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Poll Hinze und Schwach schreiten in der Nacht dahin. – Von den Kindern und ihrer Weihnacht – auch von Schnepselmann's – und zuletzt macht Madame Trullemaier ihren Gefühlen über eine Frau derart Luft – daß Schwach Poll zu Hilfe rufen muß und ein Plan gemeinsam beschlossen wird.
Schwach und Poll gingen in der Nacht durch die leeren Straßen.
Der Mond schien über den glitzernden Schnee. Und wenn einzelne graue Wolken an der lichten Mondscheibe vorüberzogen, bildeten sie seltsame, wandelnde Figuren und Schatten auf der weißen Schneefläche unten.
Schwach's Herz war voll, selig und doch wehmüthig bewegt. Wie wohl war ihm in der Erinnerung an den verbrachten Abend, wie heimelte ihn ein Familienkreis an! 158 Krimpler, der früher, so lange er auch neben ihm war, ihm fremd, verschlossen geblieben, mit dem er, wie mit allen Andern, nur so viel verkehrt, als für das Geschäft nothwendig gewesen, Krimpler war ihm jetzt eine ganz neue, erschlossene Welt. Der Mann gewann an Wichtigkeit, Liebe und Aufmerksamkeit; er, der Unscheinbare, der früher nichts als seine Rechnungen und seine Einschreibebücher zu haben schien, ward jetzt als der Mittelpunkt, ja als eine Sonne klar, – um die sich Planeten in ihren Bahnen herumneigten und bewegten.
Jeder Mensch wird uns, sobald wir ihn als einzelnes Wesen zu betrachten aufhören, und sobald wir seine Beziehungen im Leben zu andern Menschen erfahren, in ähnlicher Weise schätzbar, der Liebe, oder Achtung oder des Mitleides werther. – Wenn doch die Hohen, oder Reichen und Gebieter, die auf unter ihnen Stehende hinabblicken, gleichsam wie auf nur für sie gemachte lebende Werkzeuge, die nichts anderes als ihren Dienst zu denken, zu fühlen und zu üben hätten; wenn sie nur in das Haus und dadurch in das Herz dieser Menschen sähen – es stände viel besser um die Welt!
»Nun Poll«, sagte endlich Schwach nach einer längern Zeit des Stillschweigens, in der er an seiner Seite ging; »wie war's denn mit seiner Bescherung?«
»Recht gut, danke sehr; und ich habe von Brunk und seinem Weib die schönsten Empfehlungen und tausend Dank zu bringen. Muß mich auch entschuldigen, daß ich so spät gekommen. Der Weg ist weiter als ich gedacht hatte, und ich habe mich ein Bischen verschwätzt, auch mit den Kindern verspielt.«
»Mit den Kindern, Poll? Ich hörte bereits von 159 Kindern sprechen. Ist der Poll Vater? Vor mir braucht es nicht des Verhehlens; und im Gegentheile, kann ich was thun . . .«
»Nein, verehrtester Herr,« sagte Poll sehr erfreut, »ich hab' Gottlob keine Kinderbeine und keine Kinderkrankheiten – durchaus nicht, ich versichere es offen und ehrlichst. – Auf mein Gewissen, bester Herr!« betheuerte er noch ernst. »Aber ich habe Kinder gefunden, von denen ich eben so wenig weiß, wie ihr Vater oder ihre Mutter heißt, als ich weiß, was für ein Name im Taufscheine des Mannes im Monde sich vorfinden mag.«
»Was ist's mit den Kindern?« fragte Schwach, neugierigst angeregt und mit gutmüthigem Interesse.
