Autorenseite

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Schule des Lebens.

Dank dem Geleitbriefe des Lehrers Andres wurden die Lorentischen Kinder in der Gaminger Schule dem Lehrer Eggenberger in die Oberklasse gegeben, Koja in die unterste, Agi in die mittlere Abteilung. Der Lehrer lieh den Kindern, was sie an Schulbüchern brauchten, wies ihnen die Plätze an und schien sich nicht weiter um sie zu bekümmern. Darin unterschied er sich vom Leobersdorfer Lehrer, aber nur scheinbar. Wohlwollend beobachtete er die Geschwister, unauffällig aber stetig. Da entging es ihm nicht, daß sie mit geradezu andächtiger Aufmerksamkeit dem Unterrichte folgten. Gleich am ersten Tage hatte er bemerkt, daß es in Kojas Gesichte wie von verhaltenem Zorn wetterleuchtete, als in der Unterrichtspause ein Gaminger Junge ihm wegen der schlechten Aussprache des Deutschen nachgehöhnt hatte. Aber er machte davon kein Aufhebens; der zartfühlende Lehrer wollte die fremden Kinder nicht der Gehässigkeit der andern aussetzen und wartete zu, bis sie sich das kameradschaftliche Wohlwollen der Klasse erworben hätten. Streng zu sein, schien dieser Lehrer gar nicht nötig zu haben. Mit zwei Zaubermitteln hielt er die Klasse in Zucht: er war ein Meister im Geschichtenerzählen und ein Meister im Violinspiel. Ging eine Lehrstunde zu Ende und hatte kein Kind zum Tadel Anlaß gegeben, dann wurde die ganze Klasse belohnt. Die Kinder durften wählen, was sie singen wollten. Hatte aber der Lehrer gar Ursache gehabt, nur ein einziges Kind für eine besonders gute Leistung zu loben, so kam der Verdienst des einen allen andern in höherem Maße zugute. Der Lehrer setzte sich auf den Pultdeckel der ersten Bank in der Mittelreihe und sagte: »Weil mich einer von euch recht froh gemacht hat, drum möcht' ich euch allen eine besondere Freud' machen. Wollt ihr eine Geschichte hören?« – Da scholl es ihm aus sechzig Kindermündern entgegen: »Bitt'! bitt'! ja, eine G'schicht!« Im Nu war die Klasse auf; die vordersten Bänke füllten sich mit Buben und Mädeln, die Schulter an Schulter zusammenrückten, um dem Lehrer recht nahe zu sein. So saßen sie buchstäblich zu Füßen des geliebten Lehrers. Und schon war die Ruhe wieder hergestellt, aller Augen hingen an dem Munde Eggenbergers, der anhub: »Es war einmal …« Und er nützte das Viertelstündlein wohl.

Langsam, behaglich und mit lebhaftem Mienenspiel erzählte er aus dem Leben der Holzer und Flößer, der Köhler und Jäger, der Pecher und Wurzer, der Holzklauber und der armen Näherinnen, aber auch aus dem Leben der Bauern und Handwerker und Krämer. Er kannte die Entstehungsgeschichte der Bauernhöfe und Hammerwerke ringsum, da wurzelten all seine Erzählungen im Boden der Heimat. Und ehe die Glocke das Ende der Stunde verkündete, hatten die Kinder ein Erlebnis nacherlebt, das wert war, erzählt und erlauscht zu werden. Nur selten war es ein trauriges, etwa, wie der Holzer Gscheider Vergleiche: H. Th. Sonnleitner: »Die Hegerkinder (II) in der Lobau.« Deutscher Verlag für Jugend und Volk, Wien, Burgring 9. als Wilderer von den Gendarmen weggeführt worden war, wie er sich als Abgestrafter dem Trunke ergeben hatte und beim Holzfällen von einem stürzenden Baum erschlagen worden war. – In den meisten Geschichten aber war es so, daß einer durch Geschicklichkeit und Fleiß sich die Wertschätzung anderer als Arbeiter erwarb, daß er durch Sparsamkeit und Mäßigkeit zu einem bescheidenen Vermögen kam, daß er sich durch seine Hilfsbereitschaft und Gefälligkeit die Liebe der Gemeindemitglieder verdiente. Und dann war es eine gute Gelegenheit, die man ihm gegönnt und die er klug erfaßt hatte, ein besonderes Glück zu machen.

