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Im Herbst des Jahres 1916 fragte man sich in Petersburg, wer wohl Innenminister werden würde. Die Kreise um Rasputin waren besonders aufgeregt. Der Doktor Badmajew riet dem Staretz, Protopopow vorzuschlagen.
Dieser Alexander Dimitriewitsch Protopopow, der Vizepräsident der Duma, war damals in Petersburg der Mann, der am meisten in Mode war. Er war ehemaliger Offizier der Garde, liberal, reich, hatte sehr liebenswürdige Umgangsformen und war in den Kreisen der Duma ausserordentlich populär. Er hatte in diesem Sommer an der Spitze einer Delegation aus Duma- und Reichsratsmitgliedern die alliierten Länder besucht und überall einen ausgezeichneten Eindruck hinterlassen. Der König von England soll jedenfalls zu Nikolaus II. gesagt haben, dass er Protopopow für den Ministerposten für den gegebenen Mann halte. Im Sommer hatte Rodzianko dem Zaren schon lebhaft zugeredet, ihn zum Minister für Handel und Industrie zu ernennen, denn er sei einer der Männer, die Vertrauen im Lande genossen.
Der Name war auch anlässlich der nachfolgenden Geschichte in aller Munde gekommen. Auf dem Dampfer, der ihn nach seiner triumphalen Reise aus England zurückbrachte, reiste er zusammen mit dem Grafen D. A. Olsufiew, Reichsratsmitglied, und den Eheleuten Polak aus Moskau. Die kleine Gruppe unterhielt sich, man scherzte, und die Zeit verstrich angenehm und voller Heiterkeit. In Stockholm traf man den bekannten russischen Journalisten Kolyschko mit seiner Braut, einer scharmanten, sehr interessanten Blondine. Kolyschko lud die Gruppe zum Mittagessen in einem eleganten Restaurant in der Umgebung von Stockholm ein. Als sie wieder zur Stadt zurückkehrten, drückte der Graf Olsufiew den Wunsch aus, sich mit einem Deutschen unterhalten zu wollen. Der Journalist war von dem Vorschlag begeistert, und zwei oder drei Stunden später trafen sich bei ihm zum Tee der Graf Olsufiew, Protopopow, die Eheleute Polak, der Bankier Aschberg aus Stockholm und der Deutsche Warburg, der der deutschen Gesandtschaft als Berater für Lebensmitteleinkäufe attachiert war, ein Bruder des Inhabers des Bankhauses M. M. Warburg & Cie. in Hamburg.
Anderthalb Stunden lang unterhielt man sich sehr angeregt. Warburg sagte, dass im Grunde genommen Deutschland gar nichts gegen Russland habe. Es wäre falsch, erklärte er, dass Deutschland keine Lebensmittel habe. Den Krieg fortzusetzen und zu verschärfen, sei seiner Meinung nach unnütz: das würde nur neue Opfer kosten, neue Ströme von Blut ohne praktisches Resultat … Dieser Weltkrieg, sagte er, sei von England hervorgerufen worden, das allein die Verantwortung für die Vernichtung von Millionen von Menschenleben zu tragen habe. Wenn England von vornherein klar hätte durchblicken lassen, dass es sich im Falle eines Kriegsausbruchs auf die Seite der Alliierten schlagen würde, so wäre es niemals zum Kriege gekommen … Russland hätte viel mehr Vorteile aus einer Freundschaft mit Deutschland als aus einer Freundschaft mit England gezogen … Nur Grossbritannien profitiere vom Krieg … Protopopow widersprach. Warburg sprach dann noch von den Wünschen Deutschlands und überprüfte die Situation der verschiedenen im Krieg liegenden Mächte. Er fügte dann noch hinzu, dass England die Vorherrschaft anstrebe, den Willen des Zaren binde und ihm verbiete, einen Sonderfrieden abzuschliessen.
Damit war die Unterhaltung zu Ende, und man trennte sich.
Bei seiner Rückkehr nach Petersburg sprach Protopopow mit jener Flüssigkeit und Leichtigkeit, die ihm eigen war, zu allen Leuten, die er traf, von dieser Unterhaltung. Da er seine Rolle sehr ernst nahm, legte er dieser Unterhaltung eine viel grössere Bedeutung bei, als ihr in Wirklichkeit zukam. Die Geschichte kam zu Ohren des Aussenministers Sasonow. Anstatt die Unschicklichkeit in Protopopows Verhalten zu unterstreichen, verschaffte man ihm und Olsufiew eine Audienz beim Zaren.
