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Die Agentursschlußrechnungen und die Tragikerin – Schnepselmann erfüllt einen lange gehegten wichtigen Auftrag und Wunsch – womit er seine und Schwach's Zukunft neu gestaltet.
Schnepselmann war Derjenige, welcher nach dem Abgange der Dame aus seiner Agentur zuerst wieder Worte fand und seinem geehrten, erstaunten Freunde Schwach, den überraschenden Vorgang in seinem Ursprunge näher entwickelte.
Dies führte zugleich sehr gelegen auf die eigentliche Mittheilung, welche der Agent seinem beliebten Kunden wegen der wichtigen Veränderungen zu machen hatte. 370
»Sie wollen also wirklich Ihre bisherige Agentur in vielerlei Dingen aufgeben?« sagte Schwach.
»Fest entschlossen, mein Bester! Rübe nimmt mich seit einiger Zeit dermaßen in Anspruch, daß ich fast sagen kann, meine Zeit ist ausgefüllt! Die Eskomptirungen, die Provisionen und Sensarien, werfen wirklich einen Ertrag ab, mit dem ich zufrieden zu sein volle Ursache habe.«
»Das freut mich! – Und Ihre verschiedenen Gesundheitsartikel?«
»Gehen ganz denselben Weg wie das Heiratsbureau. – Gelegentlich der Gesundheitsartikel,« nahm Schnepselmann rasch die Gelegenheit wahr, um, vor seinem eigentlichen wichtigen Kerngespräche, ein kleines einleitendes zu haben. »Gelegentlich der Gesundheitsartikel . . . die geehrte betrübte Dame, deren Geschick so innig mit dem Ihrigen zusammenhängen soll . . .«
»Die Blüthebusch. Wie befindet sie sich?« sagte Schwach in gutherziger Theilnahme.
»Denkt immer an das eigene unglückliche Geschick, hofft auch noch Ihr Herz umzuändern und möglicherweise die Thatsachen klarer zu machen. Sie war bei mir, immer wie in Trauer schwarz überschleiert, mit ihrer dunklen, Eindruck machenden Gestalt, und sie hat sich gelegentlich erkundigt, wie die Gesinnungen ihres Herrn Bruders ständen, und wie er sich befinde.«
»Sie haben die Unglückliche wenigstens beruhigt?«
»Allerdings, das habe ich. Und sie erzählte mir weiter, welche Summe sie bereits ausgegeben habe, um die Armen in den Kirchen für das Herz ihres Bruders beten zu lassen. – Sonderbares Thun! – Seitdem sie ihren Bruder gesehen und wiedergefunden, habe sie sich in ihr Schicksal zu 371 ergeben gesucht und bemüht, ihre Zeit und ihr Dasein durch Wohlthun, im Namen ihres Bruders, bemerklich zu machen.«
»Wirklich eigenthümlich, ja romantisch. Sehr rührend und edel!«
»Und weiter fragte sie, ob vielleicht ihr Bruder, von dessen Herz sie ein Gleiches hoffe, nicht bei mir eine Summe deponirt habe, die sie zu demselben Zwecke verwenden möge?«
»Und sie verneinten?« fragte Schwach fast ungehalten.
»Ich bedauerte anfänglich; als die Dame aber sehr gerührt ihre Armen beklagte, die auf diese, wenn auch kleine Summe, voll Hoffnung harrten, da ließ ich mich zu . . .«
»Wie viel bestimmen?« warf Schwach ein, und griff dabei nach seiner Brieftasche.
»Sechs Thaler. Verhältnißmäßig wenig mußte es der Dame erscheinen; denn ich sah sie betrübt hinter dem Schleier ihre Augen wischen. Sie schüttelte eine kurze Weile den Kopf, dann griff sie nach dem Betrage, weil, wie sie sagte, es eine Sünde wäre, wenn sie die frommen Unglücklichen auch nur um diesen Betrag brächte.«
»Hier sind die sechs Thaler,« sagte Schwach gerührt.
