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Im Februar feierte Russland das dreihundertjährige Jubiläum der Dynastie Romanow. Bei dieser Gelegenheit kam Rasputin wieder nach Petersburg. Jetzt war für ihn in den höheren Sphären der Gesellschaft die Stimmung günstiger. Sein Feind, der Innenminister Makarow, der sich so grosse Mühe gegeben hatte, ihn aus Petersburg herauszubringen, war ersetzt worden durch Maklakow. Dieser lieh ihm vom ersten Tage an seine Unterstützung.
Von Tsaritsyn war an Rodzianko eine von mehreren hundert Personen unterzeichnete Anzeige eingelaufen, in der es hiess, dass Rasputin sich in Petersburg befinde und bei Sablère lebe. Rodzianko gab die Denunziation an Sablère weiter, der sie dem Zaren unterbreitete. Auf seinen Befehl wurde Rodzianko vom Innenminister mitgeteilt, dass es der Wunsch des Zaren sei, dass die Duma sich mit dem Fall Rasputin nicht mehr befasse. Rodzianko beschwerte sich darüber beim Zaren; aber der Vorgang beweist klar, dass Sablère und Maklakow den Staretz unterstützten.
Um die Feste einzuleiten, begab sich die kaiserliche Familie nach Petersburg. Auf den Wunsch der Zarin wurde Rasputin zum feierlichen Gottesdienst bei der Einweihung der Kathedrale in Kasan eingeladen. Der Staretz traf recht zeitig ein und begab sich unauffällig auf den Platz, der ihm angewiesen wurde. Aber plötzlich bemerkte ihn Rodzianko, der zum Präsidenten der vierten Duma ernannt worden war. Er befahl ihm, die Kirche zu verlassen. Es entstand eine Auseinandersetzung, in deren Verlauf der Staretz sich auf seine Einladungskarte berief und betonte, dass er sie von Personen erhalten habe, die einen »bedeutend viel höheren« Rang bekleideten als er. Rodzianko verlangte trotzdem, dass er sich entferne, und der Staretz ging dann schliesslich aus der Kathedrale, indem er vor sich hinseufzte: »Herr! Vergib ihm seine Schuld!«
Im Palast rief dieser Vorgang einen peinlichen Eindruck hervor. Alle Sympathien waren auf Seiten Rasputins. Ein »Barine« hatte einen Bauern aus der Kirche vertrieben!
Rasputin reiste dann mit der kaiserlichen Familie in mehrere Städte. Die Zarin wünschte, dass der Staretz in diesen denkwürdigen Tagen mit der Familie zusammen bete. Sie war der Meinung, dass seine Gegenwart den Zaren besser beschütze als alle Massnahmen der Polizei.
Im Herbst ging die kaiserliche Familie nach der Krim. Wie immer zog ihre Anwesenheit viele Fremde an. Der Zustrom war ungeheuer; man lebte in Festen, Vergnügungen und Flirts. Plötzlich geschah ein neues Unglück: der Zarewitsch fiel beim Spielen von seinem Pult, auf das er geklettert war, und stiess sich dabei das Bein. Wieder ein Bluterguss unter der Haut, dann eine Anschwellung unterhalb des Knies, die alsbald das ganze Bein erfasste. Das Kind litt entsetzlich.
Wieder setzten die Eltern alle Hoffnung auf die Gebete des Staretz. Man beorderte ihn nach Jalta. Vor der Tür des Hotels, in dem er abstieg, sah man häufig den Wagen der Wyrubowa mit ihren Dienern in Livree.
Allmählich besserte sich der Zustand des Thronfolgers dank der ärztlichen Behandlung. Die Besserung wurde aber Rasputin zugeschrieben. Die Zarin war derartig überzeugt von der Kraft seiner Gebete, dass sie einer sehr respektablen Dame, die krank geworden war, persönlich den Rat gab, sich an den Staretz zu wenden. Dieser Rat wurde aber nicht befolgt.
Trotz der Tragödie, die sich im kaiserlichen Palast abspielte, nahm das heitere Leben in Jalta seinen Fortgang. Rasputin liess sich von dem allgemeinen Wirbel mitreissen. Während des letzten Jahres, in dem er die Angriffe des ganzen Landes durchzumachen hatte, war eine Wandlung in ihm vorgegangen: er hatte angefangen, zu trinken – ein Laster, das man früher nicht an ihm beobachtet hatte. In Jalta, wo alles auf Flirt eingestellt war, hatte er verschiedentlich Gelegenheit, in die Umgegend zu fahren, nach Gurzuw, und dort Orgien in Gesellschaft von Damen zu feiern, die auf der Suche nach kräftigen Erregungen waren. Die Polizei bewachte den Staretz aufmerksam und schaffte ihn im Morgengrauen in ziemlich üblem Zustand nach Hause, um Skandale zu vermeiden.
