August Silberstein
Herkules Schwach. Zweiter Band
August Silberstein

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Dreiundvierzigstes Capitel.

Poll Hinze's Philosophie und Advokat Ziesewitz's Dosen bekommen Krieg miteinander.

»Was ist das?« rief Madame Trullemaier überrascht Poll entgegen, als dieser plötzlich, eines Morgens, mit dem würdevollsten Gesichte und ganz in seinem feinen Zivilgewande, vor ihr in der Küche erschien.

Poll beobachtete ein düsteres Stillschweigen und gab sich das Ansehen eines sehr tiefdenkenden Mannes.

»Nun, Poll, was soll es denn?« drang Madame nachdrücklich in ihn.

». . . . Wissen Sie . . . was Philosophie ist?«

»Dummheiten, das weiß ich schon!«

»Thut nichts, nennen Sie es Dummheit oder Philosophie, es bleibt dasselbe! Und die Wahrheit ist, daß mich gestern und heute Nacht die Philosophie sehr geplagt hat; so daß ich mir vom Herrn die Erlaubniß nehmen mußte, einen philosophischen Gang zu machen.«

»Und denselben Unsinn hat er dem Herrn gesagt?«

»Ich habe mich weniger philosophisch ausgedrückt; aber doch so, daß ich die Erlaubniß, jetzt fortzugehen, erhalten habe.«

»Und das ist Alles, was ich erfahren soll? Wenn Sie mir nicht mehr sagen, Poll, dann ist's besser . . . .« Sie machte eine Abschiedsbewegung. 327

»'m'fehl mich Ihnen!« entgegnete Poll ganz gelassen, zog seinen Hut zu einem feinen Gruße und wendete sich zum Abgange.

Er schritt ruhig zur Thüre und hatte die Schnalle schon in der Hand, da rief Madame Trullemaier, die sich noch nicht entschließen konnte, alle Hoffnung auf Mittheilsamkeit aufzugeben, ihm nach: »Und darf man nicht wissen, wann der Herr zurückkommt?«

Poll blieb stehen, schien einen Augenblick nachzudenken, dann rief er zurück: »Sobald . . . . ich wieder erscheine!«

»Unsinn!« rief Madame erzürnt.

Poll kehrte zurück, nahm sie gelassen bei der Hand und sprach, mit seinem frühern ernst-philosophischen Tone: »Wissen Sie was eine Farbe ist? – Und wissen Sie was ein Advokat ist? – Ein Advokat ist von allen Farben und von gar keiner. – Und was eine goldene Dose ist, wissen Sie auch? – Nehmen Sie nun einen Advokaten, eine Dose und meine Philosophie zusammen; so wissen Sie . . . gerade so viel, als Sie vorher gewußt haben. – 'm'fehl mich Ihnen!« Somit eilte Poll davon, entging dem Klaps, zu dem Madame Trullemaier bereits unwillig die Hand gehoben hatte, und kicherte im Innern, als er schleunigst die Treppe hinab eilte, um vollends in Sicherheit zu gelangen.

Die Dame, die bereits mehr als eine Schalkhaftigkeit von ihrem sonderbaren Hausgenossen gewohnt sein mußte, beschwichtigte sich bald, in der Hoffnung auf das Kommende.

Poll ging gelassen seiner Wege, auf der Straße. Als er aus dem Hause hinaus war, änderte sich sein ganzes 328 Benehmen, das heitere Lachen war verschwunden, ein Ernst über seinem Gesichte gelagert, und sein Auge blickte eben so denkend, als etwa ironisch lauernd.

Er ging in jene Gegend und jene Straße, wo Schwach früher gewohnt hatte. Dort war ein Advokat behauset, welcher Karolus Magnus Ziesewitz hieß, und mit dem Poll ein eigenthümliches, seltsames Geschäft abzumachen haben mußte.

Ob er selbst Prozeß führte? Ob er einen zu führen beabsichtete? – Genug, Poll ging in juridischer Angelegenheit!

Er trug eine goldene Dose in der Tasche, die nicht sein Eigenthum war.

