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Einige Tage später war Henri in dem Cabinet des Prinzen. Der Prinz ging mit lebhaften Schritten auf und nieder; Henri, der in einiger Entfernung stand, verfolgte ihn mit den Augen, deren für gewöhnlich kalter und stechender Ausdruck heute noch besonders finster war. Auf des Prinzen Gesicht lag es wie ein tiefer Schatten.
Sie haben es auch gewiß danach angefangen, sagte der Prinz.
Verzeihen königliche Hoheit, erwiederte Henri. Ich habe keinen Augenblick gezögert, die delicate Mission, die königliche Hoheit mir anzuvertrauen die Gnade hatten, zu übernehmen. Ich darf es wohl als einen glücklichen Zufall bezeichnen, daß ich das Mädchen von früher her kannte, und also keine besondere Schwierigkeit hatte, mich bei ihr einzuführen. Ich machte die Rechte einer alten Bekanntschaft geltend; ich sprach als Freund; ich ließ – natürlich mit der nöthigen Discretion – durchschimmern, daß ich nicht ohne Vollmachten komme. Alles vergeblich.
Ja, aber was will sie denn eigentlich? fragte der Prinz.
Ich glaube, sie weiß das genau selbst nicht, erwiederte Henri. Vorläufig jammert sie ohne Zweifel trotz alledem über ihre verfehlten Hoffnungen, obgleich sie klug genug ist, einzusehen, daß es hier nichts zu repariren giebt. Indessen, das wird sich legen; ihr Charakter neigt sich zu müßiger Sentimentalität. Und die angenehme Lage, in welche Eurer königlichen Hoheit bekannte Liberalität sie ja ohne Zweifel versetzen wird, ist doch immer eine Art von Aequivalent.
Da sind wir ja wieder bei dem Punkte, von dem wir ausgegangen sind! rief der Prinz eifrig. Natürlich soll sie haben, was sie verlangt; aber wenn das Ding nicht sofort unter die Leute kommen soll, muß sich ein Liebhaber finden, dessen Vorhandensein den Luxus, den sie wird treiben wollen, erklärt, das heißt also: ein reicher Liebhaber.
Ich fürchte, die junge Dame wird königlicher Hoheit den Gefallen nicht thun, erwiederte Henri.
Aus Rancüne?
Einestheils und anderntheils –
Anderntheils?
Königliche Hoheit wird, fürchte ich, wieder einmal finden, daß ich nicht der eifrige Diener gewesen bin, der ich mich zu sein rühmen möchte.
Wieder einmal? rühmen möchte? Sie sind die seltsamste Mischung von Unhöflichkeit und Geschmeidigkeit, die mir noch vorgekommen ist. Ich werde Sie nie zu meinem Ministerpräsidenten machen; Sie sind unerträglich.
Und doch würde ich einen ganz erträglichen Ministerpräsidenten abgeben, erwiederte Henri mit einer Verbeugung.
Der Prinz lachte. Ich glaube es; nur nicht für mich; – aber wir sind von unserem Thema abgekommen. Weshalb glauben Sie, daß sich das Mädchen sträuben wird, sich einen anderen Liebhaber gefallen zu lassen?
Weil ich entdeckt zu haben glaube – heute Morgen in ihren wirren, leidenschaftlichen Reden – daß sie einen Andern liebt, sagte Henri.
Heute Morgen – très-bien! weiter! und wen! den Lippert etwa?
Nein, königliche Hoheit! denselben Doctor Leo Gutmann, den ich königliche Hoheit neulich als den Verfasser gewisser Broschüren bezeichnen mußte.
Treffe ich schon wieder auf den Menschen? rief der Prinz. Sie wollten ihn ja einstecken lassen? Haben Sie nicht mit Hey gesprochen?
Noch nicht, königliche Hoheit.
Und weshalb nicht?
Ich war und bin keineswegs sicher, daß Herr von Hey meine Insinuationen wird verstehen wollen, und ich hatte selbstverständlich keine Eile, mich, das heißt in diesem Falle Eure königliche Hoheit, einem Refus auszusetzen.
