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Als der Richter eintraf, war der ganze Leichenzug stehen geblieben. Ein unermeßliches Echo hatte ihm hinterher in einem fort den Ruf getragen, der aus aller Brust aufstieg, und der noch immer hinter ihm schallte:
»Unschuldig! unschuldig!«
Dann war vollständige Stille eingetreten. Kein einziges der Worte, die nun gesprochen werden sollten, mochte irgend wer verlieren.
Der Richter Jarriquez hatte sich auf eine Steinbank gesetzt, und während Minha, Benito, Manuel und Fragoso sich rings um ihn aufstellten, während Joam Dacosta Yaquita an seinem Herzen hielt, stellte Richter Jarriquez zuvörderst den letzten Abschnitt des Schriftstücks mittels der Zahl fest, und im selben Verhältnis, wie sich die Worte unter der Ziffer genau zusammenfügten, die das richtige Schreiben an das in Geheimschrift setzte, trennte er sie, gliederte er sie zu Sätzen, mit lauter Stimme:
Und was er las inmitten dieser tiefen Stille, war Folgendes:
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militärischen Eskorte des Konvois 4325134325134 3251343 251 3432513 qlnnudvluhihr huppuxh fjt nsqxtjv
begangen nachts zweiundzwanzig- 43251343 251343 25134325134325 fhifojiq pfdkxv bbflyqfexdrckl
sten Januar achtzehnhundert- 1343 251343 251343251343251 twiq lfoxeu chiwdhjsixrggwu
sechszwanzig ist nicht Joam Da- 343251343251 343 25134 3251 34 vifjxazeqbnh lww pndkx mqfn ge
costa, ungerecht zum Tode verur- 32513 432513432 513 4325 13432 nqxud yqijshgkv evp xrfj whvxt
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waltungsbeamte des Diamantbe- 43251343251343 251 343251343 adnyvqkvdjbqxh fjt gmdofowfh
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wahren Namen zeichnet 343251 34325 13432513 zektjo qepgs ahmfj sfw
Ortega 432513 suvjhd
Noch war der Richter mit Lesen nicht fertig, als endloses Hurrageschrei die Luft erfüllte.
Was war denn auch einleuchtender als dieser letzte Abschnitt, der das ganze Schriftstück zusammenfaßte, die Unschuld des Mannes von Iquitos so unbedingt feststellte, dies Opfer eines furchtbaren Rechtsirrtums dem Galgen entriß!
Joam Dacosta, von seiner Frau und seinen Kindern, von seinen Freunden umringt, konnte gar nicht all die Hände drücken, die sich ihm entgegenstreckten. So energisch er auch von Charakter war, so konnte er doch die Reaktion nicht hindern: Freudentränen traten ihm in die Augen, und sein dankbares Herz richtete sich auf zu jener höhern Macht, die ihn auf so wunderbare Weise errettet hatte gerade da, wo er die letzte, höchste Strafe leiden sollte, richtete sich auf zu jenem allmächtigen Gotte des Himmels und der Erde, der das schlimmste der Verbrechen, den Tod eines Gerechten, nicht hatte geschehen lassen wollen!
Ja! Joam Dacostas Entsündigung konnte keinem Zweifel mehr unterstehen! Der wirkliche Urheber des Attentats von Tijuco gestand selber sein Verbrechen ein und stellte selber sämtliche Umstände klar, unter denen es sich vollzogen hatte. Richter Jarriquez hatte tatsächlich mittels der Zahl die ganze Geheimschrift entziffert.
Was nun Ortega bekannte, war Folgendes:
Dieser Schurke war Joam Dacostas Amtsgenosse, war gleich ihm zu Tijuco in den Kanzleien des über den Diamantenbezirk gesetzten Regierungsamtes angestellt. Der junge Beamte, der für die Begleitung des Konvois nach Rio de Janeiro auserwählt wurde, war er selber. Vor dem schrecklichen Gedanken, sich durch Mord und Raub zu bereichern, war er nicht zurückgeschreckt, sondern hatte den Schleichhändlern genau den Tag bezeichnet, an welchem der Konvoi Tijuco verlassen sollte.
