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Ein Spottgelächter ging durch die Stadt Trier und ein Schmälen: da hatte man nun endlich etliche von der Bande, die die Moselgegend und den Hunsrück, den Hoch- und den Soonwald unsicher machte, hatte die auch eingesperrt im alten Kaschott an der Stadtmauer, dessen vergitterte Fensterchen hinabschauten in einen tiefen Graben, und nun waren sie schon wieder weg in der zweiten Nacht. Da hatte der Bückler gewiß die Hand im Spiel, kein anderer wagte so dreiste Stückchen!
Ein ganzes Nest hatte man ausgehoben gehabt in der Eulenpütz: fünf Kerle, den Toten eingerechnet, und die alte Buzliese mit dazu. Die war sehr verdächtig, wenn sie auch, »bei ihrer Unschuld«, sich hoch und teuer verschwor, von den Kerlen, die zu ihr eingedrungen waren mit Gewalt, keinen einzigen zu kennen. Was hatte sie machen sollen, als die ihr mit der Pistole drohten, in ihrem Haus Nachtquartier heischten, als in dem einzigen, in dem noch Licht brannte?! Es war doch ihr Gewerbe, nachts offen zu halten.
Auch die fünfe beschworen, die Alte weiter gar nicht zu kennen. Sie nannten ihre Namen nicht, behaupteten, Handelsleute zu sein und aus dem Luxemburgischen, die aus Furcht vor dem Bückler und seiner Bande sich zusammengetan und bewaffnet hatten. Sie beschwerten sich bitter über den Überfall. Daß der Tote in einem Streit mit ihnen geblieben war, das konnten sie freilich leider nicht leugnen, darüber wollten sie auch ehrlich Rede stehen, man sollte sie nur transportieren nach Echternach vor ihre zuständige Behörde.
Von den Warenballen, die man im Keller entdeckte, wußte die Buzliese weiter gar nichts; die hatten die Männer da wohl hinabgetragen, während sie vor Schrecken in Ohnmacht lag. Diese Erzählung, ihr Weinen und Schreien halfen ihr aber nichts; sie wurde gleich mitgeführt und eingelocht.
Die Mädchen, die, eingesperrt oben im Haus, Zetermordio und Hilfe schrien, waren glücklich, befreit zu werden. Sie bedankten sich vielmals – gefällige Mädchen –, die ließ man laufen. –
Es war in der zweiten Nacht, daß Iltis-Jakob einen leisen Eulenschrei hörte. Er hatte feine Ohren, er preßte den Kopf ans Gitterfenster, seine scharfen Raubtieraugen durchfuhren die Schwärze der Nacht. Placken-Klas und der schwarze Peter, die auf der Pritsche schnarchten, hatten nichts wahrgenommen. Nun aber hörten sie alle; auch Husaren-Philipp und Petronellen-Michel, die in der Zelle daneben saßen. Aufgepaßt, da war der Bückler!
An der Stadtmauer rutschte etwas. Von Bücklers Schultern auf Bücklers Kopf, von Bücklers Kopf auf einen Mauervorsprung und von da weiter hinauf kletterte das Julchen aus Weyerbach; eine Katze war nicht gelenker. Nun war sie am Fensterchen, reichte eine Feile hinein und wickelte sich einen starken Strick von den Hüften los. Sie selber kam schon so wieder hinab, sie brauchte kein Seil dazu.
Die Feile feilte, und was von den Stäben angefeilt war, das brach der schwarze Peter mit seiner Riesenkraft durch.
Am Strick ließ man einen nach dem andern hinab; der letzte, der Husaren-Philipp, brach zwar den Fuß – er war besser zu Pferd bei den Österreichern gewesen als hier beim Absprung von der Mauer –, aber sie schleppten ihn mit, trugen ihn abwechselnd auf verschlungenen Händen.
Als die Morgensonne das Kaschöttchen beschien, hing als Erinnerung an die Galgenstricke nur noch ein Hanfstrick da und scheuerte sich im Wind an der Mauer.
Die alte Buzliese nur war zurückgeblieben, ihre Zelle ging nicht nach der Stadtmauer hinaus. Aber sie war ja auch so unschuldig, nie und nimmer wäre sie geflohen. Sie wurde bald sehr krank; es würde wohl mit ihr zu Ende gehen. Man brachte sie zu den Barmherzigen Schwestern. Aber kaum einen Tag dort, so war sie auch weg, in der Nacht aus dem unvergitterten Fenster des Schlafsaals zu ebener Erde gestiegen. –
In der Eulenpütz stand die Spelunke leer, das rote Laternchen über der Haustür brannte nicht mehr, und der Wind schlug den Laden auf und zu vor der verlassenen Stube der schönen Amie.