Mitte Dezember trafen die Zaren wieder in Zarskoje-Selo ein. Mit der Rückkehr des Hofes belebte sich die Hauptstadt wieder, und von neuem war Rasputin, der mehr und mehr mit dem kaiserlichen Schloss verschmolz, allgemeiner Gesprächsgegenstand.
Rodzianko sagt in seinem Buch »Der Zusammenbruch des Zarenreichs« darüber folgendes:
»Im Winter 1913/14 bekam man den allgemeinen Eindruck, dass der hohen Petersburger Gesellschaft die Augen aufgegangen waren. Was man in den Kreisen der Duma schon zwei Jahre vorher gesagt hatte, war jetzt bis zum Hof vorgedrungen. Ueberall sprach man nur von Rasputin. Er setzte alle Welt in Aufregung. Selbst diejenigen, die, sei es aus Zartgefühl oder aus Rücksicht auf ihren Souverän, bislang noch strenges Stillschweigen über alles bewahrt hatten, was sich in der kaiserlichen Familie zutrug, sprachen jetzt von diesem Mann, einige mit Schrecken, andere mit Ekel, wieder andere mit einem Lächeln.«
Auch die Presse fing wieder an, den Namen des Staretz zu drucken. Als das offizielle Organ der Synode »Die Glocke« eine Serie sehr günstiger Artikel über Rasputin hatte erscheinen lassen, rückte die »Abendzeit« eine Entgegnung ein, die zwar sehr klug und vorsichtig gehalten war, aber trotzdem eine Kritik enthielt.
Jetzt lebte Rasputin ganz offen in Petersburg. Er bewohnte eine Wohnung im Hause Nr. 64 der Gorochowaja-Strasse, nur fünf Minuten vom Bahnhof, von dem man nach Zarskoje-Selo abfuhr. Die Wohnung lag in der dritten Etage, nach dem Hof hinaus, und bestand aus fünf Zimmern mit Küche und Telephon. Bei ihm wohnte Frau Akulina Lapschinskaja.
Die Wohnung wurde aus der Kasse Seiner Majestät bezahlt. Sie wurde ständig bewacht von Beamten der Petersburger Ochrana, die sich Tag und Nacht im Treppenhaus, auf dem Hof und auf der Strasse aufhielten. Abgesehen hiervon hatte der Staretz, entgegen den umlaufenden Gerüchten, keinerlei anderen Schutz, weder offiziellen noch privaten. Die Beamten, die Rasputin bewachten und überwachten, erstatteten direkt dem Chef der Ochrana Bericht. Dieser gab die Berichte direkt an den Innenminister oder dessen für die Polizei zuständigen Adjunkten weiter.
Der Kreis der Rasputinischen Bekanntschaften erweiterte sich rasch. Abgesehen von dem von der Wyrubowa zusammengehaltenen Kreis, fing er an, in zahlreichen berühmten Petersburger Salons aus- und einzugehen. Er wurde empfangen von der Baronin Ixkul von Hildebrand und von der Baronin Rosen. Er wurde häufig zu grossen Diners und Abendgesellschaften eingeladen. In den Augen der Gesellschaft war er jetzt nicht mehr der Prediger, der Staretz, als den man ihn in den ersten Jahren angesehen hatte, sondern er war jetzt, übrigens durchaus der Wahrheit entsprechend, eine »politische« Persönlichkeit: Grigori Jefimowitsch. Alle wussten, dass er ausser Tanejew noch andere markante Persönlichkeiten gut kannte: den Grafen Witte und den Fürsten Meschtscherski, die, wenn sie auch nicht zur Regierung gehörten, trotzdem eine nicht geringe politische Rolle spielten; alle wussten, dass er innerhalb der Regierung gestützt wurde von dem neuen Premierminister Goremykin, dem eifrigen Gast der Baronin Ixkul, von Sablère, Damanski, Maklakow und einigen anderen hohen Beamten. Er selbst rühmt sich jedem gegenüber, der es hören will, dass er mit dem Finanzminister Bark auf bestem Fuss steht. Bei Damanski trifft er N. N. Sablin, einen Freund des Herrschers und seiner Familie. Ebenso steht er mit anderen Finanzleuten in Verbindung: mit Putilow, mit Manus, mit Wischnegradski. Im Monat April des Jahres 1914 macht er die Bekanntschaft des Bankiers D. G. Rubinstein und wird in die Kreise der beiden mächtigsten, mit einander rivalisierenden Finanzgruppen eingeführt. Kurze Zeit nach seiner Bekanntschaft mit Rubinstein wird er von diesem schon zu einer grossen Abendgesellschaft mit Kinovorführung eingeladen, an der Minister und berühmte Financiers teilnehmen.
