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Der Gedanke, dass Russland von diesem Schädling befreit werden müsse, der damals so viele Gemüter erfasste, bemächtigte sich auch des Fürsten Yussupow, Grafen Sumarokow-Elston.
Dieser junge Fürst Felix Felixowitsch, geboren im Jahre 1887, war der Sohn des Grafen Felix Sumarokow-Elston und seiner Frau Sinaida Nikolajewna. Die Vorfahren der Familie Yussupow gehen zurück bis ins sechzehnte Jahrhundert; ein Vorahn war regierender Fürst der Nogai-Tataren.
Im Jahre 1891, nach dem Tode des letzten männlichen Nachkommen der Yussupows, wurde durch kaiserlichen Ukas der Titel und der Name derselben dem Grafen Sumarokow-Elston durch seine Frau übertragen. Aber der älteste Sohn des Grafen, der den Titel und Namen hätte erben können, starb, und daher übertrug ein weiterer kaiserlicher Ukas aus dem Jahre 1914 den Namen, Titel und das Wappen auf den zweiten Sohn Felix. Im Februar desselben Jahres heiratete der junge Fürst die Grossfürstin Irina Alexandrowna, die Tochter des Grossfürsten Alexander Michailowitsch und der Grossfürstin Xenia Alexandrowna, einer Schwester des Zaren. Für diese Enkelin hatte die Zarin-Mutter Maria Feodorowna eine grosse Zuneigung.
Der Fürst, der einzige Erbe der ungeheuren Reichtümer seiner Eltern, war von mittelgrosser, schöner und eleganter Figur. Er hatte an der Universität Oxford studiert und besass alles, wovon sonst die anderen jungen Leute nur träumen.
Zu dem Zeitpunkt, von dem hier jetzt die Rede ist, nahm er an den Spezialkursen des Pagenkorps teil und sollte nach einigen Monaten zum Offizier ernannt werden.
Natürlich hatte auch er viel von dem Unheil reden hören, das Rasputin dem Thron und dem Reich zufügte. Seine Mutter war eine fanatische Gegnerin des Staretz. Der junge Fürst war im Ausland erzogen worden und wusste daher nicht viel von Russland und der Kompliziertheit seines politischen Lebens. Aber mit der Anmassung der Jugend, besonders der Jugend mit Titeln und Reichtümern, glaubte er alles zu wissen und zu verstehen. Nachdem sein Vater infolge eines Deutschen-Progroms seinen hohen Posten in Moskau verloren hatte, musste die Familie Yussupow eine gewisse Verärgerung gegen die Regierung empfinden, und die nachfolgenden Vorgänge hatten nur dazu geführt, diese Unzufriedenheit noch anwachsen zu lassen. In dieser Atmosphäre schickte der junge Fürst sich an, seinem Vaterlande zu dienen.
Den Herbst verbrachten alle Yussupows auf der Krim, auf ihrem Landsitz in Koreis. Anfang November reiste der junge Fürst wieder nach Petersburg ab, um seine Studien fortzusetzen. Unterwegs machte er in Moskau Station, wo er mit der Grossfürstin Elisaweta Feodorowna zusammenkam. »Sie sieht die Dinge sehr schwarz in schwarz«, schreibt er am 3. November an seine Mutter, »und hofft immer noch auf Rodzianko.« In demselben Brief kommt noch folgende, für seine geistige Verfassung nicht uninteressante Stelle vor:
»Dieses Mal bin ich in ganz anderer seelischer Verfassung abgereist, ganz anders als damals bei meiner Abreise aus Zarskoje. Ich bitte Dich, mache Dir über nichts Sorgen, glaube, dass alles, was ich Dir sage, reine Wahrheit ist, und dass, selbst wenn ich Augenblicke der Verirrung habe, wie Du das nennst, alles Gute in mir die Oberhand über das Schlechte gewinnen wird.«
In Petersburg geriet der junge Fürst in eine von politischen Intrigen, Verleumdungen und Geschwätz vergiftete Atmosphäre. Er besuchte fleissig Rodzianko, den Dumapräsidenten, in seiner Wohnung, dessen Frau eine Kusine seiner Mutter war. Dort hasste man Rasputin, Protopopow und Stürmer, und man war ausserordentlich schlecht auf die Zarin zu sprechen. In seinen Unterhaltungen mit Rodzianko schöpfte er die Eindrücke eines Mannes, der unmittelbar in den Ereignissen drin stand. Im Vertrauen auf das, was er vom Dumapräsidenten gehört hatte, schrieb er an seine Mutter: »Die Tante (Zarin) hat die Grenzen alles dessen, was man sich nur ausmalen kann, überschritten.«
Aus dieser Quelle erfuhr er auch ständig alle Vorkommnisse, die den Einfluss Rasputins bewiesen. Und da er sehr viel von dem Fehlschlagen all der Versuche hörte, die darauf hingezielt hatten, Rasputin von dem Zarenhause zu trennen, kam er nach und nach zu der Ueberzeugung, dass man Rasputin beseitigen müsse.