*
Auf dem Kallenfelser Hof, nicht weit von Kirn an der Nahe, saß Julchen Bläsius. Ihr Hannes hatte sie da untergebracht; der Pächter des Hofs war ein sicherer Mann, er hatte von Bückler Geld geborgt, und der stundete ihm. An der Mosel war's in der letzten Zeit nicht recht geheuer, seit der Eulenpütz paßten sie doch etwas besser auf; und ein neuer Friedensrichter war ernannt, der nahm's, frisch im Amt, noch etwas sehr hitzig. Auch drohte die französische Militärbehörde, der viele Pferde abhanden gekommen waren, jeden sofort standrechtlich abzuurteilen, der mit einer Waffe in der Hand oder mit einer solchen versteckt in den Kleidern aufgegriffen wurde. Man mußte die Polizei erst wieder einschlafen lassen. Es war auf dem Hunsrück vorderhand sicherer.
Auf dem jähen Felsen, der weit hinunterschaut ins Tal des Hahnenbach, lag da, wo einstmals ein Raubritterschloß gestanden hatte, jetzt der Kallenfelser Hof; ein festes Haus mit einer einzigen Tür. Sonst sah man keine Behausung rundum und selten einen Menschen. Freilich, wenn Julie aus dem Fenster hinunterschaute ins Tal, sah sie alle Frühmorgen die Gendarmen von Kirn, wohlbewaffnet und wie in Schlachtordnung, unterm Felsen vorbeireiten auf der Suche nach dem Johannes Bückler. Dann warf sie sich ihrem Hannes, wenn der gerade noch bei ihr war, lachend an den Hals: sah er sie, sah er, wie die sich beeilten?! Sie drehte ihnen eine lange Nase, und beide, ihr Geliebter und sie, schüttelten sich vor Lachen und umhalsten sich dabei zärtlich.
Von all seinen Mädchen liebte Bückler die Julie am meisten. Sie war nicht die schönste; die junge Amie, die jetzt mit der Buzliese zu Schneppenbach wohnte, und die er da oft besuchte, hatte seidigere Haare, einen weißeren Hals und zartere Wangen. Auch des Iltis-Jakob Frau mit der üppigen Brust und dem wiegenden Gang war weit schöner; selbst mit dem Mädchen, das ihn dazumal aus dem Schlamassel bei der Buzliese gerettet, konnte sich die Julie an Statur nicht messen. Aber klüger als alle war sie und getreu, er konnte sich auf sie verlassen, mehr als auf jeden Mann seiner Bande. Solange die bei ihm blieb, widerfuhr ihm nichts. Nun ließ er ihr hier auf dem Kallenfelser Hof Kleider machen, recht schöne. Meist ging sie in Jungenkleidung mit ihm, wenn es galt, einen Zug zu machen, aber an freien Tagen tat sie sich gern fein an wie andere Mädchen auch.
Auf den Kallenfels hatte er sich einen Schneider mit zwei Gesellen aus Kirn heraufkommen lassen, die saßen nun da und stichelten für die Julie bei Tag und bei Nacht. Sie wurde neu eingekleidet, bekam Hemden und Hosen aus feiner Leinwand, mit Brabanter Spitzen besetzt, die dem reichen Jud Isaak Herz zu Sobernheim gestohlen waren, und Kleider aus purer Seide. Die waren schön bunt, sie tänzelte darin vor ihm herum, und er freute sich an ihr. Sie konnte es kaum erwarten, sich auch vor anderen in dem Staat zu zeigen.
Er selber hatte einen Schneider für sich unten in der Birkenmühle. Es war ein hinkendes, buckliges Männchen, das einst zu Koblenz ein feiner Schneider gewesen war; jetzt war er alt und in Koblenz nicht mehr zu gebrauchen. Beim Bückler verdiente er nun schönes Geld. Vom feinsten hellblauen Tuch wurde der Rock gearbeitet, eine gestreifte seidene Weste dazu und Beinkleider aus gelbem Tuch, die sich wie eine Haut anschmiegten. Es war der Anzug für einen Edelmann.
Heut trippelte Bückelches-Hermann zum Kallenfelser Hof; er hatte es eilig, gestern hatte ihm der Hauptmann sagen lassen: »Wenn der Anzug morgen nit fertig is, Schnecke du, dann laß ich dir die Nas abschneiden; die is so zu lang, die nähste dir doch fest. Und keinen Heller kriegste bezahlt.« Nun rannte der Schneider. Da sah er auf der Landstraße den Gefürchteten sich schon entgegenkommen. Zitternd zog er die Mütze vor ihm und seiner Dame, die ganz in Seide war.
