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Gärtlein im Schlackenhof.

Als Frau Lorent ihre beiden Kinder in die Stadtschule zur Einschreibung brachte, erreichte sie nur, daß Agi als ordentliche Schülerin ausgenommen wurde. Koja, der noch nicht schulpflichtig war, wurde zurückgewiesen. Er sollte in den Kindergarten gehen. Da verlegte sich der Bub aufs Bitten und Agi half ihm dabei. Sie versicherte, Koja könne schon alles lesen und schreiben und auch schon rechnen. Und sie bat mit aufgehobenen Händen, der Herr Oberlehrer sollte ihn nicht wegschicken. Die Mutter führte einen triftigen Grund ins Treffen. »Für die Spielschul' ist der Bub zu groß, er ist auch schon das stramme Lernen gewohnt, wenn er nicht so weiterarbeiten darf, verfaulenzt er.« Da ging der Oberlehrer vom Wort des Gesetzes ab, ließ den Jungen prüfen und fand ihn für die zweite Klasse reif. Aber er schrieb ihn nicht als Schüler ein. Nur als Gast durfte der Bub die Schule besuchen, was lag daran, die Hauptsache war, daß er wieder in der Schule war. Eines nur tat Agi leid. Koja kam in die zweite Bubenklasse, während sie selbst in der dritten Mädchenklasse Aufnahme fand. Da hatte sie ihn nicht unter den Augen.

Weil in der Stadt die Schule aus den Steuergeldern erhalten wurde, entfiel das Mitbringen der Schulkreuzer durch die einzelnen Kinder, und Mutter Maria war glücklich, beide Kinder in der Schule zu haben.

Und wenn Agi das Brüderchen auch während der Schulstunden nicht unter ihrer Obhut hatte, sie behielt die Führung, sie kümmerte sich drum, daß er daheim die Hufgaben erledigte, bevor er sich einem Spiele hingab.

Der Schlackenhof wäre wohl für Koja ein trauriger Spielplatz gewesen, wenn die Geschwister nicht in Ännchen, dem blonden Töchterlein des benachbarten Müllers eine Gefährtin gefunden hätten, welche mit Agi in dieselbe Klasse ging und als gute Weggefährtin ihre Freundschaft gewann. Und Koja wurde von Ännchen in die Freundschaft eingeschlossen. Als Kind wohlhabender Eltern hatte sie vor den Geschwistern so manches voraus; sie hatte mehr gesehen, sie war schon oft im Kindertheater gewesen und wußte davon viel zu erzählen. Kein Stück aber machte auf Koja und Agi einen so tiefen Eindruck als die »Genoveva«. Für ihre Geschichten nahm Ännchen Agis Märchen in Tausch, unter denen ihr wieder die Rübezahlmärchen so viel galten, daß sie den Drang nach Darstellung weckten. Der Schlackenhof wurde zur Bühne. Koja wurde mit Flachsbart und Holzknüttel zum Berggeist Rübezahl, Agi bekam die Rolle der armen Witwe, die für andere Leute klöppelte, und Ännchen spielte das Söhnchen der Witwe, das als Holzklauber von Rübezahl beschenkt wurde. Und Rübezahl mußte sein Gärtlein haben, wo die Heilkräuter wuchsen. Da trug er denn von den Maulwurfshügeln der wiese am Mühlkanal die Erde ein, belegte damit einen tischgroßen Fleck im Schlackenhof, stach am weg Thymianbüsche und Maßliebchen aus, pflanzte sie in sein Gärtchen und Ännchen steuerte einige Geranien bei. Run war auf einmal der Schlackenhof nicht mehr wüst, denn er hatte ein grünendes, blühendes Fleckchen, das die Augen erquickte.

Der Thymian duftete, wenn die Sonne darauf schien. Und Ännchen wußte ein Blumenmärchen vom Thymian. Das stand als erstes in Jaroslav Erbens »Blumenstrauß« Kytice, Verlag Otto, Prag., jener Sammlung von Sagen und Volksmärchen, in denen die Spuren der heidnischen Deutungen von Naturerscheinungen erhalten sind. Das Märchen war auch eine Deutung des tschechischen Namens für Thymian:

» Mutterseele«.

»Eine Mutter war gestorben und ist begraben worden. Da kamen ihre Kinder tagtäglich zu ihrem Grabhügel. Sie benetzten ihn mit ihren Tränen und wünschten gar sehr, noch einmal den Hauch von der Seele ihrer Mutter zu spüren. Und eines Tages sahen sie, daß aus dem Grabhügel grüne, zarte Kräutlein sprossen. Die verbreiteten einen gar lieblichen Duft. Den Waisen wurde leicht ums Herz. Sie atmeten ein den Hauch von der Mutterseele.«


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