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Siebentes Kapitel

Oswalds Furcht war unnötig gewesen. Mitten in dem großen, durch die heruntergelassenen Vorhänge halbdunklen Gemache saß Berger an einem mit Büchern bedeckten Tische. Er hatte den gesenkten Kopf in beide Hände gestützt und schien zu schlafen, denn er regte sich, obgleich er mit dem Gesicht zur Tür zu saß, selbst dann noch nicht, als Oswald bis an den Tisch getreten war. Oswald wagte nicht, ihn zu wecken. Er blieb an dem Tisch stehen und schaute mit Augen, die sich, ihm kaum bewußt, mit Tränen füllten, auf den Dulder. Welche Verwüstungen hatten diese wenigen Monate in dem einst so stolzen energischen Gesicht angerichtet! Das dunkle lockige Haar war ergraut; die massive, wie aus Granit gehauene Stirn schien, da die Schläfen kahl geworden waren, noch gewaltiger und imponierender. Ein voller Bart, den Berger sonst nicht trug, floß silbergrau von Wangen, Lippen und Kinn herab. Die Hände, die einst so sorgsam gepflegten rundlichen Hände waren so mager, so durchsichtig mager geworden! Und dieser Anzug! Eine blaue Bluse anstatt des schwarzen Rockes, an dem kein Federchen geduldet wurde; ein grobes, zerknittertes Hemd an ihm, der früher Luxus mit feinster, blendendweißer Wäsche trieb! Auf dem Tisch ein abgetragener runder Filz und ein Stock, der offenbar noch vor kurzer Zeit der integrierende Teil einer Dornenhecke gewesen war, anstatt des sorgsam gebürsteten Pariser Hutes und des Bambusrohres mit dem goldenen Knopf! – Wenn solche Veränderungen mit dem äußern Menschen vorgehen konnten, welche Revolutionen mußten in der Seele Tiefen stattgefunden haben!

Berger regte sich. Er hob die Stirn, schlug die Augen auf und blickte auf Oswald. Die Augen waren tief und klar, und schienen größer als sonst. Kein Zucken verriet Erstaunen, Verwunderung oder Schrecken über den unerwarteten Anblick.

»Ich hatte soeben nur von dir geträumt, Oswald!« sagte er, sich erhebend, mit einer leisen Stimme, von der alle frühere Schärfe und Kraft gewichen schien.

Oswald konnte sich nicht länger beherrschen. Er schluchzte laut auf und warf sich stürmisch in Bergers Arme. All das Leid, das er erlitten – erst jetzt, an der Brust dieses Mannes glaubte er es wahrhaftig zu fühlen; alle Tränen, die sein Herz geblutet, und sein Auge nicht geweint hatte, erst jetzt, in den Armen dieses Mannes, der so viel erduldet, glaubte er sich ihrer nicht schämen zu dürfen. Berger hielt ihn mit den Armen umfangen wie ein Vater den Sohn, der aus der Ferne heimkehrt, in der er sich von Trebern nährte.

»Weine nur!« sagte er. »Weine! In Tränen erleichtert sich das allzuvolle junge Herz. Als ich jung war wie du, da habe ich geweint wie du – jetzt hat mein Auge das Weinen verlernt.«

»Berger, lieber, lieber Berger!«

»Ich wußte, daß ich dich so wiedersehen würde; ich habe dich längst erwartet. Ich dachte nicht, daß du es in der öden Wüste auch nur so lange aushalten würdest. Weine nur! Die Tränen sind der Preis, um den wir unsere Seele zurückkaufen aus dem kläglichen Handel, den wir eingingen, noch ehe wir wußten, was wir taten. Bevor wir dem Dasein entsagen, müssen wir erkennen, daß es besser ist, nicht da zu sein. Der eine kommt früher zu dieser Einsicht, der andere später. Freue dich, daß du zu denen gehörst, die in der bitteren Qual der Sansara schon einen Vorschmack des süßen Nirwana haben.«

Er ließ Oswald aus seinen Armen und griff nach dem Hut und dem Stock auf dem Tische.

»Komm!« sagte er.

Oswald war von dieser Szene so erschüttert, daß er nur an Bergers wunderlichen Anzug dachte, um zu fühlen, daß es schlechterdings unmöglich sei, diesem Manne von solchen Dingen zu sprechen. Er hätte ebensogern eine Mutter, die über der Leiche ihres Kindes weint, an eine Nachlässigkeit der Toilette erinnert, an eine Schleife, die sich verschoben, an ein Band, das aufgegangen ist.

Sie gingen durch die langen Korridore, die breite steinerne Treppe hinab zum Hause hinaus. Als sie über den Hof schritten, kam der junge Mann, der auf der Bank saß, und wiederholte die Frage, die er vorhin an Oswald gerichtet hatte:

»Ich habe gewiß die Ehre, mit dem Kaiser von Fez und Marokko zu sprechen.«

»Nein«, antwortete Berger, »der Kaiser kommt nicht, verlassen Sie sich darauf!«

»Kommt nicht?« sagte der junge Mann, und sein bleiches Gesicht wurde noch bleicher und seine Augen irrten unruhig umher. »Kommt nicht? Woher wissen Sie das?«

»Weil, wenn er käme, es dir nicht zum Glück, wie du wähnst, sondern nur zu deinem gänzlichen Verderben gereichen würde. Warum willst du, daß er kommt? Damit er dir Gold bringt, das du verspielst, und Juwelen, die du an deine Mätressen verschenkst; damit er dir die Mittel zu einem Leben gewährt, dem entronnen zu sein, du deinem Gott, wenn du an einen Gott glaubst, auf den Knien danken müßtest. Was du für einen Stern der Verheißung hältst, ist nur ein Irrlicht auf dem Sumpfe. Trau seinem Schimmer nicht, er lockt dich hierhin und dorthin und immer tiefer in den Morast. Kehr ihm entschlossen den Rücken zu! Noch einmal sage ich dir: Der Kaiser kommt nicht, und es ist ein Glück für dich, daß er nicht kommt.«

»Kennen Sie denn Se. Majestät so genau?« stotterte der junge Mann.

»Sehr genau«, sagte Berger, und ein eigentümliches Lächeln spielte auf seinem Gesicht, »sehr genau, nur zu genau. Auch mich hat Se. Majestät lange genasführt. Ihnen verspricht er Geld und Gut, mir versprach er – es bleibt sich gleich, was; und so verspricht er jedem etwas anderes, um jeden zu narren und zu äffen. Die Einsicht, daß es mit Se. Majestät Versprechungen eitel Wind ist, das ist der Weisheit Anfang – wie es denn auch ihr letzter Schluß ist.«

Diese Worte sprach Berger mit plötzlich abfallender Stimme, wie zu sich selbst. Er achtete des jungen Mannes nicht weiter, der mit einem unbeschreiblich traurigen Gesicht, den Hut in der Hand, dastand; auch Oswalds nicht, der schweigend und durch die eben erlebte Szene aufs peinlichste berührt, neben ihm her weiterschritt.

Berger mußte ahnen, was in der Seele seines Begleiters vorging, denn als sie durch die Pforte, die ihnen ohne weiteres geöffnet wurde, getreten waren und nun auf der Landstraße dahinschritten, die erst an dem Fluß entlang, dann über eine Brücke auf das jenseitige Ufer und von dort höher und immer höher in die Berge führte, unterbrach er plötzlich das Schweigen und sagte:

»Du wunderst dich, daß ich mit dem armen Schelm nicht glimpflicher verfuhr, daß ich ihm seine wahnwitzigen Illusionen so grausam zerstörte. Diese scheinbare Grausamkeit ist im Grunde Wohltat.«

»Wer ist der Unglückliche?«

»Ein Graf Maltan aus unserer Gegend. Er hat binnen wenigen Jahren ein Vermögen von Millionen in sinnlosen Ausschweifungen durchgebracht. Jetzt hofft und harrt er auf den fabelhaften Kaiser, der ihm wiederbringen soll, was er verlor.«

»Aber wenn der junge Mann dadurch, da Sie ihm diesen einzigen letzten Trost rauben, den schwachen Rest seines Verstandes vollends verliert –«

»Du sprichst wie Doktor Birkenhain. Ich muß lachen, wenn ich sehe, wie dieser Mann in seinem blinden Optimismus sich gegen die Kraft stemmt, die den Menschen unaufhaltsam zur Vernichtung treibt, dem Kinde gleich, das einen Strom mit seinen Händchen aufzuhalten versucht. Mein Studium hier besteht in der Beobachtung dieses eigentümlichen Kampfes, der erhaben sein würde, wenn er nicht lächerlich wäre. Diese Ärzte tappen im dunkeln, wie bei einem Blindekuhspiel, und glauben die Krankheit zu kurieren, wenn sie die Symptome fortschaffen. Sie wissen nicht, sie ahnen nicht, daß eben das Leben selbst der Schuh ist, der uns drückt, das Nessuskleid, das uns bei lebendigem Leibe verbrennt; und daß diesen Schuh auszuziehen, dieses Kleid von sich zu streifen, nicht nur das beste, sondern auch das einzige Mittel ist, der öden Qual des Daseins zu entrinnen.«

Sie waren, von der Landstraße abbiegend, auf eine Lichtung im Walde gelangt, die mit Moos und Heidekraut dicht übersponnen war. Vor ihnen sah man über die Wipfel der Tannen weg in die Ebene, aus der sie emporgestiegen waren und weit in das Hügelland hinein; hinter ihnen zog sich der Wald bergauf höher und höher. – Es war still, lautlos still um sie her. Lange weiße Fäden wehten durch die dünne klare Luft. Die Blumen waren verschwunden; die Vögel hatten ihre Lieder, die Zikaden ihr Schwirren verlernt; der Sommer war tot und die Natur saß in stummem Schmerz an seiner Leiche. Selbst der herrliche Sonnenschein war wehmütig wie einer Witwe Lächeln; das Blau des Himmels matt und krankhaft wie einer Trauernden verweintes Auge.

Berger hatte sich auf einen niedrigen Baumstumpf gesetzt, Oswald sich neben ihn in das dichte Heidekraut gelagert. In dieser Waldesstille, die ihn so lebhaft an die Forsten von Grenwitz und Berkow und an die schmerzlich süßen Tage, die er dort verlebt, erinnerte, überkam ihn jener Drang, sich mitzuteilen, der uns in manchen Momenten mit unwiderstehlicher Heftigkeit befällt. Wie es den katholischen Christen treibt, die tiefverborgenen Geheimnisse seiner Brust dem Priester, seinem personifizierten Gewissen, ins Ohr zu murmeln, so trieb es Oswald, dem unglücklichen Mann an seiner Seite, in dem er von Anfang an sein zweites Ich erkannt hatte, alles zu beichten, was er erlebt, erstrebt, gefehlt und gesündigt hatte in dieser letzten, für ihn so ereignisreichen, verhängnisvollen Zeit. Er dachte nicht an Doktor Birkenhains Weisung, Berger auf jede Art für sein Schicksal zu interessieren und dem Kranken gegenüber die Rolle eines Arztes zu spielen. War er doch selbst so krank! Aber, wie es auch in seinem Herzen wühlte – der Mann an seiner Seite hatte Schlimmeres erduldet; was er sich selbst kaum zu gestehen wagte – ihm, dem Manne, der gesenkten Hauptes in dem dunklen Labyrinth der Seele umherwanderte und keinen Weg zum Licht des Tages zu finden wußte – ihm durfte er alles, alles sagen. Und, stockend im Anfang, und dann immer lebhafter, leidenschaftlicher erzählte er ihm, was er zu erzählen hatte: seine Liebe zu Melitta, seine Liebe zu Helenen, seine Freundschaft für Bruno; und wie ihm die Eifersucht und der Wankelmut des Herzens jene, und die Verkettung der Umstände diese und der Tod den herrlichen Knaben geraubt hatten.

