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Liliencrons dramatische Arbeiten, seine dramatischen Erfolge und Mißerfolge haben in der Kunst und im Schicksal geborener Lyriker und Epiker ihre Seitenstücke; auch Ferdinand von Saar, Hermann Lingg und Gottfried Keller und manche andere haben immer wieder vergeblich um die Wirkung auf der Bühne gerungen, wohl manchmal den Schein davon, nie aber nachhaltige Bewährung erreicht. Bei Detlev von Liliencron liegt es jedoch insofern anders, als alle seine Dramen sich auf ganz wenige Jahre zusammendrängen, Jahre, in denen er sich besonders zum Dramatiker berufen glaubte, die ersten Zeiten nämlich seiner bewußten dichterischen Tätigkeit. Vornehmlich das Beispiel und der Erfolg Ernsts von Wildenbruch haben von außen her dabei mitgewirkt, während Liliencron innerlich unsicher über die letzte Richtung seiner dichterischen Gabe war. Mit Recht empfand er in dem fast gleichaltrigen adeligen Dramatiker von überschäumender jugendlicher Kraft einen Verwandten: die Verwandtschaft lag nicht nur in der Abkunft und dem Bewußtsein davon, in der soldatischen Vergangenheit beider, sondern auch in der Stellung zu Tag, Politik, den sogenannten Realitäten des Lebens und in der Unbekümmertheit, mit der beide sich und nur sich schrieben und aussprachen. Nun war im Jahre 1881 (am 6. März) Ernst von Wildenbruch, der Sechsunddreißigjährige, nach langem Ringen zum erstenmal und sogleich mit durchschlagendem Erfolg auf die Bühne gekommen, und immer wieder erscheint er jetzt in Liliencrons Briefen und Geständnissen als das Beispiel, auf das dieser schaut. Nicht nur zu beiläufigem Füllsel läßt Liliencron seinen Grafen Heesten in »Breide Hummelsbüttel« Wildenbruchs »Fürsten von Verona« rühmen, die köstliche Frische, das Vorwärts, das scharf gezeigte Wissen, wie alles sich aneinanderreihen muß; sogar mit Shakespeare vergleicht dieser Graf, dem Liliencron viel von der eigenen Anschauung in den Mund legt, den jungen deutschen Dramatiker und fügt daran freilich Bedenken über den Emporblick Wildenbruchs zu undichterischen Aufsichtsbehörden, den dieser Beurteiler herausgefunden haben will. Wildenbruchs preußisches Freiheitsstück »Väter und Söhne« hatte Liliencron auf der Bühne gesehen – es entzückte ihn, während die Gedichte des Dramatikers ihn tief enttäuschten.
Daß diese äußere Beeinflussung mit einem inneren Drange zusammentraf, versteht sich ja ganz von selbst. Aber sie erklärt das rasche, fieberhafte Arbeiten Liliencrons an seinen dramatischen Plänen und das fast völlige Aufhören, nachdem eine lange Reihe von 206 Dramen entstanden war. Mit zwei Ausnahmen sind sie alle geschichtlichen Ursprungs und tragen geschichtliche Färbung.
Knut der Herr.
Für das älteste seiner Dramen, für »Knut den Herrn«, fand Liliencron den Stoff in der dänischen Geschichte. Knut der Große (1018–1035) hatte Dänemark gewaltig emporgehoben und auch Schleswig dem Reich einverleibt. Sein Neffe Svend Estridsen (1047–1076) hatte fünf Söhne, die alle zur Herrschaft gelangten, zuletzt Niels (Nikolaus, 1104–1134). Des Niels Sohn, Magnus, ward noch bei Lebzeiten des Vaters König von Westgotland, während Niels Neffe, Knut Hlaford (Lord, Laward, d. h. der Herr), Schleswig als Statthalter verwaltete und im Jahre 1129 vom Kaiser Lothar zum König der Obotriten (Wenden) gekrönt wurde. Die bedeutende politische Stellung dieses jüngeren Knut und seine große Beliebtheit erregten die Eifersucht des Niels und, in noch höherem Grade, des Magnus, der überdies von einem gemeinsamen Vetter, dem Prinzen Heinrich Hinkefuß, aufgehetzt wurde, zumal da Heinrich Knut an dem schimpflichen Entlaufen seiner Ehefrau schuldig glaubte. So ward Knut, nachdem er sechzehn Jahre in Schleswig geherrscht hatte, 1131 von Magnus ermordet, und diese Tat stürzte Dänemark in eine Zeit schwerster Kämpfe.
Dieser Stoff hat Liliencron schon im Jahre 1881 beschäftigt, und er hat damals in Borby in den Tagen vom 31. Januar bis zum 2. Februar seine Ballade »Herzog Knut der Erlauchte« geschrieben, die später in den »Adjutantenritten« abgedruckt ward. In diesem Gedicht ist König Niels selbst der Anstifter des Mordes. Der Gedanke, daß nach dem Gesetz der Erbfolge Knut als der Sohn des älteren Bruders vor Niels Söhnen zum Thron gelangen soll, dünkt Niels unerträglich. Er hetzt Magnus geradezu auf Knut, und jener schreibt dem mit Weib und Kind friedlich im friedlichen Lande dahinlebenden Vetter, daß er eine Wallfahrt zum heiligen Grabe machen wolle, und bittet Knut, sein Gut und Habe zu schützen. Der reitet nach Roeskilde zu Hof, und nach mehrtägigen Gelagen entbietet Magnus den Vetter zu vertraulichem Gespräch waffenlos in den Wald. Da aber erscheinen fünfzig Reiter, Knut wird eingekreist und von Magnus ohne Gegenwehr erschlagen. Dann kommt es zum Bürgerkrieg, und König Magnus und König Niels müssen das Leben lassen.
Deutlich empfand Liliencron, daß der Inhalt der Ballade nicht ausreichte, als er im Januar des Jahres 1882 zu Plön an die 207 dramatische Bearbeitung des Stoffes ging. Er modelte diesen um. Er folgte zwar treuer als in der Ballade der Überlieferung, indem er die Gattin Knuts, die dort Judithe heißt, jetzt richtig Ingeborg benannte; dagegen machte er den Prinzen Heinrich Hinkefuß aus einem Vetter zu einem Bruder des Magnus und erfand völlig neu die Gestalt der Ulvilda, der Gemahlin dritter Ehe des Königs Niels. Hier griff er einmal zu dem alten Carlos-Motiv, das er verdoppelte. Ulvilda war von Magnus im stillen geliebt und dem Hinkefuß zugedacht, sie aber hat sich dem Vater vermählt. Liliencron verstärkte die Bedeutung der Frauengestalt noch dadurch, daß er ihr ein früheres Liebesverhältnis zu Knut andichtete. Der durch diese Gruppierung der vier Männer um die eine Frau gegebene Antrieb wird dann für die Handlung noch bedeutsamer als der geschichtlich überkommene der herrscherhaften Eifersucht, zumal da Magnus, wiederum im Gegensatz zur Geschichte, unvermählt ist.
Liliencron entwarf einen ausführlichen Plan für ein dreiaktiges Trauerspiel. Als »Grundmotiv« bezeichnete er, daß Magnus den Knut ermorde, um sich die Nachfolge im Reich zu sichern. Jeden handelnden Menschen machte er sich zunächst sehr ausführlich klar. Ulvilda sollte »etwas Kindliches (blonde, mit Gold und blauem Bande durchflochtene Zöpfe, die vorn über die Schulter gelegt, über die Brust bis zu den Knien laufen) haben. Später, nachdem ihr Knut gesagt, daß er seine Gemahlin Ingeborg liebt, daß er nimmer ihr untreu werden will und kann: tritt der Haß der Fraueneifersucht ein, furchtbar in ihrer Verbindung mit Heinz Hinkefuß, ihrem Stiefsohn. Etwas Dämonisches, Grauenhaftes: die blonde, zarte Frau mit den furchtbaren (Rache)plänen. Wildes, hinreißendes Pathos.« In gleich sorgsamer Niederschrift vergegenwärtigte Liliencron sich den Heinrich Hinkefuß, den König Niels, Ingeborg und Magnus – merkwürdigerweise nicht seinen Helden Knut. Und so begann er am 13. Januar 1882 zu Plön die Ausarbeitung in Prosa und zum großen Teil in indirekter Rede. Er umriß die einzelnen Vorgänge, Auftritte und Abgänge bis zu Gebärde und Miene, meist in ganz knappen Sätzen. Am 15. Januar war das Gerüst des ersten Aufzugs fertig, am 16. fast der zweite vollendet, am 18. schloß Liliencron den dritten in diesem Rahmengefüge ab. Am Ende stand Knuts Tod und unmittelbar darauf die Erschlagung von Magnus durch den Ritter Bodo Bodenhusen, den Liliencron, ungeschichtlich, in Erinnerung an den Mädchennamen seiner ersten Frau eingeführt hatte und später wieder tilgte. Hinkefuß wird gleichfalls erschlagen, und da 208 eben die Nachricht kommt, daß Ingeborg dem Knut einen Sohn geboren hat, verkündet der wie im Wahnsinn erscheinende König Niels, daß für den eben geborenen Waldemar Ingeborg bis zur Volljährigkeit die Regentschaft führen solle; dann stirbt auch Niels in den Armen der Ritter. Die Geburt des jungen Waldemar solle so vorbereitet werden, daß Ingeborg beim Abschied von Knut »ohne unästhetisch zu werden« andeuten mußte, daß sie in gesegneten Umständen wäre. Und Liliencron bereitete es Kopfzerbrechen, wie er es glaubhaft einleiten sollte, daß die Ritter bereits den Namen des Neugeborenen wüßten. Er ist dieser Schwierigkeit ausgebogen und hat es nicht so gemacht wie Shakespeare am Schluß von »Heinrich dem Achten«, wo der Thronerbin der Name Elisabeth auf Befragen des Hofes unter andächtigem Staunen vom Erzbischof beigelegt wird. Niels sagt einfach, daß »Waldemar« sein Nachfolger sei.
Manches in diesem fünfundvierzig Seiten umfassenden Entwurf war Liliencron noch unklar, und durch zwischengeschriebene Fragen deutete er an einzelnen Stellen die weitere Ausführung an, mit der er gleich danach, wahrscheinlich noch am 18. Januar 1882 begann. Er strich dabei Gestalten, führte andere, wie den Kanzler Ubbo und seinen Sohn Hakon, neu ein. Die Versform schwebte ihm von Anfang an vor und schlug schon im Entwurf an einzelnen Stellen durch – Liliencron wählte den fünffüßigen Jambus als die durch Schiller naturgewordene Sprache des deutschen geschichtlichen Dramas. Liliencron benutzte diese Form in der ganzen Zeit besonders gern und schrieb gleichzeitig mit dem Entwurf des »Knut« seine Dichtung »Ein Geheimnis«. Mit leidenschaftlicher Emsigkeit feilte er an vielen Versen des werdenden Dramas, immer bemüht, den schlagkräftigsten Ausdruck zu finden. So sprach Niels im ersten Aufzug:
Den heißen Atem fühlt ich von den Rossen.
Die Vorderhufe schlugen in der Luft,
Und stampften mich und stampften meinen Hengst.
Schon sah ich die Walküren in den Lüften.
Das kleingeschlitzte, schwarze Auge Krukos,
Des Slavenfürsten, glühte über mir.
Da schoß in jene tückischen Schweineaugen
Den Todesblitz das blaue Auge Knuts.
So riß er mich heraus und ward mein Retter.
Zunächst schrieb Liliencron statt »glühte über mir«: »glüht mich wütend an«. Aus den »Schweineaugen« wurden zuerst »Keileraugen«, 209 später »Eberaugen«. Dann aber fand Liliencron den »heißen Atem der Rosse« zu herkömmlich und schrieb statt dessen:
Den Dunst der Nüstern fühlt ich von den Rossen.
Und da ihm das Bild der Vorderhufe, die in der Luft gegen Mann und Roß schlagen und stampfen, zu gewaltsam war, erfand er eine deutlichere, persönlichere Schilderung der Lebensgefahr des Königs:
Da stürzt mein Pferd – kaum, daß es mir gelingt,
Mich unter dem wälzenden Tier emporzuringen.
Das stimmte wieder sprachlich nicht, und so schrieb er »sich wälzenden«; da hierdurch der Vers uneben ward, änderte er weiter:
Mich aufzurichten, da das Tier sich wälzt.
Dies ergab nicht genau die Gefährlichkeit der Lage des Niels; er hätte ja bei dieser Ausdrucksweise auch neben dem umherschlagenden Roß liegen können; und so ward neu geschrieben:
Mich unter ihm, der sich im Sande wälzt,
Emporzuziehn.
Und das Pferd in
Da stürzt mein Pferd –
ward deutlicher bezeichnet:
Da stürzt mein Hengst.
Jetzt erst wird das Emporbäumen der Vorderhufe feindlicher Gäule für Niels bedrohlich, da er nicht selbst zu Rosse sitzt, sondern auf der Erde steht. Und so empfingen die Verse die endgültige Form:
Den Dunst der Nüstern fühlt ich von den Rossen.
Da stürzt mein Hengst. Kaum daß es mir gelingt,
Mich unter ihm, der sich im Sande wälzt,
Emporzuziehn. Und über ihm mich spreizend,
Halt ich den Schild, den arg zerstückten, hoch.
Beim ewigen Donnerer, mir verging der Atem. 210
Wie Schlangen sah ich noch der Vorderhufe
Geschling, und von den Sätteln streckten gierig
Zum Fang gekrümmte Finger sich nach mir.
Nachdem aus den ersten undeutlichen drei Zeilen diese, das Bild mit feinster Lebendigkeit malenden neun geworden sind, folgt jetzt erst:
Schon hör ich die Walküren in den Lüften.
– er hört sie, weil seine Augen ganz auf den Feind gerichtet sind; in der ersten Fassung hieß es ja »sah«.
Das kleingeschlitzte, schwarze Auge Krukos,
Des Slavenfürsten, glüht mich wütend an.
Da schoß in jene tückischen Keileraugen
Den Todesblitz das blaue Auge Knuts.
Im Verfolg stand ursprünglich:
So riß er mich heraus und ward mein Retter.
Auch das war Liliencron zu blaß, und so schrieb er:
Und aus dem Knäuel mich reißend, lag ich bald
Wie das geraubte Jüngferchen vor ihm
Auf seines kampfdurchnäßten Pferdes Hals.
Aus dem Pferd wurde dann, mit deutlicherer Bezeichnung der Rasse, ein Friese. –
Als der König aus dem Schädel eines gefallenen Feindes trinken will, mahnt ihn der Erzbischof:
O König Niels, ich rufe ins Gedächtnis
Zurück dir, was du mir versprachst.
Die papiernen Worte ersetzte Liliencron alsbald so:
In Gnaden, König Niels, daß ich dich mahn
An dein mir einst gegebenes Fürstenwort,
Daß du den alten heidnischen Gebrauch
Nie wieder dulden und erlauben würdest,
An welchem Ort es immer sei. 211
Darauf erwiderte Niels ursprünglich mit den Worten: »Schweig, Pfaff!«, einer Bitte um Vergebung für das rauhe Wort, einer Anerkennung für den Mut des apostolischen Bischofs:
Ich leih dir Schutz, so weit ich es vermag:
Wohl ahn ich es, doch ich versteh es nicht,
Daß einst das Reich der Liebe, das du predigst,
Ein Reich des Friedens wird.
Ich bin getauft,
Doch meine ganze Seele zieht dahin,
Wo Odin und die Götter in Walhall
Auf mich schon warten.
Daraus wurde knapper und bei weitem dichterischer:
Und ahn ich auch die Friedensherrlichkeit,
Die deines Gottes dreigeeinte Hoheit
In Strömen ausgießt auf die gläubigen Menschen,
Laß Odin mir, bei dem in Glanz und Ruhm
In Walhall meine großen Väter tafeln.
