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Siebzehntes Kapitel

Oswald kannte von früher her das Lokal wohl. Er war gelegentlich mit Berger in dem Keller gewesen, ohne sich um die übrige Gesellschaft, die er noch etwa vorfand, zu kümmern. So hauchte ihn denn die feuchtkühle, mit dem Modergeruch der jahrhundertjährigen Mauern und der frischen Blume heurigen Weines angefüllte Atmosphäre befreundet an, und er fand, ohne viel zu suchen, den Weg zu der niedrigen Tür, die links in die Trinkstube führte.

Es war in diesem Augenblicke außer dem Aufwärter niemand in dem langen, gewölbten, spärlich erhellten Raum als ein einzelner Gast, der mit dem Rücken nach der Tür saß und sich durch Oswalds Eintreten keineswegs in seiner Beschäftigung stören ließ. Oswald, der, etwas von ihm entfernt, an einem kleinen runden Tische Platz genommen hatte, bemerkte nicht ohne einige Verwunderung den Berg von Schalen, der sich vor dem unermüdlichen Esser bereits aufgetürmt hatte und noch lange nicht seine höchste Höhe erreicht zu haben schien. Zum mindesten lehnte sich der Mann nur von Zeit zu Zeit in seinen Stuhl zurück, um mit augenscheinlichem Behagen ein Glas Wein zu schlürfen, und ging dann stets wieder mit einem Eifer ans Werk, der für die Güte der Austern nicht minder als für die Vortrefflichkeit des Magens ihres Konsumenten sprach.

Die letzte Schale klappte auf den Berg herunter, und die letzten Tropfen flossen aus der Flasche ins Glas.

»Sic transit gloria mundi«, sagte der Mann. – »Indessen, diese Gloria ist leicht wieder aufzufrischen. Karole, bringen Sie mir noch ein Dutzend dieser wackern Meeresbewohner und eine halbe Flasche dieses höchst schätzenswerten Josephhöfers.«

Oswald horchte auf. Die Stimme war ihm sehr bekannt, sie erinnerte ihn an vergangene glücklichere Tage. Diese klare, frische Stimme hatte ihn schon manchmal erquickt und ermutigt wie den Gefangenen der Wind, der durch das offene Fenster seines Kerkers streicht; sie verfehlte auch heute nicht die gewohnte Wirkung auf sein verdüstertes Gemüt. Unter allen war dieser Mann gerade derjenige, dessen Gesellschaft ihm heute abend willkommen war.

So stand er denn auf, trat auf ihn zu und begrüßte ihn mit Lebhaftigkeit.

»Ah! Dottore, Dottore!« rief der Austernesser, in die Höhe fahrend und die dargebotene Hand ergreifend. »Sie hier? Nun das ist doch mal ein gescheiter Einfall des sonst so dummen Zufalls! Karole, eine ganze Flasche statt einer halben und einige Dutzend statt eines!«

»Bin ich Ihnen in diesem Augenblicke wirklich eine persona grata, Timm?« sagte Oswald, neben Albert Platz nehmend.

»Persona grata? In diesem Augenblick!« rief Albert Timm, »Don Oswaldo, Don Oswaldo! Ich habe Sie, bei Gott, seitdem wir in Grenwitz voneinander Abschied nahmen, schmerzlich vermißt und freue mich, freue mich sehr, daß Sie endlich wieder hier sind, Wo zum Kuckuck haben Sie denn nur so lange gesteckt? Ich habe mich bei aller Welt nach Ihnen erkundigt. Seit wann sind Sie zurück?«

»Seit drei Stunden etwa.«

»Und sind natürlich so nüchtern, wie Sie aus dem Postwagen gestiegen sind, Sie sehen wenigstens gerade so aus; Karole, Karole! Wo der Schlingel bleibt! Endlich! Hier, Dottore, ist Speise für einen gesunden Magen und ein Labetrunk für ein krankes Herz! Stoßen Sie an! Willkommen in Grünwald!«

