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Es bedurfte für Jemand, der in die Lippert'schen Familienverhältnisse bereits so eingeweiht war, wie Leo, nur eines Blickes, um die Scene, die hier vorging, zu übersehen.
Mitten im Zimmer, mit dem Rücken nach der Thür, stand Ferdinand, laut sprechend und dabei heftig gesticulirend. Sein Hut lag in einiger Entfernung von ihm auf der Erde und war augenscheinlich von dem Zornigen dahin geschleudert worden. Die Mutter saß noch am Fenster auf demselben Fleck, ja in derselben Haltung wie vorhin, denn sie hatte wieder das vornüber gebeugte Gesicht mit beiden Händen bedeckt. Interessanter als diese beiden ihm schon bekannten Figuren war für Leo die Gestalt eines sehr langen, hageren Mannes, welcher zwischen den beiden Anderen, und etwas abseits, als ginge ihn die Sache nichts an, die Hände auf den Rücken gelegt, ruhig am Ofen stand. Er war in den langen Rock mit den auf Aermel und Kragen angebrachten Abzeichen der Diener des prinzlichen Haushaltes gekleidet; was von den Beinen noch zu sehen war, stak in braunen Gamaschen; und sorgsam zugeknöpft, wie Rock und Gamaschen, erschien auch das Wesen des Mannes. Keine Miene regte sich in dem blassen Gesicht, dessen etwas plumpes, unschönes Profil Leo deutlich gegen das helle Fenster sehen konnte. Das kurze, krause Haar auf dem auffallend kleinen Kopf war bereits stark ergraut; er trug den Kopf etwas geneigt und hatte die Augen halb geschlossen, als stünde er fortwährend vor einer Thür, hinter der es für den, welcher Ohren dazu hatte, viel zu hören gab.
Er war auch der Einzige im Zimmer, der das Eintreten der Beiden sofort bemerkte; dennoch beeilte er sich nicht, seinen Sohn zu unterbrechen, der noch immer seiner Heftigkeit die Zügel schießen ließ und überlaut rief: Ich sage es Euch jetzt zum letzten Male: ich leide es nicht, und ich mache Euch dafür verantwortlich. Warum lauft Ihr alle Sonntage zweimal in die Kirche und spielt vor den Leuten die Heiligen, wenn Ihr keine Zucht und Ordnung in Eurem Hause haltet! –
Plötzlich verstummte Ferdinand; er hatte in dem Spiegel die Gestalt Eve's und eines Fremden gesehen. Ein kaum merkliches Lächeln flog über Herrn Lippert's kaltes Gesicht. Er ließ die Hände von dem Rücken herabsinken und wendete sich nach der Thür; Ferdinand nahm seinen Hut auf und bemühte sich, möglichst unbefangen das Bild Sr. Hoheit an der Wand zu betrachten; die Mutter richtete sich aus ihrer gebückten Haltung auf.
Mit wem habe ich die Ehre? fragte Herr Lippert.
Leo nannte sich, und bei dem ersten Ton seiner Stimme fuhr Ferdinand herum und starrte ihn, Scham und Schrecken im Gesicht, an. Leo riß ihn aus der Verlegenheit, indem er ihm seine Freude ausdrückte, eine so interessante Bekanntschaft so bald erneuern zu können. Wie hätte ich gedacht, rief er, daß ich denselben Abend noch aus dem Briefe eines Freundes erfahren sollte, in welcher nahen Beziehung Sie und Ihre verehrten Eltern zu Fräulein Eve stehen, die mir aus der Zeit meiner Jugend eine liebe, wenn auch allerdings nur flüchtige Erinnerung ist; und wie freue ich mich, jetzt die ganze Familie kennen zu lernen und meinem Freunde aus eigener Anschauung ein Bild des behaglichen Loses entwerfen zu können, das seiner Schwester gefallen ist! Ihm ist nicht ganz so wohl geworden, dem braven Menschen!