»Ich muß weiter bitten,« sagte Schnepselmann, und schlug dabei in einem mächtigen Komptoirfolianten herum, »auch noch ferner diese Notirung gütigst berücksichtigen zu wollen.«
Schwach steckte neugierig den Kopf hin.
»Als die Wohlthätige den geringen Betrag erwog und weiters die Gesundheitsfördernden Annoncen bemerkte, welche hier an der Wand meiner Agentur hängen, verfiel sie auf den Gedanken, die gepriesenen Artikel zum Heile ihrer Pflegebefohlenen und frommen Armen anzuwenden. Sie richtete 372 an mich die Bitte, und stellte zugleich die Frage, ob ich ihr nicht mit besagten Artikeln, im Namen ihres Bruders beistehen wollte. Da Herr Schwach ihr Bruder sei, so halte sie sich überzeugt, er sei naturgemäß von den gleichen Neigungen und Gefühlen beseelt, welche in ihrem eigenen Herzen wohnen.«
»Wohlthun . . .« sagte Schwach und wollte fortfahren.
»Wohlthun,« unterbrach Schnepselmann, und fuhr selbst fort, »ist Ihre edle Neigung, das weiß ich recht wohl. Und darum glaubte ich auch, nicht ganz widerstehen zu dürfen.«
»Da haben Sie recht gethan.«
»Und darum habe ich der unglücklichen, wohlthätigen, mindestens herzensverwandten Dame, eine kleine Reihe von betreffenden Artikeln, in Berücksichtigung Ihrer Güte ausgefolgt.«
»Ich bin bereit, den Betrag zu ersetzen; und wo sich in Zukunft ein ähnlicher Fall für Arme findet . . .«
»Belieben Sie einzusehen. Magenpillen zwei Dutzend Schachteln, Gichtpflaster zwanzig Ellen, Löwenharwuchspomade . . .«
»Wie, auch Löwenharwuchspo . . .?«
»War mir selbst räthselhaft. Aber die Dame erklärte, sie kenne einen unglücklichen Vater von sechs Kindern, der seines Dienstes als Kammerdiener entlassen sei, weil er kahlköpfig geworden und sein Dienstgeber eine Antipathie gegen Perrücken und Kahlköpfe hege. Diese Antipathie ist in der That nicht selten. Und könnte dem Manne wieder zum Harwuchse geholfen werden, meinte die Wohlthäterin, so wäre er glücklich. Und da die Auslagen für sechs Tiegel Löwenpomade, beziehungsweise wirklich gering . . .«
»Nun, auch gut,« erwiderte Schwach. 373
»Patentirte Kinderklappern zum Zahnherausbeißen, anderthalb Dutzend.«
»Nun, das läßt sich verwenden,« sagte Schwach.
»Rheumatismusketten zwei Dutzend, Lebensessenz zwölf Flaschen, Roßharsohlen ein halb Dutzend, Frottirbürsten sechs Stück, Bauchwärmer drei Stück, und Selbstmaschinen, welche die Dame sehr wohlthätig und heilbringend für hilflose Arme hielt, ein halb Dutzend. – Ist das viel? – Sie bedauerte, nicht mehr von diesem Artikel haben zu können, denn sie erklärte ihn für ein Bedürfniß jedes Armen. Ich glaubte aber die Wohlthätigkeit ohne vorhergegangene Erlaubniß beschränken zu müssen.«
»Das macht also in Summa?«
»Fünfundvierzig Thaler 15 Groschen. – Die Summe ist wirklich beziehungsweise nicht klein; aber die rührenden Bitten der unglücklichen Dame, ihr Appel an das Bruderherz, und ihre beredte Darstellung des Elends der frommen Unglücklichen, die ohne Frottirbürsten und Magenpillen leben – haben mich wirklich gerührt. Man hat doch auch ein Herz und kann nicht immer hart bleiben!«
»Allerdings,« sagte Schwach, der erst innerlich seine volle Zustimmung zur gesammten Ausfolgung gab, als Schnepselmann das Unglück und das Herz berührte. Dabei griff er abermals nach seiner Brieftasche.