Während des Ueberfalls der Bösewichte, die dem Konvoi jenseits von Villa-Rica auflauerten, hatte er sich mit der Begleitmannschaft scheinbar zur Wehr gesetzt, hatte sich zwischen die Toten geworfen, und war von seinen Mitverschworenen weggeschleppt worden, so daß also der einzig überlebende Soldat die Behauptung aufstellen konnte, Ortega sei im Kampfe gefallen.
Aber der Raub sollte dem Verbrecher nicht zugute kommen, denn kurz darauf war er selber von seinen Helfern bei dem Verbrechen beraubt und ausgeplündert worden.
Aller Hilfsmittel bar und außer stande, nach Tijuco zurückzukehren, floh Ortega in die nördlichen Provinzen von Brasilien, nach jenen Distrikten des obern Amazonas, woselbst sich die Miliz des »Capitano do mato« befand. Gelebt mußte doch sein, und so ließ sich Ortega in diese Truppe aufnehmen, die sich wahrlich keines guten Rufes erfreute. Dort wurde niemand gefragt, wer er sei, noch woher er komme. Ortega wurde also Buschklepper und betrieb Jahrelang das Handwerk eines Sklavenjägers.
Mittlerweile hatte der Abenteurer Torres, der sich nicht mehr über Wasser halten konnte, mit Ortega Kameradschaft geschlossen. Wer wie der erstere gesagt hatte, rührte sich bei dem Schurken Ortega allmählich das Gewissen. Die Erinnerung an sein Verbrechen verursachte ihm Entsetzen. Er wußte, daß ein anderer an seiner Statt verurteilt worden war! er wußte, daß dieser andere sein Kamerad Joam Dacosta war! er wußte endlich, daß dieser Unschuldige zwar der Todesstrafe hatte entrinnen können, daß aber nach wie vor die Gefahr einer solchen über seinem Haupte schwebte.
Da hatte es während eines vor ein paar Monaten von der Miliz über die Grenze von Peru hinaus unternommenen Streifzugs der Zufall gefügt, daß Ortega in die Umgegend von Iquitos gekommen war und dort in Joam Garral, der ihn nicht erkannte, Joam Dacosta wiederfand.
Damals faßte er den Entschluß, das Unrecht, dem sein ehemaliger Kollege zum Opfer gefallen war, nach Möglichkeit wieder gut zu machen. In einem Schriftstück faßte er alles zusammen, was auf das Attentat von Tijuco Bezug hatte; aber er tat es in der dem Leser bekannten mysteriösen Form, von der Absicht geleitet, es dem Farmer von Iquitos zusammen mit dem Chiffreschlüssel, der die Entzifferung ermöglichte, in die Hände zu spielen.
Der Tod ließ ihm nicht Zeit, dies Werk der Sühne zu vollenden. In einem Treffen gegen die Schwarzen am Madeirastrom schwer verwundet, fühlte er den Tod nahen. Sein Kamerad Torres war bei ihm. Diesem Freunde glaubte er das Geheimnis anvertrauen zu dürfen, das so schwer auf seiner Brust gelastet hatte. In seine Hand legte er das ganz von seiner Hand verfaßte Schriftstück, indem er ihm das Gelübde abnahm, es an Joam Dacosta weiter zu geben, dessen Name und Wohnplatz er ihm genau bezeichnete, und mit seinem letzten Seufzer entschlüpfte seinen Lippen jene Nummer 432513, ohne welche das Schriftstück absolut nicht zu entziffern war.
Wie sich der unwürdige Torres nach Ortegas Tode seiner Aufgabe entledigte, wie er sich vornahm, das Geheimnis, das in seinen Händen war, zu seinem persönlichen Nutzen zu verwerten, wie er versuchte, aus demselben ein schmähliches Schacherobjekt zu machen, ist dem Leser bekannt.
