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Wir hören sehr viel Säbelgerassel – worauf zwei Helden bei Schwach erscheinen – und alle Regimenter, aus esprit de corps, mit ihm in Konflikt gerathen.
Wenige Tage nach dem Verbrauch jener Reden des Majors Ritter von Wille und der Weinflaschen des sehr unerschrockenen Weinwirthes, verlangten zwei Herren in militärischer Uniform, mit sehr vielem Glockengeklingel und Säbelgerassel, Einlaß in Schwach's Wohnung, welcher ihnen sofort, wenn auch mit einigem Erstaunen über solche außerordentliche Erscheinungen, gewährt wurde.
Die beiden Uniformirten gingen vorwärts. Sie waren Offiziere, lange Schleppsäbel rasselten hinter ihnen. Das ganze Riemzeug, alle Ringelchen und Schnallen, und das sonstige Zugehörige, schienen nicht so sehr des Haltens an dem Körper als des zusammenwirkenden Rasselns wegen da zu sein. Dieser hohe Zweck ward erstaunlich gut erfüllt!
Die beiden Offiziere waren sehr unterschiedlicher Größe. Der eine war mehr als nothwendig lang, gewissermaßen stark, mit wolligem Har und vorgerückt mannbarem, aber nonchalant sich gehen lassendem Ausdrucke. Der andere war klein, sehr klein, jung und dünn. Er hatte einen langen, schmalen Kopf, wie etwa ein Beil, oder wie von einer Serviettenpresse zusammengedrückt, einen sehr dünnen Hals, und einen solchen spindelartigen Leib, daß alle Brust- und Schulter- und Hüftenwatte des Schneiders nichts über die siegende Dünne und Magerkeit vermochten. Die dünnen 217 Beinchen des Offizierleins waren aber so stramm gestreckt, die hohen Absätze an den Stiefeln wurden so sorgfältig benützt (selbst innerhalb der Stiefel sollen noch Erhöhungs-Korksohlen gelegen haben, nach boshaften Andeutungen eines kreditsüberdrüssigen Schustermeisters), daß der ganze Mann wirklich um einen oder anderthalb Zoll höher wurde und aussah, wie ein gespreizter Haushahn in Uniform. Was das Krähen betraf, waltete es in Momenten wirklich vor, wurde aber zeitweise von einem Basse unterbrochen, der lebhaft an den einer Dame erinnerte. – Das war Käsemenger junior, der gefürchtete Held der Zukunft, der die Feinde, nach Schnepselmann's Aussage, zittern machen sollte!
Wenn er sprach, waltete derart abwechselnd, bald der Fistel des Vaters, bald der Baß der Mama vor, daß man vermeinte, Herr Leutenant Käsemenger »mutire«, oder bemühe sich eine Arie zu singen, gleich jener seiner Schwester, auch etwa aus »Romeo und Julie.«
Als Schwach in seinem Vorzimmer ein Waffenklirren und Rasseln hörte, spitzte er, der eben ein Buch ruhig gelesen hatte, überrascht die Ohren.
Die Tritte und das Gerassel kamen sofort näher – man klopfte mit sehr energischem und hartem Knöchel an der Thüre – Schwach's Herz pochte gewaltig! Er stand rasch auf, legte das Buch weg, ward zugleich von Röthe übergossen und rief »Herein!«
Schwach hatte auch sofort Gelegenheit, vor den beiden Eingetretenen seine Verbeugung zu machen, und er sah ihnen, schüchtern fragend, in's Gesicht.
»Guten Tag, Herr Schwager!« mutirte der Kleine 218 jetzt sehr entschieden, und reichte Schwach, den er früher in seinem ganzen Leben nicht gesehen, nachlässig-traulich die Hand.
Schwach fand noch keine Worte, – glaubte auch noch nicht richtig vernommen zu haben, und ergriff blos mechanisch die gebotene Hand.
»Wie befinden Sie sich, Herr Schwager!?« mutirte abermals der Kleine, nachdrücklich.
Jetzt erst wurde Schwach auf den ganzen Inhalt der Anrede aufmerksam und trat erschreckt einen Schritt zurück. – Er ein Schwager? Wieso? – Er hatte nie einen Bruder, oder eine Schwester, im Allgemeinen, vielweniger noch, im Besondern, solche Brüder oder Schwestern, welche verheiratet gewesen wären. Er selbst war sich auch noch bewußt ledig zu sein. Woher also ein Schwager?