Protopopow erzählte dem Zaren von seiner Reise an der Spitze der Delegation und dann auch von der Unterhaltung mit Warburg. Dabei machte er einen ausgezeichneten Eindruck auf Nikolaus II. Und auch Protopopow war ganz entzückt von dem Zaren, und immer wieder sagte er hinterher, dass sie beide sich richtig ineinander verliebt hätten.
Und diesen Zauberer und Held des Tages fing Badmajew jetzt an, Rasputin zu empfehlen. Er liess die beiden Männer zunächst Bekanntschaft miteinander machen. Bei dem tibetanischen Doktor skizzierte man das Programm, das Protopopow zur Ausführung bringen wollte, wenn er mit dem General Kurlow, einem seiner alten Regimentskameraden, als Beigeordneten, Minister werden sollte.
Seine Popularität unter den Duma-Abgeordneten, seine Triumphreise durch das Ausland, seine Anhänglichkeit an den Zaren – alles das gefiel dem intelligenten Bauern. Und Protopopow, der sich auf Schmeicheleien verstand, liess es an Komplimenten dem Staretz gegenüber nicht fehlen. Badmajew versicherte dem Rasputin, dass Protopopow ihn bereits liebe und dass er ihm ein sicherer und treuer Freund sein werde. Grigori war schliesslich gewonnen und riet der Zarin zur Ernennung Protopopows.
Ausserdem schrieb Badmajew an die Wyrubowa, an die Zarin und an den Zaren, um ihnen die Kandidatur des Generals Kurlow als Adjunkten des Innenministers ans Herz zu legen. Die Erfahrungen dieses Generals in der Politik und in Polizeisachen würden die sozialen Fähigkeiten Protopopows glücklich ergänzen, und die gemeinsame Arbeit dieser beiden Männer würde eine gute Garantie gegen die drohende Revolution sein, von der man jetzt mehr und mehr spreche.
Die Zarin war sofort davon überzeugt, dass Protopopow, dessen Loblied ihr so sehr von allen Seiten gesungen wurde, gerade der richtige Mann für das Innenministerium sei. Und sie machte sich alsbald daran, den Zaren auch für ihre Auffassung zu gewinnen.
Der Zar zeigte sich zunächst sehr reserviert und warnte die Zarin vor den Empfehlungen des Staretz:
»Die Ansichten, die unser Freund über die Menschen ausspricht«, schrieb er am 9. September an die Zarin, »sind manchmal sehr merkwürdig, wie du weisst; und daher muss man sehr viel Vorsicht zeigen, zumal wenn es sich um Ernennungen für so hohe Posten handelt.«
Aber ein paar Tage darauf fiel doch schon seine »Wahl endgültig auf Protopopow, und die Zarin beglückwünscht ihn in ihrem Brief vom 14. September, indem sie schreibt:
»Der Herr segne die Wahl, die Du in Protopopow getroffen hast. Unser Freund sagt, dass Du mit dieser Ernennung einen Akt sehr grosser Weisheit vollzogen hättest.«
Am 16. September wurde Protopopow mit dem Ministerportefeuille betraut. Stürmer liess bei sich in der Wohnung dieserhalb ein Te Deum sprechen und segnete den neuen Innenminister mit einem Heiligenbild.
Mit dem Aufrücken Protopopows auf den Ministersessel trat Rasputin in die letzte Epoche seines Lebens ein.
Um Rasputins Einfluss beim Thron auszunutzen, bediente Protopopow sich ganz anderer Methoden als seine Vorgänger, denen es nur auf ihre egoistischen Pläne angekommen war. Er packte Rasputin von seiner delikatesten und sensibelsten Seite her: von seinem Mystizismus. Er tat so, als glaube er an seine hohe Mission, an seine grosse historische Rolle. Er war sich ganz klar darüber, dass das reine Scharlatanerei war, aber er wusste, dass es kein besseres Mittel gab, als sich in Rasputins Gunst einzuschleichen und das Vertrauen der Zarin zu gewinnen. Sein Spiel gelang vorzüglich. Man möchte glauben, dass diese Taktik, der sich noch keiner seiner Vorgänger bedient hatte, ihm vielleicht von dem klugen Doktor Badmajew eingegeben war. Abgesehen davon aber wurde diese Methode auch von den immer mehr und mehr sich entwickelnden Neigungen der Zarin für religiöse Fragen diktiert. Protopopow hatte auch die Geschichte des Herrn Philippe aus Lyon gehört. Uebrigens war er selbst in psychischer Beziehung nicht ganz normal. Er glaubte an alle Arten von Weissagungen. Ein Hypnotiseur hatte ihm gesagt, dass er eine historische Rolle spielen werde, an die er alsbald fest glaubte.