»Diese Idee kam mir zum ersten Male«, schreibt er später in seinem Buche ›Das Ende Rasputins‹, »während einer Unterhaltung, die ich im Jahre 1915 mit meiner Frau und meiner Mutter über die fürchterlichen Folgen des Einflusses Rasputins hatte.«
Man muss davon ausgehen, dass er, weil er sehr offen zu seiner Frau und zu seiner Mutter stand, ihnen vielleicht ein Wort von dieser Idee gesagt hat und dass er dieserhalb, um sie zu beruhigen, die obenerwähnten Zeilen an seine Mutter aus Moskau schrieb.
Fürst Yussupow beschloss, sich zunächst selbst davon zu überzeugen, ob Rasputin ein Verräter und Spion war. Zu diesem Zweck trat er zu der Golowina in Verbindung, die ihn dann mit Rasputin bekannt machte. Er fing an, den Staretz häufig zu besuchen, wusste ihn mit seinen Zigeunerromanzen einzuwickeln und gewann, wenn man seinen eigenen Worten glauben will, sogar einigen Einfluss auf ihn. Seine Unterhaltungen mit Maria Golowina und dem Staretz überzeugten ihn davon, dass der Staretz wirklich einen ungeheuren Einfluss auf den Zaren und die Zarin ausübte. Aus gewissen Aeusserungen Rasputins und daraus, dass er bei ihm gewisse verdächtige Persönlichkeiten antraf, zog er den Schluss, dass Rasputin auch ein Verräter und ein Spion sei.
Yussupow hat später vor dem Untersuchungsrichter Sokolow darüber folgendes ausgesagt:
»Mehr als einmal habe ich in seinem Arbeitszimmer unbekannte Individuen semitischen Typs gesehen. Meistens erschienen sie, wenn Rasputin im Begriff stand, nach Zarskoje-Selo abzureisen, oder wenn er dort gewesen war. Sobald er zurückkam, umzingelten sie ihn geradezu, liessen ihn trinken und legten ihm alle möglichen Fragen vor. Ich habe sie bei ihrem Tun und Lassen genau beobachtet und sah, dass sie in ihren Notizbüchern das notierten, was sie gehört hatten. Ich begriff jetzt, woher der Feind unsere Geheimnisse erfuhr. Ich begriff, dass Rasputin ein Spion war.«
Dass die Besucher Leute semitischen Typs waren und sich Notizen machten, ohne dass Yussupow sagen konnte, welche Fragen sie an Rasputin gerichtet hatten, das genügte ihm schon als Beweis dafür, dass Rasputin ein Spion war! Das klingt etwas sonderbar.
In seinem Buch behauptet er weiter, aus den Unterhaltungen mit Rasputin erfahren zu haben, dass er seine Direktiven aus Schweden, von mysteriösen Persönlichkeiten erhielt, die in Schweden lebten und durch Mittelspersonen mit ihm verkehrten.
Eines Abends seien bei Rasputin, als er sich gerade mit ihm unterhielt, eine Reihe von Personen noch ziemlich spät erschienen. Rasputin habe ihre Unterhaltung abgebrochen und ihn in sein Arbeitszimmer treten lassen, während er selbst mit den Unbekannten im Esszimmer blieb.
»Ich trat«, so erzählt er, »an die Tür des Arbeitszimmers, die nach dem Korridor führte, und horchte. Aber die Unterhaltung wurde mit so leiser Stimme geführt, dass ich nichts verstehen konnte.
Mit allergrösster Vorsicht machte ich dann die Tür des Arbeitszimmers ein ganz klein wenig auf. Da die Tür zum Esszimmer offenstand, konnte ich Rasputin neben dem Tisch an derselben Stelle sitzen sehen, wo er bei unserer Unterhaltung gesessen hatte. Ganz in seiner Nähe sassen fünf Männer; zwei andere standen hinter seinem Stuhl. Mehrere machten rasche Notizen in ihren Notizbüchern.