Neben diesen geschäftlichen Verbindungen führt Rasputin ein fröhliches Leben mit Damen der »Gesellschaft«, mit Demimondänen und Freunden. Grosse Schlemmereien, Zigeunergesänge, Orgien! Er trinkt viel. Er kann unwahrscheinliche Mengen von Flüssigkeit in sich aufnehmen, ohne betrunken zu werden. Hierin kann niemand mit ihm rivalisieren. Wenn er gut getrunken hat, tanzt er russische Tänze mit einem geradezu diabolischen Feuer.
Manchmal lag etwas Sonderbares in seiner Art zu tanzen, etwas was an die Zeremonien der religiösen Sekten erinnerte. Frau Teffi, eine begabte Schriftstellerin, hat uns eine solche Szene beschrieben, die sie auf einer Abendgesellschaft während des Krieges miterlebte:
»Plötzlich schüttelte das Tamburin seine Schellen, die Gitarre präludierte und das Akkordeon fing an, eine russische Volkstanzweise zu spielen. Im selben Augenblick sprang Rasputin auf. Das geschah so heftig, dass er seinen Stuhl umstiess. Und dann, als antwortete er auf einen Ruf, stürmte er in die Mitte des grossen Zimmers vor und fing an zu springen und zu tanzen, mit gebeugtem Knie, immer im Kreise herum.
Er schüttelte seinen Kinnbart, machte verstörte Augen, seine Züge wirkten ganz absorbiert, er arbeitete sich ab und sprang frenetisch gegen den Takt an. Man hätte glauben können, dass er unter dem Zwange einer geheimnisvollen Macht stand, dass er nicht die Kraft hätte, aufzuhören.
Alle waren von ihren Plätzen aufgestanden. Man bildete einen Kreis um ihn. Niemand lachte. Alle blickten Rasputin geradezu erschrocken oder doch wenigstens mit grossem Ernst an.
Das Schauspiel war so merkwürdig, so angsteinflössend, dass man, ohne es zu wollen, Lust spürte, aufzuschreien, mitten in das Zimmer hineinzuspringen und sich mitzudrehen, bis man den Atem verlor.
Die Gesichter der Zuschauer wurden immer blasser, immer hingerissener. Ein bizarres Gefühl bemächtigte sich aller Anwesenden. Es war uns allen so, als müsse jeden Augenblick irgend etwas geschehen. Eine Minute noch … eine Sekunde … und dann musste es über uns hereinbrechen.
›Wie kann man danach noch daran zweifeln‹, hörte ich hinter mir plötzlich den bekannten russischen Schriftsteller Rozanow sagen, ›er ist sicher ein Chlyst!‹
Rasputin fuhr fort, wie ein Ziegenbock zu springen. Er war erschreckend anzusehen: mit seinem hängenden Unterkiefer, den langgezogenen Backen, den Haarsträhnen, die ihm ins Gesicht fielen und ihm in die von der Anstrengung eingefallenen Augenhöhlen platschten. Sein Hemd aus rosa Seide blähte sich auf dem Rücken.
Plötzlich hielt Rasputin mit einem Ruck inne. Und als ob des Orchester gewusst hätte, dass es so sein würde, hörte im selben Augenblick die Musik auf.
Rasputin liess sich erschöpft in einen Sessel fallen und warf einen Blick um sich, der nicht mehr durchdringend, sondern vielmehr wild und verstört war.«
Im Juni verliess Rasputin Petersburg und ging nach Pokrowskoje. Bei seiner Durchreise durch Perm empfing ihn der Bischof dieses Ortes feierlichst am Bahnhof. Ein paar Tage später klärte ein Telegramm ganz Russland darüber auf, dass der Staretz schwer verwundet in seinem Dorfe Pokrowskoje darniederliege.