»Eine Liebe ist der andern wert, Timm!« sagte Oswald, während Albert die Gläser wieder füllte. »Ich kann Ihnen sagen, daß ich mich von ganzem Herzen freue, gerade Ihnen am ersten Abend, den ich wieder in dieser Stadt verlebe, zuerst begegnet zu sein. Lassen Sie uns noch einmal anstoßen: Auf gute Kameradschaft!«

»Ein Wort, ein Mann!« rief Timm, kräftig in Oswalds dargebotene Hand einschlagend. »Wir wollen redlich zusammenhalten. Weiß es Gott, es ist in diesem Krähwinkel kein Überfluß an Leuten, mit denen man zusammenhalten könnte und möchte. Aber dieser Bund zweier edler Seelen muß auch in einem edleren Stoff gefeiert werden. Karole! Eine Flasche Sekt – Röderer und frappé – sonst bei den Gebeinen meines Roller, schlägt der Blitz meines Zornes in deinen kahlen Schädel! Und nun kommen Sie, Dottore mio, und erzählen Sie mir von Ihren Irrfahrten. Oder erzählen Sie mir das auch ein andermal und sagen Sie mir zuvörderst, denn das interessiert mich vor allem, ob die Fama nicht gelogen hat, die von den letzten Szenen des Trauer-, Schau- und Lustspiels Ihres Grenwitzer Lebens so pudelnärrische Dinge in die Welt ausposaunt hat?«

»Ehe ich diese Frage beantworten kann«, sagte Oswald, den die Austern, der Wein, Timms Gesellschaft und die ganze Atmosphäre nach und nach in eine behagliche Stimmung versetzten, »muß ich vor allem wissen, was denn die Fama berichtet hat?«

»Wollen Sie es wirklich wissen?«

»Ohne Zweifel.«

»Nun denn, mein wackerer Junker aus der Mancha – es hört's kein profanes Ohr in diesen der Freundschaft und Liebe geweihten Hallen –, stoßen Sie an und trinken Sie aus! Aus, bis auf den letzten perlenden Schaum: ihr Wohl! ihr – kleingeschrieben! Das Wohl der Einzigen, Holden, Süßen, des Mädchens mit dem bläulich schwarzen Rabenhaar und den dunklen, meerestiefen Augen! Aus! sage ich, bei den Gebeinen der zehntausend Jungfrauen von Köln, aus! Wie, edler Don, schämt Ihr Euch nicht, die Dame Eures liebeüberfließenden Herzens zu verleugnen? Und wem gegenüber zu verleugnen? Mir, dem weisen Merlin, der ich das Gras kann wachsen und die Augen kann seufzen hören! Habe ich das Seufzen Eurer schönen Augen nicht gehört in den sonnigen Tagen, die nicht mehr sind, als Ihr und sie, zwei Kinder seltener Art, unter den Rosenbüschen der Unschuld spieltet und glaubtet, es beobachte Euch keiner, selbst nicht der Schöpfer Himmels und der Erden, der Euch den warmen Odem einblies, mit dem Ihr kosend von süßer Minne flüstertet? Und habe ich es nicht gehört, wie Euch die Schlangenzungen umzischelten, habe ich es nicht gesehen, mit welchem ingrimmigen Haß Euch die Basiliskenblicke anstierten? Oh, ich habe dies alles und noch mehr gesehen und gehört, und ich wußte im voraus, daß es so kommen würde, aber ich schwieg, denn Reden ist wohl Silber, aber Schweigen ist Gold, und wer sich in Herzensangelegenheiten mischt, dem wäre besser, er ginge hin und setzte sich in die Nesseln.«

»Sagen Sie, Timm, haben Sie – haben Sie sie gesehen, seitdem sie in Grünwald ist?«

»Ich habe sie gesehen, hoher Herr! Nicht einmal, sondern viele Male, an der Seite anderer junger Huldinnen, unter denen sie erschien wie die glühende Rose von Saron zwischen bescheidenen Gänseblümchen, dahinschreitend über Grünwalds Pflaster, durch Grünwalds Gassen – und die Pflastersteine auf den Straßen und die Mauersteine in den Häusern, sie bekamen Sprache und redeten und sangen: Gepriesen seist du, Gebenedeite unter den Weibern; Hallelujah!«

»Sie ist bei Fräulein Bär, nicht?« fragte Oswald, der es für töricht hielt, einem so scharfsinnigen Beobachter wie Albert gegenüber, seine Liebe für Helene ganz und gar in Abrede zu stellen.

