und schlank gewachsenen jungen Manne zu, dessen Züge so hübsch, dessen Mienenspiel so belebt, dessen Augen so unternehmend, dessen Auftreten so sicher und keck. Die Männer freilich zucken die Achseln und brummen: »Der Geck!« Aber die Weiber flüstern ganz leise in sich hinein: »Ein Prachtmensch von Mann!«
Unser Caron hatte aber nicht umsonst in jungen Jahren schon einen Regulator erfunden. Das will sagen: er wußte den Gang seiner Lebensuhr zu dieser Zeit bereits sehr verständig zu regulieren und bei aller Geckerei als ein praktischer Mann das Nützliche mit dem Angenehmen zu verbinden. Als einem Franzosen war ihm überdies die Weisheit angeboren, daß man in dieser Welt mittels der Weiber am besten und leichtesten weiterkäme, und der Uhrenkünstler und Lebenspraktiker zog dem blendenden, aber gefährlichen Glücke, das ihm in der Region der Duchessen, Marquisen und Komtessen vorübergehend lächeln konnte, das bescheidenere, aber solidere vor, das ihm durch eine allerdings kleinste Dame des Hofes zuteil ward. Da war nämlich ein alter und gebrechlicher Herr, Pierre Augustin Francquet geheißen, der eins der zahllosen Hofämter jener Zeit besaß, welche, eifrig erstrebt und mit schwerem Gelde erkauft, ihre Inhaber nicht nur leidlich nährten, sondern auch vortrefflich mästeten. Der alte Küchenschreiber oder, wie sein Titel französisch großmäulig lautete, der » Contrôleur clerc d'office de la bouche de roi«, besaß neben seinem Alter, seinem Amt und seinen Gebresten eine etwa dreißigjährige, hübsche, dralle, muntere Frau, und etliche Monate nach dem Tage, an welchem Madame la Controleuse unserem Caron ihre Uhr zum Regulieren gebracht hatte, fand Sieur Francquet, daß Alter und Krankheit ihm nicht länger gestatteten, seinem Amte mit gebührender Würde vorzustehen. Daher trat er dieses Amt an den jungen Caron ab, und zwar um den Preis einer lebenslänglichen Jahresrente. Also ward der junge Uhrmacher ein Hofbeamter, dessen Brevet vom 9. November 1755 datierte und der unter anderen Obliegenheiten auch die hatte, abwechselnd mit seinen Herren Kollegen die Schüsseln auf die königliche Tafel zu setzen, in großem Kostüm, Hut unterm Arm, Degen an der Seite. In der höfischen Rangordnung kam er unmittelbar nach dem Halstuchknüpfer des Königs (» cravatier ordinaire du roi«). Gewiß hatte der Küchenschreiber und Tafelbeschicker Ludwigs XV. keine Ahnung, daß in ihm ein Kerl steckte, der dazu bestimmt sei, der spottlachende Totengräber des französischen Königtums zu werden.
Zwei Monate, nachdem der künftige Dichter der »Hochzeit des Figaro« Hofbedienter geworden, tat der alte Francquet ihm den Gefallen, ihm auch anderweitig Platz zu machen, indem er starb. Im November 1756 heiratete unser Küchenkontrollierer die wohlbemittelte Witwe, und bei dieser Gelegenheit geschah es, daß er seinem schlichten Namen Caron den hoch- und volltönenden »de Beaumarchais« anklebte, den er, wie er sagte, einem kleinen Lehensgut seiner Frau entlehnte. Das Manöver, dadurch aus der »Canaille« oder »Roture« in die »Noblesse« sich hinüberzuschwindeln, gelang jedoch erst fünf Jahre später wirklich, – gelang dann, als unser Abenteurer und Geschäftsmann im Jahre 1761 um den Preis von 85 000 Frank die Stelle eines Sekretärs des Königs sich erkaufte. Dieser Kauf machte den Uhrmacherssohn von Rechts wegen adlig, und er konnte, als man ihm später seinen Adel bestreiten wollte, triumphierend-spöttisch ausrufen: »Niemand kann mir meine Noblesse streitig machen; denn ich besitze die Quittung dafür ( car j'en ai la quittance)!«
Inzwischen war sein Eheglück und sein Wohlstand nicht von Dauer gewesen, indem schon im September 1757 seine Frau von einem typhösen Fieber weggerafft wurde. Da er zu sorglos gewesen, das Vermögen seiner Frau unanfechtbar rechtskräftig sich zusichern zu lassen, warf ihn dieser Todesfall in die Armut zurück, so daß er Mühe hatte seine Hofbedienstung zu behaupten, die ihm nicht mehr als 1500 Frank jährlich einbrachte. Aber der rüstige Schwimmer arbeitete sich bald wieder obenauf und vorwärts. Zunächst gereichte es ihm zu einem Förderungsmittel, daß er von bedeutender musikalischer Begabung und Übung, ein tüchtiger Flötenbläser und eleganter Harfner war. Die Harfe ist zu jener Zeit in Frankreich ein noch so neues Instrument gewesen, daß zum Beispiel Diderot es erst im Jahre 1760 kennenlernte. Es kam aber rasch in die Mode, und Beaumarchais' meisterliche Behandlung desselben hatte einen großen Ruf in den Salons. Die vier legitimen Töchter Ludwigs XV., die Prinzessinnen Victoire, Adelaide, Sophie und Louise – ihr zärtlicher Vater gab ihnen die süßen Namen Coche, Loque, Graille und Chiffe – hörten von der Geschicklichkeit unseres Mannes, ließen ihn rufen, nahmen Unterricht bei ihm, und bald wußte er sich den gelangweilten vier alten Jungfern so angenehm zu machen, daß sie ihm die Anordnung und Leitung der kleinen Familienkonzerte übertrugen, die sie in ihren Zimmern veranstalteten und denen gewöhnlich der König, die Königin und der Dauphin beiwohnten. Der Plebejer aus der Straße Saint-Denis wußte sich in diesem Kreise mit solchem Geschick und Takt zu bewegen, daß er sich allgemeine Achtung und Gunst erwarb. Der König bot eines Tages dem Harfner seinen eigenen Lehnsessel, und eines andern sagte der ernste und ehrbare Dauphin – es ist der im Jahre 1765 gestorbene Sohn Ludwigs XV. gemeint – von ihm: »Das ist der einzige Mensch, der mit Wahrhaftigkeit zu mir spricht.«
Weiland Caron und jetzt De Beaumarchais war also auf gutem Wege, ein rechter Hofgünstling zu werden. Aber der Weg zur Hofgunst ist bekanntlich mit verdächtigem Buschwerk eingefaßt, hinter welchem zahllose grüne Neidaugen lauern. Besitzer derartiger Augen stellten sich auch wohl in erklecklicher Anzahl unserm keck aus- und aufschreitenden Harfenkünstler in den Weg, Spottknallbonbons vor seinen Ohren loslassend oder auch Knüttel vornehmer Grobheit zwischen seine Beine werfend. Aber unser neugebackener »De« ist mit Zungen- und Degenspitze rasch bei der Hand, wo es gilt, seine »Noblesse« darzutun. Kommt er da eines schönen Abends in großer Gala aus den Gemächern von Mesdames de France, als ihm das bekannte nette Abenteuer mit der Uhr begegnet. »Monsieur,« redet ihn ein Hofmann an, der sich soeben gegen seine Mithöflinge gerühmt hat, den Schützling der Prinzessinnen »dekonzertieren« zu wollen, »Monsieur, erweisen Sie mir, da Sie in der Uhrmacherei so bewandert sind, die Gefälligkeit, diese meine in Unordnung geratene Uhr zu untersuchen.« – »Mein Herr, seit ich aufgehört habe, mich mit dieser Kunst zu beschäftigen, bin ich darin sehr ungeschickt geworden.« – »Ah, Monsieur, tun Sie mir doch den Gefallen!« – »Von Herzen gern; aber ich sage Ihnen, ich bin sehr ungeschickt.« Spricht's, nimmt die Uhr, öffnet sie, hält sie ans Licht, als wollt' er sie untersuchen, und läßt sie zu Boden fallen. Dann sagt er zu seinem dekonzertierten Dekonzertierer: »Ich habe Ihnen ja gesagt, daß ich äußerst ungeschickt bin« – geht davon und überläßt es dem Gefoppten, die Trümmer seiner Uhr zusammenzusuchen. Nicht so komisch, sondern sehr tragisch endigte ein ähnliches Abenteuer. Gröblich beschimpft von einem übermütigen Hofherrn, dem Chevalier des C…, schlug sich Beaumarchais unter den Mauern des Parkes von Meudon mit ihm und rannte seinem Gegner den Degen durch die Brust. Der Verwundete starb, dachte aber im Sterben hoch genug, die Nennung des Namens seines Töters zu verweigern, so daß Beaumarchais' gefährlicher Sieg für ihn weiter keine üblen Folgen hatte. Erwägt man aber, wie himmelhoch dazumal noch politisch und sozial die Aristokratie über der Bourgeoisie stand, so dürfte es nicht ungerechtfertigt erscheinen, diesen durch den Sohn eines Pariser Kleinbürgers einem Seigneur straflos versetzten Todesstoß mit unter die zahllosen Vorzeichen der Revolution zu rechnen, die bereits in allen Schichten der französischen Gesellschaft zu gären und zu wühlen begonnen hatte.
Allerhand Widerwärtigkeiten also, worunter auch Duelle, brachte seine Stellung als Quasikapellmeister der Töchter des Königs unserem flinken, vielgewandten Musiker und Küchenschreiber ein, nicht aber Geld. Und dies war doch gerade das Ding, dessen er am meisten bedurfte, da man die Kosten einer Laufbahn bei Hof mit einer Jahreseinnahme von 1500 Frank unmöglich bestreiten konnte. Noch dazu hatten Mesdames de France von den Pflichten ihres Quasikapellmeisters ganz eigene, sozusagen prinzeßliche Begriffe. Sie standen nämlich nicht an, den liebenswürdigen Harfner und Flötenbläser mit allerlei Aufträgen, Einkäufen usw. zu begnaden, dachten aber nicht entfernt daran, ihm seine Auslagen zu erstatten. Große Damen wie große Herren hielten und halten sich bekanntlich häufig davon befreit, mit so Gemeinem, wie Rechnungen bereinigen, Schulden bezahlen und dergleichen mehr, sich zu befassen. Nachdem Beaumarchais dies erkannt und überhaupt erfahren hatte, daß die Musik, welche er den Prinzessinnen machte, für ihn durchaus keine »Musik mit ihrem Silberklang« sei, sah er sich nach Eröffnung anderweitiger Hilfsquellen um.
Sollte er es mit der Schriftstellerei versuchen? An Vorübungen hierzu in Versen und Prosa hatte er es nicht fehlen lassen, und er hatte seinen Stil namentlich an Rabelais und an Montaigne geschult. Der »Barbier von Sevilla« und die »Hochzeit des Figaro« wissen noch davon zu erzählen. Bei der Machtstellung, die die Literatur zu jener Zeit in Paris gewonnen hatte, würde es der quecksilbrigen Beweglichkeit, der wunderbaren Aneignungsfähigkeit und dem geschmeidigen Formtalent unseres Mannes nicht übermäßig schwer geworden sein, als Autor, was man so sagt, einen Stand sich zu machen. Auch konnte wohl die Reizung, in der von Jahr zu Jahr, von Tag zu Tag, von Stunde zu Stunde gewaltiger anschwellenden literarischen Sturm- und Drangsymphonie ein Instrument, ein hervortretendes vielleicht, zu spielen, die innerste Fiber von Beaumarchais' Wesen sympathisch berühren. Allein der Mann dachte damals nicht von weitem daran, daß es ihm beschieden sein würde, eines Tages das von Zerstörungsjubelklängen strotzende Finale dieser Symphonie zu komponieren. Und dann stoßen wir hier auf etwas, das zwischen den Trägern der französischen und der deutschen Befreiungsliteratur einen so charakteristischen Unterschied markiert. Zwischen der überwiegenden Mehrzahl derselben wenigstens.
Lassen wir nämlich vor unsern Augen den langen Zug der erlauchten Ritter vom Geiste vorübergehen, die im ewiggroßen 18. Jahrhundert ihre ewigglorreiche Riesenarbeit in Deutschland getan, den langen Zug der Helden und Märtyrer, die dem deutschen Genius die Pfaffenbinde vom Auge genommen, den Wahn, den Fanatismus und den Despotismus auf allen Gebieten siegreich bekämpft, die deutsche Aufklärung, Wissenschaft und Poesie geschaffen, ja geradezu in unserm Lande zuerst eine Zivilisation, die des Namens wert war, begründet haben: so erkennen wir, daß diese Heroen, diese unsere Heiligen wirklich und wahrhaft vom »göttlichen Anhauch« » Afflatus divinus« beim Cicero und Ovid. erfaßt und von echtester Inspiration getrieben waren, daß sie aus innerstem Herzensdrang mit rührender Selbstlosigkeit und opferfreudiger Begeisterung für Menschenwohl und Menschenwürde ihre befreiende Mission zur Hand genommen und durchgeführt haben. Ein edler, ja ein heiliger Enthusiasmus war hier überall das Grundmotiv. Anders bei den Franzosen, nur den einzigen Rousseau vielleicht ausgenommen. Denn berechnend und praktisch, wie die Franzosen sind, haben die französischen Autoren des 18. Jahrhunderts ihre Aufgabe nicht in der Weise von begeisterten Propheten, sondern vielmehr in der Art scharfrechnender Geschäftsleute gefaßt und getan. Um das recht deutlich zu sehen, braucht man sich bloß zu erinnern, wie ein Klopstock und Kant, ein Lessing und Herder, ein Goethe und Schiller ihre literarische Stellung nahmen und verstanden, und dann auf Voltaire hinüberzublicken, zur Zeit, wo er sich die Frage stellte, ob er die Literatur zu seinem »Geschäft« machen sollte. Seine Antwort war diese: »Ich habe so viele arme und verachtete Schriftsteller gesehen, daß ich die Anzahl derselben keineswegs vermehren will. In Frankreich muß man Amboß oder Hammer sein; ich meinesteils bin zum Amboß nicht geboren.« Er ist denn auch bekanntlich ein tüchtiger Stahlhammer geworden, dessen Schläge ruhmvoll durch die Jahrhunderte, durch die Jahrtausende hinabschallen werden, ob sich Finsterlinge und Lakaien vor Ärger darüber noch so oft auf den Kopf stellen mögen. Aber bekannt ist auch, daß der kluge Mann, statt die Anzahl der armen und verachteten Schriftsteller zu vermehren, lieber unter die Spekulanten ging und sich durch Handels- und Finanzoperationen in den Stand setzte, als reicher Herr mit Muße und Behagen seine weltgeschichtliche Spottarbeit zu vollbringen.