Dem Lehrer wie den Kindern waren solche Geschichten lieber als die vom Niedergang. Das vorwärts und Aufwärts zu erleben war eine Lust und teilte sich als Strebung den Lauschenden mit.

Koja und Agi verstanden wohl nicht jedes Wort, das der Lehrer sprach, aber sie verstanden dank dem Mienenspiel und den Gebärden des Erzählers genug, um durch angestrengtes Raten und Vermuten den Zusammenhang zu erfassen. So wuchs die deutsche Sprache in ihnen, und sie gewannen den Mut, sich ab und zu im Unterricht zu einer Antwort zu melden. Und jetzt war es die lebhafte Freudenäußerung des Lehrers und das darauffolgende Geschichtenerzählen als Lohn, das den Geschwistern ein verdientes Wohlwollen der Klassenkameraden erwarb; der Spott hörte auf; sie hatten das Ansehen von gescheiten Kindern.

Mutter Maria war wieder in ihrem Glück und Vater Lorent war wieder auf seine Kinder stolz. Und weil Koja – wenn auch zaghaft – den Wunsch geäußert hatte, er möchte Geigenspielen lernen, kaufte ihm der Vater vom nächsten Monatslohn eine Geige, und von nun an nahm sein Bub am Violinunterricht des Lehrers Eggenberger teil, wieder ein Schritt vorwärts auf dem Wege zum Ziel, das Koja sich als Sechsjähriger gesteckt hatte.

Das Bild des Amos Komenius hing wie das Bild eines Heiligen hinter Glas und Rahmen überm Bett des Knaben. Es wirkte stetig in sein Innenleben hinein; die Vorstellung des guten Lehrers war der Kern, an den sich jedes neue Erleben solcher Art anschloß; dies um so mehr, als Koja in seinen Wanderjahren das Glück hatte, aus den Händen eines guten Lehrers in die Hände eines andern guten zu kommen; ihre verschiedenen Vorzüge und Tugenden ließen es ihn im voraus erleben, wie er selbst sein wollte, wenn er Lehrer würde. So genoß er seine Lehrervorbildung als Kind.

Es wäre den Lorentischen in Gaming ganz gut gegangen, wenn die ehemalige Mönchswohnung im steinernen Zellhause heizbar gewesen wäre. Aber die Mönche hatten keine Ofen in ihren Zellen gehabt. Die karge Wärme des Holzfeuers auf dem offenen Herde unterm weiten Kamin in der Küche, die gegen den Stiegenraum nicht abgeschlossen war, ging für die Wohnung verloren. Was nützte es, daß Lorent von der Bahnverwaltung billig Kohle bekommen hätte, wenn er keinen Ofen in der Wohnung hatte? Da kaufte er ein gußeisernes »Kanon«-Öflein auf Borg und dazu lange Rohre. Er stellte das Öflein im Zimmer auf und führte das Rauchrohr durch die Mauer hinaus in den Kamin.

Jetzt war es möglich, wenigstens das Zimmer mit Kohle zu heizen; für den offenen Kochherd draußen war Holz nötig. Das war aber von der neuen Bahn nicht zu haben. Es gab noch keine alten Schwellen. Kohle und Holz kosteten Geld; an Geld aber war Mangel, da war auch Mangel an Wärme. Was Wunder, daß Vater Lorent seine freie Zeit in Trinkls Wohnung zubrachte, wo es behaglich warm war, weil die Schloßbediensteten Holz und Licht frei hatten. Da saßen die Männer die langen Winterabende durch beim Kartenspiel, rauchten und tranken Apfelmost und ließen sich's gut gehen nach ihrer Art. Alles Reden der Mutter Maria gegen die wieder entfachte Spielwut des Mannes war vergeblich. Er spielte ja nicht um Geld; er spielte nur zur Unterhaltung.