– Und Leo erzählte von Tusky und der Schweiz und dem Leben der Flüchtlinge – der armen Teufel, die das Vergnügen, ihrer Ueberzeugung zu leben, so theuer erkauften! – und war sehr gesprächig, während Herr Lippert zugeknöpft blieb, wie immer, und nur zuweilen ein unbestimmtes Lächeln durch seine bleichen, unbestimmten Züge irrte. Frau Lippert hörte andächtig, Eve voller Vergnügen, daß Alles so gut abgelaufen, und Ferdinand mit einer Miene zu, die – gewiß sehr gegen seinen Willen – seine getheilten Empfindungen deutlich genug verrieth.
Endlich schien es Leo Zeit, sich zu verabschieden; Ferdinand bat, ihn begleiten zu dürfen.
Kaum auf der Straße angelangt, faßte Ferdinand Leo's Hand und sagte: Lassen Sie uns zusammen speisen! ich habe Ihnen Manches mitzutheilen. Wollen Sie?
Leo war es zufrieden, und bald saßen die neuen Freunde in einer benachbarten Weinstube sich einander gegenüber; Ferdinand bestellte Essen und sein Lieblingsgetränk und sagte, sobald sie allein waren:
Es ist mir sehr sonderbar mit Ihnen gegangen. Sie haben einen wunderbaren Eindruck auf mich gemacht, wie ich mich nicht erinnere, je einen ähnlichen von einem Menschen empfangen zu haben. Nach unserer Begegnung habe ich die ganze Nacht von Ihnen geträumt – seltsame Träume, wie sie, glaube ich, nur mein Gehirn erzeugen kann – heute sehe ich Sie wieder ohne mein Zuthun in meine Familie eingeführt, das heißt, es ist kein Zweifel, daß Sie bestimmt sind, in meinem Leben eine große Rolle zu übernehmen. Alle außergewöhnlichen Menschen sind abergläubisch – Sie ohne Zweifel auch – ich bin es in hohem Maße. Ich weiß, oder ich ahne, daß mir von Ihnen viel Glück oder viel Unglück kommen kann, und daß ich Sie deshalb zum Freunde haben muß. Sehen Sie, Doctor, ich glaube an gar nichts, absolut an nichts. Gott und Teufel, Himmel und Hölle waren von je für mich Erfindungen überspannter Köpfe; ich habe auch den Autoritäten dieser Erde den Proceß gemacht und gefunden, daß sie hohl sind, alle, ohne Ausnahme! Für gewöhnlich ist mir ganz behaglich in diesem reinen Aether, in welchem gar nichts existirt und man sich also, man mag gehen, wohin man will, an nichts stoßen kann. Aber manchmal hat man doch das Verlangen nach einem festen Punkte. Ich habe immer von einem solchen festen Punkt geträumt, und dieser feste Punkt sollen Sie mir sein – der einzige Mensch, der, ich kann es mit einem Eide versichern, mir je imponirt hat. Und nun lassen Sie mich Ihnen danken für die Gewandtheit und Zartheit, mit der Sie mir vorhin aus einer mich beschämenden Situation geholfen haben. Es ist immer ärgerlich, sich von einer Heftigkeit hinreißen zu lassen, selbst wenn man so gutes Recht hat, heftig zu sein, wie ich vorhin. Damit Sie aber das verstehen, müssen Sie mir erlauben, etwas weiter auszuholen.
Ferdinand stürzte ein Glas Wein hinunter und fuhr, ohne Leo's Erlaubniß abzuwarten, fort:
Ich bin das einzige Kind meiner Eltern. Meine Mutter stammt aus Ihrer Gegend und kam als ganz junges Mädchen hierher, und nun weiß ich auch, weshalb mir Ihr Name an dem Abend so bekannt in's Ohr klang. Die Tante, die Sie vorhin in dem Gespräch mit meinen Eltern erwähnten, Fräulein Sara Gutmann, welche Bonne des Königs war und jetzt noch im Schloß wohnt, ist es, die meine Mutter aus ihrem Dorfe hierher zog. Sie kennen ohne Zweifel diese Tante und haben sie auch wohl schon besucht?
