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Militärisches – Ritter von Wille und seine militärischen Ansichten – wir lernen einen bereits genannten Helden kennen – auch einen zweiten. –
Der Major Ritter von Wille stand in seinem Zimmer, in einer der kleinern Garnisonsstädte, und vor ihm, ehrerbietig militärisch, stand ein junger Lieutenant, hörend was er sprach.
»Sie wollen also auf Urlaub, zu Ihren Eltern, für einige Tage,« sagte der kräftige, stark gebaute Major. Sein Gesicht war gebräunt, mannhaft, und das schwarze, feurige Auge stach lebhaft von den weißen aber dichten Haren ab. »Sie wollen auf Urlaub,« wiederholte er nachdenkend, mit derselben kräftigen, tief aus der Brust kommenden Stimme, welche seinen Reden etwas Festes, Würdevolles und doch zugleich wohlthuend Ehrliches gab. »Das Regiment hat eben keine dringenden Geschäfte . . . sei's! ich habe nichts dagegen.«
Der junge, sehr schmächtige Lieutenant verneigte sich.
»Mein lieber Lieutenant!« sagte der Ritter von Wille ferner, indem er näher zu dem Angeredeten ging und ihm freundlich die Hand auf die Schulter legte; was sich prächtig ausnahm; denn der Major war groß, stark, und der 212 junge Lieutenant war es eben nicht. – »Bevor Sie gehen, hören Sie einige Worte von mir, mehr als Ihrem Freund, denn als Ihrem Vorgesetzten. – Es kommt so häufig vor, daß gerade aus der Zeit, in welcher die Herren Lieutenants nicht im Regimente sind, Klagen einlaufen, besonders vom Zivile. – Es berührt mich das sehr, sehr unangenehm! Es streitet das gegen die wahrsten und tiefsten Grundsätze des ritterlichen militärischen Standes. Ich sehe sehr wohl ein, daß man, außer allen Banden der Disziplin, seiner Laune die Zügel schießen lassen kann. – Ich bin auch nicht grau geboren! – Aber, vergessen Sie niemals, daß Sie eine edle Waffe an Ihrer Seite führen; vergessen Sie nie, daß Sie ein Mitträger der Kraft, der Würde unseres Vaterlandes sind und seiner Ritterlichkeit! – Es ist in neuester Zeit ein Mißbrauch bei uns eingerissen und hat jederzeit bei jungen Militärs besonders, gedroht sich festzusetzen, dieser ist, sich über alles Andere zu erheben, es geringe zu schätzen, ja zu verachten und Spiel damit zu treiben. – Ich kann es nie billigen, niemals! – Erheben Sie sich über das Gemeine, das steht Ihnen nicht nur zu, sondern ist sogar Ihre Pflicht, auch außer dem Dienste. Verachten Sie aber sonst Niemanden. Selbst der Untergebene wird ein mehr williger, thätig-angeregter Untergebener, wenn wir ihm nicht stets mit barschem Hinabdrücken und mit Selbsterhebung begegnen. Das trägt sehr viel zur leichtern Disziplin, zum rechten Gemeingeiste bei. Und im Grunde hat der gemeine Mann, nach Erfüllung seiner Pflicht, ebenso ein Recht auf unsere Freundlichkeit, – wir ein Recht auf jene unserer Höheren haben. – Im Militärstande widmet ja jeder Mann, hoch oder nieder, sein Leben der Gefahr, setzt sich der Gemeine mindestens so gut dem Tode, setzt so gut sein 213 einziges Leben aus, als der höchste Offizier! – Mithin, erinnern Sie sich gefälligst manchmal, in solchen Angelegenheiten, an die guten Absichten meines Rathes. Und was das Zivile betrifft, Lieutenant Käsemenger, beweisen Sie ihm, daß Derjenige, dem eine Waffe, gegenüber dem Unbewehrten anvertraut ist, auch dieser Ehre, dieses Vertrauens, dieses erlesenen Standes unseres Fürsten und Vaterlandes würdig sei! Der rechte, bessere Mann, ist nicht jener, der blos einen auserlesenen Rock trägt – überhaupt kann Jeder in seinem Stande höchst ehrenvoll und würdig sein, werth, mit Achtung begegnet zu werden – der rechte Mann unseres Berufes ist derjenige, der, gleich unsern alten tapferen Voreltern, die sprüchwörtlich darin geworden, ernst und rücksichtslos muthig in Kampf und Gefahr ist; der aber auch, und besonders im Frieden, nicht die Rohheit des Kampfes zeigt; der die Werke des Friedens achtet, das Schöne liebt, das Zarte mitfühlt, das Edle schützt, so viel er kann und wo immer er es findet! – Dies, mein lieber junger Lieutenant, sind die Grundsätze, die ich hege, und die ich wol nicht ganz zum erstenmale vor Ihnen ausspreche. Erweisen Sie mir die Gefälligkeit, sich meiner mit diesem guten Rathe zu entsinnen, denn was die Disziplin betrifft, bedarf ich keiner Bitte! – – Doch, gehen Sie mit meinen besten Wünschen, vergnügen Sie sich recht und kehren Sie zur festgesetzten Zeit zurück. – Auf Wiedersehen!« Somit machte er seinen ernsten militärischen Gruß und trat zurück.