Berger hatte, das Kinn in die Hand stützend und mit großen Augen unablässig in die Ferne blickend, ohne Oswald auch nur einmal zu unterbrechen, schweigend zugehört. Endlich, als der junge Mann mit der schmerzlichen Klage schloß: »Warum haben Sie mich in dieses Wirrsal geschickt? Warum haben Sie mich so lange in der Irre gelassen?« erhob er das Haupt, wandte die Augen auf ihn und sagte langsam und bedächtig:

»Weil du auch dies erfahren mußtest, weil du, als du in Grünwald bei mir warst, noch immer an die große Lüge glaubtest, die wir Leben nennen, weil der Trotz, mit dem du diese Lüge bejahtest, gebrochen werden mußte. Ich habe dich den kürzesten und sichersten Weg zur Erkenntnis geführt. Ich wußte, daß du dich blenden lassen würdest von der trügerischen Spiegelung, daß du mit pochendem Herzen, mit lechzender Zunge durch den öden, heißen Sand eilen würdest, weiter, unaufhaltsam weiter, nach dem blauen See mit dem waldbegrenzten Ufer, der sich vor dir zurückzog in demselben Maße, in dem du dich ihm zu nähern glaubtest, bis du endlich, in deiner Qual dir und deinem Dasein fluchend, zusammenbrechen würdest. Freue dich! Du hast es überstanden, und in ebensoviel Wochen, als ich dazu Jahre brauchte, den ersten, den schwersten Kursus durchgemacht: Du hast die Augen aufgeschlagen und angesehen, was da war, und siehe! Es war nicht gut! Dir ist der Wert des Lebens, der Zweck des Lebens problematisch geworden: Du hast angefangen zu begreifen, daß es mit jener Behauptung schaler Optimisten: Das Leben sei des Lebens Zweck, nicht seine Richtigkeit hat – man müßte denn seine Beruhigung in dem Erstreben eines Zieles finden, das sich nie erreichen läßt, oder das, wenn es in jedem Augenblick erreicht wird, in keinem Augenblick erreicht zu werden verdient. Du hast gesehen, daß Lug und Trug und Dummheit und Gemeinheit sich in Wahrheit, Ehrlichkeit, Weisheit und Hoheit unauflöslich verweben. Diese Erkenntnis, die nur den stumpfsinnigen Sklaven kaltläßt, der die Peitschenhiebe seines Treibers grinsend entgegennimmt, edele Seelen aber zum Tode betrübt, ist der Anfang der Weisheit, ist die Vorhalle zum großen Geheimnis.«

»Und das große Geheimnis?«

Berger antwortete nicht; er schaute wieder mit jenem trüben, starren Blick in die Ferne. Oswald wagte nicht, seine Frage zu wiederholen.

Diese Stille ringsumher! Still flossen die feinen Sommerfäden durch die helle Luft; still wob der Abendsonnenschein sein goldenes Netz über das Heidekraut des Bodens und die dunkelgrünen Wipfel der Tannen.

So saßen sie stumm nebeneinander – stumm und traurig wie zwei im Walde verirrte Kinder. Aber während der Mann, der mit dem Leben abgeschlossen, dem es fürchterlicher Ernst war mit seiner Weltverachtung, sich widerstandslos tiefer und tiefer in den Abgrund seiner Schmerzen sinken ließ, kämpfte die junge ungebrochene Lebenskraft in dem andern gewaltsam hinauf zur Luft und zum Licht.

»Was ist es, das sich in mir in diesem Augenblicke, wo ich es am wenigsten erwartete, gegen Ihre herbe Weisheit auflehnt?« fragte er, zu Berger aufschauend. »Mein Verstand sagt mir, daß Sie recht haben; aber – mein Auge trinkt den Zauber dieser abendlichen Landschaft, trinkt ihn bis ins Herz hinein und in meinem Herzen flüstert eine Stimme: Die Welt ist so schön, so schön! Und wenn auch das Leben dir Bitternisse ohne Zahl zu kosten gibt, doch ist es süß. – Sagen Sie, Berger, haben Sie je geliebt mit aller Kraft der Seele? Und kann die Liebe sterben wie der Sommer und die Blumen und der warme Sonnenschein?«

Berger lächelte – es war ein sonderbares, unheimliches Lächeln.

»Ob ich geliebt habe?«

Er senkte den Blick und hob mit seinem Stabe von der Moosdecke zu seinen Füßen ein Stück ab.

»Was frommt es«, sagte er, »den Schleier heben, den so viele Jahre über die Vergangenheit breiteten? Du siehst, was drunter ist, ist Moder und Verwesung.

Und doch«, sagte er nach einer Pause, »es ist gut, wenn du auch das erfährst. Höre!

Es sind jetzt dreißig Jahre her – ich stand damals in deinem Alter, aber ohne deine Erfahrungen gemacht zu haben, in frischer ungebrochener Kraft mich an das Leben klammernd, das mir süß und köstlich schien wie eine liebe Braut. Wenn je ein Mensch geschwärmt hat für Freiheit und Schönheit, für all die bunten Phantasmagorien, mit denen der blinde Drang, der uns ins Dasein rief, sich selbst zu beschönigen und die jämmerliche Hohlheit des Daseins zu verdecken sucht – wenn je ein Mensch für die blutlosen Schemen, die man Ideale nennt – begeistert war – so bin ich es gewesen. Ich glaubte, Tor, der ich war, daß die ewige Seligkeit schon hier auf Erden erreicht sei, überall, wo im freien Lande freie Menschen wohnten. Ich glaubte an ein Vaterland und habe auf den Schlachtfeldern von Leipzig und Waterloo mit meinem Blute meinen Glauben besiegelt. Ich kam zurück, voll des heißen Dranges, das angefangene Werk zu vollenden. Aber ehe ich darangehen konnte, die Wunden zu heilen, die der Krieg dem Vaterlande geschlagen, mußte ich an die Heilung meiner eigenen Wunden denken. Man schickte den Rekonvaleszenten nach Fichtenau.

Damals sah es noch anders aus in Fichtenau. Es existierte noch kein Kurhaus und keine Heilanstalt für Geisteskranke – nichtsdestoweniger wurde der Ort nicht leer von Fremden, denn der poetische Nimbus, den die großen Männer von Weimar über diese Täler ausbreiteten, lockte die Menge. Ich hielt mich fern von ihr und lebte einzig meiner Gesundheit und meinen Studien.

Ich wohnte in dem Hause eines alten Rektors, mit dem ich bekannt geworden war und dessen Freundschaft ich kultivierte, weil er eine verhältnismäßig große Bibliothek besaß und Bücher dazumal und besonders in diesem Winkel nicht so leicht zu haben waren wie jetzt. Aber der alte Rektor besaß außer seiner Bibliothek noch einen andern Schatz – eine wunderschöne Tochter. Die Tochter wurde mir bald interessanter als die Bibliothek. Du hast mich gefragt, ob ich je geliebt mit aller Kraft der Seele. Wenn du Eleonoren gekannt hättest und wüßtest, wie voll und mächtig damals mein Herz schlug – du würdest nicht haben zu fragen brauchen.

Es war ein Sommertag – ein paradiesisch schöner Sommertag. Wir waren nach Tische in den Wald gezogen – eine bunte Gesellschaft – jung und alt. Wir lagerten uns in dem Schatten der Tannen auf das schwellende Moos. Wir scherzten und lachten – ich auch, obgleich es mir gar nicht nach Scherz und Lachen zumute war. Wie mein Auge an ihrer reizenden Gestalt hing, während sie in der Gesellschaft mit schalkhafter Anmut die Honneurs machte; wie mein Ohr den Ton ihrer silberklaren süßen Stimme trank! Es war das alte Sirenenlied, das schon vor tausend und tausend Jahren erklungen ist, und nach tausend und tausend Jahren noch immer erklingen wird – bis die Zeit erfüllet ist.

Nach dem Kaffee schweiften wir durch den Wald; gruppenweis, paarweise wie der Zufall und die Laune es wollten. Ich war Eleonoren gefolgt, die sich einen Strauß von Waldblumen pflückte – ich half ihr, obgleich ich nicht viel von dergleichen verstand und wegen meiner Wahl von dem neckischen Mädchen ausgelacht wurde. Aber sie wurde stiller und stiller, je tiefer wir in den Wald gerieten und je weiter wir uns von den andern entfernten. Je stiller und ängstlicher sie wurde, desto lebhafter und kühner wurde ich. Ihre Schweigsamkeit und ihre Röte auf den Wangen verrieten mir, was ich im stillen gewünscht, vom Himmel in heißen Gebeten erfleht und doch nicht zu hoffen gewagt hatte.

Da traten wir heraus auf diese Lichtung. Dieselben Berge, die dort vor uns liegen, blauten herüber und dieselbe Sonne, die dort vom Himmel blickt, goß ihr blendendes Licht verschwenderisch auf uns hernieder. Und das goldene Licht glänzte auf ihrem dunklen lockigen Haar und leuchtete auf ihren weißen runden Schultern – und hier auf dieser selben Stelle sind wir uns in die Arme gesunken und haben uns unter heißen Tränen ewige Liebe und Treue geschworen.

Der Stumpf, auf dem ich hier sitze, war damals eine junge schlanke, kräftige Tanne, und ich war jung und schlank und voll übermütiger Kraft. Der Baum ist umgehauen und ins Feuer geworfen; ich – ich bin geworden, was ich bin.«

Berger schwieg und wühlte mit seinem Stabe in dem Moose zu seinen Füßen. Oswald schaute voll Ehrfurcht auf den unglücklichen Mann; aber er wagte nicht, zu sprechen, ja nicht einmal Bergers herabhängende Hand zu ergreifen. Auf Bergers Gesicht lag eine hehre Ruhe; keine Miene verriet, was in diesem Augenblick in seinem Herzen vorging; aber er sah nicht aus wie einer, der Mitleid heischt und Mitleid erwartet.

»Nicht auf einmal«, fuhr er plötzlich fort, »die Kraft in mir war groß und konnte nur allmählich gebrochen werden. – Ich sprach, als wir nach Hause gekommen waren, mit dem Alten; er hatte mich lieb und freute sich von Herzen unsrer Liebe. Wenige Tage darauf ging ich auf die Universität zurück, um meine Studien, die der Krieg unterbrochen hatte, wieder aufzunehmen. Ich studierte mit einem eisernen Fleiß, denn mein Wissensdurst war nicht minder groß als mein Wunsch, sobald als möglich in den Stand gesetzt zu werden, Eleonoren als meine Gattin heimführen zu können. Ich kam deshalb nur selten und nur auf kurze Zeit nach Fichtenau, um mich in Eleonorens Liebe zu sonnen und mit neuem Mut und neuen Kräften zu meinen Arbeiten zurückzukehren. Aber ich hatte noch eine andere Geliebte, die ich mit nicht geringer Schwärmerei anbetete – die Freiheit. Ich teilte diese Leidenschaft mit vielen andern edlen Jünglingen. Wir wollten unser Blut auf so viel Schlachtfeldern nicht umsonst vergossen haben; wir wollten nicht, nachdem wir den einen Löwen glücklich gebändigt, so vielen Schakalen und Wölfen zur Beute fallen. Aber die Schakale waren auf ihrer Hut, und die Wölfe brachen in unsre Hürde.

Ich bekleidete seit einem Jahr ein kleines Schulamt in der Provinz; ich hatte alles zu meiner Hochzeit vorbereitet – der Termin war festgesetzt; ich zählte die Tage und Stunden –, da werde ich eines Nachts von Bewaffneten aus dem Bette geholt. Meine Papiere wurden versiegelt – und die nächste Nacht schlief ich in der Kasematte einer Festung.