Nach einem Augenblicke gänzlicher Verwirrung, tauchte in ihm die Idee des »Geburtsgeheimnisses« auf, und er dachte: »Wahrscheinlich ein Anverwandter; vermuthlich eine Entdeckung.« Er ward in den wenigen Augenblicken des Nachdenkens sogar neugierig.
Der lange Offizier hatte sich hinter dem kleinen aufgepflanzt, wie die Fahnenstange des Regiments neben den kurzen Schießgewehren; und während der kleine Offizier zwischen den beiden großen Männern stand, war er anzusehen, wie ein kleines, dünnes Stückchen Löschpapier zwischen zwei großen Pappen-Deckeln.
»Schwager . . .?« fragte endlich Schwach schüchtern ». . . darf ich bitten . . .«
»Käsemenger, Robert Käsemenger!«
Schwach öffnete, bei dem Namen Käsemenger, Mund und Augen weit! Es zuckte ihm zugleich wie eine Stecknadel durch das Herz. – Käsemenger? Existirt denn noch 219 ein Käsemenger-Individuum in der Welt, außer jenen Käsemenger'schen Persönlichkeiten, die er unglücklicherweise kennen gelernt? – Schnepselmann's Anspielungen auf einen schrecklichen General Käsemenger, fielen ihm nicht sogleich ein. Endlich dämmerte auch Derlei in ihm; aber er war seiner schwachen Erinnerung noch nicht gewiß. Es konnte ja möglicherweise noch Käsemenger auf der Erde geben, ganz entfernt von Beziehungen zu jenen verhängnißvollen, und sie könnten noch eine ganz andere Schicksalsverknüpfung mit ihm haben. – Nach kurzem Stillschweigen fragte er daher, mit bescheidener Sanftheit:
»Womit kann ich dienen?«
»Wollen Sie gefälligst meine Schwester heiraten?« war die sehr lakonische Antwort von Käsemenger junior.
Jetzt waren alle Zweifel vorüber. Ein schreckliches Licht flammte vor Schwach empor! – »Wie . . . was . . . wieso . . .?« waren seine gestammelten Fragen.
»Ist nicht meine Sache, ganz Ihre!« sagte Käsemenger. – »Nicht wahr, Gabelsdorff?« wendete er sich nach diesem.
»Ja wol!« brummte dieser, besonders ernst, mit doppel-tragischer, trockener Stimme.
»Apropos, vergessen aufzuführen,« fistelte und bassirte zugleich jung Käsemenger, »meinen Freund Gabler von Gabelsdorff, Lieutenant des . . 'sten Rrrrr'ments, sehr tapfer und un'schrocken!«
Gabler von Gabelsdorff zog beide Beine auseinander, wie eine verbogene zweizackige Gabel, klappte sie aber rasch wieder aneinander, daß seine Stiefelröhren Ton von sich gaben – elegantes Kompliment – und verbeugte sich. 220
Schwach verbeugte sich ebenfalls und murmelte verlegen: »Freut mich!«
»Gabler von Gabelsdorff,« sagte hierauf Käsemenger junior, mit großer gelassener Sicherheit, zu dem Kameraden, »mein Schwager, Herr Herkules Schwach!«
Gabler von Gabelsdorff ging mit der allerernstesten Miene zu Schwach und schüttelte ihm die Hand.
Schwach hustete sehr verlegen und wußte nicht, was er thun solle. Einen Augenblick herrschte beiderseitig Stille. Käsemenger junior war nicht im Geringsten angegriffen.
»Wann wird die Hochzeit sein?« fragte er endlich mit ruhiger Sicherheit, in der doch der herausfordernde Ton nicht zu verkennen war.
»Ich bitte . . .« stammelte endlich Schwach, »ich verstehe nicht . . .«
»Sehr einfach!« sagte Gabelsdorff mit derselben resoluten, trockenen Stimme, wie vorhin, als gäbe es nichts Natürlicheres, Selbstverständlicheres, als daß Schwach einen Tag der Hochzeit für sich und Fräulein Esmeralda zu bestimmen habe.
»Sehr einfach!« sagte Lieutenant Käsemenger. »Datum? Bitte . . .!« Und er nahm gelassen ein Brieftäschchen zwischen den Rockknöpfen hervor, hob den Bleistift in der Rechten und hielt ihn mit der Spitze nach einem Blatte, als harre er auf nichts Anderes, als Tag, Monat und Stunde genauest zu hören.
»Ich muß sehr bitten . . .« stammelte Schwach.
