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Die Nechljudows.

Im ersten Augenblick fiel mir in dieser ganzen Gesellschaft vor allem Ljubow Ssergejewna auf, die, ein Bologneserhündchen auf dem Arme, in ihren dicken, gestrickten Schuhen die Treppe heraufkam und ein paar Mal stehen blieb, um mich aufmerksam zu betrachten und gleich darauf ihr Hündchen zu küssen. Sie war sehr häßlich: rothaarig, mager, klein und etwas schiefgewachsen; was ihr unschönes Gesicht noch häßlicher machte, war ihre merkwürdige Frisur mit dem Scheitel an der Seite (eine jener Frisuren, welche Frauen, die wenig Haar haben, zu erfinden pflegen). So sehr ich mich auch aus Gefälligkeit gegen meinen Freund bemühte, ich konnte an ihr keinen einzigen hübschen Zug entdecken; sogar ihre braunen Augen waren trotz des gutmütigen Ausdruckes zu klein und trübe und entschieden unschön; selbst die Hände, die so charakteristisch zu sein pflegen, waren zwar nicht groß und nicht häßlich geformt, aber rot und rauh.

Als ich hinter ihnen auf die Terrasse kam, sagte jede der Damen mit Ausnahme von Warenka, der Schwester Dmitrijs, die mich nur aufmerksam mit ihren großen, dunkelgrauen Augen anschaute, einige Worte zu mir, bevor sie wieder ihre Handarbeit aufnahmen und Warenka aus einem Buche, welches sie auf ihrem Schoße hielt, vorzulesen begann.

Die Fürstin Maria Iwanowna war eine große, schlanke Frau von etwa vierzig Jahren. Man hätte sie nach den halbgrauen Locken, die offen unter dem Häubchen hervorsahen, für älter halten können, aber das frische, ungemein zarte, fast faltenlose Gesicht und besonders der lebhafte, fröhliche Glanz der großen Augen ließen sie viel jünger erscheinen. Sie hatte braune, weit offene Augen, zu schmale, etwas strenge Lippen, eine ziemlich regelmäßige, aber ein wenig nach links gewandte Nase; ihre Hand war groß, fast männlich, und hatte schöne, langgestreckte Finger, die nicht mit Ringen geschmückt waren. Sie trug ein dunkelblaues, geschlossenes Kleid, das ihre schlanke und noch jugendliche Taille, auf die sie stolz zu sein schien, fest umschloß. Sie saß auffallend gerade da und nähte an einem Kleide. Als ich die Galerie betrat, ergriff sie meine Hand, zog mich zu sich heran, als wollte sie mich genau betrachten, und sagte, indem sie mich mit demselben kühlen, offenen Blick, den auch ihr Sohn hatte, ansah, daß sie mich schon längst aus den Erzählungen Dmitrijs kenne, und daß sie mich einlade, den ganzen Tag bei ihnen zu bleiben, damit wir uns gegenseitig nähertreten könnten. – »Tun Sie, was Ihnen in den Sinn kommt, ohne sich durch uns stören zu lassen, so wie auch wir uns nicht durch Sie stören lassen werden; gehen Sie spazieren, lesen Sie, hören Sie zu oder schlafen Sie, wenn Ihnen das angenehmer ist,« fügte sie hinzu.

Sofia Iwanowna war ein altes Fräulein und eine jüngere Schwester der Fürstin, sah aber älter aus als diese. Sie hatte die seltsame, schwerfällige Haltung, die man nur bei kleinen und dicken alten Mädchen antrifft, als wäre ihre ganze Kraft so stark nach oben gedrungen, daß sie jeden Augenblick zu ersticken drohte.

