Heinrich Spiero
Detlev von Liliencron
Heinrich Spiero

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5.
Feuertaufe.

Als Österreich im Lenz 1866 zu rüsten begann, ward zunächst für das Posensche und das Schlesische Korps die Marschbereitschaft angeordnet; so kam auch das 37. Regiment auf die Stärke von 686 Mann im Bataillon, etwa 170 in der Kompagnie. Die eingezogenen Reservisten mußten eingeübt und alles für den Krieg mit doppeltem Ernst vorbereitet werden. Am 3. Mai ward die Kriegsbereitschaft befohlen und ein Ersatzbataillon zusammengestellt. Das war nicht leicht, weil das Regiment jetzt seinen Ersatzbezirk in Westfalen hatte und so der größte Teil der Eingezogenen erst Ende Mai bei der Truppe eintraf. Beim Abmarsch aus den Garnisonen am 17. und 18. Mai war Kommandeur des Regiments der Oberst Ferdinand von Below, sein Adjutant Sekondeleutnant Walther; Liliencron stand bei der ersten Kompagnie unter Hauptmann Carl von Winterfeld, mit dem er nicht sehr zufrieden war, seine Kompagniekameraden waren der Premierleutnant Albrecht von Pannwitz und der Portepeefähnrich Robert Prall. Bataillonskommandeur war Major Alphonse von Lemmers-Danforth, Bataillonsadjutant Sekondeleutnant Leopold von Stückradt. Das erste Bataillon verließ Rawitsch am 18. Mai und machte, schon zur Gewöhnung der Mannschaft, gleich sehr starke Märsche. Am 21. stand Liliencron bereits tief in Schlesien, hart am Riesengebirge, und verlebte den zweiten Pfingsttag bei wundervoller Fernsicht in dem Dorf Schlaupe, wo er bei einem Bäcker untergebracht war. Er war ganz von der Sehnsucht erfüllt, endlich den Krieg erklärt zu hören, und voller Freude, daß Aussicht bestand, mit dem Regiment zur Vorhut auf einen Paß der Gebirgskette zu kommen. Am 22. sprach man schon von einem Überfall der Österreicher – noch einmal genoß Liliencron, erfreut über einen eben angelangten Brief der Eltern, die schöne Aussicht. Die nächsten beiden Tage lag er in Leckerwitz und Qualsdorf in schlechten, schmutzigen, engen Quartieren, unzufrieden mit dem vielen Appelldienst und vor allem verärgert, weil er bei einigen notwendig gewordenen Versetzungen nicht berücksichtigt worden war. Ungeduldig ersehnte er den Aufbruch an den Feind und lauschte am Abend des 27. Mai, in der Erwartung des Generalmarsches, auf die melancholischen Volkslieder, die seine westfälischen Leute sangen. Schon sah man lebhafteres Treiben, Feldposten, Generalstäbler, Trains, die durchzogen; »aber noch immer ist der Krieg nicht ausgebrochen – alles brennt vor Verlangen.« Am 28. zog die Kompagnie in Reußendorf (im Kreise Waldenburg) ein, mitten im Gebirge, in 54 herrlicher Lage, freundlich empfangen durch den Oberförster des Grafen Stolberg. Hier lag ein größerer Kreis von Kameraden beieinander, unter denen dem jugendlich ungeduldigen Liliencron besonders der Führer der vierten Kompagnie, Premierleutnant Rudolph von Loewenstern, durch seine Ruhe erfreulich war. Aber nun ward der Dienst höchst anstrengend, zumal der Alarmplatz ziemlich weit von Liliencrons Quartier entfernt lag; der junge Offizier fühlte, daß er gerade jetzt von dem tüchtigen Hauptmann von Winterfeld viel lernen konnte. Am 31. nahm er bei Landeshut an der großen Parade vor dem zum Kommandeur der neunten Division ernannten Generalmajor von Löwenfeld teil, der jeden der Leutnants ansprach. Ununterbrochen wurden Felddienst und Wachtdienst geübt, weil das Regiment in ganz neue Verbände, zwei Treffen zu je drei Halbbataillonen, eingeteilt worden war; Liliencrons Kompagnie gehörte zum dritten Halbbataillon des ersten Treffens, zusammen mit der vierten. Außerdienstlich lebte man recht gemütlich. Am 1. Juni besuchte der Kommandierende General Karl Friedrich von Steinmetz das Regiment. Am 3. beging der ungeduldige junge Leutnant seinen zweiundzwanzigsten Geburtstag. »Ich dachte erst ganz spät am Mittag daran – wie einem diese Tage gleichgültig werden im späteren Leben. Noch immer ist der Krieg nicht erklärt. Alles brennt vor Begierde, und es ist wirklich etwas aufregend. Lange kann unmöglich dieser Zustand dauern. – Ein wundervoller Sonntag – zum erstenmal in diesem Sommer heiß. – Mit Winterfeld des Morgens im Dorfe gewesen; er ist unermüdlich tätig, fast bekümmert er sich zu sehr um Alles. Abends und Nachmittags in der Kneipe, wo ein höllisches Geheul von den Füsilieren war,« schrieb er im Kriegstagebuch.