»Wählen Sie nach Belieben – natürlich nicht zu lange hinaus, denn 's wär' lang'weilig. – Was, Gabelsdorff?« 221
»Sehr langweilig!« sagte dieser mit früherer ernster Trockenheit.
»Mißverständniß . . . muß sehr bitten . . . Mißverständniß,« sagte endlich Schwach, froh einen möglichst bezeichnenden, zarten Ausdruck gefunden zu haben.
»Siehst Du ein Mißverständniß, Gabelsdorff?«
»Nicht im Geringsten!« – Gabelsdorff.
»Ich auch nicht.« – Käsemenger.
»Aber ich muß sehr bitten, es ist wirklich ein Mißverständniß.«
»Ich sage Ihnen, durchaus nicht! Dies ist Lieutenant Gabelsdorff vom **sten Rrregiment, ich bin Lieutenant Käsemenger vom **sten Rrregiment, Sie sind Herr Herkules Schwach und sind noch am Leben, so gut als wir – nicht wahr, Gabelsdorff? . . .«
»Ohne Zweifel!«
»Meine Schwester ist auch noch am Leben und noch unverheiratet – also . . .«
»Wo ist da ein Mißverständniß?« frug jetzt Gabelsdorff trocken, und fügte nach einer Pause hinzu, als ginge es wirklich ganz über seinen Horizont: »Das sehe ich gar nicht ein!«
»Aber ich, meine Herren . . .«
»Sie haben nichts einzusehen, das ist gar nicht Ihre Sache,« sagte Käsemenger, als belehre er ihn über eine längst und allgemein anerkannte Wahrheit; »Sie haben blos zu heiraten!«
»Wie das? Ich begreife gar nicht . . .« stammelte Schwach.
»Sie begreifen gar nicht wie man heiratet? – Gabelsdorff, ist Dir das jemals vorgekommen?« 222
»Noch gar nie in meinem Leben!« sagte der Angerufene.
»Sie, meine Herren,« sagte nun wieder Schwach, »können das freilich in einer leichteren Art auffaßen; aber ich . . .«
»Sie können das noch leichter; denn ich, ich bin der Bruder meiner Schwester, ich kann sie nicht heiraten; Lieutenant Gabelsdorff müßte erst beim Rrregiment und beim Kriegsminister einkommen und Kaution erlegen, das macht Schwierigkeiten; Sie aber sind Zivilist und nicht Lieutenant, Zivilist! – Sie können also leicht heiraten, viel leichter als wir Beide. – Was sagst Du, Gabelsdorff?«
»Das ist sonnenklar, sage ich.«
»Nun gut, Herr Schwager, ich bitte also zu heiraten.«
»Erlauben Sie mir, die Sache näher auseinander zu setzen,« beeiferte sich Schwach zu sagen, als er sah, daß die beiden Herren nicht im Geringsten aus ihrer stoischen Ruhe heraus kamen. – Und es muß anerkannt werden, bei Militärs findet sich dieses trockene, gelassene, aber einschneidende sogenannte »Aufziehen« am meisten, indem es ebenso eine heitere Probe von Gelassenheit und Geistesgegenwart ist, als es manchesmal wirklich eine ernste Ehrensache zum Abschlusse zu bringen dient, aber auch aus Uebermuth zum bloßen Bramarbasiren gegen Wehrlose mißbraucht wird. Unsere beiden Anwesenden besaßen also eine gewisse Virtuosität; und jung Käsemenger mochte vielleicht dieselbe mehr errungen haben, als die Aussicht, nach Schnepselmann's Worten, ein gefürchteter General zu werden.
»Auseinandersetzen? Wir sind ganz eingeweiht; uns fehlt nicht das Geringste von der ganzen Sache. Fehlt Dir was, Gabelsdorff?« 223
»Könnte es nicht sagen. Ganz klar!«
»Sie selbst sind nicht so gut eingeweiht, als wir. – – Was, Gabelsdorff?«
»Gewiß nicht!«
»Also, verlassen Sie sich ganz auf uns, und heiraten Sie, je eher desto besser!«
»Je eher desto besser!« wiederholte der lange Lieutenant.
»Nun?« sagte Käsemenger, als Schwach die Antwort ein wenig schuldig blieb.
». . . . Das . . . kann ich nicht!« sagte dieser endlich, und beugte den Kopf, als wollte er sagen: hier stehe ich, so ist es, ich kann mir nicht helfen!
