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Tausch.

Rechts an der Straße, die von Leobersdorf quer ins flache Steinfeld hineinführt nach dem Wasserschloß Kottingbrunn zu, bezogen die Lorentischen Küche und Zimmer in einem ebenerdigen Arbeiterhäuschen, zu dem ein Hof gehörte und ein Garten. Das helle Gekläffe eines weißen Spitzhundes begrüßte die Ankömmlinge. Im Hofe schnatterten einige Gänse, eine Schar Hühner war da und ein schneeweißer Hahn. O Freude! Und aus dem Garten lachten den Ankömmlingen Tausende von Blüten entgegen: Weiße, rote und veilchenblaue Astern, die in zwei langen Beeten in buntem Durcheinander angebaut waren als breite Säume des Gartenweges. Weithin kein Haus, kein hoher Baum, nur junge, magere »Akazien« Robinien, vom Volk »Akazien« genannt. an der Straße, die schnurgerade zwischen Kukuruzfeldern hinführte zum parkumgrünten Kottingbrunner Schloß. Lichtumflutet, windumweht stand das Häuschen da. Die Besitzerin, ein untersetztes Arbeiterweib, dessen rundes, flaches, sommersprossiges Gesicht gutmütig unterm geblümten Kopftuch hervorsah, half den neuen Mietern beim Abladen und Einräumen. Sie sprach ein Tschechisch, das in lächerlicher Weise von deutschen Lehnwörtern durchsetzt war, und sie entschuldigte sich darob. Seit ihrer Kindheit lebte sie da unter Deutschen und hatte einen Deutschen zum Mann. Ihre Sprechweise war häßlich, aber ihre Hilfsbereitschaft war schön. Dank ihrem Zugreifen beim Abladen und Einräumen wurde noch am selben Tage die Wohnung in Ordnung gebracht, und Agi hatte Ruhe. –

Beim Auspacken kamen drei große Brotlaibe zum Vorschein. Die waren von der Großmutter. Auch Vater Lorents Fürsorge hielt an. Er machte einen Bauern ausfindig, dessen Haus das nächste auf der Leobersdorfer Seite war und von dem Koja die Mich holen durfte auf Borg bis zum Ersten des nächsten Monats.

Am Tage nach dem Einzuge verspätete sich das Fieber bei Agi um eine ganze Stunde und dauerte nur mehr sechs Stunden. Dann aber blieben der Kranken Augen noch lange offen. Denn die Hausfrau hatte ihr zwei große, schöne Astern auf die Bettdecke gelegt. Mit denen spielten Agis abgemagerte Finger und sie lächelte vor sich hin. Und als die gute Frau ihr eine Schale Rindsuppe brachte, da schlürfte sie die warme Kraftbrühe, deren Geschmack sie wohl lange nicht gekostet hatte, und dann schlummerte sie ein. Auf ihrem Antlitz blieb ein Hauch vom Lächeln. Am nächsten Tage stellte sich das Fieber wieder etwas später ein. Koja unternahm noch vormittags einen Gang in die armselig eintönige Umgebung. Huf dem schotterigen Boden der Kukuruzfelder suchte er nach Blumen für Agi. Da entdeckte er dunkelrote »Blutströpfchen« mit schwarzen Saftmalen. Die kannte er von Alt-Paka her; daneben Blüten, die in einem Schleier feinfiederiger mattgrüner Blätter wuchsen – »Braut in Haaren«. Er kannte sie nur als Gartenblumen der Großmutter und zitterte darauf, der Agi zu zeigen, wo sie wild wuchsen. Eine Blume von jeder Art legte er zwischen die Blätter des Kalenders, um sie zu pressen, so wie die Mutter in ihrem Gebetbuch Blumen gepreßt hatte. Er wollte sich eine Blumensammlung machen wie der Herr Lehrer Kozák.

Aber noch etwas anderes, etwas wunderbares, Großes war vom freien Feld aus zu sehen: wenn Koja die Augen über die weite, weite Ebene gegen Mittag und Abend hin schweifen ließ, gewahrte er in der blauen Ferne hohe Berge, deren Ketten sich hintereinander emporstuften; und eine lange, lange Felswand Die »Hohe Wand«. war da, die von einem Bergriesen überragt wurde. Und der hatte weiße Streifen an den Hängen herab und um seinen weißen Gipfel her trieben sich Wolken, verdeckten sie und gaben sie wieder frei in stetem Wechsel. Wohl hatte Koja in den Rübezahlgeschichten von der Schneekoppe gehört, aber daß er so bald einen Schneeberg sehen würde, hätte er sich nicht träumen lassen. Und dieses Bergwunder sollte doch Agi auch sehen, bevor der Winter kam, denn dann wäre es ja kein Wunder mehr, daß der Schnee auf einem Berge läge.