»Haste die neue Kluft?« Bückelches-Hermann bejahte. »Pack aus!«
Hannes warf Wams und Hosen ab, er stand nackt in der Sonne wie Adam im Paradies und ließ sich bescheinen. Bückelches-Hermann war so erschrocken darob, daß er gar nicht fertig werden konnte mit Auspacken der herrlichen Kleider, die er doppelt und dreifach in ein linnenes Tuch geschlagen hatte. Was, der Johannes Durchdenwald, der Straßenräuber, den die Gendarmen suchten, der spazierte hier ruhig auf offener Landstraße am hellichten Tag in der Sonne?! Dem Bückelchen zitterten die Hände.
Dem nackten Mann schien es so wohl zu behagen. Es ging schon gegen die bessere Jahreszeit, am lichten Vorfrühlingstag waren die Pfützen der Straße aufgetaut, und am Wegrain sproßte das erste Gras; in der Luft zwitscherten Vögel. Auf und nieder wandelte der ebenmäßige Kerl, stemmte wohlgefällig die Hände in die Seiten und drehte sich, daß die Sonne ihm den schlanken Rücken wohlig liebkoste. Gutmütig lachend sah er dem Bückelchen zu, bis es ihm endlich den hellblauen Rock präsentierte und die zartfarbene Hose hinhielt. Da fuhr er hinein mit schier kindischem Vergnügen.
Julie klatschte in die Hände: war ihr Hannes nun aber schön!
Rot vor selbstgefälliger Eitelkeit stolzierte der Räuber so noch ein Weilchen, er schrie ganz laut dabei: »He, Schandarmen, he, holt mich doch eweil, hier sein ich!« Dann umarmte er das Bückelchen: »Was willste haben? Sollst alles kriegen. Hast et gut gemacht. Bei meiner Seligkeit, eweil müssen andere mich auch sehen!« –
Auf dem Kallenfelser Hof wohnten nur Julie und Hannes zuzeiten, die übrige Bande hatte nicht weit davon in der alten Schloßkapelle der verlassenen Schmittburg ein Unterkommen gefunden. Da waren sie zu erreichen mit einem Pfiff und wurden doch dem Paar, das im verschwiegenen Haus des Pächters wie im Honigmond lebte, nicht lästig. Es war gleichsam ein Hofhalt auf dem Kallenfelser Hof. Keiner wurde vor den Hauptmann gelassen, der nicht zuvor angemeldet war.
Und es waren ihrer gar manche, die um eine Audienz baten. Der Bauer war so arm, Kriegsläufte, Einquartierung und Requisitionen hatten ihn ausgeplündert, er hatte keine Kuh mehr im Stall und kein Pferd mehr vorm Pflug. Da war auch niemand, der ihm etwas vorstreckte; der Hannes aber hatte Geld, und er war gutmütig. Wenn ein Bäuerlein recht barmte, dann gab er; schickte das Bäuerlein ein junges Weib oder eine schmucke Tochter, dann war der Hannes noch viel willfähriger. Es waren ihrer eine ganze Menge, denen der Hauptmann so aus der »Bredullich« geholfen hatte. Da mochte der Kantonsrichter noch solchen Preis auf den Fang des berüchtigten Räubers setzen, es würde ihn keiner verraten; man lachte die Gendarmen aus und wies sie auch wohl mit Absicht auf falsche Fährte. Wäre es nicht eine Sünde, solch lustiges junges Blut an den Galgen zu liefern? Die Mädchen beneideten im stillen Julie Bläsius, die Räuberbraut, und die Burschen wiederum hätten es gern dem Bückler gleichgetan. Ei, der war klug, der hatte sich freigemacht von alltäglichen Gesetzen, der ließ sich nichts abgehen, lebte wie ein Fürst – was hatten sie denn von ihrem Leben? Nichts als Plackerei von morgens bis abends und trotz aller Plage nur ein paar Batzen im Sack!
Es waren nicht bloß Bittsteller, die sich auf dem Kallenfelser Hof melden ließen, es waren auch solche dabei, die dem Bückler nur ihr Kompliment machen wollten. Schade, daß die Dirnen nicht auch so dreist sein durften! In den Spinnstuben wurde der Johannes Durchdenwald, wie Bückler sich gern nannte, gar viel besprochen.
