Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Siebenundvierzigstes Kapitel

Herr Schmenckel wanderte langsam die Linden hinab nach der Wilhelmstraße. Er hatte die Arme auf den Rücken gelegt und den Hut tief in die Stirn gedrückt; die Leute gingen ihm aus dem Wege, denn er stierte unverwandt auf das Straßenpflaster und murmelte fortwährend Unverständliches durch die Zähne. Aber Herr Schmenckel war keineswegs betrunken oder verrückt; er war nur etwas aufgeregt und repetierte die Lektion, die ihm Berger eingeprägt hatte. Es war ein saurer Gang; aber Herr Schmenckel fühlte, daß er nur seine Pflicht tue, wenn er das Komplott, in das der schlaue Timm ihn verwickelt, wieder zerstöre. Ein wahres Glück, daß er sich in seiner Herzensangst dem Professor entdeckt hatte! Wie der zu reden wußte, daß es einem ordentlich angst und bange wurde. Der Schmenckel hat's ja immer gesagt, daß hinter dem Professor etwas ganz Besonderes stecke. Und daß die Czika nun schließlich doch ein Baronenkind war, das verwunderte den Kaspar Schmenckel aus Wien gar nicht. Es hatte so kreuznärrische Augen gehabt, das Mädel, und er hatt's auch immer ganz besonders gut behandelt; da war's am Ende gar nicht so wunderbar, daß Baron Oldenburg dem alten ehrlichen Kasperle eine Hausmeisterstelle auf seinen Gütern angeboten hatte, wo er fortan ohne Sorgen leben konnte. Nein, Kaspar Schmenckel aus Wien brauchte von niemandem Geld zu erschwindeln, Kaspar Schmenckel konnte wieder frei den Kopf erheben.

»Zum Tausend, Alter, kommt Ihr erst jetzt?« rief plötzlich eine scharfe Stimme, »Ihr solltet ja schon mit Eurer Visite fertig sein.«

Albert war in der Wilhelmstraße in der Nähe des Hotel Waldernberg auf und ab patrouilliert, um den Erfolg von Oswalds Unterredung mit der Baronin Grenwitz zu erfahren. Herrn Schmenckel glaubte er um diese Zeit schon auf dem Wege nach dem »Dustern Keller«, wo sie sich ein Rendezvous gegeben hatten für den Fall, daß sie sich auf der Straße verfehlen sollten. Albert hatte nicht umsonst Schmenckel eine Stunde früher als Oswald nach dem Palais geschickt. Damit Oswalds Zusammenkunft mit der Baronin die rechten Früchte tragen konnte, mußte die Baronin zuvor einen gewissen Brief gelesen, und damit die Wirkung des Briefes nicht paralysiert wurde, Herr Schmenckel mit der Fürstin konferiert haben. Er war deshalb über Herrn Schmenckels Zuspätkommen aufs höchste entrüstet.

»Es ist rein um närrisch zu werden«, fuhr er in noch ärgerlicherem Tone fort, »nicht einen Augenblick kann man Euch allein lassen, so gibt's eine Dummheit.«

»Oho! Nicht so grob, Freundchen«, entgegnete Herr Schmenckel, der sich im Bewußtsein seiner tugendhaften Vorsätze dem schlangenklugen Mitschuldigen gewachsen fühlte, »sonst komm ich dir auf den Buckel!«

»Nun, nun«, sagte Albert einlenkend, »zwischen Freunden muß ein offenes Wort erlaubt sein. Macht nur jetzt, daß Ihr hineinkommt, so kann noch alles nach Wunsch ablaufen. Ihr seid doch heute morgen beim Grafen gewesen?«

»Nein«, brummte Herr Schmenckel.

»Aber zum Teufel, weshalb denn nicht!« rief Timm, dessen Ärger sich von neuem regte.