In der selten geheizten Wohnung der Lorentischen vermochte Koja nicht, sich im Geigenspiel zu üben, weil seine Finger von der Kälte steif waren. Da weinte der Bub. Dies war für Vater Lorent ein zwingender Grund, sich beim Rotschildischen Förster, der den Wald oberm Schloß betreute, eine Holzkarte zu lösen. Die kostete nur fünfzig Kreuzer fürs ganze Jahr und gab dem Besitzer das Recht, totes Holz aus dem Walde einzubringen, freilich unter der Bedingung: ohne Säge und Beil. Wurden bei einem Holzklauber im Wald vom Förster oder Heger derlei Werkzeuge vorgefunden, dann wurden sie ihm abgenommen und die Holzkarte auch.

Lorent wußte es so einzurichten, daß er am schulfreien Donnerstag dienstfrei war, damit er den Koja als Handlanger in den Wald mitnehmen könnte.

So gingen sie denn am nächsten Donnerstag – es war in der Woche vor Weihnachten – früh morgens mitsammen aus, nur mit Stricken ausgerüstet zum Binden der Burd; sie hatten einen halben Laib Brot und eine große Flasche Milchkaffee als Wegzehrung. Die war in Kojas Rucksack, den ihm die Mutter für seine Schulsachen genäht hatte, damit er sie trage wie die Gebirglerbuben. Und auch eine Lederhose hatte er bekommen und ein Lodenröcklein, beides vom Krämer auf Borg.

Solange Vater und Sohn hinter der Schloßgartenmauer die waldlose Lehne des Zürnerbergs emporstiegen, ging sich's ihnen leicht, da der Schnee von den Wiesen fast weggeschmolzen war. Bis sie aber an den Waldrand kamen, wo das Stau-Becken der Röhrbrunnleitung war, begann das Waten im breiigen Schnee. Bald waren ihre Schuhe durchweicht und gegen das Frieren half nichts als sich rühren. Aber da war das dürre Holz von Weibern und Kindern ausgeklaubt, man mußte im Walde höher hinauf. Und dann begann die Arbeit. Mit zwei aneinandergebundenen Aststäben, die Lorent mühsam mit dem Taschenmesser abgeschnitten und an deren einem er einen Zweighaken gelassen hatte, brach er die dürren Äste aus den Baumkronen, und Koja mußte sie hurtig auf einen Haufen zusammentragen. Das dauerte so fort, wohl zwei Stunden lang, und der Holzhaufen, der zustandegekommen war, hätte gerade auf einem Bauernschlitten Platz gehabt. Aber das hätte Geld gekostet. Vater Lorent wußte sich zu helfen. Er schnitt von einer alten Buche mit dem Taschenmesser zwei lange, starke Äste ab, legte sie auf den Waldboden und begann ihr Gezweig der Quere nach mit Prügelholz zu belegen, das ihm Koja zureichte. Dann kamen Langhölzer, die wieder der Länge nach aufgehäuft wurden und so fort. Ob Koja müde war, ob er Hunger hatte, darnach fragte der emsige Mann nicht. Er selbst war unermüdlich, und die Holzbürde wuchs und wuchs empor weit über Manneshöh'. Dann aber kam das Niederbinden. An die dicken Ast-Enden vorne, welche meterlang freigelassen worden waren, wurden die Enden der Stricke befestigt, die oben über das Reisig gezogen und hinten um den Gezweigeschwanz gebunden wurden. Dann stieg der Vater hinauf, stampfte auf dem Holze herum, schnürte es fester nieder und sicherte es vor dem Auseinanderfallen durch wiederholtes Umschnüren. Die gleich Schlittenkufen vorn emporgekrümmten Ast-Enden gaben dem Ganzen das Ansehen eines beladenen Schlittens. Vater Lorent wischte sich den Schweiß von der Stirn, setzte sich auf die Holzbürde und winkte Koja zu sich: »Jetzt her mit dem Essen!« Hei! wie schmeckte das einfache Mahl nach solcher Anstrengung!

Als es vorbei war, zog der Vater seine Tabakspfeife aus dem Sack und setzte sie in Brand. Rastend blieb er noch eine gute Weile sitzen.