Wer dem Kallenfelser Hof sich nahte, wurde von einer Wache angehalten, die in dem schmalen Weg zwischen zwei steilen Felsen – dem einzigen Zugang zum Hof – bewaffnet bis an die Zähne auf und ab patrouillierte. Wer hier sein Sprüchlein gesagt: woher er kam, und was er wolle, wurde weiter gewiesen zur zweiten Schildwache; die stand an der Tür des Hauses. Und dann nahm ihn ein dritter in Empfang; der war aber nicht mehr bewaffnet mit Gewehr und Messer, sondern fein angetan, beinahe wie der Diener eines großen Herrn, und der führte ihn höflich in ein Zimmer des Obergeschosses.
Da stand der Hauptmann, im hellblauen Rock, in gestreift seidener Weste, die geraden Beine so prall in der Hose wie in einer Haut. Seine Reiterstiefel glänzten, silberne Sporen hatte er dran, und seine Rechte ruhte auf dem schön vergoldeten Knauf eines zierlichen Degens. Er lachte mit blitzenden Zähnen den demütig sich Verneigenden an. Die Julie, die aufgeputzt am Tisch saß und nichts tat, nickte gnädig. Ihre Augen waren blank geputzt, ihre Lippen vom Küssen ganz rot. Der Bückler hörte sich alles an: gewiß, er wollte gern helfen, er wußte ja selber, wie das Armsein tat, war auch einmal so ein Schlucker gewesen.
Hochbefriedigt ging jeder fort: oh, der Hannes war nicht so schlimm, den Armen tat er kein Leides an, er plünderte nur die Fürnehmen und die Juden. Auf die Juden besonders hatte er's abgesehen – was betrogen die Krummnasen den Bauer auch so!
Johannes Bückler beorderte den Isaak Herz aus Sobernheim vor sich. Ein Junge stellte dem ein Briefchen zu; das lag, als seine Frau morgens die Haustür auftat, auf der Schwelle.
Julie Bläsius, die geschmeidigen Glieder in Wams und Hosen, hatte den Wisch sorgfältig mit einem Stein beschwert, daß kein Wind ihn verwehe. Darauf stand in gekrakelten Buchstaben, gleich wie von Kinderhand:
»An den Jud Herz zu Sobernheim.
Ein freunte Liechen krus von Mier und Meiner gantzen gombannieh und Hier mit diessen Phar Zeilen wollen Wiehr eich zu wisetuhn das dier Uns bis morchen abent um finef Uhr solld pringen fünnefzig Karlihnen und daran Kein Kreicher zu mankieren wirtt sein auff den Kallenfelsser hoff – du dreibst so fille ungerächtigkeit du jud das Ich dier dazu ein Straffe auferleche von Gülden einhuntret seckundsecksich und Ein kunter Biesenjon fon so fiel Ehlen Schienen Manscheßter wo geheeren for zwo Baar Hosen – wo dier etwan so kiehn sein wert ein wortt weider zu sachen und nit zu komen an die bestimpte blaatz so werte Ich komen mit finnefzen Biss zewanssich Man und werten Wiehr eich euher Haus anstechen selbige naacht und Kein bardong nit geben
Auff Barole
Johannes durchtenwaltt
weil Ich nit zeid Hat Sonst Hät Ich diehs briefgen sälber in dein Hauss Bracht«
Der im Original erhaltene, ganz unverständliche Brief lautet in richtiger Orthographie folgendermaßen:
An den Jud Herz zu Sobernheim!
Einen freundlichen Gruß von mir und meiner ganzen Kompanie, und hier mit diesen paar Zeilen wollen wir Euch zu wissen tun, daß Ihr uns morgen abend 5 Uhr sollt bringen fünfzig Karlinen, daran kein Kreuzer zu fehlen hat, auf den Kallenfelser Hof. Du treibst so viel Ungerechtigkeit, Du Jud, daß ich Dir dazu eine Strafe auferlege von Gulden hundertsechsundsechzig und eine Kontribution von so viel Ellen schönem Manchester, wie gehören zu zwei Paar Hosen. – Wenn Ihr etwa so kühn sein werdet, ein Wort weiter zu sagen und nicht zu kommen an den bestimmten Platz, so werde ich kommen mit fünfzehn bis zwanzig Mann und werde Euch Euer Haus anstecken selbige Nacht und keinen Pardon geben.
Auf Parole
Johannes Durchdenwald.
Weil ich nicht Zeit hatte, sonst hätte ich dieses Briefchen selber in Dein Haus gebracht..