Alle diese Individuen hatten unsympathische Gesichter. Mindestens vier hatten einen ausgesprochenen semitischen Typ. Alle anderen, die sich merkwürdig ähnlich sahen, hatten Haare von einem weisslichen Blond, rote Backen und kleine Augen …
Diese ganze Gruppe machte den Eindruck einer Zusammenkunft von Verschwörern, die Notizen machten, sich mit leiser Stimme verständigten und irgendwelche Papiere lasen. Manchmal hörte man ein Auflachen.
Nach all dem, was ich von Rasputin gehört hatte, zweifelte ich nicht mehr daran, dass ich einen Verschwörerhaufen vor mir hatte.«
Was tat nun der Fürst Yussupow, dieser von Patriotismus glühende Soldat, als ihn der Zufall mitten im Kriege sieben »Spione« in flagranti erwischen liess?
Er begnügte sich damit, abzuwarten, bis Rasputin zu ihm ins Arbeitszimmer kam – so erzählt er uns –, und er zog sich dann zurück, nachdem er rasch Abschied genommen hatte.
Aber vielleicht bemühte er sich beim Verlassen des Hauses, festzustellen, wer die Verschwörer waren und wohin sie gingen? Vielleicht benachrichtigte er die Polizei, damit man die Sache klarstellte und die Leute verhaftete? Das war doch nicht schwer, sich an einen der Ochrana-Beamten zu wenden, die das Haus umstellt hielten?
Nichts dergleichen tat er, sondern er beschloss, Rasputin zu töten.
Wenn wir ihm zugute halten wollen, dass seine vaterländischen Gefühle so glühend waren, dass er einen Mord begehen konnte, so können wir aber nicht zugeben, dass diese Gefühle ihn nicht auch gezwungen hätten, diese sieben Spione festnehmen zu lassen, wenn er wirklich in diesem Augenblick geglaubt hätte, Spione vor sich zu haben. Da er nach dieser Richtung nicht das geringste unternommen hat, so dürfte es der von Yussupow erhobenen Beschuldigung, dass Rasputin Spionage betrieb, an einer brauchbaren Grundlage fehlen.
Etwas anderes bestärkt uns in dieser Auffassung: nämlich dass Yussupow seinen Komplizen niemals von diesen sieben Spionen etwas erzählt hat und dass diese Spionagebeschuldigung als Beweggrund für seine Tat erst in der Hauptverhandlung vor den Geschworenen aufgetaucht ist!
Fürst Yussupow konnte auch, wie er behauptet, persönlich feststellen, dass der Staretz ein Hypnotiseur war. Er erzählt, dass er so getan habe, als ob er krank sei, und dass Rasputin ihn dann einer richtigen hypnotischen Behandlung unterzogen habe. Das ist ein sehr interessanter Punkt, denn es wäre der einzige Fall, in dem der Staretz ganz offen und unverhüllt eine Heilung mit Hypnose vorgenommen hat! Sicher konnte er hypnotisieren, und er hat ja auch Unterricht darin genommen; aber wenn er sich seiner Künste seinen Anbeterinnen gegenüber bediente, so hat er das niemals merken lassen und hat die Hypnose immer mit seinen Gebeten kaschiert. Und daher ist Yussupows Erzählung von seiner hypnotischen Behandlung eigentlich noch mehr als interessant: sie ist rätselhaft.
In jener aufgeregten Zeit, als der Zar Stürmer absetzte und Trepow ernannte, in dieser Zeit, als alle ihre Entrüstung über Rasputin und die Zarin hinausschrien, begab sich Yussupow zu dem Duma-Abgeordneten V. A. Maklakow, einem Juristen von Ruf und talentierten Redner, der zu Miljukows Partei gehörte. Er brachte dort das Thema auf den Fall Rasputin und sagte, dass doch alle Kampagnen der Duma niemals ein Resultat liefern könnten und dass es nur zwei Mittel gäbe, Rasputin loszuwerden: entweder ihn zu kaufen oder ihn zu töten. Maklakow kritisierte den erstgenannten Weg, und Yussupow versteifte sich daraufhin noch mehr auf den zweiten und erklärte, dass er entschlossen sei, diese Lösung vorzunehmen. Maklakow erhob dagegen Einwendungen, denn dieses Mittel schien ihm nicht dem Ziel zu entsprechen, das man verfolgte. Der Fürst antwortete darauf:
»Nehmen wir an, dass Rasputin heute getötet wird. In zwei Wochen muss man die Zarin in eine Irrenanstalt bringen. Ihr psychisches Gleichgewicht beruht nur auf Rasputin; ist er nicht mehr da, so gerät es ins Schwanken. Und ist der Zar einmal befreit von dem Einfluss Rasputins und seiner Frau, dann wird sich alles ändern; er wird ein guter konstitutioneller Monarch sein.«
Im weiteren Verlauf der Diskussion wies Maklakow, wie er selbst berichtet, darauf hin, welche persönliche Verantwortung Yussupow bei einer solchen Tat laufe.