Torres mußte, bevor er sein Werk vollendet hatte, gewaltsamen Todes sterben und nahm sein Geheimnis mit ins Grab. Aber der von Fragoso überbrachte Name Ortega, gleichsam die Unterschrift des Dokuments darstellend, hatte es endlich dem Scharfsinn des Richters Jarriquez möglich gemacht, den Sinn des Schriftstücks zu enträtseln.
Ja! hier lag der solange gesuchte materielle Beweis! hier lag das unbestreitbare Zeugnis für Joam Dacostas Unschuld! durch dieses Schriftstück wurde der unglückliche Mann dem Leben wiedergegeben, in seiner Ehre wiederhergestellt.
Als der ehrwürdige Vertreter der Obrigkeit mit lauter Stimme und zur Freude aller Anwesenden diese grausige Mär aus dem Schriftstück herausgefunden hatte, verdoppelte sich das Hurrageschrei. Von diesem Augenblick litt es Richter Jarriquez, im Besitze des unzweifelhaften Beweises für Joam Dacostas Unschuld, im Einverständnis mit dem Polizeihauptmann, nicht, daß Joam Dacosta, so lange bis die neuen Instruktionen von Rio de Janeiro eingelangt wären, anderswo als in seiner eigenen Behausung als Gefangener gehalten würde.
Irgend welche Schwierigkeiten konnten sich nicht hieraus ergeben, und unter allgemeinem Zulauf der Bewohnerschaft von Manaos sah sich Joam Dacosta in Begleitung seiner Angehörigen bis zu dem Hause des Beamten, ganz wie ein Triumphator, mehr getragen als geleitet.
Jetzt wurde der ehrliche Farmer von Iquitos für alles, was er während so langer Jahre in der Verbannung gelitten hatte, reich belohnt, und wenn er sich, mehr um seiner Familie als um seiner selbst willen, glücklich darüber fühlte, so war er nicht minder stolz auf sein Vaterland, das sich solcher höchsten Ungerechtigkeit nicht schuldig gemacht hatte.
Und was geschah während all dessen mit Fragoso?
Je nun: schier verrückt von Liebkosungen wurde der wackere Bursche! Benito, Manuel, Minha überhäuften ihn damit, und Lina ließ es wahrlich nicht daran fehlen! Er wußte in der Tat nicht, wem er das Ohr leihen sollte, und wehrte sich seiner Haut, so gut es ging. Soviel Verdienst hatte er doch bei diesen Ereignissen gar nicht! Der Zufall allein war doch hier der wirkende Faktor gewesen. War man ihm etwa Dank schuldig dafür, daß er in Torres einen Buschklepper erkannt hatte? Nein, ganz gewiß nicht! und was den Einfall anbetraf, die Miliztruppe ausfindig zu machen, zu welcher Torres gehört hatte, so konnte solcher Einfall die Sachlage doch auch nicht bessern – zumal er ja von dem Namen Ortega gar nicht gewußt hatte, ob ihm irgend welche Bedeutung beizumessen sei oder nicht.
Wackerer Fragoso! ob du es zugeben willst oder nicht, fest steht darum nicht minder, daß du Joam Dacostas Retter gewesen bist!
Aber welch erstaunliche Kette von allerhand Ereignissen, alle dem gleichen Ziele zusteuernd, hatte sich aneinander fügen müssen, um diese Tatsachen zu schaffen: Fragosos Befreiung im selben Augenblick, als er im Walde von Iquitos dem Tode an Erschöpfung nahe war: die gastliche Aufnahme, die er in der Farm gefunden hatte, das Zusammentreffen mit Torres an der brasilianischen Grenze, seine Einschiffung auf der Jangada, schließlich jener Umstand, daß Fragoso ihn schon anderswo gesehen hatte!
»Nun, meinethalben ja,« rief endlich Fragoso, »aber mir darf doch all dies Glück nicht angerechnet werden, sondern unserer Lina!«
»Mir!« versetzte die junge Mulattin.
