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Acht Tage später – die Stoppeln standen jetzt überall auf den Feldern, und hie und da fing man auch schon an, die Trauben zu pflücken – nahm die Gegend um Tuchheim herum plötzlich ein sehr kriegerisches Aussehen an. Die fünfzehntausend Mann starke Besatzung der ein paar Meilen entfernten Festung und Hauptstadt des Regierungsbezirkes war von einem detachirten feindlichen Corps, das man aus zwanzig-, ja auf fünfundzwanzigtausend Mann schätzte, überfallen worden. Die Feinde schienen es auf eine regelmäßige Belagerung abgesehen zu haben, die in der Festung, dieser Gefahr um jeden Preis begegnen zu wollen. Es verging kein Tag, ja kaum eine Nacht, wo sie nicht mit bald größeren, bald geringeren Streitkräften Ausfälle machten, bei denen es wohl recht heiß herging, denn die stillen Berge und Wälder widerhallten von dem schrecklichsten Kanonendonner und unaufhörlichen Flintengeknatter. Indessen waren diese großen und ohne Zweifel heldenmüthigen Anstrengungen von keinem sichtbaren Erfolge begleitet. Wenigstens setzte sich der hartnäckige Feind überall in den Dörfern fest, ja errichtete an passenden Stellen stehende Lager, die sehr zierlich anzusehen waren und Schaaren friedlicher Land- und Städtebewohner von nah und fern herbeilockten. Was gab es da nicht Alles zu schauen! Marschirende, in dichte Wolken von Staub gehüllte Colonnen; muntere Jäger auf Vorposten am Waldeshag unter schattigen Bäumen; Husaren, die ihre Pferde striegelten, Cürassiere, die ihre Harnische putzten, lange Reihen von Gewehrpyramiden, die gelegentlich wie ein Kartenhaus umfielen! Marketenderwagen, die von Neugierigen und Durstigen umlagert, Marode und Kranke, die von den Lazarethgehilfen hinter die Front geführt wurden; zwischendurch Ordonnanzen, auf keuchenden Rossen hügelauf jagend und schon durch ihren Anblick die Seele der Zuschauer mit dem Gefühl der ungeheuren Wichtigkeit der Dinge, die hier vor sich gingen, erfüllend.
Nicht geringer war die Aufregung, die auf dem Tuchheimer Schlosse herrschte. Den Monarchen, der am vierzehnten Tage mit seinem Gefolge eingetroffen, den jungen Kronprinzen mit seiner Begleitung, die große Zahl der höheren und niederen Hofbedienten so unterzubringen, daß sich jeder nach den Ansprüchen, die er machen durfte, logirt sah, war eine schwere Aufgabe, die indessen von Charlotten auf das Vollkommenste gelöst wurde.
Sie hatte mit Hilfe Tante Malchen's, deren Tüchtigkeit in solchen Dingen erprobt war, ihre Dispositionen so klug und umsichtig getroffen, daß nicht die geringste Verwirrung einriß und Alles sich gleichsam wie von selbst machte. Wenigstens war der Abend der Ankunft und die erste Nacht glücklich vorübergegangen, und so ließ sich hoffen, daß jetzt, nach Ueberwindung der ersten und größten Schwierigkeiten, auch die folgenden beiden Tage ohne Unfall verlaufen würden.
Es war am Morgen des ersten Tages. In der Veranda vor dem Gartensaale gingen die beiden Brüder von Tuchheim, der Freiherr und der General, auf und ab. Die Luft war empfindlich kühl, obgleich die Sonne hell genug schien und die Schatten der mit wildem Wein umrankten schlanken Säulen, welche das leichte Dach der Veranda trugen, auf den Fußboden zeichnete. Der Freiherr schien die Kühle nicht zu empfinden; er hatte nicht einmal einen Ueberrock an, nur oben einen Knopf seines Fracks über der weißen Weste zugeknöpft; der General dagegen hüllte seine lange, magere Figur dicht in den faltigen Mantel, und sein bleiches Gesicht sah sehr frostig aus, obgleich er sich augenscheinlich Mühe, gab, den rüstigen Bruder nicht merken zu lassen, wie wenig ihm die kühle Morgenlust behagte.