Nein, erwiederte Leo; um es offen zu gestehen, dieses Fräulein Sara ist schon seit langen Jahren mit meiner Familie gänzlich zerfallen. Ich weiß nicht so recht eigentlich, was man ihr vorwirft.
Ich glaube, Ihnen darüber Auskunft geben zu können, sagte Ferdinand, wie so ziemlich über allen Hof- und Stadtklatsch seit fünfundzwanzig Jahren. Ihre Tante war Wirthschafterin oder Haushälterin bei dem Minister von Falkenstein, dem Onkel des jetzigen Oberjägermeisters von Falkenstein. Es war damals, gegen das Ende der Zwanzigerjahre, eine etwas stille Zeit, wie Sie wissen; die Leute waren lüderlich aus lieber langer Weile, und Falkenstein, der nicht verheirathet und lange Jahre Gesandter in Paris gewesen war, galt dafür, ein abgesagter Feind der langen Weile, oder um es positiv auszudrücken, ein geschworener Freund der Lüderlichkeit zu sein. Jene Jahrgänge unserer chronique scandaleuse enthalten Dinge, wie sie in den schlüpfrigsten französischen Romanen nicht schlimmer vorkommen können, und was diesen Höllen-Breughel noch interessanter und pikanter macht, war der Schleier des Geheimnisses, den man, der spießbürgerlichen Ehrbarkeit des alten Königs zu Liebe, darüber decken mußte. Neben Falkenstein galt der General von Tuchheim als einer der galantesten Cavaliere, und es ist wirklich rührend, daß diese Beiden es waren, die sich der höchsten Gnade und des intimsten Vertrauens Sr. mürrischen Majestät erfreuten. Nun, und in das Haus jenes Falkenstein wurde auch meine Mutter als ein siebenzehnjähriges Mädchen von Ihrer Tante geleitet – und ein Jahr darauf wurde ich geboren. Meine Mutter hatte meinen Vater, der bei der Gelegenheit aus den Diensten des Ministers in die des Prinzen – des Vaters meines Herrn – überging, vierzehn Tage vor meiner Geburt geheirathet. Es ist ja wohl möglich, daß dabei Alles mit rechten Dingen zugegangen ist, recht wohl möglich – aber unwahrscheinlich ist es doch, Alles in Allem. Meinen Sie nicht auch?
Es schien, als ob Ferdinand die Erwähnung seiner zweifelhaften Abstammung immer in besonders gewaltsame Erregung versetzte. Leo hörte mit gespannter Aufmerksamkeit zu. Er hatte in letzter Zeit, wo er so eifrig mit den verschiedenen Parteien im Staate rechnete und sich ihm die Nothwendigkeit, überall seine Agenten zu haben, immer klarer herausstellte, oft schon im Vorübergehen an die von seiner Familie geächtete Tante gedacht, und ob sich durch sie, die mit dem Könige noch immer in einem intimen Verkehr stehen sollte, nicht Manches von Wichtigkeit erfahren ließe; jetzt schien sich der in der Luft müßig hin und her wehende Faden an diesem Punkte ansetzen zu wollen, und hier kam ein anderer Faden, der sich wieder mit jenem ersten verknüpfte. Den General von Tuchheim hatte er vor ein paar Stunden an dem Eingang des Flügels im Palais gesehen – demselben Eingang, der auch in die Lippert'sche Wohnung führte! – dieselbe Wohnung, in deren Familienzimmer er Ferdinand's Mutter in Thränen gefunden hatte!
Kennen Sie den General? fragte Leo.