Beaumarchais fand, daß sein »Patron«, der Patriarch von Ferney, sehr wohl und weise getan, eine jährliche Einnahme von 130 000 Livres sich zu erspekulieren, und diese Findung ward zu einer fruchtbaren, nachdem er im Jahre 1760 Gelegenheit gehabt, einer der ersten Finanzgrößen von damals, Herrn Paris de Verney, mittels seiner Beziehungen zu Mesdames de France einen wichtigen und dankbar anerkannten Dienst zu leisten. Der Geldmann fand an Beaumarchais so großes Gefallen, daß er ihm großmütig die Mittel gewährte, die geschäftsmännische Laufbahn zu betreten. Durch Paris de Verney mit gutem Rat, mit Fonds und Kredit unterstützt, ward unser unternehmender Mann Spekulant und Finanzer und hat es als solcher glücklich bis zum mehrfachen Millionär gebracht, was etwas heißen wollte zu einer Zeit, wo der Millionarismus noch nicht eine so ordinäre, obzwar mehr oder weniger papierene Tatsache war, wie er es heutzutage ist. Sein Leben lang ist Beaumarchais von da ab ein Geschäftemacher geblieben; durch alle seine buntwechselnden, vielfach gewundenen Lebensgänge, Unternehmungen und Abenteuer schlängelt sich der goldene Faden der Spekulation. Er war ein Realist jeder Zoll, stets auf bestimmte Ziele gerichtet und festen Schrittes darauf losgehend, wenn auch mitunter auf weiten Umwegen. Zunächst wollte er reich werden, und er wurde es; aber, obwohl praktisch und realistisch wie ein Schweizer, hat er den Geldsack doch niemals als ein an sich wertes Ding betrachtet und geschätzt, sondern nur für einen Materialbeitrag zu dem Piedestal angesehen, auf welchem die hübsche Figur des Messire Caron de Beaumarchais der Mit- und Nachwelt sich präsentieren sollte. Und doch geschähe wiederum dem Manne schweres Unrecht, wollte man ihn für einen hervorragenden Typus der französischen Nationaleitelkeit ausgeben und für weiter nichts. Nein! Denn es war etwas vom echten und rechten Feuer des Jahrhunderts in ihm, ein ruheloser Tätigkeitsdrang und Schaffenstrieb, und er hat in seiner Art tüchtig mitgearbeitet an der Anhäufung jenes unermeßlichen Kulturkapitals, von dessen Zinsen das 19. Jahrhundert geistig lebte …
Es wirkt komisch, wenn wir unsern Proteus, den künftigen komödischen Kehrausgeiger des Ancien Regime, zunächst als wohlbestallten » Lieutenant-général des chasses aux baillage et capitainerie de la varenne du Louvre« wiederfinden, was zu deutsch sagen will: als Oberaufseher des Jagdmonopols, das im Umkreise von Paris auf zwölf oder fünfzehn Meilen weit dem Könige ausschließlich zustand. Beaumarchais hatte für schweres Geld dieses Hofamt erkauft, das ihn zum ersten Offizier des Herzogs de La Vallière, Generalkapitäns der Jagden, machte, ihm gewisse richterliche Befugnisse übertrug und dem Uhrmachersohn Grafen und Barone zu Untergebenen gab. Wir sehen ihn also in eigener Karosse gravitätisch nach dem Louvre fahren, um dort ebenso gravitätisch dem » Tribunal conservateur des plaisirs du roi« vorzusitzen, vor welchem alle Eingriffe in das königliche Jagdmonopol zur Verhandlung kamen. Das Monopol, wie das zur Aufrechterhaltung desselben bestimmte Tribunal, gehörten mit zu den verhaßtesten Einrichtungen des Ancien Régime und die Vernichtung beider im Jahre 1789 zu den volksbeliebtesten Maßregeln. Der Schöpfer des Figaro in langer Robe, auf einem mit Lilien bestickten Richterstuhl eine der drückendsten Anmaßlichkeiten des Despotismus wahrend, – Frau Historia hat nicht allzuviele Bilder von so prickelnd-ironischer Schärfe in ihrem unendlichen Fibelbuch, aus welchem die großen Kinder noch weniger lernen als die kleinen.
Aber in dem Lebensbilderbuch unseres Helden ein weiteres Blatt umwendend, finden wir ihn in einer von den vorhergehenden sehr verschiedenen Situation. Nämlich in der eines ritterlichen Bruders, und zwar auf spanischem Boden … Goethe hat, wie bekannt und wie schon erwähnt worden, diese Episode dramatisiert und ein Trauerspiel daraus gemacht, das der sonst so klarverständige Merck, einer der wenigen Deutschen, die nicht von der Autoritätsmichelei befangen gewesen sind, in allzu herber, ja ungerechter Weise einen »Quark« genannt hat. Das Tatsächliche des Abenteuers war dieses: Beaumarchais' Schwester Marie war mit ihrem Manne, dem Architekten Guilbert, und mit ihrer jüngeren Schwester Louise nach Madrid gegangen. Madame Guilbert und Mademoiselle Caron errichteten dort gemeinschaftlich ein Modenmagazin. Louise Caron war schon eine ältliche Jungfrau von nahezu dreißig Jahren, als der spanische Literat Joseph Clavijo sie im Jahrs 1763 kennen und lieben lernte. Er gab ihr ein förmliches Heiratsversprechen, und die Verbindung sollte stattfinden, sobald der Bräutigam das Amt eines königlichen Archivars, um das er sich zur Zeit bewarb, erlangt hätte. Er erhält die Stelle, und das kirchliche Aufgebot findet statt. Aber plötzlich bricht Clavijo sein Wort, tritt zurück und wirft dadurch einen schweren Makel auf seine Verlobte. Diese geht ihren Bruder um Rat und Hilfe an. Messire Caron de Beaumarchais schnallt seinen Degen um, eilt spornstreichs nach der »Hauptstadt der Zwiebeln und der Serenaden« und zwingt mittels seiner aus Kaltblütigkeit und Energie gemischten Interventionspolitik dem treulosen Seladon eine für diesen wenig, für Mademoiselle Caron dagegen sehr ehrenvolle Erklärung ab. Noch mehr, der Spanier, erschreckt, mit einem so entschlossenen Gegner zu tun zu haben, sucht eine Versöhnung mit seiner verlassenen Braut und geht den Bruder um seine Vermittlung an. Diese wird gewährt; aber zur Stunde, wo Beaumarchais wähnt, die Heirat würde nächster Tage stattfinden, muß er erfahren, daß Clavijo hinterrücks gegen ihn arbeitet, daß er ihn eines mörderischen Überfalls bezichtigt und daraufhin von der Regierung den Befehl erschlichen hat, ihn zu verhaften und aus Madrid zu vertreiben. Unser Messire, ganz Feuer und Flamme, eilt zu den Ministern, dringt zum Könige selbst, rechtfertigt sich, enthüllt das Lug- und Truggespinst Clavijos und bringt es dazu, daß der ehrlose Mann seines Amtes entsetzt und vom Hofe verjagt wird. Die Heldin dieses Abenteuers, das im Mai und Juni 1764 spielte, ist nachmals die Frau eines in Madrid angesiedelten Franzosen namens Durand geworden. Ihr Bruder verbrachte nahezu ein Jahr in der spanischen Hauptstadt, spielend, tanzend, musizierend und liebelnd; daneben spekulierend und Projekte schmiedend. Er schrieb viel während dieser Zeit: Briefe voll liebevoller Pietät an seinen Vater, erotische Madrigale und satirische Couplets; aber nicht minder geschäftsmäßige Denkschriften, die er den spanischen Ministern unterbreitete. Er wollte in Spanien eine französische Kompanie organisieren, die den Handel mit Louisiana ausbeuten sollte; er reichte einen Plan ein, die sämtlichen spanischen Kolonien mit Negern zu versorgen, und einen anderen, wie die Kolonisation der Sierra Morena zuwege zu bringen wäre. Allein Spanien war schlechterdings kein Boden, worauf Beaumarchaise gedeihen konnten, und so schüttelte denn unser Messire bald wieder den Staub eines Landes von den Füßen, aus welchem er die Namen und wohl auch die erste Idee der Figuren seiner zwei großen Streitkomödien als Ausbeute mitnahm.
Im weiteren Vorschritt der Laufbahn des jetzt nahezu fünfunddreißigjährigen Odysseus der französischen Literatur stoßen wir zuvörderst auf einen Umstand, der wiederum dazu auffordert, auf gleichzeitige deutsche Verhältnisse hinüberzublicken. Es ist das Verhältnis der bahnbrechenden Männer des Jahrhunderts zu den Frauen. Auch hier stehen sich deutscher Idealismus und französischer Realismus scharf erkennbar gegenüber. Ein unverlöschlicher Glanz wie von Sternenlicht, ein ewiger Duft von Poesie umfließt die Beziehungen Klopstocks zu Fanny und Meta, Wielands zu Sophie Gutermann, Goethes zu Friederike Brion, Schillers zu Lotte von Kalb, Voß' zu Ernestine Boie, Herders zu Karoline Flachsland und selbst des hochernsten und scharfverständigen Lessing Ehe mit Eva König ist voll dichterischer Weihe. Dagegen halte man nun das Verhältnis Voltaires zu Emilie du Châtelet oder das Rousseaus zu Louise de Warens. Oder man stelle mit einer der Klopstockschen Oden an Cidli, mit einem der Goetheschen Lieder an Lotte, Friederike und Lili, mit einem der Briefe von Herder und Voß an ihre Bräute die briefliche Äußerung unseres Beaumarchais zusammen: »Ich erhole mich von den Geschäften« – aber die Wendung ist so echt französisch, daß man sie schlechterdings französisch mitteilen muß: » Je me délasse des affaires avec les belles-lettres, la belle musique et les belles femmes.« (Ich erhole mich von den Geschäften mit der schönen Literatur, der schönen Musik und den schönen Frauen.) Ist es nicht, als trete man aus einem Hain voll Frühlingsduft, Mondschein und Nachtigallengetön in ein modisch aufgeflittertes Kaffeehaus, wo Dominosteine klappern und eine tadellos angekleidete Dame du Comptoir (Zahltisch-Dame) lockende Blicke versendet?
In Wahrheit, die Frauen sind häufig genug die »Zerstreuung, aber niemals die Beschäftigung, die Begeisterung oder die Qual« von Beaumarchais' Leben gewesen. Sein Verhalten zu ihnen war niemals ein sentimentales, sondern allzeit entweder ein sinnliches oder ein spekulatives – »spekulativ« selbstverständlich nicht im deutsch-philosophischen, sondern im französisch-geschäftsmännischen Sinne genommen –, und so verlief denn auch seine einzige derartige Beziehung, die einen höheren Schwung nehmen zu wollen schien, seine Liebschaft mit der jungen, schönen und scheinbar sehr reichen Kreolin Pauline Le B…, welche Liebschaft ihn unmittelbar nach seiner Heimkehr aus Madrid nach Paris stark beschäftigte, in den trostlos dürren Sand geschäftlicher Auseinandersetzungen von höchst prosaischer Natur.
Nachdem unser Parvenü das unerquickliche Drama dieses »Délassement« (Erholung) durchgespielt hatte, schickte er sich an – im Jahre 1767 – den bisherigen Eigenschaften seiner ulysseischen Persönlichkeit die eines dramatischen Autors beizufügen. Daß ein Mann seines Schlages, ein Mann der rastlosen Bewegung und Tätigkeit, ein Handelnder par excellence, der schon so manche Szene der Tragikomödie des Menschenlebens mitangesehen und mitgemacht hatte, sich, wenn er überhaupt literarisch tätig sein wollte, vorzugsweise zum Drama hingezogen fühlen mußte, liegt auf der Hand. Aber man hätte der ganzen Anlage seines Wesens zufolge erwarten sollen, daß er die Laufbahn eines Dramatikers als Lustspieldichter begönne. Dem war jedoch nicht so, und Beaumarchais hat erst später erkannt, worin seine eigentliche Kraft und Mission lag. Zunächst versuchte er sich im Rührfach, das zu dieser Zeit in der Mode war und die Bretter, welche die Welt bedeuten, unter Wasser setzte.