Zudem trug er sehr kostbare Erinnerungen in seinem Gedächtnisse, über Vorgänge und Gespräche, die er während der sich mehrenden Besuche Ziesewitz's bei Schwach erlauscht hatte, oder die sich ihm von selbst aufdrängten, wenn er zufällig in engerer oder weiterer Nähe beschäftiget war. Und es ist eine ewig wahr bleibende Thatsache oder Erfahrung, eher »verliert der Teufel eine Seele«, als das Dienst-Personale eines Hauses irgend welche Angelegenheit der Herrschaft!

Der Advokat saß noch bequem am Frühstückstische, im grauen Schlafrocke mit rothen Verbrämungen, als Poll an der Thüre der Wohnung erschien. Aber eher hätten die Priester das verschleierte Bild zu Saïs mit unbedecktem Gesichte gezeigt, als Ziesewitz sich ohne schwarzen Frack und ohne weißes Halstuch gezeigt haben würde.

Als das Dienstmädchen einen Herrn meldete, verpuppte sich der gediegene Gesetzeskenner sofort, verpallisadirte sein 329 Kinn mit dem berühmten Schutzwerke, gab seinem gelben Gesichte das melancholisch würdevolleste Aussehen, und schritt, also, nach kurzer Zeit, in das Bureau, in das Poll indeß geführt worden war.

Poll harrte bescheiden des großen Mannes, mit dem er zu konferiren im Begriffe war.

Dieser warf einen forschenden Blick nach dem Besucher, schon während er die Thür öffnete, und fragte sich im Innern, welche Dose denn anwendbar sein werde? Um keinen übereilten Schritt zu thun, hatte sich Ziesewitz vorläufig noch mit keiner bewaffnet.

Das war nun der große Moment, in dem Poll seine Absichten vereitelt oder erfüllt sehen konnte. Er blickte Ziesewitz ruhig in's Gesicht. Dieser kannte ihn nicht.

»Guten Morgen, ganz ergebenster Diener! Mit wem habe ich die Ehre zu sprechen?« fragte Ziesewitz im süßlichsten Tone.

Poll verbeugte sich zuvorkommend und meinte: »Ehre meinerseits, aufzuwarten, Herrn Schwach's Diener, Kunibert Apollonius Hinze.«

»Ah,« sagte Ziesewitz, wol mit selbstbewußter Würde, aber doch mit Freundlichkeit; »kommen Sie in Ihres Herrn Angelegenheit?«

Diese Frage entschied Alles, was Poll wissen wollte. Seine Philosophie stand nun auf fester Basis. – Die goldene Dose, die er in der Tasche trug, gehörte Ziesewitz, und dieser verlor sie, während er aus der Wohnung Schwach's ging. Poll, der sogleich darauf in deren Besitz gelangte, sagte weder bis jetzt Madame Trullemaier, noch Schwach, etwas davon; seine Philosophie beschäftigte ihn ganz allein und ließ ihn, wie er aufrichtig gestand, die 330 Nacht kaum schlafen. Als heimlicher Philosoph stand er nun vor dem Advokaten und hatte mit diesem ein eigenthümliches Geschäft abzumachen. Daß dieser die Dose noch nicht vermißte, oder bei Schwach auch nicht vermuthete, krönte Poll's philosophischen Gedanken und erleichterte sehr seine philosophischen Bestrebungen, die ihm bei anderen Umständen viel schwerer gefallen sein würden.

»Kommen Sie in Ihres Herrn Angelegenheit?« frug also Ziesewitz eben.

Nach dieser Frage richtete nun Poll sein ganzes kommendes Benehmen, das er für diesen Fall schon bedacht hatte.

»Nein,« erwiderte er gefaßt, mit der möglichst ruhigen Miene, »erlauben Sie, daß ich für mich selbst komme.«

»In eigenen Angelegenheiten?« sagte Ziesewitz und dachte dabei: thut mir leid, daß Schwach auf meine Pläne nicht eingehen will. Denn er hatte die Botschaft erwartet. Dann setzte er laut hinzu: »Haben Sie auch Prozesse?«

»Prozesse nicht, wenn Sie mehrere meinen; aber Einen Prozeß habe ich.«

»Und Sie wollen ihn gerichtlich verfolgen? – Haben Sie die Mittel dazu?«

»Ganz gewiß, Herr Affokat, die allerbesten Mittel, die ich von meiner Mutter geerbt!« Poll dachte an seinen Mutterwitz und der Advokat an Mittel, die diesem willkommener gewesen wären.