Es ist mir lieb, sagte der General, daß ich Dich sprechen kann, bevor der König Dich rufen läßt; ich möchte mir erlauben, Dir einige Andeutungen zu machen, die Dir in der Unterredung doch vielleicht von Nutzen sein können.
Ich bin Dir sehr verbunden, erwiederte der Freiherr lächelnd; aber Du weißt, Joseph, daß ich unvorbereitet am besten spreche, und überhaupt mich nur dann schicklich benehme, wenn ich vollkommen unbefangen bin.
Ich weiß es, sagte der General; aber was ich Dir sagen wollte, ist von solcher Wichtigkeit, daß Du mir schon verstatten mußt, Dir für dies eine Mal Deine undiplomatische Sorglosigkeit zu rauben.
Du machst mich in der That neugierig, murmelte der Freiherr, der bereits ungeduldig zu werden begann.
Der General warf schnelle prüfende Blicke nach allen Seiten, um sich zu vergewissern, daß kein Lauscher in der Nähe sei, und sagte in einem noch leiseren Tone, als in welchem er sonst schon zu sprechen pflegte:
Der König wird alt, Karl; das heißt, wenn er auch nicht älter ist, als wir, so hat er doch nicht unsere zähe Natur, – mit einem Worte, er ist nicht mehr, der er noch vor kurzer Zeit war, und ich habe die feste, übrigens auch von anderer Seite her verbürgte Ueberzeugung, daß er nur noch wenige Jahre zu leben hat.
In der That! erwiederte der Freiherr; ich habe ihn gestern Abend zwar nur sehr flüchtig gesehen, indessen –
Verlaß Dich auf mich und meine Quellen, unterbrach ihn der General; der König hat nicht lange mehr zu leben, und eines schönen Morgens werden wir durch den Ruf überrascht werden: » Le roi est mort, vive le roi!«
Der Freiherr knöpfte an seinem Frack. Die Wendung, welche die Unterredung mit dem Bruder zu nehmen drohte, mißfiel ihm ausnehmend; indessen sagte er nichts. Es wäre ja nicht das erste Mal gewesen, daß der General mit geheimnißvoll feierlichen Falten ein Nichts bedeckte. Der General fuhr fort:
Du kennst meine Stellung bei Hofe, oder vielmehr Du kennst sie nicht, denn nichts ruht auf künstlicheren Schrauben, als diese meine Stellung. Der König will mir wohl, das heißt, er würde mir wohler wollen, wenn ich dümmer oder er klüger wäre. So hat er einfach vor mir nur den Respect, den eine vulgäre Natur nothwendig vor einer höheren empfindet; aber Respect ist nicht Liebe; Respect haben zu müssen, ist unbequem, besonders, wenn man König ist, und so wäre denn dieser Respect eine der künstlichen Schrauben, von denen ich vorhin sprach. Kommt mein Verhältniß zum Kronprinzen. Es sieht ganz anders aus und ist im Grunde doch dasselbe, welches ich zum König habe. Auch der Kronprinz liebt mich nicht; er ist bei all' seiner bedeutenden Begabung zu launisch, wetterwendisch und flatterhaft, und vor allen Dingen zu eitel, als daß er, wenn er erwachsen sein wird, den Anblick eines Mannes, der ihn so oft klein gesehen hat, ertragen könnte. Wenigstens bin ich meiner Sache keineswegs sicher, und auch von ihm und mir möchte es dermaleinst heißen, es war ein neuer König im Lande, der wußte nicht von Joseph.