Jedermann weiß, daß in der großen literarischen Revolution, die in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts der politischen voraufging wie der Blitz dem Donner, auch eine bedeutsame Umwandlung, ja Umwälzung des französischen Theaters mitinbegriffen war. Schon Voltaire, der große Zerstörer, hatte es gewagt, die von Corneille und Racine geschaffene konventionelle Tragik mehr oder weniger zu modifizieren. Es mußte sich aber auch auf diesem Gebiet erst der Einfluß der englischen Literatur geltend machen, die Franzosen mußten erst mit dem Richardsonschen sentimental-moralisierenden Familienroman und dem Lilloschen Rührdrama bekannt sein, bevor Diderot es unternehmen konnte, Melpomene von den Stelzen der » tragédie classique« herabsteigen zu lassen, die majestätisch-steifleinene Dame sozusagen in eine wohlmeinende, tränenreiche Haus- und Familienmutter umzuschneidern und sie in der theatralischen Region anzusiedeln, wo Schauspiele aufwucherten, die man der Mischgattung der » tragédie domestique« (häuslichen Tragödie) und der » comédie sérieuse« (ernsthaften Komödie), auch wohl, und zwar mit Recht, » comédie larmoyante« (rührselige Komödie) genannt, beizählte. Die Bezeichnung »bürgerliches Drama« ( drame bourgeois) zeigt den Gegensatz zum höfisch-heroischen der Zeit Ludwigs XIV. auf. An die Stelle der Haupt- und Staatsaktion trat das private Intrigenspiel, an die Stelle des knarrenden Phrasenblasebalgs die träufelnde Tränendrüse. Die ganze Gattung ist dann auf deutschem Boden durch Iffland zu einer quasiklassischen Gestaltung und durch Kotzebue zur Karikatur gediehen. Aber man darf nicht übersehen, daß in den Schauspielen dieser Gattung alles Seufzergewinsels und Tränengeträufels ungeachtet ein revolutionärer Luftzug sich fühlbar machte. Hinter all dem Genebel sentimentaler Zerflossenheit trat in diesen »bürgerlichen« Dramen für sehende Augen und hörende Ohren immer wieder eine Tendenz hervor, welche den Inhalt von des Abbé Sieyès berühmtem Pamphlet vorwegnahm: Der dritte Stand ist nichts; aber er will etwas, er will alles werden.
Diesen revolutionären Instinkt bekundete nun auch Beaumarchais' Erstlingsdrama »Eugenie«, dessen Handlung einen edelmännischen Schurkenstreich zum Angelpunkt hat. Die Zensur fühlte diese oppositionelle Spitze wohl heraus und zwang deshalb den Autor, die Szene seines Schauspiels nach England zu verlegen und den Personen englische Namen zu geben. Der ästhetische Wert des Stückes ist übrigens sehr gering, und selbst die theatralische »Mache« desselben war so mittelmäßig, daß es bei der ersten Darstellung am 29. Januar 1767 mit Glanz durchfiel. Eugenies Vater war aber nicht der Mann, deshalb sein Kind aufzugeben. Er stutzte das Ding für eine zweite Aufführung besser zurecht, so daß seine zwei Vorzüge als dramatischer Autor, eine ungemeine Geschicklichkeit in der Szenierung und eine seltene Kunst des Dialogs, recht ins Licht traten, und so hatte Eugenie – die Titelrolle wurde gespielt von der jungen und liebenswürdigen Mademoiselle Doligny, die acht Jahre später glanzvoll die Rosine im »Barbier von Sevilla« machte – doch noch einen recht leidlichen Erfolg. Viel schlimmer erging es unserm angegangenen Dramatiker mit seinem Schauspiel » Deux amis« (Zwei Freunde), das man als ein kaufmännisches bezeichnen kann, und das er drei Jahre später auf die Bühne brachte. Es wurde förmlich von der Bühne weggepfiffen, und Grimm führte in seiner »Literarischen Korrespondenz«, wo er dieses Fiasko erwähnte, den darüber in Paris umgehenden Stachelvers an: –
»
J'ai vu de Beaumarchais le drame ridicule,
Et je vais en un mot vous dire ce que c'est:
C'est un change où l'argent circule
Sans produire aucun intérêt
»Ich habe das lächerliche Drama von Beaumarchais gesehn, und ich will euch mit einem Worte sagen, was damit los ist. Es ist ein Wechselgeschäft, wo das Geld rollt, ohne irgendein Interesse (auch = Zinsen) hervorzubringen.« – Noch gröber heißt es in einer Satire von Palissot: »
Beaumarchais, trop obscur, pour être intéressant, De son dieu Diderot est le singe impuissant« (Beaumarchais, zu unbekannt oder unklar, um interessant zu sein, ist der ohnmächtige Affe seines Gottes Diderot)..«
Aber mochten sie pfeifen, spotten und lachen, Messire Caron de Beaumarchais hatte inzwischen anderweitig sein Schäfchen ins Trockene gebracht, und zwar in Gestalt der jungen, schönen und reichen Witwe Geneviève Madeleine Lévêque, mit der unser glücklicher Glücksritter im April 1768 sich verheiratete. Leider hielt auch diese. Ehe nicht vor. Denn nachdem Madame Beaumarchais ihrem Gemahl einen Sohn geboren hatte, starb sie schon im November 1770 im Kindbett, und das Kind folgte ihr zwei Jahre später ins Grab. Die Neuigkeitsjäger zischelten, Beaumarchais habe seine Frau vergiftet, um sie zu beerben. Eine ganz lächerliche Verleumdung, um so mehr, da ja der größere Teil des Vermögens der Verstorbenen aus lebenslänglichen Renten bestanden hatte. Aber werft dem Pöbel, dem vornehmen, wie dem niedrigen, das Dümmste hin, er wird stets begierig danach schnappen. Ganz in der Ordnung also, daß die zahlreichen Feinde unseres Parvenüs, der, so wie er war, zahlreiche Feinde haben mußte, ihn später der öffentlichen Meinung nicht ohne Erfolg als einen »Giftmischer« signalisieren konnten. Denn was ist leider nur allzu häufig die öffentliche Meinung? Ein altes Weib, dessen Kopf ein Kehrichtfaß voll Afterglauben, Urteilslosigkeit und Bosheit.
Bislang, das heißt bis zum Tode seiner zweiten Frau, konnte der Lebenslauf des Uhrmachersohns aus der Straße Saint-Denis wohl eine stetig aufsteigende Spirallinie heißen. Nun aber schien es mit dem Aufsteigen zu Ende zu sein. Dickes Gewölk des Mißgeschicks umhüllte den Weg unseres Glücksritters, und heftiger Strichregen des Ärgernisses schlug ihm ins Gesicht. Aber der Mann hatte scharfsichtige Augen, ein gesundes Knochengerüst, eine kräftige Lunge und eine Seele voll stählerner Springfederkraft. Solche dauerhaft und elastisch gebaute Sterbliche können fallen; aber sie fallen nie auf den Kopf, sondern katzengleich stets auf die Beine, und sie lassen sich durch einen gelegentlichen Sturz keineswegs abschrecken, das Klettern nach Fortunas Stangenspitze abermals zu beginnen.
Im Jahre 1771 war die Lage von Beaumarchais keine liebliche. Seine junge, schöne, reiche Frau tot, sein Ruf als dramatischer Autor nicht sehr viel über oder gar unter dem Strich, sein Privatcharakter häßlich verdächtigt. Dazu kam ein Prozeß, der angestrengt wurde, um ihn zu entehren und ökonomisch zu ruinieren. Diese Gefahr aber rief in Beaumarchais den Prozeßkünstler wach, wie es einen solchen niemals wieder gegeben hat, und als der erste Prozeß einen zweiten zeugte, diente dieser nur dazu, die ganze Genialität, alle die Talente unseres Mannes zur höchsten Kraftäußerung zu steigern, zu einer vielseitigen Tätigkeit, durch die er zu einem höchst bedeutenden Vermögen gelangte und zu einem so glänzenden Rufe, daß er für eine Weile der berühmteste und populärste Mann seines Landes und seiner Zeit gewesen ist.
Der Gönner und Kompagnon von Beaumarchais, Paris du Verney, starb hochbejahrt im Juli 1770 mit Hinterlassung eines Vermögens von 1 500 000 Frank, dessen Erbe einer seiner Großneffen, der Graf de la Blache, war. Diesem war die Freundschaft, die sein Großoheim für Beaumarchais gehegt, stets ein Dorn im Auge gewesen, und da unser Emporkömmling wohl wußte, was er bei Gelegenheit von dem Herrn Grafen zu erwarten hätte, hatte er Sorge getragen, mittels eines im April 1770 abgeschlossenen Vertrags seine geschäftlichen Beziehungen zu Herrn du Verney in aller Form zu ordnen, das heißt zu klarem Abschlusse zu bringen und das beiderseitige Soll und Haben festzustellen. In der ganzen Sache hat sich Beaumarchais, das mußte jedes unbefangene Auge sofort erkennen, durchweg rechtlich und ehrenhaft benommen. Aber der Herr Graf de la Blache pflegte von dem Kompagnon seines Verwandten zu sagen: » Je hais cet homme comme un amant aime sa maitresse!« (Ich hasse diesen Menschen, wie ein Liebhaber seine Geliebte liebt!) und war daher, sobald sein Großoheim die Augen geschlossen hatte, wütend darauf aus, Vernunft und Recht beiseitezusetzen, um seinen Haß zu befriedigen. Er begnügte sich nicht, Beaumarchais wegen der Zahlung von 139 000 Livres, die jener angeblich seinem verstorbenen Großoheim noch schuldig gewesen sei, zu belangen, sondern zog den Gehaßten auch wegen angeblicher Fälschung des Rechnungsabschlusses vom April 1770 vor Gericht. Der Prozeß währte für jene Zeit nicht allzulange, nämlich nur acht Jahre, und wurde im Juli 1778 in dritter und letzter Instanz durch das Parlament der Provence vollständig zugunsten von Beaumarchais entschieden, dessen Gegner vergebens alle Mittel vornehm-nichtswürdiger Kabale in Bewegung gesetzt hatte und schließlich mit allen seinen Forderungen abgewiesen, außerdem aber zur Bezahlung der Prozeßkosten und zur Entrichtung von 12 000 Frank an seinen Widerpart » pour raison de calomnie« (wegen Verleumdung) verurteilt wurde.
Während der Unruhe dieses Prozesses fand unser zu Handen seiner Richter unermüdlich »Mémoire« auf Mémoire loslassender Prozeßkünstler Zeit und Stimmung, seinen »Barbier von Sevilla« zu entwerfen und auszuführen. Zu seinem Schaden hat er auch Zeit und Stimmung noch zu anderem gefunden. Nämlich zu einem Liebeshandel mit der hübschen und pikanten Mademoiselle Ménard, einer Komödiantin vom Theater Français. Derartige Damen, wohl wissend, was für ein zerbrechlich Ding ihre Tugend, haben die vorsichtige Gewohnheit, lieber zwei oder mehrere Hüter und Schützer besagter Zerbrechlichkeit anzustellen als nur einen, und daher kann es nicht überraschen, daß Mademoiselle neben ihrem »väterlichen Freunde« Beaumarchais noch einen jungen Grandseigneur, den Duc de Chaulnes, mit besagtem Hüteramt betraut hatte. Der Duc war seiner Pflicht eine Weile sehr eifrig nachgekommen und hatte seinen schönen Schützling unter anderem auch mit einem Töchterlein beschenkt. Dann war der bizarre Mensch des Handels müde geworden; aber kaum hatte ihn Beaumarchais auf seinem Posten abgelöst, als er auf den Einfall kam, es sei eine Schmach, von einem »Roturier« verdrängt worden zu sein, und folglich müßte er den Eindringling umbringen. Beaumarchais' trefflicher Biograph Loménie vergleicht die beiden Nebenbuhler mit den homerischen Helden Ulysses und Ajax; allein alle seine Vielgewandtheit vermochte unsern Caron-Ulysses nicht davor zu bewahren, von dem brutalen Chaulnes-Ajax tüchtig durchgeprügelt zu werden. Zwar gab Beaumarchais, als ihm Donnerstag, den 11. Februar 1773, ein guter Freund meldete: » Le duc vous cherche pour voue tuer –« (Der Herzog sucht Sie, um Sie zu töten –) lachend zur Antwort: » Il ne tuera que ses puces« (Er wird nur seine Flöhe töten). Aber noch in derselben Stunde überfiel der wütende Ajax seinen Mithüter komödiantischer Tugend, überfiel ihn im Louvre, wo Beaumarchais gerade dem » Tribunal conservateur des plaisirs du roi« würdevoll vorsaß, überschüttete den Gegner mit Verbal- und Realinjurien, verfolgte ihn nach Hause, würgte, zerbleute und zerraufte ihn, zerkratzte ihm mit seinen herzoglichen Nägeln das Gesicht, kurz, führte sich wie ein besoffener Matrose auf. Es ist halb mitleidswert und halb lächerlich anzusehen, wie der Mißhandelte in dieser kläglichen Situation sich verhält. Man erkennt, wie in ihm die Wut des Gentlemans mit dem Respekt des Plebejers vor einem Herzog und Pair von Frankreich kämpft. Die Wut trug es freilich über den Respekt soweit davon, daß er dem pöbelhaften Angreifer gleiches mit gleichem vergalt und, wie er in seinem über dieses Abenteuer an den Polizeileutnant Sartines gerichteten Mémoire berichtete, »mit aller Kraft seines Armes dem Herzog einen Faustschlag mitten ins Gesicht versetzte«. Herbeigerufene Polizeimannschaft riß endlich die homerischen Zweikämpfer auseinander, und unser geprügelter und zerraufter Ulysses besaß Spannkraft genug, eine auf den Abend dieses Unglückstages angesetzte Vorlesung seines »Barbier von Sevilla« nicht zu versäumen und einer zahlreichen Versammlung sein Stück mit Geist und Feuer vorzutragen.