»Der Brunk, welcher, bester Herr, danken ließ für so viele Güte, hat sein Weib eingemiethet bei einer Kostfrau. Das heißt, nicht einer Kostfrau für sie, sondern für arme Würmer, Kinder genannt. Diesen habe ich, und auch Madame Trullemaier, eine kleine »Weihnacht« geschenkt, und sie haben sich englisch, unaussprechlich gefreut! Den armen Kindern geht's sehr schlecht, und namentlich habe ich zweie bemerkt, deren Mutter vor nicht langer Zeit gestorben ist, ich glaube im Spitale, und welcher armen Kinder sich nun Niemand annimmt! Die Kostfrau hält sie aus Zwang, weil sie ihr einmal von der todten Mutter verblieben sind, und noch keine Behörde sie in Versorgung nehmen will. Die Kostfrau könnte leicht, um Gotteswillen, die Kinder vorläufig ordentlich ernähren; aber das Gesindel, das sich oft zur Kinder-Wartung und Zucht hergibt, verdienete oft selbst ein Zuchthaus, und die armen Würmer haben es nun so schlecht!«
»Hm . . .« sagte Schwach nachdenkend, ». . . wegen 160 des vorläufig nöthigen Geldes, denke ich, ist ja keine Sorge, so lange der Poll zu mir ein Wörtchen reden kann. – Und es braucht's ja keine Seele mehr zu wissen. – Vorläufig ist die Sache so in Ordnung, daß mir nur gesagt zu werden braucht, wie viel . . .«
»Mein Gott! Bester, lieber Herr, wie soll ich Ihnen danken!«
Und Hinze blieb gerührt stehen, schlug die Hände innig zusammen, und griff dann nach denen Schwach's, um sie zu küssen.
»Poll, Poll . . . doch nicht so . . . wegen einer solchen Kleinigkeit noch reden!«
»Bester, allerbester Herr! Erst nehmen Sie mich an, ohne mich zu brauchen, und mein Dienst ist wirklich fast gar keiner; dann nehmen Sie den Brunk in Schutz, als wäre er ein alter Bekannter von Ihnen; und wenn Ihnen Madame Trullemaier nur einen Namen eines meiner, oder ihrer bekannten Armen nennt, helfen Sie gleich. Und jetzt die Kinder . . .«
»Poll . . . Poll . . . wenn der Poll noch solche . . . solche unangenehme, ja peinliche Dinge spricht . . . so ist's besser, ich gehe allein.«
»Ich schweige schon, Herr!«
»Und wird nie wieder derlei sprechen?«
»Hm . . . hm . . .« meinte Poll, und endlich »wenn Sie's befehlen, gewiß!«
»Gut; und ich rechne darauf. – Sollen die Kinder nicht bald besucht werden?«
»In den nächsten Tagen, bester Herr, würde ich, wenn Sie's erlauben.«
»Sobald es nur geschehen kann und Poll selbst mag!« 161
Somit waren die Verhandlungen über diesen Gegenstand in der That abgebrochen.
Von Poll's Christabend mit Brunk, Liese und den Kindern zu erzählen, wäre in einer Art überflüssig; denn wer gute Menschen gesehen, in einem Augenblicke, wo sie wohlthun, hat das, wenn auch eigenthümliche, Dreiblatt gesehen.
Aber der Hergang, wie die Kinder zur Bescherung und zu einer »Weihnacht« kamen, der von ihrem vorsorgenden Schicksale, in Gestalt der Kostfrau, weder beabsichtet noch vermuthet war, ist zu eigenthümlich und zu würdig, um verschwiegen zu werden!
Kostfrauen, milde Damen, welche die Erziehung und Pflege Unmündiger, von der unmündigsten Sauglappen-, Milch- und Milchzahn-Zeit, bis zu den Milchbärten und großjährigen Milchgesichtern, übernehmen, gibt es in Menge. Sie bestehen auch für Mengen, und der Kleinhandel der Eltern wird hier als menschenfreundlicher Großhandel betrieben. Lästerzungen nennen solche Damen zuweilen Engelmacher, Himmelsleiter, wegen der häufigen Erlösungen aus dem irdischen Jammerthale, welche bei ihnen vorkommen – aber lediglich Fatum, unergründliches Schicksal sind! –
Die Kostfrau ging schon in den Nachmittagsstunden zu einer Gevatterin, um dort den Christabendschmaus zu halten. Sie legte, zwang eigentlich, sämmtliche Kinder zu Bette, bei einbrechender Dunkelheit, was in dieser Winterszeit schon wenige Stunden nach Mittags der Fall ist. Sie nahm hierauf den Schlüssel der Stube mit sich, da sie nicht einmal warten wollte, bis Liese wiederkomme, die nur einen 162 kurzen Weg gegangen war, um Kleinigkeiten für den Abend zu besorgen. So sollte der Kostkinder Weihnacht sein!