»Ja, sie ist bei der Bärin, dieser Perle aller weiblichen Argusse. Dort weilt sie und sitzt am Fenster und sieht die Wolken ziehen über die Wipfel der Pappeln hin – und wenn Sie des Mittags zwischen zwölf und eins dort vorübergehen wollen, so können sie selbst sie dort sitzen sehen, wie ich sie sah, sooft ich dort zu dieser Stunde vorüberkam. Und immer hob sie ihre dunklen Augen, und immer blickte sie mich fragend an: Kannst du von ihm mir keine Kunde sagen; von ihm, dem einzig heißgeliebten Mann? Ha, Oswald, ich, ein prosaischer Klotz, spreche in Versen, wenn ich des holden Kindes denke, und Sie, der Sie ein Dichter sind, wollen leugnen, daß Sie sie lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüte? Schämen Sie sich, Sie sind nicht wert, daß ich mich so viel um Sie kümmere, wie ich es tue; daß ich in diesen Wochen vielleicht jeden Tag öfter an Sie gedacht habe als Sie während der ganzen Zeit an mich. Aber Undank ist der Welt Lohn und – he, Karole, wo bleibt der Sekt? – ich werde mir in Zukunft über Sie und Ihr Schicksal nicht weiter den Kopf zerbrechen.«

Timm stützte den Kopf in die Hand, wie es Oswald schon während der letzten zehn Minuten getan hatte. Eine Pause trat ein, während der kahlköpfige Karl eine Flasche Champagner in einem Kübel mit Eis brachte, sie ein paarmal in dem Eise umdrehte und sich darauf geräuschlos, wie er gekommen war, wieder entfernte.

»Ich bin nicht undankbar, Timm«, sagte Oswald herzlich, indem er sein und Alberts Glas aus der Flasche füllte, »ich bin es wirklich nicht, bin's auch in diesem Falle nicht. Und wenn ich an Ihre Freundschaft bis jetzt nicht so recht glaubte, so kam es daher, weil ich mir bewußt war, sie so wenig verdient zu haben. Stoßen Sie mit mir an! Sie wissen, mit einem Melancholicus, wie ich einer bin, darf man es nicht so genau nehmen!«

»Ja, das soll Gott wissen!« rief Timm mit dem alten lustigen Gelächter, das blonde Haar, das ihm über die Stirn gefallen war, nach hinten schlagend und sein Glas mit einem Zuge leerend. »Und ich habe oft schon darüber gerätselt, wie doch ein Kerl, der alle Anwartschaft auf den intensivsten Genuß des Lebens hat, zu einer Weltanschauung kommt, die sich einzig für kranke Kanarienvögel und andere Invaliden zu ziemen scheint. Wenn sie aus blöder Scheu niemals angefangen hätten, zu genießen, oder Ihre Kraft im Genuß verbraucht hätten, wollte, ich nichts sagen; aber da offenbar das eine so wenig der Fall ist wie das andere, so wüßte ich wirklich nur eines, was Ihnen fehlen könnte.«

»Und das wäre?

Herr Timm stützte die Ellenbogen auf den Tisch und das glatte Gesicht in die weißen Hände und lächelte Oswald schlau an.

»Und das wäre, Timm?«

»Zehntausend Taler jährlich Rente.«

Oswald lachte.

