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Viertes Kapitel.
Manaos

Die Stadt Manaos liegt genau auf 3 Grad 8 Minuten 4 Sekunden südlicher Breite und 67 Grad 27 Minuten westlicher Länge des Meridians von Paris, 420 Meilen von Belem und nur 10 Kilometer von der Mündung des Rio Negro entfernt.

Manaos ist nicht am Ufer des Amazonenstromes erbaut. Es liegt am linken Ufer des Rio Negro – des bedeutendsten und merkwürdigsten unter den Zuflüssen der großen brasilianischen Wasserader. Hier erhebt sich diese Hauptstadt der Provinz, mit ihren malerischen Privathäusern und öffentlichen Gebäuden das umliegende Gelände überragend.

Der Rio Negro, 1645 von dem Spanier Favella entdeckt, entspringt am Abhang der im Nordwesten zwischen Brasilien und Neu-Granada gelegenen Berge, im Herzen der Provinz Popayan, und steht in Verbindung mit dem Orinoco durch zwei seiner Nebenflüsse, den Pimichim und den Cassiquiare.

Nach einem stolzen Laufe von 1700 Kilometern ergießt der Rio Negro in einer 1100 Klafter breiten Mündung sein schwarzes Wasser in den Amazonenstrom. Sein Lauf ist so rasch und gewaltig, daß er sich mehrere Meilen weit nicht mit dem Wasser des Hauptstroms mischt. An dieser Stelle erweitern sich die Ufer zu einer 15 Meilen weiten Bai, die sich bis zu den Anavithanas-Inseln erstreckt.

Dort an einem engen Einschnitt liegt der Hafen Manaos. Hier finden sich zahlreiche Schiffe zusammen, die einen ankern im Strom, wo sie einen günstigen Wind abwarten, die andern sind in Reparatur in den vielen Iguarapes oder Kanälen, die die Stadt durchschneiden, und ihr ein fast holländisches Gepräge verleihen.

Wenn hier erst Ankerplatz für Dampfschiffe ist – was bald der Fall sein wird – so muß in der Nähe des Zusammenflusses dieser beiden Ströme Manaos sich zu einem bedeutenden Handelsplatz entwickeln. Manaos – mitten im Binnenlande – ist jetzt Seehafen und hat direkte Dampferverbindung mit Genua, Hamburg, Liverpool. Die Einwohnerzahl beträgt jetzt 45 000. A. d. Ü.

Bauholz und Tischlerholz, Kakao, Kautschuk, Kaffee, Sarsaparille, Zuckerrohr, Indigo, Muskatnuß, Pökelfische, Schildkrötenbutter – diese verschiedenen Artikel können von hier aus auf zahlreichen Wasserstraßen nach allen Himmelsrichtungen hin transportiert werden: nach Norden und Westen auf dem Rio Negro, nach Süden und Westen auf dem Rio Madeira, und endlich auf dem Rio das Amazonas, der nach Osten bis zum Gestade des Atlantischen Ozeans fließt.

Die Lage dieser Stadt ist daher günstig wie selten eine und muß zu ihrem Aufblühen ganz gewaltig beitragen.

Manaos hieß ehemals Mura, später Barra do Rio Negro. Als es seit 1826 die Hauptstadt der riesigen Amazonenprovinz geworden war, entlieh sie ihren neuen Namen einem Stamme jener Indianer, die ehemals die Gebiete von Zentral-Amerika bewohnt haben.

Mehrmals haben schlecht unterrichtete Reisende diese Stadt mit dem berühmten Manao verwechselt, einer Art phantastischer Stadt, die an dem sagenhaften Parima-See (augenscheinlich identisch mit dem obern Branco, einem kleinen Nebenflusse des Rio Negro) liegen soll.

Hier befand sich jenes Eldorado, das Reich, dessen Beherrscher sich jeden Morgen, wenn man den Sagen des Landes Glauben schenken soll, mit Goldstaub bedecken ließ, in solchem Ueberfluß war das kostbare Metall, das mit Schaufeln gesammelt wurde, in diesem bevorzugten Lande vorhanden.