Poll trat Abends zu Liese, in den engen Dachstubenraum, der sie abschloß und der gerade ein schmales Bett und einen Stuhl fassen konnte. Er traf sie, betrübt über das Schicksal der armen Kleinen, an. Poll, der dem todten Kinde geholfen, wußte noch Besseres für die lebenden Kleinen, denen er ohnehin schon die Taschen voll vorgesorgt hatte!
Einen Ditrich aus einem Nagel fabriziren und das miserable Schloß an der Wohnungsthüre der Kostfrau aufsperren, war ihm ein Werk von sehr geringem Belange! – Er trat in die finstere Stube zu den Kindern, mit Licht, wie ein guter Geist, wie eine heilige Christerscheinung, wenn der Vergleich nicht zu erhaben wäre. Brunk humpelte hinterdrein, und Liese herzte ein Kind nach dem andern, das ihr die Aermchen entgegenstreckte und die ausgeweinten Aeuglein an ihrem Busen barg!
Die Bescherung ward ein himmlisch Vergnügen für alle Anwesende; und Brunk's Edi selbst hätte nicht mehr geherzt und geliebkost werden können, als der kleine Arthur, der sich vorfand, und dessen dunkle Augen erst recht lieblich leuchteten, als ihm Liese den Schmutz vom Gesichte gewaschen und die feinen, weichen Hare glatt gestrichen hatte. Die Kindlein waren überhaupt so matt und geistig niedergedrückt, daß Liese sie mit frischem Wasser in- und äußerlich erst erquicken mußte, um ihnen ein bischen Lebhaftigkeit zu ertheilen.
Daß Madame Lampe, die edle Erzieherin, bei ihrer Nachhausekunft äußerst überrascht und bis zum fast sichtbaren Herzklopfen, von ihrer beleuchteten und zur 163 Ordnung entstellten Stube, erschreckt wurde, läßt sich wol denken. – Keineswegs möge man aber vermuthen, daß Poll sie mit einem Geständnisse der Thatsache begrüßte. Im Gegentheile ließ er, mit der schauerlich-ernstesten Miene, einen solchen Hagel von Worten, wie: »Nachlässigkeit,« »Unvorsichtigkeit,« »Besserzusperren,« »Inachtnehmen,« »Diebe,« »Gesindel,« »Polizeistrafen wegen Offenlassen,« und derlei, auf die edle Erzieherin losstürzen, daß sie ihm sehr bewegt dankte für die besondere Güte die er hatte, ihre offengelassene Wohnung zu schützen und sich so außerordentlich freundlich ihres Eigenthums anzunehmen!
»Was wäre aus mir geworden,« rief Madame Lampe in hoher Anerkennung, »wenn Sie der Zufall nicht zu meinem Glücke hergeführt!«
Ein Kinder-Wauwau sicherlich nicht mehr, dachte Poll, denn das bist Du schon; und dabei lächelte er sehr vergnügt über seinen Zufall und ihr Glück.
Die Edle und sonst jederzeit Vorsichtige konnte zwar lange nicht begreifen, wie es gekommen, daß sie offen gelassen, da sie doch auch diesmal den Schlüssel öfter herumgedreht habe. Aber die Thatsache lag vor, daß die Thüre ohne ihren Schlüssel aufgegangen war, mithin mußte jeder Zweifel beiseite!
Brunk kicherte, im Forthinken, so sehr, daß seine Narbe ganz roth wurde, und er trappelte mit seinem Stelzfuße dazu, indem er meinte: »Der Poll kann alte Kerle wieder jung machen; und seit meinem Soldatenleben ist mir ein solcher Spaß nicht wieder vorgekommen!«
Den Abschied und alles Uebrige lassen wir.