Aber der leidige Handel war damit noch nicht zu Ende. Der Duc de Vrillière, Minister des königlichen Hauses, und das Tribunal der Marschälle von Frankreich, vor welchem Streitigkeiten zwischen Edelleuten – und Beaumarchais war ja, wie wir wissen, » en vertu de sa quittance« ein solcher – zur Verhandlung kamen, mischten sich darein. Der Duc de Vrillière belegte Beaumarchais mit Hausarrest, bis der König in der Sache seinen Willen kundgetan hätte. Der Gerichtshof der Marschälle aber zitierte den Arrestanten, ließ sich von ihm unschwer überzeugen, daß die Schuld des ganzen Skandals nicht auf ihm, sondern auf dem Duc de Chaulnes läge, schickte daraufhin diesen Grandseigneur mittels einer Lettre de Cachet (Haftbefehl) ins Fort von Vincennes und erklärte den Hausarrest Beaumarchais' für aufgehoben. Allein der Minister des königlichen Hauses, erbost, daß ein Tribunal es gewagt, »im Namen des Königs« einen Arrest aufzuheben, den er, Monseigneur le Duc, »im Namen des Königs« verhängt hatte, schickte, immer »im Namen des Königs«, den armen Beaumarchais als Gefangenen ins Fort l'Evêque. Eine hübsche Probe, fürwahr, der Justizpflege des Ancien Regime! Nach einer völlig willkürlichen Haft von zwei Monaten und einem halben verfügte der Minister die Freilassung des Vergewaltigten, der gerade damals seinen gegen den Grafen de la Blache geführten Prozeß in erster Instanz gewonnen hatte, jedoch infolge der Appellation, die sein Gegner einzulegen eilte, gänzlichem Ruin nahegebracht wurde. Aber mit wunderbarer Energie erhob er sich über die Gefahr und entzündete aus den Mauern seines Gefängnisses hervor ein Feuer, dessen Glanz und Glut ganz Frankreich in Staunen und Bewunderung versetzte, und welches eines der gehässigsten und gehaßtesten Institute der Willkürherrschaft vernichtete, jenes »Parlament Maupeou«, welches auf Betreiben des Kanzlers dieses Namens und auf Andrängen der Haupt- und Staatsmätresse Dubarry Ludwig XV. kraft Edikts vom 7. Dezember 1770 gewaltsam an die Stelle der alten Parlamente des Reiches gesetzt hatte.
Unser Prozeßkünstler hatte in Erfahrung gebracht, daß der Rat Goëzman in dem in zweiter Instanz vor den Pariser Parlaments-Hof gebrachten Prozesse Mache kontra Beaumarchais das Referat habe, und zugleich auch, daß besagter Parlamentsrat in zweiter Ehe eine junge und hübsche Frau geheiratet hätte, welche zu sagen pflege: »Es ist unmöglich, von unserer Besoldung anständig zu leben; aber wir verstehen uns darauf, die Hühner zu rupfen, ohne sie gackern zu machen.« Diese anstellige Frau Rätin und Rupferin glaubte, als Beaumarchais sich mit ihr in geschäftliche Beziehungen gesetzt hatte, sonder Zweifel, ein geduldig und stumm stillhaltendes Huhn unter den Händen zu haben; aber – o Schreck! – statt eines derartigen Huhns war es ein Hahn höchster Potenz, ein Kampfhahn ohnegleichen, der mit dem Geräusch seines Flügelschlags ganz Paris erfüllte, mit seinem metallenen Kikeriki ein ganzes Volk wachkrähte, und das alles um lumpiger fünfzehn Louisdor willen!
Beaumarchais hatte vergebens eine Audienz bei dem Referenten seines Prozesses zu erhalten gesucht. Da bedeutete man ihn, Herr Goëzman werde zugänglicher sein, wenn der Audienzbegehrer der Frau Rätin zuvor ein Geschenk im Werte von zweihundert Louisdor mache. Unser gelehriger Freund ließ sofort der Dame hundert Louisdor und eine gleichviel werte, weil mit Diamanten besetzte Uhr zukommen. Sie forderte noch weitere fünfzehn Louisdor für den Sekretär ihres Herrn Gemahls, wie sie sagte. Beaumarchais gab auch diese Summe noch, wogegen Madame versprach, die hundert Louisdor und die Uhr zurückzugeben, wenn der freigebige Mann seinen Prozeß verlöre. Der Sekretär jedoch sollte in jedem Falle seine fünfzehn Goldstücke behalten. Nach diesen Vorverhandlungen erhielt Beaumarchais eine Audienz bei Herrn Goëzman und – zwei Tage nach dieser Audienz verlor er seinen Prozeß durch Parlamentsspruch. Dies war ein Schlag, der ihm Ehre und Vermögen zugleich zu vernichten drohte, und sogar seine Spannkraft schien einen Augenblick dadurch gebrochen. Aber er richtete sich sofort wieder auf, und wir sehen den seltenen Mann dem Sturme, der ihn zu entwurzeln droht, eine mutige Stirn entgegenkehren.
Wunderlicherweise war es ein verschwindend kleiner Nebenumstand in diesem ganzen Handel, der für Beaumarchais zur Grundlage ward, auf welcher er ein welthistorisches Plädoyer anhob. Madame Goëzman hatte ihm gewissenhaft die hundert Goldstücke und die Diamantenuhr zurückgestellt; er aber, in seiner Erbitterung über den Verlust seines Prozesses, in seiner Überzeugung, daß Goëzmans Referat nur darum zu seinen Ungunsten gelautet, weil der Graf de la Blache der Frau Referentin mehr geboten, verlangte auch noch die fünfzehn Louisdor zurück, die, wie er herausbekommen hatte, aus der Tasche von Madame keineswegs in die des Sekretärs übergegangen waren. Die Zurückgabe wird verweigert. Der Kampfhahn beginnt die Flügel zu rühren und den Schnabel zu wetzen. Madame leugnet, die fünfzehn Goldstücke jemals empfangen zu haben. Ein erstes drohendes Kikeriki von seiten des Hahns, worauf der Herr Parlamentsrat in tugendhafter Entrüstung über die Verunglimpfung seiner liebenswürdigen Frau Gemahlin beim Parlament eine Verleumdungsklage gegen Beaumarchais anstrengt. Daß dieser Gerichtshof, so wie er war – das »Parlament Maupeou« – seinem Mitglied Goëzman unter allen Umständen gegen den Angeklagten rechtgeben würde, verstand sich von selbst. Aber einerlei, unser Vielgewandter fühlt angesichts dieser Gefahr zum erstenmal seinen Genius ganz und voll, und so setzt er sich hin und schleudert seine weltberühmten vier »Mémoires« aufs Papier, aus logischer Schärfe, unwiderleglicher Beweiskraft, blitzender Ironie und schmetternden Donnern der Beredsamkeit gewobene Offenbarungen der polemischen Muse, die kaum ihresgleichen haben. Die bewundernswerteste Kunst des unvergleichlichen Prozeßkünstlers aber war diese, daß er sich vom Privatangeklagten zum Staatsanwalt seiner Nation aufschwang, zum Geist und Feuer sprühenden Rächer der von der französischen Justizpflege hunderttausendfältig geschädigten und geschändeten Gerechtigkeit, zum unwiderstehlichen Zermalmer des aus Lug und Trug, aus Erpressung und Grausamkeit zusammengeschwindelten Justizgebäudes der guten alten frommen Zeit. Das Aufsehen, das Beaumarchais' Streitschriften erregten, war ungeheuer: sie sind in Wahrheit ein Ereignis gewesen, nicht allein für Frankreich, sondern für ganz Europa. Es wurde darin einer der wichtigsten Grundsätze des modern-humanen Staatsrechts, die Gleichheit der Staatsbürger vor dem Gesetz, siegreich durchgefochten.
Natürlich hinderte dies alles das Parlament Maupeou nicht, den kühnen Plädeur, dessen Sache seine Landsleute und Zeitgenossen mit Fug » la cause de la nation« (die Sache der Nation) nannten, zu verurteilen, und es scheint, daß Beaumarchais auf den Fall hin, daß er zum Prangerstehen verurteilt würde, den Entschluß gefaßt hatte, diesem Äußersten durch Selbstmord zu entgehen. Der Urteilsspruch erging am 26. Februar 1774. Das Parlament verurteilte Madame Goëzman zum » Blâme« und zur Wiederherausgabe der fünfzehn Louisdor. Herr Goëzman ward » hors de cour« (unfähig eines Hofamts) erklärt, eine mildere Form der Blâmeerklärung. Der Arme wurde dadurch genötigt, seinem Amte zu entsagen, und verlor sich in Dunkelheit, aus welcher er nur noch einmal flüchtig auftauchte, am 7. Thermidor 1794 mit einem unendlich viel besseren Mann, als er selber war, mit Andre Chenier auf einem Karren zur Guillotine fahrend. Aber auch Beaumarchais ward verurteilt, geradezu verdonnert; denn gegen ihn erging die Sentenz: » La cour te blâme et te déclare infame« – was soviel hieß wie: Du bist unfähig, irgendein öffentliches Amt zu bekleiden, du bist bürgerlich ehrlos. Wie Paris dieses Urteil wertete, diese Ehrloserklärung des Führers der »Sache der Nation« aufnahm, zugleich aber auch, wie schon damals ein Teil der französischen Aristokratie zum oder vielmehr gegen das Ancien Régime stand, kann schon die eine Tatsache zeigen, daß am Tage nach der Urteilsfällung zwei Prinzen von Geblüt, der Herzog von Chartres und der Prinz von Conti, dem »Blamierten« zu Ehren ein glänzendes Fest veranstalteten. In seinem Einladungsschreiben hatte der letztgenannte Grandseigneur zu Beaumarchais gesagt: »Wir sind aus einem sattsam guten Hause, um Frankreich zu zeigen, wie es einen so großen Bürger, der Sie sind, ehren soll.« War das nicht auch schon wieder ein Stück Revolution?
Das Parlament Maupeou ist an der Todeswunde gestorben, die ihm Beaumarchais' Feder geschlagen hatte. Es aufzulösen und die früheren Parlamente wiederherzustellen, ist eine der ersten Regierungshandlungen Ludwigs XVI. gewesen. Nun war für unseren »Blamierten« die Zeit gekommen, sich entblamieren zu lassen. Noch bevor das Jahr 1775 zu Ende, wurde durch Entscheid des »Grand-Conseil« des Pariser Parlaments das gegen ihn ergangene Urteil, sowie die Entscheidung des Parlaments Maupeou in Sachen De la Blache kontra Beaumarchais für null und nichtig erklärt und der Prozeß an das Parlament der Provence zu Aix als an die letzte Instanz gewiesen. Dort erfolgte dann, wie schon erwähnt, im Juli 1778 der völlig zugunsten unseres Prozeßkünstlers lautende endgültige Spruch. Bevor ihm jedoch in dieser Weise seine Rehabilitation und sein Recht zuteil ward, begegnet uns der »blamierte« Proteus in einer neuen Rolle: der Uhrmacher, Musiker, Küchenschreiber, Jagdgerichtspräsident, Duellant, Spekulant, Rührdramenschreiber und öffentliche Ankläger wird diplomatischer Geheimagent Ludwigs XV.
In der Leidensgeschichte der unglücklichen – wenn auch keineswegs schuldlosen oder gar »engelreinen« – Königin Marie Antoinette gibt es einen Umstand, der sehr geeignet ist, denkender Menschen Mitleid wachzurufen. Ich meine die bebende Angst, die der Königin im November 1790 eingejagt wurde durch die Nachricht, daß » cette misérable creature«, die Halsbandgeschicht-Lamotte, aus England, wohin sie entflohen war, zurückkehren würde. Die Großen der Erde, falls sie Zeit hätten, Geschichte zu studieren, und Verstand genug, sie zu verstehen, könnten aus diesem Zittern der armen Königin, wie aus der ganzen Halsbandprozedur und ihren Nachwehen manches, sogar vieles lernen. Vor allem dies, daß in der Stickluft des Despotismus, wie alles Gemeine und Schlechte, so auch die Verleumdung vortrefflich gedeiht und daß die Gewaltsamkeit, womit die freie Erörterung niedergehalten wird, mit Notwendigkeit die Menschen dahin führt, von ihren Vergewaltigern selbst das Abenteuerlichste und Infamste als selbstverständlich mit Begierde zu glauben.