Aber die angestellten Untersuchungen mußten das Gegenteil darlegen, und der ganze angebliche Goldreichtum beschränkte sich auf das Vorhandensein zahlloser aber auch wertloser Glimmersteine, die die gierigen Blicke der Goldsucher genarrt hatten.

Manaos hat nichts von dem märchenhaften Glanz dieser mythologischen Hauptstadt des Eldorado. Es ist nur eine Stadt von etwa 5000 Einwohnern, unter denen man mindestens 3000 Beamte zählt.

Daher ist auch eine bestimmte Anzahl von Privathäusern zu Amtsgebäuden geworden: Gerichtsgebäude, Präsidentenpalais, Generalschatzkammer, Postamt, Zollamt, zu schweigen von einer höhern Schule, die 1848 gegründet wurde, und einem Hospital, das 1851 entstand.

Wenn man noch einen Friedhof erwähnt, der auf dem Ostabhang des Hügels liegt, wo 1669 gegen die Piraten des Amazonenstroms eine jetzt zerstörte Festung errichtet wurde, so weiß man alles, was die Stadt an bedeutenden Zivilgebäuden und Anlagen besitzt.

An religiösen Bauten sind nur zwei zu nennen: die kleine Kirche der Empfängnis Mariä und die Kapelle Unserer Mutter des Heils, die fast im freien Felde auf einem Manaos überragenden Hügel erbaut ist.

Das ist wenig für eine Stadt spanischen Ursprungs. Zu diesen beiden Kirchen muß jedoch noch ein Karmeliterkloster hinzugezählt werden, das 1850 in Brand geriet und von dem nur noch Trümmer vorhanden sind.

Die Bevölkerung von Manaos beträgt nicht mehr als die oben genannte Zahl und besteht neben den Beamten und Soldaten hauptsächlich aus portugiesischen Kaufleuten und Angehörigen der verschiedenen Indianerstämme vom Rio Negro.

Drei ziemlich unregelmäßige Hauptstraßen durchqueren die Stadt; sie tragen Namen, die für dieses Land sehr charakteristisch sind: die Straße Gottes des Vaters – die Straße Gottes des Sohnes – die Straße Gottes des heiligen Geistes.

Gegen Westen zieht sich außerdem eine prachtvolle Allee von hundertjährigen Orangenbäumen hin, welche die Architekten voll Ehrfurcht verschonten, als sie aus der alten Stadt die neue Stadt machten.

Um diese Hauptstraßen schlängelt sich ein Netz nicht gepflasterter Gassen, die von vier Kanälen durchschnitten werden, über welche Holzübergänge führen.

Die verschiedenen Privatwohnungen muß man unter einigen hundert ziemlich rohen Häusern suchen, von denen die einen mit Ziegeln gedeckt, die andern mit zusammengefügten Palmblättern überdacht sind.

Und was für Leute sieht man zur Spazierzeit aus den öffentlichen und Privatgebäuden herauskommen? Männer mit stolzen, hochnäsigen Gesichtern – schwarzem Rock, seidnem Hut, Lackstiefeln, hellfarbigen Handschuhen, Diamanten in der Krawatte, Frauen in großer, pomphaft überladener Toilette, Falbelroben, Hüten nach neuster Mode; endlich Indianer, die auch anfangen, sich zu europäisieren, um ja alles zu zerstören, was diesem mittlern Teil des Amazonenstroms an Lokalkolorit bleiben könnte.

Das ist Manaos, mit dem der Leser mit großen und ganzen wegen des weitern Verlaufs dieser Erzählung bekannt gemacht werden mußte.

Denn die so jäh und tragisch unterbrochene Reise der Jangada nahm hier in der Mitte der langen zurückzulegenden Fahrt ein plötzliches Ende, und hier sollten sich in kurzer Zeit die Begebenheiten dieser geheimnisvollen Geschichte abspielen.


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