Der Freiherr, dessen Mund sich während dieser Auseinandersetzung schon ein paar Mal spöttisch verzogen hatte, konnte sich hier nicht enthalten, gerade heraus zu lachen. Das Citat war so trefflich! hieß doch auch der General Joseph, wie der Minister jenes alten Pharao!
Nun ja, sagte der General, warum sollten wir nicht für einen Moment die Sache von ihrer komischen Seite betrachten; die ernste drängt sich uns schon von selber auf. Denn siehst Du, lieber Karl, für mich ist die Aussicht, in Kurzem meinen Einfluß bei Hofe einzubüßen, nichts weniger als erfreulich. Ich bin nicht unabhängig wie Du – der Rest meines Vermögens wird eben noch hinreichen, meiner Josephe eine anständige Aussteuer zu geben – enfin, ich muß mich halten, halten auf jeden Fall, durch jedes Mittel, und wenn ich nicht mehr auf eigenen Füßen stehen kann, muß ich suchen, mich auf andere zu stützen.
Jedenfalls würde ich in der Wahl einer solchen Stütze sehr vorsichtig sein, meinte der Freiherr.
Ich flehe Dich an, Karl, sagte der General, höre mir aufmerksam zu; es handelt sich um sehr wichtige Dinge, und unsere Zeit ist knapp gemessen. Wir leben in einer wunderbaren Periode, Karl; überall keimt und treibt es und drängt nach Entwickelung. Ich bin, wie Du weißt, kein Neuerer, keiner jener ungestümen Schwarmgeister – ein Lieblingswort unseres Vaters, Karl! – die da glauben, mit ein paar tönenden Phrasen Alles von Grund aus reformiren zu können; aber so viel sehe ich doch – etwas müßte geschehen, und es geschieht nichts. Man denkt nicht daran, die Bewegung zu leiten, ihr eine bestimmte Richtung – die wünschenswerthe Richtung zu geben – im Gegentheil, man hemmt sie, so viel man kann, und thut es in der ungeschicktesten, täppischsten, plumpsten Weise. Daß dem so ist, kann freilich den Eingeweihten nicht Wunder nehmen. Der König ist stumpf, ist es stets gewesen, ist es jetzt mehr als je. Er haßt instinctiv Alles, was nur den Anschein einer Aenderung, einer Neuerung hat; er möchte eine chinesische Mauer um den Staat, ja um jede Provinz, womöglich um jeden Regierungsbezirk und um jedes Stadtgebiet ziehen, damit es nur ja so bliebe, wie es vor fünfzig Jahren gewesen ist. Dieser Zustand kann nicht ewig dauern. Selbst wenn wir einer gewaltsamen Katastrophe entgehen – die ich nebenbei keineswegs zu den Unmöglichkeiten rechne – muß ein Umschwung stattfinden, und der Tod des Königs wird das Signal dazu sein. Der Prinz ist, trotz seiner despotischen Gelüste, bei seiner unglaublich lebhaften Phantasie für alles Neue sehr empfänglich, und seine Eitelkeit wird ihn die Beute eines Jeden werden lassen, der ihm die Rolle eines Reformators aufzuschwatzen versteht. Wer in jenem Augenblicke, den ich mit vollster Deutlichkeit kommen sehe, sein Vertrauen besäße, der würde der Mann der Situation und würde allmächtig sein. Es scheint, daß ich die Anwartschaft zu diesem Glücke hätte, aber, wie ich schon vorhin sagte, es scheint nur so. Er wird nach dem Ruhme trachten, der Thäter seiner Thaten zu sein, und die Erinnerung an das, was er mir verdankt, würde ihm die Illusion allzu grausam zerstören. Sein Verhältniß zu dem Manne, dem er dann sein Vertrauen schenkte, müßte bis zu dem Momente ein mehr oberflächliches gewesen sein. Es müßte den Anschein haben, als ob er den Mann gleichsam erst entdeckt hätte, und doch, damit er ihn entdecken könnte, müßte der Mann bereits seit längerer Zeit, des Stichwortes gewärtig, hinter der Coulisse sich aufgehalten haben, um sofort auf der Bühne zu erscheinen. Du verstehst mich doch, Karl?