So ward unter stetem Bessern der erste Aufzug noch im Januar 1882 fertig. Dann aber rückte die Arbeit, durch Geschäfte gehemmt, langsamer vor, und die Erwägung schlug durch, daß die dreiaktige Fassung zu knapp, daß dem Stück ein gewisser langer Atem vonnöten wäre, daß der Abschluß mit der Geburt Waldemars und dem rasch aufeinanderfolgenden Tod der vier Fürsten gar zu abgekürzt wirken müßte. Dieser Gedankengang beschäftigte Liliencron während des Umzugs nach Pellworm, und hier führte er im Sommer sein Drama in fünf Aufzügen zu Ende. An einem einzigen Tag, dem 15. Juli, ward auf der Insel der dritte Aufzug niedergeschrieben, fast ohne Änderungen. Vom 17. bis zum 19. folgte der vierte, und am 27. ward das Stück beendet, nicht ohne daß den weit hinausdeutenden Schlußversen mit rotem Stift ein »famos« hinzugefügt wurde. Eifrige geschichtliche Studien begleiteten die ganze Arbeit, insbesondere scheint Liliencron den Saxo Grammaticus, den Helmold und vielleicht auch die Legendae de S. Canutu duce durchgearbeitet zu haben; gewiß ist, daß er Dahlmanns »Geschichte von Dännemark« zu Rate gezogen hat. Im Herbst 1884 sandte Liliencron das Drama hinaus, indem er durch Vermittelung Hermann Heibergs Franz Hirsch, 212 den damaligen Schriftleiter des »Magazins für Literatur«, bat, es zu lesen. Nach Hirschs wohlwollendem Urteil ward das Werk noch im selben Jahre bei Wilhelm Friedrich in sechshundert Abdrücken verlegt, ein schmaler Band von achtzig Seiten, Hermann Heiberg, dem Freunde, zugeeignet.
Der erste Aufzug der endgültigen Fassung führt an das Hoflager des Königs Niels in der alten Krönungsstadt Roeskilde, in eine Halle, deren nordische Schwere mit den bunten Mustern orientalischer, auf Raubzügen erbeuteter Teppiche behängt ist – diesen Gegensatz liebte Liliencron überhaupt. Knut ist verleumdet und soll sich verantworten. Aber da er, von einem lachenden Pagen gemeldet, auftritt, bewährt sich an ihm, was Herman Grimm einmal gesagt hat: »Es ist, als könnte an den Menschen, solange sie da sind, kein Urteil anderer haften bleiben. Es wird wie Kleider abgetragen und verschwindet.« Froh und verwandtschaftlich wird der junge Herr, des Königs Lebensretter, empfangen. Ulvilda, die er einst geliebt hat, will ihn wieder gewinnen – er wehrt sie ab, im Gedenken an die geliebte Hausfrau daheim, im Gedenken an seine Verwandtschaft mit Niels, abgestoßen von der jetzt »giererfüllten« Frau. Den Abschiedshandkuß aber haben Heinrich Hinkefuß und Magnus gesehn, und blitzartig deutet sich das aus doppelter Eifersucht emporquellende Verhängnis an.
Der Hauptschmied an der Kette, die Knut niederreißen soll, ist Heinrich Hinkefuß – sein Plan geht dahin, nach Knuts Tode Niels zu stürzen, Magnus auf Gotland zu hetzen und selbst die dänische Krone zu erringen. Von ihm gestachelt, ruft Magnus im zweiten Aufzug, zu Schleswig, nach Knuts siegreicher Verantwortung gegen alle Anklagen, dem König Niels zu:
Du küßt die Natter, Vater, die dich stach.
Er bezichtigt Knut, daß er um Ulvildas willen nach Roeskilde gekommen, daß er an dem väterlichen Ohm zum Ehebrecher geworden sei. Und Ulvilda, die Verschmähte, äußerlich eiskalt geworden, bestätigt das. Knut wird seines Amtes als Statthalter von Schleswig entsetzt, und wir erwarten den Kampf.
Bevor wir ihn erleben, flicht Liliencron einen zarten lyrischen Vorgang ein: Ingeborg, Knuts liebliches Gemahl, erscheint traumwandelnd im mondhellen Park, ganz unter dem Druck der furchtbaren Ereignisse des Tages – Knut leitet sie zärtlich, mit wenigen 213 Worten, die ihr das volle Bewußtsein seiner Liebe wiedergeben, ins nächtliche Schloß.
In der Schlacht siegt Knut, er versöhnt sich mit Niels, und Ulvilda, die in einer Bauernhütte das Geschehene erfährt, verführt den tiefgebeugten Magnus zum Verrat an Knut: er soll ihn scheinbar um Verzeihung bitten, ihn zum Weihnachtsfest nach Roeskilde laden und bei rasch gesuchtem Anlaß töten. Den zurückschaudernden Magnus kirrt Ulvilda mit dem Versprechen, daß sie der Preis des Sieges sein will. So handelt Magnus nach ihrem Plan und bittet Knut, ihn während einer Wallfahrt zum heiligen Grabe zu vertreten, vorher, um die Weihnacht, zur Besprechung nach Roeskilde zu kommen.
Soweit ist die Handlung am Ende des dritten Aufzugs gediehen – der vierte bringt die Schreckenstat selbst. Eingehend wird sie im Gespräch zwischen Magnus und Hinkefuß vorbereitet und in dem ganz kurzen zweiten Vorgang des vierten Aktes vollführt. Knut kommt unbewaffnet in den Wald, und ein Ritter versucht ihn so zu warnen, wie es nach der Überlieferung der Skalde Sievart getan hat; er läßt unter dem Friedensgewande seinen Panzer sehn und singt Verse von Siegfrieds Tod. Knut aber ist unbelehrbar, und da er mit Magnus allein ist, reißt der nach der Frage:
Wer soll der Erbe sein im dänischen Reich?
die Streitaxt heraus und schlägt Knut tot.
Der fünfte Akt ist nur ein Nachspiel und empfing später auch von Liliencron seine besondere Bezeichnung: Der Rachezug. Prinz Erich, Knuts Bruder, hat Niels eine furchtbare Schlacht geliefert, und sterbend wird der alte König herbeigetragen. Magnus und Ulvilda versuchen einen verzweifelten Durchbruch, werden jedoch, wie wir von einem Beobachter des Kampfes erfahren, von Erich getötet. Heinrich Hinkefuß ertrinkt auf der Flucht im Meer. Erich aber verkündet die Ruhe für Dänemark:
Daß wieder still der Pflug den Acker furcht
Und durch des Herbstes fruchterdrückte Felder
Der Sense arbeitsvoller Friede rauscht.
Die Charaktere des Stückes sind fast alle ganz auf ein einziges Gefühl gestellt: Erich auf ritterlich sorgende, brüderliche Treue, Heinrich Hinkefuß auf fürstliche Eifersucht, Lust am Zwietrachtsäen und Ehrsucht, Ingeborg auf hingebende Weibesliebe. Bei Niels, 214 Magnus, Knut und Ulvilda hat Liliencron eine vertiefte Gestaltung versucht. Gelungen ist sie nur bei Niels, dessen väterliche Güte für Knut ganz glaubhaft wirkt, ebenso glaubhaft wie seine tödliche Verletztheit, als er von dem angeblichen Betrug erfährt. Und fein ist, daß dieser getaufte König seinem Bischof gegenüber im Leben und im Sterben immer wieder das innere, unverwischte Bekenntnis zu den alten Göttern von Walhall hervorholt. Magnus ist die stärkere Zusammenfassung der Triebe des Heinrich, nur tritt bei ihm noch die die Sinne entflammende Glut für Ulvilda hinzu. Diese selbst ist freilich gleich Knut ganz in der Skizze steckengeblieben, viel zu rasch gleitet sie von dem einen Gefühl ins andere hinüber, und der dämonische Reiz kommt nicht heraus, mit dem der Dichter sie, um die sich das Stück zum guten Teil in seinen Angeln dreht, hat ausstatten wollen. Es bleibt in ihr etwas Theatralisch-Unausgeglichenes, etwas Romanhaft-Flaches zugleich, und sie macht uns nie warm, so daß wir ihre Wirkung auf die Männer nicht zu glauben vermögen. Von Knut selbst gilt das freilich nicht, denn die Liebenswürdigkeit, Heiterkeit, Unbefangenheit und den königlichen Anstand seines Wesens hat Liliencron genau so fein gezeichnet, wie er diese Eigenschaften später immer wieder an seinen Lieblingshelden darzustellen wußte – aber dieser Knut soll doch als Feldherr und Führer die Krone der Wenden erlangt und sich als Statthalter bewährt haben. Sollen wir das seiner Sorglosigkeit, die nahe an Torheit grenzt, glauben? Wenn die geschichtliche Überlieferung jener ritterlichen Warnung im Winterwald dramatisch glaubhaft gemacht werden sollte, so müßte das doch ganz anders geschehn, so hätten wir viel stärkere Gründe dafür erfahren müssen, warum Knut, der immer wieder Beargwöhnte, der doch auch Ulvilda, wie wir eben vorher erfahren, jetzt kennt, so taub bleibt. Und so – der schwerste Versager des Dramas – wirkt sein Tod nicht tragisch, mehr wie ein Hinschlachten. Wir haben ein Recht, die Tat mit Hagens Ermordung des Siegfried zu vergleichen, denn Liliencron fordert durch die Verse des warnenden Ritters dazu auf; und gewiß ist auch jene Nibelungentat nicht tragisch, nur furchtbar; sie wird erst tragisch durch ihre Folgen, die uns weder das Lied, noch seine dramatischen Gestalter verschweigen. Die Folgen von Knuts Tod aber sind nur anhängselmäßig in einen fünften Akt zusammengezogen, dem wiederum tragische Größe fehlt.
Dieser letzte Aufzug gibt dem Stück etwas von dem Charakter Shakespearescher Historien, und auf genaue Kenntnis des Briten weist noch manches andere im Aufbau des Dramas hin: die 215 Bilderfülle, die sich oft überstürzt, die Unbefangenheit, mit der das, was wir später erleben, vorher mit völliger Genauigkeit geschildert wird, so daß jede Überraschung ausbleibt. Dann wieder erkennt man die Einwirkung Wildenbruchs, zumal in der wiederholten wirksamen Pracht größerer Aufzüge – bei der Szene der Königin in der Bauernwohnung denkt man auch an Kleists »Prinzen von Homburg«.
Das Stück ist mit einer Fülle lyrischer Schönheiten überschüttet, die sich bezeichnenderweise gerade da zeigen, wo die dramatische Handlung schwach ist, etwa in Selbstgesprächen des Magnus und des Knut in Gegenwart Dritter. Da gebraucht Knut sogar einmal wörtlich Bilder, die Liliencron in dem zu Plön geschriebenen Gedicht »Blümekens« vergegenwärtigt hat:
Auf allen Feldern wehten grüne Hälmchen,
Und süß im Erlenbusche sang der Stieglitz.
Geschichtliche Treue im kleinen hat Liliencron im »Knut« peinlich angestrebt – man merkt das an der Beschreibung der Hallen oder in dem durch seine Stimmung ergreifenden Vorgang (II, 2), wo die Posten im Garten sich mit immer demselben »Lebst – du – noch?« anrufen. Hier sprechen übrigens, wie bei Shakespeare, die Soldaten in Prosa, während die andern Verse brauchen. Merkwürdiger ist, daß im dritten Aufzug die Hofdame Tuve, solange sie allein ist, Prosa spricht, wenn sie mit Ulvilda redet, in Versen. Das farbenvolle Preislied des Friedens, das Prinz Erich am Schluß verkündet, steht im engsten innern Zusammenhang mit ähnlichen Versen im »Cincinnatus« und an vielen andern Stellen Liliencronscher Lyrik.
Daß der Dichter mit dem Drama keinen Erfolg haben konnte, ergab sich schon aus der geradezu verblüffenden Wirkung des Mordes an Knut: Spannung kam nicht auf, weil zuerst durch Ulvilda und dann durch die Gespräche des vierten Aufzugs alles bis ins kleinste vorbereitet war, und die brutale Plötzlichkeit, die Knut gar nicht mehr zum Wort läßt, konnte statt wirklicher Teilnahme nur Schreck auslösen.
Das Drama ward von Liliencrons älterem, etwas knurrigem, aber künstlerisch feinfühligem Vetter Friedrich, der es einen entschieden großen Wurf nannte, für das Altenburger Hoftheater angenommen und dort am 27. Oktober 1885 einmal gegeben; der Dichter hatte weder das Reisegeld noch die gebührende Kleidung, der Entbietung in die herzogliche Hauptstadt zu folgen. Immerhin – es 216 war »der erste gedruckte Theaterzettel.« Auch Max Staegemann erwarb den »Knut« für das Leipziger Stadttheater. Die dortige Aufführung fand am 29. April 1886 im Neuen Theater unter der Spielleitung von Ernst Gettke statt; Borcherdt gab den König Niels, Treutler den Magnus, Hänseler den Heinrich Hinkefuß, Clara Salbach die Ingeborg; den Knut verkörperte Waxmann, die Ulvilda Olga Lewinsky. Der Erfolg war gering; nach dem zweiten Aufzug schwacher Beifall, der am Schluß wieder aufflammte, aber freilich auch durch schwache Gegenäußerungen zum Schweigen gebracht wurde. Rudolf von Gottschall in seiner im ganzen gerechten und einsichtigen Beurteilung erklärte den mangelnden Eindruck dieses Werkes »eines jüngeren talentvollen Dichters«, dessen Aufführung an sich rühmenswert sei, vor allem aus dem Stoff und seiner dramatischen Behandlung. Die dargestellte Zeitspanne dänischer Geschichte erwecke in Mitteldeutschland keine Teilnahme; dazu enthalte der blutige Familienzwist abstoßende Brutalitäten, selbst die Shakespeareschen Historien, die Liliencron vielleicht vorgeschwebt hätten, würden heute mehr als Huldigung für ihren Dichter, denn um ihres eignen Wertes willen aufgeführt. Gottschall tadelte den Mangel an Bühnentechnik und hob hervor, daß der »lakonische Stil der Kraftdramatik« gerade in den entscheidenden Vorgängen zu karg und darum eindruckslos bleibe. Auch fehle seelische Erklärung und Einstimmung, durch die der Hörer erst mit dem Stück in Fühlung komme; insbesondere verwies Gottschall da auf die Ermordung Knuts, wo Liliencron förmlich mit jedem Worte geize. Endlich rügte er die gar zu sehr ins »Demimondänische« hinübergreifende Ausgestaltung der Ulvilda.
Vergeblich versuchte Heiberg durch Josef Kainz, dem er die Dichtung gab, eine Aufführung in L'Arronges Deutschem Theater zu Berlin zu erzielen.
Sehr viel später ward »Knut« noch einmal gegeben: im Hamburger Stadttheater am 25. November 1906. Der Oberregisseur Siegfried Jelenko hatte viel Mühe und Liebe auf die Dichtung verwendet und besonders den Aufzug im Garten mit feiner Stimmung herausgebracht – die Nachtigallen, die man nach Angabe des Szenariums bei jedem Töpfer bekommt und auf die sich Liliencron bei dieser neuen Aufführung ganz besonders freute, waren in der Tat zu hören. Liliencron war über den Erfolg von »Knut dem Waschlappen«, wie er ziemlich achtungslos selbst einmal schrieb, von vornherein sehr unsicher und empfand gleich nach der Vorstellung, daß der lebhafte 217 Beifall, der ihn wieder und wieder an die Rampe rief, doch mehr dem Dichter als der Dichtung galt. Er hat dann daran gedacht, den vierten Aufzug zusammenzuziehn, was ihm aber nicht gelang. Auch die Monologe, die »infamen«, wollte er ausmerzen. Er hat aber das alles liegen lassen und schließlich auf sein Drama so wenig Wert gelegt, daß er in dem neuen Abdruck, im vierzehnten Bande der von ihm 1904/05 veranstalteten Gesamtausgabe, sogar drei klare Druckfehler der ersten Ausgabe nicht getilgt hat.
