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Dem Schloss Eberstein kehrt ein hoher Fels den Rücken zu, und heisst darum nach alter Sprachweise der Rockenfels. In einer unterirdischen Kammer des Felsens wohnte einst ein Bergweiblein, war nicht jung und nicht schön, aber gegen die Menschen gar freundlich und dienstfertig über die Massen. Das kam oft abends in die Spinnstuben der umwohnenden Landleute und erzählte dem jungen Volk seltsame Märchen; und wo sie war, wurden die Spulen noch einmal so voll, und der Faden wurde noch so fein und gleich.
Damals lebte ein Burgvogt auf Eberstein, ein gar harter Mann, der plagte die Mägde im Frauenhaus Tag und Nacht mit Arbeit, und gönnte ihnen weder Ruhe noch einen Bissen Brot.
Unter den Mägden war eine junge, schmucke Dirne, Klara mit Namen, der hatte der Schlossgärtner sein Herz zugewandt, und sie liebte ihn gleichfalls. Weil sie aber eine Eigene war, durfte sie sich ohne des Vogts Einwilligung nicht verheirathen, und dieser wusste jedesmal, wenn ihn die jungen Leute mit Bitten bestürmten, eine Ausrede, um die Sache zu verzögern. Einst, als die Dirne recht flehentlich in ihn drang, sagte er mit höhnischem Lachen, indem er sie ans Fenster führte:
»Siehst du dort drüben das Grab?«
»Ach,« seufzte das Mädchen, und das Wasser lief ihr über die blühenden Wangen, »ach, es ist ja das Grab meiner Aeltern.« »Die Nesseln gedeihen recht gut auf dem Grabe«, fuhr der Vogt fort. »Ich habe mir sagen lassen, es lasse sich aus dieser Pflanze ein überaus zarter Faden spinnen, und darum will ich dir einen Vorschlag thun. Du spinnst mir aus jenen Nesseln ein Stückchen Leinwand, das gerade zu zwei Hemden reicht, aber nicht grösser und nicht kleiner, Das eine wird dann dein Brauthemd und in dem andern soll man mich begraben.«
Mit diesen Worten ging er boshaft kichernd seiner Wege; die arme Dirne aber stand bestürzt und wusste sich keinen Rath. In der Trauer ihres Herzens ging sie zum Grabe ihrer Aeltern und weinte und betete, dass es einen Stein hätte erbarmen mögen. Da trat das Bergweiblein zu ihr und fragte nach der Ursache ihres Grams. Klara erzählte, was zwischen ihr und dem Vogt vorgefallen war. Das Gesicht des Bergweibleins verfinsterte sich: »Sei getrost,« sagte es zu der Dirne, »dir soll geholfen werden.« Darauf riss sie die Nesseln auf dem Grabe aus und trug sie über den Berg.
Kurze Zeit nachher jagte der Vogt in dem Forste jenseit der Murg und kam auch auf den Rockenfels, wo eben das Bergweiblein am Eingange seiner Höhle sass und die Spindel recht wacker schnellte.
»Du spinnst dir wol ein Brauthemd, Alte?« fragte der Vogt.
»Ein Brauthemd und ein Todtenhemd, zu dienen, Herr Vogt«, versetzte das Mütterchen.
»Da hast du einen schönen Flachs! den hast du mir gewiss gestohlen?« »Mit nichten«, versetzte das Bergweiblein, »er ist drüben auf dem Grabe des ehrlichen Gottfrieds gewachsen.«
Die Worte stachen dem Vogt ins Gewissen. Aengstlich kehrte er nach Eberstein zurück und kämpfte mit sich selbst, ob er das Jawort zu Klara's Verbindung geben solle oder nicht. Einige Tage vergingen und er konnte zu keinem Entschluss kommen. Gegen Abend, als er eben beim vollen Becher im Gemache sass, kam Klara und trug in der Hand zwei zierliche Hemden.
»Herr Vogt«, sagte sie, »was Ihr verlangt habt, ist geschehen. Hier sind zwei Hemden aus den Nesseln am Grabe meines Vaters, das eine für Euch, das andere für mich.«
»So will ich auch Wort halten«, antwortete der Vogt, »morgen soll die Hochzeit sein.« Er sprach dies zwar lachend, aber in seinem Herzen war ein Bangen und vor seinen Augen ward es dunkel. Es war, als triebe ihn eine wunderbare Hand, und so gab er Befehl zur Trauung des Gärtners mit Klara und versprach, sie in die Kirche zu begleiten. Aber am nächsten Morgen war er dem Tode nahe, und als Klara und ihr Bräutigam den Segen des Priesters empfangen hatten und voller Seligkeit aus der Kirche zurückgingen, da läutete die Todtenglocke für den Burgvogt.
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Im Jahre 1357 gerieth Graf Eberhard von Würtemberg mit dem Grafen Wolf von Eberstein, sonst der gleissende Wolf genannt, in eine schwere Fehde, in welche auch Wolf's Bruder, Graf Wilhelm auf Neueberstein, verwickelt wurde. Der Würtemberger zog mit grosser Heeresmacht vor Eberstein und zerstörte die Burg. Fast zu derselben Zeit entstand grosse Unzufriedenheit unter dem schwäbischen Adel und bald darauf traten die Unzufriedenen zu einem Bunde zusammen, welcher der Bund der Schlegler oder der Martinsvögel genannt wurde. Haupt derselben war Graf Wolf von Eberstein, welcher mit einigen Fehdegenossen einen Anschlag auf den Grafen Eberhard machte. Dieser hielt sich damals mit seinem Sohne im Wildbad auf, und die Verschworenen hatten so gute Kundschafter, dass ihr Plan auf Vater und Sohn kaum misslingen konnte. Diese wurden jedoch, als das Städtlein bereits in den Händen der Feinde war, durch einen Hirten gerettet, der sie schleunigst durch unbekannte Gebirgswege führte.
Eberhard klagte die Ebersteiner und ihre Mitverbündeten bei dem Kaiser des Landfriedensbruches an. Dieser ernannte den Grafen von Oettingen als Richter, und der Graf lud die von Eberstein und ihre Helfer vor seinen Richterstuhl, aber Niemand erschien. Jetzt wurde vom Kaiser die Acht gegen sie ausgesprochen, und es erging an einige Herren und Reichsstädte der Befehl, mit ihren Truppen zu Graf Eberhard zu stossen, dem man gestattete, die Reichsfahne zu führen. Aber Markgraf Rudolf von Baden begünstigte heimlich seine Vettern, die Ebersteiner, und Pfalzgraf Ruprecht von der Pfalz erklärte, die Grafen von Eberstein seien verurtheilt worden, ohne dass man sie gehört habe; ausserdem sei Graf Wilhelm sein Lehnsmann und er müsse diesen schützen.