Nun, gewiß, erwiederte Ferdinand, den Kopf, den er in die Hand gestützt hatte, erhebend; ich kenne ihn von Kindesbeinen an. Er wohnte vordem links vom Palais in dem Hotel, das ihm der verstorbene König eingeräumt hatte und das er erst bei dem Regierungsantritt des jetzigen, der ihn zum Schloßhauptmann machte, mit einer Dienstwohnung im Residenzschlosse vertauschte. Der Garten des Hotels stieß an unsern Park, und da habe ich manchen Sommerabend mit Josephe von Tuchheim Haschens und Versteckens gespielt. Sie war ein paar Jahr jünger als ich, und schön genug, und wir liebten uns sehr, obgleich sie jetzt nichts mehr davon wissen will, und wenn wir uns einmal in Gesellschaft begegnen, thut, als ob sie mich zum ersten Male im Leben sähe. Der alte Herr war immer sehr freundlich zu mir, klopfte mich auf den Kopf, so oft ich ihm in den Weg lief, fragte, was ich treibe und ob ich fleißig in der Schule sei, und schenkte mir einen Thaler. Ueberhaupt hat er sich meiner sehr angenommen, bei meinem Vater durchgesetzt, daß ich studirte, mir auch hernach die Stelle beim Prinzen verschafft; und diese offene Theilnahme, die er mir stets bewiesen hat, ist der einzige Grund, weshalb ich nicht glaube, daß er selbst mein Vater ist. Er ist klug genug, um, wenn er es wäre, sein Spiel versteckter zu spielen. Möglich, daß er meine Mutter, als sie in das Falkenstein'sche Haus kam, auch hübsch gefunden hat; aber der Minister, sagt man, ließ sich nicht gern ins Gehege kommen, und wenn mein Vater nicht mein Vater ist, so ist es kein Anderer, als der verstorbene Minister.
Ferdinand brach in ein lautes cynisches Lachen aus, leerte sein Glas mit einem Zuge und füllte es von neuem.
Pah! rief er, warum soll ich es nicht sagen? Ich halte es mit dem Bastard Gloster im »König Lear«. Die Natur weiß, was sie will, und der Apfel fällt nicht weit von seinem Stamme. Welche Aehnlichkeit hätte aber ich mit meinem Vater? So lange ich denken kann, haben wir Beide nicht über eine und dieselbe Sache dasselbe gefühlt. Er ist so kalt wie ein Eiszapfen, und in mir gährt es, daß es mir manchmal fast die Hirnschale sprengt. Ich sympathisire mit meiner Mutter gerade auch nicht sehr, aber dann ist sie eine geknickte, unglückliche Frau, die wie eine ängstliche Schnecke überall vorsichtig mit den Fühlhörnern herumtastet und sich bei der leisesten rauhen Berührung in ihr Häuschen zurückzieht. Was ich unter diesen Verhältnissen als Kind und Knabe gelitten habe, kann ich Ihnen nicht sagen: ewige Kälte hier, ewige Thränen dort – nirgends ein Halt – und dazu im Herzen den Brand der Leidenschaften und den unauslöschlichen Durst nach Genuß – und so bin ich durch's Leben getaumelt, und ich möchte den sehen, der dabei immer fest auf seinen Füßen gestanden hätte!