»Ahhhh!« rief Käsemenger junior sehr gedehnt, als hätte er seit lange auf dies gewartet und sei nun ganz im Klaren. – »Das ist die Sache!« Dabei nickte er nach Gabelsdorff, dieser nickte wieder. Der kleine Käsemenger richtete hierauf sofort an seinen Handschuhen, an seiner Hüfte und dem Riemzeuge des Schleppsäbels, hustete, stellte sich dann in Positur, stark auf die Zehen, und begann in der Fistel- und Baßmischung:
»Also, Herrr Schwach! Jetzt hörren Sie mich, Lieutenant Käsemengerr, vom ** Rrregiment, an! Ich trrage einen Säbel an meinerr Seite. Wissen Sie, was das sagen will?« – Ehe noch Schwach hätte auf diese Frage antworten können, wenn er auch eine Antwort gewußt hätte, fuhr der General in spe schon mit stark gehobener Stimme fort: »Dieserr Säbel dient dazu, Alle zu massssakrrirrren, in Stücke zu hauen und zu zerrarrbeiten krreuz und querr, die mich, uns beleidigen! Verrstehen Sie? Ich sage: uns! Ich bin Lieutenant; aberr ich bin nicht Lieutenant allein auf derr Welt; ich habe eine Kompagnie, die 224 Kompagnie ein Bataillon, das Bataillon ein Rrrregiment, und das Rrregiment gehört zur Arrmee! Was mich angeht, geht also das ganze Rrrregiment, die ganze Arrrmee an! Verstehen Sie, was Espri-Dick-Ohr ist? (esprit de corps) Espri-Dick-Ohr? – Ha! Sie haben meine Schwesterr beleidigt, Sie haben also mich beleidigt; haben Sie mich beleidigt, so haben Sie die Kompagnie, das Bataillon, das ganze Rrregiment, die gesammte Arrmee in meinerr Schwesterr beleidigt! – Hier steckt der EspriDickOhr. – Also, verrnehmen Sie! Dieserr Säbel bedeutet furrchtbarre schrreckliche Rrrache. – Geben Sie dem Rrregiment, derr Arrmee Satisfaktion; denn das kann das Rrregiment, das kann die Arrmee nicht auf sich sitzen lassen!«
»Keineswegs!« warf Gabler tragisch ein.
»Satisfaktion!« rief der kleine Käsemenger, von unten hinauf, nach Schwach's oberstem Chemisett-Knopfe, und Gabler trat jetzt, steif wie ein Gerüstbalken, hervor.
»Sie haben zu wählen! Pistolen oder Säbel! Bei Tag oder bei Nacht! Hier oder anderswo! Zu jeder Zeit und zu jeder Stunde!«
Dem armen Schwach brach jetzt der Angstschweiß aus allen Poren.
»Sie werden einsehen,« sagte Käsemenger nun, nach Ablieferung seiner großartigen Rede, mit gelassener Sicherheit, »daß ich äußerrst nobel handle, äußerrst nobel; denn ich könnte Sie niederrschießen, niederrhauen, wo ich Sie gefunden hätte, nach solcher Attaque niederrmachen und zerrstückeln, ohne Gnade und Erbarmen! – Was, Gabler?«
»Ohne Gnade und Erbarrmen!«
Natürlich, die Gesetze haben gegen derlei durchaus nichts einzuwenden. 225
»Ich bin großmüthig, nobel, indem ich Ihnen noch einen gleichen Kampf anbiete. – – Aber Einer von uns muß todt auf dem Platze bleiben und darrf nicht lebendig wieder davon gehen, darrf nicht!«
»Durchaus nicht!« Gabelsdorff.
»Also, wählen Sie Zeit, Ort, Waffen!«
»Todt oder lebendig! sagte Gabler.
»Haben Sie mich verstanden! Das Rrregiment, die Arrmee erfordern Rrrache! – Ich habe genug gesprochen. – Adieu!« – Mit schrecklichem Blicke fügte er noch hinzu: »Auf Wiedersehen! – Ich lasse Sie mit Lieutenant Gabler von Gabelsdorff allein, er ist mein Sekundant, bestimmen Sie den Ihren, machen Sie Alles ab. Seien Sie vorsichtig wegen Ihres Testamentes – todt oder lebendig!«
»Gabelsdorff, ich erwarte Dich im Bierkeller!« rief er an der Thüre zurück und schritt mit stolzen Hahnentritten, Schleppsäbelklappernd davon.