»Aber ich denke gar nicht daran«, antwortete der Fürst mit ernster Miene, »ihn selbst zu töten, ich gehöre doch fast zur kaiserlichen Familie. Wenn ich selbst zu einem Mörder werde, so bedeutet das doch beinahe Revolution, nicht wahr?«
Auf Maklakows weitere Frage, auf wessen Mitwirkung er denn dabei rechne, da er sich selbst für unzuständig erkläre, antwortete Yussupow:
»Die Revolutionäre müssen das durchführen. Sie haben schon genügend hochgestellte Persönlichkeiten getötet! Und Rasputin ist viel gefährlicher als alle anderen.«
Maklakow machte dem Fürsten klar, wie naiv dieser Gedanke sei, denn Rasputin bedeute für die Revolutionäre nur Vorteile: niemand werde je wieder der Monarchie so viel Schaden zufügen wie Rasputin.
»Wenn die Revolutionäre nicht wollen«, sagte Yussupow, »dann könnte man schon irgend jemanden finden, der es einfach für Geld übernimmt. Ich bin bereit, alles dafür zu geben, was nötig ist.«
Maklakow schreibt dazu:
»Diese Worte machten auf mich einen recht unangenehmen Eindruck. Unter diesem Gesichtswinkel bekam die Sache ein ganz anderes Gesicht. Ich fragte ganz trocken:
›Warum haben Sie sich an mich gewandt? Glauben Sie, dass ich eine Mörderagentur unterhalte?‹ …«
Die Unterhaltung nahm eine recht frostige Wendung an. Maklakow machte dem Fürsten klar, wie gefährlich es sei, sich an gedungene Mörder zu wenden, und riet ihm davon ab. Er schloss dann mit den Worten:
»Wenn Sie aber trotzdem nach wie vor zur Tat entschlossen sind und sie persönlich vornehmen wollen, nun – dann kommen Sie wieder zu mir, wenn Sie wollen; vielleicht kann ich Sie auf gewisse Fehler aufmerksam machen, die zu vermeiden sind.«
So endigte diese denkwürdige Unterhaltung, die über eine Stunde gedauert hatte – und bei der Yussupow übrigens ebenfalls nichts von den sieben Spionen gesagt hat.
Diese von einem Politiker und Juristen von erprobter Klugheit und Umsicht aufgezeichnete Unterredung wirft ein klares Licht darauf, wie wenig lebenserfahren und wie naiv in politischen Dingen dieser junge Fürst war, der davon träumte, Russland dadurch retten zu können, dass er Rasputin tötete. Sie hatte zur Folge, dass Yussupow von gedungenen Mördern absah und sich entschloss, die Tat selbst durchzuführen. Seine leidenschaftlichen Gespräche mit der Familie Rodzianko ermutigten ihn noch nach dieser Richtung.
Als Rodzianko aus dem Hauptquartier in Mogilew zurückkam, erzählte er, wie wenig Eindruck sein Bericht am 15. November beim Zaren gemacht habe. Zwei Stunden lang hatte er ihm die allgemeine Situation im Lande beschrieben. Mit rückhaltloser Offenheit und mit einer geradezu verschwenderischen Fülle von Details hatte er ihm nachgewiesen, wie sehr sich die Zarin und Rasputin in die Staatsgeschäfte eingemischt hatten, und zum Schluss hatte er geraten, Alexandra Feodorowna und Rasputin zu entfernen. Aber all seine Bemühungen waren erfolglos geblieben. Die nachstehenden Zeilen, die aus einem Brief der Frau Rodzianko an die Fürstin Yussupow entnommen sind, ermöglichen es, sich eine ungefähre Vorstellung von der Geistesverfassung zu machen, in der sich damals die Familie des Duma-Präsidenten befand:
»Absolut alle Veränderungen, alle Ernennungen, das Schicksal der Duma, die Friedensverhandlungen, alles liegt in den Händen Rasputins, der Wyrubowa, Pitirims und Protopopows.«
Das war die Atmosphäre, die Yussupow bei seiner Rückkehr nach Petersburg bei dieser befreundeten Familie vorfand. Vielleicht hörte er auch dort jenen Satz, den in seiner Gegenwart einmal ein alter Mann aussprach:
»Das einzige Mittel, das Land zu retten, ist, diesen Lumpen zu töten. Leider gibt es in unserem Russland niemanden, der das macht. Wenn ich nicht schon so alt wäre, so würde ich das übernehmen.«
Ein paar Tage nach Rodziankos Erzählung von der Erfolglosigkeit seiner Berichterstattung in Mogilew bekam Yussupow einen Brief von seiner Mutter, die noch in der Krim war. Darin hiess es:
»Diese Tage sind sehr ernst bei euch. Ich sehe die Dinge schwärzer denn je, denn das Geschwür ist jetzt reif, und wenn es sich einfallen lässt, zu platzen, so kann niemand es daran hindern … Ich bin keineswegs erstaunt, dass Rodzianko so düsterer Stimmung zurückgekommen ist. Valide (die Zarin) hat alles verdorben … Solange man nicht das Buch (Rasputin) zerstört hat und Valide (die Zarin) zur Vernunft gebracht hat – unmöglich, irgend etwas zu machen: sag' das dem Onkel Mischa. Man müsste fordern, dass das Buch aus der Hauptstadt zurückgezogen wird …«
Vom Entschluss ging der junge Fürst zur Tat über.