Unterdessen zog Graf Eberhard mit den Truppen der Reichsstädte vor Neueberstein; der Pfalzgraf schlug einen Vergleich durch Schiedsrichter vor, und begab sich selbst in das Lager vor Eberstein. Eberhard wollte aber keinen der vorgeschlagenen Schiedsrichter annehmen.
Auf Neueberstein führte Wolf von Wunnenstein den Befehl. Er hatte den ersten Gedanken zur Stiftung des Bundes der Martinsvögel gegeben, und Eberhard hatte seine Burg niedergebrannt. Wolf hatte eine Tochter, Ida mit Namen, die er mit sich nach Eberstein genommen, weil er sonst nirgends Sicherheit für sie wusste. Die beiden Grafen von Eberstein hatten sich nach Baden geflüchtet und ihm die Vertheidigung der Burg anvertraut, weil er ein einsichtsvoller, tapferer Krieger war.
Unter den Belagerungstruppen befand sich auch ein Fähnlein von Heilbronn, welches von einem jungen, in der Reichsstadt angesessenen Edelmann, Georg von Stein, angeführt wurde. Der junge Rittersmann hatte längst für die schöne Ida eine heftige Leidenschaft gehegt und auch Gelegenheit gefunden, ihr seine Liebe zu erklären. Ida war gegen ihn nicht gleichgültig; das wusste ihr Vater und darauf baute er einen Plan zur Rettung von Eberstein. Er liess Graf Eberhard wissen, er sei geneigt, eine Kapitulation abzuschliessen; man möge ihm daher den Ritter von Stein als Unterhändler schicken, denn nur mit diesem werde er einen Vertrag schliessen. Eberhard willigte ein, und Georg, nachdem er vorher die feierliche Zusage eines freien Geleites erhalten, begab sich nach der Burg. Der Wunnensteiner stellte ihm jetzt vor, wie Graf Eberhard ebensowol der Feind der Reichsstädte als des Adels sei, und wie er nach und nach beide sich unterwürfig machen werde. Nur um ihrer Freiheit willen hätten ja die Schlegler sich verbunden, und ihr Bund sei ebensowol zum Frommen der freien Städte als des Adels geschlossen. Georg schien das einzusehen, denn in der That war Eberhard so wenig ein Freund der freien Städte als der Ritterschaft. Während der Unterredung trat Ida ins Gemach. »Ihr hier, Herr von Stein?« sagte sie entschuldigend.
»Ihr hättet mich wol nicht hier erwartet?« bemerkte der Ritter.
»Wenigstens nicht unter unsern Feinden«, erwiderte das Fräulein. Der Ritter gerieth in die grösste Verlegenheit. Er betheuerte, dass er noch immer sein Leben einsetzen werde zur Vertheidigung des ihrigen.
»Das sind eitle Versicherungen«, versetzte das Mädchen. »Sagt, was wird meines Vaters Loos und das meinige sein, wenn Eberstein durch Sturm genommen werden sollte?«
»Neueberstein soll nicht gestürmt werden!« rief Georg; »und Ihr, Ida, und Euer Vater sollt nicht in die Hände Eurer Feinde fallen!«
»Wie wollt Ihr Eurem Worte Kraft geben?« fragte der Wunnensteiner.
»Wie? das ist meine Sache«, entgegnete der Anführer, »aber lasst mich die Hoffnung mit mir nehmen, dass, wenn Ihr wieder frei seid, Ida meiner noch in Liebe gedenken werde.« »Rechnet auf die Dankbarkeit des Vaters und der Tochter«, erwiderte der Wunnensteiner, und Georg schied, von den Reizen des Fräuleins noch fester gefesselt als zuvor.
Bei seiner Zurückkunft ins Lager gab er Graf Eberhard Nachricht von dem Erfolg seiner Sendung. »Die Belagerten«, sagte er, »suchen nur Zeit zu gewinnen, und scheinen auf Hülfe vom Pfalzgrafen und Markgrafen Rudolf von Baden zu rechnen. Gegen die Führer der reichsstädtischen Fähnlein führte er jedoch eine andere Sprache; er machte sie aufmerksam auf die wachsende Macht des Würtembergers, der auch die freien Städte unterjochen werde, wenn er erst den Adel bezwungen. »Wir arbeiten«, setzte er hinzu, »an unserm eigenen Untergange und opfern unsere besten Kräfte für einen gefährlichen Feind, dessen ehrgeizige Absichten keinem von euch verborgen sein werden.«
Diese Worte wirkten um so stärker auf die reichsstädtischen Führer, je unzufriedener sie schon über den langsamen Gang der Belagerung waren, und da ohnehin schon längst unter vielen ein Misstrauen gegen den Grafen von Würtemberg herrschte. Georg suchte zugleich die Nachricht zu verbreiten, der Pfalzgraf bereite einen Einfall in Schwaben vor, was denn auch die Folge hatte, dass eines Morgens sämmtliche Anführer des reichsstädtischen Zuzuges in sein Zelt traten und ihm ihren Entschluss erklärten, mit ihren Truppen heimzuziehen, wenn er sich ihnen anschliessen wolle. Nach einigen unbedeutenden Einwürfen, unter denen er seine Freude über die gelungene List zu verbergen suchte, wurde beschlossen, dieses Vorhaben zuerst dem Grafen und dann den Truppen zu eröffnen und am nächsten Morgen abzuziehen. Eberhard bat, zürnte und tobte, versprach und drohte. Alles war vergebens, zumal als die Soldaten erfuhren, was vorging. Alle schrien: »Nach Hause! nach Hause!« und dem Grafen von Würtemberg blieb nichts übrig, als gehen zu lassen, was er nicht zurückhalten konnte. Am andern Morgen, vor Anbruch der Dämmerung, verliessen die Truppen der Städte Strassburg, Heilbronn, Esslingen, Augsburg, Ulm, Nördlingen u. a. das Lager und zogen in tiefer Stille ab, um die Belagerten nicht aufmerksam zu machen. Diese aber erfuhren bald, was vorgegangen war, und machten häufige Ausfälle, sodass sich Graf Eberhard bald zu schwach fühlte, die Belagerung mit Erfolg fortzusetzen. Wenige Tage nach dem Abzug der Hülfstruppen hob er die Belagerung auf und kehrte in sein Land zurück. Georg von Stein vergass seiner Geliebten nicht. Als Eberstein wieder frei war, begab er sich selbst dahin und seine Werbung wurde von Vater und Tochter freundlich aufgenommen; denn er hatte ja Wort gehalten.