Am 5. Juni war Heerschau vor dem Kronprinzen Friedrich Wilhelm bei Landeshut, und von jetzt ab waren die Kompagnien stets alarmbereit. Am 12. brach das Regiment endlich auf, aber noch nicht nach Böhmen, sondern nach der Neißegegend; die ganze zweite Armee sollte dort aufmarschieren, um die Österreicher über die eigentliche Stellung des geplanten Einmarsches in Böhmen zu täuschen. Um halb sieben ward abmarschiert und um fünf in Salzbrunn eingetroffen. Trotz der großen Marschleistung fuhr Liliencron sofort mit Pannwitz, Prall und einem Vizefeldwebel ins Bad hinein, das er nicht so hübsch fand wie die rheinischen Bäder. Vielleicht hat er unter den Kindern des Gasthofwirts den dreijährigen Gerhart Hauptmann gesehen – später sind die beiden sich nie begegnet. Am andern Morgen früh um drei ging es weiter nach Obergräditz. Obwohl nur 55 drei Meilen zu überwinden waren, war die Strapaze durch die furchtbare Hitze schwer zu ertragen – die Glut steigerte sich, wie Liliencron schreibt, »bis fast zum Wahnsinn«, und es fielen zweiundzwanzig Leute um. »Das Amt des Offiziers ist da wirklich kolossal schwierig,« schrieb er, »man darf keinen Augenblick an sich denken – immer hinten und vorn sein, selbst wenn man selbst umfallen will.« Seine lebhafte Gemütsart und seine körperliche Beweglichkeit haben ihm in solchen Tagen gute Dienste geleistet. Das altertümliche Schweidnitz ward durchschritten und die Truppe von dem alten Fräulein von Franckenberg, der Besitzerin von Obergräditz, besonders liebenswürdig und hausmütterlich bei gutem Essen aufgenommen. Am 14. ging es weiter durch Reichenbach hindurch, dessen hohe Häuser Liliencron ebenso auffielen, wie die von Schweidnitz; auch die Linien des Eulengebirges taten seinen Augen, die durch die »afrikanische« Hitze brannten, wohl. Das zeitig erreichte Nimptsch gefiel ihm gut. Am Nachmittag saß das ganze Bataillon auf dem Markt und trank Schweidnitzer Bier, am 15. gab es sogar, als an einem Ruhetag, ein Konzert, zu dem schlesische Magnaten, wie die Grafen Pfeil und Redern, beim Regiment einkehrten. Das nächste Marschziel war Geltendorf, und am 20. Juni wird es endlich Ernst. Das Regiment ist gerade beim Exerzieren, da kommt eine Dragonerordonnanz mit dem Befehl, sofort in die Quartiere zu rücken. Das 58. Regiment marschiert durch, um drei Uhr folgen ihm die Siebenunddreißiger und rücken in einem Marsch bis Schreibendorf – die Österreicher hatten angeblich die Grenze überschritten. In unaufhaltsamen Märschen ging es jetzt weiter über Frönsdorf, Kregersdorf, Glatz, dann bei strömendem Regen nach Ullersdorf und Alt-Heide. Am 25. schlief Liliencron dort mit seinem Feldwebel zusammen auf einer Streu. Am 26. rückte das Regiment westwärts Böhmen zu. Es stand in der Vorhut, das dritte Bataillon als Vortrupp, das erste und zweite bildeten den Haupttrupp. Bei Lewin, dicht an der Grenze, ward das Mittagessen abgekocht, hier wurde scharf geladen, und um neun Uhr kam die Nachricht, daß das dritte Bataillon vor Nachod angelangt sei. Nun marschierte auch das erste eiligst zur Grenze, über eine Brücke, die die Österreicher zerstört, der Premierleutnant Lignitz aber wieder hergestellt hatte. Es war ein wunderschöner Vollmondabend, zwanzig Schritt von der Grenze ward Halt gemacht, erst um zwölf Uhr nachts kamen Stroh und Holz. Liliencron, dem die Zigarre nie schöner geschmeckt hat als an diesem Abend, nahm von dem Kameraden Schroeder Abschied, und sie versprachen sich gegenseitig, ihren etwaigen Tod den Eltern anzuzeigen. Der 56 Sergeant Beeren, der zwei Tage darauf fiel, kochte für die Offiziere. Generalmajor von Ollech hielt an Stelle des ausgebliebenen Geistlichen eine Ansprache an die Soldaten. Und mit donnerndem Hurra ward nach dem Gottesdienst die Meldung von der Einnahme Nachods durch das dritte Bataillon aufgenommen. In der Nacht drückte der junge Offizier kein Auge zu, obwohl er alle Arten von Lager aufsuchte, aber weder auf dem Wagen noch auf der Erde konnte er Schlaf finden, und mit den Worten: »Heute hoffentlich ins Gefecht,« erhob er sich.