Schnepselmann's Gesellschaft, die zu gleicher Zeit stattfand, hätte wol auch einiges Recht von uns beachtet zu 164 werden. Aber so großartig und liebreizend sie war, so familiär sie sich unter seinen »Fittigen« bewegte, womit er wahrscheinlich doch nur seine schwarzen Frackschösse gemeint haben konnte, so selbstverständlich sind ja ihre Vorgänge! – Madame Trullemaier liebäugelte nach einem Herrn, der Geld und ein Weib suchte; ein Herr liebäugelte wieder anderswohin und bedurfte ebenfalls mehr Geld als Frau; eine Andere benöthtigte dagegen ein Kapital ohne Mann; abermals ein Anderer besaß ein Weib, hätte jedoch gerne eine zweite Dame abgegeben, nämlich seine Tochter; und so fort! Alle befanden sich sehr wohl unter den »Fittigen,« keine Person aber so kannibalisch-ungeheuer-vergnügt, als Alexius, der heimlich in alle Schüsseln mit dem Finger fuhr und sie versuchte, Flaschen stibitzte, heiße Pastetchen, mit Aufopferung seiner Fingerspitzen, in die Taschen schob, unterschiedliche Fettflecke in seine Prachtstücke brachte, und auch zuletzt, wegen dringender Mahnungen seiner Magenmuskeln, sich in Abgeschiedenheit verfügen mußte. Seine innigen Beziehungen mit der Dame an der Tafel, blieben Geheimniß, und wurde ihm hierüber Verschwiegenheit eingeschärft. Wer Schnepselmann's Bemühungen, Verwechslungen, Reden, Frisuren, dann Korrekturen für den Dienstbeflissenen, kurz alle Thaten an diesem Abende, schildern könnte, verdienete sämmtliche Orden der Welt und noch einen dazu.
Die »Besittigten« schieden; und was die Folgen in den Kirchenbüchern, bezüglich Trauungen, in den Grundbüchern, wegen Häuser-Hipotheken, oder in den Annalen der Wechsel- und Gerichtsstuben, waren, das zu wissen, müßte man nur – eine Schnepselmann'sche Agentur errichten!
Wenige Zeit nachher trat Madame Trullemaier in ihres Gebieters Stube. Sie suchte vorerst allerlei zu thun, 165 dann stellte sie sich, endlich doch, dem unaufmerksamen Herrn, der eben eine Zeitung ruhig gelesen hatte, gegenüber, stemmte die Arme sehr entschlossen in die Hüften, hob dann die geballte Rechte und ließ diese sehr energisch, aber ohne Lärm, auf den nahe stehenden Tisch fallen.
Schwach sah auf.
»Und Sie können das dulden?«
»Was denn, Frau Tru . . . .«
»Diese niederträchtige, elende, gemeine, herzlose, räuber- und mordbrennerische Behandlung der Kinder!« sagte Madame Trullemaier, mit stets an Kräftigkeit wachsender Stimme.
»Aber, Werthe, wie kann ich in Dinge, die . . .«
»Die Sie etwa nichts angehen? Nichts angehen! Haben Sie nicht Ihr gutes, bares, klingendes Geld hingegeben, um die armen Würmer besser behandeln zu lassen? Und doch . . .«
»Doch ist's nicht besser?« sagte Schwach überrascht.
»Nicht besser, nicht um ein Quentchen, nicht um ein Har, oder einen Strohhalm! – Brunk's Weib, die Liese, ist mir auf dem Markte begegnet, und da habe ich wieder saubere Dinge gehört!«
»Aber, meine Liebe, ich bezahle ja gerne vorläufig für die Kinder, bis die Behörden . . . .«
»Und wenn Sie Tausende geben, so bekommen die Kinder höchstens um einen Sechser was davon. Das kann nicht gehen, das kann nicht so bleiben!«
»Was soll ich machen?«^
»Hingehen sollen Sie, und das elende Weibsbild bei den Haren nehmen, und ihr die Krokodillsaugen herausreißen . . .« Madame Trullemaier zuckte mit den Fingern. 166
»Nun, nun . . .« sagte Schwach beschwichtigend, »das wäre doch zu arg.«
»Zu arg? Zu gut für sie! Sie sollte gerädert, den Raben zum Futter gegeben werden, dieses Rabenweib!«
»Machen Sie was Sie wollen, ich bitte Sie, um es den Kindern zu verbessern, aber mich . . .«
»Machen was ich will?« rief die Trullemaier rasch. »Gut! Ich werde hingehen! Ihnen ist es also recht! Kein gutes Har will ich an ihr lassen, keinen Winkel soll sie undurchstöbert behalten, ihren ganzen Kram und ihre ganze Bude will ich ihr umkehren, sie soll Augen machen und an mich denken und mich nicht vergessen Zeit ihres Lebens! – Alles in Ihrem Namen!«
»In meinem Namen?!«
»Allerdings, in wessen denn? War's nicht und ist's nicht noch Ihr Geld!?«
»Aber . . .«
»Aber, ich bitte Sie, haben Sie darüber keine Sorge und Angst. Sie möge klagen! Lassen Sie mich nur machen!«
»Doch wozu die Heftigkeit? Läßt sich das nicht in Güte . . .«
»In Güte!« Und Madame Trullemaier hob tragisch beide Hände gen Himmel, als hätte Schwach den schauerlichen Gedanken ausgesprochen, man müsse die Kinder lebendig verspeisen. »In Güte! Mit dieser Person in Güte! Wo denken Sie hin? Ich glaube, wenn man Ihnen das Haus anzündet und Ihren Rock dazu, wollen Sie sich auch noch in Güte vertragen!« rief sie heftig.