So ist denn außer der Depeschengeschichte – an die darf man selbstverständlich nicht rühren – gar nichts da, womit man dem Halunken beikommen könnte?
Höchstens seine Vergangenheit, die politisch ziemlich anrüchig ist; indessen ist jetzt nach der Amnestie bei der Thronbesteigung Sr. Majestät auch damit nichts zu machen.
Und was treibt der Mensch denn jetzt? seinen Broschüren nach muß er ja ein Erzdemagoge sein?
Ich zweifle nicht, daß es eine Kleinigkeit wäre, ihn in irgend einen Preßproceß zu verwickeln, oder ihm wegen Uebertretung irgend eines Paragraphen des Vereinsgesetzes beizukommen; indessen habe ich auch nach dieser Seite hin vorzugehen gezögert.
Und weshalb?
Um mir nicht nachträglich einen vielleicht nicht ungerechtfertigten Tadel zuzuziehen. Königliche Hoheit wissen, daß in der Arbeiterfrage von der äußersten Linken ein Antrag eingebracht werden soll. Es ist dies ein Versuch der liberalen Partei, im letzten Augenblicke ein Stück des verloren gegangenen Bodens wieder zu gewinnen, ein Versuch, der ohne Zweifel fehlschlagen wird, denn es wird sich bei der Debatte und bei der Abstimmung klar herausstellen, daß die Partei überhaupt in sich ganz und gar zerfallen ist. Nun wäre es vielleicht nicht übel, und würde entschieden dazu beitragen, die seit dem Bekanntwerden des bewußten Briefes im Volk etwas erschütterten Sympathien für Eure königliche Hoheit wieder zu erwecken, wenn man den Schein annähme, sich für den Antrag zu interessiren. Man würde dabei freilich den der Sache Eurer Hoheit zugethanen Theil der liberalen Partei vor den Kopf stoßen – indessen –
Der Prinz stampfte ungeduldig mit dem Fuße.
Ach, rief er, lassen Sie mich mit diesen Dingen ungeschoren. Wenn Sie mit solchen Plänen reussiren wollen, wenden Sie sich an unsern geistreichen König. Ich bin für dergleichen Winkelzüge nicht geschaffen. Ich bin ein ehrlicher Mann, mein Weg muß gerade sein. Schlimm genug, daß ich Ihrem Onkel und seinesgleichen einige Concessionen machen muß; aber mit dem Pöbel will ich ein- für allemal nichts zu thun haben. Ich will kein Pöbelregiment.
Sonst hätten königliche Hoheit nichts zu befehlen?
Ja, was ich zu wissen wünschte: Sie haben sich wirklich mit Ihrem Vater irreparabel überworfen?
Irreparabel, königliche Hoheit.
Das gefällt mir gar nicht. Es wird einen abscheulichen Eclat geben, der vielleicht mit etwas Nachgiebigkeit von Ihrer Seite hätte vermieden werden können.
Es war nicht möglich, königliche Hoheit.
Ich will mich heute mit Ihnen nicht noch mehr streiten. Sie sind und bleiben ein unverbesserlicher Trotzkopf. Nun, nun, ich wollte Ihnen nicht wehe thun, lieber Tuchheim; ich glaube, daß Sie mich lieb haben. Speisen Sie morgen bei mir. Und hören Sie, lieber Tuchheim, was meinen Sie, wenn man dem Lippert nun doch jetzt den Laufpaß gäbe? Sehen mag ich den Menschen ohnedies nicht wieder. Was meinen Sie?
Es käme nur darauf an, einen passenden Vorwand zu finden.
Wohl, wohl! wir können morgen weiter darüber sprechen; ich muß den spanischen Gesandten empfangen. Adieu, lieber Tuchheim.
Der Prinz reichte Henri mit gnädigem Lächeln die Hand. Henri verbeugte sich tief und ging.