Theodor Storm schrieb Liliencron über den »Knut« am 2. Oktober 1885: »Aus Ihren Schriften weht mich eine jetzt so seltene Ursprünglichkeit und Unverfrorenheit (verzeihen Sie dies letzte etwas gemeine Wort, ich weiß jetzt kein anderes) an, daß ich Ihnen für jede Gabe dankbar bin, und sei sie mitunter auch etwas überextravagant. Bei Ihrem ›Knut der Herr‹ schien es mir nur im letzten Teil etwas unaufführbar, auch etwas zu sprunghaft zu werden.« Das Studium Grabbes und Hebbels, das Liliencron damals beginnen wollte, wird auch von Storm lebhaft empfohlen. Mit Grabbe hat Liliencron sich in der Tat bald ernsthaft beschäftigt, Hebbel aber erst später durch Johann Meyer recht kennen gelernt und »Herodes und Mariamne« nach einem halben Menschenalter zum erstenmal gelesen, als er durch Alfred von Berger zur Aufführung der Tragödie im Deutschen Schauspielhause zu Hamburg eingeladen worden war.
Amerikanische Dramen.
Liliencron hat zwei Dramen aus dem amerikanischen Leben geschrieben; das eine war ein Bild aus der Gegenwart: »Arbeit adelt«. Die Werdezeit dieses Stückes steht nicht genau fest, es war aber bestimmt vor dem 1. Juli 1885 fertig. Die andere Dichtung behandelt die einzige Liliencron bekannte amerikanische Sage, die von der Indianerin Pokahontas; er hat das Werk im Herbst 1884 zu Kellinghusen niedergeschrieben und am 12. Dezember den letzten Strich getan. Am 24. Juni 1885 sandte er es dem Berliner Theaterverlag Felix Bloch. Die Handlung dieses »Dramas aus den Kolonien« ist außerordentlich einfach. Es spielt im Jahre 1607 in der eben von John Smith gegründeten Stadt Jamestown an der Mündung des Jamesflusses in Virginien. In dem Augenblick, da der Statthalter Lord de la Ware in der kleinen Festung eintrifft, läßt der älteste Offizier, Sir Henry Wingfield, den zweiten Befehlshaber, Sir John Smith, gefangen nehmen, weil dieser angeblich die Absicht 218 gehabt habe, sich selbst zum Herrscher auszurufen. Da alle für Smith und gegen Wingfield aussagen, läßt der Statthalter Wingfield als Verläumder und Überschreiter seiner Befugnisse nach London bringen, während Smith an der Spitze einer Reiterschar gegen die Oneida auszieht, Indianer, die eine britische Streifabteilung getötet und skalpiert haben.
Smith wird (das zeigt der zweite Akt) gefangen und soll nach dem Willen des Oberhäuptlings Powhattan zu Tode gefoltert werden, wenn er nicht als Häuptling, Kriegslehrer und Führer bei den Rothäuten zurückbleibe; er soll dann Powhattans liebliche Tochter Pokahontas heiraten, die ihn schon vordem vor Quälereien des Roten Donners beschützt hat, eines andern Häuptlings und Bewerbers um ihre Hand. Das Ehrgefühl des Weißen sträubt sich dagegen, den Rothäuten gegen die Seinen beizustehn, er will lieber sterben, wird aber von Pokahontas und ihrer Gespielin auf verborgenen Wegen gerettet.
Die Flucht ist gelungen, und Pokahontas, wie wir im dritten Aufzuge hören, auf dem langen Wege ganz John Smith zugefallen, der nun, da Wingfield mit großen Vollmachten als neuer Statthalter zurückgekehrt ist, nach Europa reist. Pokahontas schwimmt dem Schiff nach, wird aber von den Ruderern nicht aufgenommen und Wingfield, der sie selbst für sich gewinnen will, von einem andern Offizier im Streit erstochen.
Im vierten Akt haben die Oneida Jamestown völlig umzingelt, Pokahontas aber kann, da Wingfield tot ist, die weißen Freunde nicht im Stich lassen und kommt auf fliegendem Pferd, um sie vor nächtlichem Überfall zu warnen. Der gefangene Powhattan soll vermitteln, treibt aber statt dessen die herangerittenen Indianer zu furchtbarem Rachesturm an. De la Ware trifft wieder ein, berichtet unter anderm, daß John Smith auf der Fahrt sein Leben verloren habe, und schwört, alle Kraft zum letzten Kampf zusammenzunehmen.
Der Abschluß des Dramas erfolgt in London. König Jakob der Erste wünscht Frieden und Versöhnung mit den Indianern und läßt Powhattan und Pokahontas mit königlichen Ehren empfangen. Sir John Smith, der sich aus jenem Schiffbruch errettet hat, will Pokahontas, die ihm nur eine dankbar empfangene Gabe war, nicht sehn, um sie nicht zu betrügen und eine Szene zwischen ihr und seiner Frau zu vermeiden. Auf Rat eines Freundes versteckt er sich im Saal beim Empfang, aber Pokahontas erblickt ihn doch, und als sie auf die Frage, wer der Mann und jene Frau wären, hört, daß es 219 John Smith und seine Gemahlin seien, fällt sie sterbend zurück. In weichen Worten spricht ihr der König die Totenklage:
Ich ahne, welcher rauhe Reif dich knickte . . .
In weiter Fremde, still im Heimathaus,
Wer kennt der Liebe Lust und Schmerzen aus.
Das Stück wirkt mehr wie eine dramatische Übungsarbeit, die Sprache ist noch zum Teil sehr ungeschickt, ganz ungepflegt, Bühnendeutsch im schlechten Sinn, und die Charakteristik sehr blaß. Die Katastrophen treten alle mit jäher Schnelligkeit und ohne jede innere Vorbereitung ein, genau wie die Erschlagung Knuts. Wesentlich ist es nur, daß Liliencron überhaupt den Drang empfand, gerade ein amerikanisches Drama zu schaffen. Er hat das Stück nirgends anbringen können, und es ist erst 1904 in den Sämtlichen Werken gedruckt worden. Er hat auch mit dem Deutschen Schauspielhaus zu Hamburg über die Aufführung verhandelt und die Ablehnung zum Teil darauf zurückgeführt, daß die bekannten Künstler des Hauses, insbesondere Robert Nhil, dem er den Powhattan zugedacht hatte, nicht in der Tracht von Indianerhäuptlingen umhergehn könnten – sie würden sonst dem Spott der Schuljugend verfallen. In Wirklichkeit hat wohl Alfred von Berger nur die notwendige Ablehnung des schwachen Werkes Liliencron gegenüber, den er sehr hochstellte und zweimal um Prologe für sein Haus bat, in eine höfliche und humoristische Form kleiden wollen.
Dramatisch gleichfalls ganz unbedeutend, aber für Liliencrons persönliches Leben noch wesentlicher ist das zweite amerikanische Stück: »Arbeit adelt«, Genrebild in zwei Akten, 1887 bei Wilhelm Friedrich erschienen, aber wohl gleichzeitig mit »Pokahontas« verfaßt – schon der Name John Smith, der hier für eine wichtige Persönlichkeit wiederkehrt, läßt darauf schließen.
Ein junger deutscher Husarenoffizier von gräflichem Stand hat nach dem Feldzug von 1870 Schulden halber einen ehrenvollen Abschied nehmen müssen und meldet sich bei dem Deutsch-Amerikaner John Smith in Neuyork um eine Reitknechtstelle. Er erhält sie, verliebt sich in die Tochter des Hauses, mit der er täglich ausreiten muß, sie liebt ihn, und John Smith gibt seinen Segen dazu. Denn er hat in dem jungen Mann den Sohn eines adeligen Fräuleins erkannt, das er einst als deutscher junger Dorfschullehrer hoffnungslos geliebt und um dessentwillen er Europa verlassen hat. John Smith 220 hat an Kaiser Wilhelm geschrieben, hat diesem die vierzigtausend Taler, die der Graf seinen Gläubigern schuldig geblieben ist, zur Verfügung gestellt, und in dem Augenblick, da die beiden jungen Leute sich ihre Liebe erklärt haben, trifft aus dem Kabinett des Herrschers der Brief ein, der die Wiedereinstellung des Offiziers enthält. Und in diesem Erlaß betont der Kaiser besonders, was John Smith von Anfang an gegenüber dem jungen, sich gegen die niedrige Stellung leise sträubenden Aristokraten hervorgehoben hat: »Arbeit schändet nicht, Arbeit adelt!«
Das Stückchen ist ohne jede dramatische Kunst geschrieben, und nur in dem ersten Auftreten des Grafen steckt eine gewisse Menschenbeobachtung; sein Zaudern, sich als Reitknecht zu verdingen – in der Zeitung war ein Bereiter gesucht worden –, seine gute äußere Form bei quälendem Hunger und leeren Geldtaschen wirken ganz echt, weil sie eben auf eigene Erlebnisse Liliencrons hindeuten; auf sie deuten auch die Schulden und die Erzählung des Jünglings, er habe Dienst in den südamerikanischen Staaten suchen wollen, das Geld habe aber nicht gereicht. Auch das ovale, auf Elfenbein gemalte Bild der Mutter ist nicht bedeutungslos – ein solches Bild seiner schönen Großmutter hat Liliencron durch alle Jahre bewahrt.
Die erste Aufführung von »Arbeit adelt« geschah in Leipzig am 4. Juni 1887, einem Sonnabend, im Neuen Theater, und zwar vor Shakespeares »Komödie der Irrungen«; den Smith spielte Door, den jungen Grafen Waxmann der einstige Darsteller des Knut, die Tochter Clara Salbach, die frühere Ingeborg. Mehr als ein freundlicher, sogenannter Achtungserfolg konnte nicht erzielt werden, und Hermann Pilz hob in seiner Besprechung hervor, daß die Motive keinen Anspruch auf Originalität machen könnten; er erinnerte an Ifflands bürgerliche Dramen und fand das Ganze für zwei Aufzüge denn doch zu dürftig. Am 9. und am 11. Juni ward »Arbeit adelt« an der gleichen Stelle wiederholt – Clara Salbach soll die Maria sehr reizvoll verkörpert haben; bei der letzten Aufführung gab es hinterher Adolf Wilbrandts »Maler«. Freude hat Liliencron an den Darstellungen des ihm fremd gewordenen Dramas nicht gehabt. Ich selbst habe es im Jahre 1894 bei der Aufführung eines studentischen Vereins im Arnimschen Gasthof zu Berlin (nach Hartlebens »Lore«) gesehen – auch da ging es trotz aller Mühe und Liebe der Darsteller eindruckslos vorüber, ja der letzte Vorgang mit seinen allzu rasch aufeinander platzenden Ereignissen streifte hart an ungewollt komischer Wirkung vorbei. Liliencron hat denn auch später dies Stück 221 geradezu gehaßt, nichts mehr davon hören wollen und es in die Gesamtausgabe seiner Werke nicht aufgenommen.
Die Rantzow und die Pogwisch.
Am 14. Dezember 1459 starb Herzog Adolf, der von Liliencron oft gerühmte große Schauenburger. Er war ohne Leibeserben, und nach seinem Tod entspann sich in der holsteinischen Ritterschaft ein Streit um die Wahl des Nachfolgers. Adolf selbst hätte vordem gern die Nachfolge seinem ältesten Neffen, Christian von Oldenburg, der seit 1448 König von Dänemark war, zugeschanzt, während auf der andern Seite die jüngere Schauenburgische Linie Ansprüche erhob. Endlich wollten auch die Brüder Christians des Ersten nicht ohne weiteres zurückstehn. Die Stände traten im Januar 1460 zusammen, kamen zu keinem Ergebnis, und schließlich wählte der Rat, nicht der Landtag, von Schleswig-Holstein zu Ripen in Jütland, angeblich nach erheblichen Bestechungen und Schenkungen, Christian zum Herzog zu Schleswig und Grafen zu Holstein. Der Adel der Landschaften war in diesen Zeitläuften sehr uneinig, und die damals aufgerissene Kluft zwischen den beiden Parteien verwischte sich lange Zeit hindurch so wenig, daß der Kieler Kanzler Graf Brockdorff noch im Jahre 1824 zu Friedrich Christoph Dahlmann sagte: »Der Wahl Christians des Ersten zum schleswig-holsteinischen Landesherrn sind die Brockdorffs besonders ungeneigt gewesen und ganz für die Schauenburger. Sievert Brockdorff Windeby pflegte Christiern nachher nur Karst avern Belte zu nennen, und als der König ihn, Windeby, verbannte, nannte er ihn den Schmöker.«
Neben den Brockdorff hatten die Pogwisch gegen, die Rantzow oder Rantzau aber von Anfang an für den neuen Landesherrn gestanden. Und aus diesem geschichtlichen Gegensatz erwuchs Liliencron sein zweites geschichtliches Drama: »Die Rantzow und die Pogwisch«. Die Keime können wir wiederum weit rückwärts entdecken. Die Geschichte der alten Adelsgeschlechter des Landes war ihm, der vielen blutsverwandt war, früh vertraut geworden, sie ward ihm durch den Vater immer neu eingeprägt und besonders im Kloster Preetz bei den Stiftsdamen Liliencron und der alten Äbtissin Fritze von Ahlefeldt neu befestigt. Und wenn ihn Geschichte immer »mit schlagendem Herzen festgehalten« hatte, so galt das für diese besonders. Aus Stiftserinnerungen heraus dichtete er in Borby am 1. Mai 1881 seine Ballade »Das Haupt des heiligen Johannes in der Schüssel« 222
Dei gratia Domina
Wiebke Pogwisch, Abbatissa,
Thront auf ihrem Fürstenstuhle –
und ließ in dem adeligen Konvent neben andern auch Abel Rantzow der Entführung der jungen süßen Anna von der Wisch beiwohnen. Zu Ende desselben Monats schrieb Liliencron »Ott' Stissen Prahlhans«, die Ballade aus der Schlacht beim Brunkehoftwalde vom Jahre 1525, in der der Prahlhans Ott Stissen von Johann Rantzow und seinen Leuten in die Flucht geschlagen wird. Im Herbst 1881 zu Hamburg hat ihn diese Ballade wieder beschäftigt, und er hat daran gedacht, sie Felix Dahn und Theodor Fontane einzusenden, sich auch damals wieder eingehend mit Felix Dahns 1879 erschienenen »Bausteinen«, reichen Beiträgen zur deutschen Sage, und einem Aufsatz desselben Dichters und Forschers über den Bau der Ballade befaßt. Die »Adjutantenritte« bringen dann die Ballade von »Wiebke Pogwisch« aus der Zeit, da sie noch nicht Abbatissa, sondern noch Landedelfrau, Gattin und Mutter von acht Söhnen war, die man ihr alle tot ins Haus trägt, eine wunderbar zarte, an Fontane und an Bernhards von Lepel »Sophie Schwerin« gemahnende Dichtung. Auch die Ballade »Pidder Lüng« führt einen Pogwisch vor, den Amtmann, den Pidder Lüng im Breitopf ersticken läßt. Am nachdrücklichsten aber beweist die einläßliche Beschäftigung mit der Adelsgeschichte das in den Roman »Breide Hummelsbüttel« ganz stilwidrig eingeschobene Geschichtskapitel. Wenn da die Fürstin Wulfhilde den Satz liest »Die Geschichte des schleswig-holsteinischen Adels zu schreiben, wäre eine dankbare Aufgabe, aber sie müßte in den Händen Johannes von Müllers oder Dahlmanns gelegen haben«, klingt etwas wie der unerfüllte Wunsch eignen Schaffens auf diesem Gebiet durch. Und wenigstens ein Stück solcher Geschichte hat Liliencron in den »Dithmarschen« geliefert, die 1890 im ersten Bande des »Mäcen« erschienen und in der ersten Hälfte des Jahres 1889 in Kellinghusen entstanden sind. Eine kleine Ergänzung gibt die Skizze »Die Schlacht bei Stellau 1201«, die Schilderung eines Kampfes zwischen Adolf dem Dritten von Schauenburg und Waldemar dem Sieger von Dänemark, 1887 in der Sammlung »Eine Sommerschlacht« erschienen, um die Wende von 1885 und 1886 in der Kellinghuser Tonhalle niedergeschrieben. Die »Dithmarschen« schließen mit der Schlacht von Hemmingstedt ab, und dann folgt eine Liste der in dieser Mordschlacht gefallenen Edelleute – nach einer 223 Chronik. Da begegnen uns wieder all die Namen, die Liliencron auch sonst häufig anführt, und unter ihnen nicht weniger als drei Pogwisch, Benedictus, Dethlev und Clawes, genannt »de gele Düwel«. Es fehlt nicht die Bemerkung, daß von diesem gelben Teufel Goethes Schwiegertochter Ottilie abstamme. Und auch ein Rantzow, Ove Ridder Tho rastorf, also ein Rantzow-Rastorf, mithin wiederum ein Vorfahr von Bismarcks Schwiegersohn, ist unter den Gefallenen. Auch die knappe Erzählung »Gert der Große von Holstein« steht schon in der »Sommerschlacht« und stammt aus derselben Zeit. Man kann aus ihr schließen, daß Liliencron zu all diesen Studien auch Schriften von Carl Wilhelm Nitzsch gelesen hat; ausdrücklich verweist er auf Wilhelm Berblingers »Gerhard der Große und seine Residenz Rendsburg«. »Der holsteinische Uradel! Potz Tausend, das waren Herren, die kehrten sich an gar nichts« – so schrieb er unter dem Eindruck dieses Werkes, und diesen Klang werden wir noch oft vernehmen. Endlich las Liliencron die »Nachträge und Berichtigungen zu der Geschichte der Familie von Pogwisch, aus archivalischen Quellen mitgeteilt von J. G. Schäffer.«
Gegeben waren dem Dichter für das neue Drama, das er gleich nach »Pokahontas« im ersten Viertel des Jahres 1885 zu Kellinghusen niederschrieb, im wesentlichen die Fülle geschichtlicher Anschauung und die eine Tatsache jenes harten Zwistes zwischen den Adelsgeschlechtern des Landes bei der Kürung des neuen Grafen-Herzogs. Genau so klar wie bei »Knut« übersah Liliencron, daß er damit allein dramatisch nichts anfangen konnte. So setzte er an mehreren Punkten vertiefend ein. Er verschärfte die Stellung Gerts von Oldenburg zur Ritterschaft, indem er diesem Bruder und Mitbewerber König Christians eine Liebe zu Caja Wohnsfleth andichtete, der Schwester eines der Ritter. Und er verknotete die Fäden im ganzen viel fester dadurch, daß er Henning Pogwisch und Schack Rantzow (die Aussprache sollte nach Liliencrons ausdrücklichem Wunsch richtig Rantzau lauten) zu Schwägern und ihre Kinder, Wolfgang Pogwisch und Heilwig Rantzow, zu Verlobten machte.
