August Silberstein
Herkules Schwach. Zweiter Band
August Silberstein

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Sechsundzwanzigstes Capitel.

Es langen zu sehr gelegener Zeit zwei unserer Bekannten an und kommen mit dem State und den Statsgeheimnissen in solche Berührung, daß sehr Ueberraschendes daraus hervorgeht.

»Herein!« ertönte die Stimme Plemper's scharf und würdevoll, nachdem um Einlaß höflich an der Amtsthüre geknöchelt ward.

Herein traten zwei Männer; der eine lang, hager, dunkel gekleidet, sehr geschäftig, freundlich, mit dem harwirren 78 Kopf und den schwarzen Augen grüßend, und neben ihm kam der andere, eine große, starke, wohlwollend blickende Gestalt, mit sehr sanftem Ausdrucke in den blauen Augen – unsere sehr guten Bekannten: die Herren Schnepselmann und Schwach.

»Die Ehre – Ergebenster!« sagte sehr freundlich Schnepselmann. – Schwach verbeugte sich.

Plemperlein legte das Gesicht sehr stark in Falten, blickte Doppelwürde, sah so ernst wie eine Nachteule bei Tage, und nickte mit dem Haupte fast unmerklich. Der Bureauchef fand es nicht der Mühe werth, sich um die beiden Unterthanen zu bekümmern. Nachdem er beim Eintritte einen umfassenden Blick über sie geworfen, steckte er sofort absichtlich die Nase wieder in die Schreibereien, als wollte er sagen: zu wenig für mich – wegen Derlei lasse ich mich nicht stören!

Schnepselmann stand einen Augenblick und erwartete, der Herr Beamte werde so freundlich sein ihn zu fragen, was er wünsche. Nicht im Geringsten Aehnliches geschah. Plemper steckte die Feder hinters Ohr, bog sich mit dem Oberkörper an die Lehne seines Sessels zurück, und saß mit flegmatischer Würde, harrend, was die Unterthanen wollen würden.

Der Bureauchef blickte seitwärts, verstohlen nach ihm, und dachte erfreut: sehr gut, wahrhaft würdig und repräsentativ! –

Endlich sagte Schnepselmann, einigermaßen gedrückt und da ihm das Schweigen schon zu lange dauerte: »Möchten höflichst ersuchen . . .«

»Was wollen Sie ersuchen?« mit etwas anschnauzender Stimme von Seite Plemper's. 79

»Ehre aufzuführen meinen Freund, Herrn Herkules Schwach, persönlich.«

»Wer sind Sie!?«

»Ehre mich vorzustellen, Hugo Schnepselmann, Agent, Privatbureau, Kommissions . . . .«

»Und was geht das Alles uns an?«

»Ach, entschuldigen Sie, das wollte ich eben sagen,« entgegnete Schnepselmann, den dieser herrische Lakonismus zu verwirren begann. »Ich wollte eben sagen . . . das heißt, ich war im Begriffe . . .« Er fuhr sich bereits konfus durch die Hare, denn Niemand verwirrt rasche Menschen so sehr, als ein gelassen Gegenüberstehender, der den Strom ihrer Rede unterbricht und ihr, plötzlich, eine andere Wendung gibt.

»Nun, ich bitte, bedenken Sie, Sie sind in einem Amte! Machen Sie nicht viele Umstände, die landesfürstlichen Aemter haben mehr zu thun, als unnöthiges Gerede. – Kurz und rasch und gut, was wollen Sie!«

»Entschuldigen Sie . . .«

»Schon gut: sprechen Sie!«

»Herr Schwach ist der Sohn . . . der Sohn . . . der Sohn seiner Mutter . . . das heißt . . .« Schnepselmann biß, über sich selbst ergrimmt, sich in die Lippen und fuhr sich heftig durch die Hare. »Das heißt, kurz und gut,« polterte er jetzt, »Herr Schwach will nähere Auskunft über sein Herkommen, seine Eltern, seine Geburt haben, und das muß hier im Amte verzeichnet stehen!« – Das war heraus und zur nicht geringen Erleichterung Schnepselmann's, der bereits einen grimmigen Blick auf Plemper zu heften begann. Schwach fand es für rathsam, zu schweigen 80 und nur durch stumme Bewegung seine Beistimmung zu der Aussage seines Freundes anzudeuten.

»Gut. Wie heißen Sie?« Und Plemper ging zu einem gewaltig großen Buche.