Wiederholt schon waren verschiedene Leute auf den Gedanken gekommen, den Staretz umzubringen. Nach dem Skandal von 1912 war das Duma-Mitglied Purischkewitsch beim Palastkommandanten Grafen Dedjudlin erschienen, um ihm ein Projekt über die Ermordung Rasputins zu unterbreiten. Der temperamentvolle General Bogdanowitsch hatte, ebenfalls im Jahre 1912, an den General Dumbadse in Jalta geschrieben: »Zahlreich sind die Russen, die darauf hoffen, dass der unschätzbare und unvergleichliche Iwan Antonowitsch den verpesteten Vagabunden im Schwarzen Meer ersäufen wird.« Ein Jahr später, vor dem Eintreffen des Staretz in Jalta, war in den Offizierskreisen nur davon die Rede, dass es nötig sei, Rasputin zu töten. Der General Dumbadse sandte sogar das nachstehende Telegramm an den Innenminister:
»Erlauben Sie mir, mich Rasputins zu entledigen, während er im Schiff die Ueberfahrt von Sebastopol nach Jalta macht!«
Im Herbst 1913 beschloss eine Gruppe von Anhängerinnen des nun wieder zu Sergei Trufanow gewordenen Iliodor, zu der eine Anzahl Frauen gehörte, die seinerzeit vom Staretz verführt worden waren, Rasputin zu entmannen. Das Komplott wurde aber von einem der Teilnehmer vorzeitig verraten.
Unter diesen Verschwörerinnen war eine gewisse Chionia Gussewa, ein ehemals sehr hübsches Mädchen, dessen Gesicht jetzt aber von der Syphilis entstellt und zerfressen war. Sie war von grenzenloser Verehrung für Iliodor ergriffen, und als dieser aus den Kirchendiensten ausgestossen wurde, ging sie in das Dorf, in das er sich zurückzog. Dort fasste sie in den täglichen Unterhaltungen, die sie mit Iliodor führte, einen masslosen Hass gegen Rasputin und beschloss, ihn zu töten.
»Ja, Grischka ist ein wirklicher Dämon«, sagte sie zu Iliodor. »Ich werde ihn erdolchen. Ich werde ihn töten, wie der Prophet Elias auf Befehl Gottes vierhundertfünfzig falsche Propheten des Baal getötet hat. Aber der Rasputin ist noch viel schlimmer als sie. Sehen Sie, was er alles verbrochen hat! Bitte, lieber Pater, geben Sie mir Ihren Segen, damit ich mit ihm Schluss mache!«
Die Gussewa kaufte sich einen Dolch und begab sich nach der Krim. Da sie Rasputin dort nicht fand, reiste sie nach Petersburg, aber Rasputin war gerade nach Pokrowskoje abgereist. Sie fuhr dorthin. Als sie ankam, war der Staretz noch nicht da. Sie verkleidete sich als Bettlerin und wartete auf ihn. Nach zehn Tagen kam er. Sie passte einen günstigen Moment ab. Am 29. Juni, als er aus seinem Hause gelaufen kam, um den Telegraphenbeamten, der ihm ein Telegramm gebracht hatte, einzuholen, trat sie an ihn heran und bat um ein Almosen. Und während Rasputin Geld in seinen Taschen suchte, stiess sie ihm den Dolch in den Bauch. Mit den Händen seine Gedärme, die sich durch die Wunde drängten, festhaltend, versuchte Rasputin sein Haus zu erreichen. Die Gussewa folgte ihm. Mit der Linken immer noch die Wunde zuhaltend, griff er mit der Rechten nach einem Stock und schlug auf die Frau ein, bis er sie entwaffnet hatte. Von allen Seiten kamen die Bauern herangelaufen. Man warf sich auf die Gussewa, die schrie, dass sie den Anti-Christ getötet habe. Man führte sie ins Gefängnis, wo man sie verprügelte. Inzwischen hatte man Rasputin ins Haus gebracht, ihm einen ersten Verband angelegt. Acht Stunden nach dem Attentat erschien der Doktor Wladimir aus Tiumen. Er operierte Rasputin mitten in der Nacht bei Kerzenlicht, nähte die Wunde wieder zu. Rasputin war bleich wie der Tod und wiederholte immerzu die Worte:
»Ich werde gut davonkommen. Ich werde nicht sterben. Macht euch keine Sorgen!«
Ins Sommerpalais liess er folgendes Telegramm senden:
»Eine Art von Aas hat mir einen Messerstich versetzt. Mit Gottes Hilfe bin ich noch am Leben. Grigori.«
Im kaiserlichen Palais herrschte grosse Bestürzung. Der Zar richtete persönlich den nachstehenden Brief an den Innenminister:
»Nikolai Alexejewitsch!