Die Handlung der neuen Dichtung ist bei weitem vielfältiger zerspalten und umständlicher geführt als die des »Knut«. Der Streit zwischen den feindlichen Geschlechtern loht im ersten Aufzug hoch auf bei einer holsteinischen Adelsversammlung unter dem Vorsitz des Adelsmarschalls Schack Rantzow. Denn auf die Kunde, daß Adolf von Schauenburg plötzlich gestorben ist, erklärt sich Rantzow mit sechs Adelsfamilien für König Christian (Christiern) von Dänemark, sein 224 Schwager Henning Pogwisch mit sieben Rittergeschlechtern nicht minder lebhaft für den Grafen Otto von Schauenburg-Pinneberg. Als sie uneinig abgegangen sind, erscheint als dritter Bewerber um den Thron Graf Gert von Oldenburg, dem ein entlaufener Feldvogt der Ritter, Heyno mit dem Bogen, seine Waffe und seine bäuerlichen Genossen zur Verfügung stellt.
Noch einmal stoßen Schack Rantzow und Henning Pogwisch, persönlich und allein, zusammen. Und diese plötzlich ausgebrochene Feindschaft gewinnt ein um so gehässigeres Gesicht, wird zugleich um so tragischer, da ihre Kinder, Wolfgang Pogwisch und Heilwig Rantzow, wie wir am Beginn des zweiten Aufzugs erfahren, einander verlobt sind. Henning sucht Schack auf, bietet ihm die Hand, erklärt, daß er mit dem Grafen Otto als Thronanwärter nicht mehr rechne, aber auch den Dänen Christian nicht wünsche, sondern den ältesten Sohn Ottos von Schauenburg-Pinneberg gewählt sehn wolle. Schack hat auch gegen diesen Bewerber gute Gründe anzuführen; als aber Henning sich immer wieder gegen Christian erklärt, beurlaubt er sich auf einen Augenblick, angeblich, um draußen Boten abzufertigen. Nach seiner Rückkehr macht Henning einen neuen Vorschlag: er will für den Grafen Gert eintreten; auch diesen weist Schack zurück, weil die Feindschaft zwischen Gert und Christian zu furchtbar sei. Henning ist nicht mehr umzustimmen und geht ab. Da tritt Schack ans Fenster und sieht entsetzt mit großen Augen, wie die Knechte, offenbar doch seinem eignen Befehl gemäß, den Schwager binden und ins Verließ werfen.
Sieger scheint zunächst Graf Gert von Oldenburg zu sein, denn der rasch entfesselte Kampf der Rittergeschlechter kommt ihm zu gute. Henning Pogwischs Sohn, jener Wolfgang, hat das Rantzowsche Schloß in Brand gesteckt. Aus dem in Trümmer gehenden Bau entfliehn die drei Rantzow mit dem gebundenen Henning; Wolfgang befreit den Vater mit Waffengewalt und will sich mit dem Verräter Schack im Zweikampf messen. Da wirft sich Heilwig Rantzow zwischen Vater und Verlobten, und Schack ergibt sich:
Hier ist mein Schwert, doch nicht die Freundeshand.
Der vierte Aufzug bringt bunt durcheinander gehende Bilder von Kleinkämpfen. Schließlich wird Wolfgang Pogwisch besiegt, und ihm folgt auf der Bahre der sterbende Vater. Er flucht mit letzter Kraft dem König Christian. Aber er legt die Hand des 225 hereintretenden Schack Rantzow, der ihn bei der gemeinsamen heiligen Jugend beschwört, in die Wolfgangs. Da des Königs Majestät gemeldet wird, sagt Schack:
sie naht zu spät,
Das treuste Holstenherz hat ausgeschlagen.
Der letzte Aufzug führt nach Ripen in Jütland, das Liliencron nie gesehn, aber immer neben Prag und dem gleichfalls nie betretenen Palermo für seine Lieblingsstadt erklärt hat. Überhaupt hat trotz seinem von Kindheit an festgehaltenen deutschen Bewußtsein der geschichtliche Glanz des stammverwandten und ihm auch blutsverwandten Dänentums und Normannentums immer einen starken Zauber für ihn gehabt, einen weit stärkeren als die ihm von der Mutter her so viel näher liegende Geschichte Englands und Amerikas. – Nach einem reizvollen Zwischenspiel jugendlicher Pagen erscheint heiter und hell König Christian und vernimmt von seinem Rat die willkommene Kunde, daß der Adel jetzt ganz zum König stehe, nachdem dieser die alten Rechte öffentlich beschworen habe; nur Wolfgang Pogwisch sei nicht zu gewinnen. Den aber nimmt der König auf sich. Der Adel bleibt dann zunächst allein, und Schack Rantzow, dessen eherne Größe dem König unheimlich ist, betont, daß nicht um den König, sondern um den Grafen-Herzog Schleswig-Holsteins Adel versammelt sei. In die allgemeine Huldigung tritt Graf Gert und will dem König ein Versprechen abtrotzen, der weigert sich dessen und der Graf wird von dem königlichen Bruder gefangen gesetzt. Wolfgang Pogwisch läßt sich nicht vor den König holen und folgt nicht dem Befehl, sondern erst königlicher Bitte. Er will Rantzow nicht den Verrat an dem Vater verzeihen, ja, er nennt ihn dessen Mörder. Rantzow aber erklärt, er hätte aus Klugheit so handeln müssen und würde gegen seinen eignen Bruder ebenso gehandelt haben wie gegen den Schwager:
Verzeih mir, Pogwisch, wenns zu hart dir scheint.
Der König, der schon vordem immer wieder aufsteigenden Zorn klug zu bändigen verstanden hat, beendet den Kampf, indem er Frau und Tochter Schacks hereinführen läßt, vor deren Anblick denn freilich auch Wolfgang Pogwisch den Trotz nicht bewahren kann; und der Herrscher hat das letzte Wort: 226
Schlägt rauh und roh des Mannes schwere Faust
Langjähriger Freundschaft wohl den Boden aus,
Seis ungestüm in Jähzorn und Verblendung,
Seis durch Berechnung, kluges Für und Wider –
Im Augenblick knüpft oft das alte Band
Ein Liebeswort und eine Frauenhand.
Schack Rantzow und Henning Pogwisch sind, wie sie in der Dichtung auftreten, nicht nur Gegensätze in der äußern Parteistellung; der Angelpunkt ihrer Gegnerschaft liegt tiefer. Schack ist ganz Staatsmann, hat Stahl und Willen und übersieht in jedem Augenblick sofort alle möglichen Folgen einer Handlung. So rasch wie der Pogwisch einen Bewerber für den Thron nach dem andern vorschlägt, so rasch verwirft Schack mit unwiderlegbaren Gründen jeden einzelnen; jener handelt nach aufwallenden Empfindungen, nach »Sentiments«, dieser nach staatsmännischen Erwägungen, jener ist der Gefühlspolitiker, dieser der Sachpolitiker. Dabei aber entbehrt Schack keineswegs weicher und herzlicher Züge, ist nicht bloße Verkörperung eines blutleeren Grundsatzes; und das gibt auch seiner an sich sittlich unzulässigen Handlungsweise gegenüber Henning eine Art Recht, und das um so mehr, als ihn die Tat selbst bitter schwer ankommt und er damit die Liebe seiner Frau und seines Kindes aufs Spiel setzt. Es lebt in ihm eine Spur von jenem Bismarck, der wußte, daß der unvolkstümliche Feldzug von 1866 auch für ihn alles, unter Umständen Leben und Ehre, bedeuten konnte, und der doch im Gefühl der staatsmännischen und völkischen Verantwortlichkeit seine schwere Entscheidung traf.
Mit sicherm Griff hat Liliencron eine scheinbar überflüssige Gestalt eingeführt, den uralten Erich Krummendieck. Der hat einst Verrat begangen, ist dann zum heiligen Grabe gepilgert und hat vom Papste Lossprechung seiner Sünden erbetet. Nun kehrt er zurück, mitten in die erste Streitigkeit der Ritter um die Thronfolge hinein. Ihm gegenüber aber sind sie sofort einig und lassen den Verräter, der einst gegen Holstein gefochten hat, allein sterben. Liliencron wollte durch dieses Bild eines wirklichen Verräters ein deutliches Gegenstück zu Schack Rantzow schaffen, den Pogwisch für einen Verräter hält.
Ganz blaß sind die Frauen geblieben; liebenswürdig und in dem einen knappen Akt verständlich ist dagegen König Christian herausgekommen; des großen Zieles wegen unterdrückt er selbst stillen 227 Widerwillen gegen das stolze Haupt des Holstenrats Schack Rantzow und endet im Gegensatz zu dem wilden, verbissen ehrgeizigen Gert das Spiel lieber mit einem guten Wort als mit einem bösen Schlag.
Zwischen die Haupthandlung hat Liliencron noch ein paar Nebenvorgänge geschoben. Graf Gert von Oldenburg liebt Caja Wohnsfleth, entführt sie und wird von ihrem Bruder vergeblich bekämpft, um so vergeblicher, weil Caja den Grafen wiederliebt und bei ihm bleiben will. Dieser Bruder Cajas, der Ritter Wulff Wohnsfleth, ist ein Träumer. Schon in dem großen Ritterstreit des ersten Aufzugs vermag er keine Partei zu wählen und ist ganz in seltsame Erinnerungen versenkt. Seine Liebe gehört Heilwig Rantzow, der Braut des jungen Pogwisch, und da er diesen später im Zweikampf besiegt, schont er sein Leben: um Heilwigs willen. Er erwacht erst aus seinem Halbschlafzustand, als er die Entführung seiner Schwester erfährt, stellt sich starr wie ein Erzbild mit dem nackten Schwert vor die Tür des Saales (im vierten Aufzug), verweigert Gert den Abzug und wird von Heyno mit dem Bogen hinterrücks erstochen.
Daneben laufen noch allerhand andere episodische Geschehnisse: die Meldung vom Tod des alten Herrschers bringt jener Josias Qualen, dessen steinerne Gestalt als Wächter des wahnsinnigen Königs Christians des Zweiten von Dänemark Liliencron schon vordem in einer Skizze festgehalten hatte. Ein andermal, in den »Dithmarschen«, erzählt Liliencron von Detlev Bockwoldt, der als Abgesandter des Königs Hans die Häupter der Republik in Heide sämtlich unter den Tisch getrunken und zum Schluß, nach der Leerung eines Helmes voll Rotwein, lachend, hoch zu Roß verlassen hat. Dieser Bockwoldt tritt in den »Rantzow und den Pogwisch« als Ritter Detlev Buchwaldt auf, auch hier ein behäbiger Trinker, der jedoch kein Falstaff sein soll. Seine Gestalt fand Liliencron selbst »gut geraten«, und es ist sehr fein, wie Detlev an der Leiche Wulff Wohnsfleths, durch den Kampf erschöpft, nach der männlichen Totenklage doch wieder den Becher sucht.
Mein alter Vetter Wulff! All Fehd ein End!
Und konnt ich auch die vielen Faselein,
Mit denen nutzlos du dich plagtest, nicht
Verstehn; und hast du auch die Linke mir
Zerfetzt, nimm meine rechte Hand zum Abschied.
(er legt die Hand auf Wulffs Stirn. Zu seinem Gefolge:)
Hebt ihn behutsam auf . . . (es geschieht) 228
So . . . sachte, sachte . . .
Und tragt ihn zur Kapelle, wo die andern
Schon zahlreich schlafen aus dem heißen Tag,
Vom Tode brüderlich ans Herz gepreßt.
(Das Gefolge trägt die Leiche weg. Detlev Buchwaldt sieht ihnen eine Weile nach, dann wendet er sich wieder ins Zimmer und sagt sehr harmlos, als wenn nichts geschehn, aber ohne jeden Ausdruck von Roheit und Gefühlslosigkeit [kein Bajazzo], langgezogen:)
Was? – – – – – –
Hat nicht der Krug auf jenem Tisch gestanden? . . .
Ein Trunk nach dieser Pein . . . . Da muß ich doch . . .
(Er verschwindet durch die Mitteltür.)
Diese bezeichnende Andeutung für die doch ganz adlige Derbheit Buchwaldts ist ein Meisterstückchen Liliencrons.
Wertvoller als dies heitere Zwischenbild war Liliencron selbst doch wohl die Darstellung Wulff Wohnsfleths. In ihm steckt ein gutes Stück Selbstbildnis, und er ist auch mit Knut Laward verwandt. Letzten Endes aber weist diese Rittergestalt auf eine andere Quelle zurück. Die Standesgenossen sind versammelt und Wulff unter ihnen. Er ist vom Marschall entboten, er muß wissen, um was es sich handelt, er hat den lebhaften Gesprächen beigewohnt; als aber Schack Rantzow ihn fragt:
Wulff Wohnsfleth geht mit uns?
da erwidert er (trocken):
Das weiß ich nicht,
Erst will ich mein Gebet am Grabe sprechen.