Als Schnepselmann dies sah, nahm er wieder das Wort. »Ich muß bemerken, Verehrtester, daß ich den Betrag der Artikel nur beiläufig erwähne, nicht fordere. Ich glaube, das Werk ist so wohlthätig, daß ich im Grunde einen Theil der Summe als Armenspende auf mich selbst nähme. – Theilen wir – ich für die unglückliche Schwester . . . oder Nichtschwester . . . Sie . . .« 374 Schnepselmann kannte seinen Mann. »Nein-nein,« sagte Schwach; »Sie haben es der unglücklichen Wohlthäterin in meinem Namen ausgefolgt; ich fühle die Pflicht, den Betrag zu berichtigen und bezahle ihn gerne. Hier; haben Sie die Güte das Konto zu streichen.«
»Herr Schwach . . .« widerstrebte Schnepselmann leise, wie eine besiegte Schöne.
»Nein-nein, es bleibt dabei.«
»Ich füge mich Ihrem Willen. Es wäre kühn von mir, Ihrer Wohlthätigkeit Schranken setzen zu wollen! Ganz nach Ihrem Belieben!« Und Schnepselmann machte einen großartigen Strich durch das Blatt, der mindestens einen Pfennig Dinte erforderte. Dann schlug er sofort mit wichtigster, ordnungsliebendster Miene ein anderes Buch auf, murmelte dessen Titel: »Kassa,« und zeichnete den Betrag ein.
»Alles in Ordnung!« sagte Schnepselmann nach der Buchung, als ob er seinem Kunden hätte zeigen wollen, welcher strikte, unwandelbare Geschäftsmann er sei. Dann klappte er den dicken Folianten zu, schob ihn in ein Gestelle und wendete sich wieder zu dem Anwesenden.
»Das ist ein gut angelegtes kleines Kapital! Wie viel Segen wird aus diesen Medikamenten, aus diesen Pillen, Ketten, Maschinen, Kinderklappern entspringen! Denken Sie sich nur die Freude der Kleinen!«
»Ich habe daran gedacht. Nur an dem Erfolge der Löwenpomade zweifle ich sehr; und es thut mir leid um den armen Mann mit sechs Kindern! Sollten Sie wieder etwas von ihm erfahren, so bitte ich nach Möglichkeit in meinem Namen – natürlich ohne Nennung – etwas für ihn zu thun. –« 375
»Sie edler Schwach!« sagte Schnepselmann, wirklich bewegt von diesem Zartsinne.
»Ach, ich bitte Sie . . .« entgegnete Herkules, verschämt das Lob abwehrend. »Ich weiß es ja aus Erfahrung, wie es ist, wenn man sein Brod erwerben muß von Andern, und wie es ist, wenn man frei und ohne Nahrungssorgen lebt. Darum muß ich auch etwas thun. Und was Medikamente betrifft; ist meine selige Mutter nicht ohne Arzt verschieden? Wer weiß, ob sie nicht noch lebte, wenn sie medizinirt hätte!«
»Sicherlich, sicherlich; meine Lebensessenz ist probat! – Darum sage ich auch zu Ihrer Bezahlung: gut angelegtes Kapitälchen! – Wenn man nur immer sein Kapital auf so gute Zinsen bringen könnte als bei solcher That!«
Hier war Schnepselmann bei dem eigentlichen wichtigen Punkte, den er vorzüglich mit Schwach zu besprechen hatte.