Oft prahlte Rasputin, wenn er betrunken war, vor ihm in unverschämter Weise mit seinem Einfluss auf den Zaren.
Vorerst forderte er den Grossfürsten Dmitri Pawlowitsch und den Offizier Suchotin, den Sohn eines Senators, auf, mitzumachen. Der letztere spielte fast gar keine Rolle in der Folgezeit. Dagegen war die Teilnahme des ersteren von wesentlicher Bedeutung. Vor allem war es eine sehr wirkungsvolle Sicherung gegen die juristischen Folgen des Mordes, denn sie garantierte allen Verschwörern die Immunität, die die Mitglieder der kaiserlichen Familie genossen. Abgesehen davon, konnte aber Dmitri Pawlowitsch auch durch sein persönliches Eingreifen nützlich werden.
Der Grossfürst war jung und voller Enthusiasmus und träumte von grossen Heldentaten. Seine Ansichten waren beinahe revolutionär. In Mogilew hatte er einmal bei der Abreise eines italienischen Offiziers eine Ansprache gehalten, die ebensogut von irgendeinem Agitator hätte gehalten werden können. Er stand in glänzenden Beziehungen zum General Djunkowski, und dass dieser in Ungnade gefallen war, hatte in ihm einen Stachel und eine Art Rachebedürfnis gegen das Zarenpaar zurückgelassen.
Diese geistige Einstellung des jungen Grossfürsten, sein brennender Patriotismus, sein Draufgängertum und sein Rang machten ihn zu einem wertvollen Zuwachs für Yussupows Unternehmen.
Die Fürstin Palei, die Schwiegermutter des Dmitri Pawlowitsch, schreibt, dass dieser ihr nach der Tat in folgender Weise die Motive für seine Teilnahme erklärt habe:
»Ich hoffte – so erklärte er mir – dass ich, wenn ich meinen Namen mit dieser Angelegenheit verknüpfte, dem Zaren die schwierige Aufgabe ersparen könnte, Rasputin vom Hofe zu entfernen. Meines Erachtens glaubte der Zar selbst nicht an die Wunderkräfte Rasputins, aber er wusste, dass er, wenn er von sich aus Rasputin vom Hofe entfernte, in Konflikt mit der Zarin kommen musste.
Ich hoffte, dass der Zar, wenn er einmal von Rasputins Einfluss befreit war, sich an die Seite derjenigen stellen würde, die im Staretz die Hauptursache für mancherlei Unglück, wie für die Ernennung unfähiger Minister und den Einfluss unsichtbarer, dunkler Mächte auf den Hof, erblickten.«
Die Grossfürstin Maria Pawlowna, seine Schwester, schreibt ihrerseits darüber:
»Mein Bruder hoffte nicht nur, sein Vaterland von einem Monstrum zu befreien, das es bis ins Herz hinein geschwächt hatte, sondern auch den Ereignissen einen neuen Impuls zu geben, all dieses hysterische Geschwätz zu unterdrücken, durch das Beispiel einer Tat die Aktion anzutreiben: das erschien ihm als ein entscheidender Schritt.«
Die berühmte Rede, die Purischkewitsch am 19. November hielt, beseitigte endgültig die letzten Bedenken der Verschwörer. Yussupow wohnte dieser Dumasitzung in Zivil bei, und die Rede machte auf ihn einen ungewöhnlichen Eindruck. Am 21. November suchte er Purischkewitsch auf, um ihm vorzuschlagen, am Komplott teilzunehmen. Der temperamentvolle Abgeordnete war einer der ersten – wenn nicht der erste – gewesen, dem der Gedanke gekommen war, dass der Staretz aus der Welt geschafft werden müsste. Mehrere Jahre vorher, noch zur Zeit des Palastkommandanten Dedjulin, hatte er sich schon erboten, Rasputin ins Jenseits zu befördern. Daher nahm er jetzt auch sogleich und ohne Bedenken Yussupows Vorschlag an. Wenn er auch nicht daran glaubte, dass Rasputin ein Spion war, und auch das übrige umlaufende verleumderische Geschwätz nicht für wahr hielt, so sah er in ihm doch einen solchen Schädling für Russland, dass er beseitigt werden musste.