»Hugo Schnepselmann.«

»Nicht Sie! Erschweren Sie unsere Amtspflichten nicht! Ich meine den Namen, der gesucht werden soll!«

»Herkules Schwach, Herkules Schwach,« sagten die beiden Anwesenden zugleich, und Schnepselmann stammelte wieder Entschuldigungen.

»Schwach, Buchstabe S!« Und Plemper ging zu einem andern Riesenbuche, zog es aus einem Fache hervor, hob es und warf es auf einen Tisch in der Nähe Schnepselmann's, daß es donnerte, als ob eine Kanone losgegangen wäre. Schnepselmann sprang erschreckt zurück, trat Schwach auf die Hühneraugen, daß dieser sich mit verzogenem Gesichte auf einem Beine zu drehen begann. Der Staub flog indeß vor den Beiden umher.

»Schwach Pastetenbäcker,« las Plemperlein herrisch und sah auf. Schnepselmann schüttelte verneinend. »Schwach Laternanzünder – Schwach Hebamme – Schwach Seiltänzer – Schwach Spezereihändler – Schwach Omnibuskutscher – Schwach Markthausirer – Schwach Nachtwächter – Schwach Milchweib – Schwach Schornsteinfeger . . . .«

»Nicht« – »nein« – Kopfschütteln – waren immer die Entgegnungen auf diese schnarrend gelesenen Einzelheiten des Registers.

»Schwach Doktor – Schwach Kaffeewirth – Schwach Regimentstrompeter . . . .« Immer Verneinung. »Aber zum Guckuck – ich lese mir ja die Brust heraus! – Warum nennen Sie nicht die Jahreszahl der Geburt!« 81

»Ich hielt sie bisher für 18**,« sagte Schwach bescheiden.

»Warum sagen Sie das nicht gleich! Warum verursachen Sie dem Amte nur Beschwer', Zeitaufwand!« Und er klappte das Buch, zu, holte mit grimmigen Blicken ein anderes, donnerte es in der vorigen Weise wieder auf den Tisch nieder, ohne aber diesmal, wie früher – hühneraugengefährliche Folgen zu verursachen.

Einige Namen noch las Plemper sehr rasch, plötzlich strauchelte er über den Herkules Schwach. –

»Das ist der Rechte! – Da ist es!« riefen Beide zugleich und harrten gespannt.

Plemper schlug rauschend einige Blätter weiter, schlug wieder vor, dann wieder zurück, dann wieder vor und wieder zurück – endlich blieb das Buch offen liegen. Plemperlein fuhr mit der Hand, von oben nach unten streichend, darüber hin, mit einer Miene, als kennete er genau, von Uralterszeiten, jede Linie darauf. »Sie wollen einen Auszug der Urkunde?«

»Sehr richtig . . . aufzuwarten . . . ersuchen darum.«

Plemperlein zog sofort von einem Fache ein gestempeltes, dazu eingerichtetes Papier hervor und schrieb mit so leichtfertigen Zügen als möglich, indem er zugleich gebieterisch las: »Herkules Schwach, geboren 18**, Vater, Schornsteinfeger Alois Schwach, Mutter, Milchweib, geborne . . .«

»Entschuldigen Sie,« sagte Schwach sehr devot und wollte einwerfen, daß dies durchaus nicht sein Stammbaum sein könne.

»Was wollen Sie?!« herrschte Plemper ihn an.

»Mein Freund will einwerfen,« nahm Schnepselmann, 82 der doch von Allem unterrichtet war, das Wort, »daß dies nicht seine Person betreffen . . .«

»Nicht seine Person? Was soll das heißen? Wem wollen Sie das lehren? Wozu sind Sie hergekommen? Was glauben Sie denn? Vergessen Sie, daß Sie in einem Amte sind?« –

»Ich wollte, möchte nur bitten . . . ich wollte bemerken . . . –

»Sie haben nichts zu bemerken! Und am allerwenigsten zu tadeln! Hier haben Sie, hier steht es geschrieben, das ist ein gestempeltes Papier, und damit Punktum!«

»Aber wir können doch kein irriges . . . .«

»Wer sagt Ihnen, daß es irrig ist? Wie wagen Sie, das Amt eines Irrthumes zu zeihen!? – – Herr!!«

»Doch . . .«

»Kein Doch und kein Aber! Der Stempel kostet zehn Groschen, und den bezahlen Sie, und damit Punktum!«

»Wir bezahlen ja gerne mehr, wenn nur . . .«

»Sie bezahlen gerne mehr? Glauben Sie denn, ein landesfürstlicher Beamter braucht Ihr Geld? Wofür wollen Sie bezahlen? Sie bezahlen was Taxe ist und nicht mehr, und damit Punktum! – Oder wollen Sie vielleicht Seitenwege, Umschliche, Falschheiten, Bestechungen? Herr!!!«

»Im Gegentheil, ich meinte, daß falsch . . .«

»Herr, mäßigen Sie Ihre Ausdrücke! falsch – hier ist nichts falsch! Und lassen Sie noch ein einziges solches Wort fallen, so schicke ich um den Polizeikommissär, – um Gensdarmerie, und lasse Sie arretiren, wegen Beleidigung und Grobheit im Amte!« – Plemper hatte also schon in früherer Praxis sehr viel gelernt.