»Weil ich nicht wollte«, sagte Schmenckel trotzig, »weil ich mit Euch überhaupt nichts mehr zu tun haben will.«

»Aha«, sagte Timm, »Ihr möchtet die Fettfedern allein ziehen? Ich habe mir die Finger verbrannt, um Euch die Kastanien aus dem Feuer zu holen? Nein, teuerster Freund, so dumm sind wir nicht; für nichts ist nichts.«

»Ich will nicht einen Kreuzer von dem Sündengeld«, rief Schmenckel, »ich will der Fürstin sagen, daß ich ein ehrlicher Kerl bin und daß sie sich nicht weiter ängstigen soll.«

»Schaust du aus dem Loch?« sagte Timm. »Also bloß ein klein wenig verraten wollt Ihr mich? Nehmt Euch in acht, der Spaß könnte Euch teuer zu stehen kommen!«

»Ich werde tun, was mir gefällt!« sagte Schmenckel, eine sehr entschlossene Miene annehmend und mit langen Schritten weitergehend.

»Ihr kommt nicht in das Haus!« rief Albert und packte Schmenckel fest am Arm.

Schmenckels Antwort auf diese Herausforderung war ein Stoß, der seinen Gegner sehr unsanft über das Trottoir weg gegen die Wand schleuderte. Im nächsten Augenblick hatte sich die Tür des Palais hinter Schmenckel geschlossen.

Durch den Wortwechsel mit Albert war er in eine Art von heroischer Stimmung geraten, die sich ausnehmend zu der Unterredung, der er entgegenging, eignete. So geschah es denn, daß er sich weder durch die glänzende Livree des Portiers noch durch die Pracht der Zimmer, die er durchschreiten mußte, imponieren ließ. Aber der Mut sank ihm plötzlich wieder, und das Herz schlug ihm hoch, als der Bediente jetzt vor einer Tür stehenblieb und leise sagte: »Hier befinden sich Ihre Durchlaucht, treten Sie nur ohne anzuklopfen ein; Sie werden erwartet.« Herr Schmenckel fuhr sich mit der Hand durch sein dichtes Haar, räusperte sich, klemmte den abgeschabten Hut fest unter den linken Arm, öffnete mit der Rechten entschlossen, wenn auch vorsichtig, die Tür und trat ein.

Eine rosige Dämmerung umgab ihn, und in der rosigen Dämmerung bemerkte er zwei Frauen, von denen die eine in einem Lehnstuhl am Kamin saß, in dem trotz des warmen Wetters ein helles Feuer brannte, die andere etwas seitwärts hinter dem Lehnstuhle stand.

Beide Frauen richteten, als er sich ihnen näherte, die Augen mit durchdringenden Blicken auf ihn. Dieser Empfang veranlaßte ihn, kleinere und immer kleinere Schritte zu machen, und dann, nachdem er den Raum zwischen Tür und Kamin kaum halb zurückgelegt hatte, plötzlich stehenzubleiben.

»Treten Sie näher, lieber Freund«, sagte die Dame.

Herr Schmenckel trat noch zwei sehr kleine Schritte heran und blieb abermals stehen, fest entschlossen, den auf ihn gerichteten, funkelnden Augen, komme, was da wolle, nicht eine Linie näherzutreten.

»Sie sind der Mann, der an den Grafen Malikowsky vorgestern geschrieben hat?« sagte die Dame hinter dem Stuhl.

»Ja, Ihr' Gnaden.« Herrn Schmenckel war es, als ob diese Worte, die er doch ohne Zweifel selbst hervorgebracht hatte, am andern Ende des Saals von einem andern gesprochen wären. Er wurde sehr rot und räusperte sich, um sich zu überzeugen, daß wirklich er es sei, der mit den Damen sich unterhalte.

»Sie heißen Schmenckel?« fragte die Dame, hinter dem Stuhl.