Halb und halb, erwiederte der Freiherr, den das politische Schachspiel, das der Bruder so vor seinen Augen aufstellte, unwillkürlich zu interessiren begann.
Du wirst mich hoffentlich alsbald ganz verstehen, sagte der General.
In diesem Augenblicke schlug die Schloßuhr. Der General horchte auf.
Bereits acht Uhr, murmelte er; der König wird Dich sogleich rufen lassen. Wir haben keinen Augenblick zu verlieren. Höre!
Eine lebhafte Röthe hatte sich über seine bleichen Wangen ergossen; er sprach das Folgende in einem schnelleren, fast leidenschaftlichen Tempo:
Der Mann, den ich meine, der Mann, der Alles leisten kann, was der große Augenblick erfordert, weil er alle Eigenschaften dazu in sich vereinigt, ist kein anderer als Du. Ich bitte Dich, laß mich ausreden, ohne mich zu unterbrechen. Der König hat sich mit Messenbach, der ihm nicht geschmeidig genug ist, überworfen; der Bruch ist irreparabel. Messenbach ist nur darum noch im Amte, weil sich ein Nachfolger, der dem König zusagte, bis jetzt noch nicht gefunden hat. Ich habe Dich vorgeschlagen, und der König ist mit einer an ihm ganz ungewöhnlichen Lebhaftigkeit auf meine Idee eingegangen. Das würde unter anderen Umständen kein besonderes Compliment für Dich sein, denn für gewöhnlich fällt die Wahl Sr. Majestät nicht mit Vorliebe auf bedeutende Menschen; diesmal aber gereicht Dir Deine landständische Opposition gegen Messenbach's Verwaltung zur Empfehlung; es würde den Mann entsetzlich kränken, wenn gerade Du sein Nachfolger würdest, und das ist dem Könige in der Laune, in welcher er sich befindet, eben recht. Ueberdies hat der König aus der Zeit, wo Ihr zusammen im Felde standet, stets ein besonderes Faible für Dich gehabt. Du gehörst zu den wenigen Menschen, die er – vielleicht gegen seine Ueberzeugung – wirklich liebt, wie ja denn Jeder dergleichen Idiosynkrasien hat. Mit Einem Worte, es bedurfte von meiner Seite nur eines geringen Anstoßes, um ihn für Dich einzunehmen. Du wirst jetzt begreifen, weshalb ich den König dazu bestimmte, gerade in Deinem Hause das Hauptquartier aufzuschlagen, und warum er so bereitwillig darauf eingegangen ist. Die Sache macht sich nun wie von selbst. Du brauchst nur zuzugreifen; nur an Dir wird es liegen, wenn Du nicht binnen vierundzwanzig Stunden, binnen einer Stunde vielleicht, Minister der öffentlichen Bauten, des Handels und der Gewerbe bist. Von da aber bis zum Vorsitzenden in dem Cabinet des Königs il n'y a qu'un pas.
Hier wurde die Unterredung der beiden Brüder durch einen der königlichen Kammerherren unterbrochen, welcher meldete, daß Se. Majestät Excellenz zu sprechen wünschten. Der General warf seinen Mantel ab und entfernte sich mit dem Kammerherrn, nachdem er noch vorher dem Bruder einen bedeutenden Blick zugeworfen hatte.
Der Freiherr blieb in der Veranda zurück, durch des Generals Mittheilungen in einer Weise erregt, daß er selbst darüber erstaunt war.
