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Rübe und Schnepselmann kommen in engere Berührung. – Das Kapital mit seinen Forderungen, Neigungen, Schlauheiten und Aufträgen, die für uns nicht ohne Wichtigkeit sind.
Der kleine Mann, Rübe, mit seinem langen, bis an den Hals dicht zugeknöpften grünen Rocke, grauen Aermel-Ueberzügen, seiner fuchsbraunen Perrücke, die an dem Ohre von einer Schreibefeder etwas in die Höhe gehoben war, seiner langen Nase, auf derem starken Knollen eine Brille saß, ging in seinem Komptoir nachdenkend auf und ab, indem sein Nußknackergesicht in sehr ernste Falten gelegt war und die kleinen grauen Augen sorglich um sich lugten.
Er ging auf und ab, hatte die Hände hinter dem Rücken gekreuzt, die schmalen Lippen fast verkniffen, und forschte häufig nach der feinen Pendeluhr, die ober einem Wandkalender hing.
Zuweilen ging er an die grünen Vorhänge einer Glasthüre und lugte durch die Scheiben in das nächste Schreibzimmer, wo mehrere Buchhalter saßen, unter denen ein langer hagerer Mann, mit kahler Stirne und grauen Haren.
»Noch nicht da?« murmelte Rübe. »Er wird doch nicht von dieser Seite kommen? Ich habe ihm doch genau geschrieben, in den Seitengang zu treten und die rückwärtige Thüre zu benützen. Die Schmierer da draußen wollen heute auch nicht fort. Es ist ihre Zeit zu Ende; aber sie gehen noch nicht. Heute würde ich ihnen ihre Furcht 295 schenken. Hole sie Alle . . . . und diesen verdammten Krimpler besonders! – Ah, jetzt gehen sie! – Ich höre Tritte. – Herein!«
Und Schnepselmann gelangte von rückwärts, durch die schmale Eisenthüre, die mit Tapeten verkleidet war, in das Schreibzimmer Rübe's.
Der Agent, mit seinen hohen, schmalen Schultern, den verwirbelten Haren und heute extra-steifen, börsenfähigen Vatermördern, feierlich schwarz befrackt, wie gewöhnlich, machte die herablassendsten und doch würdevollesten Komplimente, die ein Geldmann dem andern nur irgendwie machen könnte.
Rübe zog die Gedankenstriche von Lippen noch breiter, nickte mit dem gespitzten Kopfe, behielt die Hände auf dem Rücken, wie es dem Kapitale gegen blos »laufende Provision«, die Schnepselmann hieß, zukam.
Schnepselmann erschöpfte sich in bereitwilligen Anerbietungen seiner Dienste, Auseinandersetzungen seiner Freude, dem geehrten und berühmten Hause Rübe & Comp. zu dienen; und Rübe hörte dies Alles gelassen an. Er zeigte in seinem Gesichte blos ein herablassendes Bewußtsein des Kapitales. Er wies auf einen nahestehenden Stuhl und näselte: »Setzen Sie sich.«
Schnepselmann that es, hielt den Hut zwischen seinen spitzen Knieen, und sah nach Rübe, der vor ihm stand, und dessen Augenhöhe trotzdem nicht viel über jene Schnepselmann's ging. Letzterer ward in der Pause des Stillschweigens, das Rübe beobachtete, verlegen und kam sich vor, wie ein festgebundener Verbrecher, dem der Kopf abgenommen werden solle. 296
Endlich nahm Rübe das Wort.
»Sie haben ein Bureau für Kapitalien?«
»Aufzuwarten, geehrter Herr Rübe! Ein Bureau für Unterbringung von Kapitalien, Eskomptirungen, eine Agentur für Kommissionsartikel, Häuserkauf und Verkauf, für Heiraten, kurz für Alles!«
»Hm,« sagte Rübe gleichgiltig, als wüßte er das nicht schon seit einiger Zeit, »für Alles . . .« Hierauf schien er nachzudenken. Dann sagte er plötzlich, wie von einem Einfalle belebt, rasch und laut: »Können Sie mir Kapitalien placiren? – Fünfmalhunderttausend Thaler Kapital! Wissen Sie das zu placiren?«
Schnepselmann fuhr vom Sitze empor, strich sich durch die Hare, eine ganze Welt von Geschäften that sich vor ihm auf. »Fünfmalhunderttausend!« rief er, »warum nicht?«
»Und gleich und gut?« frug Rübe nachdrücklicher mit seiner näselnden Stimme, indem er, die Hände noch immer auf dem Rücken haltend, schlau mit seinen grauen Katzenaugen in Schnepselmann's Gesicht sah.
»Gleich?« wiederholte der Agent etwas bestürzt. »Das nicht . . . aber . . .«
Darin lag der Triumf, den Rübe gehofft; und sofort nahm er, kalt lächelnd, das Wort. »Sie wissen fünfmalhunderttausend Thaler nicht zu placiren? Sogleich, sofort, augenblicklich? Geben Sie mir eben so viele Millionen Kapital, Rübe & Comp. placiren es augenblicklich – augenblicklich!«
»Ah!« rief Schnepselmann ehrfurchtsvoll erstaunt aus.
Rübe schwieg einen Augenblick, ging im Zimmer hin und her, dann blieb er wieder stehen, sah dem Agenten scharf, durch die auf dem Nasenknollen sitzende Brille, ins 297 Gesicht, bewegte das breite Kinn und frug kaltblütig, fast mit Hohn: »Wie viel Kapital repräsentiren Sie denn?«
»Kapital . . . ich muß bitten . . . Kapital . . .«
»Kein bestimmtes Kapital? Kein festes, fixes und verläßliches Geschäftsquantum? – Das liegt Alles im Augenblicke, in der zufälligen Kommission? – Da sehen Sie hinaus!« Er zeigte aufs Fenster in den mit Warenballen gefüllten Hof. »Eine Schiffsladung Baumwolle aus Brasilien. Werth sechsmalhunderttausend Thaler! Frisch angelangt! – Sehen Sie hier durch,« er zeigte durch die Glasthüre; »sehen Sie diese Bücher? Wir sind in der Hälfte des Jahres; der eingetragene Umsatz beträgt Millionen. Das ist Kapital! das ist Rübe's Bureau!«
Schnepselmann sah umher, bald durch die Scheiben, bald auf den kleinen Mann, er wußte nicht, was dieser von ihm wolle und wozu diese sonderbaren Reden. Er fühlte eine ungeheuere Nichtigkeit, er kam sich vor, wie eine Mücke gegen eine Giraffe, wie eine Miriade gegen ein Mastodon, wie eine Sardelle gegen einen Wallfisch! Er war, so zu sagen, geistig vernichtet, niedergedonnert. –
Das wollte Rübe, das war dessen vorläufiger Zweck; und er beabsichtete, erst Schnepselmann den Fuß ganz auf den Nacken zu setzen, um ihn dann fühlen zu lassen, daß es nichts als eine Gnade sei, wenn er ihm nur einzelne Fußtritte versetze.