Oder vielmehr: ich schlief nicht; ich tobte, ich raste, ich rang mir die Hände an den Gittern meines Käfigs blutig. Nach und nach tröstete ich mich mit der Hoffnung, daß diese Gefangenschaft nicht lange dauern könne, und Eleonore – nun sie würde dies bittre Los ertragen wie eine Heldin. Ein zweiter Egmont, sah ich die Freiheit und die Geliebte nur in einem Bilde. Durch Nacht zum Licht! Durch Kampf zum Sieg! Das war der Zauberspruch, mit dem ich das schlangenhaarige Scheusal Verzweiflung, wenn es sich an mich drängen und seine Tatzen in mein Herz schlagen wollte, zurückzuscheuchen suchte. Der Zauberspruch sollte Zeit haben, seine Kraft zu erproben – ich blieb fünf Jahre lang ein Gefangener.

Wohl war während dieser Zeit, die ich nach dem Schlag des Herzens und dem Fall der Tropfen maß, die von der feuchten Decke des Kerkers sickerten, mein Glaube an die vermeintliche Göttlichkeit der Weltordnung arg erschüttert worden – aber, ich sagte dir, meine Lebenskraft war groß und mein Wille zum Leben übermächtig. Ich hatte in den stillen, öden Nächten, wo ich mich ruhelos auf meinem harten Lager wälzte, wohl das große Wort, das uns erlöst, vernommen, aber ich hatte es nur halb und nicht einmal halb verstanden. Ich hatte es in der langen Lehrzeit eben erst zu buchstabieren begonnen; das Leben sollte mich noch in seine harte Schule nehmen, bevor ich es fließend lesen lernte.

Ich war kaum aus meiner Haft entlassen, als ich – du kannst dir denken, mit welchen Gefühlen – hierher nach Fichtenau eilte. Ich hatte im Anfange meiner Gefangenschaft einen und den andern Brief von Leonore erhalten, in dem sie mich zur Standhaftigkeit, zum Ausharren beschwor, bei demselben Gott, zu dem sie allstündlich ihre Gebete um meine Freiheit sende. Diese Briefe waren seltener geworden, bis sie nach zwei Jahren ungefähr ganz ausblieben. Das war mir das Schmerzlichste; aber ich glaubte stets, daß nur die Grausamkeit meiner Kerkermeister mir diese Labetropfen versage und biß die Zähne zusammen und fluchte meinen Peinigern.

Ich hatte den Leuten Unrecht getan.

Tief in der Nacht kam ich nach Fichtenau. Ich fuhr direkt nach dem wohlbekannten Hause, ich sprang aus dem Wagen, ich riß an der Klingel. Da öffnete sich oben ein Fenster, ein altes Weib schaute heraus und fragte nach meinem Begehr. Ich fragte nach dem Rektor. ›Der ist seit drei Jahren tot‹, war die mürrische Antwort. ›Und wo ist seine Tochter?‹ ›Da müssen Sie den vornehmen Herrn fragen, der mit ihr vor drei Jahren davongelaufen ist‹, sagte das Weib und warf das Fenster zu.

Ich stand wie vom Donner gerührt. Dann lachte ich laut auf, aber ich verstummte plötzlich vor einem stechenden Schmerz in meinem Herzen, denn Oswald – ich hatte Eleonore geliebt.

Wie ich in den Gasthof gekommen bin, weiß ich nicht. In der Nacht schreckte ich die guten Leute durch wildes Gelächter und wahnsinniges Toben aus dem Schlaf – sie brachen in meine verschlossene Stube – ich lag im Delirium. Die Kerkerluft hatte an meinen Nerven gezehrt und der fürchterliche Schlag, der mich so unvorbereitet getroffen, das morsche Gebäude ganz erschüttert. Ich rang vier Wochen lang mit dem Tode, aber ich klammerte mich zu fest an das Leben, und der Tod ließ seine Beute fahren. Wohl mir! Der Tod wäre nicht der rechte Tod gewesen; er hätte mich dem Leben wieder ausgeliefert. Wenn ich jetzt sterbe, so sterbe ich für immer.«

Ein Schauer durchrieselte Oswald. Was bedeuteten diese mystischen Worte: Für immer sterben? Enthielten sie das große Geheimnis, von dem ihn jetzt noch ein dichter Vorhang trennte?

»Meine Rekonvaleszenz«, fuhr Berger fort, »dauerte lange, denn meine Kräfte waren bis aufs äußerste erschöpft worden. Ich schlich an einem Stabe durch die Gassen des Städtchens und freute mich, wenn ich jeden Tag ein paar Fuß höher bergan steigen konnte, bis ich es endlich so weit gebracht hatte, daß ich diesen Platz hier erreichte – den Zeugen eines Schwures, der, wie ich erwähnte, für die Ewigkeit geschworen war und der verweht war wie der Hauch des Mundes. Hierher kam ich jeden Tag, um über mein verlorenes Glück zu weinen und mit dem Himmel zu hadern, der seine Sonne scheinen läßt über die Ungerechten und auf Gerechte seine Blitze schleudert. Denn ich war, wie Lear, ein Mann, an dem mehr gesündigt war, als er sündigte. Ich hatte es treu und gut gemeint mit allem, was ich erstrebt und gewollt im Leben. Ich hatte mein Vaterland geliebt, wie ein Kind die Eltern liebt, mit gläubiger Seele – und zum Dank dafür hatte es mich fünf Jahre im Kerker schmachten lassen; ich hatte Eleonore angebetet mit jedem Blutstropfen meines Herzens – und zum Lohn dafür hatte sie mich verraten. Ich hatte bis zu diesem Augenblicke so gelebt, daß ich hintreten konnte vor alle Welt und sprechen: Wer kann mich einer Sünde zeihen – und doch! Und doch! Ich marterte mein Hirn mit dem Versuch der Lösung dieser Widersprüche ab. Ich hatte noch immer nicht begriffen, daß das Leben selbst die große Sünde ist, aus der alle andern mit derselben Notwendigkeit fließen, mit der der Stein, der einmal in Bewegung gesetzt ist, unaufhaltsam in den Abgrund rollt. Aber so viel wurde mir doch klar, daß es kein Gott der Liebe sein kann, der eine Welt erschuf und schafft, in der die Sünden der Väter an den Kindern und Kindeskindern heimgesucht werden; eine Welt, die überall nach dem jesuitischen Grundsatz regiert wird, daß der Zweck die scheußlichsten Mittel heiligt. Ich hatte bis jetzt an den Dingen und Menschen nur überall die guten Seiten aufgesucht, jetzt hatte das Leid, das mich selbst betroffen, mein Auge aufgetan für die Leiden aller Kreatur. Ich dachte jetzt daran, daß auf jedem Blatte der Geschichte eine Schaudertat verzeichnet steht, vor der sich unser Haar sträubt und unser Blut gerinnt; ich dachte daran, daß in jedem Menschenherzen eine dunkle Stelle ist, an der er verhüllten Angesichts vorüberschreitet; daß noch kein Mensch das Licht erblickte, für den nicht eine Stunde kam, in welcher er wünschte, er wäre nicht geboren; ich dachte daran, daß das Leben unzähliger Menschen nichts weiter als ein verzweifelter Kampf mit der grimmen Not ist; daß Krankheit und Sünde und Reue und Sorge – die trefflichen Minierer – unser Leben aushöhlen wie die Maden die Frucht; daß unsere beste Freude ein Tanz über Gräbern ist und daß, wenn das Leben wirklich köstlich war, der unerbittliche Tod ein Spott und ein Hohn ist für dies köstliche Leben. – Und ich sah mich um in der Natur, aus der die Poeten eine Idylle machen, und sah, daß sie entweder tot und fühllos ist, oder, wo sie lebt und fühlt, dazu blutige Drama des menschlichen Daseins nur in roherer, nackterer Form wiederholt. Ich sah, daß die einzelnen Geschlechter der Tiere in grimmiger, unversöhnlicher, von keinem Gottesfrieden unterbrochener Fehde begriffen sind und daß ihre Kriege mit einer brutalen Grausamkeit geführt werden, neben der sich manchmal die raffiniertesten Martern der Inquisition noch sehr unschuldig ausnehmen.

Und während ich so Stück für Stück die bunten Lappen abriß, mit denen die Feigheit und der Aberwitz die Wunden und Pestbeulen des Lebens zu verhüllen sucht, erwachte in mir ein Gefühl, das meinem Herzen bis dahin fremd gewesen war, der Haß. Es war nur die Liebe in anderer Form, trotzdem ich mir einredete, ich hätte die Treulose vergessen; es war nur ein anderer Ausdruck der Bejahung des Lebens, von dem ich noch immer nicht lassen konnte, trotzdem ich mir einbildete, ich hätte mit dem Leben abgeschlossen. Wenn man das Leben wirklich verneint, so weiß man nichts mehr von Haß und Liebe.

Damals aber haßte ich, heiß, wie ich geliebt hatte. Mein ganzes Sinnen und Trachten konzentrierte sich bald in dein einen glühenden Wunsch der Rache. Rache! Rache! An ihm, an ihr! So schrie eine Stimme in mir, die nicht zum Schweigen zu bringen war. In Fichtenau kannte man mein Schicksal und interessierte sich dafür mit jener wohlfeilen Sympathie, die sich von der Skandalsucht und der Schadenfreude freihalten läßt. Man erzählte mir, ohne daß ich darum fragte, alles, was man von Eleonores Flucht wußte.

Um dieselbe Zeit, als ihre Briefe ausblieben, war ein junger polnischer Graf nach Fichtenau gekommen und hatte bei dem alten Rektor die Wohnung bezogen, die ich früher gehabt hatte. Das ganze Städtchen war bald voll gewesen von seiner Schönheit und seinem Reichtum. Man hatte Eleonoren mit einem so gefährlichen Hausgenossen geneckt; sie hatte dergleichen Scherze ihrer Freundinnen mit großer Indignation zurückgewiesen. Bald aber sagte man ihr nicht mehr ins Gesicht, was man von ihrem Verhältnis mit dem jungen Grafen dachte, sondern tuschelte sich nur in die Ohren, daß man sie da und da des Abends spät mit ihm gesehen habe; daß die goldene Kette, die sie auf einmal trage, auch wohl nicht aus dem Nachlaß ihrer Mutter sei. Und dann kam ein Tag, wo man sich nicht mehr ins Ohr tuschelte, sondern laut auf der Straße erzählte: des Rektors Eleonore sei über Nacht mit dem schönen Grafen davongegangen und der alte Mann, ihr Vater, der so schon lange gekränkelt, sei über diese Nachricht so erschrocken, daß er auf den Tod liege. Wirklich war der Alte ein paar Tage später gestorben. Von Eleonoren hatte man seitdem nichts gehört.

Glücklicherweise wußte man auch den Namen des Grafen, und mehr bedurfte ich nicht, um den Racheplan auszuführen, den ich entworfen. Ich nahm den kleinen Rest meines Vermögens und machte mich auf die Reise. Zuerst nach Warschau. Dort kannte man den Grafen recht gut; es war ein junger Wüstling, der aus der Verführung von Frauen und Mädchen ein Gewerbe machte. Ein Bekannter wollte ihn vor zwei Jahren mit einem schönen Mädchen, das nach der Beschreibung Eleonore sein mußte, in Venedig gesehen haben.

Ich reiste nach Venedig. Dort erinnerte man sich seiner wohl; er hatte zwei Monate daselbst gelebt und war dann nach Mailand gegangen. Von Mailand schickte man mich nach Rom. Dort traf ich einen Jugendfreund, einen Maler. Er hatte den Grafen und Eleonore oft gesehen und das unglückliche Mädchen bedauert, noch ehe er wußte, in welchem Verhältnis ich zu ihr stand. Er erzählte mir, daß der Graf sie sehr schlecht behandelt habe, daß er sie jedem lachend angeboten habe, mit dem Bemerken, man könne ihm keinen größeren Freundschaftsdienst bezeigen, als wenn man ihn von dieser Last befreie. – Hier stockte der Maler, und wollte nicht weiter berichten. Ich beschwor ihn, mir alles zu sagen, ich sei auf das Schlimmste gefaßt. Endlich teilte er mir denn mit, daß sich zuletzt wirklich ein Nachfolger des Grafen in der Person eines französischen Marquis, zum mindesten eines soi-disant Marquis, gefunden habe, der mit Eleonore nach Paris gegangen sei. Das sei vor ungefähr einem Jahre geschehen. Der Graf halte sich jetzt, soviel er wisse, in Neapel auf.