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Wegen wiederholten Landfriedensbruchs war Kunz von Hohenwart von Kaiser und Reich in Acht und Aberacht erklärt worden, und Graf Eberhard von Eberstein hatte den Auftrag erhalten, ihm seine Veste zu zerbrechen und ihn selbst lebendig oder todt in seine Gewalt zu bringen. Siebzehn Wochen lag Eberhard bereits vor Hohenwart, ohne dass es ihm gelungen war, den Belagerten den geringsten Vortheil abzugewinnen. Nach und nach aber waren in der belagerten Burg die Lebensmittel ausgegangen, und Hunger und Krankheit begannen unter der Mannschaft zu wüthen. Durch einen verzweifelten Ausfall wollten sie nun Vorräthe in die Veste schaffen; allein der Anschlag misslang, und als die Geächteten keine Rettung mehr sahen, zogen sie einen rühmlichen Tod einem schmählichen Ende durch Henkershand vor, und bis auf wenige sanken alle mit ihrem Führer unter dem Schwert ihrer Feinde, die ihren Sieg mit vieler Tapfern Leben bezahlen mussten. Die Burg ward hierauf erstiegen und dem Boden gleichgemacht. Unter den wenigen Gefangenen befand sich des Hohenwarters einziger, vierzehnjähriger Sohn. Auch der unschuldige Knabe musste für das Vergehen seines Vaters büssen: er ward in das Kloster Herrenalb gebracht, um dort erzogen und, sobald er das gehörige Alter erreicht, in die Mönchskutte gesteckt zu werden.
Unter den Mönchen nahm sich des Knaben besonders der Bruder Placidus an. Oft und bitter von dem Leben und den Menschen getäuscht, hatte diesen zuletzt Menschenhass in das Kloster geführt, und diesen Hass gegen die Welt suchte er auch in dem jugendlichen Herzen zu erwecken. Hass in dem Knaben anzufachen, gelang ihm zwar, aber nicht gegen die Welt, sondern nur gegen diejenigen, die ihn so grausam daraus verstossen und verdrängt. Oft stand der arme Jüngling an irgend einem Fenster des Klosters und schaute hinaus in die freie Gotteswelt, die ihm auf ewig verschlossen sein sollte, heisse Thränen rannen ihm über die Wangen, und die Sehnsucht nach Freiheit, nach der freien Natur, wollte ihm fast das Herz brechen. Vergebens jedoch waren seine Klagen, die Pforten des düstern Klosters öffneten sich nicht mehr für ihn. Und er durfte seinen Schmerz nicht einmal laut werden, nicht die leiseste Klage sich entschlüpfen lassen, sonst hatte er scharfe Strafe zu gewärtigen. So wuchsen Groll und Rachedurst mit ihm auf, und suchte er mit den Jahren in der Verstellungskunst seines gleichen, so glühte tief in seinem Innern die verderbliche Flamme des Hasses in heller Lohe gegen die Verderber seines Hauses. Am bittersten jedoch war sein Groll gegen den Grafen von Eberstein, der ihm den Vater, der ihm sein Erbe entrissen, der ihn in das verabscheute Kloster gebracht, wo er sein frisches, kräftiges Leben vertrauern musste. Trotzdem galt er allgemein im Kloster für das Muster eines frommen Bruders, und seinem natürlichen Verstande gelang es bald, alle seine Mitbrüder zu durchschauen und sich eines jeden Gunst zu erwerben. Und so kam es, dass er, noch nicht fünf und zwanzig Jahre alt, nach des Abts Tode fast einstimmig zum Vorsteher des Klosters erwählt wurde.
Jetzt hatte der junge Mann den Zweck seines Strebens erreicht, jetzt glaubte er die Mittel und die Macht zu besitzen, seinen Racheschwur lösen zu können. Aber in keines Menschen Brust hatte er das Geheimniss seines Herzens niedergelegt, niemand ahnte die schwarzen Gedanken, über denen seine Seele brütete. Man wähnte, die Zeit habe das Andenken an sein Missgeschick verlöscht, und er liebe das friedliche Leben der Mönche.
Die Herren von Eberstein waren Schirmvögte des Gotteshauses Herrenalb, und dieses Amt führte den Grafen Eberhard öfters in das Kloster. Als er bei einer solchen Gelegenheit bei den Mönchen das Mittagsmahl einnahm, kam das Gespräch unter anderm zufällig auf seine Familie, und Eberhard erwähnte hierbei mit sichtlichem Wohlgefallen seiner einzigen Tochter, pries die Anmuth ihrer Gestalt und die Vorzüge ihres Verstandes; und leichtlich konnte man an der Wärme, womit er sprach, erkennen, dass dieses Kind die Freude und Lust seines Lebens sei. Diese Rede weckte in dem Abt furchtbare Gedanken. Noch war er nicht mit sich eins gewesen, wie er seinen Feind am schmerzhaftesten treffen könne; aber jetzt ward es ihm plötzlich klar, wie er sich an dem Grafen rächen, wie er sein Herz und seinen Stolz tödtlich verwunden wolle. Die Tochter muss er verderben, und dadurch versetzt er dem Vater den Todesstoss.
Durch Kundschafter erfuhr er, dass die Gräfin Agnes öfters diesseits der Murg allein lustwandle. Vermummte lauerten eines Tages der Sorglosen auf und ergriffen sie, und während der Nacht ward sie unbemerkt ins Kloster in sichern Gewahrsam gebracht. Mit ebensoviel Bosheit als List war der Plan zu dem Verderben der schönen Agnes angelegt.
Ein verschmitzter, vertrauter Knecht des Abts erschien in Mönchsgewand in dem Gemach der Gefangenen. Er sagte zu dem angsterfüllten Mädchen, er sei der Vorsteher des Klosters, und, von heftiger Liebe zu ihr entbrannt, habe er dem Drange seines Herzens nachgegeben und sie gewaltsam entführen lassen. Er bedaure, wenn er ihr Kummer verursache, doch stehe es bei ihr, sich die Freiheit durch ihre Gunst zu erkaufen. Wie man vorausgesehen, war eine verächtliche Antwort der Bescheid auf diesen schamlosen Antrag. Der verkappte Mönch entfernte sich mit dem Bemerken, die Länge der Zeit würde das spröde Täubchen schon kirre machen.