(Vollständig wie abwesend, mit auf einen Punkt gerichteten Augen)
– – – Eine gelbe Rose will ich
Auf seinen schwarzen Marmorsarg hinlegen,
Und wenn die Morgenröte durch die Scheiben
An Sarg und Rose Lebensgrüße sendet,
Will ich am Pfeiler stehn und sie betrachten
Und über die Vergänglichkeit nachsinnen! (kleine Pause)
Des Lebensgottes scharf geschwungne Peitsche
Treibt unbarmherzig uns und mitleidlos 229
Von Ort zu Ort, bis in der Gruft wir endlich
Mit vielen, vielen Wunden Ruhe finden.
(Er bleibt, starrend, mit etwas geöffnetem Munde, stehn, bis er wie aus einem Traum erwacht.)
Dann wieder findet er zu überrascher Tat den Mut, und ein andermal ist er mitten im Kampf von Träumen und von Gedanken an Heilwig Rantzow erfüllt, der er sich nie ganz offenbart hat.
Das alles sind Kleistsche Züge. Das läßt an den Prinzen von Homburg denken, wie er, ein Schlafwandler, im Mondlicht des Schloßgartens sitzt, wie er im Nachgenuß des vermeintlich Geträumten unter den nüchternen Unterführern Dörflings steht und dann jäh vorstürmt. Und andere Züge erinnern an das Käthchen von Heilbronn. Noch deutlicher aber wird der Einfluß Kleists spürbar in jenem entscheidenden Vorgang, da der Rantzow den Pogwisch binden läßt. Henning geht ab und will Schack die Hand zum Abschied geben; der aber sieht weg, ohne die Hand zu ergreifen, und beobachtet dann am Fenster, was geschieht. Oligarda Rantzow stürzt herein:
Du hast es nicht gewollt! Sprich Nein, Sprich Nein!
Der Ritter ist von Knechten übermannt!
Und sie steigert sich weiter bis zu dem Wort »Verräter«.
In der »Familie Schroffenstein« ist Jeronimus von Schroffenstein (im dritten Aufzug) bei Rupert erschienen, um eine Botschaft des Sylvester zu überbringen. Als Rupert ihn gesehen hat, ist er noch einmal abgegangen und hat seinen Vasallen Santing gerufen. Jetzt scheiden sie, Jeronimus vor der starren Kälte des Vetters erschreckend. Kaum ist er fort, da stürmt Eustache, Ruperts Frau, herein und läßt uns am offnen Fenster miterleben, wie Jeronimus von den Knechten des Hauses gefällt wird. Sie schreit dem Gatten ihr »Rette, rette« entgegen und nennt ihn schließlich einen Mörder.
Die beiden Handlungen gehen völlig parallel. Kleists Einwirkung gegenüber ist der Einfluß Shakespeares in den »Rantzow und den Pogwisch« bedeutend geringer als im »Knut« – man müßte denn gerade die auch hier festgehaltene Scheidung von Männern und Frauen im Personenverzeichnis übermäßig betonen. Der Eindruck des Ganzen ist bei weitem stärker als der des »Knut«, weil keine Gestalt so bis zur Unwahrscheinlichkeit auf ein Gefühl gestellt ist wie der Laward und keine so erklügelt erscheint wie Ulvilda. Nur wirken 230 im dritten und vierten Aufzug die Auftritte und Abgänge meist unbegründet, ja, im vierten erscheint die Zusammenfassung auf einen Schauplatz höchst unwahrscheinlich. Da hat Liliencron stark an die Aufführungen und die Möglichkeiten der Bühne gedacht, die ihm den hier der Anlage nach notwendigen raschen Wechsel des Schauplatzes verboten – nur besaß er nicht das theatralische Geschick Wildenbruchs, der auch mit wenigen Verwandlungen auskam, aber die Vorgänge weit fester zu verknüpfen wußte. Einzelne Szenen des Dramas sind von hinreißendem Schwung, und überall bricht die lyrische Bilderfülle Liliencrons durch:
Was ist denn Glück?
Ein blanker Edelstein, herangekrallt
Aus Schutt und Schlamm mit giergereckten Fingern?
Der Nächste schlägt im nächsten Augenblick
Ihn aus der Hand dir schon, und lacht dich aus.
Was ist denn Glück? Ein einsam Träumerleben,
Das nicht die grause Menschenzunge stört?
Ein Leben aus dem Vollen? . . . Wenn ein Mädchen,
Du liebst sie, stammelnd haucht: Ich liebe dich!
Was ist denn Glück? (heftig, rasch)
Der dolchgeschmückte Haß,
Des Feindes Herz zu stückeln, wos nur sei!
(Pause)
Als Helmzier flammt mir nun die gelbe Blume,
Die schwefelgelbe Blume Eifersucht!
Fortwährend vernehmen wir, wie in diesen letzten Worten, Motive, die der Dichter ein andermal lyrisch gestaltet hat.
Die »Rantzow und die Pogwisch« waren Liliencron besonders ans Herz gewachsen. Er hat sie aber zweiundzwanzig Jahre lang nicht auf der Bühne erblickt, obwohl sie immer wieder hinausgesandt wurden. »Zum Kuckuck: Hinreißend würde es sich anschauen und ansehen, wenn: ›Die Rantzow und die Pogwisch‹ gegeben würden«, so schrieb er am 6. Februar 1886 an Karl Bleibtreu. Das Drama erschien 1885 bei Wilhelm Friedrich. Der Dichter hatte es im August auf eigne Kosten zu Hamburg in zweihundert Exemplaren drucken lassen, von denen 1895 noch sechs vorhanden waren; er gab es Wilhelm Friedrich, als Ersatz für erteilte Vorschüsse, ohne Entgelt hin. Das Stück ward im Jahre 1905 in den sämtlichen Werken wieder 231 abgedruckt, ohne daß Liliencron es verändert, ja, ohne daß er offenbare Druckfehler getilgt hätte. Am 21. März 1908 erst kam es auf die Bretter: im Friedrich-Wilhelmstädtischen Schauspielhaus zu Berlin unter Leitung Oskar Wagners; der starke Erfolg der Aufführung galt wieder nur dem Dichter, nicht dem Werk.
Ein Drama, das hundert Jahre später in Mitteldeutschland spielen und einen Patrizier, Hans Wetken, vorführen sollte, als fünfaktiges Trauerspiel geplant, hat Liliencron niemals ausgeführt. Er ging vielmehr in seinen dramatischen Dichtungen aus der deutschen Vergangenheit in noch ältere Zeit zurück, aber freilich aus der engeren Geschichte seiner Heimat hinaus und schuf nun, die eine Lieblingsstadt mit der anderen vertauschend, das Trauerspiel
Der Trifels und Palermo.
Im September 1885 entstand in Liliencron der Plan zu diesem Stück; er arbeitete Wilhelm von Giesebrechts »Geschichte der Deutschen Kaiserzeit« durch und suchte durch briefliche Anfragen in der Hardt ein Bild der deutschen Örtlichkeit zu gewinnen. Er rühmte den Riesenstoff, »welche Zeit, welche Namen!« Im Oktober begann er mit der Niederschrift, mußte dann aber aus Mangel an Papier und unter dem Druck von Sorgen bis nach Weihnachten warten, ehe er wieder an das Werk kam – dann hat Liliencron die Dichtung im Januar 1886 »starrend vor Frost« in tiefster Einsamkeit binnen zwei Wochen niedergeschrieben.
Er nennt sie ein Trauerspiel in vier Akten – »Knut« hieß Drama, »Die Rantzow und die Pogwisch« hießen ein Schauspiel. Im Mittelpunkt steht der Hohenstaufe Kaiser Heinrich der Sechste, den Liliencron brieflich als »den bekannten Blutmenschen, gegen den Richard der Dritte ein Wickelkind war«, charakterisiert. Heinrich der Sechste war 1165 als Sohn Friedrich Rotbarts geboren und hat, jung zum König gekrönt, nach dem frühen Tod seines Vaters auf dem Kreuzzug, den größten Teil seiner Kraft dem Kampf um Sizilien gewidmet. Im Jahre 1194 hatte er die Insel aufs neue erobern müssen, und die Witwe Tancreds von Lecce, der wenige Jahre als König geherrscht hatte, war mit den Ihren freiwillig zu Heinrich gekommen und hatte ihre Unterwerfung angeboten. Er hatte diese angenommen, ließ dann aber, gegen sein gegebenes Wort, die Königin mit ihrem Sohn als Gefangene nach Deutschland bringen. Zwei Jahre später kam es zu einer Verschwörung des sizilianischen Adels und 1197 zu einem Aufstand, bei dem insbesondere Palermo abfiel, wo Heinrich seine 232 Gemahlin Constanze als Statthalterin zurückgelassen hatte. Die Erhebung ward erbarmungslos niedergeschlagen, aber ehe Heinrich die Frucht des Sieges auskosten konnte, am 28. September 1197, starb er. Sein Porphyrsarg steht im Dom zu Palermo.
In das Gerippe dieser geschichtlichen Vorgänge führte Liliencron zum Zweck dramatischer Belebung, wie beim »Knut«, eine Nebenhandlung ein, die schließlich zur Haupthandlung ward: er läßt Kaiser Heinrich in Liebe zu Irene von Griechenland, der Braut seines Bruders, des Herzogs Philipp von Schwaben entbrennen. In Wirklichkeit war Irene die Tochter des oströmischen Kaisers Isaac Angelus und das Gemahl Philipps von Schwaben. Der abgesetzte Kaiser Isaac Angelus wollte mit Hilfe Heinrichs den Thron wieder erlangen und dann Philipp zum Erben seines Reiches ernennen.
Das Stück heißt »Der Trifels und Palermo« und verbindet in der Aufschrift so unbesorgt die beiden Schauplätze, wie etwa Rudolf Lindau in seinem Roman »Der Fanar und Mayfair«, eine in Deutschland seltene, rein äußerliche Art der Titelfindung. Der erste und der dritte Aufzug spielen auf dem Trifels, einer Reichsfeste im Hardtgebirge, der zweite und vierte zu Palermo in der Hauptstadt Siziliens. Im ersten Aufzug wird Heinrichs Auftreten sorgsam vorbereitet. Der Burggraf des Trifels, Ottnand von Falkenstein, läßt durch seine Anordnungen die grause Strenge des Herrschers durchscheinen, und in den Träumen, von denen er erzählt, tauchen der widerrechtlich gefangengehaltene Richard Löwenherz, der milde Vater Heinrichs Friedrich Barbarossa, und der vom Kaiser bekämpfte Papst Cölestin auf, während Heinrich selbst wie ein Erzbild in der schwarzen Nacht erscheint. Auch in einem Gespräch zwischen Matthäus, dem Kanzler von Sizilien, und der gefangenen Königin Sybilla hören wir von Heinrichs Grausamkeit, seiner Kunst, alles auszuspähen. Der feinfühligen Irene wird schon Heinrichs sonderbares Wesen ihr gegenüber spürbar; aber der Bräutigam, der herzensfrohe Philipp widerspricht:
Nein, nein, niemals. Es kann nicht sein.
Der Kaiser kennt kein zärtliches Gefühl.
Und nun erscheint Heinrich, »schmächtig, mittelgroß; wachsbleiches, bartloses Gesicht; schwarze Haare«. Er und sein Gefolge sind zur Reise nach Sizilien gerüstet, und gerade bringt ein Bote die Nachricht, daß die Schätze der Normannen entdeckt und zweihundert Saumtiere mit ihnen nach dem Trifels unterwegs sind – er wird, um nichts 233 verraten zu können, sofort getötet. Nacheinander melden Abgesandte Englands, Böhmens, Genuas und Pisas die Gefolgschaft ihrer Herrscher und Städte, die kaiserlich belohnt werden; als aber ein dänischer Ritter anzeigt, daß Knut der Sechste die Huldigung weigert, bricht der Kaiser furchtbar aus. Er geht »langsam, wie schleichend, auf den fest stehenbleibenden dänischen Ritter zu; dann sagt er langsam mit vor Wut zitternder Stimme, dem Ritter scharf, dicht in die Augen schauend:
Er weigert sich?
(ausbrechend, laut, wütend, schnell)
Soll ich dich morden, Mensch,
Und deine Rippen ihm als Antwort senden?
(ruhig, bestimmt, furchtbar)
Am ersten Weihnachtstage soll dein König
Im Dome von Palermo vor mir knien.
Und kommt er nicht, verschenk ich seine Länder,
Verschenk ich, hörst du mich, verschenk ich sie.
(kleine Pause)
Zweihundert Ritter, meld ihm, soll er senden
Zu meinem Zuge nach Jerusalem.«
Da an dem allein zurückgebliebenen Kaiser, den einen Augenblick etwas von deutschem Heimgefühl überkommen hat, Irene vorbeigeht, taucht, ganz leise noch, der Wunsch, sie zu besitzen, in ihm auf:
Erbtochter Griechenlands – wie schön bist du . . .
Nun schluchz dich aus in deiner Kemenate
Um Philipp, deinen blonden Fant . . . . (streng) Will ichs,
Im kurzem folgst du zitternd nach Palermo,
Und Philipp bleibt als Reichsverweser hier.
Durch Ottnands Augen sehn wir den Kaiser in der Ferne gen Süden abziehn, und Sybilla stellt ihren, von Heinrich geblendeten Sohn, den kleinen König Wilhelm, auf die Burgzinne, in wütendem, gellendem Haß gegen den Bezwinger.
Der zweite Aufzug zeigt die milde Kaiserin Constanze in ihrem Garten zu Palermo inmitten eines bunten, phantastischen Gefolges. Zu ihm gehört der Dichter Acerrino, der in weichen Ottaverimen die 234 Schönheit Siziliens preist; Liliencron schwebte dabei wohl der 1196 von Heinrich hingerichtete Graf von Acerra vor. Schwere Klagen werden laut über die Deutschen, die ringsum geschwefelt und gesengt hätten – die Kaiserin sagt ihren Landsleuten Schutz zu. Was geschehn ist, erfahren wir durch Matthäus und zwei deutsche Begleiter Heinrichs: der Kaiser hat den Normannenführer im Zweikampf besiegt, alles unterworfen und selbst durch die Pest im Lager sich nicht vom Weg abbringen lassen; er hat, den Zeigefinger scharf nach Osten streckend, auf Indien als sein Ziel hingewiesen. Der eintretende Herrscher belohnt seine deutschen Getreuen großartig, aber im Hintergrund seiner Gedanken wacht das Bild Irenes, es wacht auch durch die Gespräche mit den Genuesern und Pisanern, deren Wünsche nicht erfüllt werden, mit der Kaiserin, über deren Statthalterschaft er unzufrieden ist, vor der er aber, der schaulustigen Menge wegen, in scheinbarer Zärtlichkeit niederkniet. Endlich ringt sich, um Irenens willen, ein Entschluß in ihm los: Heinrich muß den Papst für sich haben, um die Scheidung von Constanze zu erlangen, er sendet den Erzbischof von Palermo nach Rom und läßt dem Papst sagen, daß der von diesem gewünschte Albert von Brabant an Stelle des von Heinrich eingesetzten Lothars von Hochstaden Erzbischof von Lüttich werden solle. (In Wahrheit hat Heinrich den Grafen Albert von Brabant ermorden lassen.) Alle Wirrnis der Gefühle schäumt zu brodelndem Ausbruch auf, als Matthäus und die Kaiserin für das sizilianische Volk Milde erflehen – Matthäus soll eine glühende Krone aufs Haupt genagelt werden, und da die Kaiserin für ihn bittet, beugt sich Heinrich über die Kniende und spricht furchtbar:
Fiel nicht von meiner Schulter dir ein Zipfel
Des Purpurmantels, der den Kaiser schmückt,
Auch dich bekränzt ich mit der heißen Krone.
Wie der zweite Akt mit Versen des italienischen Dichters begann, fängt der dritte mit Gesängen deutscher Bauern an. Ganz überraschend für alle kommt auf den lenzgrünen Trifels die Kunde, daß der Kaiser schon wieder in Deutschland sei – selbst Philipp, der im Jagdanzug auf den Hof kommt, weiß es noch nicht. Irene sieht in unerklärlicher Angst dem Verlobten nach – da überrascht sie der Kaiser, er fällt ihr glühenden Auges, fiebernd zu Füßen, spricht seine Liebe aus. Wie in dem Gedicht: »Den Dolch aus der Scheide, dir nach in den Tod!« ruft Heinrich hier in höchster Leidenschaft: 235
Ich liebe dich . . . Stoß mir ins Herz den Dolch,
Und jeder Tropfen meines Blutes ist
Ein Liebesgott . . . Aus meiner Wunde dampft
Zum Himmel auf das Wort: Ich liebe dich.