Schwach nahm dies nicht sehr erfreut auf. Sofort setzte sie seelenkundig hinzu: »Ich meine, Sie sind zu gut, 167 viel zu gut, engelsgut – zu gut für alle diese Leute! Himmel, wenn ich Sie wäre, ich wollte . . .!«
»Aber mir geschieht nicht gerade wohl,« sagte Schwach in wenig mißlaunig, jedoch stets mit seinem wohlwollenden Ausdrucke, »wenn andere Leute durch mich . . .«
»Nun, Sie sollen sich trösten, bester Herr,« sagte die Haushälterin gelassener; »es geschieht ihr nichts, garnichts; aber sagen will ich's ihr, sagen . . .!« Und sie zuckte abermals mit den Fingern.
Schwach bekam jetzt einen Einfall. »Wollen Sie denn allein hingehen?«
»Wünschen Sie vielleicht mitzugehen?« war die rasche Antwort. »Das wäre recht, das wäre recht!«
»Nein, ich wünsche nicht . . . aber Poll . . .«
»Poll . . . nicht Sie?«
»Poll versteht das besser. Er ist auch ein Bischen sanfter . . .«
»Sanfter? Bin ich nicht sanft!?«
»Allerdings; aber . . .«
»O, ich bin nicht sanft! Ich bin ein Ungeheuer, ich bin furchtbar, ich bin unausstehlich!« Und sie hob die Schürze und begann darein zu thränen.
»Beste Trullemaier!« rief Schwach gepeinigt, indem er aufstand, »ich bitte Sie . . . ich sagte ja nicht . . . . ich dachte ja gar nicht . . . es fiel mir ja gar nicht ein . . . .«
»Ich bin ein Ungeheuer!«
»Das sagte ja kein Mensch der Welt.«
»Aber Sie hätten's sagen mögen!«
»Doch, ich sagte es nicht, und meinte es auch nicht so.«
»Meinten nicht? Gewiß nicht?« 168
»Keineswegs, im Gegentheile.«
»Im Gegentheile, ah, ich bin sanft?«
»Allerdings, nur zuweilen . . .«
»Nun,« sagte die Trullemaier, wieder beschwichtigt, »wenn man bei dieser Frau Lampe . . . dieser Frau? diesem Drachen!« rief sie, »sanft sein sollte, dann weiß ich nicht . . .«
»Nun gut,« sagte Schwach nach dieser Entschuldigung; »weil eben dies so herzergreifend ist und Sie . . . so zart fühlen, darum meinte ich eben, daß ein Anderer . . .«
»Um mein Gemüth zu schonen . . .«
»Allerdings, um Sie zu schonen.«
»Und der Poll ist diese Person, die weniger fühlt?«
»Poll ist es, meinetwegen; senden Sie mir nur gleich den Poll.«
Damit ging die Madame beruhigter zur Thüre und rief nach dem Herzlosen hinaus.
Er stand sofort im Zimmer.
»Poll!« sprach ihn die Sanfte recht rasch an, »der Herr will, daß Sie mit mir zur Lampe gehen und . . .«, ihr die Hare ausziehen, hätte sie vielleicht gerne gesagt, wenn es nicht vor Schwach gewesen wäre und dieser sogleich das Wort genommen hätte.