Ist es möglich, sprach er bei sich, während er mit raschen Schritten auf und ab ging, daß dieser Traum von Macht für alle Menschen gleich berückend ist? Was habe ich, der ich mich mein Lebenlang von diesen Dingen geflissentlich ferngehalten habe, damit zu schaffen? Und doch, und doch! wenn es gelänge, wenn ich mir wirklich den Einfluß verschaffen könnte, den ich brauchte – ich habe so Manches auf dem Herzen – in der Forstverwaltung – in den Gemeinde-Angelegenheiten – da ist noch Unendliches zu thun – aber nein, nein! es geht ja nicht, kann ja nicht gehen. Ja, wenn man dabei auf geradem Wege fortschreiten dürfte, aber davon ist ja nicht die Rede, und durch Schliche und Ränke zu meinem Ziele zu kommen, das war ja wohl meine Sache nie. Soll ich mich, der ich so stolz darauf gewesen bin, aus meinem von den Eltervätern ererbten Grund und Boden zu sitzen, der ich den stellenjägerischen, decorationshungrigen Hofadel so verachtet habe, nun auf meine alten Tage zum Höfling machen? Meinem alten Rücken Geschmeidigkeit lehren? Jetzt noch lernen Ja sagen, wo ich Nein meine? Unterwürfigkeit blicken, wo ich vielleicht Verachtung im Herzen fühle? Unmöglich!
Der Freiherr nahm den Hut ab und trocknete sich die Stirn; die Sache sollte abgethan sein, aber sie war es noch nicht. Wie summende Fliegen umschwirrten ihn die quälenden Gedanken.
Und wenn ich nun Nein sage, wird der König nicht die Schuld auf Joseph schieben, der ihn besser hätte unterrichten sollen? Kann meine Weigerung ihn nicht seine Stellung kosten! Wer hieß den vorsichtigen Diplomaten so unvorsichtig sein? Oder ist auch das nur schlaue Berechnung? Hat er mich überrumpeln wollen, in der Voraussicht, daß in dieser Sache durch Ueberzeugung nicht auf mich zu wirken ist? So hätte er sich freilich in seinem eigenen Netz gefangen, denn, Bruder oder nicht, das Opfer kann Niemand von mir verlangen.
Des Freiherrn schönes Gesicht wurde immer finsterer, je länger er nachdachte. Er lehnte sich an eine der Säulen und schaute gesenkten Hauptes düster vor sich hin.
Es hätte freilich auch noch andere Vortheile, murmelte er. Meine Angelegenheiten stehen schon seit einigen Jahren nicht mehr so gut als sonst. Ich habe Charlotten die zehntausend Thaler, die sie mir zum Ankauf des Vorwerks geliehen hat, noch nicht wieder bezahlen können, und wo ich bei der jetzigen Klemme Geld aufbringen soll, diese neuen Ausgaben zu bestreiten, weiß ich vorläufig auch noch nicht; ich müßte denn eine neue Anleihe bei Charlotten machen – wovor mich Gott bewahre! Der Ministergehalt wäre unter diesen Umständen ein trefflicher Zuschuß, ich müßte dann freilich die Güter wieder verpachten, und ich habe mich nun bereits fünfundzwanzig Jahre darauf gefreut, sie endlich einmal selbst bewirthschaften zu können. Und doch, überlegen müßte man es; eine so glänzende Gelegenheit von der Hand zu weisen, wäre thöricht. Aber der König wird in seiner täppischen Weise eine definitive Antwort haben wollen. Daß Joseph auch nicht vorher den Mund aufgethan hat! Es ist seine eigene Schuld, wenn die Sache nicht den von ihm gewünschten Ausgang nimmt.
Der General kam zurück.
Du wirst heute Morgen keine Audienz mehr erhalten, sagte er verdrießlich. Des Königs Kopf ist mit albernen Manövergedanken angefüllt, er hat die Pferde zu satteln befohlen.
Der Freiherr athmete auf.