»Ich habe mich getäuscht in Ihnen,« sagte Rübe wieder, näselnd und wegwerfend; »es thut meiner Firma leid, Sie umsonst bemüht zu haben. Ich glaubte Sie repräsentiren Kapital, Sie hätten mit dem Kapitale unserer Handelsstadt innige Beziehungen; – thut uns leid!«
»Kann ich gar nicht vom Nutzen sein?« sagte 298 Schnepselmann demüthig und betrübt; denn die ganze Nacht hatte er nicht ruhig schlafen gekonnt, über das Ereigniß, daß ihn ein Haus wie Rübe & Comp. eigens rufen ließ und es waren schon die großartigsten Geschäfte vor seinem geistigen Blicke emporgestiegen. Jetzt sollte er ohne die geringste Erfüllung von Hoffnungen gehen?
»Sie wollen uns dienen? – Sehr wohl! – Bevor ich mit Ihnen in irgend eine Beziehung trete, oder treten würde, machen wir den Boden erst klar. Das ist so meine Art, das ist die Art, wie Rübe & Comp. Geschäfte leiten. – Sie kennen unser Haus?«
»Hohe Ehre . . . ergebenst . . .«
»Schon gut!« sagte wegwerfend Rübe und durchfuhr die Luft mit der Hand, in die er eine Prise aus seiner Dose genommen, ohne Schnepselmann eine zu bieten.
»Schon gut!« wiederholte er, mit der Hand abwehrend, als läge ihm an Schnepselmann's Lob gerade so viel, als an dem Sumsen einer vorüberfliegenden Mücke. »Sie wissen den Stand unseres Hauses an der Börse – Sie kennen unsere Acceptations- und Giro-Gültigkeit bei der Bank – Sie wissen was Rübe & Comp. auf dem Geldmarkt bedeuten? Ja oder Nein! Plain, klar, offen!« sagte er kalt und selbstgefällig.
»Ja also! Gut gut,« fuhr er bald fort; »das Andere erlasse ich Ihnen! – Und Sie sind nicht Großhändler – haben kein Bankfolio – keinen Börseplatz – kein Kapital! – Reden wir offen; in meinem Geschäft muß Alles klar sein. – Sie sind ein armer Teufel! Sie leben von einem Tag zum andern; der Zufall muß Sie ernähren und Ihren Kindern Brod geben! – Was? – Ja!«
»Sie hängen mit Ihrem Hause also von dem Kapitale 299 Anderer ab; Sie müssen Geschäfte machen und fremde Häuser dazu haben, die Sie unterstützen – Kaufmänner, die Ihnen willig kleine Brocken von ihrem Kapitale zukommen lassen; Sie sind ein armer, brodsuchender Agent, der kein Kapital hat, von dem keine Erwähnung sein kann, wenn von der Hauptsache im Leben und Geschäfte, vom Kapital die Rede ist?«
Schnepselmann fühlte erst durch diese langsam, aber fest und schwer wie Hagel, auf ihn losstürzende, ausführliche Auseinandersetzung seiner Nichtigkeit, dieselbe im Augenblicke ganz und schwer.
Rübe beabsichtigte das.
Rübe war ein Mann, der aus seinen Kapitalgrundsätzen kein Hehl machte. Wie alle Bösen, welche ihre Bosheit zu Tage tragen, glaubte auch er, sie dadurch ehrenvoll und zu einer Sache des Muthes gemacht zu haben! –
Aber welcher Muth gehörte dazu, als Kapitalist, armen Teufeln, in der Zeit der Noth, ihr Elend fühlen zu lassen? –
Innerlich war er ja seines Sieges so gewiß, daß es nur den vollesten Grad der Herzlosigkeit anzeigte, wenn er seine Grundsätze so klar zu Tage legte. – Aber Rübe hatte, wie alle kalte Egoisten, die Neigung, seine Verstandesberechnungen mit jedem Worte siegbar machen zu wollen. Er besaß Kapital, er war also Mensch; wozu sollte er die Verse des unsichtbaren Evangelium des Goldes, kraft dem er und Seinesgleichen herrschen, verbergen? – Wenn auch die Verse nicht niedergeschrieben, so sind sie doch in der Welt stillschweigend anerkannt. – Sollte er also schweigen und still lächeln über all den Firlefanz von Gemüth, womit die Welt – was er Welt nannte – ihr wahres Thun und 300 Treiben zu verkleiden sucht, während ihr Himmel, den sie hofft, ihren Boden, den sie pflegt und liebt, doch nur Gold, Kapital ist? – Sollte er selbst heucheln? Sollte er nicht vielmehr den Genuß des Herrschers haben, den Untergebenen seine Macht höhnend fühlen zu lassen? – Ein wahrhaft Hoher ist weit entfernt hievon; aber all das Gesindel, das sich zu einer Stellung hinauswuchert, in Geld oder That, wird dies Bedürfniß fühlen!
Rübe dachte, die Zeit ist heute gekommen, in der das Geld kein Hehl aus seiner Souveränität, aus seinem auserlesenen Adel, denn es nun allein verleiht, zu machen brauche. – Und indem er die Grundsätze des Menschheitsverbandes, wie sie sein Auge erkannte – mit Recht oder Unrecht? – verkündete, glaubte er vielmehr sich noch zu erhöhen und einen Genuß zu verschaffen, den Andere für ihr Kapital nicht hatten.