»Ein höchst prosaisches Mittel gegen den Weltschmerz.«

»Aber ein radikales, und das gerade bei Ihnen unfehlbar anschlagen würde.«

»Weshalb gerade bei mir?«

Timm schenkte die Gläser wieder voll, zündete sich eine frische Zigarre an und sagte:

»Heine teilt, wie Sie wissen, die Menschen in zwei Klassen: in fette Griechen und magere Nazarener. Ich habe diese Unterscheidung stets ebenso praktisch wie tiefsinnig gefunden. Jene glaubten an die heilige Frau von Melos, diese beten zur schmerzensreichen Mutter. Der heitere, fröhliche Genuß der guten Dinge dieser Welt ist für die einen, mürrische Entsagung und grübelnde Aszese für die anderen. Damit nun beide zu ihrem Rechte kommen, die Griechen sich ausleben und die Nazarener sich ausbeten können, müssen die ersteren notwendig Geld und zwar viel Geld haben, und die letzteren arm und zwar sehr arm sein.«

»Ehe Sie in Ihrer Auseinandersetzung weitergehen, Timm, sagen Sie mir zuvörderst: In welche Klasse gehören denn Sie?«

»Zu beiden, oder in keine von beiden, wie Sie wollen. Ich habe den guten Magen, die gesunden Zähne, die feinen Sinne, mit einem Worte, die Genußsucht und die Genußfähigkeit des Griechen; aber auch die den Nazarenern zur Ausübung ihrer spezifischen Tugenden nötige Zähigkeit und Genügsamkeit. Ich habe das unschätzbare Talent des Kamels, lange dursten zu können, ohne dabei den Mut und die Kraft zu verlieren. – Im Gegenteil, bei mir dient die Entbehrung nur dazu, den Appetit zu schärfen und den nächsten Trunk köstlicher zu würzen. Wenn ich die wüste Strecke durchlaufen habe, und – wie jetzt zum Beispiel – die Zweige der Mimose und die Fächer der Palme über mir wehen und der eiskalte Quell – wie jetzt zum Beispiel – aus dem Felsen – wollte sagen aus der Flasche schäumt und perlt –, dann beuge ich meinen langen Kamelhals und trinke, trinke, trinke und segne die dürre, braune Wüste, die mir zu diesem göttlichen Durst verhalf.«

Und Herr Timm stürzte ein volles Glas Champagner hinunter mit der hastigen Gier eines Wanderers, dessen Zunge am Gaumen klebt.

Oswald betrachtete, den Kopf in die Hand gestützt, den übermütigen Gesellen ihm gegenüber mit einem eigentümlichen neidischen Wohlgefallen. Wie scharf und keck und bei aller Schärfe und Keckheit fein und geistreich war dies fast knabenhafte, glatte, hübsche Gesicht! Wie gut stand ihm der übermütige Hohn, der um die beweglichen Nasenflügel zuckte und die scharfgeränderten roten Lippen krümmte! Wie flogen von diesen Lippen die Worte so schnell wie gefiederte Pfeile, von denen jeder ins Schwarze trifft. Welche souveräne Verachtung jeder Phrase, aller Ziererei, aller Lappen, mit denen Heuchler und Toren die nackte Blöße bemänteln, sprach aus des Mannes ganzer Haltung, aus der Art, wie er den Kopf in den Nacken warf, oder den Rauch der Zigarre von sich blies, oder die Flasche aus dem Kühler nahm, umschüttelte und sich das alle Augenblicke leere Glas wieder voll schenkte! Wie leicht trug dieser Mann die schwere Bürde des Lebens, leicht wie ein Löwe mit der geraubten Gazelle über Hecken und Gräben springt.

Oswald war, sich Vergessenheit zu trinken, hierher gekommen. Er hatte, was er gewollt. Seine Stirn glühte, während er, dem Beispiele seines Gefährten folgend, ein Glas nach dem andern hinuntergoß. Er hatte sich seit langer, langer Zeit nicht so frei und glücklich wie in diesem Augenblick gefühlt.