Einestheils ist es mir lieb, fuhr der General fort; ich fürchtete doch schon, die Sache sei Dir zu schnell gekommen, und, gewissenhaft wie Du bist, würdest Du lieber Nein sagen, als auf etwas, das Dir nicht ganz unbedenklich schien, eingehen. Wir sprechen noch darüber, nicht wahr?
Ja wohl, sagte der Freiherr.
Und was ich sagen wollte, wir müssen heute Alle mit, auch der Prinz. Aber für den Nachmittag haben wir eine besondere Partie vor. Du weißt, wie sehr der Prinz an Sara Gutmann attachirt ist. Sara hat ihn gebeten, er möge sich, wenn er hierher komme, ihre Verwandten vorstellen lassen. Der Prinz hat so viel von dem alten Försterhause gehört, daß er es durchaus sehen will. Ich habe nichts dagegen, au contraire, ich finde es ganz vortheilhaft, dergleichen menschliche Empfindungen, aus denen sich hernach doch vielleicht politisches Kapital schlagen läßt, zu nähren. So wollen wir denn heute Nachmittag, vielleicht auch erst gegen Abend, eine Excursion dahin machen. Dein Henri muß natürlich dabei sein. Auch an diese Begegnung läßt sich später wohl einmal wieder anknüpfen. – Ach, da sind Sie ja, lieber Graf!
Der Hofmarschall, Graf Stotternheim, einer von des Generals Nebenbuhlern in der Gunst der höchsten Herrschaften und sein geschworener Gegner, trat heran. Der General und der Graf begrüßten sich mit der Cordialität zweier intimer Freunde; es kamen noch andere Herren aus dem Gefolge, hauptsächlich hohe Militärs. Der General mußte zum Prinzen, der Freiherr selbst zum Könige, den er bereits in voller Uniform zum Ausritt fertig traf. Der Monarch war sehr gnädig und sprach seinen Dank für die Bewirthung mit ein paar freundlichen Worten aus, welche einige Höflinge für die zusammenhängendste Rede erklärten, die Se. Majestät seit fünf Jahren gehalten habe. Dann ging es auf den Platz vor dem Portal des Schlosses, von wo die Cavalcade aufbrach. Die verschieden uniformirten, ordensgeschmückten Reiter schwangen sich in die Sättel. Von dannen sprengte die Schaar, voran der König auf einem stattlichen Rappen; unmittelbar hinter ihm der jugendliche Prinz und der General; dann das Gewimmel der glänzenden Suite, zuletzt der Troß der Gensd'armen, Diener und Reitknechte.
Der Freiherr war am Fuße der Treppe stehen geblieben. Das verbindliche Lächeln, mit dem er seine Abschiedsverbeugung gegen den Monarchen begleitet hatte, war sofort verschwunden, und der besorgte, nachdenkliche Ausdruck von vorhin lag wieder auf dem schönen Gesicht. Er hätte dem Bruder so gern noch zugeflüstert, in der besprochenen Angelegenheit auf keinen Fall weiterzugehen; aber es war nicht möglich gewesen. Auch der Ausflug nach dem Försterhause, welchen der General beabsichtigte, hatte aus mehr als einem Grunde gar nicht seinen Beifall. Nun ließ sich auch dagegen nichts mehr thun. Der Freiherr hatte die größte Lust, die glänzende Ehre des königlichen Besuches, die ihm so viel Sorgen bereitete, herzlich zu verwünschen. Glücklicherweise kam, wie ein guter Geist, Charlotte in diesem Augenblicke. Er athmete ordentlich auf, als er das sanfte, bleiche Gesicht erblickte. Lebhaft trat er auf sie zu und sagte, indem er ihren Arm nahm: Ich habe Dir Manches mitzutheilen, Charlotte, hast Du Zeit?
Für Dich immer, erwiederte Charlotte mit freundlichem Lächeln.
Die Geschwister machten eine lange Promenade durch den morgenfrischen Garten, von welcher der Freiherr sehr erquickt und um vieles ruhiger in seinem Gemüthe zurückkam.