Koja aber glitt vom Holz hinunter und suchte sich durch Herumstapfen die Füße zu erwärmen. Dabei guckte er nach seiner alten Gewohnheit um sich, ob es nicht etwas Sehenswertes zu entdecken gäbe. So kam er auf eine kleine Lichtung, und hier fand er etwas Sonderbares: Am Fuß einer Wacholderstaude ragten braune, vertrocknete Blätter aus dem Schnee, die hatten ungefähr die Gestalt und Größe einer flachen Männerhand. Und zwischen ihnen – o liebliches Wunder! – guckten drei weiße, rosig angehauchte Knospen hervor, die waren so groß wie Rosenknospen und nickten an fleischigen Stielen. Blumen im Schnee! Noch nie im Leben hatte er dergleichen gesehen: Schneerosen! Er schaute weiter. Da sah er einen großen, rotbehäubten Schwarzspecht von einem hüfthohen Hügel auffliegen, der an einer Seite schneefrei war und braunschwarz herschaute.

Was war es? Ein Nest der schwarzen Waldameisen war da aufgerissen, wie ein Stollen ging eine Höhlung von der Seite her tief hinein. Nur wenig Ameisen waren zu sehen, alle tot und zusammengekrümmt. Also hatte der Specht da seinen Vorrat an frischem Fleisch, und der mochte wohl vorhalten, solange der Winter dauerte. – So etwas! – Indes hatte Lorent genug gerastet und rief Koja nach Schaffnerart an: »Fertig, abfahren!« Da sah der Bub, wie der Vater die Enden der aufgebogenen Tragäste fest mit den Händen umfaßte und zwischen ihnen stehend sich gegen den Boden stemmte, um die Last bergab in Bewegung zu setzen. Der Astschlitten aber saß fest, er rührte sich nicht. Da schob Koja hinten an, und er bildete sich ein, daß er es war, der die Last vorwärts brachte. Tatsächlich löste sie sich mit einem Ruck vom Boden und nun ging's den steilen Hang hinab, daß das Bodenreisig unter der Schneedecke knisterte und knackte. Immer schneller wurde die Fahrt zwischen den Hochstämmen; und Koja, der springend nebenher lief, sah, wie der Vater bremsend die Absätze der Schuhe gegen den Boden preßte, daß der Schnee hoch aufstob. Da packte ihn die Angst, der Vater könnte sich unterm Druck des niedersausenden Schlittens an einem Baum erstoßen oder über eine Wurzel stolpern und überfahren werden. Schon konnte er mit ihm nicht mehr Schritt halten, da fing er im Laufen zu schreien an »Vater! Vater!« und weinte und wimmerte, als der Vater hinter einer Bodenwelle seinen Blicken entschwunden war.

Atemlos vom Laufen verlangsamte der Bub seine Schritte, zaghaft folgte er hin und her der dunklen, breitgerissenen Spur, und er war darauf gefaßt, die Holzlast zerworfen und den Vater blutend zu finden. Da bereute er es, daß er ihn veranlaßt hatte, ins Holz zu gehen. Aber je weiter er hinunter kam, desto mehr beruhigte er sich, desto lebhafter wurde in ihm die Bewunderung des Vaters; wer hätte ihm zugetraut, daß er in so tollkühner Fahrt die Last so geschickt zwischen den Stämmen zu lenken vermochte – hin und her?

Als der Bub an den Waldrand kam, sah er den Vater tief unten im Wiesenland, wo es eben wurde, neben dem Astschlitten stehen und sich die Stirne wischen. Jubelnd lief er auf ihn zu, sprang ihn an, umhalste und küßte ihn. Noch nie war er sich dessen bewußt geworden, daß er den Vater so lieb hatte.

An ein Weiterziehen des Schlittens im ebenen schneefreien Gelände war nicht zu denken. Da gingen sie beide gemütlich heim, der Bub lief die Stiege hinauf, der Vater aber blieb zurück. Er borgte sich in der Nachbarschaft drei Schiebkarren aus. Er, Koja und Agi sollten das Holz heute noch heimschaffen, bevor es finster wurde. Als die drei zum Wegfahren bereit waren, kam die Mutter aus dem Hause, einen großen, versiegelten Brief in der Hand. »Mann, ein Brief ist da vom Gericht!« – Der aber winkte ab: »Der kann warten. Das Holz aber könnt' nicht warten.« Und fort ging es. Dreimal hin und zurück, und die große Menge des auf einmal gewonnenen Holzes war geborgen.

Indes war es Abend geworden. Im Zimmer saß die Familie am Tisch. Ein lustiges Feuer bullerte im Öflein, daß seine Backen glühten.