»Aber,« fuhr er sogleich fort, »gutes Kapital und schlechte Zinsen sind oft beisammen. Welche Mühe gebe ich mir schon, um Ihnen begreiflich zu machen, daß Ihr Kapital, in Statspapieren angelegt, wahrhaft die kleinsten Interessen trägt, die man heutzutage nur haben kann. Wie können Sie nur jährlich so viel vergeuden? Ich will nichts mehr darüber sagen, daß Sie sich in keine kühne, ruhmvolle Kombination einlassen wollen, und durch Spekulation im Großen zum vielfachen Millionär zu machen suchen. Ich will Ihre Gründe, als von einem einzeln dastehenden Manne kommend, auf sich beruhen lassen. Aber sein Kapital zu schlechten Zinsen hingeben, wenn man ohne Arbeit, blos durch Uebergabe an den sichersten Ort – denn eher ist der Stat gefährdet, als eine Firma wie Rübe & Comp., die in Statskrisen vielleicht nur noch mehr gewinnen kann – 376 wenn man ohne Arbeit, durch Anlage an dem sichersten Ort, viel mehr Zinsen erhalten kann; wenn man sein Kapital, sage ich, bei solcher Gelegenheit schlecht verwendet – dann ist das wirklich unverantwortlich!«
»Warum unverantwortlich?«
»Weil es ein Eingriff in die eigenen Rechte ist, die in redlichster Weise mehr Zinsen fordern können; und weil dem Kommerze ein Kapital entzogen ist . . . kurz nehmen wir nur, weil Ihnen selbst Zinsen entzogen sind, für die Sie . . . sagen wir nur . . . mehr wohlthun können . . . Jetzt, wo so manche Personen aus Ihre Güte . . .«
»Aber warum will mir Krimpler nie rathen, die Anlage meines Kapitales zu verändern und es an das Haus zu geben?«
»Weil Krimpler sich dem Anscheine des Mitinteresses aussetzen würde. Weil Krimpler überhaupt kein . . . . so hoch ich ihn achte, so muß ich es doch sagen . . . kein Geschäftsgeist ist! Kennen Sie nicht selbst Rübe & Comp.? Ich denke, so gut als Krimpler! Und haben Sie je bisher an der festen Grundlage des Hauses gezweifelt?«
»Das nicht, aber der Handel ist so vielfältig . . . .«
»Kann Rothschild falliren? Wenn ein Haus so viel Kapital hat, daß seine Passiva gedeckt werden müssen, wenn auch eine kleine momentane Schwankung eintritt; so ist das Haus besser als der Stat. – Der Stat kann aus Machtvollkommenheit bankerott machen; ein Haus aber muß mit seiner ganzen Aktiva einstehen!«
»Und doch muß ich Ihnen sagen, so wenig ich Rübe & Comp. mißtraue, beschleicht mich ein eigenthümliches, unheimliches Gefühl, wenn ich daran denke, meine alten guten Papiere, die meine Mutter so lange bewahrt, die ich jetzt 377 selbst schon so lange habe, herzugeben und für einen andern Schein oder Kontrakt einzutauschen. Es ist mir fast unheimlich.«
»Unheimlich?« Schnepselmann lachte. »Was würden Sie, als Geschäftsmann, thun? Sie würden vielleicht eine Ware, die Ihnen lange liegt, nicht hergeben wollen, weil Sie ein unheimliches Gefühl haben, dagegen Geld einzutauschen! – Nein, mein Lieber, das Gefühl ist nur ein Grund, der in fünf Minuten überwunden ist!«
»Es mag mißlich sein; aber innerlich ist man sich auch etwas schuldig.«
Schnepselmann bekämpfte, so gut er konnte und mit aller angelegentlichen Energie, die Gründe Schwach's noch weiter und sagte ihm, was er ihm schon so oft gesagt, und lockte mit Aussichten, die er schon oft in schönstem Lichte vorgehalten.
Schwach blieb diesmal gelassen bei seiner Ablehnung.