Unter den zahllosen Symptomen der unheilbaren und unaufhaltsamen Fäulnis des Ancien Régime trat als eins der bezeichnendsten der heimliche Krieg hervor, den Hof und Regierung gegen die oppositionelle, in England und Holland aufgestellte Presse, die häufig nur eine Schandpresse war, zu führen sich veranlaßt sahen. In diesem Kriege ließ sich jetzt Beaumarchais verwenden, und zwar zugunsten des scharlachnen Lasters, der Haupt- und Staatsmetze Dubarry. Von einem Proteus kann man natürlich nicht verlangen, daß er ein Charakter sei, und unser Mann hat auch nie den Anspruch erhoben, ein solcher zu sein. Trotzdem dürfen wir billig vermuten, daß es wenigstens seinem Reinlichkeitssinn keine geringe Selbstüberwindung gekostet habe, sich mit der ihm aufgegebenen schmutztriefenden Mission zu befassen. Er hatte aber kaum eine andere Wahl. Nach seiner Verdonnerung durch das Parlament war dem Blamierten par ordre du mufti absolutes Stillschweigen auferlegt worden, wodurch es ihm rein unmöglich gemacht war, an seiner Ehrenrettung zu arbeiten. In diesem unerträglichen Zustande befand er sich, als ihm der König durch seinen ersten Kammerdiener De la Borde sagen ließ, er könnte, so er wollte, seine Entblamierung verdienen. Schwerlich dürfte im Jahre 1774 ein Franzose oder überhaupt ein Mensch gelebt haben, der unter diesen Umständen nicht mit Beaumarchais geantwortet hätte: »Ich stehe Sr. allerchristlichsten Majestät zu Befehl.«
Es lebte damals ein französischer Industrieritter niedersten Grades, Thévenau de Morande, in London, und zwar lebte er von dem Skandal, den er in Form von Broschüren nach Frankreich hinüberschmuggelte, – ein zu jener Zeit überhaupt sehr schwunghaft betriebenes Geschäft. Eines Tages erhielt Dame Dubarry von seiten dieses Biedermanns die briefliche Anzeige, daß er demnächst ein Buch, dessen Heldin Madame wäre, veröffentlichen werde unter dem anziehenden Titel: » Mémoires secrets d'une femme publique« (Geheime Denkwürdigkeiten einer öffentlichen Frau). Aufgehetzt durch die also Bedrohte, verlangte Sultan Ludwig vom englischen Kabinett die Auslieferung des Libellisten. Die Regierung des Urlandes der Heuchelei gab zur Antwort: Wir können den Kerl nicht öffentlich ausliefern, weil das gegen Gesetz und Brauch Altenglands verstößt; wenn aber Se. allerchristlichste Majestät im geheimen eine Truppe Polizisten herüberschicken und den Lumpenhund heimlich aufheben und entführen lassen will, werden wir dazu beide Augen zudrücken. Daraufhin schickte der französische Polizeiminister wirklich in aller Heimlichkeit die gehörige Anzahl von Polizisten nach London. Allein der schlaue Morande, der in Paris seine Korrespondenten besaß, und zwar in hohen Gesellschaftsregionen, hatte Wind bekommen, signalisierte die bevorstehende Ankunft seiner Entführer in spe geräuschvoll dem englischen Publikum, und so sahen die Sendlinge der Pariser Polizei ihr Unternehmen nicht nur zum voraus vereitelt, sondern entgingen auch nur mit höchster Not der Gefahr, vom Londoner Pöbel in die Themse geworfen zu werden. Stolz auf diesen Erfolg, beeilte Morande den Druck seiner Denkwürdigkeiten der Dubarry, und bald lagen dreitausend Exemplare zur Versendung nach Frankreich über Holland und Deutschland bereit. Inzwischen war Ludwig XV. auf den Gedanken gekommen, in Güte mit dem gefürchteten Pamphletisten zu verhandeln und mit dieser Verhandlung unsern vielgewandten Blamierten zu betrauen.
Beaumarchais übernahm den Auftrag, ging im März 1774 unter dem Namen Ronac (Anagramm von Caron) nach London, wußte sich mit dem ebenso mißtrauischen wie pfiffigen Morande in Beziehung zu setzen und von ihm zu erlangen, was der König wünschte. Die Handschrift und die dreitausend gedruckten Exemplare der Schmähschrift wurden in der Nähe von London in einem Kalkofen verbrannt, und es kostete diese Operation 20 000 Frank, welche aus der französischen Staatskasse zur Vergütung an Morande sofort bezahlt wurden, sowie ferner alljährlich 4000 Frank, welche lebenslängliche Rente sich der wohlerfahrene Arbeiter im Unkraut des Ärgernisses ausbedungen hatte. Man sieht, das französische Volk hatte den Schutz des »guten« Rufes der Scharlachenen ganz anständig zu honorieren; denn, wohlverstanden, Monsieur Morande bezog auch noch unter der Regierung Ludwigs XVI. seine Jahresrente. Im übrigen muß man Beaumarchais bezeugen, daß er seine schmutzige Mission möglichst säuberlich vollzog, indem er sich weigerte, dem Ansinnen des Duc d'Aiguillon, der damals gemeinsam mit der Staatsmetze Frankreich regierte, zu entsprechen, dem Ansinnen, die Korrespondenten und Korrespondentinnen Morandes zu erspähen und zu verraten. Die Worte, die er hierüber später an Ludwig XVI. schrieb, gereichen ihm sicherlich zur Ehre: » Trop hereux de parvenir à supprimer ces libelles sans en faire un vil moyen de tourmenter sur des soupçons tous les gens qui pourraient déplaire, je refusai de jouer le rôle infame de délateur, de devenir l'artisan d'une persécution peut-être générale et le flambeau d'une guerre de bastille er de chachots« (Allzu glücklich, diese Schmähschriften unterdrücken zu können, ohne daraus ein niedriges Mittel zu machen, auf Verdacht hin alle mißliebigen Leute zu quälen, lehnte ich es ab, die schändliche Rolle eines Angebers zu spielen, der Urheber einer vielleicht allgemeinen Verfolgung zu werden und die Fackel eines Krieges der Bastille und der Gefängnisse).
Als Beaumarchais nach Paris zurückeilte, um den Lohn seiner erfolgreichen Mühwaltung zu empfangen, das heißt seine Rehabilitation, fand er den König tot und dessen Enkel und Nachfolger sehr geneigt, von seiner soeben bewährten Geschicklichkeit im Fache der geheimen Agentur ebenfalls Gebrauch zu machen. Demzufolge finden wir unsern Unermüdlichen im Jahre 1774 noch einmal auf dem Wege nach London, um die von dorther drohende Veröffentlichung eines Pamphlets zu hintertreiben, das unter dem Titel: » Avis à la branche espagnole sur ses droits à la couronne de France, à défaut d'héritiers« (Mitteilung an die spanische Linie über die Rechte an die Krone Frankreichs in Ermangelung von Erben) – erscheinen sollte und dessen vergiftete Spitze gegen die junge, damals noch kinderlose Königin Marie Antoinette gerichtet war, die gleich ihrem Gemahl dadurch höchlich beunruhigt wurde. Ausgestattet mit einem Attest von der Hand Ludwigs XVI., ward Beaumarchais beauftragt, den Autor ausfindig und stumm zu machen. Nicht mit Dolch und Gift, sondern mit Geld. Der Autor war ein italienischer Jude, Angelucci, und Beaumarchais wurde um den Preis von 36 000 Frank richtig mit ihm handelseinig. Allein der verschmitzte Sohn Israels suchte unsern Vielgewandten zu überlisten und nach Empfang der genannten Summe, sowie nach Verbrennung von viertausend Exemplaren seines Machwerks, dieses dennoch in die Öffentlichkeit zu bringen. Die energische Vereitlung dieses Unterfangens wurde für Beaumarchais zu einer ganzen Reihenfolge von Abenteuern, die ihn, immer auf der Fährte des Halunken von Juden, von London nach Amsterdam, von Amsterdam nach Nürnberg, von Nürnberg nach Wien führten, wo er, in höchster Aufregung, im Wundfieber – denn er war unterwegs bei einem tapfer bestandenen Raubanfall verwundet worden – die Kaiserin Maria Theresia bestürmte, den Schuft von Angelucci, den Verleumder ihrer Tochter, an Frankreich auszuliefern. Der patriarchalischen Despotin kam aber der in die Hauptstadt Österreichs hereingeschneite Stürmer und Dränger selbst höchst verdächtig vor, und sie fand es bedenklich, daß »so ein Mensch« sich überhaupt mit den Angelegenheiten der Königin von Frankreich zu schaffen machte. Die Folge davon war, daß der arme Beaumarchais einen ganzen Monat lang als Gefangener in Wien zurückgehalten wurde, bis man sich aus Paris Aufschluß über ihn verschafft hatte. Dies geschehen, ließ man ihn laufen, und die Kaiserin bot ihm zum Abschied ein Geschenk von tausend Dukaten, das anzunehmen er stolz verweigerte, wie er denn auch vom französischen Hofe keine Bezahlung seiner Dienste in Sachen dieser Schmähschriften weder forderte noch empfing, einzig und allein um seine Ehrenrettung arbeitend. Trotzdem verursachte die Unterdrückung der Pamphlete Morandes und Angeluccis, die zusammen keinen Frank wert waren, der französischen Staatskasse eine Ausgabe von 172 000 Frank, zu einer Zeit, wo der Staatsbankrott schon vor der Türe stand. Und noch immer gibt es »Historiker«, die schamlos genug sind, die Finanz- und sonstige Lotter- und Luderwirtschaft des Ancien Régime schönfärben zu wollen!
Es liegt im Wesen der diplomatischen Geheimagentschaft, ja, wie Wissende wollen, auch der öffentlichen Diplomatik, sich häufig mit Anrüchigem befassen zu müssen. Ist doch die genialste Denkerin, welche Deutschland bisher hervorgebracht hat, so weit gegangen, zu prophezeien, im Wörterbuch der Menschheit würden Diplomat und Schurke dereinst gleichbedeutend sein. In Erwartung dieser paradiesischen Zukunft sagen wir, daß unser Geheimagent zunächst allerdings noch ein weiteres mißduftendes Geschäft abzutun hatte, eine Unterhandlung mit dem bekannten Chevalier d'Eon, der von Ludwig XV. in den schmutzigen Kanälen seiner Privatdiplomatie verwendet und gezwungen worden war, sich als Weib zu verkleiden, jetzt aber von London aus mit Drohungen und Forderungen der Regierung Ludwigs XVI. äußerst unangenehm wurde Im Vorbeigehen sei das wenig bekannte Kuriosum erwähnt, daß ein gewisser Gaillardet zur Erklärung der gezwungenen Verkleidung d'Eons die tolle Hypothese aufgebracht hat, König Georg III. habe eines Tages seine Frau, die Königin Sophie Charlotte, mit dem Chevalier in flagranti ertappt. Die Königin, welche durch d'Eon Mutter Georgs IV. geworden, habe, unterstützt von ihrem Leibarzt, ihrem bekanntlich sehr bornierten Gemahl weiszumachen gewußt, der Chevalier sei ein Weib. Der König habe darüber bei Ludwig XV. Erkundigung eingezogen und der letztere, um die Königin zu schonen, die Angabe derselben bestätigt, zugleich aber zur Aufrechterhaltung der Fabel den Chevalier gezwungen, beständig Frauenkleider zu tragen.. Nachdem es Beaumarchais gelungen war, dem alten Abenteurer, der so vielen Lärm in der Welt gemacht, den Mund zu stopfen – das Stopfungsmaterial waren 120 000 Livres – wurde ihm endlich der sehnsüchtig begehrte und wohlverdiente Lohn zuteil: seine schon gemeldete feierliche Entblamierung und Ehrenrettung (September 1776). Also wieder ein »ehrlicher« Mann in den Augen von aller Welt, ging der Sieur Caron de Beaumarchais frisch daran, die diplomatische Gewandtheit, die er sich erworben, in einer ehrenhafteren Region zu erproben als dort, wo die Morande und Angelucci und d'Eon sich umtrieben.
Beaumarchaissche Beweglichkeit kann sich jedoch nicht begnügen, nur eine Sehne am Bogen zu haben. Hände, welche gebaut sind wie die unseres Mannes, fassen immer rechts und links an und bewältigen spielend die verschiedenartigsten Sachen zur gleichen Zeit. Das ist ein rastloses Agieren, Spekulieren, Prozessieren und dazu noch ein Dramatisieren, kraft dessen der »Barbier von Sevilla« am 23. Februar 1775 in Szene geht, nachdem es seinem Verfasser unsägliche Mühe gekostet hat, das Stück durch die Zensur zu bringen, obgleich den demokratisch-revolutionären Grundgedanken desselben keiner der Herren Zensoren witterte. Vielleicht, daß dieser Gedanke unserm Dichter selber nicht zu klarem Bewußtsein gekommen. Aber vorhanden war er, und zwar in dem bedeutungsvollen Umstand, daß der Barbier Figaro, ein auf der untersten Leitersprosse der sozialen Hierarchie stehender Mensch, in dem Drama die Hauptrolle innehat und sie in einer Weise durchführt, die klärlich dartut, wie unendlich er den Standespersonen, die er gängelt und leitet, überlegen ist. Es heißt, wenigstens Urteilsfähigen gegenüber, nicht zuviel behaupten, wenn man sagt, daß Figaros Auftreten auf der Theaterbühne die symbolisch-prophetische Antizipation vom nahe bevorstehenden Auftreten des Volkes auf der Weltgeschichtsbühne gewesen sei.
Der Zudrang zur ersten Aufführung war ein beispielloser; aber das Stück mißfiel, und La Harpe gab darüber das strenge Verdikt ab: »Es hat zuviel von einer Posse, seine Weitschweifigkeiten haben Langeweile, seine schlechten Späße Widerwillen, seine schlechten Sitten Entrüstung erregt.« Aber Beaumarchais, längst gewohnt, seine Erfolge der Welt zu entreißen, gab seinen Barbier nicht so leicht verloren. Am 23. Februar durchgefallen, erschien die Komödie, abgekürzt und wie mit Dampfkraft umgeschmolzen, schon am 25. zum zweitenmal auf den Brettern. Am 26. schrieb Frau Du Deffand an Horaz Walpole: »Gestern war ich in der Komödie von Beaumarchais, welche man zum zweitenmal gab. Bei der ersten Vorstellung ausgepfiffen, hatte sie gestern einen außerordentlichen Erfolg. Sie wurde beklatscht, daß die Wände des Saales hätten bersten mögen; sie wird bis zu den Wolken erhoben.« Jetzt war die Stellung des Barbiers von Sevilla in der dramatischen Literatur Frankreichs entschieden. Seit dem Schöpfer des Tartuffe war kein Lustspieldichter mehr aufgestanden wie der Schöpfer des Figaro, und diese Charakterfigur durfte auf dem sozialpolitischen Gebiet ganz dieselbe Bedeutung ansprechen, die auf kirchlich-religiösem dem Heuchler Molières zukommt. Die Fabel des Stückes ist bekanntlich eine sehr alte Geschichte: die Nasführung eines alten Gecken von Vormund, der sein schönes junges Mündel heiraten möchte. Aber die Behandlung dieses Stoffes ist so voll Kraft und Grazie, der Dialog funkelt so prächtig von Geist, Witz und Bosheit, daß ein besseres Intrigenstück kaum gedacht werden kann.