Sein Kapital trug also auch noch diese Zinsen!
Oder, hatte er vielleicht noch, mit den fortwährenden Eisumschlägen seines Geistes, sein Herz starr und kühl zu erhalten? –
Mit einer solchen Sicherheit, mit einer solchen hinabdrückenden Gleichgiltigkeit sprach Rübe jene seine Worte zu Schnepselmann, daß dieser, der gewohnt war, bei Andern fast immer das Wort zu führen, von so gegenübertretender, selbstbewußter Größe ganz verblüfft war. – Er neigte sein Haupt betrübt und demüthig, als wollte er, seiner Nichtigkeit plötzlich bewußt, sagen: »So geringe bin ich – Kapital – Herr – Mensch – vernichte mich, denn ich bin nur ein elender Wurm!«
Als Rübe sah, Schnepselmann beuge sein Haupt und habe das letzte Atom jener, bei Leuten, welche kein Kapital 301 besitzen, ihm so verhaßten Eigenschaft, nämlich Kourage, verloren, ging er in der Stube einigemale auf und ab, grinste heimlich, selbstgefällig und innerlich zufrieden, dann blieb er plötzlich wieder vor dem blaßgewordenen Agenten stehen, die Hände abermals auf dem Rücken kreuzend.
»Was würden Sie sagen . . .,« hier stopfte Rübe scheinbar bedächtig eine Prise in die Nase, ». . . wenn . . . Sie ein bedeutendes Kapital . . . protegirte; wenn sich ein Haus Ihrer annähme, ein bedeutendes Haus? Und wenn das Haus Ihnen Geschäfte, Eskomptirungen, Kommissionen &c. &c. gäbe, wodurch Sie erst kennen lernten, was Umsätze in großen Kapitalien heißen? Wodurch Sie selbst aus Kapitallosigkeit herausgerissen und mit der Zeit ein Mann – Kapital werden könnten?«
Vor Schnepselmann's Seele stand sofort seine sich mühende Frau, standen seine kleinen armen Kinder, und er dachte ergriffen: Mein Gott, wenn ich sie glücklich machen könnte! – »Herr Rübe,« rief er mehrmals zwischen die Worte des Redners, und schlug, in seinem Vatergefühle sich vergessend. die Hände fast bittend zusammen. »Geehrter Herr Rübe! Wenn Sie mein Wohlthäter sein wollten . . . mit tausend, mit ewigem Dank . . . unaussprechlich würde ich . . .«
»Das brauche ich nicht!« sagte Rübe wegwerfend, verzog das Gesicht und zuckte die Achseln. »Rübe &Comp. brauchen Akuratesse, Pünktlichkeit, Ausführung der Aufträge bis aufs I‑Tüpfelchen! Keine Frage, kein Jota ab und zu will ich! – Gehorsam, Gefügigkeit, strenges, unverbrüchliches Einhalten meiner Anordnungen! Nicht Klügeln; Gehen, Schweigen, Gehorchen! – Denn das Kapital hat zu reden, das Kapital!«
»Sicher, sicher,« sagte Schnepselmann und fuhr sich 302 etwas erholt durch die Hare, als wollte er sagen: da bin ich ganz der Mann dazu!
»Also Sie wollten einen solchen Dienst übernehmen? Ich sage Dienst. Denn, wenn Sie auch nicht in fester Besoldung stehen, so muß Jeder, der Theil an meinem Kapitale nimmt, der davon Interessen zieht und lebt, ißt, trinkt, sich kleidet und seinen Kindern Brod schafft, ganz mir gegenüber sein, wie ein Diener. – Sie kennen ja Krimpler. – Und wenn Sie bei mir ein- und ausgehen und mit meinem Kapitale zu thun haben, so sind Sie und Krimpler mir gleich!«
»Ganz wie Sie wünschen, Herr Rübe!«
Schnepselmann dachte: Und wenn er auch ein strenger Kaufmann ist, was thut's? Ich werde meine Pflichten erfüllen. –
»Wenn Sie auch nicht im festen Gehalte stehen – wie ich sagte. Sie mögen noch Geschäfte machen, welche Sie wollen, das kümmert mich nicht. – Aber wenn Rübe, Haus Rübe& Comp. ruft – ein Wink, ein Wort – müssen Sie dastehen und hören und nicht weichen von Ihrer Pflicht! – Verstehen Sie, was ich für mein Kapital fordere? – Heute, morgen, übermorgen können Sie vielleicht einen Groschen bei mir verdienen; aber in nächster Woche Hunderte, mehr noch, und dann wieder nichts. Aber jederzeit Gehorsam. Gehorsam!« wiederholte er mit eifriger, fast durch die Seele schneidender Stimme.
Schnepselmann versprach Alles demüthig und beugte sich, wie ein geschorener Muselmann vor dem Groß-Mufti, der über die seidene Schnur mehr zu verfügen hat, als angenehm ist.