Ich ging nach Neapel, mit meinem Freund, dem Maler. Ich hatte ihm mitgeteilt, daß ich an dem Grafen Rache nehmen wolle. Er meinte, das werde mir sehr schwerfallen, denn der Graf sei ebenso mutig und verschlagen, als er wollüstig und grausam sei. Da ich aber auf meinem Vorsatz bestand, so erbot er sich, mich zu begleiten. Ich nahm diesen Freundschaftsdienst an, denn der Maler hatte viele Verbindungen mit dem Adel und konnte mich in die Kreise einführen, in denen sich mein Feind bewegte, und die mir sonst verschlossen oder doch schwer zugänglich gewesen wären.

Wir kamen nach Neapel. Der Graf war noch da, der verhätschelte Liebling der Frauen und der Schrecken der Väter und Ehemänner. Dem Maler gelang es ohne Mühe, mich einzuführen. Ich besuchte jede Gesellschaft, um mit dem Grafen zusammenzutreffen, was bisher der Zufall noch immer verhindert hatte. Endlich traf ich ihn in einer großen Soiree bei dem russischen Gesandten. Ich sah ihn in dem ganzen Glanze seiner wirklich herrlichen Schönheit und mit dem Zauber seiner chevaleresken Anmut in einer Gruppe von Herren und Damen. Ich trat an der Hand des Malers mitten in diese Gruppe hinein.

›Herr Graf‹, sagte der Maler. ›Der Doktor Berger aus Fichtenau wünscht Ihre Bekanntschaft zu machen; erlauben Sie, daß ich ihn Ihnen vorstelle.‹

Bei dem Worte Fichtenau wurde der Graf bleich und verlor die Fassung, so daß es allen Herumstehenden auffiel.

›Ich will Sie nicht länger aufhalten, Herr Graf‹, sagte ich vortretend. ›Ich wünsche nur von Ihnen den augenblicklichen Aufenthaltsort der jungen Dame zu wissen, die Sie vor drei Jahren aus ihrem väterlichen Hause entführten und zuletzt in Rom an einen französischen Schwindler verkuppelten.‹

Ich sprach diese Worte ruhig, langsam, jede Silbe abwägend. Meine Stimme beherrschte den ganzen Salon, denn es war nach meinen ersten Worten so still geworden, daß man eine Nadel hätte fallen hören.

Der Graf war noch bleicher geworden, aber er faßte sich alsbald wieder und sagte:

›Und was gibt Ihnen das Recht zu dieser Frage, für die Sie in der Tat die Zeit und den Ort äußerst schicklich gewählt haben?‹

›Ich hatte das Unglück, der Verlobte der jungen Dame zu sein.‹

›Und wenn ich Ihnen die erwünschte Auskunft verweigere?‹

›So erkläre ich Sie vor diesen Damen und Herren für das, was Sie vom Wirbel bis zur Sohle sind: ein gemeiner Schurke.‹

Bei diesen Worten schleuderte ich ihm meinen Handschuh ins Gesicht und verließ, nachdem ich mich in kurzen Worten bei den Versammelten für die von mir provozierte Szene entschuldigt, vom Maler begleitet, die Gesellschaft.

Eine Beleidigung der Art konnte nach der Anschauung der Welt, in welcher der Graf lebte, nur mit Blut gesühnt werden, um so mehr als ich, um dem Aristokraten jede Ausflucht zu versperren, in meiner Offiziersuniform in der Gesellschaft erschienen war und der sehr geachtete Name des Malers mich vor dem Verdacht schützte, ein bloßer Abenteurer zu sein. Überdies hatte sich der Graf durch die Gunst, in der er bei der Damenwelt stand, in der Männerwelt so verhaßt gemacht, daß ihm jeder die von mir widerfahrene schmachvolle Behandlung gönnte und er durch die Weigerung, sich mit mir zu schlagen, um den letzten Rest seines Ansehens gekommen sein würde. Er hatte unter dem Achselzucken seiner wenigen Freunde und dem offenen Hohnlächeln seiner zahlreichen Feinde gleich nach mir die Gesellschaft verlassen, und schon eine Stunde darauf erhielt ich von ihm eine Herausforderung auf den Morgen des folgenden Tages. Das war alles, was ich gewollt hatte; ich vernahm die Nachricht mit einer Art von Jubel; die wenigen Stunden bis zu dem Augenblicke, wo ich den Ehrenräuber Eleonores, den Mörder meines Erdenglücks, vor der Mündung meiner Pistole haben würde, erschienen mir eine Ewigkeit. Ich konnte es in dem engen Zimmer unseres Hotels nicht aushalten; ich mußte das Rachefieber, das in mir brannte, in der balsamischen Nachtluft kühlen. Mein Freund bat mich, von diesem Vorsatze abzustehen, da ich mich, wie er mit ironischem Lächeln sagte, unter diesen Umständen bei einer nächtlichen Promenade leicht auf den Tod erkälten könnte. Als ich heftig und aufgeregt, wie ich war, auf meinem Wunsche bestand, begleitete er mich zwar, aber nicht, ohne sich und mich vorher mit Dolchen bewaffnet zu haben.

Ich sollte bald erfahren, wie viel gründlicher der Maler den Charakter meines Feindes und die Art des Volkes, unter dem wir uns befanden, studiert hatte; denn wir waren kaum ein paar hundert Schritte von unserm Hotel entfernt und wollten eben durch eine Seitengasse auf die Toledostraße biegen, als wir uns von vier Männern, die plötzlich aus dem Schatten der Häuser heraustraten, mit einer unglaublichen Wut angegriffen sahen. Glücklicherweise war der Maler ein riesenstarker Mann, und auch mir fehlte es weder an Kraft noch an Geistesgegenwart. Die Mörder schienen auf einen so energischen Widerstand nicht vorbereitet. Nach wenigen Augenblicken ergriffen sie die Flucht. Ich wollte ihnen nachsetzen. ›Laß sie laufen‹, sagte der Maler, indem er seinen blutigen Dolch abwischte, ›ich fürchte, ich habe den einen von ihnen etwas zu tief geritzt. Aber der Kerl ließ es sich auch gar zu angelegen sein, die paar Zechinen des Grafen redlich zu verdienen.‹

Mir war die Lust, noch weiter zu promenieren, vergangen. Wir kehrten auf dem nächsten Wege in unser Hotel zurück und erwarteten voll Ungeduld die bezeichnete Stunde.

Der Maler suchte mir zu beweisen, daß ich mich mit einem Menschen, der zum Meuchelmord seine Zuflucht nehme, nicht schlagen könne, sondern ihn niederschießen müsse wie einen tollen Hund; ich erwiderte ihm, daß ich durchaus die letztere Absicht habe und das Duell für mich nichts weiter sei als eine leere Form. Wir erzürnten uns beinahe bei diesem Disput.

Ganz unnötiger Weise. Der Morgen kam, wir waren noch vor der Zeit auf dem Platze; aber kein Gegner ließ sich sehen. Endlich, nach einer Stunde, erschien der Sekundant des Grafen, ein junger italienischer Edelmann – bleich und verstört. Er sagte uns, daß es ihm außerordentlich leid tue, uns so lange haben warten zu lassen, aber es sei nicht seine Schuld. Der Graf sei gestern abend spät, nachdem er – der Sprecher – ihn verlassen noch einmal ausgegangen mit der Weisung an seinen Kammerdiener, nicht bis zu seiner Rückkunft aufzubleiben. Seitdem sei spurlos verschwunden. Es sei die höchste Wahrscheinlichkeit, daß ihn ein Unfall betroffen habe, denn daß ein Mann von der hohen gesellschaftlichen Stellung des Grafen sich einem Duell durch die Flucht entziehen sollte, sei eine Annahme, deren Lächerlichkeit auf der Hand liege.

Der Maler erwiderte, daß wir Zeit zum Warten hätten und daß aufgeschoben ja darum noch nicht aufgehoben sei. Der Edelmann versprach, uns sofort zu benachrichtigen, sobald er etwas über das Verbleiben des Grafen in Erfahrung gebracht haben würde.

Aber der Graf blieb verschwunden, und ich mußte zuletzt einem Verdachte beipflichten, den der Maler schon am Abend des Zusammentreffens mit den Meuchelmördern ausgesprochen hatte, nämlich, daß der Graf selbst bei dem Attentat beteiligt und wahrscheinlich der von den vieren gewesen sei, der sich durch die Heftigkeit seines Angriffs vor den andern so auszeichnete und infolgedessen von der starken Hand des Malers so empfindlich bestraft wurde. Entweder war er infolge der in dem Handgemenge erhaltenen Wunde gestorben, oder, was größere Wahrscheinlichkeit hatte, er war nur verwundet und hielt sich verborgen, um den Erklärungen, wie er in diesen Zustand gekommen sei, zu entgehen; den Nachforschungen der Polizei auszuweichen, die sich – wahrscheinlich auf Antrieb der Feinde des Grafen – bei dieser Gelegenheit ausnahmsweise sehr tätig zeigte, und endlich einem Gegner zu entrinnen, der gewisse Dinge, für die man in seinen Kreisen nur ein frivoles Lächeln hatte, so plebejisch ernst nahm.

Wie dem nun sein mochte; mein Gegner ließ sich nicht wieder blicken und ich mußte, nachdem meine Angelegenheit vier Wochen lang das Thema aller Salons gewesen war – denn die Sache hatte ungeheures Aufsehen gemacht –, unverrichteter Sache wieder von Neapel abreisen.

Ich ging über Rom – wo ich von meinem Freunde Abschied nahm – nach Paris. Hatte ich doch meine Aufgabe erst halb und kaum halb erfüllt, blieb mir doch noch das Schwerste zu überstehen. Ich fürchtete mich, Eleonore wiederzusehen; ebensosehr, als ich es wünschte. Du wirst mich fragen, wie ich noch dies Interesse an einem Wesen nehmen konnte, das mit meinem Glück ein so frevelhaftes Spiel getrieben und durch ihr Davonlaufen mit dem Franzosen den Rest der Achtung, den ihr die Flucht mit dem Polen aus dem väterlichen Hause etwa noch gelassen, vollends verscherzt hatte. Aber, ich sagte dir: ich hatte Eleonoren geliebt, mit einer glühenden, dämonischen Liebe, deren Feuer noch immer nicht ausgebrannt war und ach, noch lange, lange brennen sollte, nachdem ihr Gegenstand schon verzehrt; und dann: Ich wußte, daß Eleonore, mochte sie auch noch so leichtsinnig gehandelt haben, im Grunde nicht unedel dachte, daß nur die schrecklichste Not sie in Rom zum Verlassen des Mannes, dem sie ursprünglich hierher aus Liebe folgte, gezwungen haben konnte und vor allem, daß sie jetzt, im Falle sie ja noch lebte, sicherlich grenzenlos unglücklich war.

Ich kam in Paris an. Ich kannte die Stadt sehr gut, denn ich hatte ihr schon zweimal in Begleitung vieler Tausende bewaffneter Reisegefährten einen Besuch abgestattet. Überdies war ich wohl versehen mit Empfehlungsbriefen des Malers und vornehmer Franzosen und Italiener, deren Bekanntschaft ich in Neapel gemacht hatte. Eine kurze Nachforschung bestätigte den gleich zu Anfang von dem Maler gehegten Verdacht, daß der Marquis, der Eleonoren aus Rom entführte, ein Charlatan gewesen sei. Ein Marquis solchen Namens existierte nicht, hatte nie existiert, jedenfalls nicht im Faubourg St. Germain. Ich mußte meine Nachforschungen anderen weniger aristokratischen Quartieren zuwenden.