»Ich wünsche, daß der Poll mit Madame Trullemaier zur Kostfrau der Kinder gehe und dort sehe, was zu machen sei; aber im möglichst gütlichen Wege.«
»Im möglichst gütlichen Wege,« wiederholte Poll ganz ruhig.
»Und daß es kein Aufsehen im Hause gebe.«
»Kein Aufsehen im Hause gebe,« sprach Poll gelassen nach. 169
»Kann ich mich verlassen?«
»Verlassen.« Und er verbeugte sich, ging langsam zur Thüre und wollte die Stube räumen. Plötzlich aber drehte er sich bei der Thüre um, kehrte wieder einige Schritte zurück, zu Schwach, und sprach mit der größten Gelassenheit. »Erlauben gütigst . . .«
»Was denn?«
»Ein par Zähne 'rausschlagen darf ich ihr?«
Schwach sah ihn erstaunt und etwas erzürnt an. Die Trullemaier triumfirte: »Sehen Sie,« rief sie, »das ist nun der Sanfte!«
»Aber,« sagte Schwach, »ist denn eine Verschwörung gegen die Lampe?«
»Eine Verschwörung? Sie ist die Verschworene gegen Menschenkinder!« rief die Dame.
»Halten zur Güte, bester Herr, ich habe schon ein Bischen Philosophie und weiß eine Haselstaude von einem Kirchthurm zu unterscheiden; aber da hört alle Philosophie auf! Und wenn ich zur Lampe 'nauskomme, da muß ich« – hier schürzte er mit der allergelassensten Miene die Aermel auf – »ihr was Neues erzählen!«
»Poll,« sagte Schwach eifrig, »keinen Skandal, keinen Zorn . . . nicht heftig sein. Ich will es wirklich nicht . . . ich dulde es wahrhaftig in keinem Falle!«
Poll ward von der ernsten Absicht seines Herrn überzeugt. »Sie wollen es in keinem Falle?« sagte er jetzt kleinlaut.
»Nein, durchaus nicht.«
»Durchaus nicht? Hm!« Und Poll sah betrübt eine der schönsten Erwartungen vernichtet. Er meinte es nicht gerade ganz buchstäblich, aber ihm war es meist um den 170 vollen Ausdruck seines Zornes und seiner Verachtung zu thun. »Wenn Sie es nicht wollen, Herr, da muß es schon anders geschehen.«
»Wie denn?!« fragte Madame Trullemaier heftig, als könnte sie nicht denken, daß man diese Angelegenheit anders in Ordnung zu bringen im Stande wäre, als mindestens dadurch, daß man etwa sämmtliche Nachbarinen der bezüglichen Umgebung allarmire, und mit kräftiger Stimme, dem verehrten Auditorium des gediegenen Schauspieles, sämmtliche Anliegen vortrage.
»Wie? – Man muß die Frau Lampe 'rumbekommen!« sagte Poll, ohne noch recht zu wissen, wie er das ausführen werde.
»Wie denn, Poll?« fragte Schwach mit beruhigtem Gemüthe, indem er wenigstens den Einen auf seine Absicht eingehen sah.
»Wollen Sie das mir, oder uns Beiden überlassen, bester Herr?« sagte Poll, indem er seinem Gebieter mit ergebener Freundlichkeit und aufmunternden Blicken ins Gesicht sah.
»Gerne, sehr gerne,« sagte Schwach eiligst.
»Aber ich muß einverstanden sein!« rief rasch die Trullemaier, vorbeugend, damit der Pakt ja keinen mangelhaften Paragraf habe.
»Natürlich, natürlich, niemals ohne Dieses, hier im Hause!« sagte Poll und brachte hiedurch ein allseitiges Schmunzeln hervor.
»Also, ich verlasse mich – es ist in Ordnung!« sagte Schwach nochmals, um nicht Rückfälle besorgen zu müssen. Und somit war die Vollmacht und Einwilligung gegeben. 171 »Nehmt den Kindern Einiges mit,« sagte er, als die beiden sich entfernenden Hausgenossen bereits bei der Thüre waren. »Aber nur ruhig, nur gelassen!« waren seine empfehlenden Schlußworte.