»Wenn dem so ist, so können Sie ganz ruhig Ihre Angelegenheit in meine Hände legen. – Setzen Sie sich!« Und Ziesewitz rückte sehr freundlich zwei Stühle zurecht. Obwol Poll anfangs auf diese besondere Höflichkeit nicht 331 eingehen wollte, zwang ihn der Advokat doch freundlich dazu, und so saßen sich die Beiden nun gegenüber.

Ziesewitz betrauerte sofort sehr die arge Welt, ließ sich, in populären Ausdrücken, ein Breites über den täglich stärker werdenden Friedensbruch in der Menschheit aus, und war überzeugt, Schärfe sei eben so nothwendig, als daß er sein Möglichstes thue, um den Frieden, die Humanität für alle Stände, und die geringen Expensnoten in der Welt zu vertreten.

Poll stimmte ihm ganz zu, seufzte sehr und stellte sich namentlich sehr betrübt über den Friedensbruch der Menschheit.

Das war eine Aufforderung für Ziesewitz, die Welt noch mehr im Argen liegen zu sehen, besonders einem so beschränkten Menschen gegenüber, für den er Poll hielt, die Sündfluth über sämmtliche Gerichtshäuser vorauszusagen, und auseinanderzusetzen, daß er, Ziesewitz, die Schwäche habe, sich als Advokat für die Menschheit, hoch oder niedrig, zu opfern.

Poll lobte ihn außerordentlich und »stimmte mit seinen Gefühlen ganz überein«. Ja, als Ziesewitz wiederholt dem Friedensbruch der Menschheit sein Bruchband mit Federn anzulegen im Begriffe war, zog Poll sein sehr großes Taschentuch aus der Rocktasche hervor und wischte sich bewegt die Augen, als wären ihm schwere Thränen darein getreten.

Ziesewitz dachte: der ist noch weicher wie sein Herr, rückte nun näher dem eigentlichen »Casus« und befragte, mit sehr geschickter Wendung, über den näheren Bestand des Prozesses. 332

»Herr Affokate,« sagte Poll, »merken Sie gefälligst gut auf, denn es ist eine eigenthümliche Sache, und ich hoffe ergebenst, Sie wird sich Ihnen lohnen!«

Nachdem Ziesewitz seine Bereitwilligkeit für alle Stände, sowie seine Aufmerksamkeit versichert hatte, fuhr Poll fort: »Es handelt sich nun um eine Sache, die eigentlich nicht ganz Rechtens ist; aber doch Rechtens gemacht werden kann. Denken Sie, ich und ein entfernt verwandter Vetter« – dabei sah er heimlich seitwärts nach Ziesewitz mit einem sehr bedeutungsvollen Blicke – »ich und ein weitschichtiger Vetter besitzen mitsammen ein kleines Gut. Es ist ein hübsch Stück Geld werth. Vorläufig bin ich in dem alleinigen Besitze desselben, das heißt, ich könnte es so einrichten, daß ich Alles behalte und er nichts davon bekommt. – Nun weiß ich aber, daß dies nicht ganz mit den Gesetzen zusammenstimmt, und ich möchte das gerne auf ordentlichem Wege durch Sie, Herr Affokate, ganz meine machen!«

»Hm,« sagte Ziesewitz, »besitzen Sie Dokumente darüber?«

»Nein, ich habe es im wirklichen Besitze; und der Andere hängt jetzt sehr von mir darin ab, ob ich ihm etwas geben solle oder nicht. Was meinen Sie?«

»Sie wären geneigt, Alles, oder wenigstens das Meiste für sich zu behalten?«

»Allerdings.«

»Aber das ist im Grunde gegen die Gesetze.«

»Das ist es eben, weßhalb ich komme. Sehen Sie, die Menschheit ist heute im Allgemeinen so schlecht, daß mein entfernt verwandter Vetter Einer Derjenigen ist, die zu den wenigst Guten gerechnet werden können. Und weil er mit Allem, was er kann und hat, nur Uebles treibt« – 333 Poll machte ein sehr bedeutungsvolles Gesicht – »so thäte ich es so gerne, aus purer Menschlichkeit einleiten, daß mein Vetter nichts, oder nicht viel mehr erhalte, und ich Alles behalte! Denn, hören Sie, ich bin ein sehr gutartiger, wohlthätiger Mensch, und kann für das Geld sehr viel Gutes thun, auch Jene gut bezahlen, die mir etwas leisten!«