Auf Ferdinand's Stirne lagerte sich schon wieder die rothe Wolke, die bei ihm das heraufziehende Gewitter verkündigte. In seinen sonst so schönen Augen spielte ein fahler, gläserner Schein, und seine Stimme klang rauher, als er nach einer Pause wieder zu sprechen begann:
Ich habe oft gelesen, und es mag auch wohl seine Richtigkeit damit haben, daß solche Menschen, wie ich, nur durch eine edle Liebe vom Untergange gerettet werden können. Aber auf den Wegen, die ich gewandelt bin und wandle, wo soll man die kostbare Perle finden? An mir hat es nicht gelegen, und an den Frauen wahrhaftig auch nicht, denn sie haben es mir leicht genug gemacht – die guten Dinger! Und das ist der Grund, weshalb ich nicht mit meinen Eroberungen prahle, weshalb ich aber auch nicht gefunden habe, was mir noth that. Ich habe keine Frau gekannt, der ich nicht in Allem überlegen gewesen wäre. Wie kann man lieben, was man selbst hat, und in reicherem Maße hat? und wenn uns nun auch noch das Einzige geopfert wird, was man nicht hat: Unschuld und Tugend – was in aller Welt könnte uns zwingen, vor einem solchen zerbrechlichen thönernen Götzen auf den Knieen liegen zu bleiben? Mögen blöde Thoren es thun, denen die Selbsttäuschung ein angeborenes Bedürfniß ist. Ich ward mit sehenden Augen geschaffen und will nicht dienen, wo ich herrschen kann. Sie lachen, Doctor? Sie denken an die Scene, von der Sie vorhin Zeuge gewesen sind und aus der Ihr beobachtender Scharfsinn so viel Schlüsse gezogen haben wird, daß ich das Bedürfniß fühle, Ihnen Alles zu sagen. Ja, ich liebe Eve, das heißt, ich liebe sie nicht eigentlich, ich bin blos in sie verliebt, aber zum Rasendwerden. Ich weiß, daß sie es nicht verdient, und doch könnte ich, wenn ich ein Gott wäre, meine Götterschaft für das Mädchen verkaufen. Sie kennen Eve, oder Sie kennen sie auch nicht, denn, um sie zu kennen, muß sie Einen jahrelang gequält haben, wie sie mich gequält hat. Ich war noch Student, als sie zu meinen Eltern in's Haus kam – ein blutjunges, sonnverbranntes, brünettes Ding, hager und üppig zugleich, wie eine Zigeunerdirne, und mit Augen, die unter den dichten Brauen wie die Augen einer wilden Katze funkelten. Und wie ein eingefangenes Raubthier bewegte sie sich in unserer steifen, engen, langweiligen Häuslichkeit, immer rastlos, rastlos, und dabei immer leise, leise, nirgends anstoßend, Alles beobachtend, und scheinbar jeden Augenblick bereit, die Hand, die unvorsichtig durch das Gitter langte, zu zerfleischen. Sie war so unwissend, daß sie kaum lesen und schreiben konnte, und von dem, was in der Welt vorgeht, hatte sie die abenteuerlichsten Vorstellungen. Das war aber nur in der allerersten Zeit, denn mit einer Schnelligkeit, die mir noch heute unbegreiflich ist, lernte sie in wenigen Monaten Alles, was unseren Mädchen auf höheren Töchterschulen in ebenso viel Jahren beigebracht wird; nur etwas brauchte sie nicht zu lernen, denn das besaß sie bereits in der höchsten Vollkommenheit: die Kunst, anzuziehen, so weit es ihr gefiel; abzustoßen, sobald es ihr beliebte. Ich sagte Ihnen, daß ich noch Student war, ich brauche wohl kaum hinzuzufügen: ein toller Student, und Sie können sich leicht denken, welche herrlichen Blüthen meine studentische Tollheit in der Nähe dieser Zauberin trieb. Sie machte eben aus mir, was sie wollte. Es war ein ewiges Suchen und Meiden, Flüstern und Zanken, Streicheln und Kratzen, Lieben und Hassen, ein wahrer Hexensabbath von Leid und Lust, bis ich zuletzt fand, daß ich, dem sie tausendmal geschworen hatte, ihn mehr zu lieben, als ihr Leben, ihr nichts weiter war, als ein gefälliger Spiegel, vor dem sie ihre Grimassen einübte, ein dummes Modell, dem sie ihre Garderobe anprobirte. Ich sah ganz deutlich, daß ich meinen Einsatz verloren hatte, daß ich gegen mein eigenes Geld spielte, aber es war, als wenn der Teufel mich an dem Unglückstische festhielte – es war nicht mehr der Gewinn, der mich reizte, es war das Spiel selbst, die fieberhafte Aufregung, die ich nicht mehr entbehren konnte.