Schnepselmann fuhr sich nun, wirklich fast verzweifelt, durch die Hare, da die stets letzte Berufung des Kapitalisten auf sein unheimliches Gefühl, im Grunde doch eine unwiderlegbare war.
»Und wenn Sie wüßten,« rief Schnepselmann endlich gefühlvollst aus, den letzten Strick erfassend, da bisher alle gerissen waren; »wenn Sie wüßten einen Familienvater dadurch glücklich zu machen, daß Sie für Ihr Kapital noch mehr nehmen, als Sie schon besitzen?«
»Wie . . . einen Familienvater? Wer ist das?«
»Ich bin es, Ihr tiefempfindender Freund Schnepselmann!« sagte der Genannte und nahm wirklich einen vom Herzen kommenden, gefühlvollen Ausdruck an.
»Sie . . .?« 378
»Allerdings. Denn ich bin Rübe & Comp. überflüssig. Was fragt die Firma um mich, wenn ich ihr nicht außergewöhnliche Dienste leiste? Ich bin einer der kleinsten Agenten im großen Handelswesen. Der geringste der wirklichen Kommerzialagenten leistet in dieser Beziehung mehr als ich. Wie soll ich mich bei Rübe halten, wie soll ich mich hervorthun, nothwendig und beliebt machen, wenn ich nicht außerordentliche Theilnahme für das Haus, außerordentliche Anstrengungen und vertraute Bekanntschaft mit Kapitalien und Kapitalisten zeige? – Ich bin nicht mehr jung, bester Herr Schwach – die Kinder werden groß – Mädchen werden versorgt sein wollen – Knaben in die Welt gestellt werden sollen als junge Männer – meine Rosalie wird auch alt, selbst kränklich – und wird ein Bischen Ruhe für ihre alten Tage haben wollen; – wie soll ich – vermögenloser Agent . . .« Und Schnepselmann's Stimme wurde wirklich bewegt.
Schwach sah mit theilnahmsvoller Innigkeit bald dem Sprecher ins Gesicht, bald zu Boden.
»Sehen Sie meinen ganzen Kram hier herum!« sagte der Agent mit stets steigendem gefühlvollen Ausdrucke, während er zugleich Herkules bei der Hand faßte. »Was gehört mir davon? Die Sachen selbst sind anvertrautes Gut, ich ziehe nur die Provision. Das andere Zeug im Geschäfte, was immer es sei, trägt wirklich nicht der Rede Werthes! – Ich habe stets das Meine in saurem Schweiße erworben – und hätte nicht das Geschick mich mit einem so edlen Manne zusammengeführt, als Sie sind – ich hätte es viel, wirklich viel mehr bedauern müssen!«
»Nun . . . nun . . .« stammelte Schwach 379 besänftigend und suchte nach abwehrenden und beschwichtigenden Worten.