Und gerade wegen dieser mystischen Seite gefiel er der Zarin besonders. Mit der Ergebenheit, die er dem Staretz gegenüber zeigte, befestigte er seine Position bei ihr und verankerte in ihr die Gewissheit, dass sie sich in der Person nicht täuschte. Ganz allmählich kam er dazu, in gewissem Umfange den kleinen Rasputin zu spielen.
Die Zusammenkünfte zwischen Protopopow und Rasputin fanden beim Doktor Badmajew und bei der Fürstin Tarchanowa statt. Badmajew empfing die beiden Männer in seinem Konsultationszimmer, das Protopopow auch in seiner Eigenschaft als Patient aufzusuchen pflegte. Grigori kannte Badmajew seit langer Zeit, schätzte ihn auch sehr wegen seiner grossen medizinischen Kenntnisse, hatte aber doch ein Misstrauen ihm gegenüber. Er konnte nicht ganz vergessen, dass vor dem Kriege der tibetanische Arzt im Lager seiner Feinde gestanden hatte. »Dieser Chinese würde mich für einen Happen Brot verkaufen!« sagte er eines Tages, als er gerade im Zuge war, allerlei herauszuplappern.
Badmajew und Rasputin haben niemals zusammen die kaiserliche Familie behandelt, wie das Gerücht damals behauptete. Niemals hat Badmajew das Vertrauen des Palastes in seiner Eigenschaft als Arzt besessen, niemals ist er in dieser Eigenschaft in den Palast gerufen worden, niemals haben Thronerbe oder Zar Medikamente von ihm erhalten. Diese Tatsache ist nach der Revolution durch die Spezialuntersuchungskommission festgestellt worden.
Die Fürstin Tarchanowa war eine ganz alte Dame, die Protopopow schon seit über dreissig Jahren kannte. Auch damit war Rasputin nicht so recht zufrieden, wenn die Zusammenkünfte bei ihr stattfanden. So verfuhr man dann schliesslich so, dass Protopopow den Staretz in seiner Wohnung in der Gorochowaja-Strasse besuchte; aber diese Besuche fanden immer erst nach zehn Uhr abends statt.
Zu diesen Stunden mussten die Bewachungsbeamten sich zurückgezogen haben, damit die Beamten selbst nichts von den Zusammenkünften des Innenministers mit Rasputin erfuhren. Stundenlang unterhielten sich die beiden neuen Freunde. Und diese Unterhaltungen bezogen sich keineswegs nur auf geschäftliche Dinge. Es herrschte zwischen ihnen eine Art von Seelenfreundschaft. Wenigstens tat Protopopow so, als ob er eine seelische Verwandtschaft mit dem Staretz suchte. Der Staretz konnte jedoch ein gewisses Gefühl des Misstrauens in seinem tiefsten Innern nicht ganz unterdrücken: die Ernennung Protopopows wollte ihm wie ein taktisches Manöver vorkommen.
Grigori war sich auch vollkommen klar darüber, dass Protopopow ein Ueberläufer von den Oppositionsparteien zur Regierung war, und er pflegte nicht selten zu sagen: »Die Ehre ist bei ihm etwas dehnbar wie ein Strumpfband.«
Sein innerer Instinkt täuschte Rasputin übrigens nicht. Er hatte eine Art von intuitiver Vorstellung von Protopopows wahrer Natur. Vor seiner Ernennung zum Minister, noch während seiner Auslandsreise an der Spitze der Delegation war er alles andere gewesen als ein ergebener Untertan. Als er bei dieser Reise durch Rom gekommen war, hatte er in einem Augenblick des Sichgehenlassens dem russischen Botschafter erzählt, dass man auf eine Revolution im Zarenreich gefasst sei und dass der Grossfürst Nikolai Nikolajewitsch dann als konstitutioneller Monarch auf den Thron steigen würde. Diese Mitteilung kam dem Botschafter im Munde eines Delegationsvorsitzenden so absonderlich vor, dass er glaubte, Protopopow habe seine fünf Sinne nicht ganz beisammen. Ein paar Monate nach dieser Unterredung brüstete Protopopow sich geradezu mit einer mystischen Liebe Nikolaus' II. Rasputin fühlte, dass sein neuer Freund im Grunde unaufrichtig war. Aber er hoffte, die Oberhand zu behalten.