»Ja, Ihr' Gnaden.«

»Und waren vor vierundzwanzig Jahren in Petersburg?«

»Ja, Ihr' Gnaden.«

»Und kamen zu der Zeit manchmal ins Hotel Letbus?«

»Ja, Ihr' Gnaden.«

»Kennen Sie mich noch?«

Herr Schmenckel richtete seine Augen, die überall im Zimmer, nur nicht auf den beiden Frauen geweilt hatten, auf die Sprecherin und sagte nach einigem Bedenken:

»Ich sollt's halt meinen, obgleich ich's just nicht beschwören möcht'! Wenn's nicht gar so lang her wär, wollt' ich sagen, Sie sind die Nadeska, das Kammermädel von der gnäd'gen Frau, die mir im Anfang immer die schönen Briefchen und die Rosenbuketts von der gnäd'gen Frau in den Schwarzen Bären brachte.«

Nadeska beugte sich über die Gebieterin und flüsterte ihr einige Worte ins Ohr, worauf diese in demselben Ton etwas erwiderte. Darauf entfernte sich Nadeska.

»Wollen Sie sich nicht setzen, Herr Schmenckel?« sagte die Fürstin, sobald sie allein waren.

Herr Schmenckel nahm ihr gegenüber auf dem Rande eines Lehnstuhls Platz.

»Kennen Sie denn auch mich?« fragte die Dame.

Herr Schmenckel verbeugte sich, indem er dabei die Hand aufs Herz legte.

»Warum haben Sie sich nicht direkt an mich gewandt?« fuhr die Fürstin im Ton sanften Vorwurfs fort. »Weshalb mußten Sie den Grafen ins Vertrauen ziehen? Bin ich jemals ungroßmütig gegen Sie gewesen? War es meine Schuld, wenn unsere letzte Zusammenkunft so endete?«

Herr Schmenckel wollte etwas erwidern, aber die Fürstin ließ ihn nicht zu Worte kommen.

»Wenn ich gewußt hätte, daß Sie noch lebten und wo Sie lebten, ich würde reichlich für Sie gesorgt haben; ja, ich bin noch diesen Augenblick gern dazu bereit. Aber unter einer Bedingung: brechen Sie jede Verbindung mit dem Grafen ab, lassen Sie sich nie wieder bei ihm sehen, und vor allen Dingen, wagen Sie nie, sich dem Fürsten zu nähern! Solange Sie diese Bedingungen halten, fordern Sie, was Sie wollen, und wenn Alexandrine Letbus es erfüllen kann – es soll geschehen.«

Die Fürstin streckte ihre durchsichtigen Hände aus; ihre schwarzen Augen schimmerten wie von Tränen; die rosige Dämmerung verklärte ihre bleichen, noch immer schönen Züge. Herr Schmenckel fuhr sich mit der Hand über die Augen.

»Lassen Sie mich auch einmal sprechen, gnädige Frau«, sagte er, »ich bin der Schandbub' nicht, den Sie aus mir machen. Es wär' mir ja nimmer eingefallen, Ihro Gnaden, dem Herrn Grafen, je so ein' Brief zu schreiben, wenn ich nicht von einem kreuzschlechten Menschen – Timm ist sein Name – dazu beredet worden wär'. Ich wußt' ja gar nicht, daß der Kaspar Schmenckel aus Wien einen so gar vornehmen Herrn Sohn hätt'! Aber der Timm sagt' zu mir: ›Auf den Busch klopfen‹, sagt' er, ›kann man immer, das schadet nicht.‹ Da hat er mir den Brief geschrieben und selbst zum Grafen getragen. Der ist noch am selben Abend zu mir in den ›Dustern Keller‹ gekommen und hat gesagt, daß es ihm recht sei, wenn ich Euer Gnaden, der Frau Fürstin, 's Leben bissel sauer machte; aber an den Fürsten selbst sollt' ich mich nicht wenden, dann wär' der Spaß mit einem Male vorbei. Und dann wär's auch zu viel, was ich gefordert hätt', ein Viertel so viel wär' auch genug; er wollt' selbst deswegen mit Euer Gnaden, der Frau Fürstin, sprechen, und heut' vormittag sollt' ich zu ihm kommen und da sollt' ich's Geld in Empfang nehmen. – Nun mögen Euer Gnaden, die Frau Fürstin, es glauben oder nicht, aber der Schmenckel aus Wien ist 'ne ehrliche Haut, die niemand nichts zuleide tun kann, geschweige denn einer schönen Dame, die sehr gut gegen den armen Kaspar gewesen ist. Und als nun Euer Gnaden zu mir schickten und mir sagen ließen: ich sollt' halt nur selber vorsprechen, da sagt' ich zu mir: Kaspar, sagt' ich, geh' zur gnäd'gen Frau und sag' ihr so und so, und sie sollt' nur ruhig sein, der Schmenckel würd' sich nimmer wieder bei ihr sehen lassen, und was das Geld anbetrifft, ich sag' Euer Gnaden, nicht ein' Kreuzer davon könnt' ich anfassen, wenn auch gleich ein Gulden draus würd'. Und so Euer Gnaden, Frau Fürstin, Gott befohlen! Und wenn wir uns nicht wiedersehen sollten, bleiben S' hübsch gesund und haben S' nur kein' Angst vor dem Kaspar Schmenckel; der tut Ihnen nimmer was. Ich küß' die Hand, Euer Gnaden.«