Irene reißt sich von ihm los; der Kaiser aber, obwohl er sich als krank geschossen empfindet, sieht sie schon, noch vor der Herbsternte, als sein Weib, während er für Philipp einen Uriasauftrag erwählt. Er läßt sich durch Ottnand verbergen, niemand soll um sein Hiersein wissen, und leise deutet sich das letzte Geschick an; denn Acerrino, der als fahrender Sänger zu Sybilla gekommen ist, entpuppt sich nun als ein Abgesandter der Sizilianer und lädt die entthronte Königin ein, mit Hilfe der Ihren, der Pisaner und Genueser, die Heinrichs Härte gereizt hat, den Thron aufs neue einzunehmen. Irene kann und will sich in ihrer Verstörtheit Philipp noch nicht offenbaren, immer wieder sieht sie den Kaiser unbeweglich vor sich stehn. Und so bereiten sich die abschließenden Schicksale des letzten Aufzuges vor, der uns den Kaiser, über die Empörung zum Herrn geworden, den Fuß auf dem Nacken eines toten Aufrührers, zeigt. Eine letzte Fehde muß noch ausgefochten werden: die Genueser und Pisaner rücken an und an ihrer Spitze, im Turm eines Elefanten, Sybilla mit Wilhelm. Heinrich eilt zum Kampf vor die Stadt. Irene hat sich auf heimlichen Wegen in Pagentracht (ein Lieblingsmotiv Liliencrons) nach Palermo durchgeschlagen. Sie sucht Schutz bei der Kaiserin, die sehr matt erscheint, und aus deren Gespräch mit dem Erzbischof die Ahnung eines nahen, freiwilligen Todes aufklingt. Schon meldet Pappenheim, daß der Kaiser wieder gesiegt und Sybilla und Wilhelm in Fesseln gelegt hat. Da beide erscheinen, verlangt der Kaiser die Namen der Mitverschworenen, bedroht für den Fall des Schweigens Sybilla mit Blendung und Trennung von dem Sohn; aber mitten in das Gespräch hinein tritt Irene, die der Kaiser vorgebeugten Leibes anstarrt:
So will ich handeln jetzt, und nicht mehr zaudern.
Schießt auch das Rad der Zeit an uns vorüber,
Unsichtbar, lautlos . . . ich . . . ich halt es auf:
Den Augenblick brech ich aus seinen Speichen,
Und laß es weiter in die Tiefen laufen.
Ehe er aber seine Pläne enthüllt hat, kommt die Kaiserin. Er verkündet ihr seinen Willen zur Scheidung, und da der Erzbischof den 236 Widerspruch des Papstes und seinen Bann verkündet, bricht Heinrich wild aus:
Greift einen Mönch mir von der Straße auf,
Er soll mich scheiden; ich, der Kaiser wills.
Er ernennt Philipp, der Siegesbotschaft von Syrakus bringt, zum Statthalter Siziliens und befiehlt ihm:
Verbrenn die Ernten auf der ganzen Insel,
Schneid jedem Baum ins Leben, daß er stirbt,
Verbiete jedem Hause, jedem Herde,
Daß sie des Feuers Segen sich erlauben.
Und so verwüst ich ganz Sizilien bald
Und stempel dem Bewohner auf die Stirn
Rotglühend heißen Schandfleck: Sizilianer!
Da erbarmt sich die Kaiserin, sie, die Normannentochter, ihres Stammlandes. Aus einem Fläschchen, das sie vorher dem Erzbischof gezeigt hat, tröpfelt sie unvermerkt Gift in einen Becher und kredenzt den dem Kaiser als letzten Trunk:
Dann wollen wir uns scheiden lassen, Heinrich.
Sie selbst läßt sich, alsbald nach dem Zutrunk schwach geworden, hinwegführen; aber auch der Kaiser kann seinen Befehl nicht beenden.
Der kalte Trunk . . . mein Herz steht still . . . Anweiler,
Heinz Pappenheim . . . (diese stützen ihn sofort) nach Indien! Her den Hengst . . .
Karthago will ich haben . . . Afrika . . .
Irene . . . Deutschland . . . Deutschlands Größe – will ich . . .
Mein Herz . . . ach . . . wie – klein – stirbt – der Herr – der Welt . . .
Und Philipp spricht, während der Erzbischof auch den Tod Constanzes meldet, ein Schlußwort.
Dieses Schlußwort hat Liliencron große Beschwerde gemacht. Am 5. Februar 1886 schreibt er an Karl Bleibtreu, daß der Theaterverlag von Felix Bloch in Berlin das Drama nehmen wolle, jedoch anheimstelle, noch einen Epilog zu schreiben. »Wer soll den halten, 237 da möchte ich Sie eben um Rat fragen. (– Herzog Philipp? –)« Und am nächsten Tag fährt Liliencron fort: »Diese Nacht ist mir in Betreff des Epilogs eingefallen, daß Philipp ihn zu sprechen hätte! Also erst: ein wenig: allgemeines Gesumse: Ehrgeiz: Ziel, und ähnlicher Moralwischwasch, und dann Schluß: 2 Verse, die ansagen, daß dem Kaiser Deutschland über alles ging, daß er Deutschland hoch haben wollte p. p. Also ähnlicher Schluß wie etwa der Schluß vom Prinz von Homburg. – – –«. Genau nach dieser Vornahme hat Liliencron dann gearbeitet. Herzog Philipp spricht:
Die Sonne wollte Kaiser Heinrich hindern,
Wenn besser ihm die Nacht zum Zwecke dünkte.
Die Sonne doch ist Gottes großes Herz,
Und keines Menschen Hand darf Halt ihr winken.
(Kleine Pause)
Nun schüttert es von Island bis zum Aetna:
Der deutsche Kaiser Heinrich ist gestorben.
(Sich zur Leiche beugend)
Wenn auch dein Ehrgeiz unermeßlich war,
Bis ihn des Himmels Blitz in Asche legte,
In fernste Zeiten klingt das Wort dir nach:
Du wolltest Deutschlands mächtigen Adlerflug,
Und Deutschland war dein letzter Atemzug.
Liliencron berichtet noch, daß Fedor von Perbandt, damals Lektor bei Bloch, ein feinfühliger und sehr kunstverständiger Mann, dessen Urteil ich noch in seinem höchsten Alter würdigen konnte, ihm geschrieben habe: das Drama wäre noch immer nicht breit genug, zu aphoristisch. Das entspricht genau dem Urteil Rudolfs von Gottschall über »Knut«.
Damit hatte Perbandt gewiß recht: alle Dramen Liliencrons, und so auch dies, haben einen zu kurzen Atem, und man merkt dem Dichter auch an, wie sehr er das empfindet: daher vor allem die Einschaltung der schönen Erzählung vom Tode Friedrich Rotbarts im dritten Aufzug, eine verkappte Ballade im Uhlandstil, von Ottnand gesprochen, wundervoll farbig, aber ohne Bedeutung für das Drama und lediglich hier eingestellt, um den Verlauf des Aktes nicht allzu kurz und sprunghaft zu machen.
Von den Charakteren des Stückes sind die drei Frauen, Sybilla, Constanze und Irene, am reinsten durchgeführt, neben ihnen die 238 deutschen Ritter Pappenheim und Ottnand – kurz, gerade diejenigen Gestalten, die auf ein einfaches Gefühl gestellt sind: Sybilla ist ganz Rachedurst und Mutterliebe, Irene bräutlich bang, voll Liebe für Philipp, voller Abscheus gegen Heinrich, Constanze weich, gerecht und schließlich heldisch, da Heinrichs Grausamkeit alles Maß überschreitet, die Ritter deutsch, eckig, treu, und Pappenheim mit einem Einschlag von gesundem, hausväterlichem Humor.
Am schwierigsten war die Gestaltung Heinrichs. Liliencron kannte offenbar das Wort des byzantinischen Chronisten Nicetas: Heinrich sei wie der Herr aller Herrscher, wie der König aller Könige mit seinen Forderungen aufgetreten. Und er kannte, wie ich annehmen möchte, auch das des Otto von St. Blasien: »Alle Stämme Deutschlands werden in Ewigkeit den Tod des Kaisers Heinrich beklagen, denn er hat sie berühmt gemacht und gefürchtet bei allen Völkern im Umkreis.« Er wollte die dämonische Grausamkeit und den riesenhaften Eroberertrotz Heinrichs, seine Brutalität im Fordern dadurch heben, ihr dadurch einen großartigeren Zug geben, daß er die quälende Liebe zu Irene daneben stellte – soweit ist Liliencron das Gewollte auch gelungen, er hat in Heinrich eine Gestalt von dämonischem Reiz geschaffen, der wir die Grausamkeit und die Liebe aufs Wort glauben; nur das besonders Deutsche glauben wir ihr nicht, und die Anflickung des Schlusses ist da unbedingt verräterisch. Mit Recht erinnert Liliencron selbst an den Ausklang des »Prinzen von Homburg« – aber wie anders ist hier das vaterländische Motiv vorbereitet, so daß es nicht wie ein störendes, wunderlich nachklingendes Hurra angefügt wird, sondern aus dem tiefern Gehalt des ganzen Dramas herauswächst. Liliencron wollte »mit vollem Bewußtsein einmal ganz groß deutsch sein«; »ich habe uns Deutschen gezeigt, daß wir die größte Nation sind. Wir Deutsche leiden ja nicht allzu viel an Selbstruhm. In dem furchtbaren Größenwahnsinn Heinrichs zeigt sich deutsche Tapferkeit, und durch und durch ist er: ein Deutscher. Es war mir eine Lust und ein stolzes Vergnügen, einmal ein großes Bild unseres herrlichen Vaterlandes zu zeigen, und zugleich die ungeheure Macht und Bedeutung der Hohenstaufen.« Wir werden sagen müssen, daß der Reiz des Dämonischen in Heinrich und seine Liebe zu Irene hier doch stärker auf Liliencron wirkten als der deutsche Gedanke, so daß auch wir gerade den von ihm besonders gewünschten Eindruck nicht haben.
Nicht nur an den »Prinzen von Homburg«, sondern auch an den »Robert Guiskard« Kleists ist bei »Trifels und Palermo« zu denken 239 – Constanze ist ja aus Guiskards Blut. Liliencron hatte sich 1884/1885, wohl zum erstenmal, sehr eingehend mit Kleist beschäftigt und damals auch ein Gedicht »An Heinrich von Kleist« geschrieben, das Storm sehr Liliencronisch, aber im wesentlichen stimmend fand. Deutlich trugen ja die »Rantzow« die Spuren dieser liebevollen, nachspürenden Lesung. Im »Trifels« klingen aus der Schilderung der Pest und des mitten unter ihr schweigenden Heinrichs Erinnerungen an »Guiskard« empor. Liliencron selbst schob sein Stück zum guten Teil Bleibtreus »Nibelungennot« zu – ich halte das mehr für eine Liebenswürdigkeit gegenüber Bleibtreu. Gewiß aber hat Liliencron auch von Bleibtreus Aventiure und, wie ich vermute, auch von Felix Dahns Dramen einzelne Anregungen empfangen; er berührt sich mit Dahns Ausdrucksweise mannigfach, was bei zwei ausgesprochenen Balladentalenten auch kein Wunder ist (Dahn hat übrigens Liliencrons Größe früh erkannt und geschätzt). Auch an »König Ottokars Glück und Ende« mahnt der »Trifels und Palermo« im szenischen Aufbau zweimal. Es ist eben bezeichnend, daß Liliencron selbst sich als Dramatiker beständig hier und da angeregt fühlt – seine eigne Natur dringt selbständig und groß immer wieder nur in Einzelheiten, zumal im Lyrischen, durch.
Viel Freude hat der Dichter an diesem Trauerspiel nicht erlebt; es erschien noch im Jahre 1886 bei Wilhelm Friedrich und dann unverändert 1905 in den Sämtlichen Werken. Karl von Perfall der Ältere nahm es für die Münchener Hofbühne an, und hier ward es am 26. September 1893 zum erstenmal gespielt, zusammen mit dem »Buch Hiob« von Hermann Hölty und Leopold Adler. Die Teilnahme der Hörer erlahmte von Aufzug zu Aufzug. Die Kritik der »Allgemeinen Zeitung« sprach dem Stück jeden dramatischen Charakter ab und meinte, die Menschen hätten alle keine Entwickelung – wohl fehlten nicht Stellen voll Kraft und Nachdruck, aber alles zerflattere in einzelne Situationen. Das Drama sei alles, nur nicht realistisch. Max Bernstein in den »Neuesten Nachrichten« schrieb aus wärmerem Gefühl für Liliencrons Bedeutung, die Dichtung sei in besonderem Maße von den Goldadern echt Liliencronscher Lyrik durchzogen, aber freilich bleibe der Dramatiker hinter dem Lyriker und Novellisten weit zurück. Bernstein verzichtete auf den Nachweis des Mißlingens im einzelnen, weil Liliencron ein Dichter sei – »und es ist nützlicher, das Publikum auf die guten Werke eines Dichters hinzuweisen, als durch die Ausmalung seiner Mängel die Philisterfreude an den Schwächen eines Starken zu nähren.« Trotz der guten Darstellung 240 durch Remond, Schneider, Stury und die Schauspielerinnen Schwarz, Bland und Hofmann blieb es bei zwei Aufführungen.
Einen großen Triumph beging der Dichter freilich still für sich: Theodor Storm fand warmes Gefallen an dem Drama. »Geehrter Herr von Liliencron«, schrieb er am 11. Juni 1886 aus Hademarschen, »das Pfingstfest soll doch nicht vorübergehen, ohne daß ich Ihnen meine Freude über Ihr »Trifels und Palermo« ausgedrückt habe. Ich habe es erst für mich allein, und dann meiner Frau und zwei Töchtern und einer andern Dame vorgelesen; ich kann Sie versichern, daß der Erfolg ein außerordentlicher war, die leidenschaftliche Aktion, die knappe, unmittelbare Darstellung, besonders auch das Ende des ersten Aktes, wie die Sybilla auf die Bühne stürzt; aber auch weiter, den Ausgang nicht ausgeschlossen, hat er alle hingerissen. Ich wollte, ich könnte den Leuten Ihre Tragödie zu Gehör bringen, wo es darauf ankommt. Sehr geschickt und richtig haben Sie dem Helden nicht nur eine große Leidenschaft (für die Irene), sondern auch, wenn auch nur aus der Tiefe und vorübergehend, einen Hauch von deutscher Sentimentalität mitgegeben; er wird uns dadurch menschlich näher gebracht, es ist auch etwas in ihm, das ihn regiert, dem er sich unterwerfen muß; sehr richtig haben Sie dem normannischen Königskinde nur die paar notwendigen Worte gegeben: der Pappenheim ist eine gute Seitenfigur. Sybilla, Irene, Constanze – es scheint mir diesmal fast alles Ihnen gelungen.
Vergessen Sie aber nicht, ich bin kein Dramatiker! Über das Ganze als Ganzes bin ich noch nicht recht im Klaren. Der Kaiser fällt durch sich selbst, durch seine alles Menschliche verachtende Herrschgier, durch sein Weib, das er dadurch zum Äußersten getrieben. Es kommt auch gut heraus, daß dies Element wie eine Naturkraft in ihm auftritt – gleichwohl ist mir, als sei es dem Dichter nicht so ganz gelungen, den deutschen Patriotismus oder sagen wir lieber: seinen Stolz als Deutschen und auf sein deutsches Land, worauf auch das wuchtige Ende beruht, der Gestalt des Kaisers so recht innerlich zu machen.