»Nach langen, langen Jahren vergeblichen Strebens, öffnete sich mir, durch die glückliche Verbindung mit Ihnen und Krimpler – wodurch Rübe & Comp., ein so wichtiges Haus, zu mir Vertrauen gewinnt– eröffnet sich mir die Aussicht aus den täglichen Nahrungssorgen herauszukommen und meiner Familie wirklich endlich einen Nährvater zu geben! – Nach so vielen Jahren! – Wie selig war ich schon im Gedanken, diesen Kram, dieses Bureau, dieses Nichts meiner Geschäfte los zu werden; wie schwelgte ich in der Hoffnung nach tausend Träumen und vergeblichen, rastlostreibenden Spekulationen, ein ruhiger, bürgerlicher Mann zu werden! – Und jetzt ist Alles vernichtet!«
»Vernichtet?! – Wieso?«
»Weil Sie mir nicht die Hand bieten wollen!«
»Ich Ihnen nicht helfen . . .?«
»Allerdings, bester Herr Schwach. Indem Sie sich weigern, auf meinen für Sie selbst segensvollen Vorschlag einzugehen, vernichten Sie zugleich meine Zukunft! – Ich habe schon erwähnt, daß ich bei Rübe & Comp. nur glänzen, mich an den Platz anderer, einflußreicher Agenten setzen kann, die derlei nicht mehr benöthigen, wenn ich eine besondere geschäftliche That aufzeige. Ich weiß, Rübe hat in der Handelswelt einen großen Schlag in australischer Wolle ausgeführt, und unzweifelhaft sind seine Preise errungen; denn die Handelswelt ist bereits bewegt davon, man spricht sogar, er müsse, durch seine vielfältigen Stellungen als Verwaltungsrath und in Direktorien, besondere politische kommerzielle Nachrichten haben, und in Bank und Börse sind seine großartigen Schlüsse kein Geheimniß mehr. Auch Ihnen ist 380 davon unzweifelhaft zu Ohren gekommen. Ich weiß ferner, daß Rübe & Comp. nicht ungerne Kapitalien entgegen nehmen werden, die an diesem fortwährenden Siege theilnehmen wollen, um ihn ganz auszubeuten. Wie fest, wie sicher das Haus begründet ist, mag Ihnen zeigen, daß es nirgends zu Kapitaleinlagen aufgefordert! Nur Derjenige, der gerne und frei bringt, und selbst so nicht Jeder, wird angenommen. Ich habe es mit meinen eigenen Ohren gehört, wie von Agenten Kapitale angeboten, diese aber refusirt worden sind. Wie strömen seit einiger Zeit die Einlagen in dieses Bureau! Aber Rübe nimmt die kleinen Summen nicht an. War Rübe früher schon sicher und bedeutend, so glänzt er jetzt unter allen Handelshäusern. Wie soll ich die Konkurrenz mithalten, wie soll ich unter den Agenten, die sich ins Haus drängen, berücksichtigt werden, wenn ich gar nichts thue? – Sehe ich um mich, Sie sind der Einzige meiner Bekanntschaft, an den ich mich wenden, mit dem ich über Kapital sprechen kann. – Wahrhaftig, Herr Schwach, könnte mich ein Anderer stützen, heben, retten; ich würde Ihre Ansicht nicht zu ändern suchen. Aber reden wir offen, theuerster Freund! All der Firlefanz von Kapitalien,. Umsatz, &c., der auf meiner Firma steht, ist wirklich nicht die lackirte Tafel werth, die er gekostet. Wenn ich im Kleinen, Alltäglichen was erringe, bin ich glücklich! – Das kann für das Alter nicht so fortgehen! – Jetzt ist die Zeit und die langersehnte, günstige Gelegenheit da; lasse ich diese vorübergehen, so bin ich vielleicht für immer verloren! – Helfen Sie mir als unglücklichem Familienvater! – Schwach! Freund! lassen Sie sich bewegen – meine Kinder – mein Glück – meine alten Tage – nehmen Sie größere Zinsen – der Umsatz Ihres Kapitales ist ja so eine Kleinigkeit!« 381
Schwach schwieg, sein blaues Auge dunkelte sich, seine Wangen waren etwas geröthet und seine Lippen zitterten leise. –