Wunderlichst drängen und häufen sich die Kontraste, mitunter die grellsten, im Dasein unseres Mannes. Zu der Zeit, wo er sich seiner Komödie halber mit Zensoren, Kritikastern, Schauspielern und Schauspielerinnen herumbeißt, wird ihm die absonderliche Aufgabe gestellt, seinen sterbenden Gönner, den atheistischen Prinzen von Conti, zu überreden, sich mit den kirchlichen Sterbesakramenten versehen zu lassen. Der Verfasser des Barbiers von Sevilla in Gemeinschaft mit dem Erzbischof von Paris daran arbeitend, den »französischen Alkibiades« – wie man den Prinzen nannte – » en bon chrétien« (als guten Christen) sterben zu machen, das heißt, ihm die Annahme der letzten Ölung aufzureden … ist das nicht eine der bizarrsten Szenen der tollschönen Tragikomödie jener Zeit? Und auch dies ist ein bizarrer Charakterzug derselben, daß nach dem Tode des französischen Alkibiades, der Mitglied der Akademie gewesen war, der gelehrte Direktor dieses Instituts, Monsieur Gaillard, dem Verstorbenen in öffentlicher Sitzung eine Lobrede hielt, deren Inhalt für uns ganz märchenhaft klingt. »Die Helenen, die Ariadnen und so viele andere haben, geblendet von seinem Ruhm, entzückt von seiner Anmut, danach verlangt, von ihm besiegt zu werden, und haben nicht ihre Niederlage, sondern nur seine Unbeständigkeit beklagt. Alle Schönen bevorzugten ihn und er bevorzugte alle.« So leierte es noch lange weiter in der Verhimmlung des Wüstlings und Prinzen, und dies geschah in feierlicher Versammlung des Instituts von Frankreich, als schon die Sturmglocken leise zu schwingen begannen …
Die weltgeschichtliche Schicksalsironie hat es, wie jedermann weiß, gewollt, daß das in Frankreich auf die Neige gehende absolute Königtum der jenseits des Ozeans erstehenden Demokratie aufhelfen mußte. Daß und warum und wie der französische Hof mit den amerikanischen Rebellen gegen England gemeinsame Sache machte, ist bekannt. Wenig dagegen in engeren und gar nicht in weiteren Kreisen, daß in diesem ewig denkwürdigen Unternehmen Beaumarchais nicht nur einen Finger, sondern eine ganze Hand hatte, daß er eins der bedeutendsten Triebräder der widerenglischen Politik seines Landes, einer der eingreifendsten Bundesgenossen der Nordamerikaner, ja geradezu eine gegen Großbritannien kriegführende Macht gewesen ist.
Das wurde er aber erst im Verlaufe dieses »Geschäfts«; denn wir sehen ihn zuvörderst in seiner alten bescheidenen Rolle als geheimer Agent in die Angelegenheit eintreten. Als solcher ist er im Auftrage des Grafen von Vergennes, der – einer der tüchtigsten Minister, die Frankreich jemals gehabt – damals die auswärtigen Angelegenheiten leitete, gegen den Herbst 1775 wiederum nach London gegangen. Sein Auftrag war, das französische Kabinett über den Stand der englischen Parteien und ihre Stellung zur amerikanischen Frage genau zu unterrichten; daneben auch unauffällige Beziehungen mit den nach England hinübergeschickten Agenten der amerikanischen »Insurgenten« anzuknüpfen. Unser Proteus löste diese Aufgaben meisterlich. Durch einen alten Bekannten von Madrid her, Lord Rochford, wußte er sich einen Späherpfad in das Kabinett des englischen Premier, Lord North, zu bahnen, während er zugleich der vertraute Tischgenosse von Wilkes, dem damaligen Lordmajor von London, war und demnach mit der Opposition, die bekanntlich die Sache der Amerikaner begünstigte, sozusagen auf du und du stand. Schon im September 1775 sandte er ein Memoire an Ludwig XVI., dessen Darlegungen schließlich also zusammengefaßt waren: »Die Engländer werden ihrer Gegenbemühungen ungeachtet Amerika einbüßen. Der Streit ist hier in London noch heftiger entbrannt als drüben in Boston. Das Ende der Krisis wird ein Krieg mit Frankreich sein.« Im Fortgang seiner Berichte an den König und an den Grafen Vergennes kommt Beaumarchais immer wieder auf diesen Gedanken zurück: »Die Amerikaner werden triumphieren, aber man muß sie in ihrem Kampfe unterstützen; denn falls sie unterlägen, würden sie sich gemeinsam mit den Engländern gegen uns kehren.« Zunächst empfahl er, da Frankreich noch nicht zum Kriege gerüstet sei, geheime Unterstützungen der Rebellen in Form von Handelsgeschäften, und seine Anschauung drang im französischen Kabinett allmählich durch.
Im Juni 1776 finden wir den nach Paris Zurückgekehrten eifrig dabei, das von ihm vorgeschlagene eigentümliche »Handelsgeschäft«, kraft dessen die Amerikaner mit Waffen, Feldgeräten und Munition versehen werden sollten, ins Werk zu setzen. Die französische Regierung griff dabei im geheimen dem kühnen Händler zunächst mit einer Million Frank unter die Arme und auf Vergennes' Betreiben mit einer gleichgroßen Summe der spanische Hof. Sofort begann Beaumarchais seine Unternehmungen, indem er, mit dem nach Paris gekommenen Agenten der Amerikaner, Silas Deane, in Verbindung getreten, Schiffe ankaufte, ausrüstete, bemannte und befrachtete, um den Rebellen drüben die nötigen Kriegsmittel zuzuführen. Das Geschäft, anfänglich mit so geschickter Heimlichkeit betrieben, daß die argwöhnischen Engländer nichts merkten, nahm nach und nach große Verhältnisse an, und nachdem die Sachen so weit gediehen waren, daß Frankreich die Unabhängigkeit der Amerikaner anerkannte, ein Bündnis mit ihnen schloß und England den Krieg erklärte, machte das Haus Beaumarchais den Seekrieg des Hauses Bourbon gegen das Haus Hannover förmlich mit. So zwar, daß das Beaumarchaissche Schiff » Le fier Rodrigue« von sechzig Kanonen namentlich in dem Seetreffen auf der Höhe der Insel Granada, wo der französische Admiral D'Estaing den englischen Admiral Byron zum Rückzug zwang, tapfer zur Entscheidung mitwirkte.
Allein das weltgeschichtliche, zugunsten der Befreiung Nordamerikas unternommene und durchgeführte Handelsgeschäft hatte neben seiner glänzenden auch seine dunkle Seite. Zwar die Amerikaner waren nicht undankbar – in Worten. So hatte zum Beispiel Silas Deane aus Paris an den leitenden Ausschuß des Kongresses der Vereinigten Kolonien geschrieben: »Ich wäre hier nie ans Ziel gekommen ohne die unermüdlichen, großmütigen und geschickten Bemühungen des Herrn de Beaumarchais, welchem die Vereinigten Staaten mehr Dank schuldig sind als irgendeinem Menschen auf dieser Seite des Ozeans.« Unglücklicherweise hatte unser Geschäftsmann nicht nur schön klingende Worte nötig, sondern auch und mehr noch klingendes Geld. Gerade damit aber, das heißt mit der Anerkennung und Abzahlung des nach und nach bedeutend angewachsenen Guthabens von Beaumarchais wollten oder konnten die Amerikaner nicht herausrücken, und sie brachten ihn dadurch gegenüber seinen heimlichen Kompagnons, das ist gegenüber dem französischen und spanischen Hofe, nicht selten in die peinlichste Verlegenheit. Die Yankees haben bekanntlich gegen das Schuldenzahlen von jeher eine unbesiegliche Abneigung gehabt. Im April 1781 erkannte der Kongreß an, daß er dem Sieur de Beaumarchais noch 3 600 000 Livres schuldete. Von dieser ganzen Summe hatte er im Jahre 1787 noch keinen Frank erhalten, und als er endlich einen derben Mahnbrief hinüberschickte, erhielt er die überraschende Antwort, daß »die Vereinigten Staaten ihm nicht nur nichts schuldig seien, sondern im Gegenteil er ihnen 1 800 000 Frank schulde«. Auf die unablässigen Reklamationen von seiten Beaumarchais' hin ließ sich der Kongreß im Jahre 1793 wieder herbei, anzuerkennen, daß die Vereinigten Staaten ihrem Gläubiger in der Tat 2 280 000 Frank schuldeten; aber vom Bezahlen war auch jetzt keine Rede, obgleich Beaumarchais von der Dachkammer aus, die er damals als Flüchtling in Hamburg bewohnte, flehentliche Vorstellungen an den Kongreß und an das amerikanische Volk richtete. Umsonst. Diesen Prozeß hat der große Prozeßkünstler nicht gewonnen, obwohl das Recht in wahrhaft schreiender Weise auf seiner Seite war. Er vermachte den Prozeß seinen Hinterlassenen, und die Familie Beaumarchais hat ihn dann auch noch volle sechsunddreißig Jahre fortgeführt, bis zum Jahre 1835, wo ihr die Regierung der Vereinigten Staaten die Wahl ließ zwischen 800 000 Frank oder nichts. Natürlich mußte sie sich entschließen, die mit schnöder Rechtswidrigkeit und Undankbarkeit ihr angebotene Abfindungssumme zu wählen. Unendlich viel anständiger und gerechter als die Yankees handelte Ludwig XVI. gegen Beaumarchais, indem er ihm als Entschädigung für seine in dem amerikanischen Handelsgeschäft nachgewiesenermaßen erlittenen Verluste 2 275 625 Livres bewilligte, und dies noch dazu gerade zu der Zeit, als der also Geschädigte seine »Hochzeit des Figaro« auf die Bühne brachte.
Man muß borniert sein wie ein glaubenseiniger Tiroler und servil wie ein deutscher Patentliebhaber, um nicht einzusehen, daß lange vor dem 23. Juni und dem 14. Juli 1789 die Französische Revolution tatsächlich schon in raschem Gange war. Widerstandslos mit der Zeitströmung treibend, machte der arme sechzehnte Ludwig mit seinen Maurepas, Vergennes, Turgot und Necker Revolution. Ein sehr lautredendes Zeugnis hierfür ist die vertrauliche Verbindung der Regierung mit dem Manne, der den Figaro geschaffen, das Parlament Maupeou totgeblitzt, die Sache der amerikanischen Rebellen mit Wort und Tat höchst bedeutend gefördert und zum Überfluß soeben auch noch den ganzen Voltaire in siebzig Bänden in 8° und in zweiundneunzig in 12° herausgegeben hat.