Der Aufführung wird, wenn ich hier auch richtig fühle, das freilich keinen Abbruch tun. Denn er ist uns trotz alledem doch menschlich nahe gebracht, um nicht trotz des ungeheuren Zwiespalts in ihm bei seinem Untergang gern noch einmal wie einen verhallenden Donner den Preis des Toten zu vernehmen.«
Daß Storm, wie er es ja selbst gesteht, dem Dramatischen doch einigermaßen fern war, zeigt der Fortgang des Briefes: »Und nun 241 eine Bitte: Wenden Sie den ganzen Ernst Ihres Lebens auf die dramatische Poesie. Sie sind im Aufsteigen; und lassen Sie es sich nicht verdrießen, wenn es auch einige Jahre kostet. Namentlich richten Sie, bevor Sie beginnen, Ihre Aufmerksamkeit dahin, zuvor eine in sich fertige Skizze zu haben, daß man nicht sagen kann, das Einzelne ist schön; aber dem Ganzen fehlt die innere Notwendigkeit«. Hier zieht der große Landsmann aus seinem ganz richtigen und feinen Urteil, indem er, wie Freytag sagen würde, »quoique« statt »parceque« setzt, einen verkehrten Schluß.
Sturmflut.
Eben hatte Liliencron sein Hohenstaufenstück abgeschlossen, da ging er an ein Drama aus der Vorzeit seines Landes.
Im Jahre 1825 hatte eine verheerende Sturmflut auf den Halligen gewütet und unsäglichen Schaden angerichtet; ihr war schon kurz vordem im September 1824 eine erste starke Springflut vorangegangen. Die Phantasie der schleswig-holsteinischen Dichter hat sich von jeher gern mit diesem Ereignis beschäftigt, das selbst in der steten Bedrohtheit der Inselwelt den Bewohnern lange lebendig blieb. Johann Christoph Biernatzki (1795–1840) aus Elmshorn hatte als Pfarrer auf der Hallig Nordstrandisch-Moor die Sturmflut selbst miterlebt und in seiner tüchtigen Erzählung »Die Hallig oder die Schiffbrüchigen auf dem Eiland in der Nordsee« davon erzählt. Trotz vielen willkürlichen religiösen Einflechtungen und Abschweifungen hatte er doch ein anschauliches Bild des großen Ereignisses zustande gebracht und sich selbst in dem Pfarrer Hold hineingezeichnet. Er ließ ein durch Flatterhaftigkeit des Mannes getrenntes Liebespaar in der Flut, wieder neu vereint, untergehen. Auch Theodor Mügge (1806–1861), kein gebürtiger Schleswig-Holsteiner, der Darsteller des Vogts von Sylt Uwe Jens Lornsen, hat einmal mit ein paar kühnen Strichen die Flut vom 4. Februar 1825 geschildert. Liliencron hatte eine ganze Reihe Halligpfarrer kennen gelernt, er hatte vor allem selbst zwei Sturmfluten miterlebt; er zuerst hat den Stoff dramatisch aufgefaßt, und in rascher Folge ward binnen sieben Tagen, vom 13. bis zum 19. Februar 1886, in Kellinghusen das Drama niedergeschrieben. Es beginnt wie Biernatzkis Erzählung, mit der ersten Flut, deren Abebben wir noch erleben. Geängstete Bewohner haben sich auf den Boden eines der Hofbesitzer gerettet. Sie werfen dem Landvogt Tau und Haken durch das Fenster zu, und wir hören, daß er die Witwe Silk (Cäcilie) Sirk aus den Wogen rettet. Die Wassersnot hat zwei 242 längst verfeindete Bauern in dem Hause des einen zusammengeführt, und Harro Harsen und Frerk Frerksen (dieser Name kehrt bei Liliencron später wieder) sprechen nach der Versöhnung über die Heirat zwischen ihren Kindern Abel Harsen und Tadema Frerksen; schon aber erkennen wir, daß Tadema nicht mehr auf die Verlobung rechnet, weil er in Liebe zu Silk Sirk gefallen ist, die jetzt naß und bewußtlos hereingetragen wird. Während er und der Landvogt auf jeden ihrer Atemzüge lauschen, erwacht sie und gibt in ihrem halben Traumzustand einer seltsamen Empfindung für den Landvogt Ausdruck, wie sie ihn am Sonntag neben der finster starrenden Baronin still im Kirchenstuhl sitzen sieht.
Was schon dieser erste Aufzug ahnen ließ, bestätigt sich im Fortgang des Dramas. Der Landvogt ist von heißer Liebe zu Silk Sirk ergriffen und gleich ihm Tadema Frerksen und mancher andere auf dem Dorf, nur daß es Tadema und ihm am tiefsten geht. Silk Sirk will verreisen. Der Landvogt überredet sie, noch etwas zu bleiben, um – ihr Vater ist gestorben – ihre Sachen hier zu ordnen. Eben noch hat er sich an einem Wort Marc Aurels aufgerichtet: »Behalte die königliche Vernunft bei der Herrschaft über dich selbst«, jetzt wird er doch schwach. Er soll dem jungen Tadema ins Gewissen reden, er begreift ihn am besten von allen, und der junge Mensch fällt ihm, der ihn an die Scholle und die Arbeit mahnt, schluchzend um den Hals. Unterdessen ist es Sommer geworden, und die Besitzer der Insel fordern von dem Landvogt die Ausweisung der Witwe, die still für sich hinlebt, aber durch ihre Schönheit und ihre Zurückhaltung einen der jungen Leute nach dem andern in Verwirrung bringt. Der Baron schlägt es ab – das zeigt der dritte Aufzug – und schlägt es erst recht ab, als sie andeuten, sie wünschten die Ausweisung auch deshalb, weil der Landvogt schon ins Gerede gekommen sei. Als Silk freiwillig gehen will, läßt der Mann sie doch ziehen, aber im letzten Augenblick bricht das Geständnis der Liebe zwischen beiden hervor. Und ehe noch die schöne, stille Frau die Insel verlassen hat, kommt die zweite gewaltige Sturmflut, der zu Liebe Liliencron schwankte, ob er das Drama nicht »Sintflut« nennen sollte. Die Baronin ist längst mißtrauisch geworden, und als der Landvogt, seiner Pflicht gemäß, bei steigendem Wasser das Haus verlassen will, argwöhnt sie, daß er nicht der Pflicht, sondern der Liebe folge, und in einer knappen Aussprache kommt der Grund des kühlen Verhältnisses der beiden Ehegatten an die Oberfläche: Frigga liebt den Mann, aber ihre maßlose Heftigkeit, der Mangel an verständnisvollem Eingehen hat ihn 243 immer wieder zurückgestoßen. Jetzt muß er wirklich fort, aber Geschick und Sehnsucht führen ihn in das Haus von Silk Sirk, und die hereinbrechende Flut verschlingt sie beide. Die das Leben nicht vereint hat, sterben zusammen.
Von den drei durcheinandergehenden Handlungen der vier Aufzüge ist keine voll ausgeführt: das Schwanken Tademas zwischen der einstigen Braut und Silk wirkt rein episodisch, das Verhältnis zwischen dem Landvogt und seiner Frau wird im Grunde nur angedeutet, und die Liebe zwischen Silk und ihm kommt zwar fein und dann stark zum Ausdruck, aber nirgends spüren wir dramatischen Nerv. Trotzdem ist das Drama für Liliencrons Entwicklung sehr wichtig. Eine große Anzahl der Elemente, mit denen er in seiner Lyrik schaltete, liegt darin. Eine Mühle steht »gegen dunkelgraue Wetterwand«, die Sturmflutvorgänge mahnen an viele Schilderungen in seinen Gedichten bis zu dem Abschluß: »ein einziger, großer, grüner, bösefunkelnder Stern. Unter ihm die wogende, wilde, ernste, gleichgültige, kalte See, keine Trümmer, keine Leiche, kein Schiff, keine Möwe.« Das ist die Poesie von Rungholt, da ist der immer wiederkehrende böse Funkelstern. Und wie sich in dem Verhältnis der beiden Ehegatten das spätere zwischen Breide Hummelsbüttel und seiner Frau vorbereitet, so begegnet uns der Landvogt, der die schöne Witwe liebt, in dem Statthalter (Staller) Greggert Meinstorff, der auch in unglücklicher Ehe lebt und Silk Frerksen liebt. Auch in der Erzählung »Ick hev di leev« spielt die geheimnisvolle Witwe, die von dem Offizier und dem Arbeiter geliebt wird, eine verhängnisvolle Rolle. Am allerdeutlichsten aber geht die Handlung der »Sturmflut« durch die erst aus dem Nachlaß hervorgetretene Geschichte »Der blanke Hans«. Die vier Abschnitte der Erzählung entsprechen genau den vier Akten des Dramas, und das Gespräch, das an einigen Stellen geradezu dramatisch wirkt, ist zum Teil wörtlich der Bühnendichtung entnommen – nur einige Namen sind ein wenig verändert. Auch der junge, lustige Rittmeister, des Landvogts Bruder, tritt schon in dem Drama auf, wo er gleichfalls von seinem dänischen Regiment zum Besuch auf der einsamen Insel eingekehrt ist. Auch in der Erzählung glitzert zum Schluß ein einziger, böse funkelnder Flammenstern über die öde See; auch sie hat etwas Abgebrochenes, wie die Bühnendichtung.
Liliencron hat die »Sturmflut« im nächsten Jahre wörtlich noch einmal, unterstützt von Augusta Brandt, abgeschrieben, sie aber später völlig liegen lassen, gelegentlich gröblich als Schund bezeichnet. Das Werk ist nie gedruckt worden und befindet sich so noch in seinem Nachlaß. 244
Die Merowinger.
Während seiner schweren Krankheit im Jahre 1887 schrieb Liliencron am 4. März an Wilhelm Friedrich: »Ich liege noch immer auf demselben Fleck an der Ischias. Dazu kommt ein böses, hartnäckiges Fieber, das mich nur morgens einige Stunden verläßt, in denen ich (wie jetzt) dann schreibe. Sonst hindert es mich an allem und jedem. Ich liege dumpf und stier dahin. Dazu kommt eine Augenentzündung, die ich mir durch zu vieles Arsenikschlucken (gegen Ischias) geholt habe. Sie sehen: ich bin entschuldigt. In Betreff meiner Dramen, lieber Freund, werden Sie recht haben, und will ich es vorläufig ganz aufgeben. Alle Poesie, alles Blut meines Lebens, konzentrierte Freude meiner Atemzeit, solange sie gewesen, ist: »Die Merowinger« . . . Nie schrieb ich so Tiefes, so Schönes, so viel Poesie neben – Naturalismus wie in den »Merowingern«. Das ist mein höchstes Werk gewesen.« Und vier Tage später: »In ›Die Merowinger‹ sitzt, lebt, bebt: mein Leben und mein Blut.«
Die Anfänge dieses Stückes gehen bis in den Februar 1886 zurück. Damals, eben nach der Vollendung der »Sturmflut«, erbat sich Liliencron durch Vermittlung von Paul Schütze aus der Kieler Universitätsbibliothek Bücher über die Merowingerzeit, insbesondere Wilhelm Arndts »Kleine Denkmäler aus der Merowingerzeit« und Johann Wilhelm Löbells (des Lehrers Treitschkes) »Gregor von Tours«. Ende des Monats hat er schon den springenden Punkt seines Stücks, die Königin Brunhilde, deren Greuelgestalt ihm noch aus Kohlrauschs Deutscher Geschichte wohl im Gedächtnis war; er denkt schon an den Titel und schreibt: »Die bekannte Merowingerin-Scheusalin, deren Söhne, Brüder, Geliebte p. p. so ungemein zart fühlten, diese Dame an den Schweif eines Pferdes zu binden und dann gefälligst von vier Gäulen auseinanderzerren zu lassen. Ich werde aber (weil der Name zu oft schon) es anders nennen.« Am 2. März findet er den Namen: »Die Merowinger«. Am 27. März ist er soweit, nach Bezwingung der Quellen mit der Niederschrift, »dem Vers«, beginnen zu können, und erbittet sich noch eine deutsche Übersetzung des Venantius Fortunatus, den er in seinem »scheußlichen Latein« nur mühsam lesen könne. Am 5. April ist der erste Aufzug fast fertig, Brunhilde hebt sich immer deutlicher heraus; am 22. Mai 1886 ward der vierte und in den nächsten Tagen der fünfte Akt abgeschlossen, und damit hatte Liliencron sein letztes vollendetes Trauerspiel geschrieben. 245
Nach dem Tode des Merowingers Charibert in Paris (567) regierte König Sigibert in Metz, König Chilperich in Soissons; die Brüder waren mit zwei Schwestern, den Töchtern des westgotischen Königs Athanagild, vermählt, Sigibert mit Brunhilde, Chilperich mit Galswinta. Man nimmt an, daß Chilperich, ein ausschweifender Mensch, Galswinta töten ließ; er heiratete dann eine frühere Geliebte, Fredegunde, die den Schwager Sigibert und dessen Frau aufs schwerste befeindete. In einem Kriege zwischen beiden siegte Sigibert, ward aber unmittelbar danach durch von Fredegunde geworbene Mörder getötet. Nach dem Tode Chilperichs (584) bestieg sein jüngster, vier Monate alter Sohn, Chlotar, den Thron von Soissons. Die Kämpfe hörten nicht auf, zumal da die beiden Frauen, Fredegunde und Brunhilde, einander unerbittlich befehdeten. 596 griff Fredegunde – König Chlotar war ja erst zwölf Jahre alt – Brunhildens Enkel Theodebert und Theoderich an, starb aber gleich nach ihrem Siege. Brunhilde ward aus Austrasien, dem Reiche Theodeberts, wegen ihrer unmenschlichen Grausamkeit nackt und bloß vertrieben, gelangte nach Burgund und ward Mitherrscherin ihres Enkels Theoderich. Nun schlossen die Westgoten, die Langobarden, die Austrasier und die Neustrier einen Bund gegen Burgund, und Chlotar sollte, weil er neutral geblieben war, eine Vergrößerung seines Reichs zum Lohne haben. Das aber verhinderte Brunhilde und sandte ihren Hausmeier Warnacher über den Rhein, gegen Chlotar zu wühlen. Sie erreichte aber ihr letztes Ziel nicht und ward nach dem Tode ihres Enkels Theoderich von den Hausmeiern der Reiche Burgund und Austrasien, welche sie in eine Hand gebracht hatte, gefesselt und zu Chlotar gebracht. Der ließ sie an den Schweif eines wilden Pferdes binden und so zerreißen. Von ihren Urenkeln – die dazwischen liegenden Geschlechter waren ja alle dahin – wurden drei getötet, einer ins Kloster gesteckt.
Charibert │ ┌────────┴────────┐ Sigibert Chilperich Brunhilde 1. Galswinta │ 2. Fredegunde │ │ Childebert Chlotar │ ┌───────┴───────┐ Theudebert Theuderich │ Sigibert
246 Das etwa waren die geschichtlichen Vorgänge, die Liliencron für sein Trauerspiel vor Augen standen. Er hielt sich allein an die letzte Katastrophe und brachte den Zusammenstoß zwischen Chlotar und Brunhilde zeitlich in enge Umgrenzung. Als zusammenhaltende Gestalt fügte er, ganz ähnlich wie im »Knut« und in dem Hohenstaufendrama, eine Frau ein, Bertrada, die Gemahlin Chlotars. Er läßt seinen ersten Aufzug am Abend nach der Schlacht bei Zülpich beginnen, in der König Theudebert (Liliencron gebraucht die germanischen Namensformen) von Austrasien von seinem Bruder Theuderich von Burgund geschlagen und getötet worden ist. Wir erfahren durch den alten Kümmerer Kunibert und den Hausmeier Warnachar, beide in Diensten Brunhildens, wie diese dem gefallenen Theudebert das Visier nach oben gezerrt und ihm ins Gesicht gespien hat, bevor er getötet ward. Triumphierend tritt Brunhilde, die Achtzigjährige, ein, auf den Krückstock gestützt, ein Kruzifix und eine knöcherne Pfeife, aus einem Finger Fredegundens geschnitzt, in gräßlicher Vereinigung um den Hals tragend. Sie grüßt den Enkel Theuderich als König von Austrasien und Burgund und verheißt nun dem letzten Gegner, Chlotar, als letztes Blutopfer für Galswinta gleichfalls den Tod. Die eben so gräßlich Aufgereckte spielt gleich danach mit den Urenkeln, den »kleinen Ferkeln«. Theuderich wird durch eine Erscheinung vor dem drohenden Schicksal seines Hauses gewarnt; er will die Warnung im Herzen bewahren, Brunhilde aber schlägt die Mahnung zur Liebe, die einst in Jesu Christo in die Welt gekommen sei, in den Wind.