Mit diesen Worten erhob er sich und machte seine schönste Verbeugung.

»Guter Mann«, sagte die Fürstin mit zitternder Stimme.

Ihre Augen weilten mit Wohlgefallen an der herkulischen Gestalt des Mannes, der der Vater ihres Sohnes war. Die außerordentliche Ähnlichkeit beider sowohl in Figur als Gesichtsbildung, erfüllte sie mit einer wehmütigen Freude. Sie dachte der Tage, wo dieser Mann, ein Löwe an Kraft und Gewandtheit, wenn nicht ihr Herz, so doch ihre Sinne beherrscht; aber in demselben Augenblicke überkam sie auch die Furcht, der Sohn könne den Vater bei ihr finden, – ihr Sohn, der stolze, jähzornige Mann, könnte jemals erfahren, daß der Possenreißer, der Seiltänzer sein Vater, der Vater des Fürsten zu Waldernberg sei.

»Du mußt fort«, sagte sie hastig, »hier –« sie streifte von ihrem Finger einen prachtvollen Ring, dessen Brillanten im Schein des Feuers in allen Farben des Regenbogens blitzten, »– keinen Widerspruch! Nimm! Ich habe ihn lange getragen, schon damals, als dich Nadeska zum ersten Male zu mir führte; nimm ihn zum Andenken an Alexandrine Letbus! Doch jetzt fort, fort!«

Sie berührte die Feder der silbernen Glocke, die neben ihr auf dem Tische stand. Nadeska trat herein.

»Führe ihn hinaus. Sorge, daß euch niemand sieht.«

Nadeska ergriff Herrn Schmenckel bei der Hand, der gern noch etwas erwidert hätte, aber zu verlegen und zu verwirrt war, um ein Wort hervorzubringen, und zog ihn durch eine Tapetentür, die links neben dem Kamine auf einen schmalen Korridor ging, von dem man auf eine Nebentreppe in den Hof gelangte.

Die Fürstin sank erschöpft in die Kissen ihres Lehnstuhls zurück und bedeckte Stirn und Augen mit der Hand. Sie bemerkte nicht, daß eine Portiere, rechts neben dem Kamin, deren Falten sich schon einige Male während ihrer Unterredung mit Herrn Schmenckel leise bewegt hatten, auseinandergeschlagen wurde und der Fürst hereintrat. Sie hörte ihn erst, als er dicht vor ihr stand. Sie schlug die Augen auf und in demselben Momente stieß sie einen Schrei des Entsetzens aus, – sein unerwartetes Erscheinen und ein Blick in das todesbleiche, wildverstörte Antlitz sagten ihr, daß er alles gehört habe.

»Gnade, Raimund, Gnade!« schrie sie, die krampfhaft gefalteten Hände zu ihm emporstreckend.

Raimunds breite Brust hob und senkte sich, als wehre sie sich gegen eine fürchterliche, erdrückende Last, und seine Stimme klang wie ein heiseres Röcheln, als er jetzt nach der Tür, durch die Schmenckel sich entfernt hatte, deutend sagte:

»War dieser Mann, der soeben von dir ging, mein Vater?«

»Gnade, Raimund, Gnade! Willst du deine Mutter töten?«

»Besser, du hättest mich nie geboren, als von einem solchen Vater!« Der gewaltige Mann zitterte, als ob ein heftiges Fieber ihn schüttelte – ein Stöhnen, das schauerlich durch das prächtige Gemach hallte, brach aus seiner Brust.