Noch am selben Abend trafen sich die vier Verschwörer bei Yussupow, nahmen miteinander Kontakt und entwarfen ihren Plan in den ersten Umrissen.
Es wurde beschlossen, Rasputin in Yussupows Wohnung zu locken, und zwar unter dem Vorwand, dass er dort die junge Fürstin, Yussupows Frau, die allerdings in Wirklichkeit in der Krim war, kennenlernen sollte. Und bei dieser Gelegenheit wollte man ihn vergiften. Auf Purischkewitschs Vorschlag zog man noch einen fünften Verschwörer hinzu: S. S. Lazavert, einen Arzt aus dem Lazarettzug des Abgeordneten.
Am 24. November fand abends eine zweite Zusammenkunft statt, dieses Mal im Lazarettzug des Abgeordneten auf dem Warschauer Bahnhof. Purischkewitsch stellte den Doktor Lazavert vor; Yussupow zeigte ihm das Gift, das er sich inzwischen beschafft hatte: Zyankali, teils in Kristallform, teils in aufgelöstem Zustand.
Die Besprechung dauerte fast zwei Stunden. Man kam zu folgenden Beschlüssen, die uns Purischkewitsch in seinem »Journal« berichtet:
»An dem verabredeten Tage – oder vielmehr in der betreffenden Nacht – wollen wir uns alle genau um Mitternacht bei Yussupow treffen. Um halb ein Uhr, nachdem im Esszimmer, das in der unteren Etage des Palais Yussupow liegt, alles vorbereitet ist, steigen wir alle hinauf in sein Arbeitszimmer. Um ein Uhr will Yussupow in meinem vom Doktor Lazavert gesteuerten Auto Rasputin in der Gorochowaja-Strasse abholen.
Bei ihrem Eintreffen im Palais führt Yussupow den Staretz über den Hof direkt ins Esszimmer. Der Chauffeur soll seine Maschine ganz dicht bei der Eingangstür halten lassen, damit die Silhouetten der aussteigenden Personen nicht durch die Gitter hindurch zu erkennen sind, und zwar weder von der Moika noch von der anderen Seite her, wo sich ein Polizeikommissariat befindet. Abgesehen von den Passanten, können sich in der Tat Spitzel dort herumtreiben, denn wir können nicht wissen, ob Rasputin seine Leibwachen davon zu verständigen pflegt, wo er die Nacht zubringen will, oder ob er es zufällig gerade an diesem Abend tun wird.
Nachdem Rasputin eingetreten ist, zieht Lazavert seinen Chauffeuranzug aus und kommt über die Wendeltreppe, die vom Entree nach oben führt, zu uns herauf. Wir alle – also Dmitri Pawlowitsch, ich, Suchotin und Lazavert – halten uns oben auf neben der Wendeltreppe, jederzeit bereit, Yussupow unten im Esszimmer zu Hilfe zu kommen, falls die Dinge plötzlich eine unvorhergesehene Wendung annehmen sollten.
Nach Rasputins Tod – nach unserer Berechnung muss er nach dem Quantum vergifteten Madeiras etwa zehn bis fünfzehn Minuten nach seinem Eintreffen im Palais stattfinden – kommt Yussupow zu uns herauf. Darauf gehen wir alle hinunter ins Esszimmer und machen aus den hauptsächlichsten Kleidungsstücken Rasputins ein Paket. Der Leutnant Suchotin zieht Rasputins Pelzmantel über, weil er bei seiner Grösse und Schulterbreite, wenn er das Gesicht im Pelzkragen verbirgt, von den Spitzeln, mit deren Anwesenheit wir auf alle Fälle rechnen müssen, für Rasputin gehalten werden kann, er nimmt das Paket mit den Kleidungsstücken, geht mit dem Grossfürsten hinaus auf den Hof und steigt in das Auto, an dessen Steuer wieder der Doktor Lazavert Platz nimmt. Alle drei fahren nach meinem Lazarettzug am Warschauerbahnhof. Bis dahin hat man in meinem Privatwagen ein lebhaftes Feuer im Ofen angesteckt. Meine Frau und die Frau des Doktor Lazavert verbrennen alle Kleidungsstücke, die Suchotin und der Grossfürst mitgebracht haben.