Ich höre, dass gestern im Dorfe Pokrowskoje im Gouvernement Tobolsk ein Attentat verübt worden ist auf die Person des Staretz Grigori Jefimowitsch Rasputin, für den wir eine grosse Verehrung empfinden. Er ist am Bauch von einer Frau verwundet worden. Da ich befürchte, dass eine ganze Bande verabscheuenswerter Leute sich mit bösen Absichten in bezug auf den Staretz trägt, beauftrage ich Sie hiermit, diese Angelegenheit ganz gründlich zu untersuchen und ihn bewachen zu lassen, damit sich solches Attentat nicht wiederholen kann.
Was ist Wahres an dem, was die Zeitungen über die Massenausweisungen jüdischer Handwerker aus Kiew sagen? Geben Sie mir darüber einen Bericht.
Nikolaus.«
Als Antwort auf sein Telegramm sandte die kaiserliche Familie dem Staretz folgende Depesche:
»Aufs tiefste betroffen von dem, was geschehen ist; wir beten mit Inbrunst.«
Rasputin kam ins Hospital in Tiumen. Die Akulina brachte ihm Geschenke und Briefe seiner Freunde aus Petersburg. Bald erschien auch, von der Zarin geschickt, ein prominenter Chirurg, der Professor von Breden, der auch den Zarewitsch behandelte. Er öffnete die Wunde noch einmal, wiederholte die Operation und rettete das Leben des Staretz. Die kaiserliche Familie, die sofort benachrichtigt wurde, telegraphierte: »Sind glücklich, dass Operation gelungen ist.« Wenn dieser Eingriff des Professors von Breden aus irgendeinem Grunde sich verzögert hätte, wäre Rasputin verloren gewesen. Der Professor konstatierte bei dieser Gelegenheit mit eigenen Augen, dass die männlichen Organe des Verletzten keineswegs den fabelhaften Gerüchten entsprachen, die darüber in Petersburg umliefen und die eine so grosse Neugier bei manchen Frauen erweckten. Er hatte nur einen von den Ausschweifungen verblühten Mann vor sich. Der Gesamtorganismus des Staretz hatte aber eine solche Lebenskraft, dass er der gefährlichen Verletzung und den Anstrengungen der Operation Widerstand leistete. Als er in der Heilung war, schickte Rasputin an seine verschiedenen Anbeterinnen Photos, die ihn krank im Bett des Hospitals darstellten und die er mit den verschiedenartigsten Widmungssprüchen versah. »Beeile dich, zu laufen, solange es noch hell ist«, schrieb er auf eines dieser Bilder. Und auf ein anderes: »Was ist morgen? Herr, du bist unser Führer. Wie viele dornige Wege im Leben!«
Noch während Rasputin in Tiumen im Spital lag, erfuhr er, dass der Krieg drohte. Er wusste genau, wie furchtbar ein solcher Konflikt für Russland sein musste und wie schwer er auf dem ganzen Lande lasten würde. Zwei Jahre vorher schon, als der Grossfürst Nikolai Nikolajewitsch und seine Freunde den Zaren überreden wollten, im Balkankrieg zu intervenieren, soll Rasputin, wie die Wyrubowa uns mitteilt, den Zaren geradezu auf den Knien gebeten haben, nichts zu unternehmen, denn die Feinde Russlands warteten nur auf eine solche Gelegenheit, und er gehe im Falle einer Einmischung unvermeidlichen Schicksalsschlägen entgegen.
Als er jetzt hörte, dass man wieder vom Krieg sprach, sandte er dem Zaren ein Telegramm, in dem er ihn bat, sich nicht mitreissen zu lassen; der Krieg sei das Ende Russlands und das Ende des Zaren, und Russland werde seinen letzten Mann dabei verlieren.
Hinterher schrieb er sofort noch einen Brief, den der Zar sehr lange aufbewahrte, so dass er nach der Revolution noch in die Hände der Familie Rasputins und dann in den Besitz des Untersuchungsrichters Sokolow gelangen konnte.
