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11. Burg Windeck.

. Um das Jahr 1370 waren Johann von Ochsenstein Dechant und Hanemann von Kyburg Propst am Domstifte zu Strassburg. Dieweil beide nach der bischöflichen Würde strebten, hegten sie gegeneinander schweren, unversöhnlichen Groll. Herr Hanemann beredete sich mit seinem jungen tollkühnen Vetter Reinhard von Windeck. Dieser brach in einer dunkeln Nacht auf gen Strassburg, zog, während die ganze Stadt im tiefen Schlafe lag, den Dechanten aus dem warmen Bette und schleppte ihn als Gefangenen nach der Windeck.

Der kühne Handstreich machte in Strassburg, als er ruchbar wurde, gewaltiges Aufsehen, insonders als man erfuhr, wo der entführte Dechant zu suchen war. Ein starker Haufen Gewappneter wurde aufgeboten und zog vor die Windeck zur Belagerung. Allein, ob sie auch während zweier Wochen mit Widder und Sturmzeug gegen die dicken Mauern der Burg anrannten, erreichten sie doch nichts. Mit der Drohung, binnen kurzem wieder zu kommen, mussten sie abziehen.

Zu selbiger Zeit wohnte unten im Wolfshag in einer Mooshütte eine uralte Frau. Sie kannte gar viele Andern verborgene Dinge, die Heilkräfte der Pflanzen und Wurzeln, und mit den Thieren wusste sie zu reden, als wären es Menschenkinder. Ihr sorgfältig gehüteter Reichthum aber bestand in einer Schar weisser Hühner von ungewöhnlicher Grösse und Stärke, die bei Tag und Nacht ihre einzige Gesellschaft bildeten. Als sie eines Tages vor ihrer Hütte sass, kamen zwei wunderschöne Knaben des Wegs daher. Dem scharfen Blick der Alten entging nicht, dass die Hülle des einen eine falsche war und dass unter dem Flaus des Junkers ein Mägdlein sich barg. Als sie in sie drang, machten sie ihr beide aus dem Zweck ihrer Wanderung kein Hehl. Die Jungfrau erzählte wie folgt: »Ich heisse Imma von Erstein und dies hier ist mein Bruder. Unsern Ohm, den Dechanten von Strassburg, der uns ein zweiter Vater war, haben sie zu nächtlicher Stunde gefangen und halten ihn auf der Burg im Kerker. Nun kommen wir, den Burgherrn zu bitten, dass er ihn freigebe.« Da lachte die Alte: »Bringt Ihr denn auch tapfer Lösegeld mit, Kinderchen? Was der Windecker einmal in seinen Mauern hat, das gibt er nicht zu billig wieder her.« Sie verneinten traurig die Frage. »Nun«, fuhr die Alte fort, »Ihr sollt nicht vergeblich zur Waldfrau gekommen sein. Könnt Ihr's nicht, so will ich den Dechanten loskaufen. Ich habe sichere Nachricht, dass ehestens die Strassburger wieder anrücken. Sie haben die Gelegenheit der Burg gut ausgespäht und besonders die schwache Seite bemerkt drüben am Tannenwald. Nehmt denn hier diese Henne, bringt sie dem Herrn Reinhard, und sagt ihm, er solle in aller Eile dort einen tiefen Graben aufwerfen lassen. Geläng' es ihm nicht, bevor die Feinde kämen, so würde ihm die Henne gewiss helfen, wenn er sie zur Nacht zu Rathe zöge. Damit streichelte sie das Thier und sang ihm leise in kaum vernehmlichen Tönen zu:

Zieh mein Thierchen! Wenn die Eule schreit
Musst du einen Graben graben tief und breit,
Zieh mein Thierchen, und vor Mitternacht
Sei das schwere Werk vollbracht!

Die Geschwister dankten der Alten und thaten wie sie gesagt. Reinhard von Windeck nahm sie freundlich auf und führte sie ihrem Oheim zu. Die Henne aber brachte er, als er vernommen, wer sie sende, in sorgfältigen Gewahrsam. Dann bot er alle seine Mannen auf und liess einen Graben aufwerfen, ganz wie die Alte geheissen. Tag und Nacht blieben die Leute an der Arbeit. Aber als der zweite Tag zu Ende sich neigte, und der Graben erst zum kleinsten Theile fertig war, kam ein Bote, der berichtete, dass die Strassburger in drei Haufen heranzögen. Da trug er, als die ersten Sterne am Himmel blinkten, die Henne hinaus. Und als er um Mitternacht wiederkam, um nachzusehen, siehe, da gähnte ihm ein gewaltiger Graben entgegen. Die Henne aber war verschwunden. Gegen Morgen rückten die Strassburger heran. Aber der Graben der Henne vereitelte ihre Absicht und zum andern Mal mussten sie unverrichteter Sache abziehen. So wurde die Windeck gerettet.

Imma von Erstein ward später des Windeckers Weib. Der befreite Dechant hatte im Münster zu Strassburg ihre Hände ineinandergelegt. Der Graben aber heisst noch heute der Hennegraben.

* * *


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