Darauf laden Lazavert und seine beiden Fahrgäste mein Auto auf einen flachen Güterwagen, der zu meinem Zuge gehört. Dann begeben sie sich zu Fuss oder in einer Droschke ins Palais des Grossfürsten Sergei Alexandrowitsch. Dort steigen sie in das Automobil des Grossfürsten Dmitri Pawlowitsch und kommen ins Palais Yussupow. Wieder hält die Maschine ganz dicht am Hause. Sie kommen in den Salon hinauf, wo Yussupow und ich sie erwarten.
Nachdem wir alle wieder beieinander sind, steigen wir alle zusammen ins Esszimmer hinunter und rollen die Leiche in ein grosses Stück Stoff und tragen sie ins geschlossene Auto des Grossfürsten. Wir fahren an eine vorher genau ausgesuchte Stelle, und nachdem wir mit Ketten zwei Gewichte an der Leiche befestigt haben, damit sie nicht wieder an die Oberfläche kommt, werfen wir sie ins Wasser. Uebrigens ist die Gefahr nicht gross, dass die Leiche wieder zum Vorschein kommt, denn alle Flüsse, Bäche und Kanäle von Petersburg sind zur Zeit mit einer dicken Eisschicht bedeckt; wir müssen noch eine eisfreie Stelle ausfindig machen, wo wir die Leiche versenken können.«
Um Mitternacht trennten sich an diesem Abend die Verschwörer.
Alles, was er sah und hörte, bestärkte Yussupow in seiner Auffassung, dass er die einzig richtige Entscheidung getroffen hätte. Bis zu einem gewissen Grade weihte er seine Mutter und seine Frau in seine Pläne ein. Am 20. November schreibt er ihnen, das Suchotins Bruder, der zur Erholung in die Krim fährt, ihnen einen Brief mitbringen wird. »Im Augenblick«, fährt er fort, »habe ich nur einen Gedanken im Kopf … Unsere Räume werden zum 15. Dezember hergerichtet sein, und auch bis dahin nur zum Teil, aber man wird endlich wieder leben können.«
Der von Suchotins Bruder überbrachte Brief muss Andeutungen über das Projekt enthalten haben, denn seine Frau antwortet ihm am 25. November:
»Ich danke Dir für Deinen sinnlosen Brief. Ich habe ihn nur zur Hälfte begriffen. Ich sehe daraus, dass Du Dich darauf vorbereitest, irgend etwas Aussergewöhnliches zu unternehmen. Ich bitte Dich, sei vorsichtig und verwickle Dich nicht in hässliche Geschichten. Was mich überhaupt an der Sache abstösst: dass Du Dich ganz ohne mich entschlossen hast … Kurz und gut, sei vorsichtig. Ich sehe aus Deinem Brief, dass Du Dich in einem ungewöhnlichen Enthusiasmus befindest und zu jeder beliebigen Thorheit bereit bist.«
Am 28. November überprüfte Purischkewitsch zusammen mit Yussupow das Zimmer, in dem die Vergiftung stattfinden sollte. Er kam dann mit Maklakow zusammen, erzählte ihm von dem Projekt und bat ihn, Yussupow zu empfangen.
Der Fürst suchte daraufhin Maklakow auf und erzählte ihm nun seinerseits, wie man sich die Ausführung dachte. Maklakow riet, es so einzurichten, dass man später die Leiche wieder fände, weil das in ganz Russland Klarheit darüber schaffe, dass Rasputin wirklich tot sei. Er sagte ihm auch, dass die Mörder alle nur erdenklichen Vorsichtsmassregeln anwenden müssten, um nicht entdeckt zu werden; andernfalls könne es der Prolog für die Revolution sein, wenn man sie entdeckte und, was immerhin geschehen könne, nicht aburteilte. Hinterher machte Yussupow noch mehrere Besuche bei Maklakow, um sich Ratschläge zu erbitten.
Als man bei einem dieser Besuche darüber sprach, wie man bei der Ermordung jedes Geräusch vermeiden könne, deutete Maklakow auf einen auf dem Tisch liegenden Totschläger, zwei mit einem Riemen verbundene Bleikugeln, die an einem biegsamen Stock befestigt waren, und sagte, dass man dazu eine solche Waffe nehmen könne. Der Fürst bat ihn, ihm diesen Totschläger zu leihen, Maklakow tat es ohne grosse Begeisterung.