Ziesewitz zog die Augenbrauen in die Höhe, ließ sie gleich wieder fallen und verfestigte sein Kinn sehr stark. »Sie haben also einen humanen Zweck vor – da läßt sich schon manches Besonderes thun.« Er dachte an die gute Bezahlung Derjenigen, die dem Anwesenden etwas leisten. »Können Sie dem Herrn Vetter vielleicht Dinge nachweisen,« fuhr er fort, »die ihm gesetzlich schaden könnten, nach denen man berechtigt werden könnte, ihm die volle Ausfolgung des Besitzes und des Werthes mit Recht vorzuenthalten?«

»Jedenfalls. Er ist ein Individijum, es thut mir leid, daß ich es sagen muß, das den Leuten das Geld aus der Tasche nimmt. Nicht direkt, indem er gerade mit fünf Fingern hineingreift und die Kourage hat, eine Strafe zu riskiren; im Gegentheile; er lockt mit seinen Vorspielungen den Leuten das Geld heraus, und hält sie geheim zum Besten!«

»Also ein übel berüchtigtes Individuum.«

»Wenn Sie ihn so nennen wollen, meinetwegen, ich habe nichts dagegen, ich überlasse Ihnen das ganz.«

»Ein Betrüger! – Können Sie ihm derlei beweisen?«

»Ganz genau.« 334

»Wenn Sie ihm einen schlechten Leumund, gestützt auf Thatsachen, geben können, so ist das schon sehr viel, und berechtigt zumeist zur Bevormundung.«

»Daran habe ich schon gedacht; aber ich wage nicht, den Prozeß gerade in dieser Weise anzufangen.«

»Sie wagen nicht? Bei der jetzigen einreißenden Verderbniß inner der Welt und Menschheit,« nahm Ziesewitz lebhaft das Wort, »ist es durchaus nothwendig, daß man ihr, die sich von Tag zu Tag vergrößert, desto mehr und schärfer entgegentrete. – Nur energisch, klar und scharf die Sache angesehen! – Und kommt es auf einen Prozeß an, der im Namen der Humanität unternommen ist, kommt es darauf an, eine Handlung auszuführen, die aus gutem Herzen entspringt, so haben Sie gerade den richtigen Advokaten gefunden. Verlassen Sie sich auf mich! Und wenn ich Ihren Prozeß, in Berücksichtigung Ihrer Umstände, umsonst führen müßte . . . nur mit Ersatz der nöthigen Stempel . . . ich würde ihn nicht fallen lassen; denn hier ist eine Gelegenheit etwas Gutes zu thun und wahre Menschlichkeit einen Triumf feiern zu lassen!«

»Sie glauben also, daß ich das Besitzthum behalten solle?«

»Ohne Zweifel!«

»Er wird aber nicht zufrieden sein und einen Prozeß beginnen!«

»Das soll er eben!«

»Und wissen Sie, woran ich gedacht habe? . . . Vielleicht könnten Sie . . . auch sich seiner annehmen und sein Affokate sein.« 335

»Ich . . . verstehe nicht . . .« sagte Ziesewitz, indem er mißtrauisch nach dem Sprecher sah, der bei und nach dieser Aufforderung ein sehr ernstes, gelassen-einfältiges Gesicht machte.

»Ich meine, Sie brauchten nicht zu sagen, daß Sie mein Affokate sind. Er wird die Angelegenheit durch Sie erfahren, und Sie nehmen sich seiner an. Bis er den Braten riecht, dann habe ich schon Alles im Reinen und – ich kann Ihnen schon jetzt versichern, es wird sich der Mühe lohnen!«

Ziesewitz zog sein Kinn zurück, zuckte mit den Augenbrauen, sein gelbes Gesicht blieb eine Weile starr, bald sah er auf den Boden, bald in Poll's Gesicht. »Sie wollen also,« sagte er endlich langsam, »Ihres Gegners Verderbniß und Trug Einhalt thun, und darum für sich . . .«