Einige Stunden später öffnete sich wieder leise die Thür, und vorsichtig trat ein junger Rittersmann von schöner Gestalt in das Gemach. Nachdem er die niedergeschlagene und weinende Gefangene begrüsst, begann er:
»Verzeiht, schöne Gräfin, wenn ich Eure Einsamkeit störe und Eure nur zu gegründete Bekümmerniss unterbreche; allein meine Absicht muss mir zur Entschuldigung dienen. Auf Besuch bei einem Anverwandten im Kloster erhielt ich Kunde von Euerm Missgeschick und von der Schurkerei des Abts. List öffnete mir die Thür Eures Gefängnisses, und ich komme, Euch meine Dienste anzubieten. Wenn Ihr Euch einem Unbekannten anvertrauen wollt, so sollen, wie ich hoffe, die nämlichen Mittel, die mir den Eintritt hierher verschafften, Euch zur Freiheit verhelfen.«
Der gewinnende, einschmeichelnde Ton des jungen Mannes erwarben ihm schnell das Zutrauen des durch diese Rede freudig überraschten Mädchens, wozu sein anmuthiges Aeussere nicht wenig beitragen mochte.
»Wolle der Himmel Euch Eure wohlmeinende Absicht lohnen«, erwiderte sie, »und wenn Euer Vorhaben gelingt, dürft Ihr der vollen Dankbarkeit meines Vaters gewiss sein. O, gebt ihm Nachricht von meinem Aufenthalt, wenn es Euch möglich ist, bedenkt, wie er sich um sein verlorenes Kind grämen wird!«
»Von Dank kann hier nicht die Rede sein«, entgegnete der Ritter, »denn ich thue nur, was mir die Pflicht gebietet; und wenn mein redliches Unternehmen mir ein freundliches Andenken bei Euch gewinnt, dann bin ich überreich belohnt. Eurem Vater Nachricht von Euch zu geben, wird schwer sein, da der Abt seine Spürhunde überall hat, und sollte er etwas vermerken, so würde er Euch sicherlich an einen Ort bringen, wo Euch niemand so leicht entdecken könnte. Doch verlasst Euch auf mich, ich hafte mit meinem Ritterwort dafür, Ihr sollt durch mich Eure Freiheit wieder erhalten. Die Art und Weise, wie es geschehen soll, muss erst die Zukunft lehren.«
Bald darauf verliess der Ritter die Gräfin, nachdem er vorher versprochen, sie in kurzem wieder zu besuchen; aber sein Bild blieb in Agnesens Herz zurück.
Täglich kam der junge Mann zur Gräfin von Eberstein, und bald glühte sie in heftiger Liebe zu ihm, und sie verbrachten manche Stunde in traulichem Kosen. Da man es ihr an nichts mangeln liess, so fühlte sie allmählich weniger den Verlust der Freiheit; sie erwartete sehnlichst die Stunde, wo der Ritter zu erscheinen pflegte; ja sie gedachte nicht ohne Bekümmerniss der Zeit, wo sie in die Arme ihres Vaters zurückkehren werde, weil sie sich dann auch von ihm trennen musste. Doch wollte sich, wie der Ritter versicherte, noch immer keine günstige Gelegenheit zur Flucht darbieten; stets traten neue Hindernisse in den Weg.
Auch der verkleidete Abt stellte sich noch einige Male ein, aber er ward immer verächtlicher zurückgewiesen.
Trostlos jammerte indessen der Ebersteiner um die geliebte Tochter. Nach allen Seiten sandte er seine Diener aus nach der Verlorenen, allein alle kehrten sie wieder zurück, ohne die geringste Spur gefunden zu haben; er selbst durchzog Tag für Tag die Umgegend, aber nicht mit mehr Glück. So hatte er sich eines Tages in seinem Schmerz am Fusse des Dobels niedergeworfen, während sein Pferd neben ihm graste, und sann nach, wo er etwa noch nachsuchen solle, da kam ein Knabe mit einigen Ziegen des Weges daher, die er nach Hause trieb. Auch diesen forschte der Graf aus, allein der Hirtenjunge wusste keine Auskunft zu geben.
Traurig seufzte Eberhard: »O meine arme Agnes!«
»Agnes?« fragte der Junge, »sonderbar, in meinem Leben hatte ich diesen Namen nicht gehört, und heute vernehme ich ihn schon zum zweiten Mal.«
»Wo das?« fragte aufmerksam der Graf.
»Ei nun«, antwortete der Knabe, »drüben im Kloster. Ich bringe manchmal Brunnenkresse in die Küche, und da erhalte ich immer etwas zu essen. So war es auch heute. Ich sass in der grossen Stube neben der Küche, da hörte ich nebenan sprechen und diesen Namen nennen; es kam mir gerade vor, als wenn es von dem grossen Bilde herkäme, das die Schutzpatronin des Klosters vorstellt.«
Fast ungläubig schüttelte der Ebersteiner das Haupt; aber bei einigem Nachdenken dünkte ihm doch, dass es der Mühe vielleicht lohnen möchte, der Sache nachzuforschen. Er konnte sich zwar die Möglichkeit nicht vorstellen, dass seine Tochter im Kloster sei, wo er nur gute Freunde zu haben glaubte, doch wollte er sich keine Fahrlässigkeit zu Schulden kommen lassen.
In Pilgerskleidung klopfte er des andern Tages an der Pforte und bat demüthig um etwas Speise, seinen Hunger zu stillen. Er ward in das Zimmer gewiesen, das ihm der Hirtenknabe bezeichnet hatte, und das er leicht an dem grossen Gemälde der Heiligen Jungfrau erkannte. Es war in der Wand angebracht und reichte vom Boden bis an die getäfelte Decke.
Anfänglich waren noch andere Fremde in der Stube, die ihn verhinderten, dieselbe näher zu untersuchen, doch strengte er seine ganze Aufmerksamkeit an, ob er etwas hinter der Leinwand vernehmen könne. Lange war dies vergebens. Endlich hörte er flüsternde Stimmen, die jedoch nicht laut genug waren, um von den Uebrigen bemerkt zu werden, die sich nur mit dem Essen beschäftigten. Mit Ungeduld wartete Eberhard auf ihre Entfernung, und als es sich endlich allein sah, trat er näher und lauschte mit gehaltenem Athem. Deutlich unterschied er zwei Stimmen, und wenn ihn nicht alles trügte, so gehörte die eine seiner Tochter. Die andere däuchte ihm ebenfalls bekannt, doch konnte er nicht mit sich einig werden, wem er sie beilegen möge. Er hörte vernehmlich, wie von einer Flucht die Rede war, die um Mitternacht bewerkstelligt werden solle; und zwar wolle man den Weg die Alb abwärts nehmen, um etwaigem Nachsetzen zu entgehen, wenn das Vorhaben verrathen oder bemerkt würde.
