Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Übrigens hatten auch diese Gedanken ihren Reiz.
Als ich am 8. Mai vom letzten Examen, dem Religionsexamen, heimkehrte, traf ich zu Hause den mir bekannten Gesellen von Rosanow, der schon früher die nur zusammengeheftete Uniform und den Rock aus schillerndem schwarzen Tuch zur Anprobe gebracht und die Aufschläge mit Kreide vorgezeichnet hatte, jetzt aber den ganz fertigen Anzug mit glänzenden, in Papier gewickelten Goldknöpfen ablieferte.
Nachdem ich den Anzug angelegt und sehr schön gefunden hatte, obgleich St. Jérôme behauptete, der Rücken des Rockes schlage Falten, ging ich mit selbstgefälligem Lächeln, das sich ganz unwillkürlich auf mein Gesicht legte, hinunter zu Wolodja. Dabei fühlte ich (obgleich ich tat, als bemerkte ich sie nicht) die Blicke der Dienerschaft, die aus dem Vorzimmer und aus dem Flur gierig auf mich gerichtet waren. Gabriel, der Haushofmeister, suchte mich im Salon auf, beglückwünschte mich zum Eintritt in die Universität, übergab mir auf Papas Geheiß vier weiße Banknoten und sagte mir, daß, ebenfalls auf Papas Geheiß, vom heutigen Tage an der Kutscher Kusjma, die kleine Droschke und der Braune Krassawtschik zu meiner vollen Verfügung stehen. Ich war so erfreut über dieses fast unerwartete Glück, daß ich es nicht fertig brachte, vor Gabriel Gleichgültigkeit zu heucheln, und etwas verwirrt und hastig das erste beste, was mir in den Sinn kam, sagte; ich glaube es war, daß Krassawtschik ein vortrefflicher Traber sei. Als ich die Köpfe bemerkte, die sich durch die Türen des Vorzimmers und des Flures hereinstreckten, konnte ich mich nicht länger halten und rannte im Trabe in meinem neuen Rock mit den glänzenden Goldknöpfen durch den Saal. Als ich in Wolodjas Zimmer trat, ertönten hinter mir die Stimmen Dubkows und Nechljudows, die gekommen waren, um mir zu gratulieren, und nun vorschlugen, daß wir irgendwo dinieren und zu Ehren des bestandenen Examens Champagner trinken sollten. Dmitrij sagte mir, obzwar er kein Freund von Champagner sei, wolle er heute mit uns fahren, um mit mir Bruderschaft zu trinken; Dubkow behauptete, ich sähe eigentlich ganz so aus wie ein Oberst, Wolodja gratulierte mir gar nicht und bemerkte nur sehr trocken, daß wir nun übermorgen aufs Land abreisen könnten. Obgleich er sich über meinen Eintritt in die Universität freute, war es doch, als sei es ihm ein wenig unangenehm, daß ich nun ebenso gut erwachsen war wie er. St. Jérôme, der ebenfalls zu uns kam, sagte sehr schwülstig, nun sei seine Pflicht beendet, er wisse nicht, ob er sie gut oder schlecht erfüllt habe, er habe jedoch alles getan, was in seinen Kräften stand, und morgen werde er zu seinem Grafen übersiedeln. Ich fühlte, daß als Antwort auf alles was man zu mir sprach, fast wider meinen Willen auf meinem Gesichte ein süßliches, glückliches, ein wenig dummselbstgefälliges Lächeln erblühte, und ich bemerkte, daß dieses Lächeln sich auch allen mitteilte, die mit mir sprachen.
So habe ich denn keinen Hauslehrer mehr, ich habe eine eigene Equipage, mein Name steht in dem Verzeichnis der Studenten, ich habe einen Degen und ein Portepée, die Polizisten werden vielleicht zuweilen vor mir salutieren, – ich bin erwachsen, ich glaube, ich bin glücklich.