»Zweifeln Sie nicht stets so an meinen Fähigkeiten!« rief Schnepselmann wieder schmerzlich, aber dennoch fest aus; und es war wirklich ein Aufschrei seines Herzens. »Das verwünschte Mißverständniß mit Käsemenger hat Sie an mir zweifeln gemacht. – Unannehmlichkeiten mit den verschiedenen Ständen – Beamten – Geistlichkeit – Militär – Advokaten – Anderen . . . sämmtlich ohne mein Verschulden . . . haben Sie gegen mich . . . Aber, Freund! vergessen Sie ganz . . . welche Theilnahme . . . ich . . . an der Entdeckung der ganzen Erbschaft . . . . vergessen Sie ganz der andern Angelegenheiten, in denen ich mich erwiesen? – Hat es nicht selbst einen Moment gegeben, wo Sie gesagt: Schnepselmann, Sie sind mein Lebensretter, was Sie fortan sagen, ist mir heilig? – Schwach! Freund! . . .«
Schwach gedachte seiner selbst, wie er nur armer Komptoirist war und Schnepselmann für ihn die Erbschaft entdeckte; er gedachte ferner Käsemenger's und der schauerlichen Szene des Todtschießens. In seinem zagen guten Herzen anerkannte er da wieder Schnepselmann als Retter und dessen geistige Voraussicht und Klarheit. –
Er stand so und zögerte eine kurze Weile. Dann sagte er, mit ebenfalls zögernder Stimme: »Muß es . . . denn . . . . das Ganze sein?«
Mit freudig aufzuckendem Herzen erkannte Schnepselmann, daß Schwach auf seine Absicht einzugehen beginne. »Freund!« rief er beseligt und gefühlserregt aus, um das warme Empfinden Schwach's noch mehr im Zuge zu erhalten. »Gedenken Sie meines Mitgefühls für Sie! Wie gerne 382 ich bereit wäre, Alles, mich selbst für Sie zu opfern! Gedenken Sie meiner unschuldigen Kinder, die eine Zukunft haben wollen – eines unglücklichen, armen, alternden Familienvaters!« Dabei preßte er Schwach's Hand fest zwischen seinen erhobenen Händen.
Schwach drängte es sich feucht in die Augen.
»Schnepselmann . . . rathen Sie mir wirklich ehrlich und aufrichtig, ohne selbst die geringste Furcht zu haben, mein Kapital an Rübe & Comp. zu geben?«
»So wahr ich selig werden will!« rief Schnepselmann, in aufrichtigster Versicherung seines heißen Herzens und Gehirnes. »Es ist nur zu meinem und Ihrem Besten!«
»Muß es denn Alles sein?« frug Schwach, im Prinzipe schon zustimmend.
»Bestimmen Sie selbst!«
»Sagen wir die Hälfte.«
»Sagen wir zwei Drittel. – Was sind Dreißig für Rübe?«
»Die Vierzig?«
»Sagen Sie Vierzig! Ich gebe ja selbst nach! – Topp, zum Segen für Sie und mich!«
Einen Augenblick hielt Schwach die Hand zurück, dann schlug er in die dargebotene Rechte. »Mit Gottes Segen!«
Schnepselmann drückte selig die Hand. Außer sich vor Wonne, fiel er Schwach um den Hals. Er wußte keine Worte zu finden. Jetzt war das Ziel seines Lebens erreicht, sein Name in die großen Häuser gebracht, sein Alter gesichert, der Plunder geklärt; und er mit all' seinen Freunden strahlte im rosigsten Glücke!
»Herr Schwach!« rief Schnepselmann mit wahrhaften Thränen in den Augen und so laut als thunlich: »Mein 383 Leben für Sie! Mein Blut! Jedes Glied meines Leibes – – theuerster, bester Herr Schwach! O, was könnte ich nur für Sie thun, um . . .!«
»Mein lieber Schnepselmann!« sagte Schwach bewegt, indem er den Agenten bei beiden Händen nahm und ihm treuherzig ins Auge sah. »Nehmen Sie die Versicherung, daß ich an Ihren redlichsten Absichten nie und nimmer gezweifelt habe, noch zweifeln werde! – Freuen Sie sich mit Ihren Lieben, daß Ihr Geschick sich bessern wird, und seien Sie glücklich!«
Da fiel Schnepselmann dem edelherzigen Schwach neuerdings bewegt um den Hals. Er war wirklich im Innersten seines Herzens aufgeregt und eben so wehmüthig als wonnig zugleich bewegt, daß er seiner Familie endlich eine Zukunft bereiten könne und werde.
Und Schwach – gewann ja an Einkommen!
Ende des zweiten Bandes.