Der Lieutenant vollbrachte ebenfalls seinen militärischen Gruß, stammelte etwas von »danke . . . gewiß . . . sehr verbunden,« und ging seiner Wege.
An der Thüre rief ihm der Major mit kraftvoller Stimme nach: »Eine Empfehlung an Ihre werthen Eltern!« 214 Abermals Gruß und Dank wie vorhin – der Lieutenant war verschwunden.
Draußen vor der Thüre, in dem allgemeinen Korridor, harrte ein sehr langer Mann, ebenfalls mit Säbel und Uniform angethan, im Range ebenfalls Lieutenant, aber einer der ältesten des Regimentes, Wilhelm Gabler von Gabelsdorff. – Er war, wie schon gesagt, eine sehr lange Figur. In seiner Uniform und Equipirung lag eben so viel Nettigkeit, als Einfachheit; aber in seiner ganzen Haltung lag, trotz dieser guten Ausstattung, so wenig Soldatisches, daß man sich für den ersten Augenblick keine Rechenschaft zu geben vermochte, wo eigentlich der Fehler und worin eigentlich der Kontrast bestehe. – Seine Hare waren, trotz ihres kurzen Schnittes, kraus und wollig, die Augen blinzelten ebenso selbstbewußt-nobel, als sorglos heiter, und die lange Nase zeigte, trotz des nicht sehr vorgerückten Mannesalters des Offiziers, an dem nicht zarten Knollen, eine Röthe, deren Dasein man ebenso gut der ursprünglichen Natur, als andern Ursachen zuzuschreiben versucht war.
Kaum war der junge Lieutenant aus der Thüre des Majors von Wille, als das ganze Gesicht, die ganze Haltung des früher steif sich streckenden jungen Uniformirten, sich änderten. Er setzte die Kopfbedeckung sehr schief, sorglos nach der einen Seite, bog den Oberkörper nach der andern, daß er wie ein wandelndes Zickzack aussah, kniff ein Auge zu, lächelte dem harrenden Gabelsdorff entgegen und nickte ihm mit dem Kopfe, als wollte er sagen: »Abgemacht, gut!« – Die gleiche Haltung sehen wir sehr oft zur »Noblesse« benützt.
Schweigend gingen Beide die Treppe hinab, über den Hof und aus der Kaserne. Draußen vor dem Thore sagte 215 Gabler mit lakonischer Kürze, indem er fast jeden Satz halb brach und jedes Wort halb verschluckte: »Pr'digt 'rhalten?«
Der Befragte nickte in voriger Weise und zwinkerte mit einem Auge.
»Nie ohne Dieses!« fuhr Gabler, ebenfalls in seiner vorigen Weise fort, indem er seinen Säbel lang hinter sich schleppte und mit demselben klapperte, als käme ein ganzer Wagen voll Eisentrödel daher. Der junge Herr Lieutenant ließ dieses Eisenstangentrödelprivilegium eben so wenig außer Acht. »Nie ohne – hätt's nicht thun können ohne! Bah! Wind, v'schrobene Ideen! Kämen weit mit'r Kompagnie nach sein' Grundsätzen. – Kerls, verdammte Kerls, sollen brummen, daß sie Knochen durchwetzen! Must'rung g'halt'en heut Na'm'tag. Si'm-zwanzig Mann Arrest geschickt, Knöppe falsch sitzen, k'n richtig Maß, 'trontasch'n zu hoch, schief, wen'g Glanz. – Einige 'm Arrest immer nothwen'g! – Stramme Furcht – v'dammte Kerls!« – Er zündete eine Zigarre an und paffte sie möglichst nonchalant.
»'n'ge Flaschen Echt'n vor Abfahrt?« wälzte er im Munde, zugleich mit dem Glimmstengel, herum. –
Gabler hatte Alles, nur kein Geld; wenn der jüngere, von ihm geleitete Kollege diesen Luxusartikel zeitweise besaß, traf es sich immer, daß Gabelsdorff denselben bedurfte.
Zustimmung – Ausführung.
Und es ward Abend und es ward Morgen, ein Tag. 216