Und sie hat redlich dazugethan, mich in diesem Fieber zu erhalten. Die Sonne kann nicht gleichmäßiger auf Gerechte und Ungerechte scheinen, als sie auf Alle, die in ihre Nähe kommen, ihren Zauber wirken läßt. Ich glaube, die halbe Stadt kennt sie unter dem Namen der schönen Castellanin, und es giebt keinen schlanken Garde-Officier, der nicht seine Reiterkünste vor ihrem Fenster probirt und mir hernach vorgeschnarrt hätte, daß meine Cousine auf Ehre ein famoses Mädchen sei.
Ich habe mich schon oft gefragt: Wo soll das hinaus, was will Eve? Schließlich nimmt doch Alles ein Ende, auch die lockendsten Reize verblühen – und Eve ist fünfundzwanzig Jahre! Und da ist mir ein Verdacht gekommen, der in mir frißt wie ein brennendes Gift, und den aller Champagner der Welt nicht ersäufen kann. Sehen Sie mir nicht so prüfend auf die Stirn – ich bin vollkommen nüchtern. Ich weiß ganz gut, daß ich Ihnen noch immer die Erklärung der Scene von vorhin schuldig bin. Sie sind ein kluger Mann, Sie sind von anderem Kaliber, als die elenden Bursche, die sich von mir amüsiren lassen. Denen kann ich nicht vertrauen; ich brauche Jemand, dem ich vertrauen kann, und nun beantworten Sie mir die Eine Frage: Warum hat der Mann, mein Vater, dies Mädchen kommen, warum sie so sorgfältig erziehen, sie in Allem unterrichten lassen? Warum verschwendet er – der Geizhals – seine halbe Einnahme an ihrem Putz? Warum ließ er sich von ihr Alles gefallen? Warum? Ich flehe Sie an, beantworten Sie mir das eine Warum! Aus allgemeiner Menschenliebe? aus Verwandtenliebe? Pah! Was weiß der Mann, mein Vater, davon? Worauf rathen Sie? Nun, ich will Ihnen die Antwort ersparen. Ein schönes Mädchen, und ein Mädchen, das geistreich und gewandt ist, ist für Jemand, der bei Hofe Carrière machen will, ein unschätzbarer Schatz. Er kann durch sie erreichen, was er sonst durch nichts in der Welt erreichen würde. Nun, und wenn sich der Mann, mein Vater, einen solchen niedlichen, rentablen Schatz in diesem Mädchen hätte anlegen wollen? Und wenn er, als ein verständiger Mann, entschlossen wäre, sein Geld nur zu den höchsten Zinsen auszuleihen? und das liebe, kluge Geld ganz auf die kluge Absicht des Besitzers einginge? Wie? Oder wäre so etwas noch gar nicht vorgekommen? Giebt es etwa, in unseren Fürstenschlössern keine Hintertreppen mehr, durch die man zu einer höchst behaglichen Sophaecke in dem Boudoir einer verschwiegenen Villa so in der Nähe, oder zu einem Schaukelstuhl in der schattigen Veranda eines Lusthauses am Comersee gelangt? Hat es noch kein Bürgermädchen gegeben, dem sein hübsches Mäskchen den Titel einer Gräfin von so oder so einbrachte? Und war die erste Katharina von Rußland denn mehr als eine Bauerndirne? Das Alles sind gar nicht aufzuwerfende Fragen, und – das Palais hat viele Hintertreppen. Können Sie es mir verdenken, wenn ich nicht leiden will, daß Eve Fremde im Schlosse herumführt, Fremde, die vielleicht die Gefälligkeit haben, zu gelegener Zeit zu verschwinden, zum Beispiel, nachdem sie ihnen die Privatgemächer des Prinzen aufgeschlossen hat?
Leo versuchte, den Aufgeregten einigermaßen zu beruhigen, indem er ihm vorstellte, daß dies Alles doch nur ein leerer Verdacht sei; aber es war vergeblich.