»Sehr errathen!«

»Das hieße also der guten Sache dienen; und da man in dieser Richtung Alles thun muß, so wäre ich allerdings bereit, mich auch in dieser Angelegenheit aufzuopfern; denn die Menschheit . . .«

»Die Menschheit,« nahm Poll jetzt das Wort, »ist so schlecht, daß man wirklich nur seine Wunder sehen muß, was jetzt geschieht! O, Herr Affokat,« sagte der ehemalige Kaninchentheaterdirektor und Redner seiner ganzen schweigsamen Truppe, mit gefühlvollem Pathos, »mir thut mein Herz wehe, sehr wehe, wenn ich das Verderbniß der Menschheit, und meines Vetters besonders, betrachte. Es geht mir sehr, sehr zu Herzen!« Er zog das Schnupftuch und wischte sich die Augen. »Mein Herr Vetter ist seit Kurzem sehr nahe von mir, und ich sehe seine Wirthschaft. Ich könnte ihm gleich geben, was er zu fordern hätte; aber wenn ich es ihm 336 gebe, so ist es wirklich in den allerschlechtesten Händen, wenn das Gesetz auch nichts gegen ihn sagen könnte.«

»Sie behalten vorläufig den Besitz, und bis der Prozeß zu Ende geht, haben Sie den Nutzen gehabt; – verstehen Sie? –«

»Sehr gut, ganz Ihrer Meinung,« sagte der ehemalige Kaninchentheaterdirektor, mit sich selbst zufrieden. »Und Sie wollen auch seinen Prozeß in dieser Weise führen?«

»Aus Humanität würde ich mich herbeilassen.«

»Und ich soll ihm gar nichts geben?«

»Besitzt er etwas?«

»Allerdings, er hat mehr als er haben sollte.«

»Also braucht er nichts,« sagte Ziesewitz, und dachte: da kann er mich also auch ohne dies bezahlen. »Und wenn Sie etwas geben, so geben Sie eine Geringfügigkeit, damit er nicht über gänzliches Vorenthalten klage.«

»Sehr gut,« sagte Poll, nahm gelassen die goldene Dose aus der Tasche, umfaßte sie so mit seinen Fingern, daß die Form nicht sichtbar war, und bot, innerlich lachend, Ziesewitz eine Prise.

Ziesewitz nahm sie mit herablassender Freundlichkeit und Formalität. Das Gold der Dose fiel ihm wol auf; aber er dachte: solche Leute pflegen Familienstücke zu haben, oder sie ist falsch vergoldet.

»Also, nichts geben als eine Geringfügigkeit,« betonte Poll.

»Nichts als eine Geringfügigkeit.« Ziesewitz schnupfte die Prise.

»Das Besitzthum behalten?«

»Das Besitzthum behalten und den Prozeß gleich beginnen.«

Und soll ich dem Mann sagen . . .?« 337

»Sagen Sie ihm nur energisch, da Sie doch anfangen müssen, daß er zu den gefährlichen, gemeinschädlichen Subjekten gehöre, die man unter Aufsicht stellen müsse!«

»Also beginnen wir den Prozeß!« sagte Poll und stand dabei auf.

Ziesewitz erhob sich, ging an seinen Schreibtisch und nahm eine Feder. »Das Nothwendigste sind vorläufig die Namen,« sagte er. »Ich bitte um die Namen.«

Poll stellte sich ihm sehr fest gegenüber. »Also mich kennen Sie bereits. Ich bin Kunibert Appollonius, genannt Poll Hinze, Bedienter bei Herrn Schwach.«

»Das Besitzthum ist . . .?« fragte Ziesewitz.

Rasch rief Poll: »Diese goldene Dose hier!« – Er schwang sie hoch in der Luft. »Und mein Vetter heißt . . .«

»Heißt . . .« hauchte Ziesewitz fast unwillkührlich in Verblüfftheit.

»Dr. Karolus Magnus Ziesewitz!« rief Poll energisch und sah ihm fest ins Gesicht.

Ziesewitz entsank die Feder aus den Krallen. Er ward noch gelber als gewöhnlich und starrte auf Poll und die hochgehobene Dose, ohne Worte zu finden.