Brunhilde:
(geht an die Erscheinung heran. Der König
bleibt zurück, wie entsetzt starrend)
Vergebung unsern Feinden, die uns hassen,
Die uns umstellen, hinter jede Ecke
Die Augen gierig vom Versteck aussendend,
Mit festumkrampftem Dolch den Augenblick,
Vor Mordlust zitternd, daß wir nahn, ersehnend?
(lacht, grunzt)
Vergebung unsern Feinden, die uns drohen?
(kleine Pause)
In dieses Lebens ewigen Regentagen,
Such ich mein Schutzdach, nur von mir gewählt. 247
Fest steh ich auf mir selbst und ganz allein,
Und jeder Mensch hat nur sich selbst allein.
(kleine Pause)
Und allen, die mich kränkten, schwor ich Rache,
– Und dieses alte Herz hat viel gelitten –
Rache und Rache nur für Blutsverwandte,
Die jammernd unter Mörderhänden fielen.
Nach Spaniens heißen Ländern nahm mein Volk
Vom kalten Buchenstrand die Rache mit,
Die Pflicht, vergossnes Blut der Anverwandten
Auf jedem Weg am Täter zu vergelten.
Nimm deine Liebe in den Himmel wieder.
Die Menschen stehen mit gekrallten Fingern
Zu stetem Todessprung sich gegenüber.
(herzhaft auf die Erscheinung zugehend)
So lang ich lebe, haß ich jeden Feind.
(Die Erscheinung verschwindet. Der Zelteingang
schließt sich. In diesem Augenblick zuckt ein greller
Blitz. Dann ein heftiger Donnerschlag. Der König
fällt ins Knie und bekreuzt sich emsig.)
Steh auf, du Feigling, das war Wodans Dank.
Dem Vorbild und der Lehre Christi fremd, wie König Niels, steht Brunhilde da. Sie fühlt sich als Normannenblut – wie ihr Dichter mit Stolz einen Tropfen Normannenbluts in sich wußte. Kunibert, der greise Kämmerer, wird nach Soissons gesandt, um Chlotar die Kriegserklärung zu überbringen, Warnachar aber will ihm den Auftrag abnehmen, weil er nahe dem Thron von Soissons eine Liebe wohnen weiß. Brunhilde entsendet beide. Sie läßt die gefangenen Austrasier, Arnulf und Pippin, zur Marterung abführen und die Leiche Theudeberts ins Zelt tragen. Dem Pippin aber ist dieselbe Erscheinung vor Augen getreten, wie vordem dem Merowinger, und hat ihm verkündet, daß aus seinem Blut ein starkes Geschlecht mit einem gewaltigen, friedengebenden Kaiser hervorgehn werde.
Der zweite Aufzug führt die Gesandten an den Hof nach Soissons, wo Bertrada, gedrückt durch den Ernst des Hofes, in verstohlener Kurzweil mit ihren Pagen lebt. Als Gegenstück zu dem seltsamen Ehebund des Königspaars sehn wir die vorbildlich reine Ehe Pippins und Ittas. Da Warnachar Bertrada allein findet, ergibt sie sich ihm sofort, sie will ihn auf der Rückreise aufheben und in ein Liebesschlößchen führen lassen. Schon hat Chlotar Verdacht geschöpft, und da 248 die Gesandten die Kriegserklärung überbringen, nimmt er den Krieg an und läßt Brunhilden sagen:
Brunhilden bring die Grüße ihres Neffen:
Wenn sie in meinen Händen ist, soll sie
Am Schweif des wildesten von meinen Hengsten
Geschleift durch alle Lagergassen fliegen.
Dein König Theuderich, wenn ich ihn halte,
Am Kreuz nach unten soll er winselnd hängen,
Und jedesmal, will ihn der Tod befreien,
Wird er entnagelt, bis er endlich stirbt.
Und seine Kinder sperr ich in ein Häuschen,
Laß, teerbestrichen, Werg und Stroh drum legen,
Bis in den Flammen ihre Stimmen schweigen.
Dann aber tritt er auf Warnachar zu:
Du kamst hierher, um mir den Krieg zu künden,
War es dein Auftrag auch, verruchter Mensch,
Mein Weib mir zu verführen. . . .
Warnachar: (entsetzt)
Herr und König.
Chlotar:
Verfluchter Hund, nimm meinen Dank dafür.
So rächt der Mann die Ehre seines Hauses.
(Er ersticht ihn)
Warnachar:
Das – war – ein – Merowingerstoß.
Bertrada flieht zu Brunhilden und wird in Metz gut aufgenommen. Gleich im Anfang des dritten Aufzugs erfahren wir, welche Pläne Brunhilde damit verbindet: Sie will Theuderich, den Vater, und Sigibert, den achtzehnjährigen Sohn, die beide an Bertrada Feuer gefangen haben, aufeinander bis zum Letzten eifersüchtig machen und dann noch einmal ungezähmt allein das Reich beherrschen. Ihre Berechnung ist nicht falsch. Bertrada übt alle Künste der Gefallsucht an beiden Männern nur zu erfolgreich, und Theuderich wird vollends verwirrt, weil der ganze Hof immer auf die Großmutter, als die 249 eigentliche Regentin, nicht auf ihn schaut. Alle Verbündeten – dies ist ein Gegenbild zum ersten Aufzug des »Trifels« – verweigern die Heerfolge oder machen doch unerfüllbare Ansprüche, so daß Brunhilde den Aufruf zum Kampf ohne Bundesgenossen erläßt. Im Zelt aber, vor dem die Verhandlung erfolgt, ist Sigibert Bertrada zu Füßen gestürzt und küßt leidenschaftlich ihre Hände. Und genau wie am Schluß des ersten Aufzugs des »Knut« Hinkefuß dem Magnus den vor Ulvilda knieenden Knut zeigt, deutet Brunhilde hier dem Theuderich das, was geschieht, und bohrt den Stachel tief in das eifersüchtige Herz des verliebten Vaters. Auch ihr großer Plan ist dem des ehrgeizigen Hinkefuß verwandt.
Der vierte und fünfte Aufzug spielen um die Schlacht bei Andernach. Chlotar empfängt die Aufforderung der Unterwerfung; er lehnt sie ab und sendet, am Weibe krank, den Kunibert zurück: er soll Bertrada um ihre Rückkehr bitten, sie soll herrschen, Chlotar will vom Throne weichen. Nach rascher Verwandlung sehn wir nun Brunhilde an dem sagenhaften Brunhildenstein in die Gegend lugen, Botschaft empfangen und an derselben Stelle Bertrada mit Sigibert verliebte leidenschaftliche Zwiesprach tauschen. Sie verheißt ihm nichts und verheißt ihm alles. Als aber Theuderich den trunken zurückgebliebenen Sigibert trifft, kommt es zum Streit zwischen Vater und Sohn, und Sigibert ersticht den Theuderich. Brunhilde ist nun an der Herrschaft, sie behält Bertrada im Lager und stürmt an der Spitze der Mannen, den Krückstock in der Faust, zur Schlacht.
Als der fünfte Aufzug beginnt, ist der Kampf vorüber. Chlotar berichtet dem Arnulf, wie er Brunhilden gefangen und ihr die Hände gebunden habe, Bertrada stürzt flehend auf Chlotar zu, der sie wieder an seine Seite erhebt. Pippin wird sterbend hereingetragen und nimmt von Itta festen Abschied. Auf einem Schilde wird Chlotar einhergeführt und vom Herold zum Herrscher aller Franken ausgerufen. Er sendet brüderliche Friedensgrüße an die andern germanischen Fürsten und läßt endlich Brunhilde – Sigibert ist gefallen – und ihre Urenkel hereinbringen. Aber bevor er die Folterung vornehmen läßt, hat die Königin von Kunibert die Erfüllung der letzten, vordem ausgesprochenen Bitte erlangt; er gießt ihr Gift auf die Lippen, und sie stirbt in seinen Armen. Dem tief enttäuschten Chlotar werden mitten in den Sieg hinein neue schwere Kämpfe angekündigt, und er, der sich eben als Erdbezwinger träumte, verkündet ahnungsvoll den krachenden Zusammenbruch seines Hauses. 250
In keinem seiner Dramen hat Liliencron so unbesorgt mit der Motivierung von Auf- und Abgängen geschaltet wie hier; er benutzt die Schauplätze, wie er sie gerade hat, und läßt die Menschen an- und abtreten, wie er sie gerade braucht. In keinem aber auch hat er eine Gestalt geschaffen, die so aus einem Guß geformt wäre, wie die Brunhilde. Ehrgeiz und Grausamkeit sind die Haupttriebfedern ihrer Taten, Ehrsucht von schier übermenschlichen Maßen, Grausamkeit und Haß und Rachsucht von unerhörten Abmessungen. Und dennoch wird es ganz glaublich, wie diese selbe Frau, der Sohn und Enkel nichts sind, den Urenkeln eine geliebte Ahne sein kann, und wundervoll ist es, wie sie im Tode »ganz Weib geworden«, sich an den alten Vertrauten Kunibert, der nichts kennt und liebt als sie, lehnt und so stirbt. Wenn zur rechten Zeit eine unserer großen Tragödinnen, etwa Franziska Ellmenreich, an dies Drama gekommen wäre – es hätte Liliencron doch noch zu starker Wirkung auf der Bühne führen können. So ist das im Herbst 1888 bei Wilhelm Friedrich erschienene Trauerspiel, für das der Dichter hundert Mark Honorar empfing, erst im Jahre 1908, am 25. Oktober, im Stadttheater seines Geburtsortes aufgeführt worden, ohne andere als die nun schon zur Überlieferung gewordene Wirkung seiner Dramen zu erzielen: man umjubelte den Verfasser und ließ das Stück achtungsvoll fallen.
Hatte Liliencron im »Trifels« die feine Gestalt des Dichters Acerrino eingeführt und in schönen Stanzen sprechen lassen, so machte er sich hier das Vergnügen, den eifrig studierten Venantius Fortunatus, gewissermaßen zum Lohn für das üble Latein, als einen Lockendichter anzuführen, wie er solche auch sonst gelegentlich satirisch geschildert hat. Er tat dabei des Guten wohl etwas zu viel, erkannte aber ganz richtig, daß das überdüstere Stück auf irgendeinem Wege zu einer Art Aufhellung geführt werden mußte. Die Bertrada, bei der Venantius übel ankommt, ist durchaus mißlungen, nicht ganz so Schemen geblieben wie Ulvilda, aber doch auch nicht viel mehr.
Die »Merowinger« stehen in einer Art Verwandtschaft zu den »Karolingern« von Wildenbruch – man kann sagen, daß ihre Stellung zu diesem Drama geschichtlich umgekehrt ist wie die der wirklichen Karolinger zu den wirklichen Merowingern. Wie Wildenbruch durch die Liebesbeziehung Bernhards von Barcelona zu der Kaiserin Judith ein neues Motiv in das Stück bringt, so hat das Liliencron hier mit der Hineinstellung Bertradas versucht; und auch der Hinweis auf die künftige Größe der Erben Pippins hat etwas vom Wildenbruchschem Pathos. Nur daß freilich das unvergleichlich stärkere dramatische 251 Gefüge jenes Wildenbruchschen ersten Wurfes erweist, wie ganz, selbst noch dem kräftigsten Liliencronschen Drama gegenüber, Wildenbruch der geborene Dramatiker und Theatraliker war.
Als Liliencron »Die Merowinger« in die Gesamtausgabe seiner Werke völlig unverändert wieder aufnahm, ließ er den ergreifenden Prolog weg, mit dem er die Dichtung einst »einer Herzogin« zugeschrieben hatte.
Ob dir das herbe Trauerspiel gefällt,
So frag ich zögernd mich – denn dir erscheint
Ein achtzigjährig Weib darin als Held.
Ein achtzigjährig Weib, das lacht und weint
Wie jedes andre Menschenkind, doch gräßlich
In Ehrgeiz alles, Lust und Leid, versteint.
So hoch zu Sternen und so unermeßlich
Hat jener Trieb in ihrem Puls geschlagen,
Daß dauernd ihre Spur und unvergeßlich.
Von Speer und Spieß, von Axt und Sichelwagen
Troff eilig Blut auf allen ihren Gleisen,
Und wie der Mann hat sie das Schwert getragen.
Im Taumelstolz ließ sie des Rosses Eisen
Scharf ein sich drücken in manch Feindeshaupt,
Um krachend sich als Siegerin zu preisen.
Doch nun, o Herrin, sei mir auch erlaubt,
Den Rosenkranz dir wieder zu erhaschen,
Den deiner Stirn mein schrecklich Lied geraubt.
Ach, sieh die Königin in tausend Maschen,
Von Gift und Dolchen Tag und Nacht umringt,
Um sie mit jähem Sprung zu überraschen.
Doch eh dem Mörder noch die Tat gelingt,
Hat sie den Knöchel schon ihm fest umspannt,
Daß dem die Herzensader friert und springt.
Ach, sieh die Königin, und sieh das Band,
Das sie um ihre Enkelkinder schlug,
Und du wirst rufen: Das ist heilig Land. 252
Gequält, gehetzt, umstrickt von Lug und Trug,
Schien ihr verächtlich alles Erdenleben,
Sie schritt für sich allein im Massenzug.
O Herzogin, hast du der Parzen Weben,
Des Todes gütige Hand, die Menschenschlacht,
Die ewige, gespürt mit leisem Beben?
Ein Cherub glänzte dann in meine Nacht.
Abdera, im Juni 1887.
Unablässig hatte sich Liliencron in der großen Zeit seiner dramatischen Arbeit selbst an seinen Stücken berauscht und in der einsamen Abgeschiedenheit Kellinghusens aus ihr heraus mit Briefen und tausend Bemühungen um den Erfolg gekämpft. Wieder eingelenkt in die alte Bahn seines Schaffens und bald zu ganz neuen Zielen vorgedrungen, hat er dann fast völlig auf den Gedanken an das Drama verzichtet. Noch schreibt er am 5. Mai 1886: »Dann aber zum Prosadrama und zum modernen Drama« – aber er hat dann alle Pläne liegen lassen. Und als der Berühmtgewordene doch noch spät auf die Bühnen kam, da meinte er es mit seinen Hoffnungen nicht mehr so ernst. Nicht mehr als einen kurzen Rausch wollte er, nach einem Brief an Loewenberg, dem Publikum bieten, und an mich schrieb er: »Ich sage: nachdem das Theaterpublikum nun so durchtränkt ist mit Blumenthal, Richard Wagner, französischen Stücken, Tolstoi, Kadelburg, Ibsen p. p., so soll es sich auch mal amüsieren an meinen Menschen! Ich verlange ja nichts weiter! Amüsieren zwei Stunden: und zwar so, daß allen die Eingeweide in Aufruhr kommen, und dann können sie nach Kempinski laufen. Es soll (das Stück) wie ein »Rausch« über die Bühne gehen. Rumwidibum! Halleluja!« Freilich hatte er auch recht, wenn er in denselben Tagen schrieb: »Es ist Kraft, Leidenschaft und Poesie in meinen Dramen«; nur war er sich, an der eignen Größe emporgestiegen, doch dessen bewußt geworden, daß selbst diese drei Eigenschaften allein den Dichter noch nicht zum Dramatiker machen. 253