Was wollen Sie? rief Ferdinand, Beweise sind schwer zu schaffen, wenn man es mit einer so geschmeidigen Schlange zu thun hat; aber Verdachtgründe habe ich mehr als zu viel.
Er rückte näher an Leo heran und sagte in leiserem Tone: Es sind nun bereits fünf Jahre, daß ich in dem persönlichen Dienst des Prinzen bin, und ich glaube ohne Übertreibung sagen zu können, daß ihn kein Mensch besser kennt, als ich. Er hat mich gern, wie ein so hoher Herr einen Mann unseresgleichen gern haben kann; er vertraut mir viel; Correspondenzen, bei deren Anblick sehr klugen Diplomaten die Augen übergehen würden, laufen durch meine Hand, und dann andere Correspondenzen, die für die Ruhe von Privatpersonen, die zufälligerweise hübsche Töchter oder Weiber haben, gefährlicher sind, als für die des Staates. Gegen Leute, wie ich, braucht man sich natürlich nicht zu geniren, da kann man seiner Zunge freien Lauf lassen! Sagen Sie, lieber Lippert, wer ist denn das hübsche Mädchen, das ich da öfter unten beim Castellan am Fenster sitzen sehe? – Meine Cousine, Hoheit. – Ach, Ihre Cousine! Weiß der Teufel, was für hübsche Cousinen Ihr immer habt. Ein sehr hübsches Mädchen! – Dergleichen Reden hat er ein paar Jahre lang geführt, und ich habe nicht viel darauf gegeben; jetzt hat er aufgehört von Eve zu sprechen, aber ich weiß, daß er sie nicht vergessen hat, denn ich fand neulich auf seinem Schreibtische einen Bogen, auf dem ein Brief angefangen war, und dann verschiedene Schnörkel, und dann so ganz verloren: »Süße Eve!«
Haben Sie sich auch nicht getäuscht? fragte Leo, man täuscht sich leicht, wenn man –
Es Schwarz auf Weiß hat? unterbrach ihn Ferdinand. Hier haben Sie es Schwarz auf Weiß!
Er nahm ein Blatt aus seinem Portefeuille und breitete es vor Leo aus. Leo's Augen flogen gierig über die Zeilen, die der fürstliche Briefsteller offenbar nicht ohne manches Bedenken mit vorsichtiger Feder hingeschrieben hatte. Ferdinand hatte den Kopf in die Hand gestützt und bemerkte durchaus nicht, daß es sehr lange dauerte, bis Leo mit der Untersuchung des Blattes fertig war.
Nun, sagte er endlich, zweifeln Sie noch?
Nein, erwiederte Leo; aber an wen ist dieser Brief?
An den Fürsten von M.! an wen sonst! murmelte Ferdinand; er hat mich eine Abschrift davon machen lassen und mir den Rest in die Feder dictirt.
Und dies Original?
Nun dies Original ist verschwunden, verzettelt, verbrannt – was weiß ich! Aber sie soll es sehen, mit eigenen Augen sehen, daß ich nicht blind gewesen bin, daß ich längst gewußt habe, wie sie mich am Narrenseile führt.
Das könnte Sie leicht Ihre Stelle kosten, sagte Leo; ich glaube, es wäre besser, wir verbrennten den Brief.
Und er näherte das Blatt der Flamme des Lichtes, welches der Kellner vorhin mit dem Kaffee auf den Tisch gestellt hatte.
Unmöglich! rief Ferdinand, mit Heftigkeit Leo's Hand zurückreißend.
So geben Sie den Brief mir, sagte Leo; er ist bei mir besser aufgehoben, als bei Ihnen.
Sie können von mir verlangen und haben, was Sie wollen, rief Ferdinand. Und nun lassen Sie uns noch eine Flasche trinken; mir ist von all' dem Zeug, das ich geschwatzt, ganz wüst im Kopf geworden.