»Diese Dose, das Gut, werde ich also behalten, und meinem Vetter können Sie jetzt sagen, was Sie wollen!« Damit drehte sich Poll zur Thüre und wollte fort.

»So ist das nicht gemeint!« rief endlich energisch Ziesewitz, eilte an die Thüre und faßte Poll bei den Rockschössen.

»Hoho! Erinnern Sie sich, was Sie gesagt?« Und Poll barg die Dose. 338

»Meine Dose will ich haben, oder ich klage über Diebstal!«

»Ah, jetzt, Herr Advokat, wissen Sie was Diebstal ist! Aber wenn Sie zu meinem Herrn kommen und ihm sein Geld herauslocken wollen – was ist das?«

»Keine Beleidigung, hier in meinem Bureau!«

»Keine Beleidigung? Aber – Herr Vetter – haben Sie nicht eine Nutznießung des Gutes, nämlich eine Prise, schon von mir bekommen?«

»Er ist Bedienter; man mache sich nicht so breit hier!«

»Und man mache sich nicht so groß anderswo!« rief Poll energisch. »Wenn Sie noch einmal die Treppe hinauf zu meinem Herrn kommen, so sollen Sie sehen, was die schlechte Welt im Stande ist! Einen Winkel-Advokaten die Treppe hinunter werfen, soll ihr eine Kleinigkeit und gar kein Friedensbruch sein. Verstehen Sie mich? Hier haben Sie Ihren elenden Plunder von einer Dose, die Sie beim Weggehen aus der Tasche verloren haben!« – Er warf sie ihm vor die Füße. »Ich brauche Ihren Tabakskasten nicht, und wenn er von Brillanten wäre! Aber wenn Sie das – Diebstal heißen; so möchte ich wissen wie das zu nennen ist, was Sie im Käsemenger'schen Prozesse beabsichtigt und theilweise schon gethan haben?«

»Mach' Er, daß Er weiter komme!«

»Und sagen Sie meinem Vetter, daß die Menschheit seiner nicht bedarf, und daß es sehr gut wäre, wenn er geopfert würde, wie manches andere liebe Opfer – verstehen Sie? – Und wenn Sie nicht ruhig auf Ihrem Platze bleiben und wenn Sie mich anrühren, so soll das Haus und die Umgebung, ja vielleicht ein anderer Advokat, ein wahrer Rechts-Anwalt, mehr von mir zu hören bekommen!« 339

Ziesewitz, der vorgehen gewollt, blieb lederbraun und wie angewurzelt auf seinem Flecke.

»Leben Sie wohl!« sagte Poll freundlich und wie mit Rührung. »Ich trenne mich sehr ungern von einem so edelmüthigen Menschen; und wenn die Welt schlecht ist, so sind Sie wirklich ein höchst merkwürdiges Exemplar von – noch größerer Erbärmlichkeit!«

Damit drehte sich Poll zur Thüre, nickte noch einmal zurück nach Ziesewitz, der vor Wuth und Schande bebend stand, und verschwand.

Draußen setzte Poll seinen Hut auf, dachte: es ist doch gut, wenn man ein Bischen Philosophie hat! Und die Welt, als Kaninchentheaterdirektor, erfahren!« setzte er hinzu. Dann ging er in die nächste Wirthsstube, sich ein wenig gütlich zu thun.

»Hol mich der Teufel, wenn der Schurke einen Heller für Stempel von meinem Herrn gezahlt bekommen soll! Das soll er wenigstens für seine Schlechtigkeit büßen! Und man muß so einem überschlauen Advokaten zeigen, daß alle Füchse noch nicht im Gerichtsgebäude und in ihren Kanzleien zusammengejagt sind!« sagte Poll zu sich selbst. »Jetzt will ich meinem lieben guten Herrn sagen, was ich gethan – und wenn er mich fortjagt – ich konnte nicht anders!« –

Madame Trullemaier war die Erste, welche die That erfuhr. Sie lächelte sehr vergnügt, und sie sagte zu ihm freundlichst:

»Na, jetzt fange ich an seine . . . wie heißt es?«

»Philosophie!« 340

»Seine Philosophie doch nicht ganz für Dummheit zu halten.«

»Das ist wirklich sehr philosophisch von Ihnen!« sagte Poll.



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