»Um aller Heiligen willen, Raimund, höre mich an; ich will dir alles sagen.«

»Ich brauche nichts mehr zu hören. Ich weiß nur schon zu viel. Der Graf hat mich Bastard gescholten; ich glaubte, er sei wahnsinnig; er hat mir nur den rechten Namen gegeben.«

Er griff mit den Händen nach der Seite, – er hatte den Degen im Vorzimmer abgelegt. Seine Augen blickten wild umher, als suche er eine Waffe. Seine Mutter verstand den Blick:

»Raimund, Raimund, was willst du tun?«

»Der Sache so schnell als möglich ein Ende machen.«

»Kein Mensch wird es je erfahren –«

»Wird es erfahren? Wer weiß es denn noch nicht? Nadeska, der Graf, dieser Mann, – soll meine Ehre, mein Rang, mein Vermögen von der Laune einer Kammerfrau, von der Diskretion eines herzlosen Roué, von der Schweigsamkeit eines Straßenhelden abhängen? Soll ich warten, bis es die Leute auf der Gasse mir nachrufen?«

»Ich will die Menschen töten, die es wissen; sie sollen sterben – alle sollen sie sterben, wenn nur du mir bleibst.«

»Und wenn sie stürben, und wenn niemand es wüßte als du und ich; ja Mutter, wenn du gestorben wärst und das Geheimnis wäre in meiner Brust begraben, ich würde es selbst da nicht sicher glauben. Ich würde mich und meine Schmach in dem tiefsten Grund der Erde verbergen.«

Die Fürstin bedeckte das blasse Gesicht mit den mageren Händen. Aber hier war keine Zeit, sich müßigem Jammer hinzugeben. Sie kannte den Charakter ihres Sohnes zu wohl, um nicht zu wissen, daß es sich um Tod und Leben handele.

»Raimund«, rief sie, wieder emporschnellend, »du tötest nicht bloß dich, du tötest auch mich. Bist du doch mein alles, meine Sonne und mein Licht! Ich habe nie ein Kind gehabt außer dir. Du weißt nicht, was es heißt, ein Kind haben und lieben, noch dazu, wenn man, wie ich, so unglücklich im Leben war! Ich habe den Grafen nie geliebt. Wie konnte ich auch einen Menschen lieben, der seine Kraft wie sein Vermögen in den abscheulichsten Ausschweifungen vergeudet hatte. Ich wurde seine Gemahlin, weil – weil der Zar es wollte. Und ich war damals noch so jung und so leichtsinnig, aufgewachsen in dem Glanz und der Üppigkeit des glänzendsten und üppigsten Hofes. Ich war dem Grafen nicht treu – so wenig wie er mir, ihm war es im Grunde gleich; aber er wollte eine Gewalt über mich erlangen, die mich zwang, seiner sinnlosen Verschwendung machtlos zuzusehen. Er hatte mir sicher schon lange aufgelauert, bis es ihm endlich, ich weiß noch heute nicht, durch welchen unglücklichen Zufall oder durch welchen schändlichen Verrat gelang, mir das Geheimnis zu entreißen. Seit dem Augenblick ist mein Leben ein Leben unter des Henkers Beil gewesen, das mich vor der Zeit zu einer alten Frau gemacht hat. Ich habe nichts gehabt als dich und deine Liebe – die einzige warme Stelle in einer eisig kalten Welt. Raubst du mir die, so muß ich unterliegen. Raimund, ist dies der Dank für alle meine Liebe?«

Der Sohn hatte, während die Mutter so Wahrheit und Dichtung künstlich und klüglich mischte, mit einer Miene zugehört, die so finster war wie eine schwarze Gewitterwand.