In seiner Ungeduld dachte er an das Hausmittel der Großmutter. Oh, wenn er der Schwester wieder ein Kätzchen verschaffen könnte, das die Krankheit von ihr nähme! – Und das Glück war ihm günstig. Unmittelbar nach dem Mittagessen ging Koja mit Puff, dem weißen Spitz, der sein Freund geworden war, spazieren. Huf einem mageren Brachfeld fand der Hund ein totes Mäuslein. Er apportierte es dem Knaben. Der nahm es am Schwänzlein auf, blies die anhaftenden Ameisen weg und wollte es heimtragen. Das war ja auch etwas für die Sammlung. Noch wußte er nicht, wie er das schöne Tierchen herrichten sollte. Beim Überqueren der Straße begegnete er ein Weib, das im Korbe leeres Eßgeschirr trug, offenbar eine Arbeitersfrau, die dem Manne das Mittagsmahl in die Fabrik gebracht hatte. Das Weib redete ihn an, es bat ihn um etwas. Und Koja schämte sich, sagen zu müssen: »Nerozumim« (Ich verstehe nicht). Da brachte sie die Bitte auf tschechisch vor (viele Fabrikarbeiter waren Tschechen). Das Mäuslein sollte er ihr schenken, sie hatte eine Katze mit fünf Jungen. Denen wollte sie es bringen zum Spielen. – Koja trabte mit klopfendem Herzen schweigend neben der Frau her. Dann aber rückte er zaghaft mit seinem Vorschlag heraus: »Könnt' ich nicht ein junges Kätzchen dafür haben, ich brauch's für die kranke Schwester.« – Da lachte die Frau: »Ein lebendes Kätzchen in Tausch gegen ein totes Mäuschen? – Du bist nicht dumm!« – »Aber ein dreifarbiges müßte es fein.« – »Ein dreifarbiges, das wär' ja eine Katz, soll's nicht lieber ein Kater sein? – »Nein, eine dreifarbige Katz.« – »Sollst sie haben.« – Als sie am Wohnhause vorbeikamen, zeigte Koja der Fremden: »Da wohnen wir.« – Dann trabte er neben der Frau weiter, eine gute Viertelstunde weit auf Kottingbrunn zu, immer noch seine kostbare Maus beim Schwänzchen tragend. Kaum aber hatte er das Heim der Arbeitersfrau betreten und sich des dreifarbigen Kätzchens bemächtigt, gab er seine Beute hin, barg das Kätzchen zwischen Brust und Hemd, dankte und lief, was ihn die Beine tragen mochten, heimzu. Die Mutter, welche des Knaben Aberglauben teilte, war über die Erwerbung froh. Agi lag im Schlummer. Da erbettelte Koja von der Mutter ein Schälchen Milch und stellte es mitten ins Zimmer. Dann füllte er ein flaches Kistchen mit Asche, schob es zum Fenster zwischen Kasten und Wand und setzte das Kätzchen darauf, daß es davon wisse. Auch sorgte er gleich für ein Spielzeug. Aus geknülltem Papier, das er mit einem Baumwollfaden umwickelte, machte er ein wallnußgroßes Bällchen und ließ es Über den Zimmerboden rollen. Noch kümmerte sich das Kätzchen nicht darum; es strich im Zimmer umher, alles war ihm neu. Es entdeckte die Milch, lappte das Schälchen leer, wusch sich umständlich und suchte das Kistchen auf (welcher Erfolg der Vorsorge!) Dann bemerkte es wie von ungefähr die rollbare Papierkugel. Erst gab es ihr einen sanften Schlag mit der Tatze, dann aber duckte es sich, lauerte und sprang der Papierkugel nach, haschte sie und trug sie im Zimmer herum. Und sie wiederholte ihr Spiel mit lautem »Mrrr, mrrr!« – Darüber kam die Mutter aus der Küche herein, Agi erwachte. Das Kätzchen führte eine Komödie auf; es tat, als ob es mit einer lebenden Beute spielte und gebärdete sich, als wäre es längst vertraut mit dem Raum und den Kindern, deren Augen es auf sich gerichtet wußte. Und als es sich müde gelaufen und gepurzelt hatte, sprang es zu Agi aufs Bett, machte sich auf der Tuchent ein Nest, legte sich behaglich zurecht und schnurrte und schnurrte. Ein Hauch von Freude rötete sanft die Wangen der Kranken. Da setzte sich die Mutter zu ihr auf den Bettrand und Koja stellte sich breitbeinig vor ihr auf und prahlend erzählte er von feinem gelungenen Tausch. Dann aber holte er die neuen Blumen und sprach von dem wunderbaren Berg mit der Schneehaube. Und Agi hörte ihm mit leuchtenden Augen zu: »Den muß ich mir ansehen. Und bald!« – Und nach einer Weile streichelte sie des Kätzchens schmale Pfötchen leise, ganz leise: »Du sollst Sufi heißen und gehörst mir.«

Susi und Puff gewöhnten sich aneinander, obwohl ein jedes eine andere Sprache hatte. Sie waren zwar unermüdlich in der Aufführung von Scheinkämpfen, aber sie gönnten einander das Futter und ein warmes Plätzchen. Ja, sie wärmten sich eines am andern. Sie vertrugen sich, wie es sich vernünftigerweise geziemt für Hund und Katz, die aufeinander angewiesen sind. Darum machten sie die Gehässigkeit nicht mit, die sonst Brauch ist zwischen den Angehörigen verschiedener Sippen.


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