Schloß und Stadt Nachod

Am 27. Juni ward mit Hurra die Grenze überschritten, auf Nachod zu, das im Tal der Methau liegt, überragt von dem Schloß auf dem Berg. Man sah die ersten Toten. Um halb sieben zog das Regiment durch die Stadt. Wasser zu trinken wagte man nicht, weil man Vergiftung fürchtete, und ein eigentümliches Gefühl war es für den Sohn der schleswig-holsteinischen Landschaft, sich, weil kein anderer Platz da war, mit seinen Leuten zu kurzer Rast in das reifende Korn jenseits der Stadt mitten hineinzulegen. Hier rasselte auch Steinmetz, der eiserne, rücksichtslose, energische Führer, an Liliencrons Kompagnie vorüber. »Das Zivil kannte er überhaupt nicht. Bei ihm trug selbst der liebe Gott das umgeschnallte Seitengewehr. Hoch old Steinmetz!«, hat der damalige Leutnant später über den Führer des Korps geurteilt.

Rasch ging es wieder an die Gewehre. Der Brigadekommandeur, General von Ollech, befahl, Linksum zu machen, und das Halbbataillon stieg links den Berg hinauf. Gegenüber dem Dorf Wenzelsberg gelangten die Kompagnien Winterfeld und Loewenstern endlich ins Feuer; den ungeduldigen Liliencron hatte sein Oberst vorher beruhigt: »Warten Sie nur ab, Sie kommen noch ins Gefecht!« In einem kleinen, jungen Tannenwäldchen, das wenig Deckung bot, legten sich die Züge hin, während die Offiziere, nach damaliger Übung, stehn blieben. Kaum aber hatte das Schießen auf die österreichischen Schützen hinter der Kirchhofsmauer von Wenzelsberg begonnen, als vom 58. Regiment die Meldung kam, daß die Abteilung umgangen war; Liliencron stellte das auch seinerseits fest, und nun ward aus dem Walde herausmarschiert über eine kahle Wiese. Und richtig, kaum war das Halbbataillon aus dem Bereich der Stämme, als es von dichten feindlichen Kolonnen aus dem eben verlassenen Gehölz heraus angegriffen wurde. Ein Schnellfeuer der rasch aufmarschierenden Kompagnien warf den Gegner zurück – Liliencron rühmte stets die außerordentliche Tapferkeit der weit vor die Linie springenden österreichischen Offiziere. Schwerverwundete Österreicher wurden von den Preußen selbst 57 aufgenommen, und Liliencron senkte vor einem furchtbar zerschossenen höheren Führer den Degen. Nun aber stand die Truppe im schwersten Granatfeuer und litt zudem unter fürchterlicher Hitze bei völligem Mangel an Wasser.

Das 37. Regiment im ganzen hatte, da es beim Vorgehn etwas auseinandergekommen war, an den verschiedensten Punkten mit nachhaltigem Erfolge eingesetzt, und die österreichische Brigade Hertwegk war durch verhältnismäßig geringe Massen zurückgeschlagen worden. Inzwischen aber waren beim Feind frische Truppen eingetroffen, und nachdem das Gefecht bereits zum Stehen gekommen war, ward es aufs lebhafteste neu aufgenommen – vormittags gegen zehn. Dabei war das Halbbataillon von Winterfeld in eine sehr bedrohte Stellung gelangt, konnte sich aber zurückziehn und gelangte dann nicht mehr in den Kampf. »Und es kam so weit, eine entsetzliche Schlacht bei Nachod – nie, nie werde ich dieselbe vergessen. Fünf Stunden im furchtbarsten Kugelregen gewesen. Eine gute Feuerprobe gewesen. Jetzt in Nachod mit meinem Zuge einquartiert in einem leergelassenen Wohnhause« – so schrieb Liliencron am Abend seiner Feuertaufe in sein Tagebuch. Fünf Stunden im ganzen hatte seine Kompagnie gleich an diesem ersten Tag im schwersten Feuer gestanden, und was in der Nacht vorher unruhige Ahnung gewesen war, ward in der Nacht vom 27. zum 28. Juni unruhige Erinnerung: Feuersglut, Qualm, Flammen, die weißen österreichischen Uniformen, das Ächzen der Verwundeten, der Anblick der Toten, die erste allgemeine Verbeugung, als die erste Granate über die Köpfe gesaust war.