Auf dem Tisch aber war eine große Schüssel voll würzig duftender Tunke. Darin schwammen Semmelklöße und eine Menge Fleischbrocken. Die Frau Trinkl hatte durch die Kinder ein großes Kaninchen geschickt, schon geschlachtet, abgehäutet und ausgeweidet, nur zum kochen! – es war ein »Wiener Riese« gewesen. Es sollte eine kräftige Mahlzeit geben, wenn Vater und Koja aus dem Wald kamen. In »langer« Tunke zubereitet wie ein Feldhas, gab das Kaninchen reichliches Essen für alle. Und Koja stürzte sich drauf wie ein hungriger Wolf. Bald aber begann er zu erzählen, wieviel Angst er um den Vater ausgestanden hatte, als er ihn so hinuntersausen sah mit dem Schlitten. Und dann erst holte er die Schneerosen von seinem Hut und erzählte vom Specht. Alles, was er erlebt hatte, mußte er erzählen.

Erst nach dem Essen öffnete die Frau das gerichtliche Schreiben und reichte es dem Manne. Und sie schaute ihn an, während er las. Was konnte das Gericht von ihm wollen? Hatte er Schulden gemacht? War er deshalb angeklagt? – Die Kinder sahen der Mutter Angst und starrten dem Vater ins Gesicht. Das aber änderte sich von Zeile zu Zeile. Erst zeigte es ein verständnisloses Dreinschauen, dann eine leichte Betrübnis, dann gespannte Erwartung, dann helle Freude. Die Augen des Lesenden füllten sich mit Tränen und die Wangen gingen in breitem Lachen auseinander. »Was ist's?« fragten drei zugleich. Der Vater aber hatte Mühe zu antworten. »Der Onkel Lorent – der Neudamüller – ist gestorben – ohne Testament – vor sechs Wochen, – ohne leibliche Nachkommen – es sind keine anderen Erben da, – nur ich. – Das Gericht verwaltet die Neudamühle. – Ich soll zur Erbschaftsabhandlung nach Melk. – Ich soll die Neudamühle übernehmen als Eigentümer. – Kinder – wir sind reich! – Jetzt begriff Mutter Maria, warum ihr Mann gelacht und geweint hatte in einem. Sie nahm das Schreiben dem Mann aus den Händen und reichte es Agi. Die las langsam und übersetzte Satz für Satz, so gut es ging. Da fand sich auch einer, den der Vater übersetzen haben mochte. Der handelte von den Hypotheken, die auf der Mühle waren. Auch die Schulden wurden mit übernommen.

In dieser Nacht schloß die schwergeprüfte Frau kein Auge. Aber nicht aus lauter Freude. – Sie hatte es erlebt, daß ihr guter Mann die innere Führung verloren hatte im Reichtum. In sechs Jahren hatte er als Trinker und Kartenspieler zwei Wirtschaften vertan. Arm geworden, hatte er arbeiten gelernt für die Seinen. Und das Wanderleben von Arbeit zu Arbeit war eine gute Lebensschule geworden für die Kinder. Oh, die wären zu tüchtigen Menschen geworden, wäre es nur langsam vorwärts gegangen, aus drückender Not zum erworbenen Wohlstand. Und jetzt standen sie alle wieder dort, wo sie begonnen hatten. Und in ihrem Vorschauen wuchs der Mutter Angst um die Kinder.

Da begann sie zu beten: »Herr, laß mich den rechten Weg sehen und schenk' mir die Kraft zum Ausharren. Laß mich nicht früher sterben, bis ich meine Kinder auferzogen hab zu braven, nüchternen arbeitsfrohen Menschen.« Da kam die Zuversicht über die betende Mutter. Ihr Mann hatte ja das Reichsein und das Armwerden selbst erlebt, und jetzt war er voll Tatkraft und Klugheit; hatte er nicht die schwere Bürde geschickt bergab gelenkt, ohne an den Bäumen zu zerschellen?

Da durfte sie hoffen, daß er auch an den Wirtshäusern und Spielhöllen vorbeikommen und mit ihr gut wirtschaften werde für die Kinder.


Der folgende Band »Kojas Waldläuferzeit« enthält die Erzählung vom Leben der Familie Lorent auf dem Auland der Neuda-Insel, Kojas Erlebnisse im Rerapointer Wald und anderes und anderes.


 << zurück