Anlässlich des Attentats verbreitete sich unter den Getreuen des Staretz das Gerücht, dass das Marienbild in seinem Hause einige Zeit vor seiner Verwundung bereits geweint habe. Mehrere Male habe man die Tränen abwischen müssen, und mehrere Male hätten die Augen der Heiligen Jungfrau sich wieder mit Tränen gefüllt. Man habe in diesem Wunder bereits eine Ankündigung eines Unheils erblickt.
Die Neuigkeit von dem Attentatsversuch machte überall viel Aufsehen. Rasputins Freunde waren von ganzer Seele betrübt; in unzähligen Briefen und Telegrammen wünschte man ihm gute Besserung. Andere dagegen warteten frohen Herzens auf die Nachricht von seinem Tode. Die Körperstelle, an der man ihn verletzt hatte, gab zu Gelächter und Scherzen Anlass. Besonders aufgeregt war man in Tsaritsyn, in den Kreisen um Iliodor. Es sprach sich herum, dass die Gussewa nach ihrer Verhaftung angegeben habe, dass sie auf Anstiften von Iliodor gehandelt hätte. Daher verschwand Iliodor am 2. Juli, weil er befürchten musste, verhaftet zu werden. Zwei Wochen später begab er sich von Finnland aus in die Fremde.
Am 20. August verliess Rasputin das Hospital und am letzten August langte er wieder in Petersburg an.
Seine Anhänger bereiteten ihm einen begeisterten Empfang. Die kaiserliche Familie war froh, ihn wiederzusehen, aber Grigori konnte feststellen, dass der Zar mit der Opposition, die er gegen den Krieg gezeigt hatte, unzufrieden war. Dieser Differenzpunkt spielte aber keine grosse Rolle; denn nachdem nun einmal die Feindseligkeiten da waren, sprach auch der Staretz voll Begeisterung für den Krieg.
Wenn Rasputin auch noch keineswegs von seinen Verletzungen richtig wieder ausgeheilt war, so begann er doch nach und nach sich schon wieder um verschiedene Angelegenheiten zu bekümmern. So übernahm er noch in diesem Herbst auf Bitten einer Dame aus der Krim den Schutz der Krimtataren, die von dem Gouverneur verfolgt wurden. Im Namen der Gerechtigkeit bat er die Zarin, ihnen zu Hilfe zu kommen, ohne auf die Rückkehr des Zaren, der sich inzwischen auf eine zweite Inspektionsreise begeben hatte, zu warten.
Am 5. November begab er sich wieder nach Pokrowskoje. Er blieb von da aus in engem Kontakt mit der kaiserlichen Familie, teils durch direkte Telegramme, teils durch Vermittlung der Wyrubowa. Einmal telegraphierte er der Zarin, um sie in ihrer Arbeit aufzumuntern:
»Pflege die Verwundeten, deine Mühen und Wohltaten werden den Namen Gottes verherrlichen.«
Alexandra Feodorowna schickte ihm ein Telegramm, in dem sie ihn bat, für den Zarewitsch zu beten. Immer noch war die Zarin davon überzeugt, dass seine Gebete dem Zarewitsch eine unmittelbare Erleichterung verschafften.
Kurz vor Weihnachten kam der Staretz wieder nach Petersburg. Viele Leute bedurften dort seiner; denn er war inzwischen eine Macht geworden, die man nicht ausser acht lassen durfte. Selbst der General Mossolow, der Chef der Kanzlei des Hofministeriums, bewarb sich um seine Gunst. Die Zarin wurde darüber informiert, dass die beiden Männer bei Damanski Bekanntschaft gemacht hatten. Abgesehen von Sablin, dem Adjutanten des Zaren und Freunde der kaiserlichen Familie, war Mossolow der erste aus den Kreisen der hohen Beamten des Hofministeriums, der mit dem Staretz in gute Beziehungen trat. Sogar Frau Wyrubowa brauchte jetzt den Schutz Rasputins: während des letzten Aufenthalts der kaiserlichen Familie in der Krim war eine Verstimmung zwischen der Zarin und ihrer unzertrennlichen Freundin Annuschka eingetreten, die sich seither noch verschärft hatte. Manche aus der Umgebung der Zarin hegten schon die Hoffnung, dass der Einfluss der Wyrubowa jetzt endlich zu Ende gehen werde. Aber da trat ein Ereignis ein, das der Annuschka fast das Leben gekostet hätte, ihre Position verstärkte und sie damit für immer in Gunst brachte.