Das 37. Regiment hatte zahlreiche Gefangene gemacht, aber auch schwere Verluste erlitten. Zwei Offiziere, drei Unteroffiziere und siebenundvierzig Mann waren gefallen und im ganzen hundertundneununddreißig Kämpfer verwundet worden. Liliencron war unverletzt geblieben. Am 28. Juni ging es wieder sehr früh heraus, und in anstrengendstem Marsch ward über die Burg Nachod bergauf geklommen. Auf der Höhe des Schafberges bei Stubnitz marschierten zwei Batterien und die Regimenter 37 und 58 in vier Treffen, hinter den Batterien und südlich von ihnen, auf. Kaum hatte die Artillerie das Feuer eröffnet, als die Österreicher es lebhaft und mit sicherem Zielen erwiderten und die Preußen nötigten, die Stellung aufzugeben. Die Artillerie fuhr ab, das Fußvolk stand fast schutzlos den Granaten gegenüber, die freilich auf dem weichen Boden nicht alle zersprangen. So war die Truppe froh, nach kurzem Rückzug, um wenige hundert Schritt, auf Befehl des Armee-Oberkommandos rasch wieder vorrücken 58 und auf das Vorwerk Dubno losmarschieren zu dürfen; dies Gehöft wurde vom Gegner vor dem Halbbataillon von Bojan kampflos geräumt. Die von den Österreichern aufgetürmten Barrikaden wurden weggerissen, und die ganze Brigade bewegte sich nun auf Dubno zu, an ihrer Spitze das Halbbataillon von Winterfeld mit Friedrich von Liliencron als Zugführer bei der ersten Kompagnie. Es ging von der Höhe herab über eine Wiese und, mit vorgezogenem Schützenzug, nach Westen. Unterwegs erschoß Liliencron ein halbverkohltes, an einer Halfter hangendes, wie wahnsinnig schreiendes Pferd. In der Höhe von Dubno befahl der Regimentsführer (jetzt Oberstleutnant Freiherr Hermann von Eberstein, der an die Stelle des soeben mit der Führung der Brigade betrauten Obersten von Below getreten war) dem Hauptmann von Winterfeld, mit seinem Halbbataillon auf den rechten Flügel zu rücken. Winterfeld ging mit seinen durch Rufen noch erreichbaren Leuten auf einem Feldweg von Dubno nach Zwlob. Dort machte er linksum, ließ den zweiten und dritten Schützenzug im Walde schwärmen, und sandte den ersten Zug unter Liliencron vor dem Wald gegen den Hügel 788. Unter einem mörderischen Artilleriefeuer, besonders von der österreichischen Brigade von Fragnern (9. Artillerieregiment, Batterie 1), ließ Liliencron seinen Zug laufend vorgehen, ward aber von plötzlich aufmarschierenden österreichischen Jägern des Bataillons Nr. 5 zurückgeworfen. Er richtete sich mit seinen Leuten in einem Graben ein und eröffnete ein lebhaftes Feuer; nur durch die Tiefe der Straßengräben mit ihrer guten Deckung waren die Verluste der Halbbataillone Kupfer, Loewenstern und Winterfeld, die jetzt nebeneinander, aber ziemlich weit gezogen, lagen, nicht noch schwerer. Klar war jedoch, daß der Hügel genommen werden mußte, um vorwärts zu kommen. Die Stimme des Kommandeurs konnte jedoch nicht einmal für den Befehl zum Stopfen durchdringen, und so ließ Eberstein zum Vormarsch blasen und schlagen. Liliencron sprang auf und stürmte mit Winterfeld und Pannwitz, seinen Füsilieren voran, hügelempor. Der Premierleutnant Besser hatte die Geistesgegenwart, ganz kurz vor den feindlichen Gewehren »Nieder!« zu rufen, und gerade in dem Augenblick, als alles sich hinwarf, rasselte die erste volle Salve über die Köpfe. Dann ging es unaufhaltsam weiter; die österreichischen Jäger, durch den geringen Erfolg der Salve verblüfft, flohen zum großen Teil, Hauptmann von Winterfeld aber ward durch die Brust geschossen, Oberleutnant von Pannwitz wurde das rechte Bein zerschmettert (er ist 1870 bei Weißenburg gefallen), und der Sekondeleutnant von Liliencron ward auf der eben erreichten Spitze 59 des Hügels von einem österreichischen Jägeroffizier, den er zur Ergebung aufforderte, durch einen Revolverschuß aus nächster Nähe verwundet. Sein Sergeant A. Nimphius durchbohrte im nächsten Augenblick den Offizier mit dem aufgepflanzten Seitengewehr – Liliencron hat es ihm bis an sein Lebensende nicht vergessen. »Die Wunde«, schrieb er nach vierzig Jahren, »war nicht gefährlich. Die Kugel, die mich in den Unterleib an der linken Hüfte traf, wurde durch mein Säbelkoppel, durch das sie ging, stark abgeschwächt. Trotzdem fiel ich in eine lange Ohnmacht. Ich erwachte in einem kleinen Vorwerk (oder Forsthaus), wohin ich getragen worden war. Ich schwamm in Blut. Nur noch mein zerrissenes Hemd und das linke aufgetrennte Hosenbein waren meine einzige Bekleidung. Alles andere war verschwunden. Wahrscheinlich hatte man mich für tot gehalten. Am schmerzlichsten vermißte ich einen sehr schönen alten venezianischen Dolch, den ich zum fortwährenden Gespött meiner Kameraden trotz meines Revolvers noch mit in den Krieg genommen hatte. In den Räumen des kleinen Gebäudes sah es entsetzlich aus. Wir, die Verwundeten und Sterbenden, lagen buchstäblich wie ›die Heringe‹ gepfercht. Ärzte und Lazarettgehülfen ›wateten‹ müde bis zur äußersten Erschöpfung unter uns umher. Nachdem ich ›ein Pflaster‹ in der Eile (wahrscheinlich um endlich das Blut zu stillen) erhalten hatte, fühlte ich mich wieder wohl, obgleich ich zuerst nicht gehen konnte. Ich schrieb für einen neben mir sterbenden hohen österreichischen Offizier sozusagen einen Abschiedsbrief, den er mir mit immer schwächer werdender Stimme diktierte. Aber er kam nicht weit damit. Ich erinnere mich, daß der Brief begann: ›Liebe Gusti!‹«