Dieses letztere Unternehmen, vom Jahre 1779 datierend und während der Fortdauer des großen amerikanischen Geschäfts gleichsam so nebenher betrieben, war bei den damaligen Mitteln des Buchdrucks und Buchhandels ein wahrhaft kolossales, ein bis dahin beispielloses. Zu den technischen und ökonomischen Schwierigkeiten kam auch noch die weitere, daß nahezu die Hälfte der Werke des großen Spötters in Frankreich verboten war, was freilich nicht hinderte, daß die verpönten Voltaireismen in den herrschenden Klassen mit Wollust verschlungen und wieder verschlungen wurden. Ist es doch eine allgemein bekannte Tatsache, daß Parlamentsräte, während sie Voltairesche Bücher zur Verbrennung durch Henkershand und Buchhändler des Verkaufs dieser Bücher halber zur Eintürmung verdonnerten, dieselben verpönten Bücher als ihre Lieblingslektüre in ihren Taschen hatten. Selbstverständlich ließ sich Beaumarchais in die Sache nicht ein, bevor er sich einen Rückhalt gesichert hatte, und zwar in der Person des damaligen Quasipremier, des alten Grafen von Maurepas, der bekanntlich ein entschiedener »Voltairien« war und dem Unternehmen seinen und des Königs heimlichen Schutz zusicherte. Das steht unbestreitbar fest. Der gute Gudin, Beaumarchais' treuester Freund und begeisterter Denkwürdigkeitenschreiber, Gudin, der für unsern Freund das gewesen, was Spucknapf Boswell für Johnson war, mag das Faktum ein bißchen zu sehr dramatisiert haben. Ihm zufolge erfuhr Beaumarchais, daß Katharina II. vorhätte, eine Gesamtausgabe der Werke Voltaires in Petersburg drucken zu lassen. (Es war dieses Vorhaben nur einer der bekannten, von Zeit zu Zeit mit Schall und Knall von der Zarin nach Europa hereingeworfenen liberalen Windstöße, losgelassen, um die französischen Schöngeister in dampfende Weihrauchpfannen umzudüpieren.) Beaumarchais rennt mit dieser Neuigkeit spornstreichs zum Grafen Maurepas nach Versailles. »Exzellenz, welche Schmach für Frankreich, wenn ein vollständiger Voltaire zuerst bei den Barbaren von Russen erschiene!« – »Allerdings eine Schmach. Aber was tun? Sie wissen, mein Lieber, ich bin eingeklemmt zwischen den Klerus und das Parlament, welche nur allzusehr den Nachtvögeln gleichen, die sich über das Licht des Tages erbosen ( qui, trop semblables aux oiseaux de la nuit, s'effarouchent à l'éclat du jour). Indessen, die Sache ließe sich vielleicht doch wagen; aber ich kenne in unserm Lande nur einen Mann, der eines solchen Wagnisses fähig wäre.« – »Wer ist der Mann, Herr Graf?« – »Sie.« – »Nun ja, ich bin der Mann dazu, aber falls ich mein Geld, meine Zeit und Arbeit an die Sache wage und Klerus und Parlament kommen dann her und lassen mir das ganze Unternehmen konfiszieren, was dann?« – »Hm, wissen Sie was? Wagen Sie frisch darauflos. Ich werde unter der Hand das Unternehmen schützen und verspreche Ihnen, daß auch der König – den ich am Schnürchen habe, dachte der alte Voltairien in Parenthese – Ihnen seinen Schutz angedeihen lassen soll.«
Daraufhin ging unser Vielgewandter tüchtig ins buchhändlerische Zeug. Er kaufte dem Buchhändler Panckoucke die handschriftlich hinterlassenen und bislang noch ungedruckten, übrigens nicht sehr bedeutenden Werke Voltaires um 160 000 Frank ab, ließ aus England für 150 000 Livres prächtige Lettern kommen, kaufte drei Papiermühlen in den Vogesen und nahm vom Markgrafen von Baden das alte Schloß zu Kehl in Miete, um dort eine großartige Druckerei zu errichten. Hier wurde also der Gesamtvoltaire in einhundertzweiundsechzig Bänden (Oktav- und Duodezausgabe zusammengezählt) und in einer fünfzehntausend Exemplare starken Auflage gedruckt – die ersten Bände erschienen 1783 – und es galt nun, den weitaus größten Teil dieser Masse von Voltaireismus rheinüber und nach Frankreich hineinzuschmuggeln, was kaum möglich gewesen wäre, hätte die Regierung nicht offenkundig durch die Finger gesehen. Zwar war Voltairien Maurepas schon 1781 mit dem Tode abgegangen, zwar bliesen die Pfaffen die Posaunen des Fluches und rührten die verknöcherten Juristenoligarchen der Parlamente die Pauken der Verfolgung gegen die fluchwürdige Invasion Gesamtvoltaires in Frankreich; allein unser Ulyssesbuchhändler hatte sich beeilt, nach Maurepas' Tod zum nicht minder mächtigen Beschützer seines Unternehmens den Herrn von Calonne zu gewinnen, namentlich dadurch, daß er dem Bruder des Ministers, dem Abbé de Calonne, ausgesucht feine Diners gab. Im übrigen ist zu sagen, daß die Voltairespekulation, vom Standpunkt des Geldsacks angesehen, verfehlt war. Die Leute bekamen es doch allmählich sehr satt, siebzig oder gar zweiundneunzig Bände Voltaireismen zu lesen oder gar zu kaufen, und Beaumarchais hatte nie mehr als zweitausend feste Abnehmer. Seine Verluste bei diesem Unternehmen sind daher enorm gewesen; allein er hatte damals weder Zeit noch Lust, sich viel daraus zu machen.
Denn wie hätte unser Proteus, von jeher himmelweit entfernt von der Gemeinheit, das Geld als Selbstzweck anzusehen, sich groß um Geldverluste kümmern mögen zu einer Zeit, wo er, in eine wahre Glanzwolke von Berühmtheit eingehüllt, zur Zenithöhe seines Daseins sich erhob? Ganz im Gegenteil! Um leichter emporzuschweben, warf er das Geld mit vollen Händen weg. Das will, prosaisch zu sprechen, sagen, daß Beaumarchais unter den vielen anderen Mitteln, die er in Bewegung setzte, um seine »Hochzeit des Figaro« auf die Bühne zu bringen, auch dieses anwandte, von zahlreichen Lumpen von Grandseigneurs und Petitemätresses, von Literaten und Komödianten sich anpumpen zu lassen. In der Tat, es befanden sich unter seinen Schuldnern Prinzen und Pairs, welche ihm Kapitalien und Zinsen zwar nicht in Geld, aber doch in allerhand »guten Diensten« zurückbezahlten. Ah, er war ein Staats- und Prachtmensch von Praktiker, unser Vielgestaltiger und Vielgewandter. Er wußte, was das »Eine Hand wäscht die andere« zu bedeuten hat in dieser schmutzigen Welt, wo die großen und kleinen Erfolge errungen werden, so errungen werden, daß fürwahr die Hände des Gewaschenwerdens sehr bedürfen.
Wohl, er hatte also inmitten seiner hundertfältigen Arbeiten als Privat- und Staatsspekulant, als kriegführende Macht, Prozeßkünstler, Buchdrucker, Buchhändler und Voltaireschmuggler seine große Streitkomödie geschrieben: » Le mariage de Figaro« (Die Hochzeit des Figaro). Ein pulsierendes, explodierendes Ding von Lustspiel; eine Revolutionsbombe, mitten in die liederlich-lustige Gesellschaft des Ancien Régime hineingeworfen, die sich über das allerliebste Gesprühe und Geprassel dieser Höllenfeuerkomik zu Tode lachte. Ein Leichtfuß von Graf, welcher seinem Diener Figaro dessen Schätzchen abspenstig machen will, aber schmählich abgeführt, von dem Diener überlistet und unendlichem Gelächter preisgegeben wird – weiter nichts. Aber wie ist das in Handlung gesetzt! So, daß, wer sehende Augen hatte, auf dem Kopfe des triumphierenden Figaro schon die rote Mütze erblicken, und wer hörende Ohren besaß, aus dem Hintergrund der Bühne schon die Fallbeilschläge dumpf hervortönen hören konnte.
Gab es solche Augen und Ohren? Es scheint, und wunderlicherweise scheinen sie in und an dem, wie man leider gestehen muß, etwas sehr schafsmäßig gebildeten Antlitz des armen sechzehnten Ludwig gesessen zu haben. Man kennt aus den Memoiren der Madame Campan die Szene, wo sich der nicht uneinsichtige Schwächling von König in Gegenwart der Königin von besagter Madame die seit dem Ende des Jahres 1781 handschriftlich umlaufende neue Komödie vorlesen ließ. Als die Vorleserin den Höhepunkt des Stückes erreicht, das heißt den berühmten Monolog Figaros im fünften Akt, jenes prächtige Kriegsmanifest des Volkes gegen das Junkertum, vorgetragen hatte, fuhr Ludwig los: »Das ist abscheulich! Dieses Stück soll niemals aufgeführt werden! Man müßte die Bastille zerstören, falls die Aufführung dieser Komödie keine gefährliche Inkonsequenz sein sollte. Dieser Mensch verhöhnt ja alles, was an einer Regierung zu respektieren ist.« Worauf Marie Antoinette mit einer Betonung, welcher man anmerkte, daß sie die »Hochzeit des Figaro« nicht ungern auf den Brettern sähe: »Also das Stück kommt nicht zur Aufführung?« – »Nein, Madame, gewiß nicht! Sie können sich darauf verlassen …« Ach ja, man konnte sich auf die Festigkeit des armen Schlosserlehrlings von König verlassen. »Nie soll dieses Stück aufgeführt werden!« hatte er gesagt und, siehe, am 27. April 1784 wurde die »Hochzeit des Figaro« auf der Bühne des Theaters Français mit Pomp und Pracht und unerhörtem Hallo gefeiert.
Wir können es doch nur mit sehr gemischten Gefühlen mitansehen, welche Ränke und Schwänke, Kniffe und Pfiffe Beaumarchais in Bewegung setzen mußte, um seine Komödie zur Darstellung zu bringen, – er, der soeben in den Unabhängigkeitskampf Amerikas werktätig eingegriffen hatte, ein Mithandelnder in einem Drama gewesen war, welches – nur Schwachköpfe begreifen das nicht und nur gelehrte Lakaien können es zu leugnen versuchen – in seiner Gesamtwirkung eine unermeßliche Wohltat für die Menschheit. Wenn man aber den Eindruck empfängt, daß unser Mann aus dem historisch-heroischen Fache, in welchem er soeben mit Glück aufgetreten war, in das der Intrige herabgesunken, so kann man doch wieder nicht umhin, der Gewandtheit, Energie und Beharrlichkeit, womit er den Prozeß Beaumarchais kontra Ludwig XVI. führte, Bewunderung zu zollen. Es gelang ihm, die Frage: Aufführung oder Nichtaufführung der Hochzeit des Figaro? zu einer öffentlichen Angelegenheit, ja zu einer französischen Staatsfrage zu machen. Es bildete sich zugunsten der Darstellung des Stückes eine Verschwörung, an der Minister und Hofdamen, Prälaten und Parlamentsräte, Generale und Admirale, kurz, alle sich beteiligten, welche irgendwie zur »Gesellschaft« gezählt wurden. Und nicht etwa nur die Leichtfertigen und Zuchtlosen agitierten für den Figaro, nein, auch so anerkannt ehrsame und tugendhafte Personen wie die Prinzessin von Lamballe verlangten mit brennender Neugier, die Komödie in Szene gehen zu sehen. Es ist, entgegen den Angaben der Madame Campan, jetzt erwiesen, daß auch die Königin für die Aufführung Partei nahm, und ebenso, daß der Graf von Artois und andere Prinzen, daß die Herren Fronsac, Polignac, Vaudreuil und eine ganze Wolke von Ducs und Duchessen, Marquis und Marquisen, Comtes und Komtessen es kaum erwarten konnten, »von der Bühne herab durch Figaro der Verachtung der Massen signalisiert zu werden«.
Und so geschah es. Denn wie hätte ein armer Strohmann von sechzehntem Ludwig dem Figarosturm auf die Länge widerstehen können? Nachdem er sich erst die Erlaubnis, daß die »Hochzeit« vor der Crême der höfischen Gesellschaft im Landhause des Grafen von Vaudreuil zu Gennevilliers gespielt werden dürfte, hatte entreißen lassen, war kein Aufhalten mehr. An dem schon bezeichneten Apriltage von 1784 erschien das »abscheuliche«, das »niemals zu spielende« Stück auf den Brettern des Theaters Français, dessen Eingangstüren von der vornehmen Menge schon am Morgen belagert und förmlich erstürmt wurden, so daß in dem Gedränge drei Personen den Erstickungstod fanden. Der Beifall, der die Aufführung von Szene zu Szene begleitete, steigerte sich bis zur Raserei. Der Erfolg war beispiellos. Achtundsechzig Darstellungen folgten einander auf dem Fuße. Binnen acht Monaten, vom 27. April 1784 bis zum 10. Januar 1785 brachte das Stück der »Comédie Française« nicht weniger als 346 167 Livres ein, wovon 41 499 dem Verfasser zufielen, ohne daß unter dieser Summe die Einnahme der fünfzigsten Aufführung begriffen gewesen wäre, deren Ertrag nach Beaumarchais' Wunsch und Bestimmung den Armen von Paris zugeteilt wurde. Der Schöpfer des Figaro war überhaupt ein Mann, an dessen weiches Herz die Armen und Verlassenen nie vergeblich appellierten. Es ist sogar erwiesen, daß er an Feinden, Verleumdern und Beschimpfern, die in Not geraten waren, eine Mildtätigkeit übte, von der die Bonzen und Zeloten, welche fortwährend vom Christentum belfern, pusten und zetern, bekanntlich wenig oder nichts wissen.
Selbstverständlich war der Schöpfer des Figaro nach seinem jüngsten beispiellosen Triumph nicht minder Gegenstand der Anfeindung als der Bewunderung. Es regnete Angriffe auf ihn, alle literarischen Lumpenhunde kläfften ihn neidisch an. Einen der Kläffer, einen gewissen Suard, dessen gemeine, anonym gegen Beaumarchais geschleuderte Bosheiten insgeheim durch den Grafen von Provence ermutigt, ja sogar, wie man sagte, redigiert wurden, fertigte unser Mann mit den Worten ab: »Meinen Sie, ich würde, nachdem ich Löwen und Tiger besiegt habe, um meine Komödie auf die Bühne zu bringen, mich herablassen, eine Wanze zu züchtigen?« Aber –
»Ach, der schrecklichste der Schrecken
Ist der Kampf mit Ungeziefer,
Dem Gestank als Waffe dient,
Das Duell mit einer Wanze …«
Wanze und Kompanie wußten es nämlich dahin zu bringen, dem guten sechzehnten Ludwig einzubilden, unter den »Löwen und Tigern« Beaumarchais' seien eigentlich er, der König, und seine Frau Marie Antoinette verstanden. Ludwig, dessen Sanftmut mitunter starken Anwandlungen von Jähzorn weichen mußte, ließ sich durch diese absurde Einflüsterung so zur Wut stacheln, daß er auf der Stelle, am Spieltische sitzend, auf der Rückseite einer Karte eine Lettre de Cachet ausfertigte, kraft welcher Beaumarchais am Abend des 8. März 1785 verhaftet und in das schimpfliche Gefängnis von Saint-Lazare, den Verwahrungsort jugendlicher Wüstlinge, Verschwender und Schuldenmacher, gebracht wurde. Die Entrüstung über diesen Akt brutaler Gewalt, der an die schlimmsten Zeiten despotischer Willkürübung erinnerte, war allgemein. Der König kam auch rasch zur Erkenntnis des begangenen Mißgriffs und ordnete schon nach fünf Tagen die Freilassung des Gefangenen an. Noch mehr, gütig und gerecht von Natur, wie er war, wollte er dem gemißhandelten Manne eine Genugtuung zartester Art geben, und so erhielt Beaumarchais eine Einladung in den engsten Hofzirkel nach Trianon, um dort einer Aufführung seines »Barbier von Sevilla« auf dem Liebhabertheater der Königin beizuwohnen. Marie Antoinette selber spielte hierbei die Rosine, der Graf von Artois den Figaro, Herr von Vaudreuil den Grafen Almaviva … Also leckte und lohte das revolutionäre Feuer schon im Jahre 1785 in die innersten Gemächer des Königtums hinein, und die unseligen Menschen da drinnen spielten mit dem scheinbar harmlos ergötzlichen, in Wahrheit aber erbarmungslos verzehrenden Element. Daß zur Wirksamkeit dieses Feuers in den Massen von allen französischen Autoren seines Jahrhunderts Beaumarchais durch seine zwei großen Streitkomödien das meiste beigetragen hat, ist Wissenden wohlbekannt.