Obgleich Fürstin Maria Iwanowna dunkle Haare und dunkle Augen hatte, während Sofia Iwanowna blond war und große, lebhafte und (was eine große Seltenheit ist) gleichzeitig ruhige blaue Augen besaß, bestand zwischen den Schwestern doch eine große Familienähnlichkeit: derselbe Gesichtsausdruck, dieselbe Nase, dieselben Lippen, nur daß Sofia Iwanowna eine dicke Nase und dicke Lippen hatte, die zur rechten Seite gewandt waren, wenn sie lächelte, während die der Fürstin mehr nach links neigten. Sofia Iwanowna wollte, wenn man nach der Kleidung und der Frisur urteilen konnte, noch jung erscheinen und hätte gewiß keine grauen Locken sehen lassen, wenn sie welche gehabt hätte. Ihr Blick und die Art, wie sie mich behandelte, erschienen mir anfänglich hochmütig und machten mich verlegen, während ich mich der Fürstin gegenüber frei von jeder Verlegenheit fühlte. Vielleicht gaben ihre Dicke und gewisse Ähnlichkeit mit dem Bilde Katharina der Großen, die ich an ihr zu bemerken glaubte, ihr in meinen Augen das stolze Aussehen; jedenfalls aber wurde ich ganz verwirrt, als sie, mich unverwandt anblickend, mir sagte: »Die Freunde unserer Freunde sind auch unsere Freunde.« Ich beruhigte mich und änderte plötzlich meine Meinung über sie erst in dem Augenblick, als sie nach diesen Worten schwieg und den Mund öffnend schwer aufseufzte. Sie hatte, wahrscheinlich wegen ihrer großen Körperfülle, die Gewohnheit jedes Mal, wenn sie einige Worte gesprochen hatte, tief aufzuseufzen, wobei sie leicht den Mund öffnete und ihre großen, blauen Augen ein wenig schloß. In dieser Gewohnheit verriet sich, ich kann nicht recht erklären wie, eine so liebe Gutmütigkeit, daß ich gleich nach diesem Seufzer meine Scheu vor ihr verlor, ja daß sie mir sogar sehr gefiel; ihre Augen waren schön, ihre Stimme klang voll und angenehm und selbst die sehr runden Linien ihrer Figur schienen mir nicht der Schönheit zu entbehren.

Ich hatte gemeint, daß Ljubow Ssergejewna als die Freundin meines Freundes mir gleich irgend etwas sehr Freundliches und Herzliches sagen werde; sie sah mich auch ziemlich lange schweigend an, als sei sie unentschlossen, ob das, was sie mir sagen wollte, nicht gar zu freundschaftlich sein werde, aber sie unterbrach dieses Schweigen nur, um mich zu fragen, in welcher Fakultät ich sei. Dann betrachtete sie mich wieder ziemlich lange aufmerksam, offenbar schwankend, ob sie dieses herzliche Freundeswort sprechen sollte oder nicht, und als ich ihr Schwanken bemerkte, bat ich sie durch meine Blicke, mir alles zu sagen; aber sie sprach nur: »Man sagt, heute beschäftige man sich auf der Universität nur wenig mit den Wissenschaften,« und rief ihr Hündchen Susette herbei.

Ljubow Ssergejewna sprach den ganzen Abend in solchen nicht zur Sache gehörigen, nicht zueinander passenden Sätzen, aber ich glaubte Dmitrij so fest und er blickte so besorgt den ganzen Abend lang bald auf mich, bald auf sie, als wenn er fragen wollte: »Nun?« – daß ich, wie das oft zu sein pflegt, obgleich ich im Innern schon überzeugt war, daß an Ljubow Ssergejewna nichts Besonderes sei, noch sehr weit davon entfernt war, diese Gedanken auch nur mir selbst einzugestehen.

Das letzte Mitglied dieser Familie endlich, Warenka, war ein starkes Mädchen von etwa sechzehn Jahren.

Hübsch an ihr waren nur die dunkelgrauen großen Augen voller Heiterkeit und zugleich ruhiger Beschaulichkeit, die den Augen der Tante sehr ähnlich waren, ein dicker dunkelblonder Zopf und ungemein zarte und schöne Hände.

»Ich denke, es wird Sie langweilen, Mr. Nicolas, aus der Mitte heraus zuzuhören,« sagte Sofia Iwanowna zu mir mit ihrem gutmütigen Seufzer, indem sie die Teile des Kleides umwandte, an dem sie nähte.

Das Vorlesen hatte eben aufgehört, weil Dmitrij hinausgegangen war.