»Gib mir die Möglichkeit zu leben«, sagte er, »und ich will leben. So kann ich es nicht. Ich kann nicht leben mit dem Bewußtsein, daß mein Blut nicht edler ist als das, das in den Adern meines Stallknechts fließt.«

»Bin ich nicht deine Mutter?«

»Ist jener Clown nicht mein Vater?«

»Ja, Raimund, er ist es; und ihm verdankst du die stolze Kraft, ihm verdankst du, daß alle andern Männer neben dir Schwächlinge sind. Wolltest du lieber des Grafen Sohn sein, der Erbe seiner marklosen Schwäche, seines vergifteten Blutes? Und wähnst du denn, daß in den Adern unseres Adels nur adeliges Blut rollt, daß dein Fall der einzige ist, wo ein entartetes Geschlecht durch gesundes Proletarierblut sich wieder regeneriert hat? Soll ich dir aus unseren Kreisen einige Geschichten erzählen, dir sagen, von wem deine Freundin Ludmilla ihre dunkle Farbe und ihre bezaubernden schwarzen Augen, und dein Jugendfreund, Michael Oronzoff, sein lockiges, blondes Haar hat? Und glaubst du, daß es in anderen und höheren Regionen anders und besser ist?«

Die Fürstin hob sich halb aus ihrem Stuhl empor und flüsterte einige Worte so leise, daß sie eben nur das Ohr des Sohnes erreichen konnten. Er aber schüttelte finster den Kopf.

»Steht es so mit uns«, sagte er, »so mögen wir nur unsere Degen zerbrechen, unsere Wappenschilder in den Kot werfen. Ich habe meine Ehre blank bewahrt; ich habe keine Schuld, aber ich will die Schuld der anderen sühnen, ehe sie noch größer wird, ehe ich, ohne es zu wissen und zu wollen, tiefer in diese Sümpfe gerate. Weißt du, daß der Mann, mit dem ich vor drei Tagen auf der Straße in ein Handgemenge geriet, jener Mann war?« – der Fürst deutete nach der Tür, durch die sich Herr Schmenckel entfernt hatte – »Weißt du, daß ich um ein Haar meinen Degen mit dem Blute dessen gefärbt hätte, der mich erzeugt hat? Nein, nein! Das Maß ist übervoll.«

»Und deine Braut?«

Der Fürst zuckte zusammen.

Die Fürstin sah, wie tief dieser Pfeil ihm ins Herz gedrungen war. Ein Schimmer von Hoffnung, sie könne in diesem Kampfe doch noch Siegerin bleiben, ging ihr auf.

»Willst du dein höchstes Glück vernichten, diesen Engel von dir weisen? Willst du dich vor ihr erniedrigen, vor ihr, der Stolzen, der Schönen? Unmöglich kannst du das! Du bist gefesselt an das Leben mit Ketten von Stahl und mit Ketten von Rosen. Die einen kannst du, die anderen darfst du nicht zerreißen.«

»Es ist vergeblich«, sagte der Fürst, »du kannst mir diese fürchterliche Last hier« – er legte die Hand auf die Brust – »nicht wegreden. Lebe wohl!«

Er wandte sich zu gehen.

»Raimund«, kreischte die Fürstin, von ihrem Stuhl emporfahrend und den Sohn umklammernd, »was hast du vor?«

»Nichts Schimpfliches, davon sei überzeugt«, sagte er, indem er sich mit sanfter Gewalt aus ihren Armen loszumachen suchte. »Lebe wohl!«

»So gehe hin, Barbar, und töte –« sie konnte nicht ausreden; die ungeheure Aufregung dieser beiden letzten Szenen war zu viel für ihre zerrütteten Nerven, sie sank ohnmächtig in ihren Stuhl.

In diesem Augenblick kam Nadeska zurück. Ein Blick auf die Szene im Salon sagte ihr, was geschehen war.

»Sie werden die Ärmste töten«, rief sie, indem sie der Ohnmächtigen zu Hilfe eilte. »Und weshalb das alles? Es wird nie verraten werden.«

Der Fürst lachte. Es war ein schauerliches Lachen.

»Meinst du, Nadeska?« sagte er. »Wenn du nun aber im Schlafe sprächest? Oder hast du auch deine Träume an die Fürstin verkauft?«


 << zurück weiter >>