»Und wenn Sie auch nicht in Allem klar sehen sollten, 303 ja wenn Ihnen mancher Auftrag gar nicht zum Geschäfte gehörig scheinen würde; wenn Sie glauben könnten, Dies oder Jenes sei eine Sache, die mit dem Kapitale nichts oder wenig zu thun habe und daher auf die leichte Wage gelegt werden könnte – hüten Sie sich, leicht d'rein zu gehen! Hüten Sie sich, zu vernachläßigen! – Ich bin strenge, ich bin der Herr meines Kapitales und weis, was ich für mein Kapital erhalten kann, ja erhalten soll und muß! Darum, wie gesagt, es ist besser, wir beginnen gar nichts miteinander, wir haben nichts zusammen zu thun; Rübe & Comp. empfehlen sich Ihnen, leben Sie wohl!«
»Aber, geehrtester Herr Rübe, ich bin ja zu Allem bereit, zu Allem; Sie sollen an mir den ergebensten, eifrigsten Diener finden!«
Rübe warf heimlich einen schlauen, prüfenden Blick auf den unterthänigen Agenten, dann nahm er wieder die alte, gleichgiltige, starre, herrische Miene an und sagte: »Gut. Wenn Sie der Mann sind, für den Sie sich ausgeben, dienstfertig und ergeben, gehorsam und ohne Widerrede, der Mann, der Theil an meinem Hause haben und mit seinen Kindern von meinem Kapitale leben will, so hören Sie!«
»Ich bin ganz zu Ihrer Verfügung!«
Rübe stand einen Augenblick stille und sah fest dem Agenten ins Gesicht, der vor Neugierde und Unterwürfigkeit bald blaß, bald roth wurde. Dann sagte er, herrisch und niederschmetternd wie immer – denn Rübe war überzeugt, die größte Kraft des schwächsten Mannes liege in seinen Worten; und Niemand mehr als gerade Schwächlinge suchen ihrer nichtigen Person ein herrisches Ansehen zu geben –: »Sie kennen Herrn Herkules Schwach, Sie sind sein Agent, 304 ich sage noch mehr und weis, Sie sind sein Freund, sein Faktotum, kurz Alles!«
»Ich kenne Herrn Schwach und darf mir schmeicheln einigen Einfluß . . .«
»Sie kennen Krimpler!«
»Ich habe die Ehre . . .«
»Was Ehre!« Er verzog höhnisch den Mund. »Krimpler ist mein Diener. Und wenn eine Ehre in der Sache ist, so liegt sie darin: Krimpler ist Diener bei Rübe & Comp.«
»Wie Sie sagen . . . allerdings . . .«
»Schwach und Krimpler haben seit einiger Zeit viel miteinander zu thun. Sie kennen also auch Krimpler's Familie?«
»Auch Krimpler's Familie.«
»Seine Ziehtochter Adele?«
»Seine Ziehtochter Adele.«
»Verheiratete . . . Wie? –« Rübe wußte den Namen sehr gut, that aber nicht dergleichen. »Aster, richtig Aster! Er ist so ein Schmierhans, ein Kommunist und verschwörerischer Bettler! – Verheirathete Aster.«
»Aster . . .« wollte Schnepselmann schon eifrig einwerfen und zu Gunsten des Genannten eine Rede folgen lassen; aber er unterdrückte sie, um den Fortgang nicht zu verderben, und erwiderte nur: »Aster . . . allerdings kenne ich auch.«
»Er befand sich hier in der Stadt, trotzdem er ausgewiesen war. Er treibt, wie ich höre, sein heimliches Unwesen, trotzdem die Gerichte ihm auf dem Fuße sind. Er ist ein unverbesserlicher Anarchist, und ein unnatürliches Ende kann ihm für sein ruchloses Leben nicht ausbleiben! 305 Was thut er sonst hier, wenn er nicht geheime Pläne gegen die Ruhe schmiedet? – Schon daß er sich in den Weg anderer Personen drängt und sie unglücklich macht, verdient die herbste, die herbste Züchtigung!«
Rübe gerieth bei diesen Worten, trotz seiner Zurückhaltung, in Eifer; und Schnepselmann, der die ungeahntesten Dinge hörte, schwieg, doch hustete und nickte er zuweilen ein wenig, um doch nur etwas zu thun.
»Um ihn ist es mir gar nicht leid; was ihn trifft, trifft ihn wohlverdient und noch zu leicht; aber sein armes Weib . . . sein . . . Weib!« Und Rübe preßte dieses Wort so energisch hervor, zuckte dabei so mit den Augen, daß er es selbst nöthig fand, sich plötzlich abzuwenden, um seine Erregtheit und Verlegenheit zu verbergen.
Gleich darauf hustete er aber so heftig und mit aller Kunst so natürlich, daß sein Farbenwechsel eine gute Ursache erhalten und sein Abwenden den Anschein gewinnen mußte, als hätte er es aus den gewöhnlichsten Anstandsrücksichten gethan. Der Agent war vollkommen getäuscht und harrte nur auf die Auseinandersetzung der sonderbaren Worte.
Rübe hatte sich, in der Pause, ganz wieder gewonnen und fuhr daher mit alter, schneidender und wegwerfender Kälte abermals fort.
»Fragen Sie nicht,« sagte er, »was Adele und Aster mit meinem Kapitale, mit meinem Komptoir und meinen Geschäften zu thun haben. Das ist meine Sache, so wie das Kapital mein Eigenthum ist! – An Sie habe ich nur eine Bitte, einen Auftrag, einen Befehl, als an meinen Agenten, und diesen erfüllen Sie oder – gehen!«
»Ich höre, ich höre!« sagte Schnepselmann, während sein Herz heftiger als sonst pochte. 306
»Nun gut,« sagte Rübe, und nahm, da er die Unterthänigkeit bemerkte, einen noch schneidendern, fast höhnischen Ton an. »Sie sind kein junges Weißfischchen . . . Sie haben ein Heiratsbureau . . . und da kommen allerlei Dinge vor. – Darum klar und offen, wenn Sie Ihre Kinder gut ernähren wollen! – Aster und Adele sind zwei Personen, die nicht für einander passen, durchaus nicht, durchaus! – Fragen Sie nicht um meine Gründe. – Sie sollen, sie müssen getrennt werden! – Warum Schwach sich um Adele angenommen, was sie ihn angeht und was er mit Krimpler für Machinationen hat, weis ich nicht. Aber dieser Schwach, der vor nicht gar langer Zeit mein Diener war und ums Brod bei mir schrieb, der sollte sich vorerst noch um sich selbst kümmern, und nicht um andere Leute! – Ein Mensch, der Kapital hat und herumgeht wie Schwach, der ist ein Ochse, dem man eine Muskate gibt, ein . . . kurz, wie der Weise sagt, ein Schwein mit einer Perle! – Sie sind sein Freund, Sie können es ihm sagen oder nicht; fragen Sie sich, welches Kapital stärker und einträglicher für Sie ist: ob Schwach's, oder Rübe's & Comp.! –«
»Verschwiegenheit, Verschwiegenheit!« sagte rasch Schnepselmann, der nur zu hören eifrig war.