Die Zarin empfing Protopopow am 20. September und setzte ihm die Direktiven, an die er sich zu halten hatte und die von Rasputin gebilligt worden, auseinander. Am Abend sah sie den Staretz. Jetzt fühlte sie sich vollkommen sicher. Fünf Minister – Stürmer, der Fürst Schachowskoje, der Fürst Bobrinski, Rajew und Protopopow – rühmten doch ihr politisches Talent! Sie war davon überzeugt, dass es gerade ihr gelingen musste, das Kabinett zu einigen und ihre Mitglieder zu enger Zusammenarbeit zu bringen. Auch den Zaren überzeugte sie davon; denn er schrieb ihr am 23. September:
»Ja, das stimmt wohl, Du musst in der Hauptstadt mein Auge und mein Ohr sein, während ich gezwungen bin, hierzubleiben. Du hast die Aufgabe, die Eintracht und die Uebereinstimmung unter den Ministern aufrechtzuerhalten; wenn Du das tust, so leistest Du mir und unserem Lande einen ungeheuren Dienst … Sicher, jetzt werde ich mit grösserer Ruhe arbeiten und mich nicht mehr aufregen, wenigstens nicht mehr um die innerpolitischen Angelegenheiten.«
Die Zarin informierte sofort die Wyrubowa und Rasputin davon, dass der Zar ihre Tätigkeit sanktioniert hatte. Auch die Minister wurden davon in Kenntnis gesetzt.
Von den ersten Tagen an wurde eine vollkommene Uebereinstimmung zwischen Rasputin, Protopopow und der Zarin über eine Anzahl aktueller Fragen erzielt: über die Freilassung des Generals Suchomlinow, die Verbesserung der Lebensmittelversorgung der Bevölkerung, Entfernung von Rubinstein, Ernennung eines neuen Gouverneurs, Erhöhung der Beamtengehälter. Bevor noch der Zar dem neuen Innenminister seine erste Audienz bewilligt, übermittelt die Zarin ihrem Gatten schon die Liste dieser Fragen, wobei sie noch eine sechste hinzufügte:
»Befiehl ihm (Protopopow), dass er auf die Ratschläge unseres Freundes hört: das wird ihm Glück bringen und eine Hilfe bei seinen und bei Deinen Arbeiten sein. Ich bitte Dich, sage es ihm. Damit er sieht, dass auch Du Vertrauen zu ihm hast; er kennt ihn schon seit Jahren.«
Am 30. kam die Antwort des Zaren. Er hatte am Tage vorher eine zweistündige Unterredung mit Protopopow gehabt und alle Punkte im Sinne der Zarin geregelt; nur der Fall Rubinstein hatte wegen Mangel an Zeit nicht mehr erledigt werden können.
Noch am selben Tage kam die Zarin mit Rasputin bei der Wyrubowa zusammen und teilte den beiden Freunden den Inhalt dieser Antwort mit. Die neue politische Gruppierung – Alexandra Feodorowna, Rasputin, Protopopow – hatte sozusagen die Sanktion ihres Souveräns erhalten: schon die ersten von ihr empfohlenen Massnahmen waren ohne Schwierigkeiten gebilligt worden.
Auch die Bischöfe Isidor und Melschissedec waren eingeladen worden, diesen Abend mit der Zarin bei der Wyrubowa zu verbringen. »Ich habe einen beruhigenden und stillen Abend von acht Uhr dreissig bis zehn Uhr dreissig verlebt«, schreibt die Zarin an ihren Gatten. »Wir haben uns sehr angenehm unterhalten in einer Atmosphäre voller Frieden und Harmonie.«
Im Laufe dieser Zusammenkunft sandte die Zarin auf Rasputins Bitten ein Telegramm an Nikolaus IL, in dem sie ihn bat, er möge dem Metropoliten Pitirim und Rajew, dem neuen Hohen Prokurator der Heiligen Synode, die Ermächtigung geben, sich ins Hauptquartier zu begeben. Der Einfluss, den Rasputin in kirchlichen Angelegenheiten auszuüben vermochte, trat an diesem Abend so eklatant hervor, dass es sich durch die beiden Bischöfe in ganz Petersburg herumsprach.