Was Liliencron bescheiden nicht erwähnte, war sein Benehmen unmittelbar nach der Verwundung. Er wollte sich nicht festhalten lassen, sondern weiter kämpfen. Er phantasierte förmlich, und erst als Pannwitz und der Unteroffizier Hofrichter ihm versicherten, das Bataillon stehe nicht mehr im Feuer, gab der Tapfere sich zufrieden. Dann kam die Ohnmacht. Kaum erwacht, wollte er, nach dem Liebesdienst gegen den Österreicher, durchaus zu seinem Regiment, das auf dem Schlachtfeld biwakierte. »Und es gelang mir auch am späten Abend dadurch, daß ich einfach ›auskniff‹ in seltsamer Bekleidung; ich trug zum Beispiel eine Feldmütze von einem gefallenen Füsilier. Und seidene Damenballschuhe, die in dem Häuschen – das, soviel ich weiß, einem Prinzen von Lippe gehörte, der in Nachod auf seinem großen Schloß residierte – aus diesem Schlosse stammt die jetzige Königin von Württemberg – gefunden worden waren. Mit dieser 60 Kopfbedeckung und mit diesen Schuhen habe ich bis nach Königgrätz, allerdings zu Pferde, in den beiden nächsten Gefechten bei Schweinschädel und Gradlitz als Kompagnieführer aushalten müssen. Von meiner Kompagnie, die ich von nun an als ganz junger Sekondeleutnant während des aktiven Feldzuges führte, wurde ich mit vielen Hoch und Hurra empfangen und von meinen Soldaten, wie die alten merowingischen Könige, in die Höhe gehoben. Bald nach Königgrätz fing meine Wunde an, sehr schmerzhaft zu werden. Ich zeigte sie endlich unserem Oberstabsarzt. Der schlug die Hände überm Kopfe zusammen: ›Menschenkind, um Gotteswillen, man hat Ihnen ja ein Pechpflaster aufgeklebt (eine spanische Fliege) in der Eile!‹ Das Pflaster wurde schleunigst entfernt. Ich wurde regelrecht verbunden und bin ruhig an der Spitze meiner Kompagnie weitergeritten in Feindesland hinein. Es hat mir nichts geschadet. Junges, lustiges, gesundes Blut heilt schnell.«

Die Halbbataillone Winterfeld, Loewenstern und Kupfer, auf dem erstürmten Hügel vom Regimentsführer gesammelt, kamen an diesem Tag nicht mehr ins Feuer. Die Stadt Skalitz ward erobert, das frische achte österreichische Korps, das erst eben ins Gefecht getreten war, glänzend zurückgeworfen. Die Stimmung der Truppen war ausgezeichnet, und mit Recht konnte Steinmetz dem König berichten: »Meine Truppen brechen in lauten Jubel aus.« Außer Pannwitz, Winterfeld und Liliencron waren noch zwei Offiziere verwundet worden, sechsundzwanzig Unteroffiziere und Gemeine waren gefallen, neunundneunzig verwundet – auch die Verluste der Österreicher waren außerordentlich schwer.