Wir beschlossen, um fünf Uhr bei Jar zu dinieren; aber da Wolodja zu Dubkow fuhr und Dmitrij seiner Gewohnheit gemäß ebenfalls verschwand, unter dem Vorwande, daß er am Vormittage noch einiges zu tun habe, konnte ich zwei Stunden ganz nach meinem Belieben verbringen. Ich wanderte ziemlich lange durch alle Zimmer und betrachtete mich in allen Spiegeln, bald mit geschlossenem Rocke, bald mit ganz aufgeknöpftem, dann wieder knöpfte ich nur den obersten Knopf zu, – und alles gefiel mir ganz ausgezeichnet; dann, so sehr ich mich auch genierte, eine zu große Freude zu verraten, konnte ich mich doch nicht enthalten, in den Pferdestall und die Wagenremise zu gehen, um Krassawtschik, Kusjma und die Droschke anzuschauen. Darauf kehrte ich wieder zurück und schritt wieder durch die Zimmer, blickte wieder in alle Spiegel und zählte das Geld in meiner Tasche und lächelte immer noch so glücklich. Aber kaum war eine Stunde vergangen, als ich eine gewisse Langweile empfand oder vielmehr Bedauern darüber, daß mich niemand in meiner glänzenden Lage sah, und ich sehnte mich nach Bewegung und Tätigkeit. Daher ließ ich den Wagen anspannen und beschloß, nach der Schmiedebrücke zu fahren und Einkäufe zu machen.
Ich erinnerte mich, daß Wolodja nach bestandenem Examen sich Lithographien der Pferdebilder von Viktor Adam, Tabak und Pfeifen gekauft hatte, und es erschien mir unbedingt notwendig, dasselbe zu tun.
Unter den von allen Seiten auf mich gerichteten Blicken und bei dem Spiel des Sonnenglanzes auf meinen Knöpfen, auf der Kokarde an der Mütze und auf dem Degen, kam ich zur Schmiedebrücke gefahren und hielt vor dem Bilderladen Daziaros. Mich nach allen Seiten umblickend, trat ich in den Laden; ich wollte nicht Viktor Adams Pferdebilder kaufen, damit man mir nicht vorwerfen konnte, daß ich Wolodja nachäffe, aber weil ich mich genierte, so überhastete ich mich, und da ich so schnell als möglich wählen wollte, um den mich bedienenden Verkäufer nicht länger zu belästigen, nahm ich einen in Gouache ausgeführten Frauenkopf, der im Fenster stand, und bezahlte dafür zwanzig Rubel. Aber nachdem ich diese zwanzig Rubel bezahlt hatte, schämte ich mich immer noch, daß ich die beiden gutgekleideten Verkäufer um solcher Kleinigkeiten willen beunruhigt hatte, und außerdem schien mir, daß sie mich immer noch zu geringschätzig behandelten. In dem Wunsche, sie fühlen zu lasten, wer ich sei, wandte ich meine Aufmerksamkeit einem silbernen Sächelchen zu, das unter Glas lag, und als ich hörte, daß es ein Bleistifthalter sei und achtzehn Rubel kostete, bat ich, es mir in Papier zu wickeln, und bezahlte das Geld. Nachdem ich noch erfahren hatte, daß ich gute Tschibuks und Tabak nebenan im Tabakladen bekomme, verbeugte ich mich höflich vor den beiden Verkäufern und trat mit dem Bilde unter dem Arm auf die Straße hinaus. Im Nachbarladen, auf dessen Schild ein Zigarren rauchender Neger abgebildet war, kaufte ich – ebenfalls nur um niemand nachzuahmen – nicht Shukow, sondern Sultan, eine kleine Stambulpfeife und je einen Linden- und Rosentschibuk. Als ich vom Laden zum Wagen ging, bemerkte ich Ssemjonow, der im Zivilrock mit gesenktem Haupte schnellen Schrittes über das Trottoir ging: es ärgerte mich, daß er mich nicht erkannte. Ich sagte ziemlich laut: »Fahr' vor,« setzte mich in die Droschke und holte Ssemjonow ein.
»Guten Tag,« rief ich ihm zu.
»Habe die Ehre,« erwiderte er, ohne stehen zu bleiben.
»Warum sind Sie nicht in Uniform?« fragte ich.
Ssemjonow blieb stehen, kniff die Augen zu, zeigte seine weißen Zähne, tat, als sei es ihm unangenehm, in die Sonne zu blicken, hauptsächlich wohl, weil er mir zeigen wollte, wie kalt ihn mein Wagen und meine Uniform ließen, sah mich schweigend an und ging weiter.