»Oder haben Sie vielleicht Robroy schon gelesen?«

Damals hielt ich es für meine Pflicht, schon allein deshalb, weil ich die Studentenuniform trug, im Gespräch mit mir wenig bekannten Menschen auf die einfachste Frage unbedingt sehr »gescheit und originell« zu antworten; kurze und klare Antworten aber wie ja, nein, das ist langweilig, das ist lustig u. dergl., hielt ich für die größte Schande. Nachdem ich einen Blick auf meine neuen, modernen Beinkleider und auf die glänzenden Knöpfe meines Rockes geworfen hatte, erwiderte ich, daß ich »Robroy« noch nicht gelesen hätte, daß es mich aber sehr interessiere, zuzuhören, da ich vorzöge, Bücher aus der Mitte heraus zu lesen, statt von Anfang an.

»Das ist doppelt interessant: man sucht zu erraten, was schon war und was noch kommt,« fügte ich mit selbstgefälligem Lächeln hinzu.

Die Fürstin lachte mit einem Lachen, das mir nicht ganz natürlich erschien (später bemerkte ich, daß sie kein anderes Lachen hatte).

»Wirklich, das muß wahr sein,« sagte sie, »und bleiben Sie lange hier, Nicolas? Nehmen Sie es mir nicht übel, wenn ich nicht Monsieur sage; wann reisen Sie ab?«

»Ich weiß nicht, vielleicht morgen, vielleicht bleiben wir auch noch recht lange hier,« antwortete ich ohne bestimmten Grund, obgleich wir morgen sicher abreisen sollten.

»Ich möchte wünschen, daß Sie bleiben, sowohl Ihretwegen, als auch meines Sohnes wegen,« bemerkte die Fürstin und sah ins Weite, »in Ihrem Alter ist die Freundschaft etwas Herrliches.«

Ich fühlte, daß alle mich anblickten und meine Antwort erwarteten, wenngleich Warenka so tat, als betrachte sie die Arbeit ihrer Tante; ich fühlte, daß man mich in gewissem Sinne einem Examen unterwarf, und daß ich mich von meiner vorteilhaftesten Seite zeigen mußte.

»Ja,« sagte ich, »mir ist Dmitrijs Freundschaft von Nutzen, aber ich meinerseits kann ihm nichts sein: er ist tausendmal besser als ich.« (Dmitrij konnte meine Worte nicht hören, sonst hätte ich gefürchtet, daß er ihre Unaufrichtigkeit herausgefühlt hätte.)

Die Fürstin lachte wieder mit dem unnatürlich scheinenden, aber ihr eigenen Lachen.

»Nun, und wenn man ihn hört,« sagte sie, » c'est vous qui êtes un petit monstre de perfection

» Monstre de perfection, das ist sehr gut, das muß ich mir merken,« dachte ich.

»Im übrigen, ohne von Ihnen zu sprechen, er ist in diesen Dingen Meister,« fuhr sie fort, die Stimme senkend und mit den Augen auf Ljubow Ssergejewna hinweisend, »er hat an dem armen Tantchen (so wurde Ljubow Ssergejewna bei ihnen genannt), das ich seit zwanzig Jahren mit Susette kenne, Vollkommenheiten entdeckt, die ich nie vermutet hätte; – Warja, laß mir ein Glas Wasser bringen,« fügt sie hinzu, wieder in die Ferne blickend, wahrscheinlich weil sie fand, daß es noch zu früh oder überhaupt unnötig sei, mich in die Familienbeziehungen einzuweihen; »oder nein, soll lieber er gehen, er tut ja gar nichts, du aber lies weiter. Gehen Sie, mein Freund, geradeaus auf die Tür zu, und wenn Sie fünfzehn Schritt gegangen sind, bleiben Sie stehen und sagen Sie mit lauter Stimme: Peter, bringe Maria Iwanowna ein Glas Wasser mit Eis,« sprach sie zu mir und lachte wieder leicht mit ihrem unnatürlichen Lachen.

»Wahrscheinlich will sie über mich sprechen,« dachte ich, als ich das Zimmer verließ, »wahrscheinlich will sie sagen, sie habe bemerkt, daß ich ein sehr, sehr gescheiter junger Mann sei.« Ich hatte die fünfzehn Schritte noch nicht zurückgelegt, als die dicke Sofia Iwanowna atemlos, aber doch mit schnellen und leichten Schritten mich einholte.

» Merci, mon cher,« sagte sie, »ich gehe selbst hin und werde es schon bestellen.«


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