»Was nun Sie anbetrifft, edler Ritter«, fuhr Timm fort, »so sind Sie ein Grieche, ohne die Mittel zu haben, es stets sein zu können, und ohne die Kamelgabe, die Zeit, wo Sie es nicht sein können, der nächsten vergnüglichen Zukunft einfach auf die Rechnung zu setzen. Statt dessen spielen Sie den Nazarener und befinden sich dabei genauso wohl wie ein Adler, dem man die Flügel und die Fänge beschnitten und einen Ring um das Bein gelegt hat. So schlägt nun die nicht verausgabte überflüssige Kraft nach innen und hemmt den normalen Gang Ihrer durchaus auf heiteres Genießen angewiesenen Natur. Es ist nicht des erste Mal, daß ich Sie auf diesen Widerspruch Ihres Wesens aufmerksam mache. Erinnern Sie sich, was ich Ihnen schon in Grenwitz sagte? Sie hassen den Adel, Sie hassen die Reichen, Sie hassen die Mächtigen, weil es Ihnen in allen zehn Fingern juckt, adlig und reich und mächtig zu sein. Gehen Sie mir doch mit Ihrem moralischen Firlefanz von dem Adel der Gesinnung, dem Reichtum des reinen Herzens, der Macht der Wahrheit! Es ist ja alles Trödelware für den, der weiß, wie es auf dem Markt des Lebens zugeht. Pah, was hat ein Mann von Ihrer Jugend, Ihrer Liebenswürdigkeit, Ihrer hübschen Fratze – denn, weiß es Gott, Oswald, Sie sind ein verdammt hübscher Kerl. ein Mann, dem die Weiber ungebeten um den Hals fallen, mit Keuschheit; was hat ein Mann wie Sie von durchweg aristokratischen Neigungen und Tendenzen mit Armut zu schaffen? Es ist ja geradezu lächerlich! Sie müßten nicht ein armer Schullehrer, sondern ein steinreicher Baron sein wie diese Grenwitzens, mit denen Sie nebenbei eine mit jedem Tage frappanter werdende Ähnlichkeit haben, da könnten Sie Ihr Leben genießen und sich hernach mit einigem Grund eine Kugel durch den Kopf jagen. Dann könnten Sie die schöne Helene heiraten, könnten mit einem Worte tun und lassen, was Sie wollten. Deshalb wiederhole ich: Ihnen fehlen zehntausend Taler jährlich Rente. Ich wollte, ich könnte sie Ihnen verschaffen. Ich tät's, und sollte ich sie sonstwoher nehmen.«

»Ich glaube, Sie wären dazu imstande, Timm.«

»Weshalb nicht? Und wäre es auch nur aus Neugierde zu sehen, wie Sie sich in diesem Falle gegen Ihren alten Freund benehmen würden.«

»Ich würde es, davon seien Sie versichert, mit dem Mammon machen, wie ich es als Junge mit den Kirschen machte, die ich geschenkt bekam –«

»Was machten Sie damit?«

»Ich teilte sie redlich mit meinen Freunden.«

Albert sah Oswald starr in die Augen. Plötzlich sagte er, wie aus einem Traum erwachend:

»Ich bin ein schnurriger Kerl, Oswald, so ungläubig wie ein Heide und doch an allerlei Vorbedeutungen hängend wie ein altes Weib. Als ich hier vorhin so einsam saß und meine Austern aß, da dachte ich: Du hast zufällig ein paar Taler in der Tasche und möchtest sie gern mit einem guten Freund verkneipen. Und dabei kam ich, wie Wallenstein in dem bekannten Monologe, auf die Frage: Wer es wohl von allen denen, mit denen ich hier Abend für Abend verkehre, mit mir am besten und ehrlichsten meint, und daß es der sein sollte, der zuerst zur Tür hereinkäme. Aber seltsam: Es ist ganz gegen die Gewohnheit keiner von allen gekommen! Statt dessen kamen Sie, an den ich nicht im entferntesten gedacht hatte. Oswald, ich weiß nicht, wie Sie über dergleichen denken, und es ist möglich, daß ich Sie mit meiner Bitte beleidige; ich bin es gewohnt, meine Freunde du zu nennen. Wollen wir uns du nennen?«

»Von Herzen gern«, rief Oswald. »Hier ist noch für jeden ein Glas in der Flasche.«

»Und aus dem Glase, aus dem ich mit dir Smollis getrunken, soll kein anderer wieder trinken«, rief Albert und schleuderte sein Glas an die Erde.