Am 29. November kaufte Purischkewitsch auf dem Markt grosse Gewichtstücke, dann machte er zusammen mit Lazavert eine Fahrt in die Umgebung, um den Ort auszusuchen, an dem man sich des Leichnams entledigen konnte. Da das Wasser überall gefroren war, mussten sie sich schliesslich eines jener Löcher aussuchen, das die Uferbewohner ins Eis hacken, um Wasser aus dem Fluss zu holen.
Am Abend des 1. Dezember trafen die Verschwörer sich noch einmal im Lazarettzug Purischkewitschs. Yussupow erzählte, dass Rasputin ungeduldig werde und gern möglichst rasch die Bekanntschaft der Fürstin machen wolle. Im Laufe dieses Abends beschloss man dann noch ein weiteres Detail: nach dem Mord wollte man an die »Villa Rodé« telephonieren und fragen, ob Rasputin dort sei, und man wollte dabei zu verstehen geben, dass er sicher noch zu erwarten sei. Schliesslich beschloss man, dass der Mord in der Nacht vom 16. zum 17. Dezember stattfinden sollte.
Inzwischen verbreitete sich in der Stadt das Gerücht, dass der Staretz ermordet werden sollte. Eine Parlamentsjournalistin, Frau M. I. Becker, suchte sogar Maklakow auf und erzählte ihm, Purischkewitsch habe in den Wandelgängen der Duma bei einer Diskussion mit Journalisten erklärt, dass er Rasputin am 17. Dezember mit Hilfe von Yussupow und Grossfürst Dmitri Pawlowitsch töten werde. Die Journalisten hätten geglaubt, dass er Spass machen wolle. Maklakow beruhigte die Becker, indem er sagte, dass das sicher nur Scherz gewesen sei. Als sie aber fort war, liess er Yussupow kommen, um ihn von Purischkewitschs Schwätzereien zu verständigen. Yussupow war sehr verblüfft und wurde sehr nervös, er beschuldigte auch seine Komplizen, dass sie ihm in keiner Weise hülfen und alle Vorbereitungen ihm allein überliessen. Da er Angst hatte, irgendwelche Ungeschicklichkeiten zu begehen, bat er Maklakow, doch am Tage des Attentats sich in Petersburg aufzuhalten. Aber das konnte ihm Maklakow nicht versprechen, weil er gerade an diesem Tage in Moskau einen Vortrag zu halten hatte. Auf Yussupows Bitten sandte er jedoch ein Telegramm nach Moskau und bat, den Vortragsabend zu verschieben; von der Antwort, sagte er, werde es abhängen, ob er an dem Tage nun in Petersburg sei oder nicht.
Am 13. Dezember verständigten sich die Verschwörer telephonisch und trafen sich abends um zehn Uhr bei Yussupow. Der Fürst gab bekannt, dass Rasputin sich bereit erklärt hatte, ihn am 16. zu besuchen, und dass alles in gutem Fluss sei. Man überprüfte den Plan noch einmal. Es wurde beschlossen, dass man die Leiche von der Petrowskibrücke hinunter in die Malaja Newka werfen wollte. Und dann sollte oben an der Treppe, die in der Nähe des Esszimmers lag, ein Grammophon spielen, um Rasputin glauben zu machen, dass noch weitere Gäste dort oben seien.
Spät am Abend kam der Grossfürst Dmitri Pawlowitsch noch einmal zu Yussupow zurück und hatte mit ihm eine längere Unterhaltung. Sein Vater, der Grossfürst Pawel Alexandrowitsch, hatte ihm die Einzelheiten seiner Unterhaltung mit dem Zarenpaar vom 4. Dezember über die allgemeine Lage und über Rasputin mitgeteilt. Die Zarin hatte sehr aufgeregt den Staretz verteidigt und behauptet, dass man den Staretz nur aus Neid anschwärze, weil man seine Stelle einnehmen wolle. Dmitri ersah in der Erfolglosigkeit der Unterredung mit dem Zarenpaar einen letzten Beweis dafür, dass die Situation im kaiserlichen Palast hoffnungslos war.
Am 15. Dezember strich der Doktor Lazavert das Auto mit einer anderen Farbe an und überprüfte den Mechanismus. Er war überhaupt so beschäftigt, dass seine Leute ihn fragten, was er denn für eine Reise anzutreten im Sinne habe. Bei Yussupow beendigte man die Handwerkerarbeiten im Zimmer, in dem man der Karriere des Staretz ein Ziel setzen wollte.