»Adele und Ernst Aster passen nicht, sollen nicht zusammen passen! – Er ist ein junger Laffe! – Ob ich Liebe fühle zu Adele . . . Liebe . . . hm! . . .« er lächelte; »ob ich ein anderes Interesse habe; was kümmert das Sie? – Sie sind mein Agent, Sie fragen nicht und gehorchen! – Ich weis für den Augenblick nicht, wohnt Adele bei Schwach, da dieser Mensch, dem das Kapital unverdient aus den Wolken gefallen, sie in seine Wohnung 307 genommen, oder ist sie wieder bei Krimpler; ich mag diesen, aus Gründen, nicht fragen. Wieso Schwach zu ihr gekommen, daran liegt mir jetzt gar nichts; ich will die Frage gar nicht untersuchen. Aber Adele soll fort von Schwach und von Krimpler! – Sagen Sie mir, hat dieser Mensch, Schwach, Absichten auf sie?«
»Nicht im Geringsten, nein . . .«
»Nicht?« wiederholte Rübe und sah mit forschendem Blicke Schnepselmann ins Gesicht.
»Gewiß nicht, ich versichere!« sagte Schnepselmann mit der aufrichtigsten Miene.
»Gut!« rief Rübe energisch aus. »Was liegt mir übrigens daran, ob er Absichten hat oder nicht? Wenn Adele auf Absichten hört – was ist mir Schwach? Ich hauche ihn mit meinem Kapitale nieder, wie der Wind das Gras! Denn ich bin Kapital! Ich kann Equipagen geben, wenn ich Lust habe; ich kann Livrée, Sommerwohnungen, Badereisen, Schmuck und allen Putz, alle Pracht und allen Aufwand bestreiten, wie ich nur will! Aber Er – wer ist Er? Mit seinem Häufchen Groschen, die er nicht erspekulirt, nicht auf der Börse, nicht im Handel gewonnen, wer ist Er? – Sie müssen mit Adele sprechen. Sie können zu ihr. Sie kommen vielleicht täglich zu ihr. Sie können sie zu Ihnen ins Haus rufen; kurz, Sie können mit ihr sprechen was Sie mögen. – Können Sie das?«
»Das kann ich allerdings,« sagte Schnepselmann.
Rübe erblickte darin ein Eingehen in seine Absichten. »Wolan, wenn Sie dies können, so hören Sie und denken Sie an mein Kapital! – Sie werden bei Adele für mich reden; Sie werden ihr darstellen, daß ich ein alter . . . nicht alter . . . treuer Freund ihr bin; daß ich ihr gefolgt, 308 still und ergeben, von dem ersten Augenblicke an, als sie ein . . . erwachsenes Mädchen geworden. Sagen Sie ihr –« und die grauen Augen glänzten gierig, Rübe's Zunge feuchtete die schmalen, trockenen Lippen – »sagen Sie ihr, daß ich ihr zugethan bin mit aller Neigung, mit aller Achtung . . . mit . . . aller heißen Liebe, welche man nur fühlen kann!« – Rübe ward roth und bleich, er hustete wieder.
»Was kümmert Sie meine Absicht, ob ich liebe oder nicht,« fuhr er, rasch sich fassend, mit aller schneidenden Kälte fort; »was mein Kapital hiebei zu thun hat? – Sagen Sie: ich liebe! – Und das können und sollen Sie mit aller Nachdrücklichkeit sagen, die Sie selbst an mir bemerken! – Es ist ein Geschäft, an dem mir viel liegt!« sagte er ausweichend. Dann fuhr er wieder fort: »Ich liebe Adele – sagen Sie ihr es! – Ich bin reich, mein Geschäft gebietet jeden Augenblick über bare Hunderttausende, meine Unterschrift gilt in Bank und Börse, mein Name ist ein Kapital! Was soll sie mit diesem elenden, verzweifelten Schlucker, diesem im Finstern wühlenden Aster? Noth, Elend, Hunger und Darben sind ihre Mitgift, ihre Ausstattung. Diese kann ihr jener Landstreicher für ihre Hingebung bieten, mehr nicht! – Sie komme meiner Neigung, meinem Werben entgegen. Schnepselmann, führen Sie mir Adele in meine Arme, ich will sie in Gold betten, sie soll ihre Wohnung, ihre prachtvollen Kutschen, ihren Schmuck, ihre Livree, ihre Tafel, ihre Loge haben; keine Fürstin soll besser leben! Sie soll den Neid, das Gerede der hohen Welt bilden, sie soll ihre Zukunft gesichert haben – sie soll mein sein!«
»Schnepselmann!« rief er, und der kleine, roth überglühte Kaufmann faßte den Agenten, mit Wärme, krampfhaft bei der Hand. »Wenn Sie zuwege bringen, was dieser 309 elende Krimpler schon lange verweigert; wenn Sie Adele aus seinen alten Krallen herausreißen; wenn Sie mich und sie glücklich machen – Schnepselmann, nichts ist mir zu viel! Sagen Sie Tausend – sagen Sie Zweitausend – Dreitausend! – Schnepselmann, führen Sie mir Adele zu; Sie brauchen kein Heiratsbureau, diese einzige That soll Sie glücklich machen!«
Schnepselmann stand bleich und zitternd unter dem Drucke der dürren Finger des kleinen alten Gnomen von Kaufmann. Rübe, ganz erhitzt, außer sich und selbstvergessen, starrte einen Augenblick in Schnepselmann's Gesicht, ohne dessen Ausdruck recht aufzufassen. Dann sagte er: »Nun, was meinen Sie?«
»Ich . . .« sagte Schnepselmann zögernd ». . . ich meine . . .«
»Haben Sie keine Bedenken! Geberden Sie sich nicht so! Schnepselmann, klar und offen; denken Sie an mein Kapital! Denken Sie weiters, ich bin auch nicht gestern erst aus der Schule gekommen! Machen Sie keine Umwege und Schliche! Ich weis all den Quarg von Verheiratetsein und Ehebruch und Ehrlichkeit und Rechtlichkeit, und wie dieser Jesuitismus aller heißen mag, den Sie mir sagen wollen. Sparen Sie ihn! Sie haben schon fünfzig Thaler verdient, wenn Sie ihn verschweigen. Ich bin nicht erst aus der Schule gekommen. Sie haben ein – Heiratsbureau! Wir wissen Beide, was das sagen will. – Also heraus mit der Farbe! Kurz und gut, Herr Agent für Alles!«
Schnepselmann stand noch einen Augenblick verlegen; als aber Rübe ihn ansah und die höhnische Miene auf den Heiratsbureaubesitzer richtete, fuhr sich dieser durch die Hare. »Herr Rübe! Ich bin Agent, ich habe ein 310 Heiratsbureau, ich besitze kein Kapital, nur Weib und Kinder, die ich zu ernähren habe. Aber eine verworfene Handlung werde ich nie ausführen! – Wenn Sie wirklich geglaubt, ich bin der Mann für einen solchen Gesetzes- und Ehrenbruch, so haben Sie sich in mir getäuscht, und ich bedauere die Meinung, die Sie von mir gehegt! – Herr Rübe . . . ich kann nicht, ich kann wirklich nicht!« setzte er demüthig, fast bittend hinzu, nach der ersten energischen Rede, als fiele ihm die Macht des Kapitales ein, das Rübe & Comp. hieß und gegen das er sich nun versündigte.