Vorsichtig bohrte Eberhard mit der Spitze seines Dolches, den er unter dem Gewande trug, eine Oeffnung am Rande des Bildes. Wer aber beschreibt seine Ueberraschung, als er jetzt das anstossende Gemach übersehen konnte, und in demselben seine Tochter in den Armen eines Mannes in Rittertracht erblickte, der eben einen feurigen Kuss auf die Lippen des Mädchens drückte. Staunen und Wuth liessen ihn anfänglich zu keinem Entschlusse kommen, und ehe er sich gefasst hatte, verliess der junge Mann das Gemach. Eberhard entfernte sich gleichfalls über einen Plan sinnend.
Unweit von dem Kloster erhebt sich am Wege eine Masse gewaltiger Felsklippen, der Falkenstein genannt. Im Schatten dieser Steinwand harrte der Graf von Eberstein mit Reisigen auf die Stunde der Mitternacht, und kaum war der zwölfte Schlag auf der Klosteruhr verklungen, da tönte Hufschlag durch die Stille der Nacht, und gleich darauf kamen zwei Reiter den Weg hergejagt. Mit einem donnernden »Halt!« warfen sich Eberhard und seine Gefährten ihnen entgegen.
»Heiliger Gott! das ist meines Vaters Stimme!« rief Agnes ihrem Begleiter zu. Allein dieser kehrte sich wenig daran und drang wüthend auf die Angreifenden ein. Doch nach kurzem Gefecht traf ihn ein gewaltiger Streich von Eberhard's Schwert, dass er taumelnd und blutend vom Rosse sank.
»Ums Himmels willen, was habt Ihr gethan, mein Vater! Ihr ermordet den, der mich errettet aus den Händen des schändlichen Abts«, jammerte die trostlose Gräfin.
»Schweig', ungerathene Dirne!« herrschte der Vater sie an, »rede, wenn du gefragt wirst. Zuerst will ich ein Wort mit diesem reden. Sprich, Schurke, wie ist dein Name, und was wolltest du mit meinem unschuldigen Kinde?«
»Eure Tochter ist schuldlos«, stöhnte der Verwundete mit matter Stimme. »Ich fühle den Tod mir nahen, und will keine Lüge mit hinübernehmen; darum hört mich an. Ich bin Johann von Hohenwart, der Abt des Klosters Herrenalb. Ihr habt mir den Vater gemordet, mein Besitzthum zerstört, und mich zu einem freudenlosen Leben im Kloster verdammt, das mir von je in innerster Seele zuwider war. Da schwur ich Euch grimmige Bache. Ich raubte Eure Tochter, um sie entehrt wieder zurückzuschicken. Ich gewann ihr Herz unter Verkleidung, und ihre Reize entwaffneten meinen Hass. Ich wollte mit ihr fliehen, vielleicht hätte ich ein stilles Glück in der Ferne an ihrer Seite gefunden und meinen Schwur dennoch gehalten, da Ihr durch mich den Liebling Eures Vaterherzens verloren. Wohl mir, dass ich sterbe. Das Gold auf meinem Ross gehört ins Kloster; es mag ungefähr den Werth dessen betragen, was das Kloster widerrechtlich von meinen Gütern erhielt.« Hier verliess ihn das Bewusstsein.
Die Gräfin Agnes war während dieser Rede leblos zu Boden gesunken. Zwischen Mitleid und Rachgier schwankend, stand Graf Eberhard in tiefen Gedanken. Endlich aber befahl er den Knechten, von Baumästen eine Tragbahre zu machen und den Verwundeten nach Eberstein zu bringen. Er selbst nahm seine Tochter vor sich aufs Ross und eilte seiner Burg zu.
Von dem Abte vernahm man nie mehr etwas im Kloster, nur dass ein Unbekannter das von ihm mitgenommene Geld zurückbrachte. Doch erzählt man, derselbe sei unter sorglicher Pflege auf dem Schlosse Eberstein genesen; darauf habe er, von dem Grafen reichlich mit Geld und Waffen versehen, unter fremdem Namen das Kreuz genommen und sei in Palästina bei Edessa geblieben. Die Gräfin Agnes nahm den Schleier im Gotteshaus Frauenalb und starb in der Blüte ihrer Jahre.
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Vor vielen Jahren war bei einem Grafen von Eberstein ein Koch, der konnte einmal in einer Nacht den Schlaf nicht finden, und eine unerklärliche Unruhe trieb ihn vom Lager. Er trat ans Fenster, von wo er die Aussicht in das Murgthal hinab gegen die Stadt Gernsbach hatte. Es war eine heitere, sternhelle Mondnacht, die ganze Gegend lag in dem Schimmer des duftigen Silberlichtes vor ihm, und die Wogen des Stromes, der mit eintönigem, melancholischem Rauschen durch die Nacht dahinflutete, glänzten hell zu ihm herauf. Wie er aber so hinabschaute, da gewahrte er da, wo der Wachtelbrunnen sein plätscherndes Gewässer von Becken zu Becken in der Nähe des Grafensprungs hinabsprudelt, ein verworrenes Gewimmel, wie von dichtem Menschenschwarm, das gegen Eberstein heranzog, den Berg herauf bis auf den freien Platz vor der Burg. Als es aber näher und näher kam, da sah er, dass der Zug aus Männern und Frauen vom verschiedensten Alter, selbst aus Kindern bestand, die alle im bunten Gemische einen seltsamen Reihen tanzten, der sich um so absonderlicher ausnahm, als es dabei todesstille herging und kein Schall irgendeines Instruments zu vernehmen war, oder ein Ton der Lust oder Freude aus dem Munde eines Tanzenden. Aber wie erschrak der Koch, als er sie jetzt der Reihe nach erkannte! Sie waren sämmtlich Bewohner des Städtchens Gernsbach, ihm alle gar wohl bekannt, nur hatten sie ein todtenblasses, eingefallenes, geisterhaftes Aussehen. Doch wie ward ihm jetzt! Er sah sich selbst leibhaftig mitten in der Reihe der Tänzer, aber nicht wohlbeleibt und von stattlichem Aussehen, wie er oben am Fenster des Schlosses stand, sondern abgemagert, mit fahlen, eingefallenen Wangen, mit schlotternden Beinen und hohlen Augen. Grausen ergriff ihn. Er glaubte zu träumen; aber die kalte Nachtluft, die jetzt seine Wangen empfindlich berührte, der kalte Schweiss, den er auf seiner Stirn fühlte, als er mit zitternder Hand darüberfuhr, überzeugten ihn unwidersprechlich, dass er wache. Er wollte wegfliehen von dem schreckhaften Anblick, aber seine Augen hafteten wie festgebannt auf dem gespenstigen Reihen, der sich jetzt langsam wieder entfernte, wie er gekommen war, den Berg hinab, die Murg entlang, bis er endlich auf dem Friedhofe der Stadt langsam verschwand.