Das Regiment kam nun ins zweite Treffen der 17. Brigade, es ward mitten auf dem Schlachtfeld gelagert in einer hellen Mondnacht, die, wie Liliencron schreibt, »gräßliche Verwundungen und Totenszenen« sehn ließ. Die erschöpften Truppen waren unermüdlich in der Fürsorge für die Verwundeten, Freunde und Feinde, Steinmetz befahl doppelte Portionen auszugeben, was aber leider bei dem Ausbleiben der Verpflegungskolonnen nicht überall möglich war; wenigstens konnte in einer großen Brauerei Bier aufgetrieben werden.

Am 29. Juni früh wurden die Toten beerdigt, und alles war froh, als um Mittag das Regiment aus der Nähe der Leichen und Pferdekadaver fortrücken durfte. Das fünfte Korps ging auf Gradlitz, das 37. Regiment, bei dem nun der zweiundzwanzigjährige Liliencron die erste Kompagnie führte, marschierte im Gros, trotz sengender Hitze in zähem Ausharren. Mit kurzer Rast ward bis spät in die Nacht 61 vorgegangen und erst nach Mitternacht im Biwak Ruhe gewonnen – nach Liliencrons Meinung »ein Eil- und Nachtmarsch wie selten in der Weltgeschichte«. Bei der Kanonade von Gradlitz am 30. trat das Regiment nicht in Tätigkeit, am Abend hielt die ganze Division einen feierlichen Feldgottesdienst. Jetzt trafen auch die lang vermißten Zelte ein, man konnte sich am Wachtfeuer besser einrichten und war nicht mehr, wie tagelang vorher, nur auf Brot und Wasser angewiesen. Am 1. Juli war Ruhetag, die erste Kompagnie übernahm nun Premierleutnant Lignitz. Der Kronprinz Friedrich Wilhelm besuchte das Lazarett und sprach freundlich mit den Offizieren des Regiments. »Ah, Ihr Siebenunddreißiger seid immer voran, kommen Sie und reichen Sie mir alle die Hand,« sagte der Oberkommandierende, als er an den Adjutanten des westfälischen Regiments vorbeiritt.