Das war Schnepselmann zu viel, war Ungeheueres 83 von seiner Gelassenheit gefordert! »Herr,« sagte er jetzt im gereizten Tone, »ich habe kaum noch zwei Sätze hier gesprochen; Sie lassen uns Beide kaum ausreden; wir entgegnen nur bescheiden . . .«

»Wagen Sie nicht, so entgegenzutreten – hier!«

»Ich wage, ich wage zehnmal, hundertmal, tausendmal! Und wenn Sie gleich sechzig Millionen Regimenter« (die Millionen fehlten bei Schnepselmann nie) »kommen lassen, um mich zu arretiren – ich wage es! Herr, Sie sind noch nicht der Letzte und Höchste – ich werde mich bei Ihrem betreffenden Chef beschweren!«

Hier begann Plemper bereits etwas konfus zu werden, und fragte sich: ob er es vielleicht nicht zu gut gemacht? – Da trat, zu rechter Zeit, von Grütze, der Bureauchef von Grütze, auf den Schauplatz der Begebenheit und begann mitzureden. Er erhob sich, ein lebendiges Buch, von seinem Schreibtische, hielt die mächtige Feder in der Rechten vor sich und agirte sehr gemessen, indem er würdevoll den Mund seines breiten Gesichtes zu öffnen begann.

»Ich bin der Bureauchef hier!«

»Also, werthester Herr, Sie haben vermuthlich gehört . . .«

»Allerdings habe ich. Und ich habe nach meiner Pflicht gewissensvoll auf den ganzen Vorgang geachtet.«

»Sehr gut. Sie werden also überzeugt sein von dem Unrecht!«

»Das bin ich nicht, durchaus nicht!« rief von Grütze, noch stentorischer als Plemper. Und Schnepselmann sammt Schwach waren furchtbar niedergedonnert.

»Wie können Sie hier zu tadeln sich unterfangen?« fuhr Grütze energisch fort. »Erst kommen Sie und 84 vergeuden unsere kostbare, unsere kostbare Zeit mit allerlei unnöthigen Dingen; dann erschweren Sie die Aufsuchung des Verlangten; dann tadeln Sie, Herr, tadeln Sie! Wie können Sie sich unterfangen, in einem landesfürstlichen Amte!«

»Aber . . .«

»Kein Aber! Sie haben von Amtswegen ein Certifikat erhalten, hier liegt es, gestempelt mit landesfürstlichem Siegel; – Sie haben zu bezahlen und zu schweigen!«

»Wenn ich, wenn wir aber nicht zufrieden . . .«

»Wenn Sie nicht zufrieden sind, so haben Sie das Papier zu zahlen, zu nehmen und zu geben. Dann kommen Sie, auf einem Stempelbogen, bei der höheren Behörde, mit Ihrer Beschwerde und Ihrem Ansuchen schriftlich ein; es wird auf amtlichem Wege zum Referate kommen; und es wird Ihnen, zur Zeit, ein Dekret von der landesfürstlichen Behörde zugestellt werden.«

»Das dauert aber lange, zu lange!«

»Herr, unterfangen Sie sich, den Amtsweg zu tadeln, die landesfürstlichen Behörden zu beschimpfen? – Kratzer!« und er zog rasch eine Klingelschnur. Das gerufene Individuum, der Amtsdiener, erschien sofort. »Kratzer! Gehen Sie sofort um den Hauskommissär, diese beiden Herren haben sich ungebührlich hier im Amte benommen!« –

Das Individuum verschwand – Schnepselmann und Schwach standen mit weit geöffneten Lippen und Augen, und sahen sich eben so stumm als entsetzt gegenseitig an.

Der Hauskommissär erschien mit zwei Mann Polizei, die sich hinter den Unterthanen aufstellten. Der Bureauchef konstatirte die Sache, und der Polizeibeamte lud Schnepselmann und Schwach ein, ihm zu folgen. Die beiden 85 Delinquenten thaten es, und gingen als Arretirte mit sehr hängenden Köpfen hinaus.