Auf meinen Kreuz- und Querzügen war ein Franzose, ein junger Gelehrter, dessen Bekanntschaft ich schon früher gemacht hatte, mein beständig treuer Begleiter. Es war ein liebenswürdiger Mensch, der mir sehr zugetan war und sein Leben hindurch mein treuer Freund geblieben ist. Ich hatte ihm, wie ich wohl nicht anders konnte, meine traurige Geschichte erzählt, und er, der mir an Welterfahrung, besonders Erfahrung der kleinen Welt Paris weit überlegen war, hatte mich zuerst auf den Gedanken gebracht, Eleonore im Quartier Latin und in anderen noch geringeren Quartieren zu suchen. ›Paris‹, sagte der Franzose, ›ist ein Ort, wo Menschen und Dinge selten lange denselben Wert behalten; sie steigen oder fallen im Preise mit ungeheurer Geschwindigkeit. Während des einen Jahres können sehr traurige Metamorphosen mit dem armen Mädchen vorgegangen sein. Hat sie sich nicht das Leben genommen – und dieser Fall ist nicht wahrscheinlich, weil sie sich schon in Rom getötet haben würde, wenn sie zum Sterben Mut hätte –, so ist sie jedenfalls tief gesunken. Ich sage Ihnen: Machen Sie sich auf das Schlimmste gefaßt.‹

Du kannst dir denken, wie mein Herz bei solchen Worten, deren Richtigkeit ich nur zu gut erkannte, bluten mußte. Mir war zumute wie einem Manne, der auf einem See nach der Leiche seines ertrunkenen Kindes fischt.

Eines Abends, als wir ziellos durch eine der belebtesten Vorstädte irrten, überraschte mich mein Begleiter durch die Frage: ›Hatte Eleonore Talent zum Tanzen?‹ Auf meine Erwiderung, daß sie stets eine Meisterin in dieser Kunst gewesen sei, sagte er: ›Wir hätten eher daran denken sollen. Sonderbar, daß es mir nicht eingefallen ist, danach zu fragen.‹ Er war von dem Gedanken, der ihm plötzlich durch den Kopf geschossen war, so erfüllt, daß er mich nicht einmal einer Antwort würdigte, als ich zu wissen verlangte, was denn die Tanzkunst mit unserer Angelegenheit zu tun habe? Er rief einen Fiaker an. Wir fuhren wieder in die Stadt zurück. Wir stiegen aus. Es war eines jener Tanzlokale, die in Paris damals nicht so glänzend wie heute, aber nicht weniger häufig und nicht weniger besucht waren. ›Sehen Sie sich um, ob Sie Eleonore entdecken können.‹ Wir durchsuchten den Saal, Eleonore war nicht da. ›So lassen Sie uns weiter.‹ Wir fuhren nach einem zweiten Lokal; und als unsere Nachforschungen auch dort fruchtlos waren, nach einem dritten und vierten. Ebenso vergebens. Ich war von den wüsten Szenen, die ich gesehen, von dem Staub und der Hitze, die in diesen überfüllten Sälen herrschte, von der Anstrengung, aus so vielen Personen, die fortwährend den Ort veränderten, eine bestimmte herauszufinden, durch die Aufregung des Suchens und die Angst, zu finden, was ich suchte, so angegriffen, daß ich meinen Begleiter bat, für heute wenigstens die nutzlose Jagd aufzugeben. ›Nur noch ein einziges Lokal‹, erwiderte er, ›ich habe es mit Willen bis zuletzt aufgespart, weil die Wahrscheinlichkeit, sie dort zu finden, freilich sehr groß, aber auch sehr schrecklich ist.‹ ›Wie meinen Sie das?‹ ›Die Lokale, die Sie bis jetzt gesehen haben‹, erwiderte der Franzose, ›erfreuen sich, obgleich es schon schlimm genug darin hergeht, noch einer gewissen Ehrbarkeit. Das Publikum ist über die Maßen leichtsinnig, übermütig, frivol, aber mit wenigen Ausnahmen nicht eigentlich verderbt. Es sind Etudiants mit ihren »Frauen«, Kommis mit ihren Grisetten, der bessere Ouvrier, der sich mit seinem Mädchen einen guten Tag machen will. Die Gesellschaft, in die ich Sie jetzt führen werde, ist eleganter, aber bei weitem nicht so harmlos. Es ist ein Haus, das besonders von jungen vornehmen Wüstlingen aus den aristokratischen Quartieren, die sich für die in den Salons ausgestandene Langeweile entschädigen wollen, von Ausländern, die nach Paris kommen, um ihre Gesundheit zu ruinieren und ihr Vermögen durchzubringen, frequentiert wird, und das weibliche Publikum ist zu diesem Zwecke entsprechend. Es besteht aus den schönsten, aber auch verderbtesten Mädchen, gewandten Menschenfischerinnen, die heute mit vier Pferden fahren, um morgen im Hospitale zu sterben, besonders Ausländerinnen: Kreolinnen, Mädchen aus England, Italien, Deutschland, die alle hier ihre Landsleute finden. Bereiten Sie sich darauf vor, einen – hoffentlich vergeblichen – Blick in ein Pandämonium zu werfen.‹

Wir kamen an. Wie stiegen eine breite Marmortreppe hinauf. Mein Herz klopfte furchtbar; ich konnte mich kaum auf den Füßen halten; eine Ahnung sagte mir, daß ich am Ziele meiner Irrfahrten angekommen sei, daß der entstellte Kopf der Leiche im nächsten Augenblick aus den schwarzen Wassern auftauchen werde. Wir traten in den glänzend erleuchteten Saal. Von dem Orchester rauschte eine bacchantische Musik und im bacchantischen Taumel rasten die Tanzenden durcheinander. Der Glanz der Lichter, die schmetternden Trompeten, das Gedränge, die Hitze, der narkotische Duft von üppigen Parfüms, mit denen der Saal erfüllt war, und die fürchterliche Aufregung, in der ich mich befand, versetzten mir den Atem. Ich mußte mich für einen Moment an eine Säule lehnen und die Augen schließen, um wieder zu mir selbst zu kommen. Als ich so in einer halben Ohnmacht dastand, schlug eine Stimme an mein Ohr, bei deren erstem Laut ich, wie von einer Natter gestochen, emporschnellte. Das Ohr ist ein treuer Mahner; es vergißt eine Stimme, deren Töne einst dem Herzen hold und lieb waren, im Leben nicht wieder; es hatte mich nicht betrogen.

Dicht vor mir, so daß ich sie beinahe mit der Hand hätte erreichen können, stand in lebhafter Unterhaltung mit einem jungen, schönen Kavalier ein Mädchen, schlank und hoch, mit großen, braunen Augen, die im fieberhaften Glanze leuchteten, mit einem Gesicht, das vielleicht für ein so junges Geschöpf zu scharf, zu sehr vom Leben mitgenommen, aber noch immer schön war – und dieses Mädchen – war Eleonore.

Sonderbar, bei dem Ton ihrer Stimme hatte mein Herz zusammengezuckt, wie damals, als ich in Fichtenau in der Nacht vor dem Hause des Rektors stand und das alte Weib mir aus dem Fenster herunterrief, Eleonore sei davongelaufen. Aber nach diesem Krampfe wurde es still, ganz still. Die zu straff gespannte Saite war gesprungen; sie gab keinen Ton, weder des Jammers noch der Freude mehr. Ich sah so kalt auf Eleonore herab, als sei sie ein Bild an der Wand. Ich hörte die Worte, die sie zu ihrem Tänzer sprach, wie man Worte in dem Stadium der Ohnmacht unmittelbar vor der Bewußtlosigkeit hört – als würden sie am anderen Ende des Saales gesprochen. Ich musterte ihre ganze Erscheinung, selbst ihren Anzug mit der kühlen Ruhe eines Künstlers. Ich bemerkte, daß sie geschminkt war und daß sie ihre dunklen Wimpern und Augenbrauen noch dunkler gefärbt hatte. Ich bemerkte, daß sie das Haar ganz in derselben Weise trug, wie ich es ihr selbst einmal nach einem antiken Kopfe arrangiert, und wie sie es seitdem, so lange ich sie sah, immer getragen. Ich hörte alles, sah alles und hörte und sah doch nichts; denn ich hatte kein Verständnis mehr für das, was ich sah und hörte.

Mein Begleiter, der sich während der Zeit im Saal umgesehen hatte, trat in diesem Augenblick an mich heran. ›Ich habe keine, die Ihrer Beschreibung gleicht, entdecken können‹, sagte er. ›Gott sei Dank! Ich atme ordentlich leicht, ich möchte die, welche wir suchen um alles in der Welt nicht hier gefunden haben. Aber, mon Dieu, was ist Ihnen, Sie sehen ja aus wie eine Leiche.‹

›Ich habe sie gefunden.‹

›Wo?‹

›Da.‹ Er nahm sein Glas und blickte mit gespanntestem Interesse einige Sekunden auf Eleonore, die noch immer, ohne zu ahnen, wer zwei Schritte von ihr entfernt war, dastand und mit ihrem Tänzer konversierte und kokettierte.

Dann ließ er mit einem mitleidigen Achselzucken das Glas fallen. Sein Gesicht war sehr ernst geworden.

›Pauvre homme‹, murmelte er.

Da schmetterte die Musik noch lauter vom Orchester herab; eine neue Tour in der Française begann; die Reihe kam an Eleonore. – Sie hatte sich, seitdem ich sie zum ersten Male auf einem Balle der Bürgerressource von Fichtenau hatte tanzen sehen, sehr in dieser Kunst vervollkommnet; ja – ich kann sagen, daß ich weder vorher noch nachher etwas Vollendeteres gesehen habe. Es war die entzückendste Anmut eines sich hinüber- und herüberwiegenden Wasserstrahls und dabei eine Leidenschaftlichkeit, wie sie vielleicht sonst nur noch bei den Zingarellas von Spanien und den Ghawazies von Ägypten getroffen wird. In diesem Moment war es das sanfte Werben schmachtenden Liebessehnens, im nächsten die wahre Seele der Leidenschaft, die in jedem Nerv zuckt und in jeder Muskel zittert, aber in dem einen, wie in dem andern der herrlichste Rhythmus wundervoll durcheinander verschlungener, und doch unendlich harmonischer Bewegungen. – Dieser Tanz war Gesang – ein Gesang der Liebe – aber nicht der träumerischen, lindenduftatmenden, mondscheinbestrahlten deutschen, sondern der sinnlichen, sonnedurchglühten, narkotischen, orientalischen Liebe. Und dabei war ihr Gesicht ruhig, kaum ein Muskel regte sich, keine Spur von dem widerwärtigen stereotypen Lächeln so vieler berühmter Tänzerinnen. Nur ihre Augen brannten in einem unheimlichen und mit jedem ihrer Schritte, jeder ihrer Bewegungen intensiver werdenden Feuer. Es war, als ob die Ruhe ihres Tänzers, der alle Pas mit sehr viel Grazie, aber mit vornehmer Nachlässigkeit, als komme er sich bei der ganzen Sache einigermaßen lächerlich vor, mehr ging als tanzte, das leidenschaftliche Weib zur Verzweiflung bringe und sie ihn durch alle Künste, in denen sie Meisterin war, aus seiner blasierten Apathie reißen wollte. Vielleicht war es wirklich so, vielleicht schien es auch nur – aber immerhin gewann der Tanz dadurch ein reiches dramatisches Leben und gewährte den Herumstehenden das anziehendste Schauspiel.

›Ah, la belle Allemande!‹ rief ein Enthusiast an meiner Seite.