Am 2. Juli hatte Liliencron ein Requisitionskommando, er mußte mit seinem Zug Stroh holen und zu diesem Zweck einen Marsch von fast drei Meilen machen, bis hinter Schloß Kukus. Am 3. früh hatte das Halbbataillon von sechs bis sieben exerziert, als eben nach dem Einrücken Kanonendonner vernehmlich war. Zwei Stunden darauf war man auf dem Marsch. Das fünfte Korps war diesmal in der Reserve. Es hatte einen außerordentlich langen Marsch auf durch heftige Regengüsse erweichten Wegen zu machen, kam aber dem Kampf dadurch nicht näher, weil sich das übrige preußische Heer andauernd in siegreichem Vorgehn befand. Bei Wsestar traf das Regiment den König und begrüßte ihn mit begeistertem Hurra unter Schwenken der Helme. Abends im Biwak, am Rande des Bor-Waldes, erfuhr man den ungeheuren Sieg von Königgrätz. Am 4. war Ruhetag, am 5. Biwak in der Nähe von Pardubitz südlich Königgrätz. »Charmante Gegend, nettes Biwaklager; recht hübsches Leben jetzt in der Kompagnie. Lignitz nett. Das reine Zigeunerleben, den ganzen Tag in der frischen Luft,« schreibt Liliencron ins Tagebuch. Und am 6. Juli im Biwak bei Holic, unter dem Eindruck der spielenden Regimentsmusik, denkt er seit langer Zeit wieder nach Haus, an frühere Zeiten, und »schließt vollständig mit der Welt ab.« Am 7. aber fühlte er sich wie im Himmel, denn das Regiment kam aus dem Biwak in Quartiere bei Hohenmauth, Liliencron nach Wraslaw zu einem Pfarrer, zusammen mit drei Kameraden. Der geistliche Herr war sehr freundlich (»Ich würde es nicht sein, wenn meine Feinde in meinem Hause wären«, schreibt Liliencron). Lignitz und Liliencron fanden einen Toten auf, wahrscheinlich einen erschossenen Marodeur. Am 8. ward über steile Höhen nach Sloupnitz marschiert, wo Liliencron 62 bei einem Tschechen auf Stroh einquartiert war. Am 9. erlebte er eine große Enttäuschung. Er holte sich nach der Ankunft in Böhmisch-Trübau einen Quartierzettel auf den Baron von Weigelsberg und entdeckte, als er hinkam, in dem Freiherrn einen armen Leineweber, der aber ein guter Kerl war mit all seinen »I bitt' schön« und »Jesses Maria Jossef«. Liliencron war froh, bei seiner Kompagnie auf Wachtkommando in Trübau bleiben zu können, obwohl die Bevölkerung, insbesondere auch die Töchter des Bürgermeisters, nicht gerade zuvorkommend waren, und statt des Weines Rosinenwein, ein scheußliches Zeug, gereicht wurde. Die Zeit ward mit Appellen und Wachen ausgefüllt, mit Unterhaltungen über die durchkämpften Schlachten, bei denen denn wohl als Endergebnis heraussprang: »Aber lieber bis auf den letzten Mann schlagen, als ein fauler Friede –« es war die allgemeine Stimmung des Heeres gegenüber Bismarcks staatsklugem Rat zur Mäßigung. Am 12. Juli ging es weiter nach Zwittau in Mähren, wo Liliencron in dem früheren Quartier des Königs vorzüglich untergebracht war, aber als Fourieroffizier großen Skandal mit dem Bürgermeister hatte. Ebenso ging es ihm am 13. in Lettowitz, wo er außerdem mit den »Mehlwürmern«, den Intendanten, Schwierigkeiten hatte. Hier lag er, von Lignitz, der im Schloß untergebracht war, getrennt, sehr angenehm in der Fabrik, nachdem er die Intendanturbeamten daraus vertrieben hatte. Der wundervolle Abend konnte freilich nicht zum Schwärmen benutzt werden, denn man kam nicht zur Ruhe. Am 15. hieß es, daß die Österreicher da wären – es war aber eine falsche Meldung, dann wieder ward berichtet, daß Wien eingenommen sei. Am 16. ging der Marsch nach Djarna, wo Liliencron auf dem Schloß eines Grafen Mensdorff schlecht eingerichtet war, am 17. mußte er wieder dem Regiment südöstlich voraus nach Proßnitz zum Fouriergeschäft, »dem unangenehmsten auf Gottes Erdboden«. Hier vereinigte sich das Halbbataillon mit dem Regiment. Am 19. lag Liliencron in Limillimow, am 20. war er in Altstadt an der March in einem elenden Quartier; den halben Weg hatte er auf einem dicken Braunen gemacht. Hier fielen ihm wieder, wie schon in Limillimow, die eigenartigen ungarischen Trachten der Leute auf. Auf dem anderen Flußufer, in Ungarisch-Hradisch traf er den Maler August von Heyden. Als das Regiment am 22. in die kleine Stadt Göding einrückte, deren kaiserliche Tabaksfabrik für einige Tage Tabak und Zigarren hergeben mußte, kam die Nachricht vom Abschluß einer fünftägigen Waffenruhe; doch mußten die Siebenunddreißiger noch drei Tage marschieren, zuerst nach Egbell in Ungarn, wo 63 Liliencron bei einer slowakischen Familie einquartiert war und abends beim Hauptmann von Loewenstern den Liedern einer allerliebsten magyarischen Sängerin zur Gitarre lauschte. Am 24. war er wiederum als Fourieroffizier nach St. Johann, vier Meilen nördlich Preßburgs, vorgeschickt worden und empfand die furchtbaren Strapazen dieser Märsche, ohne sich jedoch selbst krank zu fühlen – er war nur außerordentlich abgespannt. Am 25. Juli ging es weiter, und zwar sehr zeitig, nach Herrnbaumgarten in Niederösterreich, wo man endlich zur Ruhe kam. Jetzt besserte sich auch der Gesundheitszustand der Mannschaft, in der sich seit der Mitte des Monats bereits die Cholera gezeigt hatte. Die Verpflegung ward wieder ganz regelmäßig, insbesondere bekam man wieder genug Mehl und Brot, die der Truppe sehr gefehlt hatten. Am 27. Juli gedachte Liliencron des Tages von Nachod, an dem er zuerst, genau einen Monat vorher, ins Feuer gekommen war und schrieb nieder: »Heut vor vier Wochen!!! und jetzt – Friede. – Ein Triumphzug von vier Wochen – wahrlich, die Welt muß unsere Armee, muß Preußen anstaunen.« –

In der Ruhe der nächsten Tage ergab sich Gelegenheit, den ausdrücklich niedergeschriebenen goethischen Vers »Tritt den Frauen zart entgegen« auszuproben.