Isaak Herz hatte bisher, wenn er über Land ging, immer ein paar Gendarmen zur Begleitung gedungen; heut kam er allein. Er zitterte und ging gebückt; ein alter Mann, heute noch älter als seine sechzig Jahre. Am Felsenweg faßte ihn die erste Schildwache ab, er zeigte den Brief als Legitimation vor – »bassieren!« – an der Haustür fiel ihn die zweite Wache an. Er wurde betastet und abgeklopft: trug er auch keine Waffe bei sich? An unsanften Knüffen fehlte es dabei nicht. Dann erst wurde er ins Audienzzimmer hinaufgelassen.
»Warum gehst du alleweil in Begleitung von Schandarmen?« fuhr ihn der Bückler an. »Hast ein schlechtes Gewissen. Weißt du nit, daß ich dich mitten draus 'rausschieß, wenn ich Lust dazu hab'?«
Das war ein ungnädiger Empfang. Isaak Herz wurde noch kleiner. Ohne daß er ein Wort zu sagen wagte, packte er seine Kontribution aus: zwanzig Ellen besten Manchestersamt, und legte sie auf den Tisch. Gleich machte sich die Bläsius drüber her, befühlte und bestreichelte die feine Ware.
»Wo hast 's Geld?« schrie Bückler unwirsch.
»Halten zu Gnaden, gleich, gleich!« Herz zählte die fünfzig Karolin auf, sie glitten ihm langsam nur aus den Fingern – das schöne, das mühsam erworbene Geld!
»Mehr!« brüllte der Räuber.
»Gleich, gleich.« Nun mußten die hundertsechsundsechzig Gulden heraus. Der andere half ihm nach, indem er bei jedem Gulden, den der Jude auf den Tisch zählte, ihm einen Klaps aufzählte. Da ging es rascher. Die hundertsechsundsechzig Gulden lagen nun da, aber »Mehr« brüllte Bückler noch immer.
Verzweifelt sah Isaak Herz den Unersättlichen an. »Mehr!« Es klang wie Donner. Da griff Herz tief in seinen Busen. Hier hatte er noch einen Spargroschen verborgen, ein Lederbeutelchen, auf der bloßen Brust unterm Hemde zu tragen. Das sollte einmal für seinen Tod sein, damit er eines anständigen Bettes sicher war zur letzten Rast – nun legte er auch das noch auf den Tisch. Seine Augen umflorten sich, er schluchzte auf.
»Was kreischste?«
Da gab dem Alten die Verzweiflung den Mut: »Für meinen Sarg, Herr, ich will doch anständig schlafen gehen.«
Das Gesicht Bücklers verfinsterte sich noch mehr; aber war's vorher nur Maske gewesen, um den Juden zu schrecken, so war es jetzt wirklicher Ernst. Für ein paar Augenblicke klopfte dies leichtsinnige Herz unruhig bewegt: anständig schlafen gehen – wer weiß, ob er das einmal konnte?! »Steck's wieder ein, Jud!« Er schmiß dem Alten seinen Sparschatz hin. »Nu mach aber, daß du wegkömmst, du verdirbst mir den Hümör!«
Mit vielen Bücklingen bedankte sich Isaak; schon hoffte er sich glücklich draußen, da erschreckte ihn ein »Wart noch!« wieder. Für die Angst, die der arme Teufel ausgestanden, fertigte ihm Bückler eine Sicherheitskarte aus. Nun brauchte er nicht mehr mit Gendarmen zu gehen, nun konnte er ruhig allein auf den Handel ziehen. Die kleinen Kärtchen schienen vorrätig zu sein, der Räuber setzte nur noch seine drei Kreuze darunter:
Im zweiten Jahr
Meiner Regierung
Johannes durchtenwaltt
† † †
Warum war ihr Liebster so nachdenklich? Die Bläsius schmiegte sich an ihn; ihre Lippen, die so heiß küssen konnten, preßten sich auf die seinen. Dieser verdammte Jude hatte ihrem Hannes ganz die Laune verdorben! Sie küßte ihn auf das linke Auge, auf das rechte Auge, auf seine hübsche gerade Nase, sie nahm seine Hand und führte sie kosend an ihren biegsamen Hals, es half nicht und auch kein Scherzen. Er war verstimmt. Was hatte der Hannes, hatte er Angst, entdeckt zu werden? Hier oben konnten sie ruhig sein, der Pächter vom Hof hatte einen so guten Leumund, bei dem suchte sie keiner.