›Grands Dieux, comme elle est jolie!‹ ein anderer! ›Bravo, bravo!‹ und er klatschte wütend in die Hände, und die andern Zuschauer folgten seinem Beispiel: ›Bravo, bravo! Vive la reine Eleonore! Vive la belle Allemande!‹

Mein Freund faßte mich am Arme und zog mich tiefer in die Kolonnade, unter der wir standen, zurück. ›Kommen Sie‹, sagte er. ›Wohin?‹ ›Fort von hier.‹ ›Nimmermehr!‹ ›Sie können sich doch unmöglich für ein Geschöpf wie dieses noch interessieren! Was wollen Sie von ihr? Ich sage Ihnen! Sie ist verloren, rettungslos verloren!‹ ›Das wollen wir sehen!‹ murmelte ich. Der Franzose zuckte die Achseln: ›Ihr Deutschen seid eine seltsame Nation. Aber dann folgen Sie wenigstens meinem Rate. Geben Sie hier nicht zu einer Szene Veranlassung, die Ihnen ein halb Dutzend Duelle auf den Hals ziehen könnte. Besuchen Sie das Mädchen morgen oder wann Sie wollen. Was zu wissen nötig ist, will ich in wenigen Minuten zusammen haben.‹

Ich sah ein, daß sein Rat vernünftig war. Ich warf mich, während er durch die Menge davonschlüpfte, auf einen Sessel und stützte meinen Kopf in meine Hände. Es waren ein paar gräßliche Augenblicke. Meine Schläfen hämmerten, meine Glieder flogen – und doch war es still in mir, totenstill und kalt. Und, Oswald, in diesen Augenblicken, wo ich, das Gesicht in die Hände gedrückt, in stummem, fürchterlichem Schmerz, einsam unter der lärmenden Menge saß, während mein Abgott, die Geliebte meiner Jugend, das Weib, zu dem ich in meiner Kerkernacht gebetet hatte wie zu einer glorreichen Heiligen, wenige Schritte von mir entfernt nach den Klängen einer wollüstigen Musik den wollüstigen Tanz der Herodias tanzte – da, Oswald, nahm ich für immer Abschied von dem Glück, vom Leben – da riß der Vorhang, der mir bis dahin das große Geheimnis verborgen hatte, mitten auseinander, und ich stand schaudernd an der Schwelle, die ich noch nicht zu überschreiten wagte und erst viele, viele Jahre später überschritten habe, denn noch hatte ich den Kelch nicht bis zur Hälfte geleert.

Der Tanz hatte aufgehört. Um mich her wurde es lebhafter; Lachen und Scherzen, das Rauschen von Gewändern dicht an meinem Ohr. Man nahm an den kleinen Tischen Platz, mit Eis und Champagner die Glut zu kühlen – auch an meinen Tisch kam ein Paar, das keinen anderen Platz finden oder den Schlafenden für keinen gefährlichen Lauscher halten mochte.

›Sie lieben mich wirklich, Eleonore?‹ sagte eine weiche Männerstimme.

›Ja, Charles!‹

›Von ganzem Herzen?‹

›Von ganzem Herzen.‹

Ich dachte, welchen Eindruck es wohl auf Eleonore machen würde, wenn ich plötzlich mein bleiches Gesicht von der Tischplatte erhöbe und zu ihr spräche: Das hast du auch zu mir gesagt vor einigen Jahren auf der Wiese im Walde von Fichtenau; aber ich bezwang mich und lauschte dem Gespräch, das noch eine Weile in derselben Weise fortging. Zuletzt sagte der Kavalier: ›Und wann werde ich Sie wiedersehen?‹

›Wann Sie wollen –‹

›Das heißt?‹

›Daß ich für meine Freunde immer zu Hause bin.‹

›Und wo ist zu Hause?

›Boulevard des Capucins numéro dix-sept, fragen Sie nur nach Mademoiselle Eleonore –‹

›Adieu, ma reine!‹

›Sie wollen schon fort?‹

›Leider muß ich.‹

,Weshalb?'

›Meine Braut erwartet mich im Salon ihrer vortrefflichen Frau Mutter und wird au désespoir sein, daß ihr getreuer Seladon sie so lange schmachten läßt –‹

›Sie haben eine Braut? Oh, Sie Unglücklicher!‹

›Ich hoffe, Sie werden mir mein Unglück tragen helfen.‹

›Nous verrons.‹

Und das Paar entfernte sich lachend; Eleonorens seidenes Gewand streifte mich, als sie an mir vorüberschritt.

Mein Begleiter trat wieder zu mir und legte die Hand auf meine Schulter.

›Ich weiß alles‹, sagte er.

›Ich auch‹, antwortete ich, den Kopf emporhebend.

›Woher?‹

›Sie hat es mir selbst gesagt.‹

Der Freund glaubte, ich rede irre. ›Kommen Sie‹, sagte er, ›die Hitze greift Sie sehr an.‹

Du kannst dir denken, daß ich in dieser Nacht nicht viel schlief. Ich entwarf und verwarf tausend Pläne, wie ich Eleonore aus dieser Hölle retten könne, denn daß ich sie retten müsse – daran hatte ich keinen Augenblick gezweifelt.

Ich stand am Morgen auf, ohne zu einem bestimmten Entschlusse gekommen zu sein. Ich fürchtete nicht für mich. Denn mein Herz konnte nicht tiefer zerfleischt werden, als es gestern abend geschehen war; ich fürchtete für Eleonoren, daß ein plötzliches Wiedersehen sie zu entsetzlich demütigen, vielleicht vernichten würde. Und doch wußte ich nach mehreren Tagen der Unentschlossenheit keinen bessern Rat, als gerade zu ihr zu gehen. Mein Freund schüttelte zu allem den Kopf. ›Aber, mon cher‹, rief er einmal über das andere. ›Sie lieben das Mädchen ja noch immer!‹ Hatte er recht? Ich weiß es nicht. Jedenfalls war diese Liebe anderer Art als die gewöhnliche, denn sie wußte nichts von verletztem Stolz, gedemütigter Eitelkeit – ja, nicht einmal von der Furcht, sich möglicherweise durch den Versuch der Rettung eines Wesens, das gar nicht gerettet sein wollte, lächerlich zu machen.

Ich ging, nachdem ich mit mir einig geworden, des Vormittags nach dem Hause an dem Boulevard. Der Portier lächelte, als er auf meine Frage, ob hier Mademoiselle Eleonore wohne, sein: ›Oui, Monsieur, au troisième‹, antwortete. ›Mademoiselle wird schwerlich schon zu sprechen sein‹, fügte er hinzu, ›sie ist erst gegen Morgen nach Hause gekommen.‹

Ich stieg die mit Teppichen belegten Treppen hinauf; in der dritten Etage stand auf einem Porzellanschilde neben einem Klingelzug: Mademoiselle Elénore de Saint-Georges. Der wievielte Name mochte dies sein, den die Unglückliche führte, seitdem sie den ehrlichen Namen ihres Vaters abgelegt hatte?

Ich schellte. Eine häßliche Person, die halb Magd und halb Kammerfrau zu sein schien und die durch die Reinlichkeit ihres Anzuges und die affektierte Ehrbarkeit womöglich nur noch häßlicher wurde, öffnete und fragte nach meinem Begehr. Ich wünschte Mademoiselle Eleonore zu sprechen. ›Mademoiselle ist unwohl und nimmt heute keine Besuche an.‹ – ›Ich muß sie sprechen.‹ – ›Unmöglich‹, sagte das Weib, ›ich habe soeben nach einem Arzt geschickt‹, und sie wollte die Tür wieder schließen. – ›Aber, Madame, der Arzt bin ich.‹ – ›Ah, c'est autre chose; entrez, Monsieur, entrez!‹ Sie führte mich durch ein kleineres Vorzimmer in ein hohes, stattliches, mit beinahe fürstlicher Pracht ausgestattetes Gemach und bat mich, einige Augenblicke zu verweilen, bis ihre Gebieterin erscheinen würde.

›Ist Mademoiselle schon aufgestanden?‹

›Ja, ich komme sogleich zurück.‹

Sie verschwand durch einen dichten Vorhang.

Ich blieb mitten in dem Gemache stehen und blickte auf all die Pracht, die mich umgab, auf all die herrlichen Spiegel, die üppigen Gemälde von Watteau und Boucher in ihren breiten Goldrahmen, die chinesischen Pagoden auf dem marmornen Kaminsims, die Vasen und Schalen von dem feinsten Porzellan, auf die schwellenden Sofas und Diwans mit derselben Andacht, mit welcher ein Arzt auf die kostbare Manschette einer Hand blickt, die er amputieren soll. War ich doch als Arzt hierher gekommen, hatte ich doch nur als Arzt das Recht, hier zu sein!

Die Kammerfrau erschien wieder und bat mich, ihr zu folgen. Sie schlug den Vorhang zurück, um mich durchzulassen. Ich trat in einen halbdunklen, mit weichen Teppichen, wie alle die Zimmer, belegten und dunkelroten Seidentapeten ausgeschlagenen Raum, das Schlafgemach der Gebieterin, und dann wieder durch einen Vorhang in ein anderes schönes helles Gemach. Von der Ausstattung dieses Gemachs sah ich nichts mehr; ich sah nur die schlanke weiße Gestalt, die sich bei meinem Eintreten von dem Diwan, auf dem sie gekauert hatte, erhob, und mir einige Schritte entgegentrat. Und diese schlanke weiße Gestalt mit dem bleichen, verfallenen, schönen Gesicht, aus dem die großen dunklen Augen mit fast gespenstischer Klarheit leuchteten – dieses schöne, geistig und physisch gebrochene, verlorene Wesen war meine angebetete, einst wie eine Rose in Unschuld und Jugend prangende Eleonore.

›Ich habe Sie rufen lassen, Doktor –‹, sagte sie mit leiser Stimme.

Da sah sie mir genauer ins Gesicht. Ihr Mund verstummte; sie starrte mich an mit Augen, die sich fast aus den Höhlen drängten – dann brach sie mit einem gellenden Schrei zusammen, noch ehe ich oder die daneben stehende Kammerfrau sie in den Armen auffangen konnten.

Wir trugen sie auf den Diwan zurück. Sie war totenbleich und kalt; ich glaubte einen Augenblick, der jähe Schreck habe den dünnen Faden zerrissen, an dem ihr Leben hing. Ich hätte den Tod als die Erlösung aus einer Hölle, als eine Gnade des Himmels begrüßt. Bald aber überzeugte ich mich, daß das Leben sie noch nicht aus seinen Banden lassen würde. Ich verstand genug von der Medizin, um zu wissen, was ich in diesem Falle zu tun hatte. Während ich um die Ohnmächtige beschäftigt war, fragte ich die Kammerfrau, ob Eleonore dergleichen Zufälle öfter habe? Wie es überhaupt mit ihrer Gesundheit stehe? Das Weib glaubte einem Arzt gegenüber die ehrbare Maske fallen lassen zu müssen. Sie sei erst seit einem halben Jahre bei Mademoiselle in Dienst; seitdem sei es mit Mademoiselle reißend bergab gegangen. Aber Mademoiselle lebe auch gar zu wild. Alle Nächte bis drei, vier Uhr morgens getanzt oder beim Champagner hingebracht – das könne ja niemand aushalten, zumal ein von Natur so zartes Geschöpf. Sie flehe Mademoiselle täglich an, dies Leben aufzugeben; aber sie erhalte jedesmal zur Antwort: ›Je schneller es vorbei ist, desto besser.‹ ›Und vorbei wird es denn wohl auch bald sein‹, heulte das Weib, ›und ich werde meine arme junge Gebieterin verlieren, die ich, obgleich sie nicht lebt, wie sie sollte, lieb habe wie mein eigenes Kind.‹

Da begann die Ohnmächtige sich zu regen. Ich schickte die Kammerfrau fort, mit dem Auftrage, mir Riechsalz aus der Apotheke zu verschaffen, weil ich, wenn Eleonore vollends erwachte, ohne Zeugen mit ihr sein wollte. Die alte Heuchlerin hatte sich kaum entfernt, als Eleonore die Augen wieder aufschlug und mich mit wirren, ungläubigen Blicken ansah. Ich bemerkte, daß in dem Maße, als ihr das Bewußtsein zurückkam, das Entsetzen über meinen Anblick von neuem zunahm und eine zweite Ohnmacht hereindrohte. Dies bleiche Zurückschrecken vor einem, dem sie sonst mit offenen Armen entgegenflog, war mir schmerzlicher als alles und rührte mich bis zu Tränen. Ich empfand in meinem Herzen keine Spur von Haß, Zorn, nicht einmal von Verachtung – nein, nur Mitleid, grenzenloses unsägliches Mitleid. Ich weiß nicht, was ich sprach – aber es mußten wohl gute, milde Worte der Liebe und Vergebung sein; denn die starren Züge fingen allmählich an, milder zu werden; die schreckensgroßen Augen wurden feucht, und zuletzt brach sie in leidenschaftliches Weinen aus, ihren Kopf an meiner Brust, der ich noch immer an ihrer Seite kniete, verbergend. Es war ein entsetzliches Weinen; es war, als ob alle Tränen dieser letzten Jahre, die sie unter Lachen und Scherzen verborgen, aus ihren tiefsten Quellen hervorbrächen und sich nimmer erschöpfen würden – dazwischen ein Schluchzen, als ob ihr das Herz brechen wollte, ein Schreien, als ob ihr Inneres von zweischneidigen Schwertern durchwühlt würde. – Ich habe nie, weder vorher noch nachher etwas Ähnliches, einen solchen fühlbaren Ausbruch der Reue einer mit Sünden befleckten, aber von Natur nicht unedlen Seele gesehen.