Am 31. Juli zog das Regiment nach Norden und bei Eisgrub in Mähren am Kronprinzen vorüber, 10 Kilometer von Nikolsburg; am 1. August mußte Liliencrons Bataillon, weil in der ihm zugewiesenen Ortschaft die Cholera herrschte, wieder biwakieren, am 2. war bei Wischau Parade vor König Wilhelm. Die 17. Infanteriebrigade unter Below stand auf dem rechten Flügel der neunten Division, das Regiment 37 im ersten Treffen. Am 4. August lag das Bataillon in Blansko beim Altgrafen Salm-Salm, wo später Ferdinand von Saar, der österreichische Dichter-Offizier, lange gewohnt hat. Am 5. war das ganze Offizierkorps, fünfzig Herren, beim Fürsten Salm auf Raitz, der Fürst war ruhig und kalt, wie Liliencron es nicht anders erwartet hatte. In regelmäßigen Märschen, von Ruhetagen unterbrochen, rückte das Regiment nun weiter nach Norden zurück, noch am 13. August in Pardubitz hatte es viele Cholerafälle zu verzeichnen. »Immer, wenn ich am meisten renommiert habe gegen die Cholera, so habe ich nachher eine gewisse höchst unangenehme Ängstlichkeit. Na, wie Gott will!« schreibt Liliencron ins Tagebuch. Am 14. war er zum erstenmal in dem dann zeitlebens heißgeliebten Prag. Am 30. ward endlich von Pardubitz, wo das Bataillon zwanzig Tage gelegen hatte, aufgebrochen und am 5. September unter lautem Hurra die 64 Grenze nach Langwaltersdorf zu überschritten, die letzten hundert Schritt vor den Grenzpfählen wurden fast im Laufe zurückgelegt. Unterwegs hatte Liliencron am 3. das Schlachtfeld von Nachod besucht. Am 12. September war er wieder in Rawitsch, das sein Bataillon mit lebhaften Festlichkeiten empfing. Am 15. und 17. September konnte er wieder auf die heißgeliebte Jagd auf den Gütern Bocanowo und Sieracowo gehn. Am 20. war er in Posen. Am selben Tage erhielt er, gleichzeitig mit seinem Hauptmann von Winterfeld und seinem Kameraden Lignitz, die für einen Sekondeleutnant sehr hohe Auszeichnung des Roten Adlerordens vierter Klasse mit Schwertern; sein Lebensretter, der Sergeant Nimphius, bekam das Militärehrenzeichen erster Klasse. Von dem Dank, den König Wilhelm und der von seiner Armee scheidende Kronprinz aussprachen, durfte sich Friedrich von Liliencron sein wohlgemessenes Teil nehmen. Und er empfand es auch als eine Auszeichnung, als er am 30. Oktober zu dem neu aufgestellten Infanterieregiment Nr. 81 und damit in seine alte Garnison Mainz versetzt wurde.

Liliencron war kein gebürtiger Preuße, das eigentliche Preußentum war ihm und seinen Landsleuten in der Zeit deutschen Bundeselends etwas Fremdartiges, und alte Schulgenossen berichteten wohl über einen zugereisten Preußen wie über eine besonderen Studiums werte neue Erscheinung. Der Kopf und nicht das Herz hatte den Schleswig-Holsteiner in dies preußische Heer geführt. Andersartig erschien dem Holsteiner, dem Mußdänen, so manches. Aber wie von Blücher, Arndt, Stein, Stahl bis zu Moltke und Treitschke so viele, ward auch er im Gange großer Erlebnisse ganz zum bewußten Preußen. Und vollends der Krieg festigte die Liebe zum neuen Vaterland, zum König und Heerführer. Gestählt kehrte Liliencron zurück, bewußt verankert im Leben seines neuen Staates, dem er mit seinem Blut geholfen hatte, die schleswig-holsteinische Heimat für alle Zeiten gewinnen. Auch an ihm hatte sich jene wunderbare Kraft der norddeutschen Großmacht vollzogen, die im Gang ihrer stolzen Geschichte von überallher mit Naturnotwendigkeit die besten Köpfe und die heißesten Herzen anzog und mit der schützenden und heischenden Wärme umfing, wie sie allein die Gewalt eines großen Staatslebens und Staatsgedankens verleiht. Indem Liliencron sein Leben einsetzte für Preußen und die deutsche Sache, hatte er sich die größere Heimat gewonnen. Und gern sprach er »in betreff des königlichen Dienstes« dem ehrfürchtig geliebten König Wilhelm gegenüber nach, was der Preuße Kleist den Preußen Kottwitz zum Kurfürsten sagen läßt: 65

Schütt ich mein Blut dir an dem Tag der Schlacht,
Für Gold, seis Geld, seis Ehre in den Staub?
Behüte Gott, dazu ist es zu gut!
Was! meine Lust hab, meine Freude ich,
Frei und für mich, im Stillen unabhängig,
An deiner Trefflichkeit und Herrlichkeit,
Am Ruhm und Wachstum deines großen Namens!
Das ist der Lohn, dem sich mein Herz verkauft. 66

 


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