Um diese Zeit setzte Alexandra Feodorowna den Zaren auf Anraten Rasputins und Protopopows davon in Kenntnis, dass der General Alexejew geheimnisvolle Verbindungen mit A. I. Gutschkow unterhielt. Aber der gerissene und scheinheilige Protopopow, in dessen Arbeitszimmer ein riesiges Porträt von Gutschkow hing, lüftete vor der Zarin nur eine Spitze des Schleiers, hinter dem sich die Organisatoren des gegen den Zaren angezettelten Komplotts verbargen. Mit einem an Dummheit grenzenden Dünkel ging er davon aus, dass er auf diese Weise ihre ganze Verschwörung hintertrieb, ohne sich gleich von vornherein als Verräter offenbaren zu müssen.
Grigori machte damals einen Versuch, sich in die Führung der militärischen Operationen einzumischen. Er riet, die Offensive des Generals Brussilow anzuhalten. Aber der Zar ging darauf nicht ein und tat das gerade Gegenteil. Soweit es sich um die Armee handelte, folgte Nikolaus II. immer nur dem Rat des Generals Alexejew; auf dieses Terrain liess er Rasputin nicht vordringen. Keine Beförderung auf einen höheren Posten im Landheer und in der Marine geschah je unter Rasputins Einfluss. Nur rein zufällig entsprach eine dieser Ernennungen auch den Wünschen des Staretz: die Ernennung des Generals Russki zum Oberkommandierenden der Nordarmee.
Am 3. Oktober reiste die Zarin ins Hauptquartier.
Wieder war ganz Petersburg voll von der wachsenden Macht Rasputins bei der Zarin. Es blieb nicht lange verborgen, dass der neue Innenminister Protopopow freundschaftliche Beziehungen zum Staretz unterhielt, und das vertiefte noch beträchtlich die Kluft zwischen ihm und der Duma und der russischen Gesellschaft im allgemeinen.
Auch die Gerüchte von der in Aussicht genommenen Freilassung Suchomlinows riefen allgemeine Unzufriedenheit hervor. Unter den Frauen erzählte man sich, dass alles nur der Frau Suchomlinow zuliebe geschehe, in die sich der Staretz verliebt habe.
Rasputin selbst fühlte seine Position bedeutend gestärkt durch seine freundschaftlichen Beziehungen mit fünf Ministern. Im Kreise seiner Freunde rühmte er jetzt immer häufiger die Charakterstärke der Zarin und die Leichtigkeit, mit der sie sich in den Staatsgeschäften zurechtfand; er zog Parallelen zu der Weichheit und Güte des Zaren. Wenn er betrunken war, erzählte er besonders gern dick aufgetragene Absurditäten. In seiner Umgebung verglich man mehr und mehr die Zarin mit Katharina der Grossen. Die intimen Freunde von Stürmer lancierten das Gerücht, dass der Zar ausserordentlich erschöpft und deshalb damit zu rechnen sei, dass vielleicht die Zarin mit der Regentschaft beauftragt würde. Einige leichtgläubige Gemüter nahmen diese Worte eines Betrunkenen für bare Münze. Sie verbreiteten diese Dinge in der Öffentlichkeit, womit der Hass gegen die Zarin und Rasputin weiterwuchs.
Alle diese von den Parteigängern des Staretz aufgebrachten Gerüchte vermischten sich noch mit anderen Gerüchten, die nicht weniger schwerwiegend waren und aus den verschiedensten Quellen stammten. Es handelte sich dabei teils um abscheuliche Verunglimpfungen, bei denen der Name Rasputin immer in engem Zusammenhang mit dem der Zarin genannt wurde. Man beschuldigte sie, intime Beziehungen zu unterhalten, für Rechnung Wilhelms II. tätig zu sein und am Abschluss eines Separatfriedens zu arbeiten. In diesem Sinne bearbeiteten sie auch den Zaren, sagte man, und sie veranlassten ihn sogar, gewisse Tränke zu sich zu nehmen, um ein willfähriges Werkzeug aus ihm zu machen. Auch diese Verunglimpfungen fanden Glauben in der russischen Gesellschaft.
In den Kreisen der Duma war man so fest davon überzeugt, dass die Zarin den Deutschen in die Hände arbeitete, dass man jede Verleumdung für wahr hielt, obgleich der ehemalige Minister Sasonow ausdrücklich erklärt hatte, dass nichts Wahres daran sei.
Diese hässliche Verleumdungskampagne war ein Teil der Taktik zur Vorbereitung der Revolution, an der seit dem Herbst 1916 eine Reihe von Organisationen fieberhaft arbeitete.