Unsere Rollen schienen auf eine seltsame Weise ausgetauscht. Es war, als ob sie die Beleidigte, ich der Beleidiger wäre; ich erschöpfte mich in Bitten, in flehenden Worten, um linderndes Öl in einen Schmerz zu gießen, der mit so stürmischer Heftigkeit wütete. Nach und nach gelang es mir, sie einigermaßen zu beruhigen. Sie weinte, den Kopf in die eine Hand gestützt, nur noch still vor sich hin, während ich, ihre andere Hand – wie weiß und schlank und durchsichtig ihre Finger geworden waren! – in meinen Händen haltend, zu ihr sprach, wie ein Bruder in einem solchen Falle zu seiner Schwester sprechen würde. Ich bat sie, in mir ihren Bruder zu sehen, mir zu vertrauen als ihrem besten, vielleicht ihrem einzigen Freunde. Ich beschwor sie bei allem, was ihr heilig sei, bei der Erinnerung an ihre Jugendzeit, bei dem Andenken an ihre Eltern, die nun beide in der kühlen Erde ruhten – sich aus diesem Strudel zu reißen, der sie über kurz oder lang verschlingen müßte, mir zu folgen, gleichviel, wohin; wenn sie wollte, in eine menschenleere Wüste, an das Ende der Welt, nur fort, fort von hier, aus diesem glänzenden Elend. ›Es ist zu spät! Zu spät!‹ murmelte Eleonore. ›Du bist gut, ich weiß es, unsäglich gut; aber es ist zu spät, zu spät.‹

Ich weiß nicht, wie lange dieser Kampf gedauert hätte, wenn nicht ein eigentümlicher Zwischenfall eingetreten wäre, der ihn wider all mein Erwarten schnell zu meinen Gunsten entschied.

Während ich noch an Eleonores Seite kniete, hörte ich plötzlich ein: ›Superbe!‹ hinter mir. Ich sprang erschrocken empor. Vor mir stand ein elegant gekleideter junger Mann, der, das Glas im Auge, mich von oben bis unten und von unten bis oben betrachtete: ›Superbe‹, wiederholte er. ›Mademoiselle, ich wünsche Ihnen Glück zu dieser neuen Eroberung.‹

Der junge Mann war derjenige von Eleonorens Liebhabern, der sich durch seine verschwenderische Freigebigkeit gewissermaßen das Recht erworben hatte, der einzige zu sein. Er wußte, daß Eleonore ihm nicht eine rigorose Treue bewahrte, und kümmerte sich nicht eben darum; aber er liebte es nicht, mit seinen Nebenbuhlern in derselben Wohnung zusammenzutreffen, die er mit fürstlicher Pracht für seine Mätresse hatte herrichten lassen.

›Ich bitte mir eine Erklärung dieser Szene aus, Mademoiselle‹, sagte er, sich von mir zu Eleonoren wendend, in einem Ton beleidigender Geringschätzung, der mir alles Blut aus den Wangen zum Herzen trieb.

Ich öffnete den Mund zu einer heftigen Antwort, aber Eleonore kam mir zuvor. Sie war, sobald sie den Eingetretenen erblickte, emporgesprungen und stand jetzt, mich ein wenig zurückdrängend, zwischen mir und ihm.

›Dieser Herr‹, sagte sie, auf mich deutend, ›hat sich ein Recht erworben, hier zu sein.‹

›Wodurch?‹

›Durch das Unglück, mich einmal geliebt zu haben.‹

›Ah, Mademoiselle‹, erwiderte der junge Mann mit ironischem Lächeln, ›dies Unglück teilt Monsieur mit vielen anderen.‹

›Mein Herr!‹ sagte ich. ›Welche Ansprüche Sie auch an Mademoiselle haben mögen, ich habe ältere Rechte, und ich werde es nicht dulden, daß Sie eine Dame, mit der ich einst verlobt war, in meiner Gegenwart beschimpfen.‹

›Ah‹, sagte der junge Mann, ›Sie waren mit Mademoiselle verlobt? In der Tat! Da werden Sie sie auch wohl noch heiraten und ich‹ – mit einem Blick in dem Zimmer umher – ›werde die Dummheit haben, Mademoiselle auszustatten? Sehr gut ausgedacht, in der Tat.‹

›Halten Sie ein, mein Herr!‹ rief Eleonore, sich zu ihrer ganzen Höhe emporrichtend. ›Es ist genug. Sie denken mich halten zu können, mich beleidigen zu können, weil ich Geschenke von Ihrer Hand entgegennahm. Hier haben Sie zurück, was Sie mir gaben. Da und da und da!‹ Und sie riß mit fieberhafter Hast die goldenen Armbänder und das andere Geschmeide, das sie trug, ab und warf es dem jungen Manne vor die Füße.

Diese Leidenschaft, mit der sie dies alles tat, war zu augenscheinlich, um verkannt zu werden, und imponierte dem Dandy sichtlich. ›Ich habe genug von dieser Szene‹, murmelte er, ›wir sprechen uns wieder, Mademoiselle; hier ist meine Karte, Monsieur!‹ und er eilte zur Tür hinaus.

›Komm, komm!‹ rief Eleonore, ›nicht einen Augenblick länger bleibe ich hier; lieber auf dem Grund der Seine als hier.‹

Ich nahm sie beim Wort. Ich bat sie, sich umzukleiden, während ich in ihrem Namen an den Marquis de Saintonge (so hieß der Liebhaber Eleonorens) schrieb und ihm die Wohnung, die er für Eleonoren gemietet und alles, was er ihr sonst geschenkt, wieder zur Verfügung stellte. Wir verließen die Wohnung, übergaben die Schlüssel dem Portier und den Brief einem Kommissionär zur sofortigen Bestellung, und einige Stunden später hatten wir, nachdem ich meine Angelegenheiten geordnet und von meinem Freunde Abschied genommen, die Stadt hinter uns.

Unsere Reise sollte vorläufig nicht weit gehen. Schon wenige Stationen von Paris erkrankte Eleonore so, daß wir in einem Städtchen haltmachen mußten. Der herbeigerufene Arzt, glücklicherweise ein geschickter Mann, erklärte, daß sich bei der Mademoiselle, meiner Schwester (dafür galt Eleonore), alle Symptome einer Gehirnentzündung zeigten. Seine Diagnose war nur zu richtig gewesen. Schon am folgenden Tage kam die fürchterliche Krankheit zum Ausbruch. Während die Ärmste phantasierte von den heißen Orgien im Jardin aux Lilas und dem kühlen Schatten ihrer heimischen Wälder, vom Marquis de Saintonge und anderen Pariser Bekanntschaften und von mir, der ich ihr bald als ein rettender Engel, bald als ein Rachegott erschien, hatte ich, an ihrem Lager sitzend, Zeit genug zur Überlegung. Bei meiner hartnäckigen Verfolgung der Spur Eleonorens war ich viel mehr von einem dunklen Drange als von klaren Absichten geleitet gewesen, am wenigsten hatte ich an die Möglichkeit einer so wunderlichen Situation gedacht, als in welcher ich mich jetzt befand. Aber in der Ratlosigkeit war der eine Gedanke über jeden Zweifel erhaben, daß ich Eleonore, wenn sie die Krankheit überstehen sollte, nimmer wieder verlassen dürfe.

In der Tat stellten sich nach einiger Zeit Zeichen der Besserung ein, und eines Morgens verkündete mir der Arzt, daß eine glückliche Krisis eingetreten und Eleonore vorläufig aus aller Gefahr sei. ›Indessen‹, fügte er mit ernster Miene hinzu, ›ich glaube Ihnen nicht verhehlen zu dürfen, daß nach menschlicher Berechnung die Zeit, welche ihrer Schwester noch zu leben bleibt, nicht mehr sehr lang sein wird. Ich habe eine Lungenkrankheit diagnostiziert, die schon entsetzliche Fortschritte gemacht hat. Ich kenne Ihre Verhältnisse nicht und weiß nicht, ob sie Ihnen erlauben werden, meinem Rate zu folgen. Mein Rat ist aber der: Gehen Sie mit Ihrer Schwester in ein südliches Klima, nach Italien, womöglich Ägypten. Einem rauheren Klima würde Mademoiselle in der kürzesten Zeit erliegen.‹

Mein Entschluß war sofort gefaßt. Ich hatte in Deutschland, wo mir als Nachkur meiner fünfjährigen Kerkerhaft jede öffentliche Lehrtätigkeit untersagt war, nichts zu gewinnen und nichts zu verlieren. Mein Vermögen war im Verlauf meiner Irrfahrten bis auf einen sehr bescheidenen Rest zusammengeschrumpft; aber ich konnte diesen Rest ebensogut in Italien ausgeben als anderswo; überdies glaubte ich im Auslande meine Sprachkenntnisse noch am besten verwerten zu können; und schließlich – ich hatte keine Wahl. Ich würde lieber das Äußerste erduldet, als etwas unterlassen haben, das zu Eleonorens Wohl dienen konnte. Einige Tage später waren wir nach Italien unterwegs.

Ich siedelte mich zwei Meilen von Genua, unmittelbar an der Küste des herrlichsten Meeres an. Das Glück wollte, daß ich in der Familie eines reichen Engländers, der sich zu einem ähnlichen Zwecke wie ich in dem Orte aufhielt, Unterrichtsstunden erhielt, deren Ertrag mich jeder äußern Sorge überhob. Desto größer war meine Sorge für Eleonore.

Die Flucht aus Paris war so eilig gewesen und für Eleonore so ganz nur das Resultat eines augenblicklichen Impulses; ihre gleich darauf eintretende Krankheit hatte ihre Willenskraft so vollständig gelähmt, daß sie sich in einer Art von Betäubung allen meinen Anordnungen willig gefügt hatte und eigentlich erst jetzt zu einem Verständnis ihrer Lage kam. Ich hatte nicht bedacht und fühlte erst jetzt an Eleonorens Benehmen mir gegenüber, daß in dieser Abhängigkeit von dem Manne zu leben, den sie so schmachvoll verraten, in der beständigen Nähe dessen, vor dem sie sich am liebsten in der Tiefe der Erde verborgen hätte, die härteste Strafe für ein Wesen sein mußte, bei dem der letzte Funken von Ehrgefühl noch nicht erloschen war. Eleonore sprach dies geradezu aus; aber sie fügte hinzu: ›Diese Sühne ist hart, aber sie ist gerecht; nur so konnte ich zu einer Erkenntnis dessen kommen, was ich an dir gefrevelt habe.‹ – Wenn Eleonore so in der Zerknirschung der Reue eine Milderung ihrer Gewissensqualen fand, so hatte ich für mein namenloses Leid nur den für eine bescheidene Seele sehr dürftigen Trost, an Eleonoren zu handeln, wie es mir das Gewissen vorschrieb. Ich konnte ungestört den Schmerzenskelch bis auf den letzten bittersten Tropfen leeren. Das war also die Erfüllung des köstlichen Glücks, von dem ich in den goldenen Tagen von Fichtenau und selbst noch in der Nacht der Festungskasematten geträumt hatte! Diese bleiche kraftlose Gestalt, die gesenkten Hauptes an meinem Arme auf der Höhe des Felsenufers im Abendsonnenschein dahinschritt, an derem Schmerzenslager ich wachte, wenn sie die Krankheit tagelang in das Zimmer bannte, in deren gebrochenes Herz ich, der ich selbst des Trostes ermangelte, lindernden Balsam zu träufeln hatte – war das Mädchen, das ich mir zum Weibe erkoren, in dem ich die künftige Mutter meiner Kinder ahnungsvoll angebetet hatte.