Nein, das war es auch nicht. Des Räubers Lippen kräuselten sich geringschätzig: »Die Schafsköpp, die Schandarmen! Aber –« er preßte ihre Hand – »anständig schlafen gehn, sagte der Jud. Hm, das möcht wohl ein jeder!«
Sie sah ihn verwundert an: was für dumme Gedanken? Das kam vom Stillsitzen hier, das taugte nicht fürs Geblüt, machte ihm das schwer und dick. »Tanzen!« rief sie überlaut. »Wir wollen tanzen, immer lustig, mein Jung'! Mer hat doch nur einmal seine zwanzig Jahr. Laß Muhsik kommen, mein Hänneschen, ja?«
Sie sah ihm mit durchdringender Schlauheit in die den ihren ausweichenden unruhigen Augen. Sie zwang so nach und nach seinen Blick und sein Denken. – –
Auf dem Kallenfelser Hof fiedelte Tanzmusik. Es war eine Unverschämtheit, aber der Bückler konnte sich die ja erlauben. Die Julie wollte tanzen, die Julie wollte ihre neuen Kleider zeigen, darum ließ er einladen, wer sich verlustieren wollte.
Ganz Kallenfels, Hahnenbach, Sonnschied und Griebelschied, all die Dörfer der Nachbarschaft wußten Bescheid, aber kein Hahn krähte laut drum. Die jungen Bursche, die für die Bande schon manchesmal Munition zu Kirn gekauft hatten, fanden sich gern ein. Da gab's ja reichlich zu trinken, auch Geld beim Kartenspiel zu gewinnen, und beides war heutzutage nicht zu verachten. Sie brachten auch ihre Mädchen mit. Die Dirnen, in denen die Neugier kribbelte, waren wie versessen auf den hübschen Räuber, der sich unermüdlich mit ihnen drehte und sie im Tanz verliebt nah und näher an sich zog.
Das Fest ging oben schon auf den zweiten Abend. Man hatte alle Fenster fest zugemacht, damit die Musik nicht in die Weite klang und horchende Späher anlockte. Durch die Abgeschlossenheit von der Luft draußen schwelte eine drückende Hitze im Haus und feuerte verliebtes junges Blut noch feuriger an. Bückler tanzte wie ein Besessener, und die Julie war Meisterin in der Kunst. Sie waren beide halb trunken, und alle anderen waren es mehr oder minder auch. Selbst die Mädchen hatten zu tief ins Glas geguckt, zu hastig in durstigen Zügen getrunken; sie saßen auf dem Schoß ihrer Burschen, die mit den Räubern Brüderschaft tranken. Die ganze Bande war innen im Haus, selbst die Wachen waren eingezogen, man gab nicht mehr Obacht: wozu denn auch, es kam ja doch niemand.
Das Haus lag im Märzendämmer, von weitem gesehen klein und unscheinbar auf der Felsenhöhe, und so ruhig, so friedlich, durch tiefe schwarze Tannenschluchten von aller Welt abgeschnitten, gleichsam wie eine Einsiedelei in frommer Beschaulichkeit.
Ein Weiblein kroch den Felsweg hinan. Es blieb oft stehen, wischte sich über die Stirn und seufzte. Man hatte ihm richtig den Weg gewiesen im Dorf Hahnenbach. Aber ob sie vor den Bückler kommen würde, das sei fraglich, hatten die Leute gesagt. Woher sie denn komme? Oh, von weiter her. Und was sie denn wolle? Das sagte sie nicht. Die wollte den Bückler sicherlich anbetteln, sie sah ganz danach aus; ihr Kleid hatte viele Risse, die freilich gestopft waren, aber die bittere Armut guckte doch durch. In alten Männerstiefeln, die ihr viel zu weit waren, ging die Frau mühselig. Sie hatte die grauen Haare glatt unter eine schwarze Haube gestrichen, tief bekümmert blickten ihre Augen, die einstmals schön gewesen sein mußten, man sah es noch an dem tiefen Blau.
Je näher sie dem Hof kam, desto mehr eilte sie, es war, als ob sie etwas voran triebe.
Die Wachen standen nicht am schmalen Felsenpaß, ohne Aufenthalt kam sie durch. Und nun hörte sie ein Stampfen und Juchzen, ein Fiedeln und Dröhnen; das drang aus dem Haus, trotzdem Tür und Fenster verschlossen waren. Ein Lärm war's wie zur Kirmes auf Dörfern. Im Stall blökte das Vieh und riß an der Kette vor Schrecken, auch die Frau erschrak. Sie faltete ihre Hände: Jesus, war die Hölle hier los? Ihre Hand hob den Klopfer, aber drinnen war zu wüstes Geschrei, man hörte sie nicht. Kein Riegel war vorgelegt, da machte sie sich die Tür selber auf.