Bei Schnepselmann's Worten stand Rübe wie niedergedonnert. Ein Zucken ging über sein Gesicht, seine Augen und durch seinen ganzen Körper. Er stand eine Weile stille, hustete wieder künstlich, sah dann nach dem Agenten, und ließ seinen Blick endlich auf diesem weilen.
Schnepselmann stand jetzt stumm. Aber trotz der anfänglichen Entrüstung in seinen Mienen, stand er jetzt doch mit einer Art Ergebenheit vor dem Kaufmanne.
Rübe wendete sich endlich ab, ging in der Schreibstube hin und her, nahm eine schwere Prise aus seiner Dose, und benutzte den Zeitaufwand des Schnupfens, um fortwährend abgewendet von Schnepselmann zu bleiben. Sein Gesicht hatte ein leidenschaftliches, aber trotzdem denkendes und besorgtes Aussehen, wie das eines Menschen, der einen Fehler begangen und daran denkt, ihn rasch wieder gut zu machen.
»Sie wollen also nicht?« sagte er endlich, scheinbar sorglos, noch immer mit abgewendetem Gesichte, und wie mit der fortgesetzten Arbeit des Schnupfens beschäftigt. »Hm, bedenken Sie!« Hier war die Stimme schon ganz die alte, schneidend kalte. »Bedenken Sie, ich habe Zwei – Dreitausend gesagt! Ein schönes kleines Kapital für Kinder! – 311 Und weiters die Verbindung mit dem Hause Rübe & Comp.! – Dreitausend Thaler sicher, nach Ausführung der ersten Vorbereitungen; bedenken Sie! – Was sagen Sie?«
»Ich kann nicht, ich kann wirklich nicht!« sagte Schnepselmann mit einem Tone, der nur vom Herzen kommen konnte, und indem er seine Hände an die Brust preßte.
»Dreitausend Thaler! – Durchaus nicht? – Wollen Sie mehr?«
»Nein, nein, ich kann nicht!«
Rübe's Gesicht lächelte plötzlich höhnisch, er schob sein Sacktuch, mit dem er sich beschäftigt hatte, ein, wendete sich rasch um, rückte schnell die Brille aufwärts, und ging mit großen Schritten an Schnepselmann. Er lächelte mit seinen schmalen Lippen recht breit – und streckte ihm die Rechte, kichernd, hin: »Hihi, Sie sind mein Mann! – Hihi!« kicherte er so ungezwungen als möglich. »Sie sind der Rechte! Ich habe Sie erprobt, ich habe Sie in Versuchung geführt und kennen lernen wollen – Sie sind mein Mann!«
Schnepselmann stand einen Augenblick verwirrt und verblüfft, sein Ideenkreis wirbelte, dann ergriff er eiligst die dargebotene Rechte, schüttelte Sie mit aller Achtung und Wärme, wie ein bedeutender Mann, der Chef der Firma Rübe & Comp., sie verdiente.
»Sie sind mein Mann!« lächelte wiederholt Rübe mit scheinbarer Freudigkeit. – »Ich habe Sie erproben wollen. – Sie sind Schwach's und Krimpler's Freund. Ich interessire mich für Beide, aus leicht erklärlichen Ursachen, und für Alle, die mit diesen meinen beiden braven Dienern zusammenhängen.«
Rübe wußte seit vielen Jahren, Krimpler sei sehr schweigsam! 312
»Wenn Sie Schwach und Krimpler verrathen hätten, wäre ihre Agentur, die auch mit Heiraten zu thun hat, nicht würdig, mir nahe zu kommen; dann hätten Sie auch mich verrathen in Geschäfts-Beziehungen, und selbst engeren,« sagte er mit Nachdruck, »die ich Ihnen anvertrauen könnte! – Ich muß klar sein und meine Leute kennen lernen, wenn auch in der sonderbarsten Weise! Aber das ist meine Weise; vielleicht haben Sie schon gehört davon. – Nun, Sie haben eine Agentur für Alles; und die Leute solcher Geschäfte sind nicht immer die Muster der Rechtschaffenheit und der Vertrauenswürdigkeit. Darüber mußte ich klar sein! Adele's romantische Geschichte, die Sie sicherlich so gut kennen als ich, gab mir die willkommenste, allerbeste Gelegenheit einer Erforschung; denn als mein Agent würden Sie, auch unabsichtlich, allmälig in meine Familie sehen, und . . . das Wort Familie ist mir heilig! – Ich habe Sie erprobt. Dreitausend Thaler sind Kapital für Sie! Sie haben dieselben nicht genommen, Sie wollen kein Kapital in dieser Weise verdient – ich kenne Ihre Moralität, Sie sind mein Mann!«
Schnepselmann, der blos erfüllt von kaufmännischen Ideen gekommen war und so unerwartete Dinge hörte, Schnepselmann, dem als mittellosem Agenten, ein Kapital besitzender Großhandlungschef fast unwillkührlich eine bewältigende Ehrfurcht einflößte, Schnepselmann ganz verwirrt von dem Vorgegangenen, dem Orte, der Person, verbeugte sich lächelnd und war in sich und mit sich nun doppelt zufrieden.