Und doch ist es gut, daß ich auch das erlebte.

Es war eines Abends. Ich hatte die Kranke, die heute besonders aufgeregt war und ängstlich nach Luft und Licht verlangte, auf meinem Arm aus dem Fischerhäuschen getragen, in dem wir wohnten, bis auf den Rand der schwarzen Basaltfelsen, die hier das Meer umsäumen, und ihr dort von Kissen ein Lager bereitet. Die Sonne ging in strahlender Herrlichkeit im Meere unter. Kaum ein Lüftchen kräuselte die glatte Fläche der See, von der, wie von einem Spiegel, die smaragdnen und goldnen Lichter, die an dem Himmel prangten, reflektiert wurden. Auch auf das bleiche Gesicht der Kranken fiel ihr zauberischer Schimmer – die rosige Lüge – mit der die Sonne und das Leben die Nacht und den Tod verhöhnen. Und in dieser Stunde nahm Eleonore Abschied von der Sonne und dem Leben. Sie sagte mir, daß sie mich stets geliebt habe, selbst in dem Augenblicke, als Eitelkeit und Sinnlichkeit sie verblendeten; daß ihr ganzes Leben seit diesem Augenblick nur der stete qualvolle Versuch gewesen sei, sich zu betäuben. Sie möchte nicht genesen, auch selbst nicht dann, wenn es möglich wäre, daß ich ihr wieder meine Liebe schenkte. Sie sei nicht wert, meine Sklavin, geschweige denn mein Weib zu sein. Sie schaudere vor diesem Gedanken zurück. – ›Oh, nimmer, nimmermehr‹, fuhr sie fort, und aus ihren großen dunklen Augen leuchtete ein himmlisches Feuer, ›nimmer hier auf dieser Erde, wo ich an dir so furchtbar gefrevelt habe. Aber, wenn dieser entweihte Leib zerfallen und die Seele von der Fessel, die sie in den Staub zog, befreit ist, dann werde ich dich umschweben, dann werde ich deiner harren, und wenn du kommst, wird deine Seele meine Seele küssen, und ich werde in diesem Kusse erlernen, daß alles gesühnt und alles vergessen und vergeben ist.‹

Ich sagte ihr, daß ich ihr alles längst vergeben habe, daß ich sie liebe mit einer reineren, heiligeren Liebe als in den Tagen unseres Glücks. Ich küßte weinend ihre weißen Hände und ihren bleichen Mund.

›Das ist unser Hochzeitstag!‹ flüsterte sie. ›Armer, armer Mann!‹ Sie sank in die Kissen zurück.

Ich trug die ganz Erschöpfte nach der Hütte und auf ihr Lager.

Es war das letzte Mal.

In dieser Nacht starb Eleonore.«

Berger war aufgestanden, Oswald war seinem Beispiele gefolgt. Jener war mit den Erinnerungen, die soeben, von seiner mächtigen Phantasie mit aller Schärfe und Klarheit der Wirklichkeit ausgestattet, an seines Geistes Auge vorübergezogen waren, dieser mit dem eben Gehörten so vollauf beschäftigt, daß sie kaum des Weges achteten, der sie durch dunkle Tannenwaldungen höher und höher führte.

Da traten sie heraus aus den Bäumen auf den kahlen Gipfel des Berges, der von den Bewohnern die Gockeleia genannt wird und der bei weitem höchste ist ringsum unter seinen Brüdern und Schwestern.

Die Sonne war bereits untergesunken, aber der westliche Himmel prangte noch in der Glut des Abendrots, von dem ein schwächerer Abglanz selbst den östlichen Horizont rosa färbte. Hier und da blickte eine der höheren Bergkuppen, in Purpurlicht getaucht, dem scheidenden Gestirn des Tages nach; aber in den weiteren Tälern lagerten schon graue Abendschatten und weißliche Nebel zogen in den engeren Schluchten. Die Tannen, die zu den Füßen der Wanderer ihre grünen Häupter emporhoben, standen starr und still wie eine vor Erwartung atemlose Menge.

Berger blickte, auf seinen Stab gestützt, in die Abendsonnenglut hinein, von der in jedem Moment eine Farbe verschwand und eine andere verblaßte.

Oswalds Auge hing an seinen Mienen, die sich – war es die Wirkung des geisterhaften Lichts, war es nur der Ausdruck eines inneren Vorganges – mit jedem Augenblick mehr zu vergeistigen schienen. Plötzlich ließ Berger seinen Stab fallen, breitete die erhobenen Hände wie zum Gebet aus und sprach: »Mutter Nacht, urewige, urgewaltige, aus deren Schoß sich die Kreatur in ihrem wilden Lebensdrange losreißt, um nach langer Irrfahrt reuig und demütig für immer an deinen treuen mütterlichen Busen zurückzusinken, sei mir gegrüßt auch in deinem schwachen irdischen Abbild! Du abgrundtiefer Born der Vergessenheit, du süße Wiege ungestörter Ruhe, wie sehne ich mich doch so nach dir von ganzem Herzen! O nimm sie von mir, diese öde Qual des Lebens; erspare mir den täglichen Kummer, diese müden Augen zu einem Lichte aufzuschlagen, das ihnen so verhaßt ist; nimm diesen Erdenrest, der befleckend auf mir haftet und der in demselben Maße, daß er sich verringert, nur um so peinlicher wird! Laß ihn, o laß ihn bald verzehrt sein! Ich weiß es wohl, ich könnte zu dir kommen, wenn ich noch einen Schritt täte auf diesem Felsenrande, aber ob auch mein Gebein im Sturz zerschmetterte, doch würde die Seele keine Ruhe finden, denn sie hätte in dem Kelch des Lebens noch einige Tropfen, vielleicht, wer weiß es, die bittersten von allen gelassen. Nein, nein! Weiche von mir, Teufel, der du mich in den Abgrund lockst. Der Abgrund ist nicht der Tod, sondern das Leben mit aller seiner Herrlichkeit. Ich kenne das alte Stück; du hast es auch ihm gespielt, dem Sohne des Zimmermanns von Nazareth! Aber er wies deine Lockungen von sich – Ehre, Macht und Weibergunst, um zu dürsten, zu hungern und nicht zu haben, wohin er sein Haupt lege, um in der Nacht auf dem Ölberge mit kalten Schweißtropfen den letzten Erdenrest von sich abzuwaschen und, im Leben schon verklärt und heilig, zu Golgatha am Kreuz den Tod des Schächers zu sterben. Oh, daß ich hinausziehen könnte in die Lande und predigen das Wort, das heilige Wort, das uns erlöst für nun und immerdar, das Wort, das uns wieder zurückbringt zur guten, lieben, milden Mutter Nacht, die wir verließen, um in der Sonnenglut des Lebens mit lechzender Zunge und pochenden Schläfen Höllenqualen zu erdulden, das Wort, das heilige, unaussprechliche Wort, das zu eitel Spott und Hohn geworden in dem frevlen Mummenschanz, mit dem sie ihrem Gott zu dienen wähnen. Vergib ihnen, Mutter, denn sie wissen nicht, was sie tun; sie würden ja gern zu dir kommen, wenn sie Ohren hätten, deine sanfte Stimme zu hören, und Augen, deine milde Schönheit zu sehen. Ich sehe dein heiliges Antlitz; es lächelt mir Trost und Hoffnung zu; ich höre deine Stimme, sie flüstert: Warte, warte nur noch eine kurze Zeit, und du sinkst zurück zur ewigen Ruh in meinen treuen Arm!«

Der rosige Schimmer war von dem Himmel verschwunden, graue Dämmerung breitete sich in den Tälern; in den Wipfeln der Tannen begann der Abendwind zu flüstern und zu raunen.

Ein Schauer packte Oswald. Ihm war, als ob die mystische Nacht, an die Berger sein Gebet gerichtet, ihn schon mit ihrem Grabeshauch anwehte, als ob die Sonne versunken sei, um niemals wieder aufzugehen. Aber dieser Schauer war nicht ohne ein seltsames Gefühl der Lust. Der narkotische Duft der Todesgedanken, den ihm Bergers ekstasische Worte zutrugen, drang ihm mit dem Duft der Heidekräuter und der Tannen bis ins Herz.

Er dachte an Helene und Melitta, aber nicht mit der qualvollen Unruhe von heute morgen, sondern in stiller Wehmut, wie man an geliebte Tote denkt; er dachte an die Verwirrungen und Irrungen des bunten Dramas seiner Grenwitzer Tage, aber es kam ihm vor wie ein Schattenspiel an der Wand; er dachte an die Zukunft, aber sie hatte keinen Reiz für ihn, sie flößte ihm weder Furcht noch Hoffnung ein – es war, als ob sein ganzes Wesen sich in sich selbst zurückziehe, als ob die andern weder so viel Liebe noch so viel Haß verdienten.

So saß er, den Kopf in die Hand gestützt, auf einem Felsblock und schaute in den Abend hinein, der seine dunklen Schwingen immer breiter über den Himmel spannte.

Eine Hand legte sich auf seine Schulter.

»Komm!« sagte Berger. »Laß uns zu den Toten zurückkehren.«

Sie stiegen von dem Gipfel herunter und tauchten in die feuchte Waldesnacht. Berger schien jeden Pfad und jeden Stein im Gebirge zu kennen. Er schritt, sich von Zeit zu Zeit auf seinen Knotenstock stützend, mit einer Rüstigkeit voran, die Oswald, ein so guter Fußgänger er war, das Folgen schwer machte.

So waren sie an eine Wiese mitten im Herzen des Waldes gekommen. Als sie am Saume des Holzes hinschritten, blinkte plötzlich von der andern Seite ein Lichtschein herüber. Er kam von der Flamme eines Reisighaufens, der eben angezündet wurde. In dem hellen Kreis um die Flamme bewegten sich zwei Gestalten – eine Frau, wie es schien, und ein Kind.

Oswalds scharfes Auge bestätigte eine Ahnung, die ihm sofort die Seele durchzuckt hatte.

Es waren Xenobi und die Czika.

Er eilte, so schnell ihn seine Füße tragen konnten, quer über die Wiese fort nach der Flamme zu. – Aber er hatte kaum die Hälfte der Entfernung zurückgelegt, als er bis an die Knöchel im feuchten Grunde versank. Er sah, daß er nicht weiterkommen könne. Er rief hinüber, so laut er konnte: »Xenobi, Czika, ich bin's, Oswald!« Aber sein Ruf hatte kaum den stillen Wald aus seiner Ruhe geschreckt, als das Feuer erlosch und mit dem Feuer die Gestalten der Zigeunerinnen verschwanden.

Alles war still – totenstill. Oswald hätte glauben können, seine Phantasie habe ihm einen tückischen Streich gespielt.

»Was hattest du?« fragte Berger, als Oswald zu ihm zurückkam.

»Sahen Sie das Feuer nicht?«

»Es war ein Irrlicht auf dem Sumpfe«, erwiderte Berger. »Laß uns weitergehen!«


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