»Jawohl, ganz ohne Zweifel! ohne die Liane, ohne den Einfall mit der Liane, würde es mir nun und nimmer möglich gewesen sein, so viel Menschen glücklich zu machen!«
Ob Fragoso und Lina von dieser ganzen ehrsamen Familie, von den neuen Freunden, die ihnen so viel Prüfungen in Manaos zugeführt hatten, gefeiert, geliebkost, gehätschelt wurden, darüber Worte zu verlieren, ist unnütz.
Aber kam nicht ein Anteil an dieser Wiedereinsetzung des Unschuldigen in seine Ehre auch auf den Richter Jarriquez? War es ihm auch, bei all seiner Begabung zu analysieren, nicht gelungen, dieses nun einmal für jeden, der nicht den Schlüssel in Händen hatte, unentzifferbare Dokument zu lesen, so hatte er doch wenigstens erkannt, auf welchem Geheimschriftsystem dasselbe beruhte! Wer hätte ohne seinen Beistand – wenn er nicht dagewesen wäre – aus diesem bloßen Namen Ortega die Zahl heraustifteln können, die dem Urheber jenes Verbrechens und Torres, die nun beide tot waren, allein bekannt war?
Darum fehlte es auch an Dank für ihn nicht!
Selbstverständlich ging noch am nämlichen Tage ein eingehender Bericht, dem mitsamt der Chiffre, die das Lesen ermöglichte, das Schriftstück im Original beigefügt war, über diesen ganzen Fall nach Rio de Janeiro ab. Nun mußte man abwarten, bis vom Justizministerium neue Instruktionen einliefen – daß dieselben aber auf sofortige Freilassung des Gefangenen lauten würden, unterstand keinem Zweifel.
Ein paar Tage mußte man noch in Manaos verweilen. Dann gedachte sich Joam Dacosta mit seinen Angehörigen, nachdem sie nun jeden Zwanges frei, jeder Unruhe und Sorge enthoben waren, einzuschiffen und die Fahrt auf dem Amazonas bis zum Para hinunter fortzusetzen, woselbst die Reise, entsprechend dem vor der Abfahrt festgesetzten Programm, durch die Doppelhochzeit Minhas mit Manuel und Linas mit Fragoso ihren Abschluß finden sollte.
Vier Tage darauf, am 4. September, langte der Freilassungsbefehl an. Das Schriftstück war als echt festgestellt worden. Die Handschrift war genau diejenige Ortegas, des alten Beamten des Diamantendistrikts, und darüber daß dies Geständnis seines Verbrechens, einschließlich der haarscharfen Einzelheiten, die er dabei angab, von ihm selbst stammte, von ihm selbst niedergeschrieben war, darüber bestanden keine Zweifel.
Die Unschuld des Verurteilten von Villa-Rica war also endlich festgestellt, die Ehrenkränkung Joam Dacostas endlich von Gerichts wegen vollzogen.
Noch am nämlichen Tage nahm Richter Jarriquez mit der Familie Dacosta an Bord der Jangada das Mittagessen ein, und als der Abend da war, fand man des Händedrückens kein Ende. Es waren rührende Abschiedsszenen, die nun folgten, aber ihr Schmerz wurde gemildert durch das Versprechen, einander auf der Rückfahrt in Manao und später in der Farm von Iquitos wiedersehen zu wollen.
Am andern Morgen, dem 5. September, bei Sonnenaufgang, wurde das Signal zum Aufbruch gegeben. Joam Dacosta, Yaquita, ihre Tochter, ihre Söhne, sie alle standen oben auf dem Floße von mächtiger Größe. Die Jangada, der Fesseln ledig, die sie am Ufer hielt, fing langsam an, die Strömung zu gewinnen, und als sie bei dem Knie verschwand, welches der Rio Negro bildet, erschallte noch immer das Hurrageschrei der am Ufer gedrängten Bewohnerschaft.