Zu jener Zeit näherte sich jenes furchtbare Sterben, das unter dem Namen des schwarzen Todes mit seinem Gefolge von Hungersnoth und Elend jeder Art Europa durchzog und verwüstete, und welches ein schauerlicher Komet mit seinem strahlenden Feuerschweif dem finstern Glauben des Mittelalters als ein göttliches Strafgericht erscheinen liess, der westlichen Grenze Deutschlands, und bald nach jener nächtlichen Erscheinung, die dem Koch auf Eberstein sich gezeigt, brach diese Pest auch im Murgthale aus und forderte in der Stadt Gernsbach zahlreiche Opfer. Und alle, die der furchtbaren Seuche zur Beute wurden, hatte der Koch unter den Tänzern des gespenstigen Reihentanzes erblickt, und nachdem er einen nach dem andern, wie er sie in dem Reihen geschaut, hatte zu Grabe tragen sehen, sank er selbst als letztes Opfer des schwarzen Todes im Murgthale.
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Gegen Morgen von Eberstein liegt der Schwann, ein hoher Bergwald, daran stösst der Rockert, der sich bis nach Reichenthal hinzieht und am Afikal endigt. Der Rockertwald hat drei Theile: den vordern, mittlern und hintern Rockert; darin geht seit etlichen Jahren eine Gräfin von Eberstein und klagt ihre Schuld. Viele Leute haben sie schon gesehen und nennen sie das Rockertweibchen; ihr Rock und ihr Mieder sind von schwarzer Seide, noch von der Trauer um ihren verstorbenen Mann herrührend; auch trägt sie eine Haube von schwarzem Sammt mit hohem, schwarzem Federbusch. Diese Gräfin wollte einst den Leuten von Hilpertsau und Reichenthal den Rockert entziehen und sprach ihn zu eigen an. Da ward ein Manngericht von Grafen und Rittern berufen, und sie sollte einen Eid schwören, dass der Wald ihr eigen sei. Nun trug sie einen Löffel in ihrem dichten Federbusch versteckt, und weil man die Löffel auch Schöpfer hiess, so schwur sie: »So wahr mein Schöpfer über mir ist, so wahr gehört der Rockert mir und meinen Söhnen.« Da ward ihr der Wald zu Recht zuerkannt; sie starb aber nach wenigen Tagen und geht seitdem im Rockert um. Man hat sie oft gehört, wie sie mit einer grossen Hundemeute das Wild hetzte, gewöhnlich aber hört man sie rufen: »Hu! Hu!« was weit über Berg und Thal erschallt. Wer ruhig vorübergeht, dem thut sie nichts zu Leide, wer sie aber ausspottet, dem setzt sie sich auf den Rücken, und er muss sie den Berg hinauf und hinab bis an den Bach tragen; dort fällt sie dann wie ein Maltersack ins Wasser. Sie hat auch schon einmal drei Männer in den Gumpen eingetaucht. Besonders spukt sie auf der Gätelwiese, die unten am Rockert liegt.
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Vier Stunden von der Stadt Baden, bei dem Dorfe Malsch, stand einst auf einem vorspringenden, waldumkränzten Vorhügel des Schwarzwaldes das Schloss Waldenfels. Jetzt liegt es seit lange in Schutt und Trümmern, kaum wissen noch einige wenige Eingeborene die Stelle anzugeben, wo einst der Sitz des reichen und mächtigen Geschlechts gewesen.
Im 13. Jahrhundert lebte auf der Burg Ritter Beringer, der letzte seines Geschlechts, mit seinem Töchterlein Rosowina. Das Mädchen war der Stolz und die Wonne seines Alters geworden und längst hatte sie ihn den Mangel eines männlichen Erben vergessen lassen. Rosowina mochte etwa vierzehn Jahre zählen, da nahm ihr Vater einen elternlosen Edelknaben zu sich aufs Schloss aus einem alten, aber verarmten Geschlecht. Heinrich von Gertingen, dessen Vater des Ritters von Waldenfels Jugendfreund und langjähriger Waffengenosse gewesen, besass ein reiches Mass ritterlicher Vorzüge, aber in seiner Brust lag der Keim furchtbarer Leidenschaften. Ein Jahr war etwa vergangen, seit er auf Waldenfels aufgenommen worden, als er in wahnsinniger Liebe zu Rosowina entbrannte. Eine Zeit lang drängte er die Neigung in sich zurück, zuletzt aber war er nicht mehr Meister derselben. Er verfolgte Rosowina mit seiner wilden Liebe und eines Tages, als er sie im Burggarten traf, stürzte er ihr zu Füssen und schwur hoch und theuer, dass sein Leben in ihrer Hand liege, und er ohne sie ein Opfer des wahnsinnigsten Schmerzes werden müsse. Rosowina gerieth in eine grenzenlose Verwirrung; sie hatte nie die mindeste Zuneigung zu dem Jüngling empfunden und wusste im Augenblick keinen Rath. Da kam ihr Vater herbei. Die Verwirrung Beider sagte dem Ritter, was vorgegangen; zornerglühend gebot er dem Unglücklichen, auf der Stelle die Burg zu verlassen und nie mehr dahin zurückzukehren. Heinrich gehorchte mit einem wilden Blick auf Rosowina, die Worte murmelnd: »Das Elend, das du über mein Leben gebracht, komme über dich!« eilte er von dannen.
Am andern Morgen fand man seinen Leichnam in der Murg, sein Antlitz war grässlich entstellt, und man las darin die Verzweiflung, mit der er aus dem Leben geschieden.