Er verließ diesmal seinen hohen Gönner zufriedener als neulich; ja es schwebte ein stolzes Lächeln um seine Lippen, wie er durch die Vorgemächer an den sich bückenden Hofbedienten vorbeischritt. Es war klar – der Prinz konnte ihn nicht mehr entbehren, und wenn der hohe Herr auch, Alles in Allem, nur ein beschränkter Kopf war – er hatte offenbar den politischen Schachzug, den ihm Henri gerathen, kaum verstanden – so war das vielleicht für den Günstling und künftigen Premierminister gar so übel nicht.
Henri fühlte sich vollkommen in der Stimmung, der schwierigen Situation, in welcher er sich befand, Herr zu werden. Von dem Vater war noch keinerlei Nachricht eingelaufen; aber Herr von Sonnenstein war jetzt wirklich klagbar geworden und hatte auf Subhastation der Fabriken angetragen. Das war die Hauptsache. Sodann hatte der Anwalt des Vaters, mit bedauerndem Achselzucken über die Unvorsichtigkeit und Halsstarrigkeit seines Clienten, einige allerdings sehr vorsichtige Winke über dessen Verhältnisse fallen lassen, die man in der verwickelten Angelegenheit vortrefflich brauchen konnte.
Auch Emma's kindischen Trotz hoffte er mit der Zeit zu besiegen. Vielleicht war es ihr mit ihrer neulichen Weigerung gar so ernst nicht gewesen – er erinnerte sich, daß sie ihn ein paarmal ganz verliebt angeblickt hatte; es war ja auch Alles gut gegangen, bis Leo's Name erwähnt wurde.
Henri's Miene wurde dunkel, wie jetzt das Bild des Mannes, den er mehr als jeden Anderen haßte, vor seine Seele trat. Er soll und muß in den Staub, murmelte er, und ich denke, ich habe ihn jetzt in der Hand.
Unwillkürlich faßte Henri nach einem Brief, den er, als er sich zu dem Prinzen begeben wollte, erhalten hatte. Es waren ein paar Zeilen von dem kranken Marquis aus Nizza, des Inhalts, daß Henri den unbequem gewordenen Miethsmann aus der Wohnung entfernen möge, »aber convenablement, mein Lieber, und vor allem so, daß die Reputation des jungen Mannes, dem ich doch schließlich Dank schuldig bin, nicht unnöthig darunter leidet.«
Ueber die gutmüthigen Seelen, sagte Henri, als er den Brief wieder in die Tasche steckte. Ich denke, ich mache es so, wie es mir convenirt. Und dann, nachdem ich den guten Buffone, der doch nun endlich wissen muß, wem er eigentlich sein Fiasco verdankt, auf ihn gehetzt habe – werde ich schließlich Herrn von Hey wohl begreiflich machen können, daß es für das Wohl des Staates absolut nothwendig ist, den Herrn Doctor auf einige Zeit verschwinden zu lassen. Bliebe also nur noch für Fräulein Eve ein Liebhaber zu finden.
Henri bog in die Promenade, die jetzt bei dem herrlichsten Frühlingswetter von Carossen, Reitern und Spaziergängern wimmelte.
Unter den Letzteren entdeckte er Alfred von Sonnenstein, der, das Lorgnon im Auge, mit verdrießlicher Miene dahergeschlendert kam.
Sieh' da, Alfred! nach wem blickst Du denn so eifrig?
Nach irgend einem hübschen Mädchen, in das ich mich verlieben könnte. Ich langweile mich schauderhaft.
Möglicherweise kann ich Dir helfen, sagte Henri, seinen Arm in. den seines Vetters legend.
Wo ist sie? rief der Dandy, das Lorgnon, das er hatte fallen lassen, wieder in's Auge klemmend.
Nicht hier, mon brave! Keine dieser Lilien auf dem Felde. Eine Dornenrose oder richtiger eine Rose in Dornen, die ich durch das sonderbarste Spiel des Zufalls aufgefunden. Ich bringe Dich gelegentlich zu ihr; vorderhand laß uns erst noch einmal die Lilien betrachten, wie sie der Vater im Himmel so herrlich gekleidet hat.