»Der Hannes soll leben! Vivat, juchhe! Und das Julchen daneben!« Alle schrien es. Die Musikanten bliesen schmetternd einen Tusch. Bückler hob die Julie auf seinen Armen hoch in die Höhe – er war ein kräftiger Mensch trotz aller Schlankheit – und sie kreischte dabei und strampelte mit den Beinen.
Plötzlich gab's eine Stille, auf das lachende Gesicht des Bückler war jäh ein Erblassen gekommen. Was war dem Hauptmann? Alle schauten nach ihm. Er hatte die Julie hastig zu Boden gelassen, starr guckte er nach der Stubentür. Da stand ein altes Weib auf der Schwelle und streckte die Hände nach ihm.
Wer war die Unverschämte, was wollte die? Gleich waren fünf, sechs von der Bande bei ihr und umringten sie.
»Ech will zum Johannes Bückler,« sagte die Alte. »Laßt los!« Sie stieß den schwarzen Peter, der sie unsanft gepackt hielt, unwillig zur Seite: »Ech muß bei meinen Sohn!« Und sie machte rasche Schritte auf Bückler zu.
Der stand wie angedonnert. Den Kopf zog er zwischen die Schultern wie ein Knabe, dem die Hand der Mutter droht. »Ihr seid et?« sagte er kleinlaut. »Schweigt still!« fuhr er wütend ein paar Musikanten an, die noch weiter parpten. Jähe Röte jagte über sein Gesicht und wechselte mit Blässe. Seine Mutter – seine Mutter! Jahre schon hatte er sie nicht mehr gesehen, sich nicht mehr zu ihr getraut, seit er beim Schinder als Jungknecht den ersten Diebstahl begangen hatte: drei Kalbfelle und eine Kuhhaut. Er war dafür verurteilt worden zu fünfundzwanzig Prügel, und die öffentlich.
So also sah jetzt seine Mutter aus? Was hatte die für viele Runzeln! Ein Gefühl wallte in ihm auf, das stärker war als Unwille und Verlegenheit über ihr plötzliches Erscheinen. Er dachte nicht mehr daran, daß viele herumstanden und mit offenen Mäulern gafften – es hatte sich ein Kreis geschlossen, neugierig um ihn und die Frau –, er hielt seiner Mutter die Hand hin: »Grüß Euch Gott!«
Sie nahm die gebotene Hand nicht. Obgleich es in ihrem Gesicht zuckte, als wollte sie weinen, sprach sie streng: » So finden ech dich? Dau elender Biwak! Ech han't nit glauben wollen, wat se über dich saon. Ech muß et wohl glauben eweil. Üwerall bist du als Räuber bekannt. Ech han mich aufgemacht, als ich hört, du bist auf der Näh. Hannes« – nun nahm sie doch seine Hand, und die Tränen liefen ihr auf einmal übers Gesicht –, »Hannes, ech bitten dich, bei deiner Seligkeit, Hannes, ech bitten dich, mach dich wieder ehrlich!« Ihre Stimme war zitternd geworden, sie stieß unter Schluchzen ihre Bitten hervor.
Der Sohn biß sich auf die Lippen, verstört und jetzt wieder ganz blaß, sah er unter sich.
Die Julie wollte sich einmengen: was kam dies elendige alte Weib und störte hier das Vergnügen? »Laßt den Hannes doch in Ruh,« sagte sie unwillig, »wat schwätzt Ihr eso dumm!«
Da schlug ihr Liebster ihr so derb auf den Mund, daß ihr das Blut aus Lippen und Zahnfleisch spritzte: »Halt's Maul!« Und zur Mutter sprach er, wie einer, der sich entschuldigen will: »Ihr müßt nit glauben, wat alles erzählt wird – dat mehrste is nit wahr. Und Armen han ich nie nix Übles getan. Oh, andere, der Leyendecker aus Lauschied, der Seibert aus Liebshausen, der Peter Zughetto und Fink der Rotkopf sind hundertmal schlimmer als ich. Ich hab' noch nie einen umgebracht.«
»Entschuldig dich nit!« Jetzt hatte die Frau sich wieder in der Gewalt, sie sprach ohne Tränen, fast wie der Richter in einem Verhör: »Mit Kalbfellen und der Kuhhaut haste angefangen, dann haste Peerd gestohlen –«
»Et waren ja französche Peerd,« fiel Bückler ein.