Jahre vergingen und das Geschehniss wurde vergessen. Rosowina's Reize entfalteten sich immer herrlicher, immer lieblicher blühte sie empor, und als sie ihr siebzehntes Jahr erreicht hatte, war sie allgemein als die schönste Jungfrau des Gaues gepriesen. Allenthalben ward ihr Ruhm verkündet, obwohl nur Wenige zu Schloss Waldenfels Zutritt hatten. Doch wer so glücklich war, in ihre Nähe zu kommen, wer sie schauen durfte die Wunderpracht ihrer rosigen Schönheit, der ward nicht müde, die hohe Anmuth ihrer Reize zu rühmen, und wer einmal in den blauen Himmel dieses Augenpaars geblickt, oder wem einmal diese süssen, thauigten Korallenlippen zugelächelt, der musste gestehen, Holdseligeres auf Erden nimmer geschaut zu haben. Aber nicht allein von ihrer Schönheit sprach das allgemeine Gerücht, auch ihre jungfräuliche Züchtigkeit, ihre seltene Herzensgüte, ihr kluges, verständiges Wesen wurde von Allen hoch gepriesen.
So konnte es nicht fehlen, dass der stolzeste Freier des Thales, Graf Otto von Eberstein, der sie auf dem Marienfeste kennen gelernt, um sie warb. Als die Hochzeit herannahte, war das ganze Murgthal in Aufregung. Auf Neu-Eberstein, der ebenerbauten prächtigen Burg der Ebersteiner mit ihrem wunderbaren Blick ins Murgthal, sollte das Fest gefeiert werden. Vom frühen Morgen an strömten von allen Seiten die geladenen Gäste zur Burg, an deren Thürmen und Zinnen zahllose Fahnen mit den Ebersteinschen Farben und Wappenschildern lustig im Morgenwinde flatterten, und dessen reichgeschmückte Thore gastlich die weiten Flügel aufthaten. Inmitten all der Pracht und Herrlichkeit stand als kostbarste Perle die Braut, strahlend im reichsten Schmucke, aber strahlender noch im Sonnenglanze ihrer unvergleichlichen Schönheit. Und doch war ihr gerade heute so weh, so bang, es lastete ihr auf dem Herzen, als ob ein grosses Unglück geschehen müsse. Und seltsamer Weise erschien auch heute wieder öfters und in ungewöhnlicher Lebhaftigkeit ein Bild vor ihrer Seele, dessen Gedächtniss seit lange in ihrer Erinnerung fast gänzlich verwischt war, das Bild des unglücklichen Heinrich von Gertingen.
Rings um sie hatte das Hochzeitsmahl begonnen. Die köstlichsten Gerichte dampften in silbernen Geschirren, die herrlichsten Weine perlten in goldenen Bechern, und allgemeiner Frohsinn würzte Speisen und Getränke. Oefter und rascher kreisten die Pokale, höher stieg die Lust und bald tönte lauter, jauchzender Jubel durchs ganze Schloss.
Da, als das Mahl bereits seinem Ende entgegenging, meldete ein Diener dem Bräutigam einen fremden Ritter an, und herein trat, schwarz gekleidet von Kopf bis zu Fuss, der neue Gast. Seine Haltung war edel und ernst und das gebräunte Antlitz verrieth die südliche Heimath; in seinen Zügen lag düstere Verschlossenheit und aus seinen blitzenden Augen sprühte ein unheimliches Feuer. »Demetrius Kephalides«, so berichtete er, »ist mein Name, das griechische Inselmeer meine Heimath und seit mich mein Land ausgestossen, habe ich dem deutschen Kaiserreich Dienst und Leben geweiht. Mein Herr, der deutsche Kaiser, hat mich mit einer hohen Sendung betraut, und da mein Weg mich nicht ferne von Euerm Schloss vorüberführte, so ward mir der Auftrag, Euch zu Euren Ehrentage des Kaisers Glückwunsch darzubringen.«
Die Sitte der Zeit verlangte, dass dem vom Kaiser Gesandten der erste Tanz mit der Braut zukomme. Zwar hatte Rosowina gleich beim ersten Erscheinen des Ritters ein unheimliches Grauen vor ihm empfunden, das sich in Entsetzen steigerte, als er, sie zum Tanze führend, ihre Hand ergriff und sie bei der Berührung durch die Bedeckung der Handschuhe hindurch die stechende Kälte verspürte, welche die Finger des Ritters durchrieselte. Sie musste alle ihre Kraft zusammennehmen, um sich während des Tanzes aufrecht zu halten, und mit Sehnsucht sah sie dem Ende desselben entgegen. Endlich führte sie der Ritter zu ihrem Sitze zurück. Dankend neigte er sich vor ihr – da durchzuckte plötzlich ein furchtbar stechender Schmerz ihre Brust, ihr Herz krampfte sich zusammen und mit einem leisen Schrei sank sie leblos nieder. In dem allgemeinen Schreck, der Alle erfasste, verschwand der Ritter. An der Braut aber war jeglicher Wiederbelebungsversuch vergeblich, sie war und blieb todt. Noch eben strahlend in Schönheit und prangend in üppiger Vollkraft der Jugend – jetzt eine starre, kalte Leiche.
Da erhob sich ein gewaltiger Jammer durchs ganze Schloss. Erschütternd war der Schmerz des alten Vaters, unsäglich das Weh des Ebersteiners.
Nichts war bisher sein Leid zu lindern im Stande gewesen, doch hatte die Starrheit desselben nachgelassen, aber nur um einer masslosen Verzweiflung Platz zu machen. Er rannte wie wahnsinnig durch die Gemächer und Gänge des Schlosses, er rief Rosowina mit den zärtlichsten Namen, er beschwor Himmel und Erde, ihm die entrissene Geliebte zurückzugeben. Kein milder Schlummer senkte sich auf seine thränenlosen Augen herab, keine Ruhe erquickte den Verzweifelnden, und schlaflos wälzte er sich auf seinem Lager.