»Plemper«, sagte der Bureauchef, als er mit diesem ausgezeichneten Beamten wieder allein war, »Sie haben sich sehr gut benommen, meistentheils, Sie verdienen meine Achtung. Wenn ich noch Manches zu tadeln hätte, so kommt dies natürlich auf Rechnung der Neuheit. Aber es wird sich schon machen!«

Plemper verneigte sich, sehr innig erquickt.

»Ich glaube jedoch,« fuhr der Bureauchef fort, »so weit ich in die Sache sehe, haben Sie Unrecht. Sie müssen sich in der Rubrik geirrt haben.«

»Aber . . . ich konnte doch nicht . . .«

»Keineswegs konnten Sie so fort. Und wenn die anfragende Partei mehr Bitte mit Bescheidenheit verbunden hätte, so hätten Sie sich können herablassen, den Fehler auf die konfuse Angabe, natürlich mit gerechtem Tadel, zu schieben. Wo aber nur die entfernteste Ahnung eines Tadels gegen uns sich zeigte, mußten Sie entschieden das Amt vertreten; und Sie haben es gethan, Dank meinen guten Lehren! Fahren Sie so fort, und Sie werden sich stets mehr und mehr auf der Bahn Ihres Berufes ausbilden!«

Plemper lächelte und verneigte sich entzückt, Worte des unterthänigsten Dankes stammelnd.

»Sollten Jene,« setzte von Grütze noch hinzu, »wirklich eine Beschwerde führen, so kommt die Anfrage, von oben, an uns; und wir wollen schon eine solche Auskunft geben, daß die Frevler gezüchtigt – dieser Schnepselmann hat ganz das Ansehen eines Wühlers – daß die Frevler gezüchtigt und in Zukunft ein landesfürstliches Amt nur mit der gehörigen Unterwürfigkeit betreten werden. Denn das ist 86 nothwendig, soll der Segen einer ordentlichen bureaukratischen Regierung ganz in die Unterthanen und alle Schichten des Volkes dringen!« –

Somit war das ruhmreiche Beginnen Plemperleins beendet. –

Schnepselmann und Schwach wurden mittlerweile als Frevler auf die etwas unfreundliche Verhandlungsstube des Kommissärs gebracht. Die Polizeimannschaft stellte sich gerüstet wieder an der Thüre auf.

Erster Verbrecher war bereit, seinem Zorne um jeden Preis jetzt Lauf zu lassen. Je mehr und heftiger er aber widerlegte und widerstrebte, desto fester erklärte sich der Kommissär überzeugt, daß er sich ungebührlich benommen haben müsse! –

Es könnte schon gar nicht anders sein, da es der Bureauchef Grütze gesagt. Der Kommissär drohte sogar, über Schnepselmann auch hier, wegen Respektswidrigkeit gegen ihn, den Kommissär, eine zweite härtere Strafe zu verhängen! – Schwach legte sich als sanfterer Theil ins Mittel.

Es gelang endlich den Bitten des Letzteren, so weit zu beschwichtigen, daß sie, jeder, fünf Thaler Strafe, als Ablösung für die Haftzeit auf der Wachtstube erlegen durften.

Schwach dankte sehr für diese Gefälligkeit und erlegte sofort die zehn Thaler. Die geforderte Stempelgebühr für das kostbare Certifikat mußte er besonders bezahlen.

Er zog seinen Freund, den thätigen Agenten, rasch mit sich und war noch froh, um diesen Preis endlich wieder alle Plemper's und Grütze's los zu sein.

Er athmete im Freien wie ein neugeborener Mensch wieder auf.

Schnepselmann gährte, kochte, brannte, sott im Innern. 87

»Ich gehe zum Statsrathe, zum Ministerium, zum Landesfürsten! Ich bewege alle Gerichte und Kabinetskanzleien und lasse nicht eher nach, bis ich das Amt vernichtet habe! – Ich appelire an alle Instanzen, an die ganze Welt! an die ganze Menschheit! Es ist schrecklich! furchtbar! – ich . . . ich . . .«

»Lassen Sie des gut sein. Die Sache ist vorüber. Seien Sie froh, daß wir draußen sind.«

»Aber . . .«

»Ich bitte Sie, lassen Sie die Sache ruhen, vergessen Sie.« –

»Nun – und was haben Sie jetzt von Ihren Amtsschritten?« fragte Schnepselmann boshaft, da ihn Schwach so durchaus beschwichtigen wollte.

Schwach schüttelte leise das Haupt – und sie gingen davon.



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