Von der Schmiedebrücke fuhr ich in eine Konditorei in der Twerstraße. Und obgleich ich mich stellen wollte, als ob mich in der Konditorei vor allem die Zeitungen interessierten, konnte ich mich doch nicht überwinden und begann einen Kuchen nach dem andern zu verzehren. Ungeachtet dessen, daß ich mich vor einem Herrn genierte, der mich hinter seiner Zeitung hervor neugierig betrachtete, aß ich sehr schnell etwa acht Kuchen von allen Sorten, die überhaupt in der Konditorei zu haben waren.
Als ich nach Hause kam, fühlte ich ein leichtes Sodbrennen; doch ohne darauf zu achten, machte ich mich daran, meine Einkäufe anzuschauen. Das Bild mißfiel mir so, daß ich es nicht nur nicht einrahmte und nicht in mein Zimmer hing wie Wolodja, sondern es sogar sorgfältig hinter der Kommode versteckte, wo es niemand sehen konnte. Der Bleistifthalter gefiel mir zu Hause auch nicht; ich legte ihn in die Tischlade, tröstete mich jedoch mit dem Gedanken, daß er aus Silber, also eine Wertsache und für einen Studenten sehr nützlich war. Die Rauchutensilien aber beschloß ich sofort in Gebrauch zu nehmen und auszuprobieren.
Nachdem ich das Viertelpfundpäckchen geöffnet und die türkische Pfeife mit dem rötlichgelben, feingeschnittenen Sultan gestopft hatte, legte ich einen brennenden Schwamm darauf, nahm den Tschibuk zwischen den Mittel- und den Ringfinger (eine Handstellung, die mir ganz besonders gefiel) und begann den Rauch einzuziehen.
Der Duft des Tabaks war sehr angenehm, aber im Munde hatte ich einen bitteren Geschmack und der Atem drohte mir zu stocken. Ich faßte mir jedoch ein Herz und atmete recht lange den Rauch ein, versuchte Ringe zu blasen und den Rauch wieder einzuziehen. Bald war das ganze Zimmer von bläulichen Rauchwolken erfüllt, die Pfeife begann zu rasseln, der glimmende Tabak zu knistern, im Munde fühlte ich einen bitteren Geschmack und im Kopf einen leichten Schwindel; ich wollte schon aufhören und mich nur noch einmal mit der Pfeife im Spiegel betrachten, als ich zu meinem Erstaunen zu schwanken begann. Das Zimmer drehte sich im Kreise, und als ich in den Spiegel blickte, zu dem ich mich mühsam hingeschleppt hatte, sah ich, daß mein Gesicht weiß war wie Leinwand. Ich hatte mich kaum auf den Divan sinken lassen, als ich eine solche Übelkeit und eine solche Schwäche empfand, daß ich, in der Einbildung, die Pfeife sei für mich lebensgefährlich, glaubte sterben zu müssen; ich erschrak ernstlich und wollte schon um Hilfe rufen und den Doktor holen lassen.
Aber die Angst dauerte nicht lange. Ich begriff bald, was mit mir vorging, lag eine Weile mit furchtbarem Kopfschmerz matt auf dem Divan und betrachtete mit stumpfer Aufmerksamkeit den Stempel Bostanjoglos, der auf dem Viertelpfundpäckchen abgebildet war, die am Boden liegende Pfeife, die Aschenreste und die Bröseln der Konditoreikuchen und dachte voll trüber Enttäuschung: »Wahrscheinlich bin ich noch nicht ganz erwachsen, wenn ich nicht rauchen kann wie die andern, und wahrscheinlich ist es mir nicht beschieden, den Tschibuk zwischen Mittel- und Ringfinger zu halten, den Rauch einzuziehen und durch den blonden Schnurrbart hindurch wieder hinauszublasen.«
Dmitrij, der um fünf Uhr mich abholen kam, fand mich in diesem unangenehmen Zustande; doch als ich ein Glas Wasser getrunken hatte, war ich fast wiederhergestellt und bereit, mit ihm zu fahren.
»Wie kommen Sie aber auch auf den Gedanken, zu rauchen?« sagte er, als er die Spuren meines Versuches erblickte, »das sind alles Dummheiten und unnütze Geldausgaben. Ich habe mir das Wort gegeben, nicht zu rauchen; aber lassen Sie uns schnell gehen, wir müssen noch zu Dubkow.«