Drunten aber vor der Thüre des Grabgewölbes, in welchem die junge Gräfin von Eberstein den langen, tiefen Todesschlaf schlummerte, stand gegen Mitternacht der alte Gisbrecht und hielt Wache, denn ihn hatte für diese Stunde die Reihe getroffen. Gisbrecht war ein alter Waffenknecht des Hauses Eberstein, der schon länger denn vierzig Jahre der Familie redlich gedient. Von Jugend an mit dem Waffenhandwerk vertraut, war er dem Vater und Grossvater des Grafen Otto, wie diesem selbst, in manchem blutigen Strausse treu zur Seite gestanden, und seinem muthigen, unerschrockenen Herzen war im Laufe der Zeit Furcht fremd geworden, dabei war er aber dennoch von frommer, gottesfürchtiger Sinnesart. Langsam, gemessenen Schrittes wandelte er auf und nieder, und indem er dabei des jähen Todes der schönen, jungen Gräfin gedachte, knüpften sich daran Betrachtungen über den Unbestand und die Nichtigkeit der menschlichen Dinge. Oft schon während des Ab- und Niederwandelns war sein Blick auf die Thüre gefallen, die den Eingang zum Grabgewölbe verschloss; aber jetzt – was war das? Er traute seinen Augen kaum, und dennoch war es so: langsam und geräuschlos drehte sie sich in ihren Angeln. Furchtlos heftete er den festen Blick dahin, und die Pforte öffnete sich weiter, und es zeigte sich eine weisse Gestalt, die allmälig aus der Tiefe heraufstieg. Noch stand Gisbrecht ohne Beben, zwar mit verhaltenem Athem, aber unerschrocken, selbst dann noch, als die gespenstige Erscheinung immer näher heranschwebte. Als er ihr aber in das bleiche, erdfahle Antlitz schauen und die geisterhaften Züge Rosowinas erkennen konnte, da kam das Grauen der Geisterwelt über ihn, all sein Muth entsank ihm, und von namenlosem Entsetzen getrieben, eilte er die Stufen hinauf und den Gang entlang, der zum Gemache seines Herrn führte, nicht achtend des unausgesetzten Rufens der weissen Gestalt, die ihm rasch folgte.
Eben wandte sich Graf Otto in seiner Verzweiflung auf dem Lager von einer Seite zur andern, da vernahm er ein heftiges Klopfen an der Thüre seines Schlafgemaches, und wie, er sich erhob und öffnete, da sah er den alten Gisbrecht bleich, zitternd und mit verstörten Zügen vor sich stehen, der mit bebenden Lippen kaum die Worte zu stammeln vermochte:
»Ach, Herr Graf, das Fräulein von Waldenfels ...«
»Bist du betrunken, Gisbrecht?« fragte Graf Otto, erstaunt ob der seltsamen Rede des Alten.
»Verzeiht, Herr Graf«, fuhr dieser stammelnd fort, »ich wollte sagen, die verstorbene, junge Gräfin ...«
»O Rosowina!« seufzte bei diesen Worten unwillkürlich Graf Otto.
»Hier ist sie, deine Rosowina!« rief eine weisse, weibliche Gestalt, die sich mit diesen Worten dem Grafen rasch in die Arme warf.
Dieser wusste nicht, wie ihm geschah; er war ausser sich vor Ueberraschung und Staunen. War es ein Traum? War es eine Erscheinung von jenseits? War es Rosowina wirklich? Aber es war der süsse Ton ihrer Silberstimme, er fühlte an seiner Brust das Klopfen ihres Herzens; er empfand den linden, warmen Hauch ihres Mundes. Zagend hob er ihr sanft das Haupt empor – ja es waren die milden, lieblichen Engelszüge seines Weibes, das, in Leichentücher gehüllt, in seinen Armen lag.
Am andern Morgen erzählte man sich im Schlosse und in der ganzen Gegend die seltsame Wundermär: die Gräfin Rosowina wandle wieder unter den Lebenden; sie wäre nicht todt, sondern nur von einem todesähnlichen Schlummer befangen gewesen. Als sie aber wieder zu sich gekommen aus ihrem Starrkrampfe und zum Leben erwacht sei, habe sie sich zu ihrem Entsetzen im Sarge und im Todtengewölbe befunden. Es sei ihr alsbald deutlich geworden, wie dies Alles gekommen sein müsse, und der Schreck habe ihr die Besonnenheit nicht geraubt. Beim Schein der Todtenlampe, die noch in dem Gewölbe gebrannt, habe sie sich ohne Mühe aus dem noch unverschlossenen Sarg helfen können, und leicht den Ausgang aus diesem Schreckensorte und die Thüre offen gefunden, die der Sakristan fest verschlossen zu haben hoch betheuerte. Als sie dem Wache haltenden Waffenknecht sich genaht, habe dieser voll Furcht und Entsetzen die Flucht ergriffen, sie sei ihm gefolgt, und habe so alsbald das Gemach des Grafen erreicht und diesen mit dem freudigsten Schreck überrascht.
Auf dem Schloss Eberstein begann es von Neuem wieder laut und lebendig zu werden. Von allen Seiten strömten Nachbarn, Freunde, Verwandte und Dienstmannen des Grafen herbei, um die wundersame Kunde aus dem eigenen Munde der Wiedererwachten zu vernehmen, und dem sich wiedergeschenkten Paar noch einmal die herzlichsten Glückwünsche darzubringen.
Wie grenzenlos auch die Verzweiflung gewesen, wie namenlos der Jammer, in den der Verlust Rosowina's den Grafen gestürzt, er konnte dennoch seines neuen wiedererlangten Glückes nicht recht froh werden, ob er sich gleich keine Rechenschaft über den Grund davon zu geben vermochte. Es war ihm immer, als ob ein unbekanntes, unheimliches Etwas sich zwischen ihn und seine junge Gattin dränge. Wenn er ihr ins Auge blickte, so fand er darin nicht mehr jenen seelenvollen Ausdruck, der ihm so oft wonniges Entzücken im Herzen erweckt; todt und kalt starrte es aus der Augenhöhle hervor. Wenn er sie in seinen Armen hielt, wähnte er oft einen leblosen, starren Todtenkörper zu umfangen und an sein liebeheisses Herz zu drücken. Presste er einen brünstigen Kuss auf die eiskalten Lippen, so liess ihn ihr Mund unerwidert.
War das frisches menschliches Leben oder hatte er eine Todte zum Weibe? Das war der Gedanke, der ihn immer und immer quälte, der ihn nimmer zur Ruhe kommen liess. Die ewige Ungewissheit zernagte den Keim seines Lebens und zerstörte es bis ins innerste Mark. Ein schleichendes Fieber ergriff ihn und er welkte sichtbar dem Grabe zu. Unerwartet schnell fand man ihn eines Morgens mit dem Tode ringend. Er verlangte nach dem Burgkaplan, um seine letzte Beichte abzulegen; aber als dieser erschien, war es zu spät, er hauchte eben seinen letzten Seufzer aus. In diesem Augenblick vernahm man einen furchtbaren Knall, der das ganze Schloss erschütterte. Die Thüren des Begräbnissgewölbes sprangen auf und die Diener, die gerade im Schlosshofe beschäftigt waren, sahen, von hellem Lichtglanz umflossen, die gespenstige Gestalt Rosowina's in dasselbe hineinschweben und dort für immer verschwinden.
So lautet die Sage von der Braut auf Eberstein.
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