Nun ist aber die Arbeit unseres Vielgestaltigen und Vielgewandten getan und seine Mission zu Ende. Denn die Losung lautete jetzt: Plänkler zurück und Triarier vor! Wenn die Mirabeau, die Danton, die Robespierre auf die Bühne treten, bleibt für die Beaumarchais kein Raum mehr darauf. Also sehen wir denn unsern Mann von der Sonnenhöhe seines Ruhmes, seines Glückes und seiner Volksbeliebtheit rasch bergabwärts gehen, und das Gestirn, das in so wechselnden Brillantfarben gespielt hat, erbleicht mehr und mehr, um zuletzt unbeachtet zu verlöschen. Zwar fuhr Beaumarchais fort, mit möglichster Rüstigkeit zu spekulieren, zu prozessieren und zu dramatisieren; allein sein weiteres Dichten und Trachten bringt doch nur noch matte Nachspiele oder auch unerquickliche Nachwehen seiner früheren Anstrengungen und Erfolge zuwege. Wie kläglich nimmt sich der Prozeß Beaumarchais kontra Kornmann-Bergasse neben dem Prozeß Beaumarchais kontra Goëzman aus, wie waschlappig der Operntext » Tarare« (1787) und das Rührstück » La mère coupable« (1792) neben dem Barbier und der Hochzeit! »Alles hat seine Zeit!« spricht der Prediger, und der skeptische Weise hätte hinzufügen können: Wehe dem Autor, wehe dem öffentlichen Charakter überhaupt, welcher nicht fühlt, wann seine Zeit um ist! Aller Anfang ist schwer, jawohl; aber das rechtzeitige Aufhören ist eine noch schwierigere Kunst …
Beaumarchais hatte im Jahre 1787 von der Stadt Paris die ganze Bodenstrecke käuflich erworben, die die linke Seite des Boulevard ausmacht, der den Bastilleplatz mit dem Boulevard du Temple verbindet und jetzt den Namen des großen Prozeßkünstlers und Lustspieldichters trägt. Hier, gerade der Bastille gegenüber und wie ihr zum Trotz erbaute er sich ein Prachthaus, dessen Bau und Einrichtungen ihm nicht weniger als 1 663 000 Frank kosteten. Aus den Fenstern dieses im Jahre 1789 noch nicht ganz vollendeten Narrenschlosses (» folie«), wie Napoleon später das kostspielig-bizarre Ding ganz richtig bezeichnete, sah der Schöpfer Figaros am 14. Juli den auf die alte Zwingburg ausgeführten Sturm mit an. Wer aber in dem Falle war, den Bastillesturm aus den Fenstern seines Hauses mitanzusehen, welches mehr als anderthalb Millionen gekostet hatte, der konnte unmöglich dem Schicksal entgehen, für einen »Aristokraten« zu gelten, und da aristokratisch und verdächtig bald Wörter von gleicher Bedeutung waren, so wurde unser Sieur Caron de Beaumarchais binnen kurzem ein Gegenstand, auf den ein zum Sankt Jakobus und zur Sainte-Guillotine betender Patriotismus mit Argwohn zu blicken sich veranlaßt sah. Ein bedenklicher Umstand ohne Frage, wenn man erwägt, daß die mit der Rousseau-Robespierreschen Republik schwangergehende Dame Revolution dem sonderlichen Gelüste nachgibt, nicht allein ihre Kinder, sondern auch ihre Väter zu verschlingen. Glücklich Voltaire und Diderot, daß sie im Jahre 1793 nicht mehr lebten; denn sie wären dem » Rasoir national« (nationalen Rasiermesser) schwerlich entgangen. Daß Beaumarchais ihm entging, kann für ein halbes oder ganzes Wunder gelten.
Er wollte nicht emigrieren, obwohl es gar nicht nach seinem Geschmack war, daß die Witze Figaros in blutigen Ernst übersetzt wurden. Er konnte auch nicht stillsitzen in seinem prächtigen Hause am Bastilleplatz; er mußte spekulieren und prozessieren, das war sein Lebenselement. Gewiß kam auch noch eine patriotische Regung dazu, um ihn anzueifern, zu Anfang des Jahres 1792 der Regierung seine guten Dienste anzubieten. Zunächst zu dem Zwecke, dem Mangel des Staats an Waffen abzuhelfen. Er übernahm es, 60 000 Gewehre zu liefern, die er aus Holland kommen lassen wollte. Inzwischen kam der 10. August und fegte König, Thron und Regierung weg. Am folgenden Tage stürmte eine Pöbelschar das Prachthaus unseres Spekulanten, dem es zuvor noch gelungen war, seine dritte Frau und sein einziges Kind Eugenie nach Havre zu retten. Die wütende Menge durchwühlte das Innere der »Folie« von unten bis oben, » sans cependant soustraire une épingle« (ohne indes eine einzige Stecknadel zu entwenden), weil man ihr weisgemacht hatte, der »Aristokrat« Beaumarchais hätte sein Haus zu einem heimlichen, mit Waffen vollgestopften Arsenal für Monsieur und Madame Veto gemacht. Obgleich der Augenschein die lächerliche Grundlosigkeit dieser Anschuldigung zeigte, verfügte der Sicherheitsausschuß der Kommune dennoch die Verhaftung von Beaumarchais, der am 23. August in die »Abtei« gebracht wurde, wenige Tage später eine Hauptszene der Septemberblutorgie. Zum Glück für unsern Gefangenen fiel dem Prokurator der Kommune, Manuel, ein, daß er früher verschiedene Händel mit Beaumarchais gehabt und daß sich der berühmte Dichter höchst geistreich über ihn lustig gemacht habe. Wie wär' es, wenn ich eine »edle Rache« an meinem Gegner nähme? denkt Manuel und tut so, indem er am 30. August nach der Abtei eilt und Beaumarchais befreit.
Unerschüttert durch die Gefahr, daß die Säbel der Septembermörder sozusagen haarscharf über seinem Kopfe hingestrichen, nimmt unser Mann sein 60 000 Gewehr-Geschäft wieder auf, in welches er 745 000 Frank gesteckt hat, und eilt, den Gang desselben zu beschleunigen, mit einem Regierungspasse versehen, nach dem Haag. Hier liest er am 1. Dezember in der Zeitung, daß er in Paris der Verschwörung gegen die Republik, der heimlichen Korrespondenz mit Ludwig XVI. und der Verschleuderung öffentlicher Gelder angeklagt sei. Unter diesen Umständen nach Paris zurückzukehren, heißt seinen Kopf in den Tigerrachen stecken; aber unser furchtloser Ulysses wagt es. Im März 1793 finden wir ihn wieder in der französischen Hauptstadt, wo jetzt »La Terreur« dunkelrot zu wirtschaften angefangen hat. Er läßt ein Mémoire drucken, in welchem er die gegen ihn erhobenen Beschuldigungen nicht nur energisch zurückweist, sondern auch seine Verleumder mit äußerster Kühnheit angreift. »Ich bin«, mit diesen Worten begleitete er das Exemplar seiner Denkschrift, das er dem Nationalgardenkommandanten Santerre übersendet, »ich bin gekommen, meinen Kopf dem Schwerte der Justiz zu überliefern, wenn ich nicht den Beweis beibringe, daß ich ein großer Bürger bin.«
Der kühne Mann – es gleicht, wie schon gesagt, einem halben oder ganzen Wunder! – wurde nicht guillotiniert; aber der Wohlfahrtsausschuß gab ihm auf, die unglückseligen 60 000 Gewehre endlich zu beschaffen, die die Engländer inzwischen in Holland mit Beschlag belegt hatten. Um die Waffen loszueisen, geht Beaumarchais, weiland Geheimagent des inzwischen hingerichteten Königs, als »Kommissär der Republik« unter dem Namen Pierre Charron abermals nach Holland. Seine Bemühungen führen ihn im Zickzack von Amsterdam nach Basel, von Basel nach Hamburg, von Hamburg nach London. Aber während er allen seinen Witz aufbietet, um den sozusagen unmöglichen Auftrag des Wohlfahrtsausschusses zur Vollziehung zu bringen, setzt daheim in Paris der Sicherheitsausschuß den geheimen Agenten des Wohlfahrtsausschusses auf die Liste der Emigranten, das heißt der Proskription, und belegt sein unbewegliches und bewegliches Eigentum mit Beschlag. Noch mehr – und dies kennzeichnet traurig-deutlich das anarchische Durcheinander dieser Bastardrepublik – die von Havre nach Paris zurückgekehrten Angehörigen unseres Vielgewandten, dessen Vermögen durch das schließlich gänzlich mißlungene Gewehrgeschäft einen tödlichen Schlag empfing, die Frau, die Tochter und die Schwester von Beaumarchais wurden auf Anordnung des Sicherheitsausschusses eingekerkert und hätten sicherlich » la fatale charrette« (den verhängnisvollen Karren) bestiegen, wenn nicht wenige Tage nach ihrer Verhaftung der 9. Thermidor dem Blutregiment eine andere Richtung und demzufolge den drei Citoyennes Caron die Freiheit gegeben hätte.
Inzwischen saß der geächtete Flüchtling Beaumarchais zu Hamburg in einer kahlen, kalten Dachkammer und mußte erfahren, wie es tut, wenn die garstige Megäre, die Sorge um das tägliche Brot, einem dreiundsechzigjährigen Exilierten in die grauen Haare greift. Erst nach Einsetzung der Direktorialregierung konnten seine Angehörigen die Streichung des Verbannten von der Emigrantenliste erlangen, und so kehrte er im Juli 1796 nach Frankreich zurück, verheiratete seine Tochter mit einem braven jungen Manne, der später einer der angesehensten Bourgeois von Paris geworden ist, und dann ging er mit Jünglingsfeuer daran, die Regierung prozeß-künstlerisch zu zwingen, ihm wenigstens seine Barauslagen im mehrerwähnten Waffenhandel zurückzuerstatten. Im Januar 1798 gelangte er zwar nicht zu seinem Gelde, aber zu der förmlichen Anerkenntnis, daß ihm die Republik 997 875 Frank schulde.
Dies war der letzte Erfolg, welcher – freilich weit mehr Schein als Wirklichkeit, denn die Republik schuldete zwar, bezahlte aber nicht – dem alten Kampfhahn im bunten Prozeßgang seines ruhelosen Daseins zuteil geworden. Das letzte Lebensjahr des Greises – er selbst zeichnet sich in einem aus dieser Zeit stammenden Vers als » un bon vieillard grand, gris, gros, gras« (ein guter Greis, groß, grau, stark, feist) – verlief friedlich, und ein freundliches Wort, welches ihm der jugendliche Sieger Bonaparte brieflich aus Italien sagte, mag einen Freudenschimmer darauf geworfen haben. Hierbei ist erwähnenswert, daß Bonaparte, welcher ja bekanntlich auf seinen italienischen und ägyptischen Siegesflügen den Ossian und den Werther las, in Beaumarchais nicht den streitkomödischen Schöpfer des Figaro, sondern den Rührdramatiker schätzte. Figaros Hochzeit hat Napoleon, wie jedermann weiß, auf Sankt Helena als die » révolution déjà en action« (Revolution, die schon in Tätigkeit ist) beurteilt und verurteilt. Der große Despot vermochte auch nach seinem Sturze den Gedanken einer Opposition nicht zu ertragen.
Beaumarchais seinerseits hat die bittere Enttäuschung unzähliger Zeitgenossen, daß Bonapartes so hoffnungsschön aufgegangenes Gestirn zum Irrstem wurde, der kaiserwahnwitzig durch die Welt raste, nicht mehr miterlebt. Nachdem er noch im Geist und Feuer ein Mémoire über den schnöden Gesandtenmord bei Rastatt niedergeschrieben, ist er in der Nacht zum 19. Mai 1799 tödlich vom Schlage getroffen worden. Friede und Heiterkeit lag auf dem Antlitz des Rastlosen, den der Tod so plötzlich zur Ruhe gebracht hatte – er, der große Beruhiger, der, wenn die altgewordenen Kinder sich müde gearbeitet mit Hirn oder Hand, mit Hacke und Hammer, mit Feile und Feder, mit Fibel und Bibel, und sich müde gespielt haben mit den Rechenpfennigen der Leidenschaften oder mit den Seifenblasen des Ruhms, mehr oder weniger freundlich zu ihnen sagt: Geht schlafen, ihr Verbrauchten und Unnützen, damit für Jüngere Raum werde auf der ewigen Ringbahn des Lebens!