Oswald tat desgleichen, aber der Klang der zerspringenden Gläser gellte schrill und häßlich durch sein Ohr wie das Lachen schadenfroher Dämonen.

Der kahle Karl, welcher an dem andern Ende der Halle hinter seinem Bureau gesessen und genickt hatte, fuhr bei dem Lärm in die Höhe und kam schlaftrunken herangeschlurft, in der Meinung, man habe ihn gerufen.

»Wie ist's, Oswald«, sagte Timm, »ich denke, wir trinken noch eine. Wir kommen so jung nicht wieder zusammen.«

»Nein!« sagte Oswald, »laß es genug sein. Mir brennt der Kopf. Und ich muß morgen bei Hinz und Kunz Visiten machen. Was haben wir zu bezahlen?«

»Halt!« rief Herr Timm, Oswald in den Arm fallend. »Mein ist der Helm, und mir gehört er zu! Karole, wenn du von diesem Herrn einen roten Heller nimmst, so zerschmettere ich diese leere Flasche auf deinem kahlen Schädel. Hier! Mach dich bezahlt von diesem Wische für heute abend und für die letzten Male, und von dem, was übrigbleibt, kaufe dir meinetwegen eine Perücke, Karole!«

Bei diesen Worten hatte Herr Timm aus einem ansehnlichen Paket Banknoten, das er aus der Rocktasche nahm, einen größeren Schein gezogen und ihn dem Kellner eingehändigt, der über den plötzlichen Reichtum in den Händen eines seiner am schlechtesten zahlenden Gäste einigermaßen verwundert schien. Zum mindesten grinste er höchst eigentümlich, als er den Schein entgegennahm, während Herr Timm das Paket mit der Miene äußerster Sorglosigkeit wieder in die Tasche schob und den Hut schief auf den Kopf drückend sang:

»Im Walde haust der böse Wolf,
Im Stalle blöken die Schafe;
Derweil ich trinke im Keller tief,
Schlafe, süß' Liebchen, schlafe!«

Sie standen oben auf der Straße. Der Nebel hatte sich gänzlich verzogen, und der Mond schien klar vom dunklen Himmel. Die Laternen waren ausgelöscht, und tiefe Schatten wechselten mit hellen Streifen in den engen Gassen zwischen den hohen Giebelhäusern. Ein Nachtwächter, der mit langem Spieß und urvorweltlichem Horn an der Straßenecke stand, rief die zwölfte Stunde ab. Sonst war alles totenstill auf den leeren Straßen, durch die Oswald und Albert jetzt Arm in Arm, wie es guten Freunden und Duzbrüdern zukommt, dahinschritten; Oswald, ungewöhnlich erhitzt und aufgeregt, Albert so munter und frisch, als ob er im Ratskeller von Grünwald nur Wasser getrunken hätte. Sie sprachen über die Herren vom Rat und vom Gymnasium, bei denen Oswald morgen Visite machen wollte, über Oswalds Gymnasialkarriere überhaupt, die Albert für einen so abenteuerlichen Plan erklärte, wie er eben nur einem edlen Manchaner in den Sinn kommen könne, bis sie vor der Tür des Hotels anlangten. Hier wünschten sie sich gute Nacht. Oswald trat ins Haus; Albert schlenderte, die Hände in den Taschen, weiter die Hauptstraße entlang. Plötzlich aber blieb er stehen und schien sich einen Augenblick zu besinnen. Dann bog er in eine Nebenstraße und verschwand endlich in einem Gäßchen kleiner schlechtgebauter Häuser, deren Äußeres nicht besser war als der Ruf, in dem die Bewohner und Bewohnerinnen bei dem soliden Teile der Bevölkerung Grünwalds standen.


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