»Peerd gestohlen.« Die Frau beachtete seine Beschönigung nicht. »Dann biste auf Straßenraub ausgegangen. Haste den Sender von Weyerbach und den Herz Göttschlick nit ausgeraubt – ja oder nein?«
»Ja.«
»Haste nit Türen eingebrochen, bist eingestiegen, hast die Leut festgebunden, hast ihnen den Mund verstoppt, dat se nit schreien konnten, hast alles weggeholt, wat ihnen gehört hat?«
»Ja.«
»O dau Dieb, miserabliger!« Die Unglückliche hämmerte sich mit beiden Fäusten gegen die Stirn. »Wärste nie nit auf die Welt gekommen, verflucht sei der Tag!«
»Hört auf!« Er wollte der Frau die Hand festhalten, aber sie achtete seiner nicht.
Wie eine, die von Sinnen gekommen, fuhr sie fast schreiend fort: »Straßenraub, Straßenraub, Straßenraub – Einbruch, Einbruch, Einbruch. Zu Hottenbach, auf dem Baldenauer Hof, auf der Kratzmühl', beim Stumm auf der Asbacher Eisenhütt' – Jesus, ich weiß nit, wie die Leut all tun heißen! Willste 't noch leugnen?« Sie packte ihn bei den Aufschlägen des feinen Rockes und schüttelte ihn. »Und sag mir, he du! –« sie schüttelte ihn noch stärker –, »wer hat den Schandarm, den Andrees, vom Peerd geschossen?«
»Ich nit. Bei Gott, ich war't nit, der schoß. Und als der Andrees unten lag, hab' ich et nit zugegeben, dat einer ihn abtut.« Der Sohn war froh, sich reinwaschen zu können; er schüttelte die Mutter ab: »Hört auf, wat wollt Ihr dann von mir?«
»Wohin ich seh, wohin ich hör, nix als Sünd, nix als Schand. Jesus Maria, Hannes, mein Hannes!« Sie sank plötzlich vor ihm auf die Knie und drückte ihr verzerrtes Gesicht in seine Kleider: »Kehr um, noch is et Zeit, du bist ja noch jung, kannst noch anders werden. Erbarm dich, um deiner Ruh auf Erden und um meiner himmlischen Seligkeit willen!«
Finster stand der Räuber und nagte an seinen Fingernägeln, er wußte nicht, was er sagen sollte. Es würgte ihn in der Kehle, das arme Weib tat ihm so leid. Die hatte wahrhaftig wenig Freude auf Erden gehabt – sein Vater, der alte Hannes, war auch nicht viel wert, der hatte auch schon einmal gesessen –, ehrlich geblieben war nur sie allein. Und nun stand sie schon nahe dem Grab, lange machte sie es wohl nicht mehr, war ja Haut nur und Knochen. Er hielt nicht mehr an sich, einer Schwäche, die ihn übermannte, nachgebend, bückte er sich auf ihr an ihm niedergesunkenes Haupt. Seine Tränen fielen auf ihre schwarze Haube, er heulte laut.
Die Zuschauer standen regungslos. Der schwarze Peter, der wildeste von allen, schneuzte sich: seine Mutter, die lebte auch noch. Von den Mädchen dachte manch eine: war der Räuber edel, jetzt weinte er gar! Alle hielten den Atem an, man hörte für Minuten nichts als das Schluchzen des Bückler.
Da schob sich der Julie Arm in den seinen und drückte den fest. »Gib ihr wat«, raunte die Dirne. »Du machst dich ja lächerlich. Gib ihr wat, dat se nu geht!«
Geben, ja geben, das wollte er gern! Sie sollte nicht mehr so elend in Armut leben! Er fuhr in die Tasche, er brachte die Hand ganz voll Gulden heraus. »Frau Mutter, da, nehmt, kauft, wat Euch not tut. Ich schick Euch auch en Schwein, en Kuh, alles, wat Ihr wollt!« Er wollte ihr das Geld in die Hände drücken, sie aber spreizte die Finger entsetzt und ließ alles fallen.
»Ich nehm kein Geld – ich will auch kein Kuh – von dir nehm ich nix – is ja gestohlen, pfui!« Sie spie aus.
Julie drängte die Frau weg: »So geht doch, geht, wat wollt Ihr noch hier? Ihr macht den Hannes nur bös, paßt auf, wenn der toll wird!« Verstohlen winkte sie dem Placken-Klas und dem Iltis-Jakob.
Die verstanden sie gleich, faßten die Frau rechts und links an den Armen und führten sie ab. Sie grinsten roh: war das ein Gefasel, ihnen war's längst schon zuviel.
Das alte Weib ließ sich wegführen, ganz ohne Widerstand; es war gebrochen. Der Sohn, der Sohn ließ die Mutter so gehen?! Er kam ihr nicht nach, er rief auch nicht einmal noch: »Mutter?!« Wie eine, die ein Kreuz trägt, wankte die Frau zu Tal.