Um dem Agenten, der also auf Rübe's Idee ganz einging, noch den fernsten Schimmer eines Argwohns zu benehmen, fuhr Rübe schlau fort: »Sie haben mir 313 widersprochen! Sie haben sich nicht begnügt, mir zu gehorchen und meinen Willen blind auszuführen, wie eine Maschine. Sie haben mir Ihre Bedenken gesagt, trotz meinem Kapital! Das ist es, was ich liebe! – Was nützen mir Diener, die ohne Weiteres sich in Alles fügen? Ich bin umsichtig und erfahren in meinem Geschäfte, bekannt für tüchtig, wenn auch zuweilen sonderbar. Aber kann ich nicht auch irren? Ich bin ja doch nur ein Mensch! Sie haben also mir nicht blindlings geschmeichelt und gehorcht– das liebe ich!« Und er reichte Schnepselmann noch einmal die Hand. – »Krimpler und meine andern Leute sind mir zu wenig willenskräftig; ich brauche willenskräftige Männer, die dem Kapitale sich zeitweise entgegen stellen, um es kräftig zu erhalten; und bei Agenten, die ich bisher gehabt, habe ich diese Eigenschaft gerade nicht bemerkt, ich konnte sie bei Ihnen, dem Besitzer eines Heiratsbureaus, nicht voraussetzen. Sie, den ich, zur Probe, herausgegriffen – werden mir ferner willkommen sein!«
»Ich bin sehr, sehr erfreut,« sagte Schnepselmann, »aus diesem Mißverständnisse heraus zu sein! Ich dachte gleich, Rübe, der geehrte Herr des Hauses Rübe & Comp. kann doch nicht . . .«
»Sicherlich nicht! Nichts weniger als das! Hihi!« lächelte Rübe. »Mein Kapital legt mir andere Sorgen auf, als solche! Sagen Sie selbst, hat ein Mann in meinen Jahren, mit meinem Geschäfte und meinen Kapitalien, nicht andere Dinge zu denken? Ich bin ja zudem verheiratet . . .;« nach einer Pause fügte er wohlgefällig lächelnd hinzu: »glücklich und zufrieden!«
»Ich weis, ich weis und freue mich vom Herzen!«
»Danke! Also, wir sind im Reinen. Und Sie werden 314 fortan für mich so manches Geschäft zu besorgen haben! Ja, noch eine Bemerkung. Sie werden über Alles, was ich mit Ihnen spreche, schweigen. – Ich rechne auch das dazu, was ich schon gesprochen habe; ich setze jede meiner Sonderbarkeiten nicht gerne dem Gerede der Welt aus!«
»Herr Rübe . . . keine Silbe soll die Welt . . . kein einziger Mensch . . .«
»Gut, gut!« sagte Rübe wieder wegwerfend. »Damit Sie sehen, daß kein Weg bei mir umsonst gemacht ist und Sie schon von meinem Kapitale etwas gezogen haben, während Sie hier sprechen – hier ist ein Wechsel auf Barring in London – 1000 Pfund – wird mit 3½ auf der Börse eskomptirt – ½ gehört Ihnen, damit Sie einen guten Anfang haben.«
»Herr Rübe!« rief Schnepselmann tief bewegt und entzückt.
»Keinen Dank! Das Geld zahlen Sie an Heim & Comp., Quittung morgen zur Börse.«
»Ganz wie Sie befehlen!« Schnepselmann wirbelte schon in alter Weise durch die Hare.
»Weiters!« sagte Rübe, in alter, herrischer Kälte. »Sie sind Schwach's Freund. Sind Sie?« Rübe kreuzte wieder die Hände auf den Rücken und sah dem Agenten scheinbar sorglos ins Gesicht. Dann, nach Schnepselmann's Bejahung, nahm er wieder eine Prise, und ließ den Harrenden, mit gut berechnender Gleichgiltigkeit, auf das Weitere nur noch länger harren.
Endlich fuhr er fort. »Sie sind also Schwach's Freund. Schwach war bei mir im Bureau, und ich nehme, wie ich Ihnen sagte, stillen Antheil an seinem Schicksale, wenn er sich auch 315 an seinen frühern Chef gar nicht zu entsinnen scheint. Was macht Schwach mit seinem Kapitale? Was kann er damit machen? Er ist kein Spekulationsgeist. Sein Geld liegt in alten Statspapieren, die sehr wenig tragen, zu wenig für einen Geschäftsmann mit hellem Kopfe, der in großen Kapitalien zu wirken gewohnt ist. – Wenn ich Ihnen schon zuvor mein Bedauern über Schwach's Benehmen mit seinem Kapitale ausgedrückt, und zwar in einer Weise, die mir damals zweckmäßig war, so bleibt nichts destoweniger meine Unzufriedenheit mit ihm, in dieser Rücksicht, wahr. Nehmen Sie blos an, es ärgere mich, daß ein so langjähriger Diener, von mir so wenig gelernt und so wenig Geist für Kapital von Rübe & Comp. mitgenommen! Lassen wir meine Theilnahme ganz bei Seite, und nehmen Sie nur an, es ärgere mich, daß ein so schönes, flüssiges Kapital, nicht thätiger, gewinnabwerfender ist. Es ärgert mich, vom Fache, gerade so viel, als wenn ein Schreiner einen schönen Baum zu kleinem Brennholz verschneiden sieht. – Ich will mich also mit meinem Kapitale auch Schwach's annehmen, trotz seiner selbst! Seine verhältnißmäßig geringe Summe soll in die meine einfließen, ja ich bin sogar bereit, ihm mehr Dividende zu geben, als ich es gewohnt bin. – Soll ich sagen, ich bedarf seiner? Ich bedarf seiner so wenig, als ich im Grunde irgend eines Menschen bedarf. Wol könnte er machen, was ihm beliebe, denn seines wäre nicht das erste Kapital, das ich zurückgewiesen. Hier haben Sie eine Anfrage der Assekuranz, ob ich nicht von ihrem Reservefonde eine Summe bei mir placiren wolle, was ich aber zurückweise. Aber ich mache das Geschäft mit Schwach zu einer Kaprice. Kann ein Anderer Pferde-, Hunde-Liebhaber sein und Geld für seine Liebhaberei ausgeben; ich fasse eine 316 Kaprice für manches, für dieses Kapital! – Rübe kann Dividende wegwerfen!« –
»Eigentlich,« fuhr Rübe nach kurzer Kunstpause fort, und nahm mit siegreicher, selbstbewußter Miene wieder eine Prise, »könnte ich Schwach selbst rufen lassen und mit ihm sprechen; aber persönlich will ich erstens nicht; die Summe ist ja doch nicht so bedeutend! – Und dann will ich Ihnen Gelegenheit geben, etwas zu verdienen, ja ich will Ihnen gleich zeigen, wie man bei Rübe & Comp. leicht sich Anfänge zu einem Kapitale verdienen kann. – Krimpler ist vielleicht der Meinung, Schwach's Geld liege besser in Statspapieren; aber das sieht Krimpler'n gleich. Kein Geist! Keine Spekulation! Wenn ich mit ihm im Uebrigen ganz zufrieden bin . . . aber er hat es doch nicht weit gebracht, und wird es bei mir nie weit bringen, denn ihm fehlt die Spekulation!«
»Spekulation!« rief Schnepselmann aus und wollte eine Rede zu Gunsten der Spekulation halten, indem er sich durch die Hare fuhr, um gleichsam im Vorhinein anzudeuten: da bin ich ein anderer Mann wie Krimpler!
Aber Rübe schnitt ihm wieder das Wort ab. »Wo wäre ich noch, wenn ich Krimpler gefolgt hätte! – Ja wo könnte er selbst sein, bei mir, wenn er ein Bischen Spekulation besäße!« –
Plötzlich schien Rübe die Bemerkung zu machen, daß diese nothwendigen Reden doch den Anschein zu großer Mittheilsamkeit und Herablassung bei dem Agenten gewinnen könnten. Um diesem also scheinbar zu zeigen, daß Rübe bewußt sei, er sei zu herablassend, nahm der Kapitalist plötzlich eine Prise, bog den Knollen der Nase dabei langsam bald rechts, bald links, wie eine Wetterfahne bei leisem 317 Winde, rückte an seinem Augenglase und sagte, ganz mit seiner ursprünglichen, erniedrigenden Trockenheit: »Doch, das gehört nicht hierher. Zur Sache! – Sie haben also gehört, was ich sagte. Ich fordere für mein Geld Gehorsam, vernünftigen Gehorsam, Pünktlichkeit, Verschwiegenheit, und Sie mit Ihren Kindern werden von meinem Kapitale wirklich leben können! – Bei Schwach erwarte ich einen Beweis Ihrer Thätigkeit. Sie sollen mir das Kapital bringen; nicht weil ich es bedarf; Schwach bedarf meiner! Im Gegentheile, wie ich Ihnen gesagt, wenn Sie für fünfhunderttausend Thaler guten Platz wissen, ich gebe sie. – Hier sind sie!« – Und er klopfte auf einen eisernen Schrank in der Stube, daß er dumpf hallte. »Aber Sie wissen keine Placirung, Sie haben mit dem Großhandel der Stadt nichts zu thun, und das thut mir leid. – Daß Sie kein Kapital haben, das ist mir gleichgiltig; aber daß Sie bisher wenig oder gar nichts mit solchem zu thun gehabt, daß Sie sich in den niedrigsten Regionen, mit armen Teufeln herumgetrieben, das thut mir leid! Und es bedarf Verbesserung, Beweise, daß Sie sich unserer würdig zeigen und verdienen wollen mit unseren Kapitalregionen Umgang zu haben. Also, mein gemessenster Auftrag ist: Sie eskomptiren, zahlen an Heim, bringen mir Quittung auf die Börse, nicht hierher; und weiter: Sie bringen baldmöglichst Schwach's Kapital!« Hiebei schob Rübe abermals eine Prise in die Nase, sah dem Agenten scharf ins Gesicht, drehte sich aber dann plötzlich um und sah nach der Uhr.
Schnepselmann sprudelte allerlei von seiner Bereitwilligkeit hervor, und daß er nicht zweifle, Schwach werde einstimmen.
»Wenn sich von irgend einer Seite, sie sei welche 318 immer, Widerrede, Besserwissen zeigen sollte – Sie siegen oder nicht – kurz, ich steife mich eben – Sie bringen mir Schwach's Kapital oder kommen mit leeren Händen – das heißt: Sie sind mein Agent, oder haben mit meinem Bureau und meinem Kapitale nichts zu schaffen!«
Schnepselmann verbeugte sich wieder.
»Und jetzt habe ich bereits länger mit Ihnen gesprochen, als ich mir vorgenommen hatte und es eigentlich meine Zeit erlaubt. – Ich habe zu thun – Adieu!«
Rübe nahm die lange Feder von seinem Ohre, ging an seinen Schreibtisch, beugte sich über Papiere und sah darein, als hätte nie die geringste Spur eines Schnepselmann existirt.
Der nihilirte Agent stammelte wieder einen Ueberfluß von Dienstfertigkeit hervor; Rübe erwiderte ein herablassendes und doch herrisches »Schon gut, schon gut!« bewegte den Kopf auf und ab, und sah fortwährend in die Papiere.
Als der Agent sich verbeugte, fort wollte und in der ihm fremden Stube auf den Fersen herumwirbelte, um die Thüre zu finden, zeigte Rübe mit dem Federschaft über seinen Rücken, und näselte, ohne aus den Papieren aufzusehen, »Dort hinaus, dort hinaus!« so kalt, als zeigte er für verdorbenes Wasser den Ausguß, für Kehricht den Ausweg.
Schnepselmann machte ein Kompliment für Rübe's